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Kein Kostenersatz für Nano-Knife-Behandlung

STEPHANIEPRINZINGER

Bei der Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG besteht grundsätzlich ein Vorrang der wissenschaftlich anerkannten schulmedizinischen Behandlungsmethoden. Zwar ist bei „Außenseitermethoden“ ein Kostenersatz nicht ausgeschlossen, er ist aber auf Ausnahmefälle beschränkt und wird nur dann gewährt, wenn eine zumutbare erfolgsversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst entweder nicht zur Verfügung stand oder erfolglos blieb, oder wenn schulmedizinische Behandlungsmethoden zu unerwünschten (erheblichen) Nebenwirkungen führen und durch alternative Heilmethoden der gleiche Behandlungserfolg (ohne solche Nebenwirkungen) erzielt werden kann. In allen Fällen ist jedoch erforderlich, dass mit der in Frage stehenden Behandlungsmethode typischerweise ein Erfolg erzielt werden kann, oder dass bewiesen wird, dass die Behandlungsmethode beim Versicherten erfolgreich war.

Sachverhalt

Beim Kl wurde im Juli 2021 ein Prostatakarzinom diagnostiziert und ihm als jeweils zumutbare Behandlungsmöglichkeit entweder die radikale Prostatektomie (Prostataentfernung) oder die Radiotherapie der Prostata vorgeschlagen. Am 15.9.2021 erfolgte im Rahmen eines ambulanten Eingriffs eine irreversible Elektroporation („IRE“; „Nano-Knife“), worüber dem Kl ein Betrag von € 14.780,- in Rechnung gestellt wurde, den er zur Gänze zahlte.

Verfahren und Entscheidung

Mit Bescheid vom 7.12.2021 wies die bekl Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) den Antrag des Kl auf Kostenerstattung für die in Anspruch genommene irreversible Elektroporation von € 14.780,- ab. Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage im Umfang von € 61,65 (Ersatz des Ambulanzkostenzuschusses) statt und wies das Mehrbegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Der Nachweis, dass die beanspruchte Methode bei ihm erfolgreich gewesen sei, sei dem Kl nicht gelungen.

Die außerordentliche Revision wurde vom OGH mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Originalzitate aus der Entscheidung

„1. Nach ständiger Rechtsprechung besteht bei der Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG grundsätzlich ein Vorrang der wissenschaftlich anerkannten schulmedizinischen Behandlungsmethoden. Ist eine Krankheit durch schulmedizinische Maßnahmen gut zu behandeln, gibt es keinen Anlass für die Finanzierung von „Außenseitermethoden“ im Sinn einer komplementär-medizinischen bzw alternativen Behandlung (10 ObS 149/19p SSV-NF 33/78; 10 ObS 26/14t SSV-NF 28/23).

2. Zwar ist bei einer von der Wissenschaft noch nicht anerkannten alternativen Behandlungsmethode („Außenseitermethode“) ein Kostenersatz nicht ausgeschlossen. Er ist jedoch auf Ausnahmefälle eingeschränkt und wird nur dann gewährt, wenn die komplementärmedizinische Heilmethode einer zweckmäßigen Krankenbehandlung entspricht und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet (RS0083806; RS0083801).

2.1. Dies setzt voraus, dass eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst nicht zur Verfügung stand oder eine solche versucht wurde und erfolglos blieb, während die „Außenseitermethode“ beim Versicherten erfolgreich war oder sie 180sich ex ante gesehen (zumindest) als erfolgversprechend darstellte (RS0083792 [T2]).

