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Ist das Kettenbefristungssystem des Theaterarbeitsgesetzes (unions-)rechtskonform?

WOLFGANGKOZAK (WIEN)
§ 879 ABGB; §§ 24, 27 TAG; §§ 3 Abs 1, 5 Abs 1 Befristungs-RL (1999/70/EG)
  1. Da die Aneinanderreihung befristeter Verträge nicht aus der Parteienvereinbarung, sondern unmittelbar aus dem Gesetz folgt, verbietet sich ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Anwendbarkeit von § 879 ABGB auf diesen Fall.

  2. Wenn eine richtlinienkonforme Interpretation am ausdrücklichen gegenteiligen Wortlaut und den vom Gesetzgeber verfolgten Ziel scheitert, ist einer Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens die Grundlage entzogen.

[1] Die Kl war seit 1.9.2008 [...] auf Basis von wiederkehrenden Bühnendienstverträgen jeweils für ein Spieljahr (1.9. bis 31.8.) beschäftigt. Auf das Beschäftigungsverhältnis finden das Theaterarbeitsgesetz (TAG) sowie der KollV [...] Anwendung.

[2] [...] Die Bekl gaben gegenüber der Kl mit Schreiben vom 13.9.2019 eine Nichtverlängerungserklärung iSd § 27 TAG ab und teilten mit, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen mit 31.8.2020 beendet sei. [...] Eventualiter begehrt die Kl – soweit für das Revisionsverfahren relevant – die Feststellung, dass ihr Dienstverhältnis unbefristet über den 31.8.2020 hinaus aufrecht sei. Die nach § 24 TAG jeweils auf die Dauer eines Spieljahrs befristeten einzelnen Verträge stellten eine nach der RL 1999/70/EG des Rates vom 28.6.1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Befristungs-RL) mangels einer sachlichen Rechtfertigung unzulässige Kettenbefristung dar. Zur Missbrauchskontrolle sei die auf § 879 ABGB gestützte Kettenvertragsjudikatur heranzuziehen, wonach dazu besondere soziale, wirtschaftliche, organisatorische oder technische Gründe gegeben sein müssten. Solche lägen beim Dienstverhältnis zwischen der Kl und den Bekl nicht vor. [...]

[11] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rsp zu der Frage vorliege, ob die Befristungs-RL auf nach § 27 TAG verlängerte Bühnendienstverhältnisse anzuwenden sei. [...]

[14] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.

[...]

[16] Nach § 24 TAG endet das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen worden ist (Abs 1). Ist es für eine oder mehrere Spielzeiten (Spieljahr, Bühnenjahr) eingegangen worden, so ist die Dauer einer Spielzeit im Zweifel mit 12 Monaten anzunehmen (Abs 2). Ist das Arbeitsverhältnis ohne Zeitbestimmung eingegangen worden, so endet es mit dem Ablauf der an der Vertragsbühne üblichen Spielzeit (Abs 3). Der/Die Theaterunternehmer/ in kann sich auf eine Vereinbarung nicht berufen, nach der nur er/sie den Vertrag durch einseitige Erklärung auflösen oder über die vereinbarte Zeit hinaus verlängern kann (Abs 4).

[17] § 27 TAG sieht vor, dass der/die Theaterunternehmer/ in, wenn das Bühnenverhältnis für bestimmte Zeit oder mindestens für ein Jahr eingegangen worden ist, dem Mitglied bis zum 31.1. des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, schriftlich mitzuteilen hat, dass das Arbeitsverhältnis nicht verlängert wird. Unterbleibt die Mitteilung oder erfolgt sie verspätet, gilt das Arbeitsverhältnis für ein weiteres Jahr verlängert, sofern das Mitglied dem/der Theaterunternehmer/in nicht bis spätestens zum 15.2. des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, schriftlich mitteilt, dass es mit einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nicht einverstanden ist.

[18] War das Mitglied durch mehr als fünf aufeinanderfolgende Jahre in einem Ballett der Bundestheater beschäftigt, muss nach § 10 Abs 2 KollV die Verständigung seitens des DG, um mit Ablauf der laufenden Spielzeit wirksam zu sein, spätestens bis zum 15.10. dieser Spielzeit zugehen.

[19] Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass das TAG ebenso wie zuvor das Schauspielergesetz (SchSpG) und der KollV vom auf ein Jahr bzw eine Spielzeit befristeten Arbeitsvertrag als Normalfall ausgehen (vgl Feil/Wennig, Bühnenrecht, Rn 52; Bammer, Die Beendigung von Bühnenarbeitsverträgen, ecolex 2011, 192; zum SchSpG 9 ObA 100/06f).

[20] Dass die in Gesetz und KollV normierten Voraussetzungen und Termine bei Abgabe der Nichtverlängerungserklärung von den Bekl eingehalten wurden, ist nicht strittig.

[21] 2. Der OGH war bereits wiederholt mit der Frage der Rechtsnatur der Nichtverlängerungserklärung befasst. Zuletzt [...] 8 ObA 68/20p. [...]

[22] Die Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung stellt demnach nach ständiger Judikatur keine Kündigung eines bestehenden (unbefristeten) Dienstvertrags, sondern die Ablehnung des Abschlusses eines weiteren befristeten Dienstvertrags über das Befristungsende des vorangehenden Vertrags hinaus dar.

[23] 3. Mit der RL 1999/70/EG des Rates über befristete Dienstverträge vom 28.6.1999 (Befristungs-RL) wurde die EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse vom 18.3.1999 übernommen. Das erklärte Ziel dieser RL gem § 1 der Rahmenvereinbarung ist es, durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität der befristeten Arbeitsverhältnisse zu verbessern und einen Rahmen zu schaffen, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse verhindert (vgl 9 ObA 222/02s). [...]

Der EuGH hat zur Auslegung [...] dahin Stellung genommen, dass die Gefahr bestünde, das Ziel, den Zweck und die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung zu beeinträchtigen, wenn man zu dem Ergebnis käme, dass nur deswegen keine aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverhältnisse iS von § 5 der Rahmenvereinbarung vorlägen, weil 330

der erste befristete Arbeitsvertrag des betroffenen AN automatisch und ohne formalen schriftlichen Abschluss eines oder mehrerer neuer befristeter Arbeitsverträge verlängert wurde. Bei einer derart restriktiven Definition des Begriffs „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse“ könnten AN über Jahre hinweg in unsicheren Verhältnissen beschäftigt werden. [...]

