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Schützenswerte Tendenzen und die Betriebsverfassung

ANDREAPOTZ (WIEN)
  1. Ein Unternehmen/Betrieb dient dann „unmittelbar“ einer nach § 132 Abs 1 ArbVG geschützten Tendenz, wenn von außen erkennbar seine Arbeitsergebnisse überwiegend auf die Verfolgung eines besonders geschützten geistig-ideellen Zwecks ausgerichtet sind. Diese Zwecke müssen im Unternehmen oder Betrieb selbst verfolgt werden, sodass es für den Tendenzschutz nicht ausreichend ist, wenn in der Person des Betriebsinhabers geschützte Tendenzen vorliegen.

  2. Das Unmittelbarkeitserfordernis zielt nicht auf das Verhältnis zwischen der im Unternehmen/Betrieb verfolgten Tätigkeit und den jeweiligen schutzbedürftigen Zielpersonen ab, sondern auf das Verhältnis zwischen den mit dem Unternehmen/Betrieb verfolgten Zwecken und der bloßen Eigenschaft des Betriebsinhabers. Entscheidend ist also, welcher Betriebszweck nach außen hin in Erscheinung tritt.

  3. Ein Unternehmen oder Betrieb verfolgt dann seine ideellen Zwecke nicht unmittelbar, wenn es/er selbst nur die Aufgabe hat, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung eines der geschützten Zwecke zu schaffen, also nur indirekt der ideellen Zielsetzung zu dienen. Keine Voraussetzung ist aber, dass die Arbeitsergebnisse auch direkt bei jenen Zielpersonen ankommen, die mit der Tendenz erreicht werden sollen. Unmittelbar dient das Unternehmen/der Betrieb vielmehr auch dann, wenn es/er von außen erkennbar andere Tendenzbetriebe in ihrer Arbeit unterstützt.

[1] S*-Kinderdorf ist in 135 Ländern vertreten und betreibt mehr als 550 S*-Kinderdörfer sowie über 1.500 weitere Programme in der Kinder- und Jugendbetreuung sowie Familienstärkung. [...]

[2] Bei der bekl Partei handelt es sich um einen Verein nach österreichischem Recht mit Sitz in *, der nach dessen Statuten als Föderation bezeichnet wird. Dessen Statuten lauten auszugsweise: [...]208

Artikel 2: FöderationszweckDie Föderation koordiniert, unterstützt und kontrolliert die angeschlossenen Mitgliedsorganisationen und betreibt S*-Kinderdorf-Programme in eigenem Namen, wenn nötig.Die Föderation handelt gemeinnützig bzw mildtätig gemäß §§ 34 ff BAO und ist nicht auf die Erzielung eines Gewinns ausgerichtet. Sie arbeitet ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit bzw für die Unterstützung Hilfsbedürftiger.

Sämtliche finanziellen Mittel der Föderation, wie auch alle finanziellen Überschüsse, werden zur Erreichung des Föderationszwecks verwendet. [...]

[3] Der bekl Verein verfügt über einen Aufsichtsrat, bezeichnet als „Internationaler Senat“, der aus 22 Mitgliedern besteht.

[4] Weltweit verfügt der Bekl über rund 126 Mitgliedsverbände, die sich aus reinen Fördervereinen und nationalen Vereinen zusammensetzen. [...]

[5] Im Wesentlichen bezahlen nur die Fördervereine Mitgliedsbeiträge, weil andere Vereine dazu finanziell meist nicht in der Lage sind. Deren Mitgliedsbeiträge werden von den Fördervereinen übernommen. Sämtliche Mitgliedsverbände bedürfen der Unterstützung durch den Bekl; so sind auch die reinen Fördervereine auf dessen Unterstützung angewiesen. Der Bekl verteilt jene Gelder, die über Spenden, insb auch Patenschaften, eingenommen werden, an jene Mitgliedsverbände, die auf finanzielle Hilfe angewiesen sind. Der Bekl steht dem Förderverein im Hinblick auf deren Verantwortung gegenüber dem Spender zur Seite und hat die Aufsicht über die Programme, die Fördervereine gegenüber Spendern benötigen, um zertifiziert zu werden. [...] Im Rahmen der Programmplanung kontrolliert die Bekl, ob gewisse Prozessschritte eingehalten werden. Der Bekl erstellt Vorgaben und Standards und kontrolliert auch, dass diese eingehalten werden. Des Weiteren verfügt der bekl Verein über eine Abteilung, in der Kinderrechtsverletzungen und Missbrauchsvorfälle dokumentiert werden und in der festgelegt wird, wie insoweit zu berichten ist. [...]

[6] Im Jahr 2017 lukrierte der Bekl rund 39 Mio € an Mitgliedsbeiträgen, ca 5,5 Mio € an Spenden und anderen Umsatzerlösen, wobei insoweit der Großteil aus Spenden stammt. Aus betrieblichen Erträgen stammen lediglich 260.000 €. Der bekl Verein erzielt keine Erträge aus wirtschaftlichen Einrichtungen. Ab und zu werden über das Jahr gesehen Überschüsse erwirtschaftet, während andere Jahre defizitär ausfallen. Insgesamt gleichen sich Einnahmen und Ausgaben über die Jahre gesehen aus. [...]

[8] Die operative Tätigkeit des bekl Vereins wird vor allem über das Generalsekretariat abgewickelt, das den Mitgliedern Unterstützung und Dienstleistungen mit dem Ziel anbietet, die Kinderdorfarbeit weltweit zu fördern und zu unterstützen. Es sollen einheitliche Strukturen iS gewisser Mindeststandards geschaffen werden. Das Anbot an Dienstleistungen und Unterstützung richtet sich an alle Mitgliedsvereine und Zweigstellen ohne Unterschied, ob selbständig oder nicht. Die Mitgliedsvereine und Zweigstellen können Dienstleistungen des Bekl in Anspruch nehmen, sind dazu aber nicht verpflichtet, sondern können auch Leistungen privater Dienstleister – zu marktüblichen Preisen – zukaufen. [...]

