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Meinungsäußerung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses

VERENAVINZENZ (GRAZ)
  1. Amtsärzte sind verpflichtet, in ihrem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung ihrer dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt.

  2. Hält eine Amtsärztin eine Rede in der Öffentlichkeit, kann sie sich nicht darauf berufen, ihre Rede rein als Privatperson gehalten zu haben, ohne auf ihre berufsrechtliche Stellung als Amtsärztin hinzuweisen.

  3. Ob die von der Amtsärztin erhobenen Anschuldigungen vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind oder die Grenzen zulässiger Kritik überschritten haben, muss nicht beantwortet werden.

[1] Die Kl war bei der Bekl als Amtsärztin beschäftigt. Am 17.1.2021 hielt die Kl in Oberwart bei einer Demonstration gegen die Corona-Schutzimpfung und die Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie vor rund 250 Teilnehmern eine Rede, bei der sie folgende Behauptungen aufstellte:

„Es ist jetzt die Zeit aufzustehen. Es ist jetzt die Zeit Nein zu sagen. Und es ist jetzt die Zeit, aus dieser elenden Pharmadiktatur auszutreten. (...) Wenn wir jetzt aufstehen – diese Pandemie ist beendet, wenn wir sie beenden. Jetzt. (...) Man hat uns glauben gemacht, dass wir statt eines gesunden Immunsystems nur mehr die Pharmaindustrie brauchen. (...) Man hat aus der Mimik der Menschen mumifizierte Gestalten gemacht. (...) Ich bin seit 23 Jahren Ärztin und ich mache hier nicht mit. (...) Niemand, niemand sagt uns, wie wir zu behandeln und zu therapieren sind. Ende der Pharma- und Ende der ganzen Lügenkonstrukte auf dieser Welt. (...) Seit elf Monaten erzählt man uns, dass wir alle einsperren müssen, zum Schutze der Alten, und man sei unsolidarisch, wenn man dies nicht machen würde. Und jetzt, meine Lieben, wie könnt ihr euch erklären, dass jetzt unsere Alten in den Heimen mit experimentellen Impfstoffen erledigt werden? (...) Wie viel Lüge wollt ihr uns noch aufbürden? Und das seit elf Monaten Gehirnwäsche. (...) Wir müssen aufstehen, wir müssen die Gehirnwäsche erkennen und dürfen uns nicht mehr von den Medien belügen lassen. (...) Unter dem Deckmantel der Gesundheit versucht man uns krank zu machen und mit Funkstrahlung zu versorgen, die seinesgleichen sucht. Wir machen nicht mit, wir glauben an euch nicht mehr.“

[2] Diese Rede wurde am 18.1.2021 im Internet auf der Plattform YouTube veröffentlicht. Kurz darauf erschien in der Burgenländischen Volkszeitung der erste Artikel über die Rede der Kl als Amtsärztin. In der Folge berichteten mehrere Medien vom Auftritt einer Amtsärztin bei der Anti-Corona-Demonstration. Die Kl wurde am 21.1.2021 dienstfrei gestellt. Am 16.2.2021 löste die Bekl das Dienstverhältnis aus wichtigem Grund vorzeitig auf.

[3] Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren, mit dem die Kl die Feststellung der Unwirksamkeit der Entlassung, in eventu die Unwirksamkeitserklärung der Entlassung anstrebt, abgewiesen. [...]

[4] Die außerordentliche Revision der Kl ist mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[5] 1. Ein wichtiger Grund, der den DG zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses (Entlassung) berechtigt, liegt nach § 81 Abs 1 Z 2 Bgld LVBG vor, wenn der Vertragsbedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder einer Handlung oder einer Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des DG unwürdig erscheinen lässt. Nach stRsp des OGH fällt unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit jede Handlung oder Unterlassung eines AN, die ihn mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis des dienstlichen Vertrauens seines AG unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten muss, dass der AN seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass die dienstlichen Interessen des AG gefährdet sind (RIS-JustiZ RS0029547; RS0060407).

