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Nichtigkeit nach erfolgreicher Wahlanfechtung?

JOHANNA HELENENADERHIRN/BARBARATROST (LINZ)
  1. Die Anfechtbarkeit einer Wahl ist nicht präjudiziell für die Frage ihrer Nichtigkeit. Die Nichtigkeit der Wahl ist im Anfechtungsverfahren wiederum nur eine Vorfrage, die, wenn sie nicht zum Gegenstand eines Zwischenantrags gemacht wurde, Gegenstand einer selbständigen Feststellungsklage werden und dadurch anders entschieden werden kann als im Vorprozess.

  2. Richtig ist, dass nach § 59 Abs 2 ArbVG das Nichtvorliegen eines Betriebs (nur) einen Anfechtungsgrund darstellt. Allerdings wurde der BR nicht für die organisatorische Einheit gewählt, die nicht die Voraussetzungen eines Betriebs erfüllt, vielmehr wurden AN nicht von der Wahl verständigt, die dieser Einheit organisatorisch angehören. Damit wurden aber Personen, für die der konkrete BR gewählt wurde, von der Wahl ausgeschlossen. Auf § 59 Abs 2 ArbVG können sich daher die Revisionswerber nicht berufen.

  3. Es ist eine nähere Auseinandersetzung mit den behaupteten unlauteren Motiven des Nebenintervenienten für die Abhaltung einer Betriebsratswahl erforderlich, um eine allfällige Nichtigkeit beurteilen zu können.

[...]

[12] Der Kl brachte gegen die Betriebsratswahl vom 12.12.2014 eine Anfechtungsklage ein. Mit Urteil vom 11.4.2018 wurde der Klage (mittlerweile rechtskräftig) stattgegeben.

[13] Mit der nunmehr vorliegenden Klage ficht der Kl die Betriebsratswahl vom 12.12.2014 gem § 60 ArbVG an und begehrt die Feststellung 1. ihrer Nichtigkeit und 2. der Nichtigkeit der Wahl des Wahlvorstands, da gegen wesentliche Wahlgrundsätze verstoßen worden sei.

[...]

[39] Zwischen dem auf Anfechtung und dem auf Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl gerichteten Klagebegehren besteht [...] keine Identität des Streitgegenstands. Die Anfechtbarkeit einer Wahl ist nicht präjudiziell für die Frage ihrer Nichtigkeit. Die Nichtigkeit der Wahl ist im Anfechtungsverfahren wiederum nur eine Vorfrage, die, wenn sie nicht zum Gegenstand eines Zwischenantrags gemacht wurde, Gegenstand einer selbständigen Feststellungsklage werden und dadurch anders entschieden werden kann als im Vorprozess.

[40] Dass die Betriebsratswahl, deren Nichtigerklärung der Kl begehrt, daher von ihm in einem anderen Verfahren bereits erfolgreich angefochten wurde, steht einer Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht entgegen. [...]

[41] [...] Der Kl hat sich in erster Instanz darauf berufen, dass die bei ihm beschäftigten und damit für die Betriebsratswahl wahlberechtigten DN F* und J* nicht von der Betriebsversammlung und der Betriebsratswahl verständigt wurden. [...]

[42] Bei J* sind beide Vorinstanzen davon ausgegangen, dass das Gästehaus, in dem diese ihre Arbeit

verrichtet und die Zentrale einen einheitlichen Betrieb darstellen, J* daher für die Betriebsratswahl aktiv wahlberechtigt gewesen wäre. Unstrittig wurde sie von dieser Wahl nicht verständigt.

[43] [...] Ob bei mehreren Arbeitsstätten ein einheitlicher Betrieb vorliegt, richtet sich nach § 34 Abs 1 ArbVG. Wesentliches Merkmal des Betriebsbegriffs ist die organisatorische Einheit, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt.

[44] In der „organisatorischen Einheit“ muss die Einheit des Betriebsinhabers, des Betriebszwecks und der Organisation zum Ausdruck kommen. Dieser Einheit muss also ein gewisses Mindestmaß an Selbständigkeit, insb in technischer Hinsicht, eingeräumt sein, und auch dem Ergebnis des Arbeitsvorgangs dieser Einheit muss eine wenn auch beschränkte Abgeschlossenheit oder Unabhängigkeit vor anderen Betriebsvorgängen eigen sein (9 ObA 51/14m; RS0051107; RS0051119).