Der Bekl bietet insb [...] überwiegend Verwaltungsangelegenheiten umfassende Agenden an, die letztendlich den betreuten Kindern zugute kommen: [...]

[9] Über die „GSC-run operations“ und Notfallmaßnahmen hinaus betreibt der Bekl selbst keine Programme. Das Generalsekretariat betreut und beaufsichtigt selbst keine Kinder und Schutzbefohlenen. Dem Bekl wird die Aufsicht für ein konkretes Kind nicht direkt übergeben, sondern an den jeweiligen nationalen Repräsentanten. Im Rahmen von Nothilfemaßnahmenprojekten beschäftigt der Bekl etwa fünf Personen, die eine beratende Tätigkeit ausüben.

[10] Am 16.2.2018 beschloss der BR die Entsendung von sieben namentlich benannten Betriebsratsmitgliedern in den internationalen Senat. Der Bekl verweigert dem Kl, diese Betriebsratsmitglieder in den internationalen Senat zu entsenden, weil es sich bei ihr um einen Tendenzbetrieb iSd § 132 ArbVG handle.

[11] Mit dem Hauptbegehren der vorliegenden Klage begehrt der kl BR die Feststellung, dass ihm aufgrund der geltenden Fassung der Vereinsstatuten des Bekl und der tatsächlichen Besetzung dessen internationalen Senats mit 22 Mitgliedern das Recht zukomme, aus dem Kreis seiner Mitglieder, denen das aktive Wahlrecht zum BR zustehe, bis zu insgesamt elf Betriebsratsmitglieder in den internationalen Senat als Aufsichtsgremium mit Sitz und Stimmrecht zu entsenden. [...]

[12] Der Bekl bestritt die Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. [...]

[13] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...]

[14] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl Folge und dem Klagehauptbegehren statt. Strittig sei im vorliegenden Fall letztlich nicht, dass der bekl Verein einem karitativen, erzieherischen Zweck diene, sondern ob dies „unmittelbar“ iSd § 132 Abs 1 ArbVG erfolge. Sowohl nach der wörtlichen Auslegung, nach dem juristischen Sprachgebrauch (vgl „unmittelbare Diskriminierung“) und auch nach den Gesetzesmaterialien stehe das Wort „unmittelbar“ für „direkt“. Ein Unternehmen/Betrieb könne daher direkt nur erzieherischen oder karitativen Zwecken dienen, wenn es/er diese Intention selbst und nicht mittelbar, etwa über Mitgliedsvereine mit eigener Rechtspersönlichkeit, umsetze. Auch die Literatur und die – zur vergleichbaren Gesetzeslage in Deutschland ergangene – Rsp bestätigten, dass ein Tendenzbetrieb nur dann vorliege, wenn dieser selbst „direkt an den Schutzbedürftigen Hand anlege“, und es nicht ausreiche, dass ein erzieherischer oder karitativer Zweck mittelbar verfolgt werde, indem rechtlich selbständigen Vereinen mit derselben Zielsetzung dies ermöglicht oder sie hierin unterstützt würden, weil eine solche Tätigkeit dann bloß mittelbar sei. Da der bekl Verein nach seinem Arbeitskatalog und den Arbeitsergebnissen durch das Generalsekretariat vorwiegend Verwaltungsangelegenheiten209 erfülle und selbst bloß ca 30 „GSC-run operations“ führe, insgesamt 126 vollständig unabhängige Mitgliedsverbände ihre Tätigkeit (wenn auch mit Unterstützung des Bekl) jedoch selbständig ausübten, könne ein unmittelbares Verfolgen von erzieherischen oder karitativen Zwecken durch den Bekl selbst in einem überwiegenden Ausmaß nicht bejaht werden. Darauf, dass – so das Erstgericht – die Verwaltungstätigkeit des Bekl im Ergebnis dazu diene, den Förderungszweck zu erreichen, den Mitgliedsvereinen die Arbeit zu erleichtern und sie in ihrer Tätigkeit, nämlich dem tatsächlichen Betreiben von Programmen zu unterstützen und dabei unmittelbar tätig werde, komme es hier nicht an. Entscheidend sei vielmehr, dass die Tätigkeit des Bekl nicht unmittelbar ideellen Zwecken diene und nicht darauf, ob dies bei seinen Mitgliedsvereinen der Fall sei. [...]

[17] Die Revision ist zulässig und iS einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils auch berechtigt.

[18] 1. Nach § 132 Abs 1 Satz 1 ArbVG sind auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, wissenschaftlichen, erzieherischen oder karitativen Zwecken dienen, die §§ 110 bis 112 ArbVG nicht anzuwenden. [...]

[27] 5. Auch im Revisionsverfahren wird – zutreffend – nicht weiter in Frage gestellt, dass der bekl Verein grundsätzlich erzieherische und karitative Zwecke verfolgt. Strittig ist allein, ob er dies „unmittelbar“ oder – so das Berufungsgericht – bloß „mittelbar“, also indirekt über seine Mitgliedsverbände tut.

[28] 5.1. Jede Gesetzesauslegung beginnt mit der wörtlichen (sprachlichen, grammatikalischen) Auslegung, die nach dem Wortsinn der Norm und innerhalb dieser durch den äußerst möglichen Wortsinn abgesteckten Rahmens auch der nach Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch oder dem des Gesetzgebers und in seinem Zusammenhang innerhalb der Regelung fragt (RS0008896 [T4]).