[6] 2. Die Kl kann sich nicht darauf berufen, dass sie ihre Rede als Privatperson gehalten habe, ohne auf ihre berufsrechtliche Stellung als Amtsärztin hinzuweisen. Nach § 11 Abs 1 Bgld LVBG iVm § 45 Bgld LBDG sind Vertragsbedienstete nämlich verpflichtet, in ihrem gesamten Verhalten235 darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung ihrer dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt. Dementsprechend hat der OGH schon mehrfach darauf hingewiesen, dass der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit sich auch aus einem außerdienstlichen Verhalten des DN ergeben kann (RS0029333; RS0029343).

[7] 3. Die Kl meint, dass sie in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK verletzt sei, weil sie im Rahmen der politischen Debatte die Maßnahmen der Regierung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie kritisiert habe und ihre Behauptungen der Wahrheit entsprechen würden. Das Recht der freien Meinungsäußerung und auch der politischen Kritik ist nicht schrankenlos (RS0075554). Ob die von der Kl erhobenen Anschuldigungen vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind oder die Grenzen zulässiger Kritik überschritten haben, muss aber nicht beantwortet werden.

[8] 4. Im vorliegenden Fall ergibt sich die Vertrauensunwürdigkeit der Kl schon daraus, dass sie in ihrer Rede angekündigt hat, sich den Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der Pandemie zu widersetzen, obwohl sie als Amtsärztin nach § 41 Abs 1 ÄrzteG verpflichtet war, behördliche Aufgaben zu vollziehen. Angesichts ihrer öffentlichen Äußerungen „Ich bin seit 23 Jahren Ärztin und ich mache hier nicht mit.“ und „Niemand, niemand sagt uns, wie wir zu behandeln und zu therapieren sind.“ war jedenfalls zu befürchten, dass die Kl ihren dienstlichen Pflichten im Zusammenhang mit der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht nachkommen würde. Die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach die dienstlichen Interessen der Bekl eklatant gefährdet waren, ist deshalb nicht korrekturbedürftig.

[9] 5. Im Übrigen hängt die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten geeignet ist, das Vertrauen des DG soweit zu erschüttern, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist, stets von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0029733; RS0103201; RS0108229). Die außerordentliche Revision der Kl war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Im vorliegenden Beschluss befasst sich der OGH erneut mit arbeitsrechtlichen Sanktionen in Zusammenhang mit der Reaktion eines AN auf COVID-19-Maßnahmen. Konkret ging es um eine Amtsärztin des Landes Burgenland, die auf einer „Anti-Corona- Demo“ als Rednerin aufgetreten war. Im Zuge dieser „Brandrede“, so die lokale Berichterstattung, sprach sie sich dezidiert gegen die Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 aus und rief ua dazu auf, sich nicht impfen zu lassen. Dieser Auftritt wurde gefilmt und als Video auf eine Internetplattform gestellt, auch die Regionalmedien berichteten darüber. Als Reaktion darauf wurde die Amtsärztin wegen Vertrauensunwürdigkeit entlassen.

Damit reiht sich der Beschluss in eine (immer länger werdende) Liste von höchstgerichtlicher Rsp zu COVID-19 ein. So hat der OGH in der Rs 8 ObA 54/21f vom 14.9.2021 die Entlassung bei Verstoß gegen eine angeordnete Absonderung als Corona-Verdachtsfall als gerechtfertigt erachtet. Auch die Entlassung einer Lehrerin, die einen Corona-Test verweigerte, beurteilte das Höchstgericht (OGH9 ObA 79/22s ARD 6829/11/2022) als gerechtfertigt, ebenso die Kündigung eines DN nach OÖ LVBG, der via E-Mail an die Belegschaft eines Landesklinikums angekündigt hatte, sich Anordnungen des DG bei COVID-19-Zutrittstests zu widersetzen. Auch hier bestätigte der OGH die Kündigung, da durch derartige Aussagen eine Verunsicherung der Belegschaft drohe (OGH8 ObA 24/22w ARD 6829/10/2022). Gemeinsam ist diesen Entscheidungen, dass ein Verstoß gegen bestehende COVID-19-Vorschriften streng geahndet wird, dies sogar dann, wenn der AN die beabsichtigten Handlungen nur ankündigt.

