28Tariföffnungsklausel der Leiharbeits-RL und Achtung des „Gesamtschutzes“ von Leiharbeitnehmer:innen
Tariföffnungsklausel der Leiharbeits-RL und Achtung des „Gesamtschutzes“ von Leiharbeitnehmer:innen
Art 5 Abs 3 Leiharbeits-RL erfordert in Bezug auf den Begriff „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ nicht, für Leih-AN ein eigenes Schutzniveau vorzusehen, das über dasjenige hinausgeht, das durch nationales Recht und Unionsrecht betreffend die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für die AN im Allgemeinen festgelegt ist.
Lassen die Sozialpartner – entsprechend Art 5 Abs 3 Leiharbeits-RL – jedoch durch einen Tarifvertrag Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zum Nachteil von Leih-AN zu, dann muss dieser Tarifvertrag, um den Gesamtschutz der betroffenen Leih-AN zu achten, ihnen Vorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewähren, die geeignet sind, ihre Ungleichbehandlung auszugleichen.
Tarifverträge, die entsprechend Art 5 Abs 3 Leiharbeits-RL Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zum Nachteil von Leih-AN zulassen, müssen einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen können, um zu überprüfen, ob die Sozialpartner ihrer Pflicht zur Achtung des Gesamtschutzes von Leih-AN nachkommen.
Ausgangsverfahren
12 CM war von Januar bis April 2017 bei TimePartner, einem Leiharbeitsunternehmen, auf Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags als Leih-AN beschäftigt. In diesem Rahmen wurde sie einem Unternehmen des Einzelhandels als Kommissioniererin überlassen.
13 Die vergleichbaren AN des entleihenden Unternehmens, für die der Lohntarifvertrag für die gewerblichen AN im Einzelhandel in Bayern (Deutschland) gilt, erhielten einen Bruttostundenlohn von 13,64 €.
14 CM erhielt während ihrer Überlassung an dieses Unternehmen einen Bruttostundenlohn von 9,23 €, und zwar gemäß dem Tarifvertrag (TV) für Leih-AN, der zwischen dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen eV, dem Time- Partner angehörte, und dem Deutschen Gewerkschaftsbund, dem die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft angehörte, in der CM Mitglied war, geschlossen worden war.
15 Dieser TV wich für die Monate Januar bis März 2017 von dem in § 10 Abs 4 Satz 1 dAÜG in der bis zum 31.3.2017 geltenden Fassung und für den Monat April 2017 von dem in § 8 Abs 1 dAÜG in der ab dem 1.4.2017 geltenden Fassung verankerten Grundsatz der Gleichstellung ab, indem er für Leih-AN ein geringeres Arbeitsentgelt als für AN des entleihenden Unternehmens vorsah.
16 CM erhob beim Arbeitsgericht Würzburg (Deutschland) Klage auf zusätzliches Arbeitsentgelt in Höhe von 1.296,72 €, dh den Differenzbetrag,
den sie erhalten hätte, wenn sie nach dem Lohntarifvertrag für die gewerblichen AN im Einzelhandel in Bayern vergütet worden wäre. Sie machte geltend, dass die einschlägigen Bestimmungen des dAÜG und des TV für Leih-AN nicht mit Art 5 der RL 2008/104 vereinbar seien. TimePartner bestritt, dass sie verpflichtet sei, ein anderes Arbeitsentgelt als das im TV für Leih-AN vorgesehene zu zahlen. 17 Nachdem die Klage abgewiesen worden war, legte CM Berufung beim LAG Nürnberg (Deutschland) ein, die zurückgewiesen wurde. Daraufhin hat CM Revision beim vorlegenden Gericht, dem Bundesarbeitsgericht (BAG), eingelegt.
18 Nach Ansicht dieses Gerichts hängt der Ausgang der Revision von der Auslegung von Art 5 der RL 2008/104 ab. [...]
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
30 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung durch ihre Bezugnahme auf den Begriff „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ erfordert, ein den Leih-AN eigenes Schutzniveau zu berücksichtigen, das über dasjenige hinausgeht, das durch nationales Recht und Unionsrecht betreffend die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für die AN im Allgemeinen festgelegt ist.
31 Nach Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 können die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner diesen die Möglichkeit einräumen, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen TV aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leih-AN Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leih-AN enthalten können, welche von den in Abs 1 dieses Artikels aufgeführten Regelungen abweichen können, dh von den Regelungen, nach denen die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen mindestens denjenigen entsprechen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem Unternehmen, in dem sie als Leih-AN tätig sind, unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.
32 Der Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ ist in Art 3 Abs 1 lit f der RL 2008/104 definiert und bezieht sich auf die Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage und Arbeitsentgelt.