[26] Er ortete auch die Gefahr, dass eine derart restriktive Auslegung nicht nur dazu führt, dass eine große Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse von der RL ausgeschlossen würde, sondern auch, dass es den AG ermöglicht würde, solche Arbeitsverhältnisse in missbräuchlicher Weise zur Deckung eines ständigen und dauernden Arbeitskräftebedarfs zu nutzen. Der Begriff der „Dauer“ des Arbeitsverhältnisses sei ein wesentlicher Bestandteil jedes befristeten Vertrags. Nach § 3 Nr 1 der Rahmenvereinbarung „werde das Ende des Vertrags durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt“. Die Änderung eines Enddatums eines befristeten Arbeitsvertrags stelle somit eine wesentliche Änderung dieses Vertrags dar, die zu Recht dem Abschluss eines neuen, auf das frühere Arbeitsverhältnis folgenden befristeten Arbeitsverhältnisses gleichgestellt werden könne und somit in den Anwendungsbereich der RL falle. Ausgangspunkt dieser Ausführungen waren wiederholte Verlängerungen der Befristung im Hinblick auf wiederholte Ausschreibungsverfahren (EuGHC-726/19, Instituto Madrileño de Investigación y Desarrollo Rural Agrario y Alimentario, Rn 35 ff, ECLI:EU:C:2021:439). Auch die automatische Verlängerung eines ursprünglich befristeten Vertrags, die sich aus Gesetzgebungsakten ergebe, ohne schriftlichen Abschluss eines oder mehrerer neuer befristeter Arbeitsverträge wurde als der RL unterliegend angesehen (EuGHC-760/18, M.V. ua, Rn 44 ff, ECLI:EU:C:2021:113).

[27] Grundsätzlich überlässt § 5 Nr 2 der Befristungs-RL es aber den Mitgliedstaaten zu bestimmen, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge und -verhältnisse als aufeinanderfolgend bzw als unbefristet zu betrachten sind (EuGHC-212/04, Adeneler ua, Rn 81, ECLI:EU:C:2006:443; vgl auch Karl in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 19 Rz 37 mwN).

[28] Bei Prüfung der Voraussetzungen für das Vorliegen von befristeten Arbeitsverträgen iSd RL ist auf die Ergänzung des § 24 TAG durch dessen § 27 TAG Bedacht zu nehmen, der nominell zwar den Zeitablauf, aber als zwingend notwendiges Beendigungserfordernis eine subjektive Bedingung statuiert. Ohne die Abgabe einer auf Beendigung gerichteten Willenserklärung der einen oder anderen Vertragspartei bleibt das Bühnenarbeitsverhältnis ex lege gerade nicht nur bis zum nächsten Fristoder Spielzeitende iSd § 24 TAG, sondern so lange aufrecht, bis ein Vertragsteil irgendwann erklärt, es tatsächlich beenden zu wollen. Den Bekl ist zuzugestehen, dass die vom Gesetz geforderte Erklärung, einen befristeten Vertrag nicht fortsetzen zu wollen, ansonsten er sich (befristet) verlängert, die Situation von AN, deren Dienstverhältnis §§ 24, 27 TAG unterliegt, der von AN, die jederzeit ohne Begründung unter Einhaltung bestimmter Termine und Fristen gekündigt werden können, annähert.

[29] Die Rsp des EuGH spricht dessen ungeachtet dafür, dass auch die Arbeitsverhältnisse nach §§ 24, 27 TAG nicht nur nach nationalem Recht, sondern auch iSd § 3 Abs 1 der Befristungs-RL als befristet und iSd § 5 Abs 1 der Befristungs-RL als aufeinanderfolgend zu beurteilen sind. Diese Einschränkung der nationalen Gestaltungsbefugnis über Art 3 der RL hinaus wurde vom EuGH aus dem Ansatz der Vermeidung von Missbrauch und dem Ansatz eines Beendigungsschutzes gewählt (Bedeutung „stabiler“ Arbeitsverhältnisse). Angesichts der in Österreich im Regelfall ohne besonderen Grund jederzeit möglichen Kündigung von Dienstverhältnissen ist eine konkrete Gefahr eines „Missbrauchs“ durch die Einhaltung des TAG nicht evident. Für die bei Nichtverlängerungserklärungen verschlossene Möglichkeit einer Anfechtung gem § 105 ArbVG gilt, dass sie auch gekündigten unbefristet beschäftigten AN nicht in jedem Fall offensteht oder Erfolg verspricht (ua in Kleinbetrieben, in den ersten sechs Monaten, bei guter Vermittelbarkeit oder Vorliegen wichtiger betrieblicher Gründe).

[30] 4. Lässt man offen, ob die RL anwendbar ist, prüft aber deren gegebenenfalls bestehende Wirkungen, so ist zu beurteilen, ob die Regelungen des TAG mit den Grundsätzen der RL in Einklang stehen.

[31] Die Befristungs-RL geht von der Prämisse aus, dass unbefristete Arbeitsverträge die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses sind. Gleichzeitig wird aber anerkannt, dass befristete Arbeitsverträge für die Beschäftigung in bestimmten Branchen oder für bestimmte Berufe und Tätigkeiten charakteristisch sind. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, eine oder mehrere der in § 5 Nr 1 lit a bis c der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen zu erlassen, um die missbräuchliche Verwendung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen wirksam zu verhindern (EuGHC-212/04, Adeneler ua, Rn 61, 65, 79, ECLI:EU:C:2006:443), sofern ihr innerstaatliches Recht keine „gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen“ zur Verhinderung eines solchen Missbrauchs umfasst. Die Mitgliedstaaten können nach § 5 Nr 1 der Befristungs-RL die Zulässigkeit einer mehrfachen Befristung ua vom Vorliegen sachlicher Gründe abhängig machen. Die Mitgliedstaaten verfügen nach dieser Bestimmung über einen Spielraum, wie sie dieses Ziel zu erreichen gedenken (EuGHC-378/07, Angelidaki ua, Rn 80, ECLI:EU:C:2009:250).