[...]

[45] Sind die Kriterien für einen eigenständigen Betrieb nicht gegeben, liegt bloß eine unselbständige Arbeitsstätte vor, in der keine eigenen Vertretungsorgane zu wählen sind. Ein BR ist auf der Ebene des Betriebs, den die unselbständige Arbeitsstätte mit anderen bildet, zu wählen (Windisch-Graetz in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 34 ArbVG Rz 4).

[...]

[49] Richtig ist, dass nach § 59 Abs 2 ArbVG das Nichtvorliegen eines Betriebs (nur) einen Anfechtungsgrund darstellt. Allerdings wurde der BR nicht für die organisatorische Einheit gewählt, die nicht die Voraussetzungen eines Betriebs erfüllt, vielmehr wurden AN nicht von der Wahl verständigt, die dieser Einheit organisatorisch angehören. Damit wurden aber Personen, für die der konkrete BR gewählt wurde, von der Wahl ausgeschlossen. Auf § 59 Abs 2 ArbVG können sich daher die Revisionswerber nicht berufen.

[...]

[51] [...] Nach dem der zitierten E zugrunde liegenden Sachverhalt waren die AN ohne System mündlich zu einer Betriebsversammlung eingeladen worden, bei der die sofortige Durchführung einer Wahl, ohne Wählerlisten zu verfassen und aufzulegen, beschlossen und ohne Wahlzelle und ohne konsequenter Sicherstellung einer geheimen Wahl eine Abstimmung durchgeführt worden war. Die Möglichkeit zur Beteiligung an der Wahl war daher im Wesentlichen von Zufälligkeiten abhängig.

[52] Tatsächlich sieht das Gesetz eine Vielzahl von Regelungen vor, die die Beteiligung aller Wahlberechtigter sicherstellen soll. [...] 316

[53] Dessen ungeachtet kann es auch bei Einhaltung dieser Vorschriften dazu kommen, dass einzelne AN von der Wahl keine Kenntnis erlangen oder an dieser zu Unrecht nicht beteiligt werden. [...]

[54] [...] Berücksichtigt man im konkreten Fall, dass jeweils die im ArbVG und in der Betriebsratswahlordnung vorgesehenen formellen Voraussetzungen zur Einbeziehung aller Wahlberechtigten eingehalten wurden (Kundmachung; Aufforderung an den DG zur Übermittlung eines Verzeichnisses der Wahlberechtigten, der nicht entsprochen wurde; Auflage einer Wählerliste; Möglichkeit zum Einspruch), jedoch aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Wahlberechtigung einer Mitarbeiterin diese nicht in das Wählerverzeichnis aufgenommen wurde, wogegen niemand Einspruch erhoben hat, stellt der Ausschluss dieser Mitarbeiterin von der Wahl für sich allein genommen nur einen Anfechtungs-, keinen Nichtigkeitsgrund dar.

[55] [...]

[56] [...] Im Verfahren zur Berufung des Wahlvorstands unterlaufene Mängel können nicht selbständig, sondern nur gelegentlich der Anfechtung der Betriebsratswahl geltend gemacht werden. Dies gilt nicht nur für die Geltendmachung von Anfechtungsgründen iSd § 59 ArbVG, sondern auch im Falle einer absoluten Nichtigkeit der Betriebsratswahl gem § 60 ArbVG. Auch die Nichtigkeit kann erst nach erfolgter Wahl – jederzeit – festgestellt werden; erfasst die Nichtigkeit auch die Bestellung des Wahlvorstands, wäre dies festzustellen (9 ObA 223/90; vgl Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 26 [2020] § 54 Rz 18). [...]

[57] [...] Nach § 58 ArbVG gilt in Betrieben, in denen bis zu zwei Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, ein vereinfachtes Verfahren: Die Betriebsratsmitglieder und die Ersatzmitglieder werden mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewählt. Der Wahlvorstand besteht aus einem wahlberechtigten AN. Es bedarf keiner Einreichung von Wahlvorschlägen. Die Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder richtet sich nach der Anzahl der AN. Nach § 50 Abs 1 ArbVG sind in Betrieben mit 5 bis 9 AN ein Betriebsratsmitglied, in Betrieben mit 10 bis 19 AN zwei Betriebsratsmitglieder zu wählen. Für den Kl ist daher ein Betriebsratsmitglied zu wählen und gilt das vereinfachte Wahlverfahren.

