62Kein Insolvenz-Entgelt für Mehr- und Überstunden bei nur zum Schein vereinbarter Teilzeit
Kein Insolvenz-Entgelt für Mehr- und Überstunden bei nur zum Schein vereinbarter Teilzeit
Der Kl wurde ab Beginn seiner Tätigkeit als Casino-Floormanager mit fester Diensteinteilung ausschließlich in Vollzeit beschäftigt. Gegenüber dem Sozialversicherungsträger wurde er aber nur als Teilzeitkraft angemeldet. Mehr- und Überstunden wurden während des rund 13 Jahre dauernden Dienstverhältnisses weder bezahlt noch in Zeitausgleich abgegolten. Der Kl beschwerte sich nie darüber, weil er mit seinem Arbeitsplatz, ungeachtet der auf dem Papier bestehenden Diskrepanz zwischen vereinbarter und tatsächlicher Arbeitszeit, sehr zufrieden war. Nachdem über das Vermögen des AG ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war, beantragte der Kl die Entgeltdifferenz als Insolvenz-Entgelt bei der IEF-Service GmbH. Die IEF-Service GmbH wies den Antrag ab. Auch die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts gerichtete außerordentliche Revision des Kl wurde vom OGH mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen.
Fraglich war in diesem Zusammenhang, ob der AN die Absicht, die Entgeltdifferenzen auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds (IEF) zu überwälzen, haben konnte oder dies zumindest billigend in Kauf genommen hat.
Gem § 1 Abs 2 IESG sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis dann gesichert, wenn sie aufrecht, nicht verjährt und nicht ausgeschlossenen sind. Eine atypische Vertragsgestaltung kann jedoch nach der stRsp des OGH die Geltendmachung von Insolvenz-Entgelt sittenwidrig machen. Danach sind Vereinbarungen, bei deren Abschluss die Parteien bereits damit rechnen mussten, dass sie letzten Endes zu Lasten des IEF gehen, als rechtsmissbräuchlich und damit als nichtig iSd § 879 ABGB zu qualifizieren.
Wirken in einer derartigen Situation AG und AN zusammen, so ist im Rahmen eines Fremdvergleiches (der auf das Verhalten eines maßgerechten AN abstellt) vom zumindest bedingten Vorsatz der Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den IEF und somit von einer bewussten Schädigung des IEF auszugehen.
Das Unterlassen eines Austritts wegen Entgeltvorenthalt wird dabei als gewichtiges Indiz für eine derartige Absicht des (säumigen) AN angesehen. Nach der stRsp kann zwar aus der zeitlichen Komponente des „Stehenlassens“ von Entgeltansprüchen allein nicht darauf geschlossen werden, dass der AN das Finanzierungsrisiko missbräuchlich auf den IEF überwälzen wollte. Allerdings kann im Einzelfall, wenn zum „Stehenlassen“ von Entgelt weitere Umstände hinzutreten, die konkret auf den Vorsatz des AN, das Finanzierungsrisiko auf den Fonds zu überwälzen, schließen lassen, die Geltendmachung eines Anspruchs auf Insolvenz-Entgelt missbräuchlich sein.
Ob aus einem „Stehenlassen“ der Entgelte in Verbindung mit den Umständen des Einzelfalls der zumindest bedingte Vorsatz der Verlagerung des Finanzierungsrisikos geschlossen werden kann, ist im Rahmen des „Fremdvergleiches“ zu beurteilen. Dieser besteht im Wesentlichen darin zu prüfen, ob anhand des einem „fremden“ AN (bei dem also der Interessengegensatz und das Bewusstsein des Risikos des Entgeltverlusts voll ausgeprägt ist) zu unterstellenden Verhaltens bei den konkreten Umständen des Anlassfalles auf den im Ergebnis relevanten „inneren“ – zumindest bedingten – Vorsatz geschlossen werden kann. In jedem Fall ist bei der Beurteilung, ob ein nach dem IESG gesicherter Anspruch vorliegt, nicht nur auf die Bezeichnung und Gestaltung des schriftlichen Vertrags, sondern auf die tatsächliche Handhabung des Vertragsverhältnisses abzustellen. Ergibt sich aus dem Fremdvergleich der Schluss, dass zumindest der bedingte Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, so kann dieser nicht durch einen Beweis über die konkreten Absichten des AN widerlegt werden.
Im Anlassfall stellt sich der wahre wirtschaftliche Gehalt des über 13 Jahre dauernden Arbeitsvertrags so dar, dass mit dem vom AG bezahlten Entgelt samt Trinkgeldern – mit Einverständnis des Kl – die gesamte regelmäßige Arbeitszeit abgedeckt werden sollte und Teilzeitarbeit nur zum Schein vereinbart war.
Die Rechtsansicht, wonach das Verhalten des Kl einem Fremdvergleich mit einem AN, der tatsächlich ein Teilzeitdienstverhältnis eingehen wollte 146und dem systematisch Entgelt in erheblicher Höhe vorenthalten wird, nicht standhält und eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des IEF indiziert, ist vor diesem Hintergrund nicht unvertretbar.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält sich somit im Rahmen der dargestellten Rsp. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.