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Koordinierung der Versehrtenrente

INESKAGER (WIEN)
  1. Der Unionsgesetzgeber wollte „fremde“ Versicherungsfälle wie eigene behandelt wissen, und zwar unabhängig von einer Beitragsleistung in einem der beiden Mitgliedstaaten.

  2. Ein früher nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats festgestellter Arbeitsunfall ist bei der Bemessung einer Gesamtrente nach § 210 Abs 1 ASVG zu berücksichtigen, wenn dieser nach österreichischem Recht dem ASVG unterliegen würde.

  3. Art 40 Abs 3 VO (EG) 883/2004 ist für die Berechnung einer Versehrtenrente durch den später zuständigen Versicherungsträger nicht anwendbar.

Gegenstand des Rekursverfahrens ist die Frage, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat nach den dortigen unfallversicherungsrechtlichen Bestimmungen anerkannter Arbeitsunfall unter Anwendung des Art 5 lit b VO 883/2004 einen Anspruch auf eine Gesamtrente iSd § 210 Abs 1 ASVG begründen kann, wenn dieser nach österreichischem Recht dem ASVG unterliegen würde, oder ob ein solcher ausländischer Arbeitsunfall stets nur zu einem Anspruch auf „Stützrente“ nach § 210 Abs 3 ASVG führen kann.

Der Kl erlitt 2014 in Deutschland einen Arbeitsunfall. Aus diesem Unfall ist eine Minderung der Erwerbsfähigkeit iHv 15 % verblieben. 2019 erlitt der Kl in Österreich einen Arbeitsunfall [...]. Dem Kl wurde auf Grund dieses Arbeitsunfalls in Österreich eine vorläufige Versehrtenrente von 20 % zuerkannt. Ab 2.3.2020 bis 31.5.2020 bestand beim Kl noch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 % und ab 1.6.2020 von 5 % auf Dauer. In Umsetzung der VO 883/2004 wurde dem Kl im Zeitraum von 2.3.2020 bis 31.5.2020 eine Stützrente in Höhe von 10 % und ab 1.6.2020 eine Dauerrente in Höhe von 5 % gewährt. Es kam zu einer Verschlechterung der Beschwerden und Funktionseinschränkungen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Kl aus dem Arbeitsunfall von 2019 beträgt ab 14.2.2021 15 %. Für die Zukunft ist sowohl eine Verbesserung als auch eine Verschlechterung möglich.

Mit Bescheid vom 24.2.2021 lehnte die bekl Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) sowohl den Antrag des Kl auf Erhöhung der Dauerrente von 5 % der Vollrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls 2019 als auch den Antrag von auf Zuerkennung einer Gesamtrente unter Berücksichtigung des Arbeitsunfalls (in Deutschland) 2014 ab. Im Zustand der Folgen des Unfalls 2019 sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Da es sich beim Unfall 2014 um keinen Versicherungsfall nach dem ASVG, sondern um einen Versicherungsfall nach dem (deutschen) SGB VII handle, bestehe kein Anspruch auf eine Gesamtrente.

Dagegen richtet sich die Klage mit dem Begehren, der kl Partei ab Antragstellung einerseits für die Folgen des Arbeitsunfalls in Österreich eine 5 % übersteigende Versehrtenrente wegen Verschlechterung zu gewähren und darüber hinaus unter Berücksichtigung der Folgen des Arbeitsunfalls in Deutschland eine Gesamtdauerrente von zumindest 30 % der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Es sei eine wesentliche Änderung (Verschlechterung) eingetreten. Aufgrund der VO (EG) 883/2004 sei Österreich überdies für die Gewährung einer Gesamtrente zuständig, weil sich der letzte Arbeitsunfall in Österreich ereignet habe.

Die Bekl bestritt. Eine Verschlimmerung sei nicht eingetreten. Eine Entschädigung fremder Versicherungsfälle durch die Bekl infolge Bildung einer Gesamtrente sei gem § 210 Abs 1 ASVG [...] in Österreich nicht vorgesehen. Gem dem Äquivalenzgrundsatz in Art 5 VO (EG) 883/2004 sei der Vorunfall [...] bei der [...] Stützrente berücksichtigt worden. Das Erstgericht sprach dem Kl gestützt auf § 210 Abs 3 ASVG eine Dauerrente von 15 % der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß zu und wies das Begehren auf Gewährung einer Gesamtrente nach § 210 Abs 1 ASVG ab. In den Unfallfolgen sei eine wesentliche Verschlechterung iSd § 183 Abs 1 ASVG eingetreten. [...] Die österreichische Rechtsordnung sehe die Miteinbeziehung des Arbeitsunfalls in Deutschland und die Bildung einer Gesamtrente nicht vor. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Zuständiger Träger sei die Bekl, sodass sich die Frage, ob und in welcher Höhe ein Entschädigungsanspruch wegen eines Arbeitsunfalls bestehe, nach österreichischem Recht richte. Frühere Arbeitsunfälle in anderen Mitgliedstaaten seien nach Art 5 lit b VO (EG) 883/2004 zu berücksichtigen, als hätten sie sich nach den eigenen Rechtsvorschriften oder auf dem eigenen Staatsgebiet ereignet, sofern es sich um gleichartige Verhältnisse oder entsprechende Sachverhalte handle. Das Erstgericht habe zur Frage, ob der Kl einer nach § 210 Abs 1 ASVG für die Gesamtrente erforderlichen (fiktiven) Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlegen wäre, keine Feststellungen zur konkreten Tätigkeit des Kl getroffen. Den Rekurs ließ das Berufungsgericht zu. Gegen die E des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Bekl, mit dem sie die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt. Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