[58] [...]

[59] Der Kl hat geltend gemacht, dass die Wahlkundmachung den Ort der Wahl nicht eindeutig genug angeführt hat. Dagegen hat die Bekl vorgebracht, dass an der angegebenen Adresse die Wahl ausgeschildert war. Ebenfalls bestehen unterschiedliche Behauptungen zur Frage, ob Wahlzellen für die Sicherung einer geheimen Wahl vorhanden waren. Diesbezüglich fehlen jeweils Feststellungen. Dass der Wahlvorgang an sich ordnungsgemäß durchgeführt wurde, lässt sich auf Basis der getroffenen Feststellungen daher nicht beurteilen. Waren die Vorkehrungen ausreichend, reichte eine abgegebene Stimme als Mehrheit für die Wahl des BR aus.

[60] [...]

[61] [...] Zu berücksichtigen ist weiters, dass der Kl vorgebracht hat, dass die Funktionsperiode des 2011 gewählten BR noch nicht abgelaufen war.

[...]

[63] Mangels Feststellungen kann weder beurteilt werden, ob eine relevante Verkürzung der Funktionsperiode des vorangehenden BR erfolgte, noch, wie von der Bekl eingewendet, der frühere BR funktionsunfähig war, weshalb eine Wahl erforderlich wurde.

[64] [...] Weiters hat der Kl geltend gemacht, dass die Wahl vom Nebenintervenienten nur zur Förderung dessen eigenen Vorteils abgehalten wurde, die Wahl sei entgegen dem ausdrücklichen Willen sämtlicher anderer AN erfolgt, um dem Nebenintervenienten den Kündigungsschutz eines BR zu sichern. [...]

[65] [...] Zusammengefasst liegt alleine im Ausschluss von J* von der Wahl kein Nichtigkeitsgrund. Ergänzend sind jedoch Feststellungen zum unmittelbaren Wahlvorgang, zu einem möglichen Eingriff in die Funktionsperiode des vorangegangenen BR ebenso wie eine nähere Auseinandersetzung mit den behaupteten unlauteren Motiven des Nebenintervenienten für die Abhaltung einer Betriebsratswahl erforderlich, um eine allfällige Nichtigkeit beurteilen zu können.

[...]

ANMERKUNG

Der vorliegende Sachverhalt ist so komplex, dass eine detaillierte Darstellung von Geschichte samt Vorgeschichten hier den Rahmen sprengen würde. Tatsächlich lassen sich aber die vielschichtigen Verstrickungen in rechtlicher Hinsicht auf drei Themenkomplexe komprimieren: (1) Die Frage, ob die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl tatsächlich ohne zeitliche Beschränkung geltend gemacht werden kann, verbunden mit jener nach der Präjudizwirkung einer Entscheidung über die Mangelhaftigkeit einer Betriebsratswahl; (2) die Frage nach der Beurteilung von Folgemängeln (Kumulation oder nicht) nach Fehleinschätzung der Betriebseigenschaft; und (3) die Frage nach der Relevanz oder Irrelevanz des Motivs hinter einer Betriebsratswahl.

Der Kern des Fazits darf schon an dieser Stelle vorweggenommen werden: Dem OGH ist nicht in allen Punkten zu folgen bzw hätten manche Aspekte einer genaueren Betrachtung bedurft.

1.
„Aufgriffsobliegenheit“ im Hinblick auf die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl bzw Präjudizwirkung einer Entscheidung über die Mangelhaftigkeit einer Betriebsratswahl?

