Strukturfragen der österreichischen gesetzlichen Unfallversicherung – Zustand nach Covid-19*
Strukturfragen der österreichischen gesetzlichen Unfallversicherung – Zustand nach Covid-19*
Entstehung und Entwicklung der gesetzlichen Unfallversicherung in Österreich
Zwischenresümee
Exkurs: Gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland
Vergleich der österreichischen und der deutschen Regelung
Grundsätze
Covid-19 als Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung
Berufskrankheit
Einleitende Überlegungen
Abstrakte Berufskrankheit
Konkrete Berufskrankheit
Konkurrenz von Arbeitsunfall und Berufskrankheit
Arbeitsunfall
Allgemeines
Schlussfolgerung
Unfälle im Homeoffice
Allgemeines
Regelungen durch das Homeoffice-Paket
Schüler und Studierende
Abschließende Überlegungen
Bei der gesetzlichen UV handelt es sich bekanntlich um den ältesten Versicherungszweig der österreichischen SV.*
Zunächst waren AN nach Unfällen bei Erbringung ihrer Arbeitsleistung nur über die zivilrechtliche Haftpflicht der AG abgesichert. Die Durchsetzung der Ansprüche in allgemeinen zivilrechtlichen Schadenersatzprozessen in der Klägerrolle mit den Beweislastregeln belastet, brachte für die AN nur eine unzulängliche Absicherung. Schlechte Arbeitsbedingung und keinerlei AN-Schutz führte zu einer Vielzahl an Unfällen. Den betroffenen AN drohte im Falle einer aus dem Unfall resultierten eingeschränkten Erwerbsfähigkeit zumeist ein Leben in Armut.*
Nachdem zwar für besondere Bereiche – den Bergbau das BergG 1854, in dem in sogenannten „Bruderladen“ Vorsorge für Krankheit, Unfall und Tod geleistet wurde und den Betrieb von Eisenbahnen 190 das EisenbahnhaftpflichtG 1869 – bereits zuvor Sonderregelungen geschaffen wurden, wurde nach langjährigen Diskussionen schließlich 1887 das ArbeiterunfallG* erlassen. Nach dessen § 1 waren alle in bestimmten Unternehmen bezeichneten Arbeiter oder Betriebsbeamte – erfasst waren auch Lehrlinge, Praktikanten und Volontäre – gegen die Folgen der beim Betrieb sich ereignenden Unfälle versichert. Ein Schutz bestand nur bei gefährlichen Betrieben und nur für Gefahren, die sich aus der Betriebstätigkeit ergaben. Folgte aus einem derartigen Betriebsunfall eine Körperverletzung oder der Tod, so wurde nach § 5 der daraus entstandene Schaden ersetzt. Die versicherten Betriebe waren nach § 14 in Gefahrenklassen eingeteilt. Bei dieser ersten gesetzlichen UV handelte es sich somit um eine Betriebsversicherung. Die Rsp stellte bei Prüfung eines Arbeitsunfalls – bereits – auf den örtlichen, sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Betrieb ab, was insb aufgrund der Ausgestaltung als Betriebsversicherung auch schlüssig erscheint.*
Nach Verbesserungen der Bestimmungen für Bergleute mit dem BruderladenG 1889 kam es 1894 zur Erweiterung der Arbeiterunfallversicherung sowie zur Einbeziehung der Bergarbeiter 1914 ins ArbeiterunfallversicherungsG und schließlich 1917 zu einer bedeutsamen Änderung. In Umsetzung der bis dahin entwickelten Rsp wurde der Unfallversicherungsschutz auf Wegunfälle ausgedehnt und schließlich die Finanzierung gänzlich auf die AG übertragen.
Ende der 1920er-Jahre wurde – nach Ratifizierung eines internationalen Abkommens – die Berufskrankheit als Versicherungsfall geregelt* und überdies im AngestelltenversicherungsG* alle Angestellten in die UV einbezogen. Für die Arbeiter fand sich eine entsprechende Erweiterung im ArbeiterversicherungsG 1927, das jedoch aufgrund einer sogenannten „Wohlstandsklausel“ nicht in Kraft treten konnte und daher die Erweiterung des Unfallversicherungsschutzes auf alle Arbeiter tatsächlich erst im Gesetz über die gewerbliche SV 1935 erfolgte. Die Landarbeiter fanden im LandarbeiterversicherungsG* Schutz. 1928 wurden schließlich die Gefahrenklassen abgeschafft und die selbständigen Landwirte in den Versicherungsschutz einbezogen.
Mit der „Verordnung über die Einführung der Sozialversicherung in Österreich“* wurde die dt Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19.7.1911 ab 1.1.1939* in Österreich in Kraft gesetzt. Mit dem ReichsüberleitungsG* wurden alle nach dem 13.3.1938 erlassenen Normen, die mit dem Bestand eines freien und unabhängigen Staates Österreich oder den Grundsätzen einer echten Demokratie unvereinbar waren, die dem Rechtsempfinden des österreichischen Volkes widersprachen oder typisches Gedankengut des Nationalsozialismus enthielten, aufgehoben, die übrigen bis zur Neugestaltung der einzelnen Rechtsgebiete vorläufig in Kraft gesetzt. Im SV-ÜberleitungsG* wurden im Wesentlichen organisatorische Regelungen getroffen und schließlich mit Inkrafttreten am 1.1.1956 das Allgemeine SozialversicherungsG erlassen.