1.1. Nach § 210 Abs 1 ASVG ist, wenn ein Versehrter neuerlich durch einen Arbeitsunfall [...] geschädigt wird und die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit aus Versicherungsfällen nach dem ASVG200 mindestens 20 % erreicht, spätestens vom Beginn des dritten Jahres nach dem Eintritt des letzten Versicherungsfalls an eine Gesamtrente festzustellen. In diesen Fällen ist nicht für jeden Versicherungsfall eine [...] zuzuerkennen und auch nicht einfach der Grad der Versehrtheit durch die einzelnen Verletzungen zu beurteilen und dann eine Addition vorzunehmen (RIS-Justiz RS0084384 [T3]). Es ist vielmehr die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit [...] insoweit zu berücksichtigen, als sich die Verletzungen in ihrer Gesamtheit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auswirken (RS0084384). Durch das Zusammentreffen [...] ist auf Dauer eine [...] maßgebliche Änderung der Verhältnisse eingetreten (RS0084384 [T2]).

1.2. Eine Gesamtrente setzt mehrere Versicherungsfälle nach dem ASVG voraus (RS0123628). Gegen diese Regelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (RS0123629), weil den jeweiligen Leistungsrechten unterschiedliche Zielsetzungen zugrunde liegen (10 ObS 67/08p SSV-NF 22/42).

1.3. Beim Arbeitsunfall des Kl 2019 handelt es sich unstrittig um einen Versicherungsfall nach dem ASVG. Nach den Behauptungen der Bekl erlitt der Kl den Arbeitsunfall 2014 jedoch als in Deutschland Versicherter. Die Voraussetzungen des § 210 Abs 1 ASVG für die Gewährung einer Gesamtrente sind nach dem Wortlaut dieser Bestimmung somit nicht erfüllt.

2. Die Bekl wendet sich im Rekurs gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, nach dem der Arbeitsunfall 2014 aufgrund der Gleichstellungsregel des Art 5 lit b VO (EG) 883/2004 wie ein Versicherungsfall nach dem ASVG zu berücksichtigen sein könnte.

2.1. Die Bekl bestreitet dabei weder, dass aufgrund des Arbeitsunfalls während der vormaligen Arbeitstätigkeit unter dem Recht eines anderen Mitgliedstaats (Deutschland) der für die Anwendung der VO (EG) 883/2004 erforderliche Unionsbezug vorliegt (vgl Spiegel in Fuchs, Europäisches Sozialrecht8 Art 2 VO 883/2004 Rz 15) noch, dass der persönliche (Art 2 VO 883/2004) und sachliche (Art 3 Abs 1 lit a f VO [EG] 883/2004) Anwendungsbereich im vorliegenden Fall eröffnet ist.

2.2.1. Zuständig ist nach Art 1 lit a s VO (EG) 883/2004 der Mitgliedstaat, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat. [...] Der für Leistungen bei Arbeitsunfällen zuständige Träger ist daher nach den Art 11 ff zu ermitteln (Fuchs in Fuchs, Europäisches Sozialrecht8 Art 36 VO [EG] 883/2004 Rz 3). [...] Eine Person, die – wie der Kl – in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats (Art 11 Abs 3 lit a a VO [EG] 883/2004). Dies gilt für Geldleistungen aus der UV nach Art 21 Abs 1 iVm Art 36 Abs 3 VO (EG) 883/2004 auch dann, wenn der Versicherte – wie der in Deutschland wohnhafte Kl – in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnt; auch in diesem Fall richtet sich der Anspruch nach den für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften (Art 21 Abs 1 VO [EG] 883/2004).

2.2.2. Die Frage, welche Leistungen dem Kl zustehen, richtet sich somit [...] nach österreichischem Recht. Damit gilt bei Arbeitsunfällen der Grundsatz, dass der aktuelle Versicherungsstaat für alle Leistungen einschließlich der Unfallrenten zuständig ist. Dabei ist es unerheblich, wie lange und wie knapp zuvor die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegolten haben (Spiegel in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm Vor § 210 ASVG Rz 6).