[29] 5.2. Dafür bietet zunächst die Entstehungsgeschichte des Unmittelbarkeitskriteriums in § 132 Abs 1 ArbVG aufschlussreiche Hinweise. Die Regelung des § 132 ArbVG war bereits im Betriebsrätegesetz (BRG) 1947 enthalten. Nach § 14 Abs 3 BRG 1947 fanden Regelungen zur betrieblichen Mitbestimmung „keine Anwendung auf Betriebe politischer, gewerkschaftlicher, konfessioneller, wissenschaftlicher, künstlerischer oder charitativer Art“. Begründet wurde dies in der erläuternden Regierungsvorlage damit, dass von der Mitverwaltung der Betriebsvertretung eine Ausnahme gemacht werden müsse, weil es sich bei diesen Betrieben um Zielsetzungen handle, die eine Teilnahme der Betriebsräte an der Führung und Verwaltung entweder überhaupt unmöglich oder doch nicht zweckmäßig erscheinen ließen (ErlRV 320 BlgNR 5. GP 12). Eine „Unmittelbarkeit“ war nicht gefordert. Dafür waren im BRG 1947 lediglich Betriebe tendenzgeschützt, nicht aber Unternehmen.

[30] 5.3. Mit der Schaffung des ArbVG wurde die frühere Bestimmung des Tendenzschutzes in § 14 BRG 1947 ua mit dem Zusatz des Unmittelbarkeitserfordernisses in das geltende Recht übernommen. Auslöser dieser Änderung war die E des VwGH vom 22.4.1966, Zl 2087/65, Arb 8276 = ZAS 1967, 114 [115] (Mayer-Maly). Gegenstand dieser E war eine Druck- und Verlags-GmbH im Alleineigentum eines tendenzgeschützten katholischen Pressevereins. Fraglich war, ob es für den Tendenzschutz bereits ausreicht, wenn in der Person des Betriebsinhabers geschützte Tendenzen vorliegen oder ob auch der Betrieb durch diese Tendenzen gekennzeichnet sein muss. Nach Ansicht des VwGH beziehe sich der Tendenzschutz nur auf Betriebe, die sich durch besondere Kennzeichen von den sonstigen Betrieben abgrenzen. Dabei müsse eine gewisse Übereinstimmung zwischen der unternehmerischen Zielsetzung und der Tätigkeit bzw der Arbeitsergebnisse des Betriebs vorliegen. Nur wenn die unternehmerische Zielsetzung des katholischen Pressevereins auch im unmittelbaren konkreten Betriebszweck der mitbeteiligten Druck- und Verlags-GmbH dadurch Ausdruck fände, dass die Tätigkeit bzw die Arbeitsergebnisse mindestens zum überwiegenden Teil konfessionell gekennzeichnet seien, könnte das Zusammenwirken dieser Umstände dem Betrieb den Charakter eines konfessionellen Betriebs verleihen.

[31] 5.4. Nach Burger (Drittelbeteiligung der Belegschaft im Aufsichtsorgan eines karitativen Dachvereins? in FS Löschnigg [2019] 36 [41]) berücksichtigte der Gesetzgeber diese vom VwGH vorgezeichnete Differenzierung, wonach ein Betrieb, der von einem Tendenzunternehmen geführt werde, selbst nicht zwingend ein Tendenzbetrieb sein müsse, sofern er selbst keine geschützten Tendenzen aufweise, durch die Aufnahme des Wortes „unmittelbar“ in den Wortlaut der Nachfolgebestimmung des § 132 ArbVG. Das Wort „unmittelbar“ möchte daher die Mitwirkung der Belegschaft dann nicht ausschließen, wenn ein Tendenzträger einen marktwirtschaftlichen Wirtschaftsbetrieb führe, um bloß mit dessen Erlösen und Gewinnen seine eigene Tendenztätigkeit mittelbar zu finanzieren. Das Tatbestandsmerkmal „unmittelbar“ beziehe sich somit auf den Betriebszweck, also darauf, ob die Arbeitsergebnisse erkennbar einem in § 132 ArbVG genannten Zweck dienen (aaO 44).

[32] 5.5. Nach Tomandl (Der Anwendungsbereich des betriebsverfassungsrechtlichen Tendenzschutzes bei Presseunternehmen, in FS Kralik [1986] 559 [563 f]) bedürfe es zur Klärung der Frage, wann ein Betrieb einem bestimmten Zweck unmittelbar diene, zunächst der Entscheidung, ob eine subjektive oder objektive Betrachtung zu erfolgen habe. Auf die persönlichen Absichten und Motive des Betriebsinhabers dürfe es dabei nicht ankommen. Welchen Zwecken und Zielen ein Betrieb diene, sei vielmehr aus seiner tatsächlichen Tätigkeit zu erschließen. Die Führung eines rein erwerbswirtschaftlich ausgerichteten Betriebs ohne bestimmte Tendenz in der Absicht, die aus dieser Tätigkeit gewonnenen Erträge für die Verwirklichung einer bestimmten Tendenz einzusetzen, diene nur mittelbar der Tendenzverwirklichung. Ein solcher Betrieb könne daher keinen Tendenzschutz für210 sich beanspruchen. Der unmittelbaren Tendenzverwirklichung dienten jedoch auch alle Hilfs- und Nebentätigkeiten, ohne die jene Waren und Dienstleistungen nicht hergestellt oder erbracht werden könnten, die Gegenstand des Tendenzbetriebs seien. Zur bloß mittelbaren Verwirklichung zählt hingegen die Schaffung der erforderlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen.

[33] 5.6. Auch für Schrammel (Probleme des Tendenzschutzes in der österreichischen Betriebsverfassung, FS Strasser [1983] 571) bedeutet „unmittelbar“, dass zwischen dem Betrieb oder dem Unternehmen und seiner Zwecksetzung eine Beziehung besteht, die nicht durch ein dazwischengeschaltenes Glied unterbrochen ist. Entscheidend sei, ob der Betriebsinhaber mit den Arbeitsergebnissen des Betriebs bereits einen geschützten Zweck verwirkliche.

