Das HinweisgeberInnenschutzgesetz

WALTERGAGAWCZUK

2019 wurde auf europäischer Ebene die sogenannte Whistleblower-Richtlinie (Richtlinie [EU] 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, im Folgenden kurz: RL) beschlossen. Ziel der RL ist es, zum Schutz des öffentlichen Interesses Mindeststandards zur Gewährleistung eines wirksamen HinweisgeberInnenschutzes zu schaffen, um die Rechtsdurchsetzung zu verbessern. Die Umsetzungsfrist endete am 17.12.2021. Österreich war säumig und daher wurde von der Europäischen Kommission zwischenzeitlich ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Nunmehr ist Österreich seinen Verpflichtungen jedoch nachgekommen und die Umsetzung erfolgte durch das HinweisgeberInnenschutzgesetz (HSchG), welches am 25.2.2023 in Kraft getreten ist. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über das Gesetz gegeben.

1.
Der Geltungsbereich

Das Gesetz unterscheidet zwischen einem persönlichen Geltungsbereich (Wer ist als Hinweisgeber:in geschützt?) und einem sachlichen Geltungsbereich (Welche rechtlichen Vorschriften sind erfasst?).

Der persönliche Geltungsbereich setzt bei der beruflichen Bindung zu einem Rechtsträger des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts* an. Geschützt sind daher neben AN und Bediensteten des Rechtsträgers insb auch überlassene Arbeitskräfte, Bewerber:innen, Personen in Ausbildung iwS (Praktikant:innen, Volontär:innen, sonstige Auszubildende), selbstständige Personen, Subunternehmer:innen, Lieferant:innen, Mitglieder der Geschäftsführung oder des Aufsichtsrats und Gesellschafter:innen bzw Anteilseigner:innen. Geschützt sind weiters auch Personen, die diese Personen unterstützen oder von Vergeltungsmaßnahmen in Folge der Hinweisgebung betroffen sein können.*

Die berufliche Bindung muss nicht mehr aufrecht sein. Auch Personen, deren Arbeitsverhältnis bereits gelöst wurde oder die nicht mehr in einer Geschäftsverbindung zum jeweiligen Rechtsträger stehen, sind daher erfasst.

Der sachliche Geltungsbereich betrifft die Verletzung von Vorschriften in bestimmten im Gesetz konkret angeführten Bereichen, wie etwa das öffentliches Auftragswesen, Geldwäsche, Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz, die Verletzung bestimmter Binnenmarktvorschriften sowie Straftaten gem den §§ 302 bis 309 StGB (strafbare Verletzungen der Amtspflicht, Korruption und verwandte strafbare Handlungen). Es ist also nur ein Teil der möglichen Rechtsverletzungen durch das HSchG erfasst. In der Praxis iZm Whistleblowing wichtige Bereiche, wie insb Betrug, Untreue, Bilanzfälschung, Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung, Lohndumping oder die Verletzung von Vorschriften des AN-Schutzes fallen grundsätzlich nicht in den Geltungsbereich. Der Hintergrund dafür ist vorrangig, dass die RL aus kompetenzrechtlichen Gründen nur bestimmte EU-rechtlich geregelte Bereiche abdecken kann bzw abdeckt. In Erwägungsgrund 5 der RL wird zwar angeregt, den Anwendungsbereich im Zuge der Umsetzung auf andere Bereiche auszudehnen, Österreich hat diese Anregung jedoch nur in Bezug auf die konkret angeführten Strafdelikte aufgegriffen.*

Ausdrücklich ausgenommen vom HSchG sind bestimmte sensible Bereiche, wie etwa die Verschwiegenheitspflichten der Gesundheitsberufe, Rechtsanwält:innen und Seelsorger:innen.* Sonderbestimmungen gibt es auch hinsichtlich sogenannter klassifizierter Informationen bzw Verschlusssachen, also Angelegenheiten im Interesse der nationalen Sicherheit.*

Weiters eingeschränkt wird der Geltungsbereich durch einen Schwellenwert von 50 AN bzw Bediensteten.* Ausgenommen davon sind nur bestimmte im 212Anhang zur RL angeführte Unternehmen.* Das HSchG gilt also grundsätzlich nur für Rechtsträger ab der genannten Größenordnung. Der angeführte Schwellenwert von 50 findet sich zwar auch in der RL, jedoch nur für die Verpflichtung, interne Meldestellen einzurichten, jedoch nicht für den Anwendungsbereich an sich! Diese Einschränkung im HSchG hat somit keine Grundlage in der RL und ist – zumal es sich bei der RL um einen Mindeststandard handelt – somit auch nicht richtlinienkonform.*