In der gegenständlichen E steht die allfällige Feststellung der Nichtigkeit einer Betriebsratswahl – zu Unrecht spricht der OGH übrigens von „Anfechtung der Betriebsratswahl gemäß § 60 ArbVG“ – zur Diskussion. Zu Recht zitiert der OGH ausführlich die von Lehre und Rsp über Jahrzehnte 317 hin wohlüberlegten Erkenntnisse, wonach aus Gründen der Rechtssicherheit das Instrument der Nichtigkeit gem § 60 ArbVG stets sparsam angewandt wurde, führt doch die Feststellung der Nichtigkeit einer Wahl dazu, dass alle bis dato vom bekämpften Organ gesetzten Rechtshandlungen – vom Einkauf beim Kleinhändler bis zu allfälligen Zustimmungen zu Kündigungen im Rahmen der Befugnisausübung – rechtsunwirksam sind, mit allen sich daran anschließenden Rückabwicklungsproblemen. Kurzum: Im Zweifel für die Anfechtbarkeit.

Umso mehr verlangt es nach einer genaueren Betrachtung, wenn der OGH dann in der Folge dem Adverb „jederzeit“ in § 60 ArbVG eine überaus großzügige Auslegung angedeihen lässt. Die Materialien zur BRG-Novelle 1971 (BGBl 1971/319) führen zwar aus, dass die Geltendmachung der Nichtigkeit von Betriebsratswahlen jederzeit in jedem Verfahren auf beliebige Art ohne Bindung an eine Frist erfolgen kann (ErläutRV 428 BlgNR 12. GP 6). Die Wendung „ohne Bindung an eine Frist“ könnte jedoch auch so verstanden werden, dass der Gesetzgeber damit ausdrücken wollte, dass es im Gegensatz zur Anfechtung keine fixe Frist für die Geltendmachung der Nichtigkeit gibt, was aber nicht zwingend bedeuten muss, dass die Nichtigkeit ohne zeitliche Beschränkung geltend gemacht werden kann. Zudem betonen die Materialien, dass mit dieser Novelle iSd Rechtssicherheit zwischen anfechtbarer und nichtiger Wahl abgegrenzt werden soll. Tatsächlich ist nämlich grundsätzlich die Frage zu stellen – und hierbei geht es noch gar nicht um die allfällige Präjudizwirkung eines vorangegangenen Urteils betreffend dasselbe Organ –, welche allgemeinen Rechtsgrundsätze möglicherweise einer sehr wörtlichen Auslegung des Wortes „jederzeit“ Grenzen setzen könnten. Soweit überblickbar, wurde diese Frage bislang in der Literatur noch nicht thematisiert. Es gibt jedoch Lehrmeinungen, die unter Verweis auf die E des EA Innsbruck Re 35/78 Arb 9762 = ZAS 1979, 121 (allerdings ist anzumerken, dass sich in den angegebenen Fundstellen dieser E jene Aussage nicht findet), die Möglichkeit der Geltendmachung der Nichtigkeit mit der Funktionsperiode des BR, dessen Wahl als nichtig festgestellt werden soll, begrenzen (Schneller in Gahleitner/Mosler [Hrsg], ArbVR 26 § 60 Rz 7; Kallab in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 60 ArbVG Rz 5). Könnte etwa jemand mit Recht willkürlich die gesamte Funktionsperiode eines BR abwarten, um am letzten Tag (zum Zweck der Unruhestiftung, aus persönlicher Aversion oder um Rechtshandlungen des BR rückwirkend zu vernichten) die Nichtigkeit der seinerzeitigen Wahl geltend zu machen? Wohl eher nicht, denn Nichtigkeitsgründe sind nach allgemeinen Grundsätzen – hier spielt die Rechtssicherheit mit dem Institut der Verwirkung zusammen – unverzüglich nach (möglicher) Kenntnis geltend zu machen. Dieses Prinzip wird von der hRsp etwa auch bei der Geltendmachung der Nichtigkeit von Kündigungen angewandt, wobei dies ua mit einem Klarstellungsinteresse des Vertragspartners begründet wird (vgl zB OGH9 ObA 276/99z

