26Eine einmalige Nachlässigkeit einer Ärztin in einer Notsituation begründet noch keine Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 AngG
Eine einmalige Nachlässigkeit einer Ärztin in einer Notsituation begründet noch keine Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 AngG
Einmalige Nachlässigkeit einer Ärztin in Notsituation begründet noch keine Vertrauensunwürdigkeit.
Die Regelung des § 15 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) stellt klar, welche ärztlichen Tätigkeiten an diplomierte Pflegepersonen delegiert werden dürfen. Dabei verbleibt die Anordnungsverantwortung bei den Ärzten, die Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege tragen die Durchführungsverantwortung.
Für die in § 15 GuKG angeführten Kompetenzen der diplomierten Krankenpflegeberufe entfällt die Aufsichtspflicht des Arztes gem § 49 Abs 3 letzter Satz ÄrzteG 1988 zur Gänze.
[1] Die Kl war ab 1.7.2019 als Ärztin im Krankenhaus der Bekl beschäftigt.
[2] Am 28.5.2020 behandelte die Kl eine wegen Depressionen stationär aufgenommene Patientin. Die Patientin erhielt Medikamente, die ihr vom zuweisenden Arzt verschrieben worden waren. In der Folge klagte die Patientin, keine Luft zu bekommen, schilderte der Kl Ohrensausen, Kopfschmerzen und Herzrasen sowie auch Übelkeit und erklärte, dass es ihr insgesamt nicht gut gehe. Daraufhin trug die Kl der Diplomkrankenpflegerin T* K* telefonisch auf, Infusionen vorzubereiten, und zwar 200 mg Prednisolon, eine Ampulle Fenistil oder Fenakut sowie ein „1 mg Adrenalin“. T* K* verstand jedoch anstatt Adrenalin „Noradrenalin“, weshalb sie nochmals hinsichtlich der Vorbereitung des Medikaments bei der Kl nachfragte. Diese wiederholte schließlich „1 mg Adrenalin“. T* K* verstand abermals „Noradrenalin“, das ihr grundsätzlich untypisch vorkam. Ihr war das Medikament Noradrenalin bekannt und auch, dass es nur aufgrund ärztlicher Anordnung bei Blutdruckabfall verabreicht wird. T* K* bereitete dann die angeordneten Medikamente vor, jedoch anstatt Adrenalin „Noradrenalin“. Anschließend fragte sie bei der Kl nochmals nach, ob sie tatsächlich „Noradrenalin“ spritzen wolle. Die Kl verstand „Adrenalin“ und bestätigte die beabsichtigte Verabreichung von 1 mg Adrenalin.
[3] Die Kl verabreichte der Patientin dann zunächst das Cortison-Präparat und danach, weil es der Patientin immer noch nicht besser ging, das Medikament Fenistil. Etwa zehn Minuten später fand die Kl die Patientin fast schreiend vor. [...] Der klinische Befund deutete nunmehr für die Kl auf einen anaphylaktischen Schock hin, weshalb sie sich entschied, Adrenalin zu spritzen. Sie nahm schließlich die vorbereitete Spritze, ohne die von T* K* in einer Nierentasse vorbereitete und abgelegte Ampulle zu kontrollieren. Sie ging davon aus, dass es sich um – wie angeordnet – 1 mg Adrenalin handelte. In der Nierentasse, in der T* K* der Kl die vorbereitete Spritze übergab, befand sich eine 5 ml Ampulle; auch die Spritze umfasste243 einen Inhalt von 5 ml. Der Kl war auch klar, dass sich in der Ampulle insgesamt 5 ml befanden, sie ging jedoch davon aus, dass es sich um 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml handelte. Die Kl las auf der Ampulle nur die Aufschrift „1 mg pro ml“, nicht aber, um welches Medikament es sich handelte.
[4] Die Kl verabreichte der Patientin intravenös [...] langsam zunächst die Hälfte der vorbereiteten Menge; dies in der Annahme, es handle sich um Adrenalin. Da es der Patienten nach einigen Minuten noch schlechter ging, verabreichte ihr die Kl auch die zweite Hälfte der Ampulle. Der gesamte Inhalt der Spritze wurde über eine Zeitdauer von fünf Minuten verabreicht.