2.
Die Meldestellen

Es wird zwischen internen und externen Meldestellen unterschieden. Unternehmen und juristische Personen des öffentlichen Sektors mit 50 oder mehr AN oder Bediensteten sind verpflichtet, eine interne Meldestelle einzurichten.* Kein Schwellenwert besteht für bestimmte im Anhang zur RL angeführte Unternehmen.* Für den Bund ist grundsätzlich die Leiterin oder der Leiter der Bundesdisziplinarbehörde mit den Aufgaben der internen Stelle beauftragt.*

Für die Einrichtung dieser Meldestellen bestehen bestimmte Mindestanforderungen. Insb sind sie mit den notwendigen finanziellen und personellen Mitteln auszustatten und so sicher zu planen, einzurichten und zu betreiben, dass die Vertraulichkeit der Hinweisgeberin oder des Hinweisgebers und Dritter, die in der Meldung erwähnt werden, gewahrt bleibt.* Die interne Stelle hat auf Verlangen die Entgegennahme von Hinweisen spätestens nach sieben Kalendertagen schriftlich zu bestätigen und innerhalb von drei Monaten bekanntzugeben, welche Folgemaßnahmen ergriffen wurden, noch ergriffen werden oder aus welchen Gründen der Hinweis nicht weiter verfolgt wird.*

Externe Meldestelle ist grundsätzlich das Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung. Gibt es für einen bestimmten Bereich jedoch schon eine Meldestelle, dann ist diese zuständig, wie etwa für Geldwäsche die einschlägige Meldestelle auf Grund des Bundeskriminalamt-Gesetzes.*

3.
Schutz des Hinweisgebers bzw der Hinweisgeberin

Ein zentraler Bereich des HSchG sind die Bestimmungen zum Schutz der Hinweisgeber:innen. Dieser Schutz erfolgt einerseits durch die bereits angeführte Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit und andererseits durch den Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen, wie etwa Kündigung, Versagung einer Beförderung, negative Leistungsbeurteilung, Disziplinarmaßnahmen und Ersatz des Schadens inklusive Entschädigung für die persönliche Beeinträchtigung bei Einschüchterung, benachteiligender Behandlung, Rufschädigung etc.* Hinweisgeber:innen haften auch nicht für tatsächliche oder rechtliche Folgen eines berechtigten Hinweises und unterliegen grundsätzlich keinen Geheimhaltungsverpflichtungen.*

Für den Fall, dass ein Hinweisgeber oder eine Hinweisgeberin in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren geltend macht, dass eine Benachteiligung (zB Entlassung) infolge eines Hinweises erfolgte, sieht die RL eine Beweislastumkehr vor. Es obliegt dann der Person, die die benachteiligende Maßnahme ergriffen hat, zu beweisen, dass diese Maßnahme auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte. Die österreichische Umsetzung sieht in diesem Zusammenhang – richtlinienwidrig – bloß eine Beweiserleichterung vor.*

Für den Fall, dass Personen iZm einer Hinweisgebung behindert werden, durch mutwillige Verfahren unter Druck gesetzt oder Vergeltungsmaßnahmen gesetzt werden sowie wenn Bestimmungen zum Schutz der Vertraulichkeit verletzt werden, sind Verwaltungsstrafen bis € 20.000,- bzw im Wiederholungsfall bis € 40.000,- vorgesehen.*

Voraussetzungen für die Schutzwürdigkeit des Hinweisgebers oder der Hinweisgeberin im Falle einer Meldung an eine interne oder externe Stelle sind, dass er oder sie zum Zeitpunkt des Hinweises auf der Grundlage der tatsächlichen Umstände und der verfügbaren Informationen hinreichende Gründe dafür hatte anzunehmen, dass die gegebenen Hinweise 1. wahr sind und 2. in den Geltungsbereich des HSchG fallen.*

Erfolgt der Hinweis nicht an eine interne oder externe Meldestelle, sondern eine Veröffentlichung, also eine Hinweisgebung an ein Medium bzw an die Medien, dann müssen für die Schutzwürdigkeit weitere Voraussetzungen gegeben sein. Der Hinweisgeber oder die Hinweisgeberin muss sich etwa vorher erfolglos an eine interne oder externe Meldestelle gewandt haben oder es bestand aufgrund der besonderen Umstände des Falles die Gefahr, dass die interne oder externe Stelle den Hinweisen nicht wirksam nachgehen.*213