[32] 5. Das Kriterium „Vorliegen eines sachlichen Grundes“ ist nach der Rsp des EuGH so zu verstehen, dass damit genau bezeichnete, konkrete Umstände gemeint sind, die eine bestimmte Tätigkeit kennzeichnen und daher in diesem speziellen Zusammenhang den Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge rechtfertigen können. Diese Umstände können sich etwa aus der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung solche Verträge geschlossen wurden, und deren Wesens 331 merkmalen oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Ziels durch einen Mitgliedstaat ergeben. Hingegen entspräche eine nationale Vorschrift, die sich darauf beschränken würde, den Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge allgemein und abstrakt durch Gesetz oder Verordnung zuzulassen, nicht diesen Erfordernissen. Es geht um die Frage, ob die Verlängerung derartiger Verträge tatsächlich einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist (EuGHC-16/15, López, Rn 38 ff mwN, ECLI:EU:C:2016:679 ua).

[33] Würde zugelassen, dass eine nationale Vorschrift von Gesetzes wegen oder ohne weitere Präzisierung aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge rechtfertigen kann, so liefe dies auf eine Missachtung der Zielsetzung der Rahmenvereinbarung, mit der AN gegen unsichere Beschäftigungsverhältnisse geschützt werden sollen, und auf eine Aushöhlung des Grundsatzes hinaus, dass unbefristete Arbeitsverträge die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses sind (EuGHC-212/04, Adeneler ua, Rn 73, ECLI:EU:C:2006:443).

[34] 6.1. In der E Sciotto (EuGHC-331/17, ECLI:EU:C:2018:859) hatte der EuGH die Vereinbarkeit der Befristungs-RL mit nationalen (konkret italienischen) Regelungen, die das Aufeinanderfolgen mehrerer befristeter Verträge im Tätigkeitsbereich der Stiftungen für Oper und Orchester, im Anlassfall einer als Balletttänzerin beschäftigten AN, zulassen, zu beurteilen. Die auf diesen Sektor anwendbaren nationalen Vorschriften enthielten überhaupt keine Regelungen zur Umsetzung der RL.

[35] Vom EuGH wird dazu festgehalten, dass die Regelung keine den in § 5 Nr 1 der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen gleichwertige gesetzliche Maßnahme vorsehe, weshalb zu prüfen sei, ob der Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge in diesem Bereich durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden könne (Rn 37). Zusammengefasst kam er zu dem Ergebnis, dass allein der Umstand, dass in einem bestimmten Tätigkeitsbereich traditionell befristete Verträge abgeschlossen würden, mit der Befristungs-RL nicht in Einklang zu bringen sei. Zum Argument der Besonderheit, die dem Tätigkeitsbereich der Stiftungen für Oper und Orchester eigen sei, treffe es zu, dass die jährliche Programmplanung künstlerischer Vorstellungen für den AG zwangsläufig einen zeitweiligen Einstellungsbedarf mit sich bringe. Die vorübergehende Einstellung eines AN, um einen provisorischen und spezifischen Arbeitskräftebedarf des AG zu decken, könne grundsätzlich einen sachlichen Grund iSd § 5 Nr 1 Buchstabe a der Befristungs-RL darstellen. Es sei jedoch nicht zulässig, dass befristete Arbeitsverträge für die Zwecke der permanenten und dauerhaften Erledigung von Aufgaben in den in Rede stehenden kulturellen Einrichtungen, die zur normalen Tätigkeit des Tätigkeitsbereichs der Stiftungen für Oper und Orchester gehörten, verlängert werden könnten (Rn 49). Die Beachtung des § 5 Nr 1 Buchstabe a der RL verlange, dass konkret überprüft werde, ob die Verlängerung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen oder -verhältnissen darauf abziele, einen vorübergehenden Bedarf zu decken (vgl Rn 44, 46, 49, 50). Die konkrete Anwendung des Grundes müsse im Hinblick auf die Besonderheiten der Tätigkeit und der Rahmenbedingungen der Ausübung den Erfordernissen der Rahmenvereinbarung genügen (Rn 57). Aus den Akten gehe nicht hervor, inwiefern die künstlerischen Aufführungen, für die die Verträge der Kl des Ausgangsverfahrens geschlossen wurden, besonders gewesen wären, und auch nicht, aus welchem Grund sie zu einem vorübergehenden Personalbedarf geführt hätten (Rn 51-54).

[36] 6.2. Das TAG schränkt die spezifischen Regelungen betreffend die Befristung der Arbeitsverhältnisse auf die übliche Spielzeit (§ 24 Abs 3 TAG) auf Arbeitsverhältnisse von Personen ein, die sich einem Theaterunternehmen zur Leistung künstlerischer Arbeiten verpflichtet haben (§ 1 Abs 1 TAG). §§ 24, 27 TAG regeln nicht nur die Zulässigkeit aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverhältnisse, sondern ist die Befristung nach der gesetzlichen Konzeption sogar der Regelfall. Als Umsetzung der RL iSd in § 5 Nr 1 der Befristungs-RL genannten Maßnahmen kommt insoweit nur das Vorliegen eines sachlichen Grundes in Betracht. Es stellt sich also die Frage, ob es sachlich gerechtfertigt ist, bei künstlerischen Arbeiten eine Befristung auf die übliche Spielzeit vorzunehmen, etwa weil damit den Regisseuren eine Neubesetzung mit den ihrer Ansicht nach den Rollen entsprechenden Persönlichkeiten erfolgen soll (vgl auch EuGH Rs Sciotto Rn 48; zur Zulässigkeit der Befristungen auch bei begrenzten „wissenschaftlichen“ Aufgaben EuGHC-190/13, Samohano, Rn 55 und zuletzt zu § 109 UG 8 ObA 21/22d).

[37] Ob dieses Konzept insb auch für Chöre und Ballette als künstlerische Tätigkeiten tragfähig ist, bedarf hier jedoch keiner abschließenden Beurteilung.

[38] 6.3. Ebensowenig bedarf es einer abschließenden Beurteilung, ob ein gleichwertiger Schutz des AN vor Missbrauch iSd § 5 der RL schon darin zu sehen ist, dass der AG eine Nichtverlängerungserklärung abzugeben hat, wodurch das Arbeitsverhältnis nur zu einem bestimmten Termin einmal im Jahr und unter Einhaltung einer besonders langen Frist, die die üblichen Kündigungsfristen weit übersteigt, beendet werden kann.