[5] Als kurz danach T* K* in das Patientenzimmer kam, erklärte sie der Kl, dass sie eine Ampulle mit 5 mg Noradrenalin vorbereitet hatte. Damit war der Kl sofort klar, dass es sich nun um eine lebensgefährliche Situation handelte. Die sofort von ihr eingeleiteten Notmaßnahmen waren erfolgreich. In der Folge trug die Kl die Verabreichung von Noradrenalin auch im Patientenakt ein.
[6] Die Kl war aufgrund der vorliegenden Symptome der Patientin zu Recht von einem anaphylaktischen Schockgeschehen ausgegangen. Auch das Spritzen von Adrenalin war als Therapie grundsätzlich richtig gewählt worden. [...] Bei anaphylaktischen Reaktionen ist eine fraktionierte Gabe von Adrenalin durchzuführen, dh, es sind 0,1 mg in Abständen von mehreren Minuten zu geben. [...] Im Zuge von Reanimationsmaßnahmen bei einem Herzstillstand wird 1 mg Adrenalin in drei bis fünf Minuten sofort intravenös verabreicht. Grundsätzlich gibt es in Österreich zwei verschiedene Formen von Adrenalin, und zwar Suprarenin (1 mg Adrenalin in 1 ml), das auf 10 ml verdünnt werden muss sowie L-Adrenalin (2 mg in 20 ml), das nicht weiter verdünnt werden muss, weil die Konzentration für die intravenöse Verabreichung bereits 0,1 mg/ml beträgt.
[7] Dem Zustandsbild der Patientin entsprechend hätte Adrenalin „langsam“ verabreicht werden müssen. Wäre das angeordnete „richtige“ Medikament „Adrenalin“ (anstatt von „Noradrenalin“) verabreicht worden, so wäre die Verabreichung somit nicht lege artis erfolgt. Adrenalin hätte „langsam“ (je 0,1 mg in Abständen von mehreren Minuten) verabreicht werden müssen. Wäre tatsächlich Adrenalin statt Noradrenalin injiziert worden, wären die Auswirkungen, die durch die Gabe von Noradrenalin eingetreten sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten.
[8] Eine Überprüfung des Medikaments wäre durch eine optische Kontrolle der Ampulle und der Spritze in der Nierentasse möglich gewesen. Eine Verabreichung von 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml ist nicht üblich. Infusionen werden grundsätzlich nach Anordnung durch Ärztinnen auch durch diplomiertes Gesundheitspersonal vorbereitet und auch verabreicht bzw angehängt. Grundsätzlich hätte die Kl die Verabreichung von Adrenalin in einem Notfall an das Pflegepersonal delegieren können, ohne die Medikation vor Verabreichung zu kontrollieren.
[9] Der Kl ist bisher im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit kein ähnlicher Fehler unterlaufen, sie war auch von der Bekl zuvor nie wegen eines Fehlverhaltens verwarnt worden.
[10] Wegen dieses Vorfalls sprach die Bekl am 29.5.2020 die Entlassung der Kl aus.
[11] Die Kl macht im vorliegenden Verfahren entlassungsabhängige Ansprüche geltend. Sie habe keinen Entlassungsgrund gesetzt.
[12] Die Bekl bestritt und beantragte Klagsabweisung. Der Kl sei im Zuge der Behandlung der Patientin am 28.5.2020 ein fataler und untolerierbarer Fehler unterlaufen, der es der Bekl unmöglich mache, das Dienstverhältnis mit der Kl fortzusetzen. Die Kl habe Fehldiagnosen gestellt und das 4-Augen-Prinzip bei der Medikamentengabe verletzt.
[13] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der hier in Frage kommende Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 letzter Fall AngG sei nicht erfüllt. Die Kl habe zwar ihre Kontrollpflicht vor Verabreichung des Medikaments verletzt, es wäre der Bekl aber trotz dieser einmaligen Fehlleistung zumutbar gewesen, die Kl während der Kündigungsfrist weiterhin als Ärztin im Tagdienst zu beschäftigen.