2.3. Bei der Anwendung österreichischen Rechts ist daher die Sachverhaltsgleichstellung nach der VO 883/2004 zu beachten.

2.3.1. Vor Inkrafttreten der VO (EG) 883/2004 sah Art 61 Abs 5 VO 1408/71 eine Gleichstellung von früher, nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats eingetretenen oder festgestellten Arbeitsunfällen ausdrücklich vor, soweit dies nach nationalem Recht bei der Bemessung des Grades der Erwerbsminderung, der Begründung des Leistungsanspruchs oder der Festsetzung des Leistungsbetrags vorgesehen war. Diese Bestimmung wollte dem AN, der in einem anderen Mitgliedstaat Opfer eines Arbeitsunfalls wurde, die gleiche Behandlung zukommen lassen wie dem AN, der sich in gleicher Lage befindet und den Mitgliedstaat des zuständigen Trägers nicht verlassen hat (EuGHC-173/78, C-174/78, ECLI:EU:C:1979:134, Villano und Barion). Anders als im Fall später nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats eingetretenen oder festgestellten Arbeitsunfällen nach Art 61 Abs 6 VO 1408/71 (s dazu unten Pkt 2.3.3) verlangte Art 61 Abs 5 VO 1408/71 nicht, dass aus einem Versicherungsfall [...] kein Leistungsanspruch bestand.

2.3.2. Diese Rechtsfolge des vormaligen Art 61 Abs 5 VO 1408/71 leitet sich nunmehr aus Art 5 lit b VO (EG) 883/2004 ab (Fuchs in Fuchs, Europäisches Sozialrecht8 Art 40 VO 883/2004 Rz 4). Das Gebot der Tatbestandsgleichstellung nach Art 5 VO 883/2004 bedeutet, dass jeder Mitgliedstaat (bzw dessen zuständiger Träger) bei der Anwendung und Auslegung des eigenen Rechts der sozialen Sicherheit die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats verwirklichten Rechtstatbestände oder die in einem anderen Mitgliedstaat verwirklichten Sachverhalte berücksichtigt, als hätten sich diese nach den eigenen Rechtsvorschriften oder auf dem eigenen Staatsgebiet ereignet, sofern es sich um gleichartige Verhältnisse oder entsprechende Sachverhalte handelt. Wenn daher nach den nationalen Bestimmungen frühere Versicherungsfälle Einfluss auf die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, die Begründung eines Leistungsanspruchs oder die Leistungshöhe haben, müssen diese Arbeitsunfälle aus anderen Mitgliedstaaten – an sich uneingeschränkt (Spiegel in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm Vor § 210 ASVG Rz 11) – berücksichtigt werden (Stockinger, Europäische Union und gesetzliche Unfallversicherung, SozSi 2019, 450 [454]). Dementsprechend sieht auch Art 39 lit a a der Durchführungsverordnung VO 987/2009 vor, dass der zuständige Träger [...] den durch den früheren Arbeitsunfall verursachten Grad der Erwerbsminderung für die Begründung des Anspruchs und die Festsetzung des Leistungsbetrags nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zu berücksichtigen hat.201

2.3.3. Demgegenüber sieht Art 40 Abs 3 VO (EG) 883/2004 (bzw sah früher Art 61 Abs 6 VO 1408/71) für nachträglich nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats eingetretene Versicherungsfälle eine Gleichstellung nur unter der Einschränkung vor, dass weder der [...] frühere Arbeitsunfall einen Leistungsanspruch auslöste noch aufgrund des [...] späteren Arbeitsunfalls ein Leistungsanspruch besteht. Diese Regelung ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil es nicht um einen solchen nachträglich eingetretenen „fremden“ Versicherungsfall geht, macht aber deutlich, dass bei der Frage der Behandlung früherer Arbeitsunfälle im Umkehrschluss nicht zu prüfen ist, ob ein Leistungsanspruch für die einzelnen Versicherungsfälle nach dem jeweils anwendbaren Recht bestünde.

2.3.4. Der (frühere) Arbeitsunfall des Kl 2014 ist daher [...] für die Begründung eines Leistungsanspruchs zu berücksichtigen, auch wenn der Kl damals nach dem deutschen SGB VII versichert war. Dass § 210 Abs 1 ASVG (auch) beim früheren Arbeitsunfall voraussetzt, dass dieser dem ASVG unterlag, schadet aufgrund der Sachverhaltsgleichstellung nicht, wenn das aufgrund des damaligen Beschäftigungsorts des Kl dem SGB VII unterlegene Dienstverhältnis – als anspruchsbegründender Sachverhalt – bei einem Beschäftigungsort im Inland (§ 3 ASVG) dem ASVG zu unterstellen gewesen wäre (aA Stockinger, SozSi 2019, 454). Das von der Bekl vertretene gegenteilige Ergebnis würde es einem Mitgliedstaat ermöglichen, das Gleichstellungsgebot des Art 5 VO (EG) 883/2004 auszuhebeln, indem auf eine Beschäftigung im Inland abgestellt wird.