[34] 5.7. Nach Strasser (in Floretta/Strasser, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz [1975] § 132 Pkt 2.1.1.) verfolge das ArbVG mit der Hervorhebung des Tatbestandsmerkmals der „Unmittelbarkeit“ ganz offensichtlich den Zweck, eine Klarstellung in Bezug auf die Zweifelsfragen zu treffen, die in Zusammenhang mit der E des VwGH (Arb 8276) und der dazu erfolgten Besprechung von Mayer-Maly (ZAS 1967, 115 ff ) entstanden seien. Der VwGH habe den Fall zwar richtig gelöst und den Tendenzschutz nicht angenommen, jedoch dies damit unrichtig begründet, dass stets zu prüfen sei, ob der Betrieb oder das Unternehmen eine ideelle Zwecksetzung verfolge. Obwohl diese Überlegungen richtig seien, seien sie für diese Entscheidung fehl am Platze gewesen. Es sei nach der Sachlage nicht darum gegangen, ob der unternehmerische Zweck maßgebend zu sein habe, sondern ob das Vorhandensein der ideellen Zwecksetzung bei der Person des Betriebsinhabers genüge. Der Sinn dieses Ergebnisses, welches auch schon dem früheren Recht zu entnehmen gewesen sei und nun durch die nunmehrige Hervorhebung der Unmittelbarkeit auch vom Wortlaut gestützt werde, liege darin, dass Betriebe und Unternehmen, die vorwiegend wirtschaftlich- kaufmännischen Zwecken dienten, nicht deshalb Tendenzschutz genießen sollten, nur weil dem Eigentümer oder der betreibenden Gesellschaft selbst Tendenzschutz zukomme. § 132 Abs 1 ArbVG stelle durch die Hervorhebung der Unmittelbarkeit der Zwecksetzung somit eindeutig klar, dass es bei Unternehmungen mit eigener Rechtspersönlichkeit auf deren Zwecksetzung ankomme. Irrelevant sei die Zwecksetzung des Gesellschafters sowie die Beschaffenheit des Betriebsinhabers.

[35] 5.8. Neumayr (in Strasser/Jabornegg/Resch, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz § 132 Rz 17; ders in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 132 ArbVG Rz 10) betont, dass die ideelle Zwecksetzung der Institution nach dem eindeutigen Wortlaut des § 132 Abs 1 ArbVG unmittelbar gegeben sein müsse. Mit der Hervorhebung dieses Tatbestandsmerkmals wolle das ArbVG nicht nur den Ausnahmecharakter des Tendenzschutzes hervorheben, sondern auch die Fragen klarstellen, ob das Vorhandensein der ideellen Zwecksetzung bei der Person des Betriebsinhabers oder Unternehmensinhabers genüge. Entscheidend sei die Zwecksetzung des Unternehmens bzw des Betriebs, genauer die vom Unternehmensinhaber mit dem Unternehmen oder Betrieb nach der nach außen in Erscheinung tretenden und damit objektiv erkennbaren Zweckwidmung verfolgten Ziele. Nur Unternehmen und Betriebe, in denen die AN selbst mit dem geschützten Zweck zu tun hätten, könnten den Tendenzschutz genießen. Bei Unternehmungen mit eigener Rechtspersönlichkeit komme es auf deren Zwecksetzung und nicht – im Wege des Durchgriffs – auf die Zwecksetzung eines Einmanngesellschafters an. Die Schaffung der erforderlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen diene bloß mittelbar der Tendenzverwirklichung.

[36] 5.9. Nach Dunst (in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht12 § 132 ArbVG Rz 2) komme es für die Auslegung der Tendenzbestimmungen auf die Frage der Abgrenzung zwischen jenen Aktivitäten des jeweiligen AG an, die die besondere Zweckbestimmung unmittelbar beträfen, und anderen Unternehmensentscheidungen, die vorwiegend wirtschaftlich motiviert seien und mit dem besonderen Betriebszweck ieS nur mittelbar zu tun hätten, an.

[37] 5.10. Nach Mair (in Tomandl, ArbVG15 § 132 Rz 15 f) liegt der Grund der gesetzestextlichen Betonung der Unmittelbarkeit darin, dass die Nutzung der wirtschaftlichen Mitwirkungsrechte der Belegschaft in einer Einheit, die vorwiegend kaufmännisch-wirtschaftliche Zwecke verfolgt, nicht bereits deswegen versagt sein soll, nur weil der Eigentümer der Einheit ein Tendenzbetrieb (Tendenzunternehmen) ist. Dabei sei es erforderlich, um dem Unmittelbarkeitskriterium zu entsprechen, dass die politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, wissenschaftlichen, erzieherischen oder karitativen Zwecke den Betrieb (Unternehmen) prägten. Das reine Vorliegen einer der in § 132 Abs 1 Satz 1 ArbVG genannten Zielsetzungen reiche allein aber nicht aus, um für einen Betrieb (Unternehmen) den Tendenzschutz zu begründen. Vielmehr müsse der Betrieb (Unternehmen) unmittelbar der Verfolgung einer der dort genannten geistig-ideellen Zwecke dienen. Somit müsse der Betriebszweck (Unternehmenszweck) selbst auf die Tendenz ausgerichtet sein und dürfe „nicht nur nach seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geeignet [sein], den eigentlichen Tendenzbetrieb zu unterstützen“. Damit werde auch deutlich, dass die Beschaffenheit oder die Rechtsform des Betriebsinhabers (Unternehmers) irrelevant seien. Auf der Ebene des Betriebs komme es allein auf dessen Arbeitsergebnisse und damit darauf an, ob diese der Verwirklichung der geistig-ideellen Zwecksetzung dienten.

[38] 5.11. Auch nach Fister (Der Tendenzbetrieb im österreichischen und europäischen Recht [2008] 74) liegt der Sinn des Unmittelbarkeitserfordernisses daran, dass Betriebe und Unternehmen, die vorwiegend wirtschaftlich-kaufmännischen Zwecken dienen, sich der Mitwirkung der Arbeitnehmerschaft nicht dadurch entziehen können sollen, dass ihr Eigentümer ein Tendenzbetrieb ist. Zwischen dem Betrieb und seiner Zwecksetzung müsse – so auch211Schrammel in FS Strasser [1983] 571 – eine Beziehung bestehen, die „nicht durch ein dazwischengeschaltetes Glied unterbrochen sei“.