Seit der Stammfassung finden sich die Bestimmungen zur UV im dritten Teil des ASVG. Nach § 175 Abs 1 ASVG sind Arbeitsunfälle jene Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. In den folgenden Absätzen findet sich eine Auflistung von Situationen, die auch als Arbeitsunfälle gelten bzw nach § 176 ASVG Arbeitsunfällen gleichgestellt sind. In § 177 ASVG ist normiert, dass als Berufskrankheiten die in Anlage 1 bezeichneten Krankheiten unter den dort angeführten Voraussetzungen gelten, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht sind. Im Rahmen der Stammfassung kam es dabei zu einer Erweiterung der bisherigen Liste der Berufskrankheiten. Davor wurden zwölf Jahre keine Anpassungen vorgenommen, sodass eine solche Erweiterung aufgrund der zwischenzeitigen Änderungen in der Arbeitswelt dringend erforderlich war.*
Wie der kurze Rückblick auf die Geschichte der UV zeigt, ist es seit dem Entstehen zu einem Strukturwandel in der UV gekommen. Die UV hat sich von einer reinen Betriebsversicherung hin zu einer Personenversicherung entwickelt.* Diese Entwicklung begann bereits Anfang des 20. Jahrhunderts durch Einbeziehung der Wegunfälle und setzte sich durch die Einbeziehung der Bauern 1939, der Selbständigen 1955 und der Erfassung zusätzlicher geschützter Lebensbereiche noch weiter fort.*
Da die österreichische SV durch das gemeinsame Schicksal im Dritten Reich wesentlich von den entsprechenden Regelungen in Deutschland beeinflusst wurde, erfolgt nun ein kurzer Blick in unser Nachbarland. In Deutschland wurde Mitte – also etwas früher als in Österreich – der 1880er-Jahre das UnfallversicherungsG 1884* erlassen. Danach waren zunächst alle in bestimmten Betrieben beschäftigte Arbeiter gegen die Folgen der beim Betrieb sich ereignenden Unfälle versichert. In der RVO 1911 wurde die UV ins 3. Buch überführt. 1925 kam es zu einer Erweiterung des Schutzes 191 auf Wegunfälle und Berufskrankheiten. Schließlich erfolgte 1942 eine Ausdehnung des Unfallversicherungsschutzes auf alle AN.
1996 wurde die RVO schließlich durch das Sozialgesetzbuch (SGB) abgelöst und die gesetzliche UV ist seither im SGB VII geregelt. Nach dessen § 8 Abs 1 sind Arbeitsunfälle jene Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründeten Tätigkeiten. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte. In Abs 2 finden sich einige „Auch- Unfälle“.* § 9 Abs 1 definiert die Berufskrankheiten als „Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung ... als Berufskrankheiten bezeichnet“
. In Abs 2 findet sich die Regelung, dass auch Erkrankungen, die nicht in der Verordnung genannt sind, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen erfüllt sind, die für die Nennung einer Berufskrankheit in der Verordnung vorliegen müssen.
Vergleicht man die österreichischen und die deutschen Reglungen, so wird ersichtlich, dass doch Unterschiede bestehen. Beim Arbeitsunfall verzichtet die deutsche Regelung auf den „örtlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang“ und spricht hingegen von Unfällen infolge einer den Versicherungsschutz begründeten Tätigkeit. Überdies enthält die Norm eine Definition des Unfalls, in der ausdrücklich auf die Einwirkung von außen abgestellt wird und führt weniger „Auch-Unfälle“ an als das österreichische Pendant. Für die Aufnahme einer Krankheit in die Berufskrankheitenliste enthält das SGB genaue Voraussetzungen für die Rechtsverordnung. Bei den konkreten Berufskrankheiten ist in Deutschland keine Mitwirkung des zuständigen Ministers vorgesehen.
Die deutsche Liste der Berufskrankheiten unterscheidet sich von der österreichischen in einem wesentlichen Punkt: Werden in Österreich die Listenunternehmen in der Spalte 3 genannt, kommt man in Deutschland überwiegend ohne den Bezug auf – bestimmte – Unternehmen aus.*
Damit Unfallversicherungsschutz besteht, muss die Tätigkeit in einem geschützten Lebensbereich stattfinden. Es ist daher zu prüfen, ob der Unfall oder die Erkrankung mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung in Zusammenhang stehen und ob die gesundheitliche Beeinträchtigung auf den Unfall oder die Erkrankung zurückgeführt werden kann.*19) Um dem Versicherten den Beweis der notwendigen Zusammenhänge etwas zu erleichtern, bedient man sich eines sogenannten modifizierten Anscheinsbeweises.* Dabei stützt man sich darauf, dass ein bestimmter Geschehensverlauf typisch und es daher wahrscheinlich ist, dass im konkreten Einzelfall auch dieser typische Geschehensverlauf und kein atypischer gegeben ist.* Ist die konkrete Möglichkeit eines anderen Verlaufs zumindest gleich wahrscheinlich, dann ist dem Versicherten der Beweis nicht gelungen. Nicht ausreichend für die Entkräftung der Wahrscheinlichkeit des typischen Kausalverlaufs ist es, wenn eine bloß abstrakte Möglichkeit eines atypischen Kausalverlaufs besteht.* Mit der Theorie der wesentlichen Bedingung* begegnet man der Gefahr einer Ausweitung des Unfallversicherungsschutzes quasi als Korrektiv für den Wegfall des reinen Schutzes vor einer „Betriebsgefahr“.* Die UV soll dann nicht haften, wenn die Ursache aus dem versicherten Bereich hinter andere Ursachen zurücktritt. Eine Haftung der UV ist anzunehmen, wenn mindestens die aus dem Schutzbereich stammende und in einem Sinnzusammenhang stehende Ursache wesentliche Bedingung für die Verletzung war.*
Nach § 174 ASVG gilt der Versicherungsfall bei Arbeitsunfällen mit dem Unfallereignis, bei Berufskrankheiten hingegen mit dem Beginn der Krankheit iSd § 120 Abs 1 Z 1 ASVG oder – bei Günstigkeit – mit dem Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit gem § 203 ASVG.*