2.3.5. Das Argument der Bekl, dass damit ein „fremder“ Versicherungsfall zu entschädigen sei, obwohl „für diesen Unfall“ keine Beiträge (in Österreich) geleistet worden seien, vermag an der insofern klaren Rechtslage nichts zu ändern, die eine vergleichbare Prüfung vorsieht (vgl EuGH Rs C-523/13, Larcher, Rn 52 ff ). Auch die von der Bekl angeführte Regelung des Art 40 Abs 3 VO (EG) 883/2004 zeigt, dass der Unionsgesetzgeber „fremde“ Versicherungsfälle wie eigene behandelt wissen wollte, und zwar unabhängig von einer Beitragsleistung in einem der beiden Mitgliedstaaten. Der zuständige Träger muss bei der Berechnung einer Geldleistung nach Art 21 VO (EG) 883/2004 Vorversicherungszeiten und Entgelte in anderen Mitgliedstaaten vielmehr grundsätzlich anerkennen (Bieback in Fuchs, Europäisches Sozialrecht8 Art 21 VO [EG] 883/2004 Rz 28); Ausnahmen dazu ergeben sich aus Art 21 Abs 2 bis 4 VO (EG) 883/2004 (nur) für die Berücksichtigung ausländischer Erwerbseinkommen, Beitragsgrundlagen oder Bezugszeiträume, was bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach den §§ 178 ff ASVG, nicht aber bei der hier relevanten Frage der Bemessung der Minderung der Erwerbstätigkeit bzw der Gesamtrente nach § 210 Abs 1 ASVG eine Rolle spielt. Die Sichtweise der Bekl würde demgegenüber dazu führen, dass ausländische Versicherungsfälle, für die im Inland keine Beiträge gezahlt wurden, nicht berücksichtigt werden könnten, und würde damit letztlich gegen jegliche Gleichstellung nach Art 5 lit b VO (EG) 883/2004 sprechen, insb auch gegen die – von der Bekl aber befürwortete – Gewährung einer Stützrente nach § 210 Abs 3 ASVG. Eine solche Auslegung, die das Gleichstellungsgebot letztlich unanwendbar macht, verbietet sich jedoch.

2.3.6. Der Bekl ist darin zuzustimmen, dass eine Entschädigungsverpflichtung des Mitgliedstaats, nach dessen Recht der frühere Versicherungsfall zu beurteilen war, für diesen Versicherungsfall in der VO (EG) 883/2004 nicht ausgeschlossen wird. Die von der Bekl im Rekurs herangezogenen Regelungen im Pensionsversicherungsrecht sind im vorliegenden Fall allerdings nicht einschlägig. Der Frage, ob nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats ein Leistungsanspruch in der UV besteht, kann im Rahmen des Art 40 Abs 3 VO (EG) 883/2004 Bedeutung zukommen (oben Pkt 2.3.3.), der hier aber nicht zur Anwendung gelangt. Dass im Fall des Kl aufgrund der Sachverhaltsgleichstellung gleichartige Leistungen zusammentreffen, was Gegenstand des Art 10 VO (EG) 883/2004 wäre, ist im Verfahren nicht hervorgekommen (der deutsche Träger verneinte einen auf § 56 dSGB VII gestützten Leistungsanspruch des Kl für den Versicherungsunfall 2014). Die Frage, welchen Einfluss eine Entschädigungspflicht des anderen Mitgliedstaats für den gleichen Arbeitsunfall auf den hier strittigen österreichischen Anspruch hätte, stellt sich daher nicht.

2.3.7. Die Befürchtung der Bekl, die Gleichstellung des „fremden“ Versicherungsfalls könnte sich auch auf andere Leistungen (insb Sachleistungen) erstrecken, ist nicht berechtigt. Die Koordinierung (und allfällige Erstattung) von anderen Leistungen, insb Sachleistungen, richtet sich nach eigenen Regeln, die hier nicht gegenständlich sind.

2.3.8. Dieses Ergebnis diskriminiert [...] österreichische Versicherte, die nicht dem ASVG unterliegen, auch nicht gegenüber ausländischen Versicherten, weil auch ausländische Versicherte nur unter der Voraussetzung gleichgestellt werden, dass sie einer dem ASVG gleichartigen Versicherung unterliegen. Die Berücksichtigung „fremder“ Versicherungsfälle verhindert vielmehr eine Diskriminierung bloß aufgrund der Tatsache, dass eine Person die DN-Freizügigkeit in Anspruch genommen hat und einen Arbeitsunfall im Rahmen eines nicht dem ASVG unterliegenden Versicherungsverhältnisses erlitt.

