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Kostenersatz bei medizinischer Hauskrankenpflege nach Satzung

PIA ANDREAZHANG

Es liegt im Wesen eines Zuschusses, dass nur ein Teil der tatsächlich aufgewendeten Kosten ersetzt wird und es müssen daher auch keine Marktpreise ersetzt werden. Dies gilt auch für die medizinische Hauskrankenpflege.

Sachverhalt

Der Sohn der Kl leidet an einer neurologischen Grunderkrankung, aufgrund welcher schwere körperliche Behinderungen und Entwicklungsstörungen bestehen. In der Nacht muss er invasiv beatmet werden. Es sind Pflegemaßnahmen für das gastrointestinale System, das respiratorische System und die Lagerung erforderlich.

Derzeit wird der Sohn der Kl täglich fünf Stunden, vornehmliche durch Mitarbeiterinnen des Vereins M*, gepflegt. Dieser Verein hat keine Angehörige des gehobenen Dienstes der Gesundheits- und Krankenpflege mit Sonderausbildung Intensivpflege und Kinderintensivpflege zur Verfügung. Am Wochenende wird die Familie nach Bedarf vom Verein K* versorgt. Gesetzeskonform darf der vorliegende Betreuungs- und Pflegeaufwand nur von Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege mit der genannten Sonderausbildung in ständiger Anwesenheit erbracht werden.

Für die benötigte Intensivkrankenpflege stehen weder eigene Einrichtungen noch Vertragspartner zur Verfügung. Spezialisiert ist nur die C*, wobei der Preis für eine durchgehende 24-Stunden-Betreuung laut Kostenvoranschlag für Juni 2017 € 35.520,- beträgt.

Verfahren und Entscheidung

Den Antrag der Kl auf Kostenübernahme der häuslichen Intensivpflege aufgrund des Kostenvoranschlags hat die Bekl abgelehnt. Die Kl erhob dagegen Klage. Die Bekl wandte ein, dass nur Anspruch auf Kostenersatz nach Maßgabe der Satzung bestehe, also € 11,52 pro Stunde.

Das Erstgericht erkannte die Bekl im zweiten Rechtsgang schuldig, die Pflegekosten für die 24-Stunden-Betreuung im vollen Umfang mit einem Stundensatz gem § 38 Abs 1 Z 2 iVm Anlage 6 der Satzung der Bekl zu übernehmen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl, mit der sie die Zuerkennung der vollen Kosten begehrte, nicht Folge. Es sprach aber aus, dass die Revision zulässig sei, weil Rsp zur Kostenerstattung nach Marktpreisen iZm Hauskrankenpflege noch nicht vorliege und noch keine Auseinandersetzung der Lehre mit der OGH-E vom 18.2.2020, 10 ObS 103/19y, erfolgt sei.

Dagegen richtet sich die Revision der Kl, in welcher sie die Stattgebung des Klagebegehrens zur Gänze beantragt.

Über die Revision der Bekl sprach der OGH aus, dass sie entgegen dem nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig ist.

Originalzitate aus der Entscheidung

„1.1 Der Oberste Gerichtshof hat sich mit den auch hier zu behandelnden Rechtsfragen in der – einen vergleichbaren Sachverhalt behandelnden – Entscheidung 10 ObS 103/19y SSV-NF 34/8 ausführlich auseinandergesetzt, auf die die Vorinstanzen Bedacht genommen haben.

1.2 Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die Klägerin für ihren Sohn infolge seiner Erkrankung Anspruch auf medizinische Hauskrankenpflege hat. Die Beklagte hat dafür entsprechend der in diesem Umfang unangefochten gebliebenen Entscheidung des Erstgerichts einen Kostenersatz in Höhe von 11,52 EUR pro Stunde nach Maßgabe ihrer Satzung für eine 24-Stunden-Betreuung zu leisten.