Berufskrankheiten sind seit Mitte der 1920er-Jahre als Versicherungsfall in der österreichischen UV vorgesehen.* Wie bereits erwähnt, wurde im Zuge der Regelung der Berufskrankheiten in 192§ 177 ASVG in der Stammfassung des ASVG die Berufskrankheitenliste erweitert. Dies wurde in den Materialien schlüssig mit der Notwendigkeit der Reaktion auf die Veränderungen in der Arbeitswelt argumentiert.* Im Zuge der 32. Novelle zum ASVG wurde § 177 ASVG um die Regelung der „konkreten Berufskrankheiten“ ergänzt, da sich die Erfassung über die Berufskrankheitenliste als „zu grobes Instrument“ erwiesen hat. Der historische Gesetzgeber erläutert dazu, dass durch die raschen technischen Entwicklungen häufig gesundheitliche Schädigungen zu verzeichnen waren, die klar auf eine Einwirkung von Stoffen oder Strahlen bei der versicherten Beschäftigung zurückgeführt werden konnten, die aber mangels Schädigung innerhalb einer Arbeitsschicht nicht als Arbeitsunfall berücksichtigt werden konnten und auch – noch – nicht in der Berufskrankheitenliste nach Abs 1 aufschienen. Um die Versicherten in derartigen Fällen abzusichern, entschied man sich zur Möglichkeit des Nachweises einer Erkrankung als Berufskrankheit im Einzelfall, da sich die Erfassung über die Berufskrankheitenliste als „zu grobes Instrument“ erwiesen hat. Dass die Erkrankung auf die geschützte Tätigkeit zurückzuführen ist, muss aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Kenntnisse, dh „einwandfrei und übereinstimmend durch Lehre, Literatur und medizinische Praxis“
, gestützt werden. § 551 RVO diente als Vorbild für die österreichische Regelung. Die Mitwirkung des Ministers ist zur Sicherung einer einheitlichen Vorgehensweise vorgesehen. Die Möglichkeit, auch Krankheiten anzuerkennen, die nicht in Anlage 1 genannt sind, soll eine Vorstufe zur Erweiterung der Anlage darstellen.*
In einer Novelle im Jahr 1986 wurde Abs 1 dahingehend geändert, da nunmehr auf Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung und nicht wie ursprünglich auf das Arbeitsverhältnis abgestellt wird. Der Grund dafür lag insb in der Möglichkeit, auch Fremdpersonal in Krankenanstalten zu erfassen, um dieses im Fall von Infektionskrankheiten ebenfalls zu schützen (Berufskrankheit [BK] Nr 38).* 1998 kam es zu einer umfangreicheren Novelle und dabei – nach einer Überprüfung der Berufskrankheitenliste – zu entsprechenden Anpassungen.*
Nach § 177 Abs 1 ASVG gelten die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten als Berufskrankheiten, wenn sie durch Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung in einem in Spalte 3 der Anlage bezeichneten Unternehmen verursacht sind.* Bei manchen Erkrankungen sind „alle Unternehmen“ in der Liste genannt, sodass es diesbezüglich keine Beschränkungen auf bestimmte Branchen oder Geschäftszweige gibt. Dadurch, dass eine bestimmte Krankheit in dieser Berufskrankheitenliste aufscheint, wird aber noch keine Kausalitätsvermutung aufgestellt. Der entsprechende Kausalzusammenhang muss zwischen der Tätigkeit und der Erkrankung vom Versicherten als wahrscheinlich nachgewiesen werden.* Es kommt zu keiner Umkehrung der Beweislast.*
Durch die Bindung an bestimmte Unternehmen muss bei Prüfung des Vorliegens einer abstrakten Berufskrankheit im Rahmen einer rechtlichen Beurteilung zunächst gefragt werden, ob die versicherte Beschäftigung tatsächlich auch in einem gelisteten Unternehmen ausgeübt wird und erst danach der Zusammenhang der ausgeübten Tätigkeit und der Erkrankung.
Im Zusammenhang mit Covid-19 ist naturgemäß eine Listenkrankheit von besonderem Interesse, und zwar die BK Nr 38.* Infektionskrankheiten gelten bei ausdrücklich genannten Listenunternehmen – und zwar in Krankenhäusern, Heil- und Pflegeanstalten, Entbindungsheimen und sonstigen Anstalten, die Personen zur Kur und Pflege aufnehmen, öffentlichen Apotheken, ferner Einrichtungen und Beschäftigungen in der öffentlichen und privaten Fürsorge – als Versicherungsfall in der UV.*
Für die Aufnahme als Listenunternehmen war für den Gesetzgeber entscheidend, dass der Nachweis einer Infektion im Einzelfall oft nur schwer möglich ist. Daher wurde bei BK Nr 38 „auf Unternehmen abgestellt, in denen dort beschäftigte Personen nach einer durchschnittlichen Betrachtung und im Regelfall in einem ganz besonderen Ausmaß der Gefahr von Ansteckungen ausgesetzt sind“.* Die Listenunternehmen der BK 38 wurden zunächst durch eine Novelle Ende der 1960er-Jahre um Kindergärten und Säuglingskrippen sowie Lehrpersonen und in Justizanstalten bedienstete Personen mit der Begründung erweitert, weil in diesen „Unternehmen“ die Gefahr der Ansteckung mit verschiedenen Kinderkrankheiten, aber auch mit Tuberkulose und Darminfektionskrankheiten besonders groß ist.*1998 entschied man sich schließlich gegen eine Erweiterung um konkrete Listenunternehmen, sondern stellte in einer „Generalklausel“ auf Unternehmen ab, in denen eine vergleichbare Gefährdung besteht. Begründet wurde dies vom Gesetzgeber damit, dass auf diese Weise verhindert werden soll, dass die Auflistung bei neuen Entwicklungen nicht wieder zu eng wird.*
Vor Erweiterung um die Generalklausel wurde überlegt, dass die bis dahin erfasste Liste insoweit zu eng ist, als Krankheiten auch in nicht gelisteten Unternehmen – gehäuft – auftreten.* Eine Reduktion des Schutzes auf bestimmte Tätigkeiten in den 193 genannten Unternehmen, wie sie mitunter vorgeschlagen wird,* ist aufgrund systematischer Überlegungen nicht erforderlich. Es kommt durch das Erfordernis, dass die Krankheit auf die Ausübung der Beschäftigung zurückgeführt werden muss, ohnehin zu einer Beschränkung des Schutzes auf jene, die tatsächlich im Unternehmen besonders gefährdet sind. Sogar im ArbeiterunfallversicherungsG 1887 – also zur Zeit einer echten Betriebsversicherung – waren alle Arbeiter und Betriebsbeamten in bestimmten gefährlichen Betrieben erfasst. Eine Begrenzung des Schutzes war auch damals dadurch gewährleistet, dass die genannten Beschäftigten „gegen die Folgen der sich beim Betrieb ereignenden Unfälle“ versichert waren. Die besondere Gefahr bezieht sich auf die Tätigkeit damals beim Betrieb bzw aktuell im Unternehmen und nicht auf einen bestimmten Bereich.
