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Anspruch auf angemessenes Entgelt, wenn mangels Ausbildungszwecks kein Praktikum, sondern ein Arbeitsverhältnis vorliegt

ADMIRBAJRIC

Der Kl absolvierte im Ausbildungszentrum der Bekl eine Ausbildung zum medizinischen Masseur. Diese Ausbildung beinhaltet einen theoretischen und einen praktischen Unterricht im Ausmaß von 815 Unterrichtseinheiten und ein Berufspraktikum von 875 Unterrichtseinheiten. Die Parteien schlossen einen schriftlichen Ausbildungsvertrag, in dem vereinbart war, dass das Ausbildungsverhältnis unentgeltlich ist.

Bereits nach einer 20 Minuten dauernden Probemassage führte der Kl am ersten Tag seiner Beschäftigung acht Massagen durch. Danach nahm die Bekl keine Überprüfung der Tätigkeit des Kl mehr vor. Der Kl arbeitete alleine ohne Aufsicht. In der Folge bekam der Kl einen Zettel mit seinen Arbeitszeiten und erhielt jeden Tag in der Früh einen Plan mit den zu massierenden Patienten. Die Arbeitszeiten wechselten zweimal. Am Montag und Mittwoch hatte er von 8:30 bis 18:00 Uhr, am Dienstag und Donnerstag von 10:30 bis 19:00 Uhr und am Freitag von 8:00 bis 14:00 Uhr Dienst. An den Tagen, an denen der Kl nicht im Betrieb anwesend war (Prüfung, Zahnarzttermin, Geburtstag) gab er dies der Bekl vorher bekannt. Ein Urlaubsansuchen musste er nicht stellen.

Das Berufungsgerichts vertrat die Rechtsauffassung, die Parteien hätten im Vertrag nur für ein Ausbildungsverhältnis Unentgeltlichkeit vereinbart, nicht aber für das tatsächlich in der Folge gelebte echte Arbeitsverhältnis, weshalb dem Kl ein angemessenes Entgelt gem § 1152 ABGB zustehe. Der OGH bestätigte die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts.

Er hielt fest, dass das „Praktikum“ (Volontariat) vom Ausbildungszweck bestimmt ist. Entscheidend ist, dass die konkrete Beschäftigung nach der vorzunehmenden Gesamtbeurteilung auch objektiv in erster Linie – im Interesse des Auszubildenden, sich entsprechend seinen Ausbildungsvorschriften praktische Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen – von diesem Ausbildungszweck bestimmt und geprägt und nicht im Interesse des Betriebsinhabers an Arbeitsleistungen für seinen Betrieb hauptsächlich an betrieblichen Zwecken und Erfordernissen orientiert ist. Weitere Kriterien für das Überwiegen des Ausbildungszwecks sind insb, dass der Beschäftigte Arbeiten, die nicht dem Ausbildungszweck dienen, nur in einem zeitlich zu vernachlässigenden Ausmaß verrichtet, dass Praktikanten größere Freiheiten bei der zeitlichen Gestaltung der Anwesenheit im Betrieb eingeräumt wird und dass eine Lohnverpflichtung fehlt. Charakteristisch ist auch die Ungebundenheit des Volontärs gegenüber dem Unternehmer. Dabei ist immer eine Gesamtbetrachtung entscheidend. Die Bezeichnung als Praktikum, Volontariat oder Ausbildungsverhältnis spielt bei der Beurteilung keine Rolle. Die rechtliche Qualifikation eines Vertrags hängt nicht vom Willen der vertragschließenden Teile und von der von ihnen gewählten Bezeichnung ab.

Außerdem ist laut OGH eine Beschäftigung als Arbeitsverhältnis und nicht als Praktikum zu qualifizieren, wenn der Praktikant (etwa) während der Urlaubszeit einen AN ersetzt, ferner an die betriebliche Arbeitszeit gebunden ist, Weisungen unterworfen, in den Arbeitsprozess eingebaut und damit in den Betrieb eingegliedert ist. Im Zweifel ist ein Praktikum nicht zu vermuten. Der Unternehmer ist daher dafür beweispflichtig, dass sich die von dem vorgeblichen Praktikanten ausgeübte Tätigkeit inhaltlich von der Tätigkeit der anderen bei ihm beschäftigten AN entsprechend unterscheidet.

Nach Ansicht des OGH ist es zwar richtig, dass eine Koordination eines vielseitigen Einsatzes eines Auszubildenden durch einen Dienstplan nicht grundsätzlich gegen die Annahme eines Praktikums spricht, doch hat hier die Bekl den Kl während der gesamten Dauer des Ausbildungsverhältnisses wie einen anderen bei ihr beschäftigten AN eingesetzt. Zutreffend ist laut OGH auch, dass die Verwertbarkeit von Arbeitsergebnissen dem Lern- und Ausbildungscharakter einer Tätigkeit nicht von vornherein entgegensteht. Jedoch wurde im Anlassfall der Kl bei der Bekl nicht ausgebildet und die Bekl hat daher auch nicht die im Zuge der Ausbildung erfolgten Arbeitsergebnisse des Kl verwertet, sondern sich der Tätigkeit einer – ihrer Ansicht nach – „unentgeltlichen“ Arbeitskraft bedient. Die Patienten der Bekl bezahlten für die Behandlungen des Kl gleich viel, wie sie einem AN der Bekl bezahlen hätten müssen. Die Bekl klärte ihre Patienten auch nicht darüber auf, dass sie von einem Praktikanten massiert werden.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision der Bekl zurückzuweisen.147