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Unberechtigte Entlassung eines als Angehöriger der COVID-19-Risikogruppe freigestellten Arbeitnehmers wegen geringfügigen Verstoßes gegen die COVID-19-Lockerungsverordnung in dessen Freizeit

FRANKHUSSMANN

Der Kl war seit dem Jahr 2004 bei der Bekl als „administrative Fachkraft“ beschäftigt. Er ist begünstigter Behinderter iSd BEinstG und gehört zur COVID-19-Risikogruppe. Nachdem die Bekl den Kl über die Notwendigkeit der Vorlage eines „COVID-19-Risiko-Attests“ informierte, legte dieser anschließend ein solches Attest vor. Daraufhin stellte die Bekl den Kl am 27.5.2020 nach § 735 Abs 3 ASVG dienstfrei. Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie informierte die Bekl ihre AN mit „interner Mitteilung“ vom 18.3.2020, dass sie aufgrund ihrer Treuepflicht auch in der Freizeit verpflichtet seien, alle Tätigkeiten und Verhaltensweisen zu unterlassen, die zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen, weshalb beispielsweise eine Tätigkeit als freiwillige Rettungssanitäter mit den Dienstpflichten nicht vereinbar sei. Erst ab 1.7.2020 erlaubte die Bekl ihren AN ehrenamtliche Tätigkeiten „unter Beachtung des sich aus der Treuepflicht ergebenden Verhaltens“.

Im Sommer 2020 nahm der Kl an mehreren Sportschützenveranstaltungen teil, die jeweils am Wochenende stattfanden. Bei diesen Veranstaltungen herrschte Maskenpflicht. Die Teilnehmer mussten sich die Hände desinfizieren und am Schießstand Sicherheitsabstände einhalten. Nur während des Schießens durfte die Maske abgenommen werden. Der Kl hielt sich an diese Vorgaben. Nur bei der Siegerehrung und dem anschließenden Gruppenfoto nahm er die Maske kurzfristig ab, setzte sie danach aber sogleich wieder auf. Damit verstieß der Kl gegen § 8 Abs 1 der damals geltenden COVID-19-Lockerungsverordnung (BGBl II 2020/197), wonach beim Betreten von Sportstätten gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten und eine Maske zu tragen war. Nachdem Bilder einer Siegerehrung, auf denen der Kl zu sehen war, im September 2020 in einer Gemeindezeitung veröffentlicht wurden, erklärte die Bekl dem Kl am 16.10.2020 die Entlassung.

Das Erstgericht entsprach dem Klagsbegehren des Kl, qualifizierte die Entlassung als unwirksam und stellte den aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses fest. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision 149mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO als nicht zulässig. Der OGH wies die außerordentliche Revision der Bekl, mit der sie eine Klagsabweisung anstrebte, als zulässig, aber nicht berechtigt zurück.

Der OGH führte zur Zulässigkeit aus, dass diese im konkreten Fall gegeben ist, weil keine Rsp zu den Verhaltenspflichten eines AN während einer Dienstfreistellung nach § 735 Abs 3 ASVG vorliegt.

Zur fehlenden Berechtigung des Revisionsbegehrens stellte der OGH zunächst fest, dass nach § 27 Z 1 letzter Fall AngG ein AG zur vorzeitigen Entlassung berechtigt ist, wenn sich der AN einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des AG unwürdig erscheinen lässt. Dies erfordert eine Verhaltensweise, die befürchten lässt, dass der AN seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen wird, sodass die dienstlichen Interessen des AG gefährdet sind. Auch ein Verhalten, das – wie im vorliegenden Fall – außerhalb des Dienstes gesetzt wurde, kann die Entlassung rechtfertigen, wenn es geeignet war, das dienstliche oder geschäftliche Vertrauen des AG zu beeinträchtigen. Bei der Beurteilung, ob der AN den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit gesetzt hat, ist aber nicht auf das subjektive Empfinden des AG abzustellen, sondern stets eine objektive Wertung des Verhaltens des AN vorzunehmen. In dem Zusammenhang führte der OGH weiter aus, dass nicht jede von einem AN begangene Ordnungswidrigkeit bereits einen Entlassungsgrund darstellt, sondern dafür erforderlich ist, dass der AN Interessen des AG so schwer verletzt, dass diesem eine weitere Zusammenarbeit auch nicht für die Zeit der Kündigungsfrist zugemutet werden kann.