Ist zu überprüfen, ob eine Covid-19-Infektion als Berufskrankheit anzuerkennen ist, muss also unterschieden werden, ob es sich um ein ausdrücklich genanntes „Listenunternehmen“ oder ein Unternehmen handelt, in dem eine vergleichbare Gefährdung besteht. Im zweiten Fall ist nämlich in einem ersten Schritt im Wege einer rechtlichen Beurteilung zu prüfen, ob das Unternehmen eines derjenigen ist, in dem zu den ausdrücklich genannten Listenunternehmen eine vergleichbare Gefährdung besteht.* Wie bereits oben ausgeführt, sollten jene Unternehmen erfasst sein, in denen die dort beschäftigten Personen bei einer durchschnittlichen Betrachtung und im Regelfall in einem besonderen Ausmaß einer Gefahr von Ansteckungen mit Infektionskrankheiten ausgesetzt sind.*
Die Frage, wie sich eine Krankheit verbreitet, ist eine die durch Sachverständige zu beantworten ist. Ob ein Unternehmen infolge der bestehenden Ansteckungsgefahr „vergleichbar“ ist, hat in der Folge durch rechtliche Beurteilung zu erfolgen. Bei der Gefahr einer Covid-19-Infektion wird wohl eine Orientierung an Abstandsregeln und die Überlegungen zur Ermittlung von Kontaktpersonen zu erfolgen haben. Erst wenn feststeht, dass ein Unternehmen mit einer vergleichbaren Gefährdung vorliegt, erfolgt der nächste Schritt und ist zu prüfen, ob die versicherte Beschäftigung kausal für die Erkrankung ist. Kann diese Vergleichbarkeit der Gefährdung im Unternehmen nicht nachgewiesen werden, handelt es sich um kein – der Generalklausel entsprechendes – „Listenunternehmen“ und kommt es daher gar nicht mehr zur Prüfung der Frage, ob sich der Versicherte bei der versicherten Beschäftigten infiziert hat.* Wie bereits oben erwähnt, findet sich in der deutschen Liste der Berufskrankheiten im Unterschied grundsätzlich dazu jeweils nur die Erkrankung ohne Bezug auf eine bestimmte Art des Unternehmens beschränkt. Bei den Infektionskrankheiten (Nr 3101) stellt sich die Rechtslage insoweit etwas anders dar als hier erforderlich ist, dass der Versicherte „im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium“
tätig ist oder „durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“
.* Diese unterschiedliche Beschreibung jener Situationen, in denen eine gleichwertige Gefährdung zu einer Anerkennung einer Infektionskrankheit als Berufskrankheit möglich ist, bedeutet, dass in Deutschland – anders als in Österreich – die abstrakt-konkrete Gefahr in einem Tätigkeitsbereich – und nicht nur in bestimmten Unternehmen – entscheidend ist.
Die Forderung nach einer expliziten Aufnahme von Covid-19 in die österreichische Berufskrankheitenliste ist kritisch zu hinterfragen. Führt man sich den Zweck der UV vor Augen, so würde eine generelle Erfassung von Covid-19 ein völliges Abrücken vom ursprünglichen Gedanken der Absicherung vor besonderen betrieblichen Gefahren bedeuten. Die Absicherung vor einer generellen Gefahr – wie etwa beim Rahmen einer Pandemie – passt nicht ins System der UV, das durch AG-Beitrage finanziert wird, sondern müsste wohl viel eher – wie etwa die Absicherung beim Auftreten von Impfschäden durch das ImpfschadenG – in einem eigenen – staatlich finanzierten – System erfasst werden. Von der Europäischen Kommission wurde im Herbst 2022 empfohlen,* dass Covid-19, verursacht durch Arbeiten im Bereich der Krankheitsvorbeugung, des Gesundheits- und Sozialwesens und der häuslichen Betreuung oder im Rahmen einer Pandemie, in Sektoren, in denen ein Ausbruch verzeichnet wird, bei Tätigkeiten, bei denen ein Infektionsrisiko nachgewiesen wurde, von den Mitgliedstaaten innerhalb der Union als Berufskrankheit anerkannt werden soll. Vergleicht man diese Empfehlung mit der aktuellen österreichischen Regelung zu Infektionskrankheiten, so zeigt sich, dass die nationale Regelung – insb auch durch die „Generalklausel- Unternehmen“ – durchaus weit genug erscheint. Es könnte allerdings überlegt werden, inwieweit nicht eine Erfassung der vergleichbar gefährlichen Tätigkeiten eher entspricht. Dies stellte aber in Bezug auf die anderen Berufskrankheiten jedenfalls eine Besonderheit dar und könnte allenfalls der Anstoß dafür sein, die Notwendigkeit der Nennung von Listenunternehmen in der Berufskrankheiten-Liste grundsätzlich zu überdenken.
Damit eine Infektion mit Covid-19 als Berufskrankheit anzuerkennen ist, muss – nachdem festgestellt wurde, dass die Infektion in einem Listenunternehmen erfolgte – dem Versicherten der Nachweis gelingen, dass die Infektion im Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung erfolgt ist. Dies muss iSd Anwendung des modifizierten Anscheinsbeweises etwa durch die Nennung einer konkreten Indexperson im Unternehmen oder einer großen Anzahl von im Unternehmen infizierten Personen erfolgen. Erst wenn ebenso wahrscheinlich ist, dass die Infektion außerhalb des geschützten Lebensbereichs eingetreten ist, ist der Nachweis des Zusammenhangs des Infektionsgeschehens und der versicherten Tätigkeit nicht gelungen. Eine 194 Veränderung der Anwendung des modifizierten Anscheinsbeweises bei Covid-19-Infektionen fände keine dogmatische Grundlage.
Da § 177 Abs 2 ASVG darauf abstellt, dass die Erkrankung durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Beschäftigung verursacht wurde, ist eine Prüfung bei einer Infektion mit Covid-19 im Einzelfall nicht möglich.
Aufgrund der Rsp zu Arbeitsunfällen – insb die „Ausdehnung“ des zeitlichen Aspekts auf eine Arbeitsschicht und die Anerkennung, dass auch ein chemo-physikalischer Vorgang ein Unfallereignis darstellen kann* – ist die Annahme konsequent, dass es zu einer Konkurrenz von Arbeitsunfall und Berufskrankheit kommen kann.* Alle Berufskrankheiten, die „quasi unfallartig“
entstehen, können somit auch Arbeitsunfälle bei Erfüllen der übrigen Voraussetzungen darstellen.* Nur weil eine Infektion in die Berufskrankheiten-Liste aufgenommen wurde, bedeutet dies nicht, dass nicht doch im Einzelfall ein Arbeitsunfall vorliegen kann, die Aufnahme in die Liste bedeutet für die Versicherten etwa insoweit Vorteile als der Beweis der Erkrankung wohl einfacher gelingen wird als die Infektion als Unfallgeschehen.* Kann die Ansteckung mit einer Infektionskrankheit – wie auch eine Covid-19-Infektion – auf eine Arbeitsschicht zurückgeführt werden, ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalls zu prüfen.