Die Thematik COVID-19 und Arbeitsrecht wird durch den vorliegenden Beschluss nun um eine weitere Dimension bereichert, berief sich die kl Amtsärztin doch auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK. Da ihre Aussagen auf der „Anti-Corona-Demo“ vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt waren, sei die Entlassung nicht zulässig gewesen. Auch abseits von COVID-19 bewegt sich der AN mit kritischen, auf seinen AG oder seinen Beruf bezogenen Aussagen in einem Spannungsfeld zwischen den in Art 10 EMRK verankerten Kommunikationsfreiheiten und der Möglichkeit des AG (und subsidiär auch des Staates), rechtlich gegen diese Aussagen vorzugehen. Ein Blick in die Literatur zeigt, dass dieses Problemfeld bislang nur punktuell aufgegriffen wurde.

2.
Die Entscheidung des OGH

In seiner Begründung beschäftigte sich das Höchstgericht vor allem mit dem Vorliegen eines Entlassungstatbestandes, welchen es ohne großes Aufheben bejahte. Die Amtsärztin war Vertragsbedienstete des Landes Burgenland, daher gelangte das Bgld LVBG zur Anwendung, das in Bezug auf die allgemeinen Dienstpflichten auf § 45 Bgld LBDG verweist. Dieser wiederum normiert, dass Beamte in ihrem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen haben, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung ihrer dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt. Konkret geprüft hat der OGH sodann das Vorliegen der Vertrauensunwürdigkeit nach § 81 Abs 2 Z 2 Bgld LVBG. In diesem Zusammenhang bejahte der OGH mit Verweis auf die stRsp (RIS-JustiZ RS0029333; RS0029343) das Vorliegen derselben, da bereits ein außerdienstliches Verhalten des AN ausreiche, um diesen Entlassungstatbestand zu verwirklichen. Die Äußerungen im Zuge der „Anti-Corona-Demo“ seien geeignet, beim AG die objektiv gerechtfertigte Befürchtung zu begründen, dass die AN ihren Dienstpflichten236 in Zukunft nicht mehr nachkommen werde. Diesen Ausführungen ist vollinhaltlich zuzustimmen.

Bezugnehmend auf das Vorbringen der Amtsärztin, dass die Inhalte ihrer Rede durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt seien, stellte das Höchstgericht in aller Kürze fest, dass auch ein solches Grundrecht nicht schrankenlos sei. Ob Art 10 EMRK verletzt wurde, müsse aber nicht inhaltlich geprüft werden. Diese Aussage ist insofern zutreffend, als die Zurückweisung einer außerordentlichen Revision gem § 510 Abs 3 ZPO keiner (Außen-)Begründung bedarf. Wie bereits erwähnt, ist die zugrunde liegende Problematik der Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis aber bislang bestenfalls punktuell aufgearbeitet (soweit ersichtlich bisher Schrammel, Die Freiheit der Meinungsäußerung im Arbeitsverhältnis, MR 2013, 119; Gerhartl, Bedeutung der Meinungsfreiheit im Arbeitsrecht, ARD 6663/4/2019; Grabenwarter, Arbeitsrecht und Menschenrechtskonvention, in FS Marhold [2020] 529). Aus Gründen der Vollständigkeit soll diese Dimension des Sachverhalts daher in das Zentrum der weiteren Ausführungen gestellt werden.

Wie noch auszuführen sein wird, ist der AG der Amtsärztin das Land Burgenland, somit der Staat. Damit stellte die Entlassung der Kl einen staatlichen Eingriff dar. Zu prüfen ist daher, ob Äußerungen, wie sie die Kl im Rahmen der „Anti-Corona-Demo“ von sich gegeben hat, überhaupt vom Recht auf freie Meinungsäußerung umfasst sein können und – wenn ja – ob der staatliche Eingriff verhältnismäßig war. Nur wenn man zu dem Resultat kommt, dass Art 10 EMRK derartige Äußerungen überhaupt nicht umfasst oder dass der Eingriff gerechtfertigt war, ist der Ausspruch der Entlassung zulässig.