33 Somit ergibt sich aus dem Wortlaut von Art 5 Abs 3 der RL 2008/104, dass der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit, den Sozialpartnern zu gestatten, Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die Ungleichbehandlungen in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leih-AN zulassen, die Pflicht gegenübersteht, für die Leih-AN einen „Gesamtschutz“ zu achten, ohne dass dieser Begriff in der RL jedoch inhaltlich definiert würde. [...] 267
39 Um somit das in Art 2 der RL 2008/104 genannte Ziel, für den Schutz der Leih-AN zu sorgen, mit der Achtung der Vielfalt der Arbeitsmärkte in Einklang zu bringen, ist davon auszugehen, dass der „Gesamtschutz“ von Leih-AN in dem Fall, dass ein TV auf der Grundlage von Art 5 Abs 3 der RL abweichend von deren Art 5 Abs 1 zum Nachteil der Leih-AN eine Ungleichbehandlung in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Vergleich zu den für die eigenen AN des entleihenden Unternehmens geltenden zulässt, nur dann gewährleistet ist, wenn ihnen im Gegenzug Vorteile gewährt werden, die die Auswirkungen dieser Ungleichbehandlung ausgleichen sollen. Der Gesamtschutz von Leih-AN wäre nämlich zwangsläufig geschwächt, wenn sich ein solcher TV in Bezug auf die Leih-AN darauf beschränkte, eine oder mehrere dieser wesentlichen Bedingungen zu verschlechtern.
40 Angesichts der Tragweite von Art 5 Abs 1 der RL 2008/104, wonach für Leih-AN die gleichen wesentlichen Bedingungen gelten sollen wie für die eigenen AN des entleihenden Unternehmens, erfordert die Achtung des Gesamtschutzes iS von Art 5 Abs 3 jedoch nicht, ein den Leih-AN eigenes Schutzniveau zu berücksichtigen, das über dasjenige hinausgeht, das in Bezug auf diese Bedingungen in den verbindlichen Schutzbestimmungen des nationalen Rechts und des Unionsrechts für die AN im Allgemeinen vorgesehen ist.
41 Die Vorteile zum Ausgleich der Auswirkungen einer Ungleichbehandlung zum Nachteil der Leih- AN wie der in Rn 39 des vorliegenden Urteils erwähnten müssen sich auf die in Art 3 Abs 1 lit f der RL 2008/104 definierten wesentlichen Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen beziehen, dh auf diejenigen, die die Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage und das Arbeitsentgelt betreffen.
42 Diese Auslegung von Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 wird durch seinen Kontext bestätigt. Denn Art 5 Abs 2 der RL ermöglicht es den Mitgliedstaaten im Wesentlichen, nach Anhörung der Sozialpartner in Bezug auf das Arbeitsentgelt von dem in Art 5 Abs 1 der RL vorgesehenen Grundsatz der Gleichbehandlung abzuweichen, wenn Leih-AN insb auch in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden. Dürfen also die Mitgliedstaaten das Arbeitsentgelt von Leih-AN nur dann niedriger festsetzen, als es der Grundsatz der Gleichbehandlung gebieten würde, wenn dieser Nachteil durch die Gewährung eines Vorteils ausgeglichen wird, der sich in diesem Fall auf dieselbe wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingung, nämlich das Arbeitsentgelt, bezieht, wäre es paradox, hinzunehmen, dass die Sozialpartner, die doch verpflichtet sind, den Gesamtschutz von Leih-AN zu achten, so vorgehen dürften, ohne ihrerseits verpflichtet zu sein, in dem betreffenden TV die Gewährung eines Vorteils in Bezug auf diese wesentlichen Bedingungen vorzusehen.
43 Das gilt erst recht für Leih-AN, die nur über einen befristeten Vertrag verfügen und denen, da sie wohl eher selten in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden, ein erheblicher ausgleichender Vorteil in Bezug auf diese wesentlichen Bedingungen gewährt werden muss, der im Wesentlichen mindestens das gleiche Niveau haben muss wie der, der Leih-AN mit einem unbefristeten Vertrag gewährt wird.
44 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung durch ihre Bezugnahme auf den Begriff „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ nicht erfordert, ein den Leih- AN eigenes Schutzniveau zu berücksichtigen, das über dasjenige hinausgeht, das durch nationales Recht und Unionsrecht betreffend die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für die AN im Allgemeinen festgelegt ist. Lassen die Sozialpartner jedoch durch einen TV Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen zum Nachteil von Leih-AN zu, muss dieser TV, um den Gesamtschutz der betroffenen Leih-AN zu achten, ihnen diese Vorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewähren, die geeignet sind, ihre Ungleichbehandlung auszugleichen. [...]
Zur Frage 2a
46 Mit der Frage 2a möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass die Frage, ob die Pflicht zur Achtung des Gesamtschutzes von Leih-AN erfüllt ist, abstrakt anhand eines eine Ungleichbehandlung zulassenden TV oder konkret durch einen Vergleich mit den wesentlichen Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen, die für vergleichbare, unmittelbar von dem entleihenden Unternehmen eingestellte AN gelten, zu beurteilen ist.
47 Nach Art 5 Abs 1 UAbs 1 der RL 2008/104 müssen die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leih-AN während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem betreffenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Urteil vom 12.5.2022, Luso Temp, C-426/20, EU:C:2022:373, Rn 49). Der Unionsgesetzgeber hat damit seine Absicht zum Ausdruck gebracht, dafür zu sorgen, dass die Leih-AN nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung grundsätzlich nicht schlechter gestellt werden als vergleichbare AN des entleihenden Unternehmens.