[39] 6.4. Das pauschale Abstellen auf „künstlerische Tätigkeiten“ iSd § 1 Abs 1 TAG während einer „Spielzeit“ bei den Befristungen nach § 24 TAG könnte im Zusammenhang ua mit den „langen Kündigungsfristen“ in § 27 TAG allenfalls dann als unbefristeten Dienstverhältnissen „gleichwertiger Schutz“ iSd RL angesehen werden, wenn man dies vor dem Hintergrund des Beendigungsschutzes des – ja auch nur eingeschränkt wirksamen – § 105 ArbVG für unbefristete Arbeitsverhältnisse betrachtet. Bei diesem Vergleich stellte sich die Frage, inwieweit andere künstlerische Vorstellungen schon als Kündigungsgründe in der Person iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG anzusehen wären (hier wegen neuer Ausrichtung in Richtung moderner Tanz). Bejaht man diese, könnte eine Prüfung 332 auch ergeben, dass der sichere Vorteil aus den sehr langen „Kündigungsfristen“ und der Quasi-Unkündbarkeit während der Spielzeit (mit Beschäftigungsanspruch) branchenspezifisch der fehlenden Befristung gleich“wertig“ ist.

[40] 7. Ein zur Klärung der sich daraus ergebenden Fragen dienendes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH ist hier aber deswegen nicht zu stellen, weil selbst die positive Annahme einer richtlinienwidrigen Umsetzung entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen zu keiner Stattgebung des Klagebegehrens führen könnte.

[41] 7.1. Der EuGH hat bereits dazu Stellung genommen, dass sich § 5 Nr 1 der Befristungs-RL inhaltlich nicht als unbedingt und genau genug darstellt, damit sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann, schon weil es nicht möglich ist, den Mindestschutz, der in jedem Fall nach § 5 Nr 1 der Rahmenvereinbarung gewährt werden müsste, hinreichend zu bestimmen (EuGHC-378/07, Angelidaki ua, Rn 196, ECLI:EU:C:2009:250; vgl auch EuGHC-726/19, Instituto Madrileño de Investigación y Desarrollo Rural Agrario y Alimentario, Rn 79, ECLI:EU:C:2021:439; EuGHC-103/18, Domingo Sánchez Ruiz ua, Rn 118, ECLI:EU:C:2020:219).

[42] 7.2. Die nationalen Gerichte haben bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses jedoch so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen RL auszulegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen. Diese Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung betrifft das gesamte nationale Recht, unabhängig davon, ob es vor oder nach der RL, um die es geht, erlassen wurde (EuGHC-378/07, Angelidaki ua, Rn 197, ECLI:EU:C:2009:250).

[43] Hinsichtlich der Verpflichtung zur richtlinienkonformen Interpretation verweist der EuGH auf den Methodenkatalog des nationalen Rechts. Die richtlinienkonforme Interpretation darf den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen (RIS-Justiz RS0114158). Die Gerichte haben sich bei der Auslegung der nationalen Vorschrift so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck der RL zu orientieren und Rechtsbegriffe, die in der RL und im innerstaatlichen Recht übereinstimmen, entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Begriffen auszulegen (RS0075866).

[44] 7.3. Erst vor kurzem hat sich der OGH in der E 3 Ob 216/21t mit den Grenzen der richtlinienkonformen Interpretation auseinandergesetzt und dabei dem in der Literatur teilweise vertretenen Vorrang des „generellen Umsetzungswillens“ des Gesetzgebers eine Absage erteilt:

„Die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation reicht somit grundsätzlich bis zur Grenze der äußersten Wortlautschranke, erstreckt sich aber zudem auf die nach dem innerstaatlichen interpretativen Methodenkatalog zulässige Rechtsfortbildung durch Analogie oder teleologische Reduktion im Fall einer planwidrigen Umsetzungslücke (8 ObA 47/16v [Pkt 2.3.] mwN). Eine ‚interprétation conforme‘ der geltenden nationalen Rechtsvorschriften ist aber unzulässig, wenn diese zu einer Auslegung contra legem führen würde. Ebenso darf es nicht über diesen Umweg zu einer – sonst unzulässigen – unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen im horizontalen Verhältnis kommen (4 Ob 124/18s [Pkt 7.3.]; 9 ObA 11/19m [Pkt 4.]; EuGHC-261/20, Thelen, Rn 28).Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darf eine richtlinienkonforme Interpretation den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen (RS0114158 [T1]). Sie darf einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben (RS0114158 [T7]; 8 ObA 63/20b [Pkt 8]). Sie kommt allein dann zur Anwendung, wenn das nationale Recht dem Rechtsanwender einen Spielraum einräumt (RS0114158 [T5]).Einen solchen Spielraum eröffnet der bloße Verweis im Allgemeinen Teil der Erläuterungen eines Umsetzungsgesetzes, dieses diene der Umsetzung einer Richtlinie (sogenannter genereller Umsetzungswille), nicht. Ansonsten wäre bei jeder irrigen Umsetzung einer Richtlinie durch den Gesetzgeber bei noch so klarem Gesetzeswortlaut und noch so klaren, für den Gesetzeswortlaut sprechenden Gesetzesmaterialien sowie noch so klarem mit der Gesetzesbestimmung verfolgten Zweck grundsätzlich immer eine richtlinienkonforme Interpretation möglich. Solches widerspräche aber der ständigen Rechtsprechung, dass es – schon aus Gründen der Rechtssicherheit – unzulässig ist, im Wege einer richtlinienkonformen Interpretation den normativen Gehalt der nationalen Regelung grundlegend neu zu bestimmen (RS0114158; jüngst 7 Ob 241/18v [Pkt 3.2.]). Die allgemein bei fehlerhafter Richtlinienumsetzung eine Lücke bereits aufgrund des generellen Umsetzungswillens bejahende und insofern bislang vereinzelt gebliebene Entscheidung 4 Ob 62/16w wird daher abgelehnt.“

[45] Dieser Auffassung ist auch die E 5 Ob 197/21p zwischenzeitig gefolgt und sie wird vom erkennenden Senat geteilt.