3. Dem Berufungsgericht ist somit darin zu folgen, dass die aufgrund des Arbeitsunfalls 2014 verbliebene Minderung der Erwerbsfähigkeit dann bei der Bemessung einer Gesamtrente nach § 210 Abs 1 ASVG zu berücksichtigen ist, wenn sich dieser Arbeitsunfall im Rahmen einer Beschäftigung ereignete, die – wäre sie im Inland (§ 3 ASVG) ausgeübt worden – dem ASVG unterlegen wäre. Die dem Aufhebungsbeschluss zugrundeliegende Rechtsansicht ist somit nicht zu beanstanden. Der OGH ist nicht Tatsacheninstanz, sodass er nicht überprüfen kann, ob sich die vom Berufungsgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen tatsächlich als notwendig erweist (RS0042179; RS0043414). [...]202

4. Dem Rekurs der Bekl ist daher ein Erfolg zu versagen. [...]

ANMERKUNG

Der Kl beantragte bei der österreichischen AUVA eine Versehrtenrente als Gesamtrente iSd § 210 Abs 1 ASVG. Die erforderliche Gesamtminderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 20 % ergebe sich bei einer Gesamtbetrachtung der Folgen zweier Arbeitsunfälle in den Jahren 2014 und 2019. Zum Zeitpunkt des ersten Arbeitsunfalls war der Kl in Deutschland beschäftigt, beim späteren Arbeitsunfall in Österreich (nach dem ASVG).

Das Erstgericht lehnte den Anspruch ab, weil eine Gesamtrente nach dem Gesetzeswortlaut zumindest zwei Arbeitsunfälle nach dem ASVG voraussetze, berücksichtigte den deutschen Arbeitsunfall aber gem § 210 Abs 3 ASVG (Stützrente) bei der Berechnung der Dauerrente für den letzten Arbeitsunfall. Das Berufungsgericht und der OGH schlossen sich hingegen der Ansicht des Kl an und bejahten die Möglichkeit, frühere „fremde“ Arbeitsunfälle aufgrund der Sachverhaltsgleichstellung gem Art 5 lit b VO (EG) 883/2004 im Wege einer Gesamtrente – entgegen dem Wortlaut der Bestimmung – zu berücksichtigen. Für die Beurteilung, ob es sich beim konkreten Arbeitsunfall um einen entsprechenden Sachverhalt handle, seien ergänzende Feststellungen des Erstgerichts notwendig.

1.
Gesamtrente iSd § 210 Abs 1 ASVG

Mindert ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit die Erwerbsfähigkeit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus um mindestens 20 %, steht eine Versehrtenrente zu (§ 203 Abs 1 ASVG). Die Rente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit und wird unbefris tet zugesprochen (sogenannte Dauerrente). Ist die endgültige Feststellung ihrer Höhe in den ersten zwei Jahren noch nicht möglich, wird zunächst eine vorläufige Rente berechnet (§ 209 Abs 1 ASVG). Die Rente kann in dieser Zeit auch ohne den Eintritt einer wesentlichen Änderung erhöht, herabgesetzt oder entzogen werden. Spätes tens nach zwei Jahren ist die Versehrtenrente als Dauerrente festzustellen.

Wurde der Versehrte bereits mehrfach durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit iSd ASVG geschädigt und erreicht die Gesamtminderung mindestens 20 %, muss die Versehrtenrente gem § 210 Abs 1 ASVG spätestens vom Beginn des dritten Jahres nach dem Eintritt des letzten Versicherungsfalls außerdem als Gesamtrente festgestellt werden (auf Antrag und [entgegen dem Wortlaut des Abs 3] im Zuge der Feststellung der Dauerrente; vgl OGH10 ObS 115/95 SSV-NF 9/61). Diese Zusammenziehung der Versicherungsfälle führt zu einer Neubewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit danach, inwiefern sich die Unfallverletzungen in ihrer Gesamtheit – unabhängig von den vorangegangenen Einzelbeurteilungen – auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auswirken (vgl RIS-Justiz RS0084384). Neben einer Verringerung des Verwaltungsaufwands begünstigt die Bildung einer Gesamtrente die Versicherten insofern, als die Rente gem Abs 2 vollständig nach der höchsten für die einzelnen Versicherungsfälle in Betracht kommenden Beitragsgrundlage zu bestimmen und nur mehr von einem (dem für den letzten Versicherungsfall zuständigen) Versicherungsträger zu erbringen ist (Fellinger/I. Faber in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 210 ASVG Rz 1 [Stand 1.12.2021, rdb.at]).