[39] 6. Das deutsche BAG vertritt bei vergleichbarer Rechtslage zu § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BetrVG die Rechtsauffassung, dass ein Unternehmen den karitativen Bestimmungen nur dann diene, wenn die Hilfe von dem Unternehmen gegenüber körperlich, geistig oder seelisch leidenden Menschen direkt erbracht, also der Tendenzzweck in dem Unternehmen oder Betrieb selbst verwirklicht wird. Mit dieser Einschränkung werde dem Umstand Rechnung getragen, dass das Prinzip der Nächstenliebe Maßstab jedes – unternehmerischen – Handelns sein könnte, ohne dass es sich unmittelbar bei den Hilfsbedürftigen selbst verwirklicht werde. Daher bedürfe eine karitative Zielsetzung eines Unternehmens einer in konkreten Handlungen erkennbaren Umsetzung des Prinzips der Nächstenliebe gegenüber den Hilfsbedürftigen selbst (BAG 22.5.2012, 1 ABR 7/11 Rn 22). [...]

[40] 7.1. Den Literaturmeinungen folgend vertritt der erkennende Senat die Rechtsauffassung, dass ein Unternehmen/Betrieb dann „unmittelbar“ einer nach § 132 Abs 1 ArbVG geschützten Tendenz dient, wenn von außen erkennbar seine Arbeitsergebnisse überwiegend auf die Verfolgung eines besonders geschützten geistig-ideellen Zwecks ausgerichtet sind. Diese Zwecke müssen im Unternehmen oder Betrieb selbst verfolgt werden, sodass es für den Tendenzschutz nicht ausreichend ist, wenn in der Person des Betriebsinhabers geschützte Tendenzen vorliegen. Das Unmittelbarkeitserfordernis zielt – entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – nicht auf das Verhältnis zwischen der im Unternehmen/Betrieb verfolgten Tätigkeit und den jeweiligen schutzbedürftigen Zielpersonen ab, sondern auf das Verhältnis zwischen den mit dem Unternehmen/Betrieb verfolgten Zwecken und der bloßen Eigenschaft des Betriebsinhabers. Entscheidend ist also, welcher Betriebszweck nach außen hin in Erscheinung tritt. Ein Unternehmen oder Betrieb verfolgt dann seine ideellen Zwecke nicht unmittelbar, wenn es/er selbst nur die Aufgabe hat, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung eines der geschützten Zwecke zu schaffen, also nur indirekt der ideellen Zielsetzung zu dienen. Keine Voraussetzung ist aber, dass die Arbeitsergebnisse auch direkt bei jenen Zielpersonen ankommen, die mit der Tendenz erreicht werden sollen. Unmittelbar dient das Unternehmen/ der Betrieb vielmehr auch dann, wenn es/er von außen erkennbar andere Tendenzbetriebe in ihrer Arbeit unterstützt (Burger, Drittelbeteiligung der Belegschaft im Aufsichtsorgan eines karitativen Dachvereins? in FS Löschnigg [2019] 36 [45]).

[41] 7.2. Der bekl Verein als Dachorganisation seiner (karitativen) Mitgliedsverbände dient unmittelbar der Verfolgung eines karitativen bzw erzieherischen Zwecks, weil er – objektiv auch nach außen erkennbar – mit seinen Arbeitsergebnissen einen geschützten Zweck verwirklicht, indem er nach außen gegenüber Dritten und nach innen gegenüber seinen Mitgliedsverbänden den Weg für deren karitative und erzieherische Arbeit bereitet (vgl Burger, Drittelbeteiligung der Belegschaft im Aufsichtsorgan eines karitativen Dachvereins? in FS Löschnigg [2019] 36 [45]). Der Bekl hat als Dachorganisation zwar neben eigenen Projekten („GSC-run operations“) überwiegend Verwaltungsangelegenheiten zu erfüllen. Diese dienen jedoch im Ergebnis dazu, den Statutenzweck zu erreichen und die einzelnen Mitgliedsverbände in ihren Programmen zu unterstützen. Gerade aufgrund der Größe des Netzwerks und der weltweit operierenden Organisation ist ein gewisser übergeordneter Verwaltungsapparat notwendig. Alleiniger Zweck des Bekl ist es, die Betreuung der hilfsbedürftigen Kinder bestmöglich zu unterstützen. Damit dient der Betrieb unmittelbar karitativen und erzieherischen Zielen, weil die für den Betrieb charakteristischen Tätigkeiten, nämlich die Schaffung eines Netzwerks für die jeweiligen Mitgliedsvereine und deren organisatorische und finanzielle Unterstützung sowie das Betreiben einiger selbständigen Programme, nach außen auch als solche erkennbar sind. Insoweit ist der Sachverhalt mit jenem der E des deutschen BAG zum mangelnden Tendenzschutz des DRK-Blutspendedienstes nicht vergleichbar.

[42] 7.3. Dieses Ergebnis steht auch mit dem Sinn und Zweck des Tendenzschutzes in Einklang, nämlich dass die Realisierung einiger bestimmter ideeller Ziele nicht durch die volle Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte der AN gefährdet sein soll (9 ObA 107/17a). Nach dem Telos der Norm sollen folglich störende Eingriffe der betrieblichen Mitbestimmung vermieden werden. Somit muss dies auch dann gelten, wenn das Unternehmen/der Betrieb eine Dachorganisation von einem großen, weltweit agierenden Netzwerk darstellt. Ohne Tendenzschutz für die Dachorganisation würde genau das eintreten, was der Tendenzschutz des § 132 ArbVG zu vermeiden versucht, nämlich die Mitwirkung der AN-Vertreter im Aufsichtsorgan und damit eine mögliche störende Einflussnahme auf die Verfolgung der geschützten Ziele.