Nach § 175 Abs 1 ASVG gelten jene Unfälle als Arbeitsunfälle, die in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung stehen. Zu diesen Unfällen nach Abs 1 sehen die folgenden Absätze weitere Situationen vor, die „auch“ als Arbeitsunfälle gelten. In § 176 ASVG folgt schließlich eine Auflistung von Tätigkeiten, bei deren Ausübung ein Unfall den Arbeitsunfällen gleichgestellt ist.
Die österreichische Definition des Arbeitsunfalles enthält – anders als die entsprechende deutsche Regelung – weder ein Erfordernis einer Körperschädigung, die durch den Unfall verursacht wurde, noch ist festgelegt, was unter einem „Unfall“ zu verstehen ist.* Aufgrund des ursprünglichsten Zwecks des Unfallversicherungsrechts – nämlich der Absicherung von Versicherten „gegen die Folgen der sich beim Betrieb ereignenden Unfälle“
* – ist jedoch unstrittig, dass erst eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Versicherten den Zugang zur UV eröffnet. Als Unfall wird aufgrund stRsp und hL ein „im allgemeinen von außen auf Geist und/ oder Körper einwirkendes, meist plötzlich eintretendes, zumindest aber zeitlich eng begrenztes Ereignis“
,* ergänzt dadurch, dass die Einwirkung auch „durch einen chemo-physikalischen Vorgang oder eine außergewöhnliche Belastung“
erfolgen kann, qualifiziert.*
Als plötzlich bzw zumindest zeitlich eng begrenzt wird eine Einwirkung dann angesehen, wenn sie innerhalb einer Arbeitsschicht auftritt. Länger andauernde Einwirkungen erfüllen den Unfallbegriff nicht. Allenfalls ist die gesundheitliche Beeinträchtigung als Berufskrankheit zu qualifizieren. Teil dieses rechtlichen Aspekts ist jedenfalls ein Element des „Unerwartbaren“ bzw „Unentrinnbaren“.* Diese Ausdehnung der „Plötzlichkeit“ auf die Dauer der Einwirkung über den Zeitraum innerhalb einer Arbeitsschicht bedeutet, dass die Einwirkung nicht bloß einmalig erfolgen muss* – Müller* spricht in diesem Zusammenhang von einem „Trommelwirbel“ und nicht einem „Trommelschlag“ – und entspricht der stRsp und hL und wurde etwa auch vom Gesetzgeber bei Erfassung der konkreten Berufskrankheiten in Abs 2 als Abgrenzung zu Arbeitsunfällen ausdrücklich genannt.* Eine noch großzügigere Auslegung der zeitlichen Komponente ist allein aufgrund dogmatischer Überlegungen abzulehnen.* Ursprünglich – und in § 8 Abs 1 SGB VII findet sich dies aktuell noch ausdrücklich im Gesetz – wurde lediglich eine Einwirkung von außen als Unfallgeschehen anerkannt – erklärbar durch den Schutz vor der betrieblichen Gefahr im ursprünglichen Unfallversicherungsrecht* –, mittlerweile wird aber einhellig vertreten, dass auch chemo-physikalische Vorgänge oder außergewöhnliche Belastungen* Einwirkungen darstellen können. Es kann daher auch eine einmalige besondere körperliche Überanstrengung anerkannt werden.* Der Unfallbegriff der gesetzlichen UV weicht also wesentlich von jenem des allgemeinen Sprachgebrauchs ab.*
Für die Generalklausel-Unfälle hat der Gesetzgeber der Stammfassung in Abs 1 eine überschießende Formulierung gefunden, indem er auf den örtlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang abstellt. Entscheidend für den Schutz ist, 195 dass die Unfälle mit der versicherten Tätigkeit in innerem Zusammenhang stehen.* Steht der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit fest, so muss der örtliche und zeitliche Zusammenhang nicht mehr gesondert geprüft werden. Der Bezug auf den örtlichen und zeitlichen Zusammenhang erleichtert möglicherweise in der Praxis die Prüfung von Standardfällen,* überdies fallen diese drei Zusammenhänge ohnedies häufig zusammen.* Eine eigenständige rechtliche Bedeutung kommt der Prüfung des örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs jedoch bei Generalklausel- Unfällen nicht zu und ist wiederum allein durch die Betriebsversicherung erklärbar. Durch den entsprechenden sachlichen Zusammenhang können örtlicher und zeitlicher Zusammenhang kompensiert werden, umgekehrt ist dies aber nicht möglich.* Eine eigenständige Bedeutung kommt der zeitlichen und örtlichen Komponente erst bei den „Auch-Unfällen“ und den gleichgestellten Unfällen zu. Diesbezüglich ist eine Unterscheidung in der rechtlichen Prüfung zwischen Generalklausel-Unfällen und „Auch“-Unfällen vorzunehmen. Dieser Unterschied der einzelnen geregelten Unfallarten wurde – so weit ersichtlich – bisher noch wenig berücksichtigt. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass wenn bei einem Arbeitsunfall der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit vorliegt, sich der Unfall nicht zwingend direkt bei Ausübung der Tätigkeit ereignet. Der Unfallversicherungsschutz strahlt dann aus,* bei „Auch“-Unfällen und gleichgestellten Unfällen hingegen ist es erforderlich, dass sich der Unfall direkt bei der geschützten Tätigkeit ereignet.*
Ohne jetzt auf die Thematik im Besonderen einzugehen – die damit in Zusammenhang stehenden Themen allein würden mehrere Untersuchungen füllen können –, soll an dieser Stelle nur im Überblick festgehalten werden, welche Tätigkeiten des Versicherten unter Unfallversicherungsschutz stehen. So ist der sachliche Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung iSd Abs 1 unstrittig etwa dann gegeben, wenn der Versicherte seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringt. Aber auch, wenn er außerhalb des Arbeitsvertrags auf Weisung des AG tätig wird, im Interesse des AG handelt oder von diesem zu einer Tätigkeit herangezogen wird, handelt es sich um eine geschützte Tätigkeit.* Durch die Ausstrahlung des Schutzes im Zusammenhang mit der versicherungspflichtigen Beschäftigung sind auf Dienstreise etwa auch eigenwirtschaftliche Tätigkeiten versichert, sofern das Risiko des Versicherten durch die Reise wesentlich erhöht wird.* Abzugrenzen ist der geschützte Bereich vom ungeschützten privaten Bereich, wobei sich die Zuordnung in jenen Fällen als besonders schwierig erweist, in denen die versicherte Tätigkeit in einem eigentlich privat genutzten Bereich ausgeübt wird. Diese Problematik hat sich bereits seit Langem bei selbständigen Versicherten gezeigt. Die Lösungsansätze sollen jedoch aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs im Rahmen der Homeoffice-Unfälle dargestellt werden.*
Wendet man diese Grundsätze nun auf eine Covid-19-Infektion an, so stellt die Infektion einen Unfall iSd § 175 Abs 1 ASVG dar. Kann der Versicherte – mit Hilfe des Anscheinsbeweises – nachweisen, dass es – etwa durch Nennung einer konkreten Indexperson oder durch Nachweise einer großen Anzahl von Infizierten in seinem Tätigkeitsbereich – wahrscheinlich ist, dass er sich – während einer Arbeitsschicht – im geschützten Lebensbereich infiziert hat und ist nicht ebenso wahrscheinlich, dass die Infektion im ungeschützten Privatbereich stattgefunden hat, so liegt das Infektionsgeschehen innerhalb des geschützten Bereichs und daher ein Arbeitsunfall vor.* Gelingt der Nachweis der Infektion im geschützten Bereich, so findet sich keine Begründung, warum bei einer Covid-19-Infektion eine andere Beurteilung stattfinden müsste. Die Anerkennung gründet „lediglich“ auf der Anwendung der bisher in der Rsp entwickelten Grundsätze zu Arbeitsunfällen.