Handelt es sich hingegen bei früheren Sachverhalten nicht um ASVG-Versicherungsfälle (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit), lässt Abs 3 die Berücksichtigung bestimmter Versicherungsfälle nach anderen Sozialversicherungsgesetzen (Abs 3 lit a a bis f) nur im Rahmen einer sogenannten Stützrente zu; die Bildung einer Gesamtrente kommt nicht in Betracht. Der frühere anderweitige Versicherungsfall stützt den späteren ASVG-Versicherungsfall insofern, als er bei der Feststellung der Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit für die Dauerrente berücksichtigt wird. Trotzdem werden die Versicherungsfälle gesondert durch die jeweils zuständigen Versicherungsträger entschädigt – es entfallen somit die genannten Vorteile im Zusammenhang mit der Bündelung der Leistungspflicht und -berechnung. Sie erweist sich daher als Mittelweg zwischen einfacher Versehrtenrente für jeden einzelnen Versicherungsfall und der Gesamtrente als zusammengefasste und neu evaluierte Leistung.

2.
Koordinierung von Unfallversicherungsleistungen
2.1.
Allgemeines

Zur Bestimmung des anwendbaren Rechts kommen auch in der UV die allgemeinen Regeln des Art 11 VO 883/2004 zur Anwendung. Für Personen, die der VO unterliegen, gelten die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats (Abs 1), der sich primär nach dem Ort ihrer Beschäftigung richtet (Abs 3 lit a a); beim Kl daher früher Deutschland und nun Österreich. Spezielle Koordinierungsregeln für Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten finden sich in den Art 36 ff leg cit. Gem Art 36 Abs 2 iVm Art 21 Abs 1 erster Satz leg cit haben Grenzgänger:innen und ihre Familienangehörigen – als eine der Hauptaufgaben der Koordinierung der Unfallversicherungsleistungen (vgl Fuchs [Hrsg], EuSozR8 Vorbem Art 36 ff VO 883/2004 Rz 6) – Anspruch auf Geldleistungen, die vom zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften erbracht werden (vgl auch ErwGr 25 leg cit). Trotz seines Wohnortes in Deutschland stehen dem Kl die Geldleistungen aus der UV (dh Versehrtenrente) daher ohne Unterschied nach österreichischem Recht zu. Für die Koordinierung von (Unfall-)Sachleistungen an Grenzgänger:innen sehen Art 36 Abs 1 iVm Art 17 bis 20 leg cit hingegen differenzierte Regelungen vor. Mangels Relevanz für das besprochene Verfahren werden diese im Folgenden aber nicht weiter beleuchtet.203

2.2.
Tatbestands- und Sachverhaltsgleichstellung
2.2.1.
Art 5 VO 883/2004

Aufgrund der unionsrechtlichen Koordinierungsregeln kommen auf den oder die Versicherte:n nach Klärung der Zuständigkeitsfrage die nationalen Bestimmungen des zuständigen Mitgliedstaats zwar zunächst unterschiedslos zur Anwendung. Häufig knüpfen nationale Sozialversicherungsgesetze Rechtswirkungen aber bloß an Tatbestandsmerkmale innerhalb des eigenen Mitgliedstaats. Um eine Benachteiligung bei einem Zuständigkeitswechsel zu verhindern, regelt Art 5 VO 883/2004 daher ergänzend das Gebot der Tatbestandsgleichstellung. Sind Rechtswirkungen nach den Vorschriften des zuständigen Mitgliedstaats ua an den Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse geknüpft, müssen gem lit b die in einem anderen Mitgliedstaat eigetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse so berücksichtigt werden, „als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären“ (Sachverhaltsgleichstellung). Arbeitsunfälle sind nach gefestigter Rsp des EuGH Sachverhalte oder Ereignisse, die einer Sachverhaltsgleichstellung zugänglich sind (vgl EuGHC-10/90, Masgio, ECLI:EU:C:1991:107; später auch EuGHC-284/15, ONem, ECLI:EU:C:2016:220).

Ob der Grundsatz der Sachverhaltsgleichstellung bezüglich der fraglichen nationalen Bestimmung zur Anwendung gelangt, hängt folglich von zwei Voraussetzungen ab: Zunächst muss die nationale Leistung dem Geltungsbereich der VO 883/2004 unterliegen und zudem – anspruchs- wie auch pflichtenbegründende – Rechtswirkungen an bestimmte Sachverhalte oder Ereignisse iSd Art 5 lit b der VO knüpfen (vgl EuGHC-769/18, Caisse d‘assurance retraite et de la santé au travail d‘Alsace-Moselle, ECLI:EU:C:2020:203, Rn 45; Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union8 [2022] Rz 105). Die Versehrtenrente ist in all ihren Ausprägungen und Berechnungsmethoden eine Leistung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten iSd Art 3 Abs 1 lit a f VO 883/2004 und unterliegt als Geldleistung den besonderen Kollisionsregeln der Art 36 ff VO 883/2004. § 210 ASVG sieht des Weiteren sowohl in Abs 1 als auch Abs 3 Rechtswirkungen nach einem Arbeitsunfall vor und ist einer Sachverhaltsgleichstellung damit zugänglich.

