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Keine Kostenübernahme für Laseroperation einer angeborenen Kurzsichtigkeit zur erstmaligen Herstellung der vollen Dienst(Arbeits)fähigkeit

MONIKAWEISSENSTEINER

Aus den in Satz 2 des § 62 Abs 2 B-KUVG (bzw § 133 Abs 2 ASVG) genannten Zielen ergibt sich, dass sich der Anspruch auf Krankenbehandlung nicht nach rein medizinischen, sondern auch nach gesellschaftlichen und ökonomischen Kriterien richtet, weshalb nicht jede Störung des Wohlbefindens zu Lasten der KV zu beseitigen ist.

Eine nie (uneingeschränkt) vorhandene Dienstfähigkeit, mag sie auch auf einem regelwidrigen Körperzustand beruhen, kann hingegen weder wiederhergestellt, also erneut erlangt, gefestigt, dh gestärkt oder stabilisiert, noch gebessert, also im Vergleich zu vorher nicht noch besser gemacht werden.

Sachverhalt

Der Kl ist Berufssoldat beim Österreichischen Bundesheer, er hat eine dreijährige Intensivausbildung für den Einsatz im Jagdkommando absolviert. Das Jagdkommando ist weltweit bei Spezialeinsätzen tätig, etwa bei Geiselbefreiungen. Der Kl ist Kampfschwimmer bzw -taucher und Fallschirmspringer.

Der Kl hat anlagebedingt eine geringe Kurzsichtigkeit, die mit Kontaktlinsen korrigiert wurde und werden kann. Für Trainingsaufgaben ist der Kl uneingeschränkt einsetzbar, nicht jedoch für Einsätze, weil es zu Problemen mit der Kontaktlinsenversorgung kommen kann. Die Kurzsichtigkeit war beim Eintritt ins Bundesheer bekannt und wurde toleriert. Eine Korrektur wäre auch durch eine Brille oder eine Laseroperation möglich.

Mit Bescheid vom 9.2.2021 wies die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) den Antrag auf Kostenübernahme für eine refraktive Augenoperation ab.

Verfahren und Entscheidung

Mit seiner Klage begehrt der Kl die Übernahme der Kosten. Als Begründung wurden die besonderen Herausforderungen seiner Berufstätigkeit (Einsätze in Wüsten und Wäldern, arktischen und Dschungelgebieten) angeführt, auch das Tragen einer Brille sei bei manchen Einsätzen nicht möglich.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Da der Kl nach seinem eigenen Vorbringen bereits vor Dienstantritt nicht geeignet gewesen sei, alle Aufgaben eines Soldaten des Jagdkommandos zu erfüllen, scheide eine Wiederherstellung und Festigung seiner Arbeitsfähigkeit iSd § 62 Abs 2 B-KUVG aus. Denkbar wäre zwar allenfalls eine „Besserung“ seiner Dienst-(un-)fähigkeit. Nach den Wertvorstellungen der Gesellschaft zähle es aber nicht zu den Aufgaben der gesetzlichen KV, Versicherten einen Berufswunsch zu erfüllen oder Rekrutierungsprobleme von AG zu lösen, die für anspruchsvolle Tätigkeiten keine uneingeschränkt geeigneten Bewerber fänden. Wenn die Bekl eine ausreichende Leistung (Sehbehelfe) zur Verfügung stelle, bestehe kein Anspruch des Versicherten auf eine bestimmte andere Gesundheitsleistung.

Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der OGH noch nicht zur Frage Stellung genommen habe, ob ein Anspruch auf eine das Maß des Notwendigen an sich überschreitende Krankenbehandlung bestehe, wenn sie zur erstmaligen Herstellung der Dienstfähigkeit erforderlich sei.

Der OGH hält die Revision für zulässig, aber nicht für berechtigt.