3.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung im Arbeitsrecht

In ihrem Vorbringen stützt sich die Kl auf Art 10 EMRK und das darin verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Grundrecht gewährleistet das aktive Recht des Sprechers, Nachrichten und Ideen anderen Menschen mitzuteilen (Grabenwarter/Frank, B-VG [2020] Art 10 EMRK Rz 2; vgl auch Bezemek in Holoubek/Lienbacher [Hrsg], GRC-Kommentar2 [2019] Art 11 Rz 6), und zwar unabhängig von deren „geistigem Wert“ (Hofstätter in Kahl/Khakzadeh/Schmid [Hrsg], Kommentar zum Bundesverfassungsrecht. B-VG und Grundrechte [2021] Art 10 EMRK Rz 12). Art 10 EMRK schützt nicht nur günstig aufgenommene Äußerungen, sondern gerade auch solche, die den Staat oder einen Teil der Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen (EGMR 7.12.1976, 5493/72, Handyside, Rn 49). In der Literatur ist zT umstritten, wie weit der Schutzbereich des Art 10 EMRK zu ziehen ist, zB ob auch sogenannte Hassreden oder demokratiefeindliche Äußerungen umfasst sind. Auch ist sich die Lehre uneinig, ob bereits auf Schutzbereichsebene zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen unterschieden werden soll oder ob diese Diskussion auf die Rechtfertigungsebene zu verlagern ist. Mit Grabenwarter/Pabel (Europäische Menschenrechtskonvention7 [2021] 400 f mwN) ist aber jene Deutung zu präferieren, die den Schutzbereich grundsätzlich sehr weit zieht. Problematische Meinungsäußerungen können nämlich in aller Regel leicht auf der Rechtfertigungsebene (dazu gleich unten) wieder ausgeschieden werden.

Wie schon der OGH in Rz 7 festgestellt hat, ist das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht absolut, sondern steht unter einem materiellen Gesetzesvorbehalt (so auch Hofstätter in Kahl/Khakzadeh/Schmid, B-VG, Art 10 EMRK Rz 24). Ein staatlicher Eingriff ist nach Art 10 Abs 2 EMRK zulässig, wenn dieser gesetzlich vorgesehen ist, einem legitimen Ziel dient – dies sind idR Ziele des Allgemeininteresses – sowie notwendig (iSv verhältnismäßig) ist. Als legitimes Ziel kommen etwa die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Betracht. Gerade jene Berufe, die in der Öffentlichkeit besonders exponiert sind, haben eine besondere Verpflichtung zu Loyalität und Verschwiegenheit, sodass Berufsangehörige selbst wahre Informationen nur in gemäßigter und angemessener Form verbreiten dürfen (EGMR 9.7.2013, 51660/06, Di Giovanni/ITA, Rn 51 ff ). Auch die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch gemischtwirtschaftliche und staatliche Unternehmen kann ein derartiges Ziel darstellen. Der Schutz des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Qualität dieser Aufgabenbesorgung sei essentiell für das Funktionieren und das wirtschaftliche Wohl des gesamten Sektors (EGMR 21.7.2011, 28274/08, Heinisch/GER, Rn 89). Schließlich kann das Standesrecht der freien Berufe ebenfalls Einschränkungen der Meinungsfreiheit vorsehen, wenn gewisse Äußerungen das Ansehen des Standes beeinträchtigen. Die Rsp nimmt eine Interessenabwägung zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und den legitimen Zielen vor.

Die schon angesprochene Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen spielt auf dieser Ebene eine zentrale Rolle. Da Tatsachenbehauptungen einem Beweis zugänglich sind, ist eine falsche Tatsachenbehauptung grundsätzlich nicht schützenswert. Wahre Tatsachenbehauptungen sind gegen die oben erwähnten legitimen Ziele abzuwägen (Schrammel, MR 2013, 119). Werturteile sind hingegen keinem Wahrheitsbeweis zugänglich, dementsprechend geht der grundrechtliche Schutz bei derartigen Äußerungen tendenziell weiter und die Gründe, die für die Einschränkung der Meinungsfreiheit sprechen, müssen bei Werturteilen deutlich stärker ausgeprägt sein. Gerade diese Grenzziehung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen, scheint sie in der Literatur noch so eindeutig, bereitet in der Praxis jedoch nicht unerhebliche Probleme. So hat der VwGH kritische Äußerungen von Ärzten in Zusammenhang mit Impfungen unterschiedlich beurteilt: Die Rede eines Arztes, der das Österreichische Impfprogramm kritisierte, Masern als harmlose Kinderkrankheit abtat und die Zuhörer vor Impfungen warnte, qualifizierte der VwGH (9.10.2019, Ra 2019/09/0010) als Werturteil. Der VwGH erkannte zwar, dass der Arzt einseitig337 Nachteile und Gefahren des Impfens unsachlich und unwahr dargestellt hatte. Da für die Zuhörer erkennbar war, dass es sich um seine eigene – nicht anerkannte – Mindermeinung gehandelt habe und der Arzt keine Berufspflichten gegenüber eigenen Patienten verletzt hatte, bestand kein Zusammenhang mit der Berufsausübung und die Verhängung von Sanktionen durch die Ärztekammer sei rechtswidrig gewesen. Bei einem anderen Arzt, der in einem Artikel angab, dass Impfen nie vor Krankheiten schütze, erklärte der VwGH (28.10.2021, Ra 2019/09/0140) die von der Ärztekammer verhängte Geldstrafe hingegen für rechtmäßig. Die Publikation diente dazu, die Aufmerksamkeit der Leser auf die (homöopathische) Ordination des Arztes zu lenken, daraus ergebe sich ein Zusammenhang mit der Berufsausübung. Der VwGH stellt scheinbar darauf ab, ob zwischen den Aussagen und der ärztlichen Berufsausübung ein Konnex besteht.