2.1 Die Behauptung der Revisionswerberin, es bestehe keinerlei Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Ablehnung einer Leistungsverpflichtung des Krankenversicherungsträgers nach Marktpreisen im Zusammenhang mit der intensivmedizinischen Hauskrankenpflege, trifft nicht zu. In der gesetzlichen Krankenversicherung besteht kein Anspruch auf Kostenersatz nach Marktpreisen (RIS-Justiz RS0113972). In der Entscheidung 10 ObS 103/19y führte der Oberste Gerichtshof aus, dass die Krankenversicherungsträger auch nach – den auch hier anwendbaren – § 131b ASVG iVm § 131a ASVG nicht verpflichtet sind, Kostenzuschüsse vorzusehen, welche den Marktpreisen entsprechen, was sich schon aus der Bedeutung des Begriffs des Kostenzuschusses ergibt (Pkt 4.3). In dieser Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof auch die Rechtsprechung zu 10 ObS 68/04d, 10 ObS 67/04g nicht aufrecht erhalten und ausgeführt, dass in einem Fall medizinischer (Intensiv-)Hauskrankenpflege – wie auch im vorliegenden Fall – von der Anwendbarkeit des in § 38 Z 2 iVm Anhang 6 Z 4 der Satzung der Beklagten (Satzung 2016, AVSV Nr 143/2016) normierten Kostenzuschusses auszugehen ist.

2.2 Eine Entscheidung, selbst wenn sie bisher die einzige ist, die aber ausführlich begründet und mehrfach veröffentlicht wurde, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen und die auch vom Schrifttum ohne Kritik übernommen wurde, reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus (RS0103384). Die Entscheidung 10 ObS 103/19y wurde mehrfach veröffentlicht und es existieren – entgegen der Behauptung der Revisionswerberin – mehrere, zur hier relevanten Rechtsfrage zustimmende – Stellungnahmen zu ihr:199

2.2.1Pfeil (Kostenzuschuss bei medizinischer [Intensiv-]Hauskrankenpflege, DRdA 2021/5, 47) hat sich zu dieser Entscheidung bereits zustimmend geäußert. […]

2.2.2 Auch nachBurger (Kein Kostenersatz nach Marktpreisen bei häuslicher medizinischer Intensivpflege, DRdA infas 2020/112, 246) bleibt aus Anlass dieser Entscheidung unbefriedigend, dass gerade gravierendste Fälle die Probleme an den Schnittstellen und Finanzierungsgrenzen am sichtbarsten machen […]. Insofern sei allerdings der Gesetzgeber dringend gefordert, beispielsweise durch Einführung eines „onestop shop Prinzips“ den Zugang zur Sachleistungsversorgung sicherzustellen und die Abrechnungsmodalitäten von den Erkrankten fernzuhalten. […]

3. Die Revisionswerberin macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, dass ihr Sohn nach dem Wiener Chancengleichheitsgesetz (LGBl 2010/45, CGW) keinen Rechtsanspruch auf Leistungen einer Intensivpflege hätte, sodass dieses Argument des Obersten Gerichtshofs gegen eine Erstattung der Kosten nach Marktpreisen aus der Entscheidung 10 ObS 103/19y nicht zum Tragen komme. Der Grund dafür, dass eine Erstattung nach Marktpreisen nicht erfolgen kann, liegt jedoch in den in dieser Entscheidung und auch oben dargestellten gesetzlichen Bestimmungen. Der Verweis auf das CGW stellte in der Entscheidung 10 ObS 103/19ylediglich ein Hilfsargument zur Frage der Kostenerstattung nach Marktpreisen dar. Er erfolgte vor allem, um auch in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass das österreichische Gesundheitssystem in Grenzfällen mehrere Verantwortlichkeiten und nicht nur jene der Beklagten kennt.

4.1 Die Revisionswerberin macht weiters geltend, dass der Kostenzuschuss von 11,52 EUR pro Stunde weniger als ein Viertel des vom Erstgericht festgestellten angebotenen Stundensatzes ausmache. Im Vergleich dazu sei der Kostenzuschuss in der Entscheidung 10 ObS 103/19y prozentuell doppelt so hoch gewesen. Darüber hinaus beziehe der Sohn der Klägerin keine Leistungen des Sozialhilfeträgers. Die Höhe des Kostenzuschusses erschwere die faktische Inanspruchnahme externer Pflegeleistungen daher unzumutbar.