[14] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Die Fehlbehandlung der Kl sei nicht als bloße Ordnungswidrigkeit zu qualifizieren. Die unterlassene Kontrolle der von der Diplomkrankenpflegerin T* K* vorbereiteten Spritze sei aufgrund der vorangegangenen Kommunikationsprobleme zwischen der Kl und T* K* besonders vorwerfbar und damit grob fahrlässig, zumal die Kl nach ihren eigenen Angaben gewusst habe, dass T* K* – jedenfalls zunächst – Noradrenalin verstanden und der Patientin eine Spritze mit 5 ml Inhalt verabreicht habe, obwohl sie auf der Ampulle „1 mg pro ml“ gelesen habe. Die Kl hätte daher nicht davon ausgehen dürfen, dass sich in der Spritze 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml befunden habe, zumal eine Verabreichung von 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml nicht üblich sei. Der Bekl sei es daher nicht zumutbar gewesen, die Kl weiter zu beschäftigen. Die ordentliche Revision wurde mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zugelassen.
[15] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Kl [...].
[...]
[17] Die Revision der Kl ist zulässig, weil die Berufungsentscheidung einer Korrektur bedarf; sie ist auch berechtigt.
[18] 1.1. Das Berufungsgericht hat die von der Rsp entwickelten Grundsätze zum Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit gem § 27 Z 1 letzter Fall AngG zutreffend dargelegt. Zusammengefasst fällt darunter jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines AG unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass dadurch die dienstlichen Interessen des AG gefährdet sind [...]. Dabei kommt es vor allem dar-244auf an, ob für den DG vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung bestand, dass seine Belange durch den Angestellten gefährdet seien, wobei nicht das subjektive Empfinden des DG entscheidet, sondern an das Gesamtverhalten des Angestellten ein objektiver Maßstab anzulegen ist, der nach den Begleitumständen des einzelnen Falls und nach der gewöhnlichen Verkehrsauffassung angewendet zu werden pflegt [...]. Eine bloße Vertrauenserschütterung oder -beeinträchtigung reicht nicht aus [...]. Entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten objektiv als so schwerwiegend anzusehen ist, dass dem DG die Weiterbeschäftigung des DN wegen des Entlassungsgrundes so unzumutbar geworden ist, dass eine sofortige Abhilfe erforderlich wird [...], diesem also eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann [...].
[...]
[20] 2. Zutreffend vertritt die Revisionswerberin aber die Rechtsauffassung, dass sie im vorliegenden Fall keine ärztliche Aufsichtspflicht gegenüber der Diplomkrankenpflegerin T* K* getroffen habe. Die vom Erstgericht im Sachverhalt aufgenommene rechtliche Beurteilung, die Kl hätte sich vor der Gabe des Medikaments über den Inhalt und die richtige Zusammensetzung der von ihr verabreichten Infusion informieren müssen, bedarf jedoch einer differenzierten Betrachtung:
[21] 2.1. Nach § 49 Abs 3 ÄrzteG 1988 kann der Arzt im Einzelfall an Angehörige anderer Gesundheitsberufe oder in Ausbildung zu einem Gesundheitsberuf stehende Personen ärztliche Tätigkeiten übertragen, sofern diese vom Tätigkeitsbereich des entsprechenden Gesundheitsberufs umfasst sind. Er trägt die Verantwortung für die Anordnung. Die ärztliche Aufsicht entfällt, sofern die Regelungen der entsprechenden Gesundheitsberufe bei der Durchführung übertragener ärztlicher Tätigkeiten keine ärztliche Aufsicht vorsehen.
[22] 2.2. T* K* ist diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin (DGKP) iSd § 1 Z 1 GuKG und damit voll ausgebildete Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege.
[23] 2.3. Nach § 15 GuKG umfassen die Kompetenzen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege bei medizinischer Diagnostik und Therapie die eigenverantwortliche Durchführung medizinisch-diagnostischer und medizinisch-therapeutischer Maßnahmen und Tätigkeiten nach ärztlicher Anordnung. Die Kompetenzen der DGKP sind in § 15 Abs 4 GuKG aufgezählt. Dazu zählt ua nach § 15 Abs 4 Z 2 GuKG die Vorbereitung und Verabreichung von Injektionen und Infusionen.