[43] 7.4. Da der Bekl ein Betrieb ist, welcher unmittelbar karitativen und erzieherischen Zwecken dient, besteht für den kl BR nach § 132 ArbVG kein Entsenderecht in den internationalen Senat.

[...]

ANMERKUNG

Der überschaubare Kreis der höchstgerichtlichen Entscheidungen zum Tendenzschutz des § 132 ArbVG wurde gleich um zwei weitere Urteile erweitert: In beiden Fällen war der Ausgangsstreitpunkt die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat einer Gesellschaft (bzw eines Vereins) und in beiden Fällen wurde die Entsendung mit Hinweis auf die Eigenschaft als karitativer (bzw erzieherischer) Tendenzbetrieb vom AG abgelehnt. Im Fall von S** Kinderdorf (im Folgenden: S**) hat der OGH den Tendenzschutz des bekl Vereins (S** International), der Dachorganisation der S** Kinderdörfer bzw Mitgliedsverbände, bejaht, im Fall der T** GmbH (im Folgenden: T**) dagegen212 verneint. Der Verfahrensausgang ist in beiden Fällen nicht überraschend und steht auch im Einklang mit der – wenn auch überschaubaren – Literatur zu diesem Thema. Die Besonderheit der Urteile liegt vielmehr darin, dass sie seit Inkrafttreten des ArbVG im Jahr 1973 die ersten höchstgerichtlichen Entscheidungen zu der Frage darstellen, ob überhaupt ein Tendenzbetrieb bzw -unternehmen gegeben ist. Die bisherigen OGH-Entscheidungen zu § 132 ArbVG haben sich bislang nur mit Fragen zur Reichweite des Tendenzschutzes, nicht aber mit der Eigenschaft als Tendenzbetrieb auseinandergesetzt.

1.
Der Tendenzschutz nach § 132 Abs 1 ArbVG

Der OGH hat sich in beiden Urteilen mit dem in der Literatur (siehe dazu Potz, Quo vadis Tendenzschutz? DRdA 2021, 13 f mwH) durchaus kontrovers diskutierten Tendenzschutz gem § 132 Abs 1 ArbVG auseinandergesetzt. Der Tendenzschutz betrifft das Spannungsfeld zwischen den betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsbefugnissen des BR einerseits und dem Schutz von Betrieben bzw Unternehmen mit einer vom Gesetzgeber als schutzwürdig erachteten Zweckbestimmung andererseits. Tendenzbetriebe werden partiell von einem Teil der Betriebsverfassung ausgenommen, wobei der in diesen Verfahren relevante § 132 Abs 1 ArbVG die Mitwirkung in wirtschaftlichen Angelegenheiten einschränkt. Der Grund für diese Beschränkung liegt im besonderen „Motivschutz“ der Unternehmen: Der Gesetzgeber möchte bei gewissen Betrieben bzw Unternehmen, die im Wesentlichen von einer immateriellen bzw ideellen Zielsetzung geprägt sind, verhindern, dass der BR auf diese besondere Ausrichtung Einfluss nehmen kann. Die Tendenzverwirklichung soll nicht durch den BR „unterwandert“ werden können. Dieses Telos manifestiert sich insb darin, dass § 110 ArbVG, also die Mitwirkung im Aufsichtsrat, auf Tendenzbetriebe keine Anwendung findet. In Tendenzbetrieben mit Aufsichtsrat gibt es daher keine AN-Vertretung. Dies war auch der Anlass für beide Verfahren, in denen der jeweilige BR auf Feststellung des Rechts auf Entsendung in den Aufsichtsrat geklagt hat. Es handelt sich dabei um eine Ausformung des so genannten absoluten Tendenzschutzes, der ohne Prüfung weiterer Voraussetzungen die Anwendung bestimmter Mitwirkungsbefugnisse ausschließt. Es ist daher irrelevant, ob sich die Mitwirkungsbefugnisse im konkreten Fall tatsächlich auf die Tendenz auswirken können oder nicht.

2.
Karitative Zwecksetzung

Die geschützten Tendenzen sind in § 132 Abs 1 ArbVG abschließend geregelt: politische, koalitionspolitische, konfessionelle, wissenschaftliche, erzieherische oder karitative Zwecke. In beiden Verfahren ging es um karitative Einrichtungen, wobei im Verfahren S** die Eigenschaft als karitatives Unternehmen im Gegensatz zum Fall T** an sich nicht strittig war. Nach hM (ausführlich zum Begriff der karitativen Tätigkeit Thüsing/Pötters, Karitative Tätigkeit und Tendenzschutz nach dem BetrVG – Zum Begriff des Karitativen im Sinne des § 118 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BetrVG, RdA 2011, 280) dient ein Unternehmen dann karitativen Zweckbestimmungen, wenn es den sozialen Dienst am körperlich, geistig oder seelisch leidenden Menschen zum Ziel hat und auf Heilung oder Milderung innerer oder äußerer Nöte des Einzelnen oder auf deren vorbeugende Abwehr gerichtet ist. Dies entspricht auch der dt Rsp zu § 118 Abs 1 BetrVG (vgl etwa BAG 22.7.2014, 1 ABR 93/12), an der sowohl die österreichische Literatur als auch Rsp Anleihen nimmt. Es geht dabei im Kern um den „uneigennützigen Einsatz für hilfsbedürftige Mitmenschen“ (Thüsing/Pötters, RdA 2011, 281). Daraus werden – neben der mildtätigen Ausrichtung – zwei weitere Kriterien als Voraussetzung für das Vorliegen einer karitativen Tätigkeit abgeleitet, nämlich (1.) das Fehlen von Gewinnerzielungsabsicht sowie (2.) die Freiwilligkeit. Unternehmen, die mit karitativer Tätigkeit auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, scheiden als Tendenzbetrieb aus. Das bedeutet aber nicht, dass die Hilfeleistung unentgeltlich sein muss. Dies zeigt sich auch am Verfahren S**: Unschädlich ist es, wenn ein Unternehmen kostendeckend agiert und ein etwaiger erwirtschafteter Überschuss wiederum unmittelbar für den karitativen Zweck eingesetzt wird, wie es bei S** der Fall ist. Gerade bei Krankenhäusern oder Pflegeheimen kann die Gewinnerzielung(sabsicht) oftmals dazu führen, dass sie nicht (mehr) als Tendenzbetriebe anzusehen sind (siehe dazu auch Wertheimer, Tendenzschutz privatrechtlich organisierter konfessioneller Krankenhäuser, ZAT 2015, 152).