Wissentlich falsche Hinweise sind mit einer Geldstrafe bedroht.*

4.
Meldestelle und ArbVG

Das HSchG enthält keinerlei Sonderbestimmungen zum ArbVG und gibt insb auch keine Hinweise zur Beantwortung der Frage, ob für die Einrichtung einer internen Meldestelle eine BV abgeschlossen werden muss oder kann. Eine Beurteilung kann daher nur aufgrund der „allgemeinen“ Bestimmungen, also insb §§ 96, 96a und 97 ArbVG erfolgen. E. Kovács kommt dabei zum Ergebnis, dass die Einführung des Meldesystems nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG (Kontrollmaßnahme, die die Menschenwürde berührt) zustimmungspflichtig ist, wenn das Hinweisgebersystem Meldungen über Missstände und Verpflichtungen der AN annimmt, die weit über den Anwendungsbereich des Gesetzes hinausgehen. Jedenfalls dann, wenn „der Meldekanal auch Meldungen über arbeitsrechtliche Pflichtverletzungen bzw zwischenmenschliche Konflikte annimmt und den AN Ansätze für Meldungen setzt“. Kommt das Unternehmen bei der Ausgestaltung des Meldekanals lediglich seinen gesetzlichen Verpflichtungen nach, dann bildet das Hinweisgebersystem eine Ordnungsvorschrift iSd § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG und unterliegt somit (bloß) einer erzwingbaren Mitbestimmung.* AuchC. Wolf unterscheidet zwischen Hinweisgebersystemen, die lediglich das gesetzlich Erforderliche regeln und solchen, die darüber hinausgehen. Bei Letzteren besteht eine Zustimmungspflicht des BR gem § 96a Abs 1 Z 2 ArbVG (Personalinformationssystem). Einer notwendigen, nicht ersetzbaren Zustimmung des BR gem § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bedarf es seiner Ansicht nach nur, wenn AN iZm der Einführung „zu ständiger Wachsamkeit und zur Meldung von Verdachtsmomenten verpflichtet werden“.*

Getrennt von der Einrichtung der Meldestelle an sich müssen Kontrollmaßnahmen beurteilt werden, die nach dem Hinweis, also in Folge des Hinweises durch den/die AG erfolgen. Wird durch diese Maßnahmen die Menschenwürde berührt (zB Installation einer Kamera im Kassenbereich), ist eine BV gem § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG erforderlich.

5.
Abschließende Bemerkungen

Für die Praxis besonders wichtig ist es darauf hinzuweisen, dass durch das HSchG ein Schutz von Whistleblower:innen nur für den beschränkten Anwendungsbereich des genannten Gesetzes geschaffen wurde.* Hinweisgeber:innen, die nicht vom HSchG erfasst sind, sind nicht völlig schutzlos, da es insb vor dem Hintergrund des Grundrechts auf Meinungsfreiheit höchstgerichtliche Judikatur des OGH und des EGMR gibt, die einen gewissen Schutz bei Vergeltungsmaßnahmen des/der AG vorsehen.* Die Voraussetzungen für diesen Schutz sind jedoch teilweise strenger als nach dem HSchG. Insb fordert die (bisherige) Rsp im Unterschied zum HSchG* grundsätzlich eine vorhergehende interne Meldung bzw eine „möglichst schonende Vorgehensweise“. Ausnahmsweise wird keine vorhergehende interne Meldung verlangt, wenn der/die AN objektiv gesehen vom/von der AG nicht erwarten kann, dass das Verhalten abgestellt wird. Wann dies konkret ist, lässt sich auf Grund der bisherigen Judikatur nur zum Teil und mit Unsicherheit ableiten. Das Risiko für Whistleblower:innen bei einer externen Meldung ist daher außerhalb des Anwendungsbereiches des HSchG wesentlich höher.

Dieser Unterschied im Schutzniveau – je nachdem, ob die Meldung unter das HSchG fällt oder nicht – ist auch vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes verfassungsrechtlich problematisch.* Jemand, der etwa einen Hinweis zu einer Bilanzfälschung, Untreue oder einem ähnlichen Wirtschaftsdelikt mit einem potentiellen Schaden für die Öffentlichkeit in Höhe von zig Millionen gibt, ist nämlich schlechter geschützt als jemand, der im Zusammenhang mit dem Verkauf von Lebensmitteln einen Hinweis gibt, dass eine Wertminderung der Produkte nicht ausreichend kenntlich gemacht wurde.* Nicht nur europarechtlich, sondern auch verfassungsrechtlich bedenklich ist auf Grund mangelnder sachlicher Rechtfertigung auch die grundsätzliche Einschränkung des Anwendungsbereiches auf Unternehmen mit 50 oder mehr AN.

Der eingeschränkte sachliche Anwendungsbereich des HSchG führt auch dazu, dass – abgesehen von der Notwendigkeit, interne und externe Meldestellen einzurichten – die praktische Bedeutung des neuen Gesetzes relativ verhalten sein wird. Andererseits ist zu erwarten, dass es auf Grund der europarechtlichen und verfassungsrechtlichen „Ungereimtheiten“ nicht nur die nationalen Zivilgerichte, sondern früher oder später auch den EuGH und den VfGH beschäftigen wird.214