DäublerInteressenvertretung durch Betriebsrat und Gewerkschaften im digitalen Betrieb

Bund Verlag, Frankfurt am Main 2022, 91 Seiten, kartoniert, € 19,80

NORAMELZER (GRAZ)

Mit seinem Gutachten über die „Interessenvertretung durch Betriebsrat und Gewerkschaften im digitalen Betrieb“ hat Wolfgang Däubler eine hervorragende Arbeit verfasst, die dem im Vorwort angekündigten Zweck eines hilfreichen Überblicks über die Möglichkeiten des BR und der Gewerkschaften, auch in einer digitalisierten Arbeitswelt mit der Belegschaft zu kommunizieren, mehr als gerecht wird. Obwohl der Autor – seinem beruflichen Wirkungskreis entsprechend – nur die deutsche Rechtslage behandelt, macht er dies so vorbildhaft systematisch und gründlich, dass auch österreichische Leser:innen aus Theorie und Praxis von der Beschäftigung mit dem Werk nur profitieren können.

Ausgegangen wird von jenen Mitwirkungsbereichen und Befugnissen der Belegschaftsvertretung, die auf Kommunikation mit der Belegschaft aufbauen. Untersucht werden sowohl die Aktivitäten des BR (S 31 ff) als auch jene der Gewerkschaften (S 58 ff). Die gesetzlichen Interessenvertretungen österreichischer Prägung können sich naturgemäß nur mittelbar angesprochen fühlen. Sie werden sich aber bei Fragestellungen und Lösungen bezüglich beider wiederfinden: Einmal, weil die Kammern – wie der BR – von Gesetzes wegen vorgegebene Aufgaben im einzelnen Betrieb und außerdem gesetzlich abgesicherten Zugang zu bestimmten Informationen über die AN haben; zum anderen Mal, weil die Kammern – wie die Gewerkschaften – auch überbetrieblich agieren müssen.

Zu den Handlungsformen von BR und Gewerkschaften werden die entsprechenden Rechtsgrundlagen erörtert, Grundsatzentscheidungen sowie jüngere Rsp dargelegt und konsequent weitergedacht. Im Finale werden schließlich rechtspolitische Überlegungen angestellt, wobei unter Hinweis auf das ILO-Abkommen Nr 135 insb festgehalten wird, dass die Stellung der Gewerkschaften im Betrieb nicht geschwächt werden darf, indem diesen weniger oder gar kein Rückgriff auf digitale Kommunikationsmittel erlaubt wird (S 85). Auch schon im Rahmen der Behandlung der einzelnen Themenkomplexe regt der Autor zum „digitalen“ Weiterdenken an, zB durch Vorschläge für Regelungen zwischen den Betriebspartner:innen oder durch Beispiele für die Handhabung in der Praxis. Die Gesetzgebung wird motiviert, sich rechtzeitig den Herausforderungen einer umfassend digitalisierten Arbeitswelt zu stellen und die grundlegenden Weichenstellungen zu treffen, solange dazu noch Zeit ist.

Gleich zu Beginn wird erklärt, warum es in einer Arbeit über die Interessenvertretung im digitalen Betrieb um Kommunikation oder Kommunikationsrechte gehen wird und muss: „Arbeitnehmerinteressen zu vertreten, setzt Kommunikation voraus.“ Neben traditionellen Handlungsformen, wie dem persönlichen Gespräch mit dem Betriebsratsmitglied, der zentralen Anschlagstafel im Betrieb, dem sogenannten Schwarzen Brett, oder auch der Betriebsversammlung als tatsächlicher Zusammenkunft haben sich längst neue Kommunikationswege etabliert: E-Mails zwischen AN und dem BR, Gespräche und Zusammenkünfte über Videotelefonsysteme, Homepages im Intranet als Informationsplattform des BR (S 11 ff).

Däubler geht ua auf Themen wie Ausstattung und Infrastruktur des BR ein. Ausgangspunkt der Diskussion ist, dass, wie in Österreich, nicht nur die Belegschaft selbst für die Finanzierung der Ausstattung ihrer Vertretung zuständig ist, sondern dass auch der:die Betriebsinhaber:in entsprechende Sachmittel bereitstellen muss. Dies umfasst – wie ausgehend von Rsp und Lehre ausgeführt wird – zunächst einmal die grundlegenden Voraussetzungen für digitales Arbeiten, nämlich Rechner, Bildschirme und Intra- und Internetanbindung (zB S 35), kann aber auch die Schaffung einer Homepage für den BR und Betreuung durch Externe einschließen (S 39 f).

Der Autor geht über solche Klarstellungen betreffend die Kostentragung hinaus und erläutert im Folgenden, „wie“ der BR verschiedene digitale Sachmittel für seine Interessenvertretungsaufgabe nützen darf. Da die Kontakte zwischen Belegschaft und Vertretung bzw die Erscheinungsformen derselben idR nicht zwingend gesetzlich vorgegeben sind, können zur Information der Belegschaft grundsätzlich auch die neuen, digitalen Medien genützt werden – das herkömmliche Schwarze Brett kann auch als interaktive Website des Betriebs gestaltet und ein Rundbrief digital verbreitet werden. Der BR hat also das Recht, E-Mails an alle Belegschaftsmitglieder zu versenden; das schließt auch E-Mails an deren dienstliche Accounts ein. Die einzelnen AN wiederum haben das Recht, auf diesem Weg mit dem BR zu kommunizieren, sei es von sich aus oder als Reaktion auf Anschreiben des BR; auch hierbei ist die Benützung der dienstlichen Accounts zulässig (S 35 f).