48 Die Leih-AN haben somit grundsätzlich Anspruch auf die gleichen wesentlichen Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen, die für sie gelten würden, wenn das entleihende Unternehmen sie unmittelbar eingestellt hätte. Somit ergibt sich aus dem Charakter von Art 5 Abs 3 als Abweichung, auf den in Rn 38 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, sowie aus dem in Rn 36 des vorliegenden Urteils angeführten Ziel der RL 2008/104, dass nach der in Art 5 Abs 3 der RL vorgesehenen abweichenden Bestimmung konkret zu prüfen ist, ob ein TV, der eine Ungleichbehandlung von Leih-AN und vergleichbaren AN des entleihenden Unternehmens in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zulässt, tatsächlich den Gesamtschutz von Leih-AN achtet, 268 indem er ihnen bestimmte Vorteile einräumt, die die Auswirkungen dieser Ungleichbehandlung ausgleichen sollen. Diese Prüfung ist daher in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vorzunehmen, die für vergleichbare AN des entleihenden Unternehmens gelten.
49 Somit sind in einem ersten Schritt die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu bestimmen, die für den Leih-AN gelten würden, wenn er von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wäre. In einem zweiten Schritt sind diese wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen mit denen zu vergleichen, die sich aus dem TV ergeben, dem der Leih-AN tatsächlich unterliegt (vgl entsprechend Urteil vom 12.5.2022, Luso Temp, C-426/20, Rn 50). In einem dritten Schritt ist, um den Gesamtschutz von Leih-AN zu achten, zu beurteilen, ob die gewährten Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen.
50 Nach alledem ist auf die Frage 2a zu antworten, dass Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass die Frage, ob die Pflicht zur Achtung des Gesamtschutzes von Leih-AN erfüllt ist, konkret zu beurteilen ist, indem für einen bestimmten Arbeitsplatz die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die für die von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar eingestellten AN gelten, mit denen verglichen werden, die für Leih-AN gelten, um so feststellen zu können, ob die in Bezug auf diese wesentlichen Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen gewährten Ausgleichsvorteile es ermöglichen, die Auswirkungen der Ungleichbehandlung auszugleichen. [...]
Zur dritten Frage
58 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass der nationale Gesetzgeber verpflichtet ist, die Voraussetzungen und Kriterien für die Achtung des Gesamtschutzes von Leih-AN iS dieser Bestimmung vorzusehen, wenn der betreffende Mitgliedstaat den Sozialpartnern die Möglichkeit einräumt, Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zum Nachteil der Leih-AN zulassen. [...]
63 Die den Mitgliedstaaten in Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 eingeräumte Möglichkeit, es den Sozialpartnern zu gestatten, von dem in Art 5 Abs 1 der RL umgesetzten Grundsatz der Gleichbehandlung abweichende Tarifverträge zu schließen, steht somit im Einklang mit der Rsp des Gerichtshofs, wonach die Mitgliedstaaten die Verwirklichung der sozialpolitischen Ziele, die mit einer in diesem Bereich erlassenen RL verfolgt werden, in erster Linie den Sozialpartnern überlassen werden können (Urteil vom 17.3.2022, Daimler, C-232/20, EU:C:2022:196, Rn 108 und die dort angeführte Rsp).
64 Diese Möglichkeit befreit die Mitgliedstaaten jedoch nicht von der Verpflichtung, durch geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften sicherzustellen, dass die Leih-AN in vollem Umfang den Schutz in Anspruch nehmen können, den ihnen die RL 2008/104 gewährt (Urteil vom 17.3.2022, Daimler, C-232/20, EU:C:2022:196, Rn 108 und die dort angeführte Rsp).
65 Daher sind die Mitgliedstaaten, wenn sie den Sozialpartnern die Möglichkeit einräumen, Tarifverträge zu schließen, die gem Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 Ungleichbehandlungen zum Nachteil der Leih-AN zulassen, gleichwohl verpflichtet, den Gesamtschutz dieser AN zu achten.
66 In Anbetracht des Ziels von Art 5 Abs 3 der RL 2008/104, wie es sich aus deren in den Rn 60 und 61 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Erwägungsgründen 16 und 19 ergibt, verlangt die Pflicht der Sozialpartner zur Achtung des Gesamtschutzes von Leih-AN allerdings nicht, dass die Mitgliedstaaten im Einzelnen die Voraussetzungen und Kriterien vorsehen, denen die Tarifverträge entsprechen müssen.
67 Wie der Generalanwalt in Nr 65 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, müssen die Sozialpartner jedoch, wenn die nationalen Rechtsvorschriften ihnen die Möglichkeit einräumen, in den Geltungsbereich einer RL fallende Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen, unter Beachtung des Unionsrechts im Allgemeinen und dieser RL im Besonderen handeln. Daher müssen die Sozialpartner, wenn sie einen in den Anwendungsbereich der RL 2008/104 fallenden TV schließen, diese RL beachten, indem sie ua den Gesamtschutz von