Diese aufgestellten Grundsätze gelten naturgemäß auch im Arbeitsleben (vgl Schrammel, MR 2013, 120). Damit sich ein AN auf sein Recht auf Meinungsäußerung berufen kann, muss die Aussage daher von Art 10 EMRK umfasst und nicht durch zulässige Eingriffe des Staates beschränkt sein (Grabenwarter in FS Marhold 321 f). Reagiert ein privater AG mit einer arbeitsrechtlichen Sanktion, etwa der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, auf Aussagen des AN, so handelt es sich dabei zwar um einen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit, allerdings noch nicht um einen staatlichen Eingriff. Erst, wenn die Arbeitsgerichte die Kündigung/Entlassung als rechtmäßig erachten, kann dies als staatlicher Eingriff qualifiziert werden (EGMR Rs Heinisch/GER, Rn 45). Bei Beamten hingegen, deren AG ja der Staat selbst ist, stellt bereits die Kündigung oder Entlassung den geforderten staatlichen Eingriff dar (EGMR [GK] 26.9.1995, 17851/91, Vogt/GER, Rn 44).

Bestimmten Berufsgruppen kommt aufgrund ihrer Stellung in der Gesellschaft darüber hinaus eine besondere Verantwortung zu, aufgrund derer sie sich stärkere Eingriffe in die Meinungsfreiheit gefallen lassen müssen, als dies bei einem „normalen“ AN der Fall wäre. In Zusammenhang mit COVID-19 vertritt Gerhartl (Leugnen von Corona – arbeitsrechtliche Konsequenzen, ASoK 2020, 329 [333]), dass derartige Restriktionen etwa AN im öffentlichen Dienst, aber auch AN in Krankenhäusern, Apotheken oder Pharmazieunternehmen betreffen. Auch für Beamte, die den Staat unmittelbar repräsentieren, gilt etwa, dass sich diese in besonderer Art und Weise zu Loyalität, Zurückhaltung und Verschwiegenheit verpflichten (vgl EGMR 26.2.2009, 29492/05, Kudeshkina/RUS, Rn 85; EGMR 12.2.2008, 14277/04, Guja/MDA, Rn 72 ff ); auch für Richter gibt es derartige Judikatur.

4.
Anwendung auf den konkreten Sachverhalt

Legt man das oben vorgestellte Prüfschema auf den vorliegenden Beschluss um, sind die Äußerungen der Amtsärztin wohl vom Schutzbereich des Art 10 EMRK umfasst. Es handelt sich natürlich um Aussagen, die schwer nachvollziehbar sind und deren inhaltliche Richtigkeit klar widerlegbar ist, etwa wenn von „Lügenkonstrukten“ der Regierung oder „Gehirnwäsche“ durch dieselbe, sogar von „Funkstrahlung“ in Zusammenhang mit einer Impfung gesprochen wird. Wie schon aufgezeigt, ist der Schutzbereich von Art 10 EMRK jedoch bewusst sehr weit gezogen, weshalb auch kritische oder verstörende Bekundungen darunterfallen.