[46] 7.4. Das TAG wurde 2010 nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die Befristungs-RL erlassen, wobei in den Erläuterungen ausdrücklich darauf Bezug genommen wurde, dass das SchSpG in einigen Bereichen in Widerspruch zu europarechtlichen Vorgaben steht. Der Gesetzgeber wollte damit das Arbeitsrecht der Mitglieder der Theaterbühnen „modernisieren und unter Beachtung der Besonderheit des ‚Bühnenarbeitsrechts‘ an das allgemeine Arbeitsrecht“ anpassen (RV 936 BlgNR 24. GP 1). Dabei sah er keine Veranlassung, bei den bestehenden Befristungsmöglichkeiten grundsätzliche Änderungen vorzunehmen. Einzige Neuerung war eine Modifizierung des Systems der Nichtverlängerungserklärung entsprechend der kollektivvertragsrechtlichen Praxis dahingehend, dass die Initiative zur Nichtverlängerung künftig beim/bei der Theaterunternehmer/in liegt (RV 936 BlgNR 24. GP 3), wobei der Gesetzgeber offenkundig – in Einklang mit der zu diesem Zeitpunkt herrschenden Rsp (vgl 9 ObA 100/06f; 8 ObA 99/03x) – voraussetzte, dass die Besonderheit der Branche die Zulässigkeit befristeter Verträge rechtfertigt. 333

[47] 8. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit der Befristung im Hinblick auf die Befristungs-RL einer Überprüfbarkeit nach § 879 ABGB unterliegt.

[48] Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Befristungs-RL hat der österreichische Gesetzgeber bei Schaffung von § 2b AVRAG ausgeführt, dass, um den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse zu vermeiden, eine oder mehrere Maßnahmen iSd § 5 Nr 1 Buchstaben a bis c der Rahmenvereinbarung zu setzen seien, sofern keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Missbrauchsvermeidung bestünden. § 879 ABGB stelle eine derartige gleichwertige gesetzliche Maßnahme dar. Eine mehrmalige Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse sei aber nach der ständigen Judikatur des OGH zu § 879 ABGB und der Lehre nichtig, wenn für diese mehrmalige Befristung keine sachliche Rechtfertigung gegeben werden könne. Das Arbeitsverhältnis gelte in diesem Fall als auf unbestimmte Dauer abgeschlossen. Die Bestimmung des § 879 ABGB und die darauf basierende stRsp des OGH zum Verbot der sogenannten „Kettenarbeitsverhältnisse“ erscheine als eine iSd § 5 der Rahmenvereinbarung gleichwertige gesetzliche Maßnahme, die einen umfassenden und ausreichenden Schutz vor Missbrauch biete. Die Gründe für eine sachliche Rechtfertigung der Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse könnten nur sehr schwer generalisiert und typisiert werden. Die Beurteilung hänge jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab (RV 951 BlgNR 21. GP 5).

[49] 8.1. Die Besonderheit der spezielleren Regelungen des TAG liegt aber darin, dass es ebenso wie das SchSpG befristete Dienstverhältnisse nicht nur zulässt, sondern als Regelfall ansieht. Ausdrücklich ist vorgesehen, dass ein ohne Zeitbestimmung eingegangenes Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der an der Vertragsbühne üblichen Spielzeit endet (§ 24 Abs 3 TAG). Das führt dazu, dass die Aneinanderreihung befristeter Verträge (bis zur Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung) nicht aus der Parteienvereinbarung, sondern unmittelbar aus dem Gesetz folgt.

[50] Damit verbietet sich aber ohne Hinzutreten weiterer Umstände insoweit eine Anwendbarkeit des § 879 ABGB auf solche Arbeitsverhältnisse, weil ihre (fortlaufende) Befristung nicht auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht, sondern vom Gesetz vorgegeben wird und selbst ohne gesonderte Vereinbarung bzw bei Wegfall einer solchen Vereinbarung gelten würde. § 879 ABGB bietet daher keine Grundlage für eine richtlinienkonforme Interpretation.

[51] 8.2. Da der Gesetzeswortlaut selbst keine Einschränkung der Zulässigkeit der Befristung nur für bestimmte Konstellationen enthält, könnte eine solche nur durch eine teleologische Reduktion erreicht werden.

[52] Diese verschafft der ratio legis nicht gegen einen zu engen, sondern gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut Durchsetzung. Die (verdeckte) Lücke besteht im Fehlen einer nach der ratio notwendigen Ausnahme. Vorausgesetzt ist stets der Nachweis, dass eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht getroffen wird und dass sie sich von den „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen so weit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre. Unzulässig ist es dabei, eine gesetzliche Vorschrift zur Gänze ihres Inhalts zu entkleiden (RS0008979).

[53] Da, wie bereits ausgeführt, sich die RL nicht als unbedingt und genau genug darstellt, dass daraus konkrete Ansprüche abgeleitet werden können, kann eine vom Gesetz im Licht der RL „nicht mitgemeinte Gruppe“ nicht klar und eindeutig umschrieben werden. Auch würde für eine solche Gruppe, die ja nur von den Befristungsregelungen aber nicht den übrigen Bestimmungen des TAG ausgenommen wäre, eine offene Regelungslücke mit Folgewirkungen in weitere Rechtsbereiche – etwa im Hinblick auf die dann geltenden Kündigungstermine und Kündigungsfristen – entstehen und es wären weitere im Zusammenhang stehende gesetzgeberische Entscheidungen, etwa die Beschäftigungspflicht (vgl § 18 TAG), einer Neubewertung zuzuführen.

[54] Aus denselben Gründen verbietet sich eine inhaltliche Beschränkung der Ausübung der Nichtverlängerungserklärung.