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infas 2000 A 3
zur Kündigung von BR-Mitgliedern; OGH8 ObA 154/02hDRdA 2003/50, 551 [Weiß] zum AN mit Behinderung; OGH9 ObA 160/99s
[M. Binder]
= ZAS 2000/13, 118 [Gahleitner] zum Fortsetzungsanspruch bei Betriebsübergang; OGH8 ObA 55/12iinfas 2013 A 20 zur Kündigung nach dem VBG; insgesamt vgl RS0028233). In 9 ObA 276/99z betreffend gekündigte Betriebsratsmitglieder sah der OGH das Klarstellungsinteresse des AG als besonders stark ausgeprägt an. Es müsse nämlich im Falle der Kündigung eines oder mehrerer Betriebsratsmitglieder in absehbarer Zeit Klarheit herrschen, wie der BR zusammengesetzt ist bzw ob überhaupt noch ein funktionsfähiger BR besteht, weil davon die für die ordnungsgemäße Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten erforderliche Handlungsfähigkeit der Arbeitnehmerschaft des Betriebs abhänge. Aus eben diesem Grund bestehe neben dem Interesse des AG an der Klarstellung, ob die Kündigung wirksam ist, auch ein vehementes Klarstellungsinteresse der Belegschaft hinsichtlich der Zusammensetzung und Funktionsfähigkeit des BR. Diese zutreffenden Überlegungen des OGH lassen sich auch auf den vorliegenden Fall übertragen. Gerade vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit ist eben auch bei Wahlen die „jederzeitige“ Möglichkeit der Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in dem Sinne dem Zweck entsprechend zu interpretieren, dass nach Auftauchen eines Nichtigkeitsgrundes nicht beliebig mit dessen Geltendmachung zugewartet werden kann – bei sonstiger Verwirkung des Geltendmachungsrechts.

In 9 ObA 276/99z hat es der OGH neben dem ausgeprägten Klarstellungsinteresse auch als relevant angesehen, dass die gekündigten Betriebsratsmitglieder bis zur Erhebung ihrer Klagen dem AG gegenüber die Rechtswirksamkeit ihrer Kündigung nicht bestritten und den später behaupteten Fortsetzungsanspruch mit keinem Wort geltend gemacht hatten. Der OGH qualifizierte dieses Verhalten als schlüssigen Verzicht auf die Geltendmachung des Fortsetzungsanspruchs. Im Lichte dieser Aussagen ist es schade, dass der OGH die Frage der Aufgriffsobliegenheit in der vorliegenden E nicht thematisiert und infolgedessen nicht unter diesem Aspekt auf die mögliche Bedeutung des Umstandes eingegangen ist, dass sich der Kl zunächst mit einer Anfechtung der Betriebsratswahl „begnügt“ und erst danach die Nichtigkeit geltend gemacht hat. Zu prüfen wäre also gewesen, ob die vom Kl vorgebrachten Nichtigkeitsgründe diesem im Zeitpunkt der vorangegangenen Anfechtung der Wahl bereits bekannt gewesen waren. Ob das Recht zur Geltendmachung der genannten Nichtigkeitsgründe im Zeitpunkt der Geltendmachung bereits verwirkt war, wurde also in diesem Verfahren zu Unrecht nicht geprüft. Ist, wie hier, zwischen Wahl und Geltendmachung der Nichtigkeit immerhin mehr als ein Jahr verstrichen, ist die Verwirkung jedenfalls Thema von Relevanz.