[24] 2.4. Diese Regelung stellt klar, welche ärztlichen Tätigkeiten an diplomierte Pflegepersonen delegiert werden dürfen. Dabei verbleibt die Anordnungsverantwortung bei den Ärzten, die Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege tragen die Durchführungsverantwortung. Aufgrund der ärztlichen Diagnose sind die angeordneten Maßnahmen durch das diplomierte Pflegepersonal eigenverantwortlich durchzuführen [...].
[25] 2.5. Für die in § 15 GuKG angeführten Kompetenzen der diplomierten Krankenpflegeberufe entfällt somit die Aufsichtspflicht des Arztes gem § 49 Abs 3 letzter Satz ÄrzteG 1988 zur Gänze [...].
[26] 2.6. Im eigenverantwortlichen Tätigkeitsbereich eines Krankenpflegers darf der Arzt daher auch darauf vertrauen, dass das diplomierte Pflegepersonal über alle dem Berufsbild entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten verfügt und er muss sich grundsätzlich nicht vergewissern, dass die betreffende Pflegeperson die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten zur Durchführung der angeordneten Tätigkeit besitzt [...].
[27] 2.7. Die Vorbereitung der von der Kl (mit 1 mg Adrenalin) angeordneten Injektion durch die Diplomkrankenpflegerin T* K* konnte somit eigenverantwortlich erfolgen und musste von der Kl grundsätzlich nach § 49 ÄrzteG 1988 nicht mehr überprüft werden. Sie durfte darauf vertrauen, dass T* K* das von ihr angeordnete Medikament 1 mg Adrenalin richtig vorbereitet. Bei einer mündlichen Anordnung – von einer schriftlichen Anordnung konnte hier wegen der Dringlichkeit der Maßnahme abgesehen werden (§ 15 Abs 3 GuKG) – muss die Eindeutigkeit und Zweifelsfreiheit der Anordnung sichergestellt sein (§ 15 Abs 3 Z 2 GuKG). Davon durfte hier die Kl vorerst ausgehen, weil sie T* K* über deren mehrmaliges Nachfragen die Anordnung des (richtigen) Medikaments Adrenalin bestätigte. [...]
[28] 3.1. Nachdem jedoch die Kl das Etikett der Ampulle mit der Aufschrift „1 mg pro ml“ las und wusste, dass sich in der Ampulle insgesamt 5 ml befanden, hätte sie erkennen können, dass es sich dabei nicht um 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml handelte. Auch wenn die Kl grundsätzlich keine Kontrollpflicht der von T* K* vorbereiteten Spritze traf, so hätte sie in der konkreten Situation doch den bei der Vorbereitung der Spritze unterlaufenen Fehler erkennen können, hätte sie das Etikett mit dem Inhalt der Spritze verglichen. Zu dieser Überprüfung wäre sie nach den konkreten Umständen auch verpflichtet gewesen.
[29] 3.2. Diese einmalige Nachlässigkeit der Kl in der konkreten Notsituation eines anaphylaktischen Schockgeschehens war aber nicht so schwerwiegend, dass der Bekl die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar war. Aus objektiver Sicht konnte nicht davon ausgegangen werden, dass die Kl ihren ärztlichen Pflichten wegen dieses einmaligen Fehlverhaltens in Zukunft nicht mehr zuverlässig nachkommen würde. Fehldiagnosen hat die Kl im konkreten Fall nicht gestellt. Auf andere Sorgfaltspflichtverletzungen hat die Bekl die Entlassung nicht gestützt. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit ist der Kl kein ähnlicher Fehler unterlaufen, sie war auch von der Bekl zuvor nie wegen eines Fehlverhaltens verwarnt worden.
[...]
[31] Der Revision der Kl ist daher Folge zu geben und das klagsstattgebende Ersturteil wiederherzustellen.