Originalzitate aus der Entscheidung

„[…]

1.1. Mit § 62 Abs 2 B-KUVG (§ 132 Abs 2 ASVG) wird der Umfang des Krankenbehandlungsanspruchs festgelegt, den der Versicherte bei Vorliegen eines behandlungsbedürftigen Leidens geltend machen kann (10 ObS 315/00x SSV-NF 15/57). Die Begriffe „ausreichend“, „zweckmäßig“ und „notwendig“ im ersten Satz des § 62 Abs 2 B-KUVG sind dabei als Instrument gegen eine zweckwidrige Leistungsgewährung, das heißt, als Leistungsschranke zu verstehen (RIS-Justiz RS0106240), die die Belastungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Interesse des Patienten an einer weitestgehenden Deckung der bestmöglichen Krankenbehandlung in Einklang bringen soll (10 ObS 135/14x SSV-NF 28/73; 10 ObS 20/12g SSV-NF 26/19 ua). […]

1.2. Aus den in Satz 2 des § 62 Abs 2 B-KUVG (bzw § 133 Abs 2 ASVG) genannten Zielen ergibt sich, dass sich der Anspruch auf Krankenbehandlung nicht nach rein medizinischen, sondern auch nach gesellschaftlichen und ökonomischen Kriterien richtet, weshalb nicht jede Störung des Wohlbefindens zu Lasten der Krankenversicherung zu beseitigen ist. Weder soll der Idealzustand eines gesunden Menschen erreicht werden, noch ist es Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, dem Versicherten maximale Bedürfnisbefriedigung zu ermöglichen. In dem von einer objektiven Sichtweise geprägten Sozialversicherungsrecht muss vielmehr eine Grenze der Leistungspflicht dort gezogen werden, wo Bedürfnisse aus der höchstpersönlichen Lebenssphäre des einzelnen Versicherten prägend in den Vordergrund treten (10 ObS 111/13s SSV-NF 27/70 = DRdA 2014/32 [Petric]; 10 ObS 227/03k SSV-NF 18/65 = ZAS 2006/14 [Pfeil]). Geht ein einzelner mit diesen Wertvorstellungen nicht konform, muss er die Beseitigung oder Besserung des von ihm persönlich 191nicht tolerierten Zustands auf eigene Kosten veranlassen (10 ObS 227/03k SV-NF 18/65).

1.3. Darauf aufbauend entspricht es der von der Lehre gebilligten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass der Krankenbehandlungsanspruch letztlich (auch) von einem gesellschaftlichen Konsens darüber abhängt, dass die Kosten von der Versichertengemeinschaft und nicht vom Versicherten selbst getragen werden sollen, was sich insbesondere aus der gesetzlichen Auflistung der Ziele der Krankenbehandlung ergibt (10 ObS 111/13s SSV-NF 27/70;Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm [243. Lfg] § 133 ASVG Rz 26;Schober in Sonntag, ASVG13 § 133 Rz 9; Tomandl, Der Anspruch auf Krankenbehandlung, JAS 2021, 132 [137 f, 140]; Ettmayer/Posch, Gedanken zum Krankheitsbegriff – Erkenntnisse zur Potenz, DRdA 2006, 199 [200 f]).

2. Diese, schon von den Vorinstanzen erläuterten Grundsätze zieht der Kläger in der Revision nicht in Zweifel. Er geht auch selbst davon aus, dass er aufgrund seiner Fehlsichtigkeit für die von ihm angestrebte Tätigkeit im Rahmen von Kampfeinsätzen im In- oder Ausland weder uneingeschränkt diensttauglich ist noch bei Beginn seiner Ausbildung war. Darauf aufbauend räumt er zwar ein, dass es eine Grenze der Leistungspflicht der Krankenversicherung geben müsse. Er meint jedoch, diese sei nicht überschritten, weil nicht seine (höchst-)persönlichen Bedürfnisse, sondern das vitale Interesse der Gesellschaft im Vordergrund stünde, dass bei einem der wenigen grundsätzlich geeigneten Soldaten einer Spezialeinheit erstmals und dauerhaft die volle (uneingeschränkte) Dienstfähigkeit hergestellt werde. […]

3. Dem ist nicht zu folgen.

3.1. Nach den Feststellungen liegt ein medizinisch regelwidriger Körperzustand vor, der mit Mitteln der Krankenbehandlung beeinflusst werden kann. Zu klären ist daher, ob die begehrte Laserbehandlung unentbehrlich notwendig ist, um eines der Ziele der Krankenbehandlung zu erfüllen, und, wenn man dies verneint, ob es dennoch den Wertvorstellungen der Gesellschaft entspricht, deren Kosten zu decken.

