Schubert (Hrsg)Economically-dependent Workers. Employment in a Decent Economy – International, European and Comparative Law Perspective. A Handbook

C.H. Beck Verlag, München 2022, XXV, 305 Seiten, Leinen, € 150,–

MARTINGRUBER-RISAK (WIEN)

Das Arbeitsrecht geht bekanntlich von der Annahme aus, dass persönlich abhängige AN schutzbedürftig seien, Selbständige hingegen nicht. Diese Trennlinie war schon immer zu unscharf und es zeigte sich auch schon seit längerem, dass es eine Gruppe von Selbständigen gibt, die sich in einer arbeitnehmer:innen-ähnlichen sozialen Situation befinden, wenngleich sie nicht in persönlicher Abhängigkeit beschäftigt sind. Schon von Karl Marx wurde diese Gruppe von Selbständigen, die Kleinbürger:innen (petite bourgeoisie), als zwischen den Lohnarbeiter:innen und den Kapitalist:innen stehend angesehen. Sie verwenden zwar ihre eigenen Produktionsmittel, müssen aber auch von ihrer Arbeitskraft leben. Gut ging es ihnen jedenfalls damals wie heute nicht. Zahlen des europäischen Statistikamtes Eurostat zeigen sogar, dass Selbständige ein viel höheres Arbeits- und Ausgrenzungsrisiko haben als regulär Beschäftigte. Diese Situation hat sich zuletzt durch die Digitalisierung weiterhin verschärft, die eine kleinteilige Organisation von Arbeit unter Aufrechterhaltung von formalen Spielräumen für die Beschäftigten in einem bislang ungeahnten Ausmaß ermöglicht. Die wohl extremste Ausformung derselben ist die Plattformwirtschaft, die die Diskussion um die schutzbedürftigen Solo-Selbständigen wieder besonders lauter werden ließ.

Freilich haben die meisten Arbeits- und Sozialrechtsordnungen in Europa auf diese Problematik schon in der Vergangenheit in sehr unterschiedlicher Weise reagiert und bestimmte Kleinstselbständige in den Genuss einiger Schutznormen des Arbeits- und Sozialrechts kommen lassen oder gar für einzelne Gruppen von ihnen sogar eigene Regelungen erlassen (insb für Heimarbeiter:innen). Wie die Gruppe der schutzbedürftigen Selbständigen jedoch umgrenzt ist und welche Normen zur Anwendung kommen, ist freilich überaus divers und differiert von Land zu Land. Das zeigt nicht zuletzt die vorliegende Publikation, die ua, aber nicht nur, den Status quo in elf europäischen Staaten (Österreich, Frankreich, Deutschland, Irland, Italien, Niederlande, Portugal, Slowenien, Spanien, Schweden, Vereinigtes Königreich) umfassend aufarbeitet und dabei sowohl auf das Arbeits- wie auch auf das Sozialrecht eingeht. Diese Berichte sind allesamt von prominenten nationalen Expert:innen (Marhold, Kessler/Big, Schubert, Doherty, Del Conto/Gramano, Houwerzijl, Abrantes, Ticar, Todolí-Signes, Westregard, Davies) verfasst; man möchte fast sagen, von den „üblichen Verdächtigen“ (was anerkennend gemeint ist). Sie weisen einen durchaus großen inhaltlichen Tiefgang auf, was insb die Kontextualisierung und die Entwicklungsgeschichte der nationalen Regelungen betrifft. Dadurch sind die Länderkapitel auch einzeln gut und vor allem mit großem Erkenntnisgewinn lesbar. Vieles, was man bislang bruchstückweise bereits wusste, wird so zu einem größeren Bild zusammengeführt.

Wie es sich für ein gutes rechtsvergleichendes Buch dann auch gehört, folgt nun eine wirklich feine vergleichende Analyse (Schubert), die Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeitet. Hier wird die Diversität der Lösungen auf das in allen Rechtsordnungen bekannte Problem der Schutzbedürftigkeit bestimmter Selbständiger offenbart – zuerst geht es um die Umschreibung des Personenkreises und danach um die auf diesen zur Anwendung zu bringenden Normen. Diese beiden Bereiche stehen dabei in einem Zusammenhang, da sich die relevanten Kriterien wesentlich in einem Zusammenspiel mit den zur Anwendung gebrachten gesetzlichen Bestimmungen erklären lassen.