Im Fall T** war der verfahrensentscheidende Aspekt aber die Frage nach der Freiwilligkeit der Tätigkeit. Die Besonderheit bestand in diesem Verfahren darin, dass es hier um die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben durch einen privaten Rechtsträger ging. Der Unternehmensgegenstand der bekl Gesellschaft T** war zwar nach dem Wortlaut des Gesellschaftsvertrages die Ausübung karitativer Tätigkeiten und die Gewinnerzielungsabsicht explizit ausgeschlossen, aber im Ergebnis hat die GmbH die vom Land übertragenen gesetzlichen Aufgaben wahrgenommen. Da das Unternehmen daher das „Instrument“ des Landes Tirol war, seinem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, hat der OGH zu Recht das Vorliegen der Freiwilligkeit und damit eine karitative Tätigkeit verneint, was auch der dtRsp zu § 118 BetrVG entspricht. Im vorliegenden Fall war sicherlich entscheidend, dass die GmbH ausschließlich zu dem Zweck gegründet wurde, die gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen. Aus dem Urteil kann allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass die Übernahme gesetzlicher Aufgaben stets der Qualifizierung als Tendenzbetrieb entgegensteht. In der Praxis kommen auch Fälle vor, wo bereits bestehende Tendenzbetriebe (zB humanitäre oder konfessionelle Einrichtungen) mit der Erfüllung gesetzlicher Aufgaben beauftragt werden, die sie zusätzlich zu ihren sonstigen Tätigkeiten übernehmen. Sollten daher freiwillige und „unfreiwillige“ karitative Tätigkeit zusammentref-213fen, ist iSd Geprägetheorie auf ein (qualitatives) Überwiegen abzustellen: Die besondere (freiwillige) Tendenz muss dem Betrieb (weiterhin) das Gepräge geben, die Verwirklichung gesetzlicher Ziele muss im Hintergrund stehen, ansonsten verliert der Betrieb bzw das Unternehmen seinen Tendenzschutz.

3.
Unmittelbare Zweckverfolgung

§ 132 Abs 1 ArbVG verlangt, dass Unternehmen und Betriebe unmittelbar den aufgezählten Zwecken dienen müssen, um ein Tendenzbetrieb zu sein. Genau dieser Punkt war im S**-Verfahren strittig, in dem es um die Eigenschaft als Tendenzbetrieb einer Dachorganisation, vergleichbar einer Konzernmutter, ging. Der kl BR (und auch das OLG Innsbruck als Berufungsgericht) war(en) der Ansicht, dass Unmittelbarkeit im konkreten Fall bedeutet, dass die karitative Tätigkeit „direkt“ an den hilfsbedürftigen Menschen erbracht werden müsse; eine bloß mittelbare Tätigkeit von S** International über die zwischengeschaltete S**-Mitgliederverbände sei dagegen nicht ausreichend. Diese Rechtsansicht hätte aber letztlich zu dem widersinnigen Ergebnis geführt, dass die Dachorganisation eines Netzwerkes von Tendenzbetrieben vom Tendenzschutz ausgenommen gewesen wäre, obwohl deren operative Tätigkeit allein auf die Unterstützung und Förderung der Mitgliedsverbände und deren Tendenzarbeit ausgerichtet ist. Der OGH ist daher völlig zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Dachorganisation, die wie im vorliegenden Fall eine koordinative, unterstützende und kontrollierende Funktion für ihre Verbände wahrnimmt, als Tendenzunternehmen zu qualifizieren ist. Die Dach- bzw Mutterorganisation trifft schließlich auch die relevanten Entscheidungen über die Ausrichtung der Verbände, die für die Tendenzverwirklichung relevant sind. Da insofern bei der Dachorganisation die Fäden der Tendenzbetriebe und -unternehmen zusammenlaufen, hat der BR kein Entsenderecht in den Aufsichtsrat der Dachorganisation. Diese Argumentation ist auch stringent in Hinblick auf die Entsendung in Aufsichtsräten ins herrschende Unternehmen innerhalb eines Konzern gem § 110 Abs 6 ArbVG, wo das Mitwirkungsrecht des BR auf der Möglichkeit der Einflussnahme des herrschenden Unternehmens basiert, vergleichbar dem Dachverband von S**.

Mit seinem Urteil bestätigt der OGH, dass der Tendenzschutz des § 132 Abs 1 ArbVG eine doppelte Prüfung verlangt, nämlich (1.) eine unmittelbare Zweckverfolgung und (2.) eine vorwiegende Verfolgung der Ziele. Das Höchstgericht hat klargestellt, dass die Unmittelbarkeit sich nicht auf die Frage bezieht, ob die karitative Leistung direkt gegenüber den hilfsbedürftigen Personen erbracht wird, sondern dass der Unternehmens- bzw Betriebszweck unmittelbar der Tendenzverwirklichung dient. Damit hat der OGH im Gegensatz zur dtRsp (vgl BAG 22.5.2012, 1 ABR 7/11) klarer zwischen der Auslegung des Begriffs der unmittelbaren Zwecksetzung einerseits und des Begriffs der karitativen Tätigkeit unterschieden.