Die Pandemie hat uns nicht nur Einschränkungen beschert, sondern in der Arbeitswelt durch die bereits vor Covid-19 durchaus erwünschte gesetzliche Regelung von Homeoffice – und die vermehrte Akzeptanz durch den beinahe flächendeckenden Einsatz dieser Form von Arbeit – vielen AN eine neue Möglichkeit der Erbringung ihrer Arbeitsleis tung eröffnet. Bevor jene im Rahmen des Homeoffice-Pakets* geschaffenen Regelungen dargestellt werden, die mit der UV in Zusammenhang stehen, soll zunächst untersucht werden, ob bzw inwieweit Homeoffice-Unfälle nicht auch bereits davor vom Unfallversicherungsschutz erfasst waren und bei positiver Antwort, welche Auswirkungen dieses Ergebnis allenfalls auf die Frage der Auslegung der Generalklausel nach Abs 1 hat. Da sich der Versicherte bei einem Unfall im Homeoffice in seinem privaten – grundsätzlich vom Schutz der gesetzlichen UV nicht erfassten – 196 Bereich befindet, muss zunächst etwas genauer danach gefragt werden, welche Voraussetzungen für die Annahme des Unfallversicherungsschutzes erforderlich sind.
Bei selbständigen Versicherten findet sich diese Problematik schon seit Längerem. Bei ihnen war es schon bisher nicht ungewöhnlich, dass sie ihre unternehmerischen Tätigkeiten zum Teil auch im privaten Umfeld ausüben. Erschwerend kommt bei Selbständigen dazu, dass es grundsätzlich schwieriger ist, die geschützte Tätigkeit von ungeschützten eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten abzugrenzen, da für sie ein weiterer Spielraum besteht, zu entscheiden, mit welchen Tätigkeiten sie den Betrieb fördern wollen. Damit eine Tätigkeit unter Unfallversicherungsschutz steht, muss sie der Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz dienen. Im Rahmen dieser Prüfung ist nicht wesentlich, ob die Tätigkeit für den Betrieb auch tatsächlich notwendig ist – vom Schutzbereich der UV ausgeschlossen sind nur völlig unsinnige und unzweckmäßige Handlungen. Eine bloß subjektive Absicht des Versicherten, sein Unternehmen zu fördern, reicht jedenfalls aber nicht aus.*
Aufgrund der Schwierigkeiten der rechtssicheren Umschreibung der geschützten Tätigkeit bei Selbständigen und der erforderlichen Abgrenzung zur ungeschützten eigenwirtschaftlichen Tätigkeit hat die ältere Rsp zu einer Art „Hilfskonstruktion“ gegriffen, wenn der Versicherte die Tätigkeit – so wie auch bei Homeoffice – in – zumindest – gemischt genutzten Räumen verrichtet hat.* Die Rsp stellte bei einem Unfall eines Selbständigen in gemischt genutzten Räumlichkeiten darauf ab, wie diese Räume überwiegend genutzt werden. Diese sehr zufällig anmutende Abgrenzung gründet ua in der Überlegung, dass der Versicherte in überwieüberwiegend privat genutzten Räumlichkeiten das Risiko beherrschen kann und die Versichertengemeinschaft dafür nicht haften solle.*
Diese alte Rsp wurde in der Literatur durchaus stark – und aus unterschiedlichen Gründen – kritisiert. * Insb etwa die im Zusammenhang mit der Argumentation Risikobeherrschung resultierenden Wertungswidersprüche verursachen rechtlich Unbehagen.80) Als wohl gewichtigstes Argument gegen die ältere Rsp darf jedoch angeführt werden, dass diese zu wenig auf den Normzweck der Generalklausel des Abs 1 abstellte. Maßgeblich ist, dass der Versicherte insb bei Ausübung der versicherten Tätigkeit geschützt sein soll. Wo die versicherte Tätigkeit verrichtet wird und welches Risiko sich verwirklicht, darf dabei bei der Frage keine Rolle spielen.* Wie bereits oben ausgeführt, stellt sich die Rechtslage jedoch allein bei den Generalklausel- Unfällen in dieser Form dar, bei den echten „Auch-Unfällen“ sind der örtliche und der zeitliche Zusammenhang relevant, da der innere Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Tätigkeit grundsätzlich nicht in einem unfallversicherungsrechtlich relevanten Sinn vorliegt.*
Die Generalklausel des Abs 1 lässt eine weite Interpretation jedenfalls zu. Durch die Auflistung der „Auch-Unfälle“ in den Folgeabsätzen – wie mitunter vertreten – erfolgt keine Einschränkung des Abs 1.* Eine solche fallbezogene Auflistung birgt zwar immer die Gefahr in sich, dass diese in der Folge als Argument für eine restriktive Interpretation verwendet wird.* Im gegenständlichen Zusammenhang ist einer solchen einschränkenden Interpretation jedoch entgegenzutreten. Bereits im Ausschussbericht zur Stammfassung wird ausgeführt, dass die Bestimmung aufgenommen werde, „um jeden Zweifel auszuschließen“
, dass hier ein Arbeitsunfall vorliegt.*85) Nach den Ausführungen in der Regierungsvorlage (RV) sollen „auch jene Unfälle, die zwar nicht unter den engen Begriff „Arbeitsunfall“ subsumiert werden können“
einbezogen werden. Es wird hier von einem engen Arbeitsunfall-Begriff gesprochen. Aufgrund des jedenfalls notwendigen sachlichen Zusammenhangs mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ist der Arbeitsunfall-Begriff aber auch bei einer weiten Interpretation der Generalklausel ohnedies ein enger. Wie daraus die Notwendigkeit einer einschränkenden Interpretation abgeleitet werden kann, erschließt sich nicht.