2.2. Wenn jedoch schulmedizinische Behandlungsmethoden zu unerwünschten (erheblichen) Nebenwirkungen führen und durch alternative Heilmethoden der gleiche Behandlungserfolg (ohne solche Nebenwirkungen) erzielt werden kann, kommt auch eine Kostenübernahme für alternative Heilmethoden durch den gesetzlichen Krankenversicherungsträger in Betracht (RS0102470 [T4, T7]). Auch dann ist jedoch erforderlich, dass mit der in Frage stehenden Behandlungsmethode typischerweise – also in einer für die Bildung eines Erfahrungssatzes ausreichenden Zahl von Fällen wirksam – ein Erfolg erzielt werden kann, oder wenn auch ohne diese Voraussetzungen bewiesen wird, dass die Behandlungsmethode bei dem Versicherten erfolgreich war (RS0083792).

3.1. Mit diesen Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung, insbesondere der Entscheidung 10 ObS 55/19i (SSV-NF 33/31), der auch die gegenständliche Behandlungsmethode zugrunde lag, stehen die Entscheidungen der Vorinstanzen im Einklang.

3.2. Soweit der Kläger in der Revision unter Hinweis auf einzelne Passagen des Sachverständigengutachtens meint, dass sich die gegenständliche Behandlung als erfolgversprechend dargestellt hätte und sie bei ihm erfolgreich gewesen sei, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Danach gibt es für diese experimentelle Methode aufgrund des kurzen Anwendungszeitraums noch keine Langzeitdaten und kann darüber hinaus derzeit nicht beurteilt werden, ob sie konkret beim Kläger einen Behandlungserfolg aufweist. Wenn die Vorinstanzen ausgehend von diesen Feststellungen, an die der Oberste Gerichtshof gebunden ist, zur Beurteilung gelangten, dass sich die Behandlungsmethode, für die der Kläger Kostenersatz begehrt, nicht als erfolgversprechend dargestellt habe, und dem Kläger auch der Nachweis nicht gelungen sei, dass sie konkret erfolgreich gewesen sei, ist darin eine Überschreitung des ihnen zukommenden Beurteilungsspielraums nicht zu erkennen.“

Erläuterung

Der OGH hat sich in der gegenständlichen E abermals mit dem Thema „Kostenersatz für eine Außenseitermethode“ nach § 133 ASVG befasst. Nach stRsp besteht bei der Krankenbehandlung grundsätzlich ein Vorrang der wissenschaftlich anerkannten schulmedizinischen Behandlungsmethoden. Der Kostenersatz für eine Außenseitermethode ist nicht ausgeschlossen, aber auf Ausnahmefälle beschränkt und wird nur gewährt, wenn eine zweckmäßige Krankenbehandlung, die das Maß des Notwendigen nicht überschreitet, vorliegt. Eine schulmedizinische Behandlungsmethode darf darüber hinaus entweder nicht zur Verfügung gestanden haben oder muss erfolglos geblieben sein, während die Außenseitermethode beim Versicherten erfolgreich war oder sie sich zumindest aus Ex-ante-Sicht als erfolgsversprechend darstellte. Führen schulmedizinische Behandlungsmethoden zu erheblichen Nebenwirkungen, kommt eine alternative Behandlungsmethode auch in Betracht. Voraussetzung ist aber auch hier, dass die Behandlung beim Versicherten erfolgreich oder erfolgversprechend war.

Im gegenständlichen Fall ging es ebenso wie in der gleich datierten OGH-E 10 ObS 122/22x vom 13.12.2022 um den Antrag auf Kostenerstattung für eine Therapie mit dem Nano-Knife (= IRE). In dieser Entscheidung wird die IRE wie folgt beschrieben: „Die IRE ist ein etablierter und effektiver Therapieansatz für lokal beschränkte Prostatakarzinomherde mit niedermalignen Prostatakarzinomzellen. Sie gilt als minimal invasive Therapie. Aufgrund des kurzen Anwendungszeitraumes gibt es keine Langzeitdaten. Da Langzeitergebnisse hinsichtlich der Tumorkontrolle und einer 5- 10-Jahre-Überlebensrate nicht vorliegen, wird diese Methode als experimentell eingestuft und gilt als Alternativtherapie. Bei der IRE wird das Krebsareal fokal behandelt, während bei der klassischen Methode die gesamte Prostata entfernt wird.“

Vorteile der IRE sind, dass diese ambulant durchgeführt wird, während bei der klassisch-operativen Vorgangsweise ein stationärer Aufenthalt von 7 bis 10 Tagen benötigt wird. Weiters sind die Operationsrisiken geringer, so treten Nebenwirkungen – vor allem Inkontinenz und Impotenz – im Vergleich zur radikalen Prostatektomie weniger häufig auf (OGH10 ObS 122/22x).