[...]245
Die zentrale Frage der vorliegenden E ist, ob die Entlassung gem § 27 Z 1 letzter Fall AngG zu Recht erfolgt ist, oder ob eine weitere Zusammenarbeit zumindest während der Dauer der Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre. Der OGH hat das Vorliegen von Vertrauensunwürdigkeit aufgrund der außerordentlichen Revision der Kl wie das Erstgericht verneint, das OLG GraZ hingegen bejaht. Weil aber auch das Ergebnis des OLG inhaltlich vertretbar erscheint – es handelt sich schlussendlich um eine Wertungsfrage, die idR als nicht revisibel erachtet wird –, ist ferner besonderes Augenmerk auf die Zulassung der Revision zu richten.
Überträgt die Ärztin der diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin (DGKP) eine ärztliche Tätigkeit (§ 49 Abs 3 ÄrzteG; § 12 Abs 3 GuKG), so trägt sie die Verantwortung für die Richtigkeit der Anordnung, die DGKP die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung (Müller/Falch in Neumayr/Resch/Wallner [Hrsg], GmundKomm2 [2022] § 15 GuKG Rz 1). Für die „Vorbereitung und Verabreichung von Injektionen und Infusionen“ gem § 15 Abs 4 Z 2 GuKG besteht grundsätzlich keine ärztliche Aufsichtspflicht. Allerdings sind dem bei einem derartigen arbeitsteiligen Zusammenwirken geltenden Vertrauensgrundsatz Schranken immanent (Wagner-Kreimer in Resch/Wallner [Hrsg], Handbuch Medizinrecht3 [2020] Kap XXIV Rz 38 f). Ein Vertrauen auf vorschriftsmäßiges Verhalten der DGKP ist folglich ausgeschlossen, wenn eindeutig erkennbar ist, dass sich diese vorschriftswidrig verhält (ausführlich F. Wallner, Vertrauensgrundsatz gilt auch zwischen Arzt und diplomierter Pflegeperson, JAS 2023, 72 [76 ff ]; Burgstaller/Schütz in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 80 Rz 31 mwN [Stand 22.11.2017]).
In diesem Sinne hat der OGH zunächst nachvollziehbar die „nach den konkreten Umständen“ doch bestehende Aufsichts- bzw Überprüfungspflicht der Ärztin begründet (Rn 28). Hinsichtlich der „konkreten Umstände“ verweist er jedoch ausschließlich darauf, dass die Anordnung „1 mg Adrenalin“ nicht mit dem (gelesenen) Etikett auf der Ampulle („1 mg pro ml“) und den 5 ml in der Spritze übereinstimmte. Diese „einmalige Nachlässigkeit“ im Rahmen des anaphylaktischen Schockgeschehens sei aber nicht so schwerwiegend, dass sie eine Entlassung rechtfertige (Rn 29).
Hinsichtlich der Frage der Entlassung greift die Begründung des OGH damit allerdings zu kurz. Die alleinige Berücksichtigung des Widerspruchs zwischen Etikett („1 mg pro ml“), Ampulle (5 ml) und Anordnung („1 mg“) reicht nicht aus, um das Fehlverhalten der Ärztin im Hinblick auf § 27 Z 1 letzter Fall AngG zu erfassen. Zusätzlich wäre die schwierige Kommunikation zu beachten gewesen.
Ob der AG zur Entlassung gem § 27 Z 1 letzter Fall AngG berechtigt ist, hängt davon ab, ob sich der AN „einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt“. Dies liegt nach stRsp vor, wenn für den AG aufgrund des Verhaltens des AN vom Standpunkt „vernünftigen kaufmännischen Ermessens“ die objektiv gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass seine Interessen und Belange gefährdet sind. Hierbei ist nicht das subjektive Empfinden des AG entscheidend, sondern an das Gesamtverhalten des AN ein objektiver Maßstab anzulegen, der nach den Begleitumständen des einzelnen Falles und nach der gewöhnlichen Verkehrsauffassung angewendet zu werden pflegt (RIS-JustiZ RS0029833; Grillberger/Warter in Löschnigg/Melzer [Hrsg], Angestelltengesetz II11 [2021] § 27 Rz 21 mwN).