Nach diesen Vorüberlegungen stellt sich die vom OGH erörterte Frage, ob nach einer bereits getroffenen rechtskräftigen Entscheidung über die 318 Anfechtbarkeit einer Wahl noch in einem weiteren Verfahren über deren Nichtigkeit befunden werden kann. Ein Grundsatz des Verhältnisses von Anfechtbarkeit und Nichtigkeit ist, dass logisch und nach allen Prinzipien der Rechtsgeschäftslehre, und übrigens im Einklang mit der einhelligen Rsp und Lehre (wie insb am Beispiel des Kündigungsschutzes, vgl zB OGH 22.5.2002, 9 ObA 102/02v, aus der Lehre zB Trost in Strasser/Jabornegg/Resch [Hrsg], Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz [Loseblatt 2012] § 105 Rz 131, 182 mit umfangreichen Nachweisen über die Judikatur; Jabornegg, DRdA 2014, 320; Floretta, ZAS 1978, 192 f), die Anfechtbarkeit eines Rechtsaktes (sei es ein Rechtsgeschäft oder auch eine Wahl) voraussetzt, dass derselbe Rechtsakt gerade nicht nichtig ist. Läge nämlich Nichtigkeit vor, so käme eine Anfechtung nicht mehr in Betracht. Mathy (Minderheitsrechte im Betriebsrat [2022] 115) drückt dies in Bezug auf die Betriebsratswahl plastisch dahingehend aus, dass das Rechtsschutzziel der Anfechtungsklage die Bewirkung einer Rechtsgestaltung ist: nämlich der vorzeitigen Beendigung der Funktionsperiode des BR. Damit diese Rechtsgestaltung bewirkt werden kann, müsse jedoch ein BR (zumindest schwebend) wirksam gewählt worden sein. Insofern liege jeder Anfechtung einer Betriebsratswahl die Vorfrage zugrunde, ob diese nicht ohnehin unwirksam, dh nichtig iSd § 60 ArbVG, ist. Dementsprechend hat der OGH auch in der vorliegenden E ausgesprochen, dass die Nichtigkeit der Wahl im Anfechtungsverfahren eine Vorfrage bildet (vgl auch schon OGH4 Ob 51/82 Arb 10.273; OGH4 Ob 5, 6/75 Arb 9411). Der OGH legte dann jedoch jene Rsp zu Grunde, wonach die in der rechtskräftigen E enthaltene Beurteilung von Vorfragen des entschiedenen Anspruchs nicht in Rechtskraft erwächst. Die Thematik der Rechtskraft von Urteilen ist wohl eine der komplexesten und meistdiskutierten des Zivilprozessrechts (dies verdeutlichen etwa die Ausführungen von Klicka in Fasching/Konecny [Hrsg], Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen III/23 § 411 ZPO insb Rz 56 ff mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Ansätze in der Rsp, die Rechtskraft eines Urteils aus Gründen der Entscheidungsharmonie und der Rechtssicherheit auf Vorfragen des entschiedenen Anspruchs zu erweitern, werden von der Lehre beinahe einhellig abgelehnt und ist die jüngere Judikatur davon auch wieder weitgehend abgegangen (vgl wiederum sehr ausführlich Klicka in Fasching/Konecny [Hrsg], Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen III/23 und stellvertretend für viele Oberhammer, JBl 2000, 205 ff; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka [Hrsg], ZPO5 § 411 ZPO Rz 11). An dieser Stelle darf lediglich festgehalten werden, dass im vorliegenden Fall eine Bindung an die (inzident) gelöste Vorfrage, dass es sich hier um eine wirksame (nicht nichtige) Wahl gehandelt hat, der auch in den Materialien zur BRG-Novelle 1971 hervorgehobenen Rechtssicherheit gedient hätte. Nachdem dieser Weg bei Zugrundelegung der einschlägigen Lehre und Rsp nicht in Betracht kommt, ist die Frage einer Aufgriffsobliegenheit bezüglich der Nichtigkeit umso bedeutsamer.

2.
Folgewahlmängel bei Fehleinschätzung der Betriebsqualität – Mängelkumulation oder singuläre Beurteilung?

Wenn eine Wahl „mangels Vorliegens eines Betriebes“ stattgefunden hat, liegt gem § 59 Abs 2 ArbVG eine (nur) anfechtbare Wahl vor. Für den vorliegenden Fall sieht der OGH aufgrund dieses Wortlautes keinen Sachverhalt, der unter diesen Tatbestand fiele. Richtig ist auch mit dieser Tatbestandsvariante eben genau nicht der Fall gemeint, dass zwar ein Betrieb vorliegt, dessen Ausmaß, Umfang und Abgrenzung zu anderen Betrieben jedoch zweifelhaft ist und daher zu „falschen“ Wahlen führt. Genau ein solcher Fall liegt hier vor: Es wurde irrtümlich angenommen, dass der Betrieb nur aus der Zentrale bestehe und die weiter entfernte Betriebsabteilung als selbstständiger Betrieb zu bewerten und daher nicht in die Betriebsratswahl einzubeziehen sei.