[55] 8.3. Zusammengefasst müsste daher selbst unter der Prämisse, dass die Befristungsregelung des TAG mit ihrem System der automatischen Verlängerung den Zielen und Zwecken der RL widerspricht, eine allfällige richtlinienkonforme Interpretation in dem mit dem Klagebegehren angestrebten Sinn am ausdrücklichen gegenteiligen Wortlaut und vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der §§ 24 und 27 TAG scheitern, sodass der Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens die Grundlage entzogen ist. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Handelt es sich beim Theaterarbeitsgesetz (TAG) bereits um ein Sonderarbeitsrecht, kommt bei vorliegenden Entscheidungen noch ein besonderes rechtliches Problem hinzu:

Werden im Geltungsbereich des „typischen“ Arbeitsrechtes Kettenbefristungen zwischen gleichrangigen Vertragspartnern abgeschlossen, so wird deren Gültigkeit aufgrund § 879 Abs 1 zweiter Fall ABGB beurteilt (vgl Löschnigg, Arbeitsrecht13 [2017] Rz 5/116 ff), da eine vollständige Umsetzung der RL 1999/70/EG zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Befristungs-RL) in Österreich nicht erfolgt ist (jüngst: Kozak, Kann die Umsetzungsverpflichtung von europäischen Richtlinien ohne Tätigkeit des Gesetzgebers erfüllt sein? in Auer-Mayer/Felten/Mosler/Schrattbauer [Hrsg], Festschrift Walter J. Pfeil [2022] 150 [145]). Im gegenständlichen Verfahren war aber eine gesetzliche Norm Stein des Anstoßes, nämlich § 27 TAG, der einen fortlaufend, 334 immer wieder neu auf das Saisonende befristeten Arbeitsvertrag als Normalfall des Bühnendienstverhältnisses vorsieht. Wie der OGH folgerichtig in seiner E festgehalten hat, greift nun die „Richtlinienumsetzungsrettung“ von § 879 ABGB nicht, da der Gesetzgeber selbst eine Kettenbefristung für künstlerische Arbeitsverhältnisse bei einem Bühnenunternehmen statuiert hat, wie der OGH in stRsp festhält und § 879 ABGB im Stufenbau der Rechtsordnung keine Höherrangigkeit und somit eine Anwendbarkeit gegenüber sonstigen (Bundes-)Gesetzen besitzt. Eine Umdeutung der Nichtverlängerung in eine Kündigung lehnt der OGH ab.

Die Kernproblematik ist damit auf die Beantwortung der Frage reduziert, ob das Beendigungssystem des TAG nun unionsrechtskonform ist oder diesem widerspricht. Zu prüfen hatte der OGH § 27 TAG nur an der Befristungs-RL, da aus den wiedergegebenen Sachverhalten nicht hervorgeht, ob die betroffenen Künstler:innen, im Bereich des TAG Darsteller:innen genannt, die AN-Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, was dann eine weitere Prüfung notwendig gemacht hätte. Was jedoch evident wird, ist, dass in zu besprechender E die Bühnendienstverhältnisse jeweils von 1.9.2008 bis 31.8.2020 bzw in der Parallelentscheidung von 1.9.2005 ebenfalls bis 31.8.2020, also 12 bzw 15 Jahre aufrecht waren, also mit diesen Arbeitsverhältnissen jedenfalls ein Dauerbedarf abgedeckt wurde.

2.
Unionsrecht und TAG

Außerhalb Österreichs, nämlich zu einem Fall einer Balletttänzerin in Italien, äußerte sich der EuGH bereits 2018 zu Kettenbefristungen in Bühnenbetrieben, wobei der Schwerpunkt der zu lösenden Rechtsfrage auf einem gesetzlichen Umwandlungsverbot befristeter in unbefristete Arbeitsverträge lag.

Der OGH gibt die Überlegungen des EuGH zu Kettenbefristungen im künstlerischen (Bühnen-) Bereich wieder (Rz 35) und stellt diese auch nicht in Frage. Es ist daher aus unionsrechtlicher Sicht mE ohne Zweifel, dass kettenbefristete Arbeitsverträge für die Zwecke der permanenten und dauerhaften Erledigung von Aufgaben bei gegenständlichen kulturellen Einrichtungen nicht zulässig sind. Befristete Verträge, die nicht einen Dauerbedarf abdecken, sind daher im Bühnendienstverhältnis ebenfalls zulässig. Der vom OGH (Rz 36) zitierte sachliche Grund (Rz 48 der gegenständlichen EuGH-E) für eine Befristung von Bühnendienstverträgen wird vom EuGH nur unter der Prämisse einer notwendigen vorübergehenden Einstellung angeführt. Eine Prüfung des Vorliegens eines Sachgrundes für die Verlängerung von Bühnendienstverträgen fordert bereits Oberwallner (Zur Qualifikation, Anfechtung und Umdeutung einer Nichtverlängerungserklärung iSd § 27 TAG, JAS 2021, 339 f [323]), die ebenfalls von einer Unionswidrigkeit des Kettenbefristungssystems des Tages ausgeht.

Der OGH selbst bezweifelt in Rz 37 zumindest bei Bühnendienstverträgen für Gruppen (vom OGH

werden Chöre und Ballette angeführt, es werden Orchestermitglieder jedoch auch zu den Gruppenkünstlern zu zählen sein) das Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung für die Kettenbefristung des TAG.

Dies bildet alles quasi den Hintergrund des „Gemäldes“ ab, das der OGH in der E gestaltet, bei dem er jedoch so zurückhaltend agiert, dass zwar die Unionsrechtswidrigkeit andauernd dargestellt, aber nicht offen ausgesprochen wird. Das Gericht stellt sich also hier wieder als „Schoner“ des Gesetzgebers dar, weil bei einer offen festgestellten Richtlinienwidrigkeit, die aber aufgrund fehlender (fälliger) Richtlinienumsetzung durch das Gericht nicht sanktioniert werden kann, im Endeffekt lediglich die Staatshaftung für die betroffenen AN übrigbleibt (vgl EuGH Rs C-501/12, Specht, ECLI:EU:C:2014:2005, Rz 99), da der von der Befristungs-RL gewährte Schutz vor unsachlichen Kettenbefristungen durch die vollständige Negierung durch das TAG einen qualifizierten Verstoß durch Österreich gegen Unionsrecht darstellt und der Kausalzusammenhang der fehlenden Umsetzung mit dem Prozess- und Arbeitsplatzverlust zweifelsfrei besteht.

Großes Gewicht kommt also den Argumenten des OGH hinsichtlich einer fehlenden Vorlageverpflichtung bzw der fehlenden direkten Anwendungsmöglichkeit der fraglichen Bestimmungen der Befristungs-RL zu.