3.2. […] Durch die Krankenbehandlung soll […] nicht die Arbeitsfähigkeit im Allgemeinen, sondern die Fähigkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden, die mit dem Dienstgeber konkret vereinbarten Aufgaben, hier also der Einsatz im Rahmen von Kampfeinsätzen im In- und Ausland, zu erfüllen. Das ist bei einem Dienstnehmer, der sich zu Diensten verpflichtet, die er – wie der Kläger selbst vorbringt – von Anfang an aus gesundheitlichen Gründen nicht leisten kann, nicht möglich. […] Eine nie (uneingeschränkt) vorhandene Dienstfähigkeit, mag sie auch auf einem regelwidrigen Körperzustand beruhen, kann hingegen weder wiederhergestellt, also erneut erlangt, gefestigt, das heißt, gestärkt oder stabilisiert, noch gebessert, also im Vergleich zu vorher nicht noch besser gemacht werden. Der Dienstnehmer hat in diesem Fall schlicht eine Tätigkeit (hier: Kampfeinsätze im In- und Ausland) mit dem Dienstgeber vereinbart, der er von Anfang an nicht gewachsen war. Das bedeutet freilich nicht, dass kein Anspruch auf Behandlung besteht. Liegt eine Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG vor, besteht selbstverständlich ein solcher Anspruch. Er orientiert sich aber an den anderen Zielen des § 133 Abs 2 Satz 2 ASVG, für deren Erreichen unter Umständen Behandlungen nicht notwendig sind, die bei der Beeinträchtigung besonderer beruflicher Anforderungen als unentbehrlich oder unvermeidbar zu erbringen wären. […]

3.3. Ebenso wenig entspricht es den (derzeit geltenden) Wertvorstellungen der Gesellschaft, die begehrte Laserbehandlung zu finanzieren. Der Kläger übergeht dabei zunächst, dass Maßstab für die Abwägung zwischen den Interessen des Patienten und der Versichertengemeinschaft nicht ein (vitales) Interesse der Gesellschaft an der (hier) Beseitigung der Fehlsichtigkeit, sondern das Ausmaß der „Betroffenheit“ des Patienten selbst ist (RS0083816 [T8]; 10 ObS 67/20f SSV-NF 34/51 ua). Damit sind die Auswirkungen der konkreten strittigen Behandlung auf den Patienten gemeint, bei deren Bewertung in erster Linie die absolute Priorität des Lebens zu beachten ist. Geringeren Stellenwert besitzen hingegen die körperliche Bewegungsfreiheit und die geistige Betätigungsfreiheit, die spezielle Ausformungen in der Arbeitsfähigkeit und Selbsthilfefähigkeit finden (10 ObS 135/14x SSV-NF 28/73; 10 ObS 111/13s SSV-NF 7/70).

Beim Kläger steht das Interesse im Vordergrund, erstmals eine ganz bestimmte Tätigkeit ausüben zu können, für die er – auch nach seinem eigenen Standpunkt – schon vor Beginn der Ausbildung nicht alle notwendigen körperlichen Voraussetzungen erfüllt hat bzw für die er nicht voll (dienst-)tauglich ist/war. […]

4. Der Ansicht des Berufungsgerichts, es habe keiner ergänzenden Feststellungen zu den Kosten der Laserbehandlung im Vergleich zu den Kosten der (weiteren) Versorgung mit Brillen oder Kontaktlinsen bedurft, weil die Beklagte dem Kläger eine ausreichende Leistung (Sehbehelfe) zur Verfügung stelle (so auch 10 ObS 111/13s SSV-NF 27/70 [Laserbehandlung]), hält der Kläger nichts Stichhältiges entgegen. Entgegen seiner Ansicht sind bei der von den Vorinstanzen angesprochenen Kosten-Nutzen-Analyse nicht die Kosten ins Verhältnis zu den Vorteilen der Gesellschaft oder seiner (bei Kampfeinsätzen andernfalls gefährdeten) Kameraden, sondern zum angestrebten Heilungserfolg zu setzen (10 ObS 174/93 SSV-NF 7/112 = RS0083823;Felten/Mosler in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 133 ASVG Rz 53).

