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Zur Auslegung des Senioritätsprinzips bei betriebsbedingten Kündigungen nach KollV-Bord

MANFREDTINHOF
Pkt 68 KollV für das Bordpersonal 2015

Die Bekl ist ein österreichisches Luftfahrtunternehmen mit Sitz in Wien. Der Kl war als Flugkapitän auf einem Flugzeug der Type Dash 8 beschäftigt. Als Dienstort wurde Salzburg vereinbart. Der auf das Dienstverhältnis anzuwendende KollV für das Bordpersonal 2015 (in der Folge: KollV-Bord) enthält folgende Regelungen:

„39. Versetzung

Eine örtliche Versetzung, die den Zeitraum von 13 Wochen übersteigt, kann nur im Einvernehmen mit dem Dienstnehmer durchgeführt werden und ist vertraglich zu regeln. (…)

68.1 Objektiv betriebsbedingte Kündigungen erfolgen – unter Würdigung sozialer Umstände – in aufsteigender Reihenfolge der Kündigungsnummern unabhängig von Senioritätsrang und Flugzeugtype. (…)

68.2 Kündigungsreihenfolge bzw. Kündigungsnummer

Die Kündigungsnummer ergibt sich aus der fortlaufenden Reihung aller Piloten in der absteigenden Reihenfolge ihrer Senioritätsdaten (jüngstes Senioritätsdatum zuerst). (...)

69.2 Auch bei Teil-Betriebsstilllegungen ist bei einem erforderlichen Personalabbau Punkt 68. anzuwenden.“

Aus betriebswirtschaftlichen Gründen entschloss sich die Bekl im Jahr 2017 zur sukzessiven Ausflottung der verhältnismäßig kleinen Flugzeuge des Typs Dash 8 und zur Schließung des Standorts in Salzburg. Der Kl hätte seit 2017 die Möglichkeit gehabt, eine der ausgeschriebenen Stellen als Flugkapitän auf einem Airbus A320 oder einer Embraer 195 zu erlangen. Nach Ausflottung der genannten Flugzeuge mit März 2021 wurde dem Kl eine Umschulung zum Co-Pilot ohne Einkommenseinbuße angeboten. Dieser lehnte jedoch wegen der jeweils damit verbundenen Verlegung des Dienstorts nach Wien ab. Der Kl wurde in der Folge zum 31.12.2021 gekündigt und begehrte im gegenständlichen Verfahren die Feststellung des aufrechten Bestands seines Dienstverhältnisses. Die Kündigung habe gegen Pkt 68 KollV-Bord verstoßen, weil zuerst Kapitäne und Co-Piloten mit jüngerem Senioritätsdatum gekündigt hätten werden müssen.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil der OGH zum Vorliegen einer objektiv betriebsbedingten Kündigung nach Pkt 68 iVm Pkt 69 KollV-Bord noch nicht Stellung genommen habe. Der OGH hielt die Revision für zulässig, nicht aber für berechtigt und führte aus:

Da die Kündigung des Kl darauf zurückzuführen ist, dass sich die Bekl aus betriebswirtschaftlichen Gründen zur Schließung der Standorte in den Bundesländern und zur Ausflottung der Flugzeuge des Typs Dash 8 entschlossen hat, handelt es sich zwar entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen um eine objektiv betriebsbedingte Kündigung iSd Verständnisses des § 105 Abs 2 ArbVG in der Folge einer (Teil-)Betriebsstilllegung. Eine andere Frage ist aber die Auslegung des Begriffs der „betriebsbedingten Kündigung“ iSd KollV-Bord und in welcher Form bei der Schließung eines Standorts für den erforderlichen Personalabbau nach Pkt 69.2 KollV-Bord das Senioritätsprinzip gilt.

Die Rechtsansicht des Kl, dass er erst nach allen anderen für die Bekl tätigen dienstjüngeren Piloten gekündigt werden dürfe, würde dazu führen, dass er faktisch nicht gekündigt werden könnte. Der OGH hat im Übrigen bereits zu 9 ObA 52/95 vom 10.5.1995zu einem Senioritätsprinzip in einer früheren Regelung darauf hingewiesen, dass sich der Schutz des Senioritätsprinzips nur auf den Fall einer Kündigung wegen Pilotenüberschusses bezieht, im Übrigen aber ein freies Kündigungsrecht des AG besteht.166

Angesichts der Schließung des Standorts in Salzburg würde es keinen Sinn machen, wenn die Bekl anstelle des Kl dienstjüngere Piloten am Standort in Wien kündigen würde, obwohl dort gar kein Pilotenüberschuss besteht und diese Piloten zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs benötigt werden, der Kl aber gar nicht bereit ist, von dort aus zu arbeiten. Nach dem Wortlaut des Pkt 69.2 KollV-Bord gilt das Senioritätsprinzip im Fall einer (Teil-)Betriebsstilllegung für den „erforderlichen“ Personalabbau. Beim Kl wäre eine Kündigung aber gar nicht „erforderlich“ gewesen, vielmehr wurden ihm verschiedenste Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten angeboten. Da der Kl sich der von der Bekl angeordneten Verlegung des Dienstorts nach Wien widersetzt hat und die Versetzung ohne seine Zustimmung auch nicht möglich war, kann er sich nicht auf seine Seniorität gegenüber Piloten berufen, die in Wien beschäftigt und vom erforderlichen Personalabbau gar nicht betroffen sind.