2.1.
Unmittelbare Richtlinienwirkung zwischen Privaten

In Rz 44 nimmt der OGH Bezug darauf, dass eine richtlinienkonforme Auslegung, die zu einer Interpretation contra legem führen würde, nicht zulässig ist, und eine unmittelbare Wirkung von Richtlinienbestimmungen im horizontalen Verhältnis unzulässig sei.

Dazu ist zu bemerken, dass es sich bei dieser E (trotz aller Anonymisierungsbemühungen, die Rechtsquellen legen dies eindeutig offen, vgl Rz 15) bei einem der Streitparteien um die Wiener Bundestheater handelt. Ein Blick in das Bundestheaterorganisationsgesetz (BThOrgG) offenbart, dass die einzelnen Theater bzw die Dachorganisation der Bundestheater zwar in Form privatrechtlicher Gesellschaften nach Gesellschaftsrecht geführt werden, aber sowohl aufgrund der Finanzierung als auch aufgrund des Einflusses des Staates wohl nicht die Privateigenschaft besitzen, die ein horizontales Verhältnis iS eines unmittelbaren Wirkungsverbotes einer RL voraussetzt. So ergab sich für die Wiener Staatsoper (als finanzielles „Zugpferd“ der Bundestheater) nach deren Angaben im Geschäftsbericht eine finanzielle Eigenabdeckung für die Spielsaison 18/19 von lediglich 46,2 % (https://www.wiener-staatsoper.at/die-staatsoper/medien/detail/news/geschaeftsbericht-20182019-zwischenbilanz-20192020/#:~:text=€%2012.905%2C1%20ergibt%20sich,sich%20auf%2046%2C2%25.&text=Zum%2011.%20Februar%2-02020%20beträgt,Oper%3A%2099%2C39%25https://www.wiener-staatsoper.at/die-staatsoper/medien/detail/news/geschaeftsbericht-20182019-zwischenbilanz-20192020/#:~:text=€%2012.905%2C1%20ergibt%20sich,sich%20auf%2046%2C2%25.&text=Zum%2011.%20Februar%2-02020%20beträgt,Oper%3A%2099%2C39%25, abgefragt am 9.3.2023). 335

Die Bundestheater unterliegen einem gesetzlichen kulturpolitischem Auftrag mit gesetzlich vorgegebenem Unternehmenskonzept (§§ 2, 5 f BThOrgG). Der Bundeskanzler ernennt die Geschäftsführer der Bundestheaterholding und der einzelnen Töchtergesellschaften, wobei bei der Bestellung der künstlerischen Geschäftsführer das Stellenbesetzungsgesetz anzuwenden ist. Selbst bei der Ausschreibung ist das Einvernehmen mit dem Bundeskanzler herzustellen (§ 12 BThOrgG). Die Mitglieder des Aufsichtsrates der Holding werden vom Bundeskanzler und vom Bundesminister für Finanzen ernannt; für die Tochtergesellschaften wird bis auf ein Aufsichtsratsmitglied, das die Holding ernennt, die restlichen Mitglieder vom Bundeskanzler (3) und vom Finanzminister (1) ernannt. Die vom Bundeskanzler bzw Finanzminister ernannten Aufsichtsräte sind den Ernennern auskunftsverpflichtet (§ 13 BThOrgG). Der Staatseinfluss ist daher derart umfassend, dass durchaus das Fehlen eines horizontalen Verhältnisses angenommen werden kann und somit grundsätzlich die fraglichen Richtlinienbestimmungen unmittelbar zur Anwendung kommen. Zu einer unmittelbaren Anwendbarkeit findet man auch in der EuGH-E der Rs Wells (C-201/02, ECLI:EU:C:2004/12) ein starkes Argument: Der EuGH führt hier zu einer unmittelbaren Wirkung von Bestimmungen einer RL zwischen privaten Personen aus, dass sichere negative Auswirkungen auf Rechte von privaten Streitgegnern für die Nichtanwendung der Bestimmung einer RL keinen Versagungsgrund darstellen, solange nicht (zusätzliche) Handlungspflichten für den belasteten Vertragspartner entstehen. Da im gegenständlichen Fall keine Handlungspflichten des Dritten (des Theaterunternehmens) durch die unmittelbare Anwendung entstehen würden und somit der Grundsatz der Rechtssicherheit nicht verletzt ist, wäre die unmittelbare Richtlinienwirkung jedenfalls hier zulässig (vgl Rz 56 f Rs Wells).

2.2.
Berufung einzelner auf Befristungs-RL

Schwerer wiegt in diesem Zusammenhang das Argument, dass § 5 Nr 1 der Befristungs-RL sich inhaltlich nicht als unbedingt und genau genug darstellt, damit sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann. Dies macht mE bei gegenständlicher Problematik weniger Probleme, da das absolute Fehlen von gleichwertigen Maßnahmen iS von § 5 Nr 1 zu einer generellen Unionsrechtswidrigkeit der Kettenbefristungsanordnung des TAG führt, die mit der innerstaatlich gefestigten Rechtsfolge des aufrechten Arbeitsverhältnisses verknüpft werden hätte können. In einem vergleichbaren Fall arbeitsrechtlichen Befristungssonderrechts, nämlich § 109 Abs 2 UG 2002, judizierte der OGH nach einer Vorlage an den EuGH (Rs C-274/18, Schuch-Ghannadan, ECLI:EU:C:2019:828; OGH 24.10.2022, 8 ObA 21/22d) in diesem Sinne, da er einen vorliegenden Sachgrund iSd Norm nicht vorliegen sah und als Rechtsfolge das unbefristete, aufrechte Arbeitsverhältnis feststellte (Rz 36). Da im gegenständlichen Fall die Tänzerin Mitglied des Corps de ballet, also Gruppenmitglied, war, hätte der OGH seinen in Rz 37 geäußerten Zweifeln folgen können und bei Verneinung einer sachlichen Rechtfertigung der Kettenbefristung trotz Vorliegens der gesetzlichen Dauerbefristungsnorm das aufrechte Bühnendienstverhältnis annehmen können. Wie eine solche Prüfung im Parallelfall des neunten Senates (OGH 24.11.2022, 9 ObA 11/22s), bei dem der Kl Solist war, unter diesen Annahmen zu entscheiden wäre, ist hinsichtlich der Aussagen des OGH in Rz 36 jedoch nicht abzusehen.