Bei dieser Ausgangslage unter Hinweis auf die Wendung „mangels Vorliegens eines Betriebes“ sofort die Anwendung von § 59 Abs 2 ArbVG auszuschließen, ist nicht zwingend geboten, wenn man den Rest des Wortlautes des § 59 Abs 2 ArbVG mitliest, heißt es dort doch auch, dass Fälle erfasst sind, bei denen die Wahl „wegen ihrer Art oder ihres Umfangs“ nicht zulässig ist. Unstreitig wäre zB eine der Art nach unzulässige Wahl in diesem Sinne eine solche im Umkehrfall: Hätte es sich hier nämlich um getrennte Betriebe gehandelt und hätte man fälschlich einen einheitlichen BR gebildet (anstatt zweier Betriebsräte und eines Zentralbetriebsrats), so hätte man sich zwanglos in der Anfechtbarkeit gem § 59 Abs 2 ArbVG wieder gefunden. Nicht viel anders ist aber der Fall hier gelagert, nur dass es sich nicht um eine „der Art nach“ unrichtige, sondern eine „dem Umfang nach“ unrichtige Wahl handelt. Anstatt zweier Betriebsabteilungen wurde nur eine in die Wahl einbezogen, anstatt aller AN nur jene eines einzigen Betriebsteils – was sonst sollte hier vorliegen als eine „dem Umfang nach“ unzulässige Wahl? Auch Schneller (in Gahleitner/Mosler [Hrsg], ArbVR 26 § 59 Rz 47) hält eine Betriebsratswahl als ihrem Umfang nach unzulässigerweise durchgeführt, wenn eine Arbeitsstätte (Außenstelle, Abteilung, Filiale, Niederlassung oÄ) zu Unrecht als Teil des Betriebes miteinbezogen oder – wie im vorliegenden Fall – ignoriert wurde.

In der Sache zieht allerdings der OGH letztlich hier dann doch über Umwege den richtigen Schluss: Die Nichtberücksichtigung einer Betriebsabteilung in der irrigen Annahme, es sei dies ein selbstständiger Betrieb, führt nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit der Wahl.

Was freilich in diesem Zusammenhang besonders zu betonen ist, ist das Folgende: Eine Fehleinschätzung der Betriebsqualität führt automatisch zu zahlreichen Folgefehlern bei der Abwicklung der Wahl, und diese sind allesamt Teil des einen Wahlanfechtungsgrundes der Fehleinschätzung der Betriebsqualität. Folgefehler dieser Art reichen von der nicht ordnungsgemäßen Kundmachung in den ausgeschlossenen Betriebsabteilungen über 319 die Nichtaufnahme der dort beschäftigten AN in die Liste der aktiv und auch passiv Wahlberechtigten bis zur allfälligen Streichung von Kandidaten aus diesen Betriebsteilen. All diese Fehler führen selbstredend nicht zu einer „Kumulation“ von Wahlmängeln, welche letztlich eine Nichtigkeit zur Folge haben könnten. Sie sind lediglich Teile eines einzigen Wahlmangels, nämlich jenes der Falscheinschätzung der Größe des Betriebes wegen zu Unrecht erfolgten Ausschlusses von Betriebsabteilungen.

3.
Irrelevanz des Motivs hinter einer Betriebsratswahl

Eine Andeutung des OGH lässt aufhorchen und motiviert zu umgehendem Widerspruch: Sollten tatsächlich ergänzende Feststellungen über ein mögliches Motiv des Wahlwerbers für die Betriebsratswahl einen Erkenntnisgewinn hinsichtlich eines allfällig daraus abzuleitenden Wahlmangels bringen? Dies scheint der OGH zu meinen, wenn er auf das vermutete Bedürfnis des Wahlwerbers, für sich den besonderen Kündigungsschutz zu erwerben, als mögliches Motiv für die Organisation der Betriebsratswahl anspielt. Verallgemeinert lautet die Rechtsfrage: Kann eine an sich verpflichtend (vgl nur zB Löschnigg in Jabornegg/Resch [Hrsg], Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz [Loseblatt 2017] § 40 Rz 22) durchzuführende Betriebsratswahl aufgrund des dahinterstehenden Motivs der Organisatoren mangelhaft werden? Auch derart kuriose Fragen verdienen Beachtung, wenn sie in einer höchstgerichtlichen Entscheidung angedeutet sind.