[…]“

Erläuterung

Der OGH hatte sich in der vorliegenden E mit den Grenzen der Leistungspflicht der gesetzlichen KV auseinanderzusetzen. Im konkreten Fall ist der Kl infolge seiner Tätigkeit als Berufssoldat nach dem Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz 192(B-KUVG) bei der BVAEB versichert. Die für die Krankenbehandlung maßgebliche Bestimmung des § 62 Abs 2 B-KUVG entspricht dem wortgleichen § 133 Abs 2 ASVG. Der OGH konnte daher auf seine bisherige Rsp und die dazu bestehende Lehre verweisen. Die Besonderheit des Falls liegt darin, dass der Kl infolge seiner angeborenen Kurzsichtigkeit nie voll einsatzfähig für alle arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeiten war, was auch dem DG von Beginn an bekannt war. Gem § 62 Abs 2 B-KUVG (§ 133 Abs 2 ASVG) muss die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Es muss eine Krankheit, somit ein behandlungsbedürftiges Leiden vorliegen. Die Begriffe „ausreichend“, „zweckmäßig“ und „notwendig“ sind dabei als Instrument gegen eine zweckwidrige Leistungsgewährung, dh als Leistungsschranke zu verstehen, die die Belastungsfähigkeit der gesetzlichen KV mit dem Interesse des Patienten an einer weitestgehenden Deckung der bestmöglichen Krankenbehandlung in Einklang bringen soll.

„Ausreichend“ bedeutet dabei die Minimalgrenze, die Krankenbehandlung muss den medizinischen Erkenntnissen und dem Stand der Wissenschaft entsprechen; es muss eine hinreichende Chance auf die Erreichung eines von der Krankenbehandlung verfolgten Ziels bestehen. Eine Behandlung ist „zweckmäßig“, wenn sie nach den Erfahrungssätzen der medizinischen Wissenschaft mit hinreichender Sicherheit objektiv geeignet ist, die beabsichtigte Wirkung zu erzielen. „Notwendig“ ist eine Maßnahme, die zur Erreichung des Zwecks unentbehrlich oder unvermeidlich ist – somit gewissermaßen die Obergrenze der von der sozialen KV zu erbringenden Leistung. Auch die Ziele der Krankenbehandlung werden im Gesetz definiert – nämlich die Wiederherstellung, Festigung oder Besserung der Gesundheit, der Arbeitsfähigkeit und der Fähigkeit, für die lebensnotwendigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen. Daraus wird von Rsp und Lehre abgeleitet, dass sich der Anspruch auf Krankenbehandlung nicht nach rein medizinischen, sondern auch nach gesellschaftlichen und ökonomischen Kriterien richtet, weshalb nicht jede Störung des Wohlbefindens zu Lasten der gesetzlichen KV zu beseitigen ist. Dem Argument des Kl, dass neben seinen persönlichen Bedürfnissen auch das „vitale Interesse der Gesellschaft“ an einem vollwertig einsatzfähigen Soldaten zu berücksichtigen sei, wird vom OGH nicht gefolgt. Durch die Krankenbehandlung soll nicht die Arbeitsfähigkeit im Allgemeinen, sondern die Fähigkeit wiederhergestellt, gefestigt oder gebessert werden, die mit dem DG konkret vereinbarten Aufgaben, hier also ua einen Einsatz im Rahmen von Kampfeinsätzen im In- und Ausland, zu erfüllen.

Das Wiederherstellen, Festigen oder Bessern der Dienstfähigkeit setzt sowohl sprachlich als auch logisch voraus, dass diese zunächst einmal bestanden hat. Er hat jedoch eine Tätigkeit (hier: Kampfeinsätze im In- und Ausland) mit dem DG vereinbart, der er von Anfang an nicht gewachsen war. Das schließt einen Anspruch auf Krankenbehandlung bei Vorliegen einer Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG selbstverständlich nicht aus. Dieser Anspruch orientiert sich aber eben an den anderen Zielen des § 133 Abs 2 Satz 2 ASVG, für deren Erreichen (unter Umständen) Behandlungen nicht notwendig sind, die bei der Beeinträchtigung besonderer beruflicher Anforderungen als unentbehrlich oder unvermeidbar zu erbringen wären. Eine unbedingte medizinische Indikation für die Laseroperation besteht nach den Feststellungen aber nicht. Die Kurzsichtigkeit kann auch mit einer Brille oder Kontaktlinsen korrigiert werden. Dass der Kl mit seinem DG auch andere Aufgaben bzw Tätigkeitsbereiche vereinbart hat, für deren Bewältigung die Laserbehandlung eine unentbehrliche Maßnahme zur Wiederherstellung, Festigung oder Besserung seiner (dafür vorhandenen) Dienstfähigkeit bedeuten würde, wurde nicht vorgebracht, weshalb der OGH der Revision nicht Folge gegeben hat.