Die Ärztin hat gegenüber der DGKP mehrmals bekräftigen müssen, dass tatsächlich „Adrenalin“ vorzubereiten ist. Die DGKP hat sich zweimal zu vergewissern versucht, ob tatsächlich „Noradrenalin“ gemeint sei, was die Ärztin jeweils irrtümlich bestätigte. Auch wenn dadurch die Vorbereitung eines falschen Medikaments keinesfalls evident ist, sollte eine sorgfältige Ärztin bereits aufgrund dieser Kommunikationsprobleme in weiterer Folge diesbezüglich besonders aufmerksam sein.
Schließlich findet sie auf der Nierentasse eine 5 ml-Spritze mit einer 5 ml-Ampulle, einer Größe, die für Adrenalin nicht verwendet wird („nicht üblich“, Rn 8). Adrenalin wird stets auf 0,1 mg pro ml verdünnt (Rn 6), weshalb 1 mg Adrenalin in einer 10 ml-Spritze zu erwarten wäre. Die übliche Dosierung muss der Ärztin nach mehreren Jahren Tätigkeit im selben Krankenhaus bekannt gewesen sein, die unübliche Verdünnung hätte ihrer expliziten Anordnung bedurft.
Im Zusammenhang mit der problematischen Kommunikation hätte die Ärztin spätestens in diesem Moment besonderen Verdacht schöpfen müssen. Es ist nämlich naheliegender, dass ein falsches Medikament vorbereitet wurde, als dass die DGKP eigenmächtig eine unübliche Verdünnung des Adrenalins vorgenommen hat. Auf den Punkt gebracht, nimmt es die Ärztin in dieser Situation hin, ein möglicherweise falsches Medikament zu injizieren, ohne einen ihr – auch im Rahmen des anaphylaktischen Schockgeschehens – leicht möglichen kurzen Blick auf den Namen des Medikaments zu werfen, das Etikett hat sie ohnehin angesehen (Rn 28).
In diesem Lichte dargestellt, erscheint das Fehlverhalten der Ärztin insgesamt doch schwerwiegender als eine bloße „Nachlässigkeit“. Dass diesbezüglich sprachlich zwischen (dem Nichtvorliegen einer) „Aufsichtspflicht“ (Rn 20) und (dem doch Bestehen einer) Pflicht zur „Überprüfung“ (Rn 28) differenziert wird, macht rechtlich keinen Unterschied hinsichtlich der Schwere der Verfehlung.
Des Weiteren läge noch ein zusätzliches für die Beurteilung der Vertrauensunwürdigkeit relevantes Fehlverhalten vor: Selbst bei tatsächlicher Gabe von Adrenalin wäre die Verabreichung nicht lege artis – weil viel zu schnell – erfolgt (Rn 7: je 0,1 mg in Abständen von mehreren Minuten), was aber offen-246bar mangels eines Vorbringens der Bekl (Rn 29) nicht gewertet wurde.
Zur Orientierung, ob das Fehlverhalten der Ärztin in Hinblick auf § 27 Z 1 letzter Fall AngG nun so schwer wiegt, dass die weitere Zusammenarbeit unzumutbar ist, findet man Anhaltspunkte auch in der jüngeren Rsp. In OLG Wien10 Ra 103/13k ARD 6388/15/2014 hat eine Ärztin eines Therapiezentrums einem 78-jährigen Patienten trotz Kontraindikation (ua Herzschwäche, Bluthochdruck, Nierenfunktionsschwäche) die Einfahrt in einen Heilstollen genehmigt, wodurch dieser sich einer ernsthaften Gefahr für Gesundheit oder sogar Leben, zB durch plötzlichen Herztod, aussetzte. Die Ärztin wurde entlassen, weil es ihr aufgrund ihrer Berufsausbildung möglich gewesen wäre, diese Gefahren zu erkennen. Einen Patienten derart in eine ernsthafte Gefahr zu bringen, stelle einen massiven Vertrauensverlust dar, der eine Entlassung gem § 27 Z 1 AngG rechtfertige.
In OGH9 ObA 26/17i ARD 6558/11/2017 hatte ein Arzt eine persönliche Untersuchung einer stationär aufgenommenen Patientin unterlassen, obwohl ihn die DGKP aufgrund der gesundheitlichen Verschlechterung ausdrücklich darum ersucht hatte. Dies bedeutete eine potenzielle schwere Gefährdung der Gesundheit der Patientin, dadurch sei das Vertrauen des AG nachhaltig erschüttert worden und eine weitere Beschäftigung nicht mehr zumutbar gewesen.