Nun ist aber die Durchführung einer Betriebsratswahl bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht eine Annahme einer angebotenen Rechtsform nach Belieben (wie zB eine Eheschließung), sondern vielmehr die Erfüllung einer gesetzlich manifestierten Pflicht (vgl Löschnigg in Jabornegg/Resch [Hrsg], Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz [Loseblatt 2017] § 40 Rz 22; mit ausführlicher Begründung auch Kuderna,

; ebenso Mathy, Minderheitsrechte im Betriebsrat 61). Die Wahl dieser Rechtsform, um „unredlich“ Rechtsfolgen zu bewirken oder zu umgehen (wie zB, um beim Gegenbeispiel zu bleiben, eine Eheschließung mit dem Zweck, die Staatsbürgerschaft zu bekommen), kommt daher bei Betriebsratswahlen ganz grundsätzlich nicht in Betracht. Dass die Pflicht mangels Sanktion letztlich ins Leere läuft (Firlei in Grillberger [Hrsg], 30 Jahre ArbVG [2005] insb 69 ff [76]), ändert nichts an diesem Befund. Mit der Erfüllung dieser Pflicht treten für alle Beteiligten alle rechtlichen Konsequenzen ein. Ob sie das beabsichtigen, ob es ihnen nicht bewusst war, oder ob sie nur wegen bestimmter Konsequenzen überhaupt die Wahl organisiert haben, hat keinerlei Einfluss auf die Rechtmäßigkeit dieser Pflichterfüllung. Neben den Aufgaben und Pflichtbefugnissen für Organmitglieder und den Auswirkungen der Ausübung sämtlicher Befugnisse auf die gesamte Belegschaft gehören auch die Änderungen der persönlichen Rechtsstellung der Wahlwerber bzw Betriebsratsmitglieder zu den rechtlichen Konsequenzen der Wahl. Welche dieser Konsequenzen für die handelnden Personen mehr oder weniger wichtiges Motiv für die Organisation der Wahl war, hat auf die Rechtmäßigkeit der Wahl keinerlei Einfluss. Dies gilt insb – wie hier vom OGH angedeutet – für die Bedeutung des Kündigungsschutzes als Betriebsratswahlmotiv. Richtigerweise muss aber noch einen Schritt weiter gegangen werden: Selbst ein allfälliges (durchaus verwerfliches) Motiv, die Wahl nur deshalb durchführen zu wollen, um die Interessenvertretungsaufgabe absichtlich durch Untätigkeit zu boykottieren (was aber hier ohnehin nie in Rede stand), würde keineswegs einen Wahlmangel darstellen! Warum? Mit der Betriebsratsbildung wurde eben lediglich eine gesetzliche Pflicht erfüllt – Motiv irrelevant. Die Begründung liefert der Gesetzgeber selbst, steht doch selbst bei einer von übelsten Motiven getragenen Betriebsratswahl stets der Belegschaft der Weg offen, im demokratischen Wege den unliebsamen BR des Amtes zu entheben (§ 42 Abs 1 Z 4 ArbVG), um in der Folge eine Neuwahl anzustreben (Löschnigg in Jabornegg/Resch [Hrsg], Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz [Loseblatt 2017] § 42 Rz 27 f).

4.
Fazit

So verstrickt auch der vorliegende Sachverhalt erscheinen mag, die dahinterstehenden Rechtsfragen sind klar auszumachen und weithin im Geiste der hM zu lösen. Demgemäß ist – wie bei jedem Aufgriff einer Nichtigkeit – auch bei der behaupteten Nichtigkeit einer Betriebsratswahl eine Aufgriffsobliegenheit und die allfällige Verwirkung des Rechts zu prüfen. Betriebsratswahlen, bei welchen eine Betriebsabteilung übergangen wurde, sind „ihrem Umfang nach“ unzulässig iSd § 59 Abs 2 ArbVG, und die sich aus diesem Mangel ergebenden Folgefehler führen zu keiner Kumulation, welche die Nichtigkeit begründen könnte. Und schließlich ist das Motiv einzelner Personen hinter der Erfüllung der Pflicht zur Betriebsratsbildung irrelevant. Dies gilt im Besonderen, wenn dieses Motiv die Erlangung des gesetzlich zustehenden Kündigungsschutzes wäre, aber selbst ein völlig verwerfliches Motiv, wie zB der Missbrauch des Organs zum Zweck des Boykotts desselben, würde keinen Wahlmangel begründen. 320