Bereits in der E 10 ObS 55/19i vom 28.5.2019 lehnte der OGH einen Kostenersatz für die IRE mit folgender Begründung ab: Würde man dem Standpunkt des Kl dahingehend folgen, dass ihm die schulmedizinische Behandlung (radikale Prostatektomie) wegen der damit verbundenen möglichen (erheblichen) Nebenwirkungen unzumutbar sei, so käme „grundsätzlich auch der Ersatz der Kosten einer Außenseitermethode in Betracht, sofern diese Methode im Vergleich zur schulmedizinischen Behandlung bei weitem höhere Erfolgsaussichten böte und erheblich geringere Nebenwirkungen mit sich brächte“. Dieser Nachweis ist dem Kl allerdings nicht gelungen, da weder ein ausreichender Erfahrungssatz zur Beurteilung vorlag, dass mit der „Nano-Knife-Methode“ typischerweise ein Behandlungserfolg erzielt wird, noch festgestellt werden konnte, dass die durchgeführte Behandlung beim Kl erfolgreich war.

Der OGH betont in dieser E, dass der Versicherte die Kosten der Behandlung nicht bis zum Erreichen einer entsprechenden Zahl von positiven Ergebnissen auch dann selbst tragen muss, wenn die neue Methode bei ihm bereits nachweislich erfolgreich war. Es ist jedoch bei der Erfolgsbeurteilung einer 181Krebserkrankung „der unmittelbare (ablationsbedingte) Behandlungserfolg und der intermediäre bis langfristige Behandlungserfolg zu unterscheiden“. In der E aus 2019 zweifelte der Kl zwar nicht an, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung der intermediäre bis langfristige Behandlungserfolg nicht beurteilt werden konnte, da die notwendige Zeitspanne noch nicht verstrichen war, um Langzeitbeobachtungsdaten festzustellen, er meint aber, durch Vorlage seiner MRT-Untersuchungsbefunde sei er seiner Beweislast für den konkreten Erfolg der Nano-Knife-Behandlung ausreichend nachgekommen. Dieses Vorbringen führte schon 2019 nicht zum Erfolg.

In der OGH-E10 ObS 122/22x war die IRE nach dem festgestellten Sachverhalt beim Kl insofern erfolgreich, als es zu einem Abfall des PSA-Werts führte und auf den MRT-Befunden kein Rest- oder Rezediv-Tumor festgestellt werden konnte. Es wurde dem Kl aber auch in dieser E vom OGH entgegengehalten, dass er sich nicht mit dem zentralen Argument des Berufungsgerichts auseinandersetzt, dass zum langfristigen Behandlungserfolg der IRE bei ihm noch nichts gesagt werden könne.

Auch in der nun vorliegenden E stützt sich der Kl darauf, dass die Behandlung bei ihm erfolgreich gewesen sei. Der OGH verweist dagegen erneut darauf, dass es zum einen für diese experimentelle Methode aufgrund des kurzen Anwendungszeitraumes noch keine Langzeitdaten gibt und darüber hinaus derzeit nicht beurteilt werden kann, ob sie konkret beim Kl einen (längerfristigen) Behandlungserfolg aufweist.

Der OGH hat demnach in allen Fällen entschieden, dass aufgrund von fehlenden Langzeitergebnissen und des fehlenden Nachweises eines konkreten Behandlungserfolges eine Kostenerstattung für die IRE nicht in Betracht kommt.