Letztlich muss aber festgehalten werden, dass die nationalen Gerichte im Rahmen eines contra legem-Falles nicht verpflichtet sind, die nationale, unionsrechtswidrige Regelung unangewendet zu lassen (EuGHC-103/18, C-429/18, Sánchez Ruiz/Álvarez ua, ECLI:EU:C:2020:219, Rz 125). Dies stellt lediglich eine Handlungsoption für die nationalen Gerichte dar.

2.3.
Gefahr des Missbrauchs

Die Überlegungen des OGH, dass hinsichtlich der unbefristeten Arbeitsverträge eine Kündigungsanfechtungsmöglichkeit gem § 105 ArbVG auch nicht immer möglich sei, bzw nicht immer erfolgreich wäre, führt mE nicht zu einem die Rechtsfrage lösenden Erkenntnisgewinn.

Dass Gerichtsprozesse verloren gehen können, liegt in der Natur der Sache. Das Ziel von Anfechtungsbestimmungen im Rahmen der Rechtsordnung liegt ja auf der Kontrollfunktion der Gerichte, ob Beendigungserklärungen den gesetzlich zulässigen Gestaltungsbereich entsprechen. Zusätzlich ist davon auszugehen, dass die Kleinstbetriebsausnahme und somit die fehlende Kündigungsanfechtungsmöglichkeit gem § 105 ArbVG lediglich 80.553 (ausgenommen die Ein-Personen-Unternehmen) von insgesamt 255.313 Betrieben in Österreich betrifft (Größenstufenstatistik wko.at, abgefragt am 10.3.2022). Sind somit im regulären Arbeitsrecht 1/3 der Betriebe von der Ausnahme betroffen, ist aber eine Kündigungsanfechtung im Bereich des TAG zu 100 % nicht möglich, obwohl die größeren Theaterunternehmen (zB Landestheater, Bundestheater etc) jedenfalls nicht einer Kleinstbetriebsausnahme unterlägen. Dazu kommt, dass dieser Themenkomplex nicht eine Frage des Missbrauchs darstellt, sondern jene der Ungleichbehandlung gem § 3 der Befristungs-RL (so auch Korenjak, Keine Sozialwidrigkeitsprüfung bei befristeten Arbeitsverhältnissen, ZAS 2021, 238 [237]). Maßgebend ist, dass das TAG das Erfordernis des Unionsrechtes bei Dauerbedarf unbefristete Arbeitsverhältnisse vorzusehen, mit der Kettenbefristungsanordnung ignoriert.

3.
Zur Vorlageverpflichtung

Die Vorlageverpflichtung von nationalen Gerichten an den EuGH ist in Art 267 AEUV geregelt. Anfrageberechtigt ist jedes Gericht, wobei letztinstanzliche Gerichte zur Vorlage verpflichtet sind, insoweit die Auslegungsfrage für die Entscheidung des vorlegenden Gerichtes präjudiziell ist (Kuras, Vorlagepflicht und Sinnhaftigkeit von Vorlagen, in 336Kozak [Hrsg], EuGH und Arbeitsrecht [2015] 4, 6). Eine Verpflichtung sieht Kuras aus Sicht des nationalen Gerichtes zur Vorlage dann nicht als gegeben an, wenn das Prozessergebnis unabhängig von der Beantwortung der Vorlagefrage feststeht bzw wenn die Grenzen der richtlinienkonformen Interpretation erreicht sind und der normative Gehalt der nationalen Regelung grundlegend geändert würde (Kuras in Kozak [Hrsg], EuGH und Arbeitsrecht 24 f).

Wenn man annimmt, dass der OGH von einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der Unionsrechtswidrigkeit des Beendigungssystems des TAG ausging und so zum einen eine Vorlage aufgrund Vorliegens einer acte claire nicht notwendig war (der OGH nahm die Option in Anspruch, eine nicht unionskonform interpretierbare nationale Regel angewendet zu lassen), kann aufgrund der Aussagen des EuGH in der Rs Sciotto (C-331/17, ECLI:EU:C:2018:859) zum anderen davon ausgegangen werden, dass keine generelle Frage des Unionsrechtes mehr vorliegt, deren Lösung auch in anderen Mitgliedstaaten Probleme macht (Kuras in Kozak [Hrsg], EuGH und Arbeitsrecht 22, unter Bruch auf EuGH Rs Ferreira da Silva e Brito [C-160/14, ECLI:EU:C:2015:565]). Spätestens bei einem Staatshaftungsprozess wegen mangelnder Richtlinienumsetzung wird eine Vorlage an den EuGH relevant werden, da hier die mangelnde Umsetzung selbst als Vorlagefrage relevant werden würde.

4.
Fazit

Der OGH hat in letzter Instanz auch nach dem Verfahrensverlauf in den Unterinstanzen unerwartet entschieden. Die Wertungen, die hinter dieser Entscheidung stehen, sind jedenfalls jener der Rechtssicherheit und der Selbstbeschränkung der Gerichte, sich nicht Kompetenzen des Gesetzgebers anzumaßen, geschuldet – Wertungen, die insgesamt wertvoll und nicht zu kritisieren sind. Die Entscheidung hätte aber auch auf Grundlage der bestehenden Rechtsordnung genauso valide in der Nichtanwendung des unionsrechtswidrigen Kettenbefristungssystems das TAG enden können. Nun ist der Gesetzgeber gefordert, der unter dem Damoklesschwert einer Realisierung einer Staatshaftung bzw einem Vertragsverletzungsverfahren durch die Kommission der Union aufgrund mangelnder Richtlinienumsetzung steht. Eine Vogel-Strauß-Politik ist in einer solchen Lage nicht angesagt.

Nicht unerwähnt darf gelassen werden, dass der OGH jüngst (23.2.2023, 8 ObA 94/22i) in einer E zum Beschäftigungsrecht des § 18 Abs 1 TAG keine großen Bedenken hatte, die Intention des Gesetzgebers durch die Verneinung der Klagbarkeit dieses Rechts grundlegend zu ändern, aber hier ging es ja dann nicht um die Anwendung von Unionsrecht ... 337