Es ist also auch bei Ausübung einer Tätigkeit – so wie nunmehr auch von der Rsp vertreten* – vordringlich auf den sachlichen Zusammenhang mit der Ausübung der versicherten Tätigkeit abzustellen, sodass für den Versicherungsschutz auch in diesem Konnex entscheidend ist, dass sich der Unfall – entweder direkt bei Ausübung der versicherten Tätigkeit ereignet oder -im Rahmen einer Tätigkeit, die von der inneren Handlungstendenz getragen ist, die betrieblichen Angelegenheiten zu fördern. Diese innere Handlungstendenz muss dann in der Folge durch objektive Umstände – ex ante* – bestätigt werden können. Entscheidend ist somit eine sogenannte objektivierte Handlungstendenz.*197Bei Prüfung eines Arbeitsunfalls sind es also zusammengefasst zwei Elemente, die die Tätigkeit aufweisen muss, damit sie unfallversichert ist. Die Tätigkeit muss objektiv für einen vernünftigen Menschen als Ausübung der Erwerbstätigkeit erkennbar und subjektiv vom Versicherten in dieser Intention entfaltet worden sein.*89) Der große Vorteil dieser Abgrenzungsmethode ist, dass sie auf Wertungen verzichtet und daher klarere und rechtssichere Ergebnisse liefern kann.*90) Umgelegt auf Homeoffice-Unfälle bedeutet dies in der Folge, dass diese bei Erfüllung der Voraussetzungen bereits von der Generalklausel erfasst sind und es einer gesonderten gesetzlichen Regelung nicht bedurft hätte.
Zu überlegen ist in der Folge, ob bzw wie sich die einschlägigen Regelungen des Homeoffice-Pakets auf diese rechtliche Einschätzung auswirken. Und dazu gleich vorweg: ME hat sich durch die Ergänzung des Abs 1 durch die Folgeabsätze im Rahmen des Homeoffice-Pakets* an der rechtlichen Beurteilung der Homeoffice-Unfälle nichts geändert. Aber auch in Bezug auf alle Fälle, die von der neuen Homeoffice-Bestimmung nicht erfasst sind – wie etwa Arbeiten außerhalb der Wohnung –, ändert die Regelung nichts.
Die Norm kann – ex post – nur in der Form verstanden werden, dass in Abs 1a eine Klarstellung erfolgen sollte.* Wohl wird sie aber ex ante betrachtet – aufgrund der älteren Rsp zu den Selbständigen – als notwendig erachtet worden sein, um die Versicherten bei angeordnetem Homeoffice bei Erbringung ihrer Arbeitsleistung nicht schutzlos zu lassen, hatte doch kaum einer der Betroffenen ein eigenes Büro zur Verfügung, sondern musste in – sogar überwiegend – privat genutzten Räumen arbeiten.* Dem Gesetzgeber waren sohin durch die Rsp zu den gemischt genutzten Räumlichkeiten insoweit die Hände gebunden. Daher darf aber auch aus den ausdrücklichen Regelungen nicht geschlossen werden, dass andere Unfälle bei Erbringung der Arbeitsleistung, die weder im Betrieb noch in der Wohnung des Versicherten verrichtet werden, nicht – Anm: mehr – vom Unfallversicherungsschutz erfasst sein sollten.
Die Klarstellung in Abs 1b wäre eigentlich – bei bereits ursprünglich weiter Auslegung – auch entbehrlich gewesen.* In den folgenden Absätzen wird ohnehin von „Arbeits- und Ausbildungsstätte“ gesprochen und nicht vom Betrieb, sodass auch die Wohnung ohne weitere Änderungen als „Arbeitsstätte“ zu qualifizieren ist.*
Offen ist nun die Frage, inwieweit der Weg zur Deckung lebensnotwendiger Bedürfnisse sowie diese – genannten, grundsätzlich – privaten Tätigkeiten nach Abs auch im Homeoffice geschützt sind, da der Wortlaut der Norm darauf abstellt, dass die Bedürfnisbefriedigung „jedoch außerhalb der Wohnung des Versicherten erfolgt“
. Diese Wortfolge der Z 7 wurde 1980 im Rahmen der 34. Novelle des ASVG aufgenommen* und ist dahingehend
erklärbar, dass es andernfalls insb zu Wertungswidersprüchen mit den Wegunfällen gekommen wäre, im Rahmen derer entsprechend stRsp der Versicherungsschutz erst an der Außenfront des Hauses beginnt. Diesbezüglich wäre nicht erklärbar gewesen, warum bei den Wegunfällen von und zur Arbeits- oder Ausbildungsstätte als „Auch-Unfälle“ der eigene Risikobereich nicht geschützt wird, wenn der Versicherte hingegen zur De ckung der lebensnotwendigen Bedürfnisse seinen Wohnsitz aufsucht, dieser „Auch-Unfall“ plötzlich gänzlich – also auch innerhalb der Wohnung – unter Schutz stehen sollte. Nunmehr stellt sich die Situation jedoch gänzlich anders dar. Wird die versicherte Tätigkeit nämlich innerhalb der eigenen Wohnung ausgeübt und ist diese als Betriebsstätte vom Unfallversicherungsschutz erfasst, so ist wohl – erneut um Wertungswidersprüche zu vermeiden – einzig entscheidend, wie der Schutz der Deckung der lebensnotwendigen Bedürfnisse beurteilt wird, wenn diese Bedürfnisse „im Betrieb“ befriedigt werden. Hier sollte der Schutz – entgegen des Wortlauts von Z 7 – bejaht werden, da es vom Schutzgedanken keinen Unterschied macht, wenn der Versicherte in einem nahegelegenen Gasthaus seine lebensnotwendigen Bedürfnisse decken würde oder sich aus einem nahegelegenen Supermarkt eine Jause holt. Das Risiko, das die Versichertengemeinschaft zu tragen hat, wenn der Versicherte in den Betriebsräumen seine lebensnotwendigen Bedürfnisse deckt, ist ein viel geringeres als würde er zusätzlich einen Weg außerhalb der Betriebsstätte auf sich nehmen.* Sieht man die Befriedigung der lebensnotwendigen Bedürfnisse jedoch im Betrieb vom Unfallversicherungsschutz gedeckt, bleibt für die Ablehnung dessen in der eigenen Wohnung während Arbeitspausen oder der Arbeitszeit im Homeoffice keine sachliche Begründung und sollte der Unfallversicherungsschutz auch hier angenommen werden.*