In einer jüngeren E des OLG Wien vom 19.5.2022 (10 Ra 131/21i ARD 6822/8/2022) hat ein Anästhesist im Rahmen einer außerdienstlichen Tätigkeit in einem Wunschbaby-Institut aufgrund einer nicht lege artis vorgenommenen Lagerung eines Narkosemittels drei Patientinnen in eine lebensbedrohende Situation gebracht, eine davon ist verstorben. Das Krankenhaus, das AG des Arztes war, hat ihn daraufhin trotz 25-jähriger vorbildlicher und tadelloser Dienstverrichtung wegen Vertrauensunwürdigkeit entlassen. Das OLG betonte, dass ein AG sich zum Schutz seiner Patienten verlassen können müsse, dass der Arzt entsprechende Kenntnisse über „Einsatz, Handhabung und Verwendung“ der von ihm einzusetzenden Medikamente besitzt.
Gemeinsam ist dieser Rsp, dass Ärzte bei lebensbedrohender Gefährdung von Patienten als vertrauensunwürdig erachtet wurden, selbst wenn sie zuvor über Jahre kein Fehlverhalten gesetzt haben. Hier würde sich auch die zweitinstanzliche E des OLG Graz einreihen. In der vorliegenden E nimmt die Ärztin in Kauf, ein falsches Medikament zu verabreichen, obwohl ihr dies auffallen musste – konkret vorzuwerfen ist die Verletzung der Überprüfungspflicht –, was die Patientin in eine lebensbedrohliche Situation bringt, die noch dazu leicht – mit einem Blick – zu verhindern gewesen wäre. Im Lichte der angeführten Rsp würde demnach das Ergebnis des Berufungsgerichts – weitere Beschäftigung unzumutbar, daher Vertrauensunwürdigkeit – durchaus vertretbar erscheinen.
Die Zulassung der außerordentlichen Revision ist indes nicht nur aus diesem Grund bemerkenswert, sondern auch, weil die Beurteilung der Vertrauensunwürdigkeit gem § 27 Z 1 letzter Fall AngG von den Umständen des Einzelfalles abhängt (stRsp; RIS-JustiZ RS0103201) und daher schon deswegen regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darstellt (OGH8 ObA 79/05h ARD 5697/8/2006). Indem der OGH ausnahmsweise doch das Vorliegen einer korrekturbedürftigen Rechtsfrage annimmt, geht er von einer auffallenden bzw unvertretbaren Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aus (vgl OGH9 ObA 147/15fDRdA-infas 2016, 269 = ARD 6512/16/2016). Inhaltlich ist daraus für die Beurteilung der Vertrauensunwürdigkeit wohl abzuleiten, dass dem Vorliegen einer außergewöhnlichen „Notsituation“ (vgl Rn 29) eine besonders hohe und maßgebliche Bedeutung bei der Gewichtung des ärztlichen Fehlers zuzumessen ist – selbst bei lebensbedrohendem Fehlverhalten, das relativ einfach zu vermeiden gewesen wäre. Hingegen darf die E nicht dahingehend missverstanden werden, dass bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zwischen Ärzten und nichtärztlichen Berufen hinsichtlich ärztlicher Fehler mit zweierlei Maß gemessen wird. Kontroll- oder Überprüfungsfehler wiegen nicht weniger schwer als andere Fehler. Es macht bezüglich der Vertrauensunwürdigkeit keinen Unterschied, ob das Leben eines Patienten dadurch gefährdet wird, dass ein Arzt ein falsches Medikament auch selbst vorbereitet und verabreicht oder das falsche Medikament bloß selbst verabreicht, dabei aber eine Überprüfungspflicht verletzt. Alleine die außergewöhnliche „Notsituation“ vermag die Beurteilung des konkret vorliegenden Fehlverhaltens als „Nachlässigkeit“, die den Tatbestand des § 27 Z 1 letzter Fall AngG (doch) nicht erfüllt, zu begründen.247