2.2.2.
Entsprechender Sachverhalt

Gem Art 5 lit b VO 883/2004 sind vom zuständigen Versicherungsträger bloß in einem anderen Mitgliedstaat eingetretene entsprechende Sachverhalte oder Ereignisse zu berücksichtigen. Der „fremde“ Sachverhalt muss daher mit jenen verglichen werden, die gem ASVG Rechtswirkungen auslösen, und diesen in ihrer sozialpolitischen Zielsetzung entsprechen (vgl Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union8 Rz 105).

Nach Stockinger und dem Urteil des Erstgerichts seien frühere nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten eingetretene Arbeitsunfälle bloß im Rahmen eines Anspruchs auf eine Stützrente zu berücksichtigen. § 210 ASVG ließe die Bildung einer Gesamtrente nämlich nur für mehrere Arbeitsunfälle „nach diesem Bundesgesetz“ zu, der ausländische Sachverhalt sei hingegen notwendig nach einem anderen Sozialversicherungsgesetz festgestellt worden (vgl Stockinger, Europäische Union und gesetzliche Unfallversicherung, SozSi 2019, 450 [454]). Wie bei der Berücksichtigung österreichischer Versicherungsfälle außerhalb des ASVG nach Abs 3 könne daher auch ein ausländischer Sachverhalt nur unter diese Bestimmung subsumiert werden. Diese Ansicht verkennt aber die Systematik der Sachverhaltsgleichstellung: Die jeweiligen Sachverhalte sind so zu behandeln, „als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären“ (vgl auch EuGH Rs Caisse d‘assurance retraite et de la santé au travail d‘Alsace-Moselle, Rn 56). Dafür müssen die nationalen Anspruchsvoraussetzungen eruiert und das damals bestehende Beschäftigungsverhältnis und die Umstände des Unfalls – im eigentlichen Wortsinn der Gleichstellung – als fiktiv in Österreich angesiedelter Sachverhalt darunter subsumiert werden. Insofern ist auch der Anwendungsbereich des ASVG bei der Sachverhaltsgleichstellung zu berücksichtigen. Diese wirkt nämlich automatisch und führt auch bei Bestimmungen, die explizit auf Inlandssachverhalte abstellen, zu einer Ausdehnung auf Sachverhalte in einem anderen Mitgliedstaat (vgl Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [57. Lfg] Art 5 VO 883/2004 Rz 2/1). Wäre der Arbeitsunfall 2014 sohin in Deutschland etwa im Rahmen eines Beamtendienstverhältnisses (gem § 5 Abs 1 Z 3 lit a a ASVG von dessen Anwendungsbereich ausgenommen) eingetreten, müsste er mit einem Dienstunfall iSd B-KUVG gleichgestellt werden. In Bezug auf den späteren ASVG-Arbeitsunfall wäre die Berücksichtigung dann bloß im Rahmen einer Stützrente – wie auch für in Österreich ehemals beamtete Personen – geboten. Dasselbe gilt freilich für die anderen Fälle des § 210 Abs 3 lit a bis f ASVG. Handelte es sich jedoch um einen Arbeitsunfall einer oder eines Versicherten, deren oder dessen Beschäftigungsverhältnis (abgesehen vom Beschäftigungsort) nicht unter die Ausnahmen des ASVG fällt, ist von einem „entsprechenden“ Sachverhalt auszugehen und unter Berücksichtigung des deutschen Arbeitsunfalls eine Gesamtrente zu bilden. Mangels ausreichender Feststellungen ließ sich die Frage eines entsprechenden Beschäftigungsverhältnisses des Kl im aktuellen Fall noch nicht klären.

2.2.3.
Art 40 Abs 3 VO 883/2004

Als weiteres Argument, warum der nach deutschen Rechtsvorschriften festgestellte Arbeitsunfall nicht im Rahmen einer Gesamtrente berücksichtigt werden müsse, verwies die AUVA auch auf die Wertungen des Art 40 Abs 3 VO 883/2004.