Die Entlassung der kl Amtsärztin ist als staatlicher Eingriff zu qualifizieren, dessen Grundlage sich in § 81 Abs 2 Z 2 Bgld LVBG findet. Das Land Burgenland, also der Staat, ist hier AG, dementsprechend stellt jede arbeitsrechtliche Sanktion, mit welcher der AG auf eine Meinungsäußerung seiner AN reagiert, bereits einen staatlichen Eingriff dar. Damit ist zu prüfen, ob der vorliegende Eingriff auch gerechtfertigt ist. Als legitimes Ziel kommt in diesem Fall die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, konkret der Schutz der kollektiven Gesundheit, in Betracht. Bestimmte Gruppen von AN, allen voran Beamte und Richter, müssen schon aufgrund ihrer Stellung als Vertreter des Staates weiterreichende Beschränkungen ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung hinnehmen. Auch Ärzte trifft aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung in der Gesellschaft eine besondere gesellschaftliche Verantwortung, dies heben etwa § 136 Abs 1 ÄrzteG oder der im vorliegenden Beschluss zitierte § 45 Bgld LBDG deutlich hervor. Die Kl repräsentiert darüber hinaus als Amtsärztin unmittelbar den Staat, dementsprechend hat sie sich mE besonders starke Einschränkungen ihrer Meinungsfreiheit gefallen zu lassen. Jene Teile ihrer Rede, in denen sie dazu aufruft, sich den COVID-19-Maßnahmen der Regierung zu widersetzen, sind in besonderem Maße geeignet, die Öffentlichkeit zu verunsichern. Auch besteht ein direkter Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung (vgl schon VwGH 28.10.2021, Ra 2019/09/0140; VwGH 29.10.2019, Ra 2019/09/0010), da sie als Amtsärztin von der Öffentlichkeit unweigerlich mit diesem Amt in Verbindung gebracht wird, selbst wenn sie der Meinung ist, nur als Privatperson aufgetreten zu sein. Die Entlassung stellt auch eine geeignete Maßnahme dar, bringt die Amtsärztin doch durch die Inhalte ihrer Rede klar zum Ausdruck, die Position des Staates, ihres AG, in Bezug auf die Bekämpfung von COVID-19 nicht mittragen zu wollen. Eine Abwägung zwischen den Grundrechtspositionen der kl Amtsärztin und dem legitimen Interesse des Staates wird daher mE ganZ klar zugunsten des Staates ausgehen. Der Eingriff des Landes Burgenland in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist somit gerechtfertigt, wodurch die Entlassung der Kl als rechtskonform zu qualifizieren ist.

5.
Zusammenfassung

Dem Beschluss des OGH ist vom Ergebnis her zuzustimmen, er reiht sich damit nahtlos in die bisherige Judikatur in Sachen COVID-19 ein. Die Kl ist als Amtsärztin eine direkte Repräsentantin des Staates. Trifft sie im Rahmen einer Demonstration Aussagen, die eine wissenschaftlich nicht beleg-238bare Mindermeinung zum Ausdruck bringen, ist dies geeignet, die Öffentlichkeit zu verunsichern. Die Äußerungen erwecken darüber hinaus den Eindruck, die Amtsärztin werde ihren beruflich geschuldeten Aufgaben rund um die Bekämpfung von COVID-19 nicht mehr nachkommen. Die Entlassung ist aus diesem Grund gerechtfertigt.

Da es sich um eine außerordentliche Revision handelt, war der OGH nicht dazu verpflichtet, sich inhaltlich mit dem Vorbringen der Kl zu beschäftigen, dass sie in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt worden sei. Gerade diese Dimension ist rechtlich besonders reizvoll, bewegen sich AN mit kritischen Aussagen doch immer in einem Spannungsfeld zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und einer möglichen arbeitsrechtlichen Sanktion. Auf der einen Seite sind gerade kritische Stimmen in einer demokratischen Gesellschaft zu dulden und zu schützen. Auf der anderen Seite muss es Grenzen für den AN geben, deren Überschreiten dann wiederum das Tor zu (arbeits-)rechtlichen Sanktionen öffnet. Eine detaillierte Auseinandersetzung des Höchstgerichts zu diesem – auch in der Literatur noch nicht umfassend aufgearbeiteten – Themenkomplex wäre daher wünschenswert gewesen.