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Im Rahmen der 32. Novelle zum ASVG wurde der Versicherungsschutz nicht nur in § 177 ASVG um die Regelung der konkreten Berufskrankheiten in Abs 2 ergänzt, sondern es erfolgte eine Erweiterung des geschützten Personenkreises um die Schüler und Studierenden. Dies erfolgte in der Form, dass sowohl § 175 als auch § 177 ASVG und entsprechende Absätze ergänzt wurden. In der RV und den Erläuterungen dazu wurde noch davon gesprochen, dass Arbeitsunfälle jene Unfälle sind, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Schul- und Universitätsbesuch ereignen.* Nach entsprechenden Vorschlägen und Stellungnahmen entschied sich der Gesetzgeber schließlich, von dieser engen Formulierung abzusehen und stellte auf den Zusammenhang „mit der die Versicherung begründenden Schul- oder Universitätsausbildung“
ab.* In den stenographischen Protokollen finden sich keinerlei nähere Ausführungen zu den Gründen der „Erweiterung“ des Normtexts im Vergleich zum Vorschlag in der RV.* Wohl kann damit aber nur – auch um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden – die Ausweitung des Schutzes nicht bloß auf den eigentlichen Schul- und Universitätsbesuch begrenzt werden.
Zur Gleichstellung der Unfälle für Schüler und Studierende findet sich in den Erläuterungen, dass der Gesetzgeber damit erreichen wollte, dass die genannten Situationen „insbesondere“ erfasst sein sollten. Dies bedeutet wohl, dass der Gesetzgeber die Regelung selbst nur deklarativ verstanden hat. Vor der pandemiebedingten Verlagerung des Unterrichts in den häuslichen Bereich fand die Thematik wenig Beachtung in der Literatur.*
Vor dem Hintergrund der Genese der Norm erscheint die – bisher vertretene – besonders enge Auslegung der Generalklausel des § 175 Abs 4 etwas verwunderlich. Eine weite Auslegung wäre aufgrund des Wortlauts jedenfalls möglich, wohl aber sogar geboten, da in Abs 4 – bewusst – wie die Generalklausel in Abs 1 formuliert wurde. Trotz des gleichen Wortlautes wie in Abs 1 soll jedoch im Rahmen des Abs 4 eine Reduktion des geschützten Bereichs auf den organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule oder Universität erfolgen.* Anders als bei Erwerbstätigen wäre somit für Schüler und Studierende kein rollenbezogener Schutz gewährt. Wachter und Firlei sprechen sich bereits in den 1980er-Jahren für einen rollenbezogenen Schutz aus.* Erfolgt der Ansatz bei der Frage des Schutzes für Schüler und Studierende ebenso wie jener bei den „normalen“ Versicherten über die objektivierte Handlungstendenz, so gelangt man auch im Rahmen des Abs 4 systemkonform zu einem rollenbezogenen Schutz und in der Folge auch zur Erfassung des Distance-Learnings durch die UV. Wären die Homeoffice-Unfälle nicht ohnehin von den Generalklauseln erfasst, sondern wäre Abs 1a konstitutiv zu verstehen, so blieben Schüler und Studierende beim Distance-Learning ohne entsprechenden Schutz. Wie Marhold sehr anschaulich ausführt, führte dies dazu, dass die Lehrer im Online-Meeting unfallversichert wären, die Schüler und Studierenden hingegen nicht und dass dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden darf, dass er die einzelnen Versichertengruppen derart ungleich behandeln wollte.* Konsequenterweise sollten dann jedoch auch alle Tätigkeiten – unabhängig von der Frage einer allfälligen Risikobeherrschung – unter Unfallversicherungsschutz gestellt werden, die der Schüler oder Studierende in seiner Rolle verrichtet.
Covid-19 hat auch das Unfallversicherungsrecht nicht unberührt gelassen. Dass eine Covid-19- Infektion bei Erfüllen der Voraussetzungen nach § 177 Abs 1 ASVG eine Berufskrankheit ist, scheint so weit klar. Die Berücksichtigung der Überlegungen des Gesetzgebers bei Erweiterung der Listenunternehmen der BK Nr 38 auf jene Unternehmen, bei denen eine „vergleichbare“ Gefährdung besteht, spricht klar gegen eine – zu – weite Auslegung jenes Bereichs, in dem Infektionskrankheiten als Berufskrankheiten anzuerkennen sind. Ein genereller Schutz durch die UV kann dogmatisch nicht begründet werden und wäre auch nicht systemkonform. Wendet man die zu Arbeitsunfällen entwickelten Grundsätze auf eine Covid-19-Infektion an, so ist jedoch andererseits kein Grund ersichtlich, warum gerade hier eine – von diesen Grundsätzen – abweichende Beurteilung erfolgen sollte. Fraglich bleibt allerdings, ob nicht generell darüber nachzudenken wäre, Entschädigung für Dauerschäden, die Personen im Zusammenhang mit Ereignissen erleiden, die die Allgemeinheit betreffen, von der UV unabhängig zu regeln.
Was die Erfassung der Homeoffice-Fälle betrifft, hat die Pandemie jedenfalls etwas Positives bewirkt: Es ist betreffend die Beurteilung von Unfällen im privaten Raum – endlich – zu einem Umdenken in der Rsp gekommen und eine dogmatisch saubere und rechtssichere Beurteilung derartiger Unfälle möglich. 199