Mit der VO 883/2004 wurden zum Zwecke der Vereinfachung mehrere, früher für die einzelnen Versicherungszweige gesondert geregelte Gleich204stellungstatbestände in einer Generalklausel zusammengefasst; ua ging auch die ausdrückliche Berücksichtigung von Vorunfällen in anderen Mitgliedstaaten in dieser Bestimmung auf (vgl Art 61 Abs 5 erster Fall VO 1408/71; vgl Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [57. Lfg] Art 5 VO 883/2004 Rz 1; Fuchs [Hrsg], EuSozR8 Vorbem Art 36 ff VO 883/2004 Rz 8). Einzig die Einschränkung der Anwendbarkeit von Art 5 betreffend die Berücksichtigungspflicht späterer Arbeitsunfälle für den beim früheren Arbeitsunfall zuständigen Träger blieb in Art 40 Abs 3 VO 883/2004 als lex specialis für Leistungen aus der UV erhalten. IS einer Auffangregelung soll ein ehemals zuständiger Versicherungsträger spätere, außerhalb seiner Zuständigkeit eingetretene Arbeitsunfälle bezüglich seiner Leistungspflicht dann berücksichtigen müssen, wenn weder der frühere noch der spätere Arbeitsunfall einen Leistungsanspruch ausgelöst hat. Wird also durch das Hinzutreten der späteren Minderung der Erwerbsfähigkeit nur und erstmals im früher zuständigen Mitgliedstaat ein Leistungstatbestand erfüllt, so muss dieser Träger ausnahmsweise eine Leistung erbringen. Schon nach dem Wortlaut kann dies im aktuellen Fall für die zuständige AUVA gar nicht einschlägig sein, weil hier die Berücksichtigung eines früheren Arbeitsunfalls in Frage stand. Eine Gleichstellung des späteren Arbeitsunfalls macht nur bezüglich der Beurteilung von Leistungsansprüchen gegen den zeitlich zuerst zuständigen Mitgliedstaat Sinn (vgl Fuchs [Hrsg], EuSozR8 Art 40 Rz 4 ff ). Die Anordnung des Art 40 Abs 3 leg cit, dass eine Tatbestandsgleichstellung bloß in Frage kommt, wenn sonst völliger Leistungsentfall drohen würde, ist daher nur bei Ansprüchen gegen den deutschen Versicherungsträger beachtlich.

Art 5 und 40 Abs 3 leg cit führen aber weder zu einer Leistungspflicht des deutschen Trägers noch zu einem (Wertungs-)Widerspruch: Der spätere Arbeitsunfall wird zunächst vom zuständigen österreichischen Versicherungsträger unter dessen nationale Rechtsvorschriften subsumiert. Gem Art 5 leg cit ist dabei der frühere nach deutschen Rechtsvorschriften festgestellte Arbeitsunfall zu berücksichtigen, soweit er einem ASVG-Versicherungsfall entspricht. Führt diese Betrachtung zu einem Leistungsanspruch des oder der Versicherten in Österreich (hier: Versehrtenrente), kommt Art 40 Abs 3 leg cit gar nicht zur Anwendung. Setzt dieser doch voraus, dass weder für den früheren noch für den späteren Arbeitsunfall ein Leistungsanspruch bestand oder besteht. Eine Berücksichtigungspflicht des deutschen Trägers käme sohin nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen für einen Anspruch nach dem ASVG nicht erfüllt würden. Das entspricht auch den Zielen der Koordinierung von Unfallversicherungsleistungen der grundsätzlichen Leistungspflicht des aktuell zuständigen Mitgliedstaats einerseits (vgl Art 38 VO 883/2004; siehe dazu auch Spiegel in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm Vor § 210 ASVG Rz 5 [Stand 1.12.2021, rdb.at]) und der tunlichsten Verhinderung eines völligen Leistungsentfalls andererseits (vgl auch Art 40 Abs 1 und 2 VO 883/2004).

3.
Fazit

Beantragt ein:e in Österreich Versicherte:r anlässlich eines Arbeitsunfalls gem ASVG eine Versehrtenrente, sind Vorunfälle in anderen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Eine Gesamtrente gem § 210 Abs 1 ASVG ist in einem solchen Fall dann zu bilden, wenn beim früheren Unfall sowohl der Versicherungsfall (Arbeitsunfall) als auch das Versicherungsverhältnis (Anwendungsbereich) den Voraussetzungen des ASVG entspricht. Das deckt sich auch mit den zutreffenden Entscheidungen des Berufungsgerichts und des OGH, die eine Berücksichtigung eines deutschen Arbeitsunfalls grundsätzlich bejahen, aber zur Ergänzung der Feststellungen zum Versicherungsverhältnis an das Erstgericht zurückverwiesen haben.

Die gegenteilige Ansicht stützt sich vor allem auf den Wortlaut des § 210 Abs 1 iVm Abs 3 ASVG, der für eine Gesamtrente nur Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten „nach diesem Bundesgesetz“ berücksichtigt wissen wolle. Dieses Argument geht aber insb unter der Prämisse, dass ersatzweise eine Stützrente nach Abs 3 zustehen solle, ins Leere. Im Rahmen einer Stützrente können nämlich nur die taxativ aufgezählten Versicherungsfälle anderer österreichischer Gesetze berücksichtigt werden. Der Wortlaut lässt auch hier keine Berücksichtigung ausländischer Versicherungsfälle zu. Kann aber der sachliche Anwendungsbereich der Stützrente unionsrechtskonform über den Wortlaut hinaus erweitert werden, so muss das ebenso für die Gesamtrente gelten.205