In der E zum dt Blutspendedienst hat das BAG nämlich für die karitative Tätigkeit die direkte Hilfeleistung am körperlich, geistig oder seelisch leidenden Menschen gefordert. Das BAG hat dies zwar mit der Notwendigkeit der unmittelbaren Zweckerfüllung begründet, aber eigentlich damit den Begriff der karitativen Tätigkeit spezifiziert.

Nach der Rsp des BAG ist daher der karitativen Tätigkeit selbst eine Unmittelbarkeit immanent: „Daher bedarf eine karitative Zielsetzung eines Unternehmens einer in konkreten Handlungen erkennbaren Umsetzung des Prinzips der Nächstenliebe gegenüber den Hilfsbedürftigen selbst.“ Dies ist aber nicht mit der unmittelbaren Zwecksetzung deckungsgleich, was sich aus dem S**-Urteil auch klar ergibt: „Das Unmittelbarkeitserfordernis zielt – entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – nicht auf das Verhältnis zwischen der im Unternehmen/Betrieb verfolgten Tätigkeit und den jeweiligen schutzbedürftigen Zielpersonen ab, sondern auf das Verhältnis zwischen den mit dem Unternehmen/Betrieb verfolgten Zwecken und der bloßen Eigenschaft des Betriebsinhabers.“ Der OGH trägt damit auch der Genese des § 132 Abs 1 ArbVG Rechnung. Die Vorgängerbestimmung im BRG sah das Erfordernis der „Unmittelbarkeit“ noch nicht vor. Als Reaktion auf die auch vom OGH zitierte VwGH-E 2087/65 (Arb 8276) hat der Gesetzgeber im ArbVG klargestellt, dass der Tendenzschutz nur jene Unternehmen bzw Betriebe erfasst, die unmittelbar der geschützten Tendenz dienen. Eine programmatische Zielsetzung eines Betriebs reicht daher nicht aus, um unter die Ausnahmebestimmung des § 132 Abs 1 ArbVG zu fallen. Wie schon in den Gesetzmaterialien zum ArbVG festgehalten wurde, „muss vielmehr die im Betrieb entfaltete Tätigkeit selbst unmittelbar durch die besondere Zweckbestimmung charakterisiert sein“ (840 BlgNR 13. GP 91). Der Betriebszweck selbst muss daher objektiv erkennbar auf die Verwirklichung der besonderen Tendenz gewidmet sein. Aus der alten VwGH-E zum BRG war abzuleiten, dass es für den Tendenzschutz nicht ausreichend ist, dass der Betriebsinhaber ein Tendenzträger ist. Eine Druck- und Verlags-GmbH ist daher nicht allein deshalb ein Tendenzunternehmen, weil sie im Alleineigentum eines tendenzgeschützten katholischen Pressevereins steht. Die tendenzgeschützte konfessionelle Ausrichtung muss sich auch im konkreten Betriebszweck und den Arbeitsergebnissen widerspiegeln. Gleiches gilt für das vielfach in der Literatur zitierte Beispiel des Sägewerks (Strasser in Floretta/Strasser, ArbVG-Handkommentar [1975] 903 ff ), das von der Gewerkschaft betrieben wird. Auch das Sägewerk unterliegt nicht dem (koalitionspolitischen) Tendenzschutz, selbst wenn der Gewinn ausschließlich der Gewerkschaft zugute kommen sollte.

Das Kriterium der Unmittelbarkeit dient daher zur Klarstellung dafür, dass die Eigenschaft eines tendenzgeschützten Betriebsinhabers und die rein wirtschaftliche Unterstützung von tendenzgeschützten Zwecken nicht genügen, um die Mitwirkungsbefugnisse der Belegschaft in einem Betrieb bzw Unternehmen einzuschränken. Die geschützte214 Tendenz muss ihren Niederschlag im konkreten Betrieb finden, anderenfalls würde es zu einem unzulässigen Aushebeln der Rechte des BR kommen. Daher greift der Tendenzschutz auch nicht in Fällen, wo administrative Tätigkeiten (zB Lohnverrechnung) eines Tendenzunternehmens auf eine andere Gesellschaft ausgelagert werden. Die Lohnverrechnung ist eine bloße Hilfstätigkeit für das andere Tendenzunternehmen, stellt aber für sich keine (nach außen erkennbare) geschützte Tendenz dar.

Ausgangspunkt für die Prüfung der Unmittelbarkeit ist daher der „nach außen in Erscheinung tretende“ Betriebszweck, der nach objektiven Kriterien und nicht nach der subjektiven Zielsetzung des Betriebsinhabers zu prüfen ist. Bei einer Gesellschaft reicht es daher nicht aus, dass die Satzung den Tendenzzweck regelt, sondern dieser muss sich im Unternehmen auch realisieren (vgl Mohr, Grundlagen und Grenzen der Bildung eines mitbestimmten Aufsichtsrats der GmbH auf Initiative des Betriebsrats, BB 2009, 1808). Als zweiter Schritt ist zu prüfen, ob der geschützte Betriebszweck auch überwiegt. Der OGH stellt klar, dass die Zwecksetzung nicht ausschließlich verfolgt werden muss, sondern iSd Geprägetheorie überwiegen muss. Die dtRsp stellt dabei auf einen in Vergleich zu Österreich eher streng ausgelegten quantitativen Maßstab ab und prüft, ob das Unternehmen seine personellen und sonstigen Mittel regelmäßig in größerem Umfang zur Verwirklichung des tendenzgeschützten Zwecks einsetzt; bei personalintensiver Tätigkeit kommt es hier auf den zeitlichen Einsatz der AN an (vgl BAG 7 ABR 24/05 NZA 2006, 1422). Das Verständnis der Geprägetheorie in Österreich ist dagegen durch eine qualitativequantitative Betrachtung gekennzeichnet, die in aller Regel wohl nicht zahlenmäßig messbar sein wird (präzise Zuordnung von Betriebsmitteln zum Betriebszweck) und nicht einer formalistischen Berechnung wie in Deutschland unterworfen werden sollte.