Damit ist das Buch aber noch nicht zu Ende, sondern es schließen drei überaus lesenswerte Kapitel zum Schutzbereich der Rechtsquellen von drei sehr unterschiedlichen Institutionen an. Einerseits geht es um die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) (Trebilcock) und den Europarat mit der Revidierten Europäischen Sozialcharta (RESC) (Schlachter), deren relevante Komitees zur Auslegung der Rechtsakte beide einen weiten Zugang bezüglich des persönlichen Anwendungsbereiches vertreten. Damit ist eigentlich aus menschenrechtlicher Sicht eine angemessene Ausweitung erforderlich, wobei vor allem die Kollektivverhandlungen im Vordergrund stehen – das wird dann im Endkapitel noch näher vertieft. Zum Unionsrecht wiederum arbeitet Krause in gewohnt hoher Qualität heraus, dass es hier weiterhin in der EuGH-Rsp auf die persönliche Abhängigkeit ankommt, wenngleich die Kompetenz der EU zu einer Ausweitung des Schutzes auf wirtschaftlich abhängige Selbständige ermöglichen würde.

Das letzte Kapitel (Schubert), das Ableitungen und Vorschläge enthält, ist mit bloß neun Seiten vergleichsweise kurz ausgefallen und bezieht nicht immer so klar Position, wie man es sich eigentlich erwarten würde. Die Autorin zieht sich bisweilen auf eine Beschreibung des Status quo zurück. Auch wenn generell für den Schutz der wirtschaftlich abhängigen Selbständigen plädiert wird, so finden sich leider keine konkreten Vorschläge, wie diese eigentlich zu umschreiben sind bzw wie unter diesen weiter zu differenzieren ist (was letztlich auch argumentiert wird). Eingetreten wird jedenfalls für die Ermöglichung kollektiver Verhandlungen und eine Klarstellung, dass diese nicht im Konflikt 339 mit dem Wettbewerbsrecht stehen. Das ist mittlerweile mit den am 29.9.2022 vorgestellten Leitlinien der Kommission für die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen erfolgt. Dass dafür aber die Selbstorganisation der wirtschaftlich abhängigen Selbständigen noch stattzufinden hat, darauf wird zu Recht hingewiesen. Hinsichtlich des weiteren Schutzes wird wesentlich nur eine Anwendung der Modifikationen der DN-Haftpflicht (wie schon in Österreich der Fall) und von Kündigungsfristen bei Vertragsbeendigung gefordert, wobei aber deren Dauer ebenso offen gelassen wird wie die konkreten Modalitäten. Ich würde das Antidiskriminierungsrecht ebenfalls in diese Liste aufnehmen und dieses allen persönlich Arbeitenden zugutekommen lassen. Letztlich geht es hierbei ja um den Persönlichkeitsschutz unabhängig des Vertragsstatus. Bei der Ausweitung von Mindestlohnbestimmung vertritt die Verfasserin, dass dies unionsrechtlich grundsätzlich möglich sein kann, ausdrücklich dafür plädiert sie jedoch nicht. So bleibt das Werk auch in den Folgerungen in erster Linie eher dogmatisch ausgerichtet und weniger rechtspolitisch orientiert.

Alles in allem liegt mit dem Sammelband „Economically- dependent Workers“ ein in seinem Informationsgehalt beeindruckendes Werk vor, das in umfassender Weise die Problematik des sozialen Schutzes für wirtschaftlich abhängige Selbständige in Europa umfassend aufarbeitet. Und dies sowohl in rechtsvergleichender als auch aus einer dreifachen internationalen Perspektive (ILO, RESC, EU). Man wird um diese Publikation bei einer zukünftigen Befassung mit dem Thema nicht herumkommen, wenngleich darauf hinzuweisen ist, dass die Passagen zum Wettbewerbsrecht wegen der neuen Leitlinien der Europäischen Kommission für die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbständigen freilich nicht mehr ganz aktuell sind.