Welche Inhalte der BR über digitale Medien verbreiten darf, richtet sich nach seinen gesetzlichen Aufgaben und Befugnissen: Informationen, die der 253 Schweigepflicht unterliegen oder zB gegen urheberrechtliche Vorschriften verstoßen, dürfen auf allgemein zugänglichen Websites sowie in Blogs oder Foren ohne entsprechende Zugangsbeschränkungen nicht verbreitet werden (S 40). Ob dazu digitale Kanäle benützt werden oder nicht, spielt keine Rolle. Die Einbeziehung von Behörden oder überbetrieblichen Interessenvertretungen per E-Mail – gewissermaßen one on one – ist regelmäßig zulässig, sofern es sich dabei um das Einholen weitergehender Beratung oder um gesetzlich vorgesehenes Informieren handelt (S 44 ff); ebenso dürfen Betriebsvereinbarungen an die im Betrieb vertretene Gewerkschaft weitergegeben werden (S 36). Für Österreich ist dabei zusätzlich die Einbindung der Kammern mitzudenken, weil zB den gesetzlichen Interessenvertretungen gem § 30 Abs 3 ArbVG die BV zu übermitteln ist. Und auch hier gilt: Die Form der Übermittlung, zB per E-Mail oder über einen Zugang zur Plattform, auf der (nur) die unternehmensspezifischen Betriebsvereinbarungen publiziert sind, spielt insofern keine Rolle.

Bei aller Technologieoffenheit, die der deutschen (und der österreichischen) Betriebsverfassung eigen ist, ist zusätzlich auch der Stand der Ausstattung der Belegschaft selbst, also jener der AN, zu berücksichtigen. Zu Recht betont Däubler im Zusammenhang mit der Nützung digitaler Arbeitsmittel wie E-Mail oder Internet, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass vom BR (und der Gewerkschaft) jeder Einzelne mittels der neuen Medien erreicht werden kann (S 38 f). Es arbeiten eben nicht alle AN an einem Rechner oder haben einen dienstlichen E-Mail-Account oder Zugang zu sozialen Plattformen; ebenso wenig haben alle AN privat solche Mittel; sei es, weil sie es sich nicht leisten können, sei es, weil sie technikskeptisch sind. So gehen (aus Sicht der Rezensentin völlig zutreffend) auch der OGH in seiner viel beachteten Whats-App-Entscheidung und die Transparente-Arbeitsbedingungen-RL, die die nationale Rechtsordnung ermächtigen würde, Dienstzettel in Zukunft auch digital auszustellen, in eine ähnliche Richtung. Die traditionellen Kommunikationswege, wie Schwarzes Brett, papierene Rundschreiben oder persönliches Gespräch, sind weiterhin zu beschreiten, um den Interessenvertretungsaufgaben dem gesetzlichen Auftrag entsprechend nachzukommen! Zusätzlich dazu ist das Nützen digitaler Medien zulässig. Alternativ schlägt Däubler vor, in Aufenthaltsräumen, die allen AN im Betrieb niederschwellig zugänglich gemacht werden, einen Zugang zu den digitalen Informationsmitteln zu gewähren (S 53).

Zur Arbeit im Home-Office (andere Schreibweise als nach der österreichischen Regelung desselben in § 2h AVRAG) weist Däubler nach, dass und warum nach wie vor auch bei dieser Arbeitsform ein Betrieb iSd Betriebsverfassung vorliegt (S 53); weiters wird wiederum darauf eingegangen, wie Belegschaftsvertretung und AN nach der derzeitigen Rechtslage den fehlenden Kontakt zum Betrieb und miteinander noch bewältigen können (zB durch ausdrücklich erlaubtes Nützen der Arbeitsgeräte für Gespräche mit dem BR oder in größerem Umfang auch für sonstige Privatangelegenheiten; S 51). Teilweise werden auch kontaktfördernde Maßnahmen vorgeschlagen, die etwa im Wege von Betriebs- gegebenenfalls auch Einzelvereinbarungen umgesetzt werden können (zB über das Bereitstellen von Räumlichkeiten im Echt-Betrieb für Zusammenkünfte; oder Wegzeiten, die als Arbeitszeit angesehen werden, S 53 f). Skeptisch ist die Rezensentin allerdings bezüglich des Vorschlags einer Vereinbarung, wonach Neueingestellte ein verpflichtendes Gespräch mit dem BR führen müssen, um so einen persönlichen Kontakt aufzubauen (S 53).

Die Ausführungen zur Plattformökonomie behandeln neben einer hilfreichen Skizzierung der Begrifflichkeiten (S 29) insb die Einbettung dieser Arbeitsmodelle in die deutsche Rechtslage; hier ist vor allem bemerkenswert, dass das deutsche Heimarbeitsgesetz (HAG) nach der neueren Rsp auch qualifizierte Tätigkeiten, wie die Arbeit von Programmierer:innen, erfasst (S 30). Im Unterschied dazu kommt das österreichische Heimarbeitsgesetz nach wie vor nämlich nur jenen arbeitnehmerähnlichen freien DN oder Werkvertragsnehmer:innen zugute, die manuelle, handwerkliche Tätigkeiten ausüben. Als solche wird die Arbeit von Crowdworker:innen grundsätzlich nicht verstanden, sodass ein Schutz nach diesem Gesetz aus österreichischer Sicht de lege lata nicht gewährt werden müsste.

Das vorliegende Werk ist aufgrund seines hohen Niveaus und der fundierten Ausgestaltung uneingeschränkt allen zu empfehlen, die sich mit Digitalisierung und den diesbezüglichen Herausforderungen für „die Interessenvertretung“ aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht tiefer gehend auseinandersetzen wollen oder müssen.