4.2 Dem ist entgegenzuhalten, dass der Kostenzuschuss in der Entscheidung 10 ObS 103/19y 28,8 % der Bruttokosten und 38,4 % des Nettostundenlohns deckte, daher nicht „doppelt“ so viel wie im vorliegenden Fall, in dem der Kostenzuschuss etwa 23 % der monatlichen Kosten von 35.520 EUR deckt. In der Entscheidung 10 ObS 103/19y hat der Oberste Gerichtshof dazu ausgeführt, dass dem Krankenversicherungsträger nach der – dort dargestellten – Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zusteht. […] Es liegt im Wesen eines Zuschusses, dass er nur einen Teil der tatsächlich aufgewendeten Kosten ersetzt. Der von der Satzung nunmehr vorgesehene Kostenzuschuss für medizinische Hauskrankenpflege wurde nicht nur gegenüber den in 10 ObS 68/04d, 10 ObS 67/04g und 10 ObS 35/05b SSV-NF 19/27 entschiedenen Fällen deutlich erhöht, er berücksichtigt darüber hinaus auch ein zeitlich unterschiedliches Ausmaß, da er die Festlegung des Anspruchs nach Stunden zulässt. Auch unter Berücksichtigung der konkreten Verfahrensergebnisse ist nicht davon auszugehen, dass der von der Satzung vorgesehene Kostenzuschuss für medizinische Hauskrankenpflege den dem Krankenversicherungsträger zustehenden Gestaltungsspielraum offensichtlich verletzt. […]“

Erläuterung

Der OGH hat sich im gegenständlichen Beschluss einerseits mit der Frage, wann eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegt und andererseits auch inhaltlich mit dem Kostenersatz für Hauskrankenpflege auseinandergesetzt.

Im vorliegenden Fall hat der OGH ausgesprochen, dass keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nach § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wurde und die Revision daher zurückgewiesen. In der E 10 ObS 103/19y vom 18.2.2020 (vgl DRdA-infas 2020/04) hat sich der OGH bereits ausführlich mit einem ähnlichen Sachverhalt auseinandergesetzt. Auch wenn es sich nur um eine einzige Entscheidung handelt, reicht dies für das Vorliegen einer gesicherten Rsp aus, da sie veröffentlicht wurde und es mehrere zustimmende Stellungnahmen im Schrifttum gibt (vgl RS0103384).

Inhaltlich hat der OGH in seiner E10 ObS 103/19y bereits ausgesprochen, dass kein Anspruch auf Ersatz von marktüblichen Preisen für die medizinische Hauskrankenpflege besteht, sondern nur ein Kostenersatz nach Maßgabe der Satzung zusteht. Das gilt auch im vorliegenden Fall.

Versicherte haben zwar Anspruch auf eine ausreichende Versorgung, die Krankenversicherung ist aber nicht verpflichtet, alle denkbaren und medizinisch möglichen Leistungen als Sachleistungen zu erbringen. Kostenzuschüsse nach § 131b ASVG iVm § 131a ASVG müssen nicht den Marktpreisen entsprechen. Sie dürfen aber auch nicht bloß ein geringfügiger, wirtschaftlich kaum ins Gewicht fallender Ersatz sein (dies wurde zB bei einem Kostenersatz von 13 % angenommen: V97/30). Der Kostenersatz im vorliegenden Fall deckt 23 % der Kosten ab und liegt somit im Rahmen des Gestaltungsspielraums des Krankenversicherungsträgers.

Auch wenn die E des OGH rechtlich nachvollziehbar ist, kann es in vergleichbaren Sachverhalten für Betroffene zu massiven finanziellen Härten kommen. Der gegenständliche Fall zeigt die Folgen fehlender Vertragspartner:innen auf, durch die eine Sachleistungsversorgung gewähr200leistet wäre, aber auch der unbefriedigenden Regelung der Hauskrankenpflege im Speziellen. Hier sind die Akteur:innen des Gesundheitswesen gefordert, verstärkt zusammenzuarbeiten und dadurch Verbesserungen für die Patient.innen zu erreichen.