In der vorliegenden bloß kurzfristigen Missachtung des verordneten Mindestabstands und der Maskenpflicht (§ 8 Abs 1 der damals geltenden COVID-19-Lockerungsverordnung schon) zur Erstellung des Gruppenfotos sah der OGH aufgrund der Geringfügigkeit dieses Verstoßes keinen Grund, der eine Entlassung nach § 27 Z 1 letzter Fall AngG rechtfertigt.

Zum Schutzzweck des § 735 Abs 3 ASVG (Freistellung von Personen, die der COVID-19-Risikogruppe angehören) führte der OGH aus, dass durch diese Vorschrift AN, die aufgrund einer Vorerkrankung besonders gefährdet sind, vor jenen Infektionsrisiken, denen sie an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt wären, geschützt werden. Laut OGH ist eine Freistellung nach § 735 Abs 3 ASVG von vornherein nicht dazu geeignet, einen AN vor jeden Infektionsrisiken zu schützen, die mit einer Freizeitgestaltung verbunden sind. Dem Gesetz sind auch keine konkreten Hinweise zu entnehmen, dass ein AN, der als Angehöriger der COVID-19-Risikogruppe eine Freistellung in Anspruch genommen hat, besonderen Verhaltenspflichten unterliegen würde, die über die sich im Allgemeinen in einem Arbeitsverhältnis ergebenden Verhaltenspflichten hinausgehen. Dem Gesetzgeber kann auch nicht unterstellt werden, dass er eine bestimmte Personengruppe aufgrund ihrer Vorerkrankung massiven Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit unterwerfen hätte wollen, ist doch auch ein Verbleib am Arbeitsplatz möglich, wenn entsprechende Sicherheitsmaßnahmen bestehen. Dabei verwies der OGH auch darauf, dass bei Anforderungen an das Verhalten des AN in der Freizeit, die über die behördlich verordneten Verhaltensregeln hinausgehen, äußerste Zurückhaltung geboten ist, weil auch eine Pandemie die Privatsphäre des AN nicht über Gebühr einschränken darf. In dem Zusammenhang erinnerte der OGH ferner daran, dass AN die regelgerechte Ausübung selbst gefährlicher Sportarten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, selbst wenn damit erhöhte Risiken verbunden sind, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führen können. Dass der Kl der COVID-19-Risikogruppe zugehört und im Fall einer Infektion besonders gefährdet ist, kann laut OGH jedenfalls nicht dazu führen, dass ihm im Lichte einer Freistellung gem § 735 Abs 3 ASVG jede Teilnahme am öffentlichen Leben von vornherein versagt wäre. In diesem Sinne ist dem Kl die Teilnahme an den Sportschützenveranstaltungen auch deshalb nicht vorzuwerfen, weil die strengen Sicherheitsvorkehrungen das ihn spezifisch treffende Risiko einer Infektion minimiert haben.

Zum Argument der Bekl, dass der Kl gegen ihre Weisung verstoßen habe, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führen, stellte der OGH fest, dass eine Anordnung des AG, deren Nichtbefolgung einen Entlassungsgrund rechtfertigt, sich innerhalb der durch den Arbeitsvertrag und durch die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten gezogenen Grenzen halten muss und sich zudem nur auf die nähere Bestimmung der konkreten Arbeitspflicht oder auf das Verhalten des AN im Betrieb erstrecken kann. Demgegenüber unterliegt der AN bei der Gestaltung seiner Freizeit grundsätzlich nicht dem Weisungsrecht seines AG. Zudem bestanden im fraglichen Zeitraum ab dem 1.7.2020 keine konkreten Anordnungen des AG mehr bzw waren die Vorgaben/Schutzvorschriften der VO II 197/2020 für diesen offensichtlich ausreichend.

Abschließend hielt der OGH im Ergebnis zusammenfassend fest, dass dem Kl allein die Teilnahme an den Sportschützenveranstaltungen angesichts der dort maßgeblichen Sicherheitsvorkehrungen trotz seiner Zugehörigkeit zur COVID-19-Risikogruppe nicht zum Vorwurf gemacht werden kann und der Verstoß gegen die VO II 197/2020 so geringfügig war, dass die Bekl nicht zur Entlassung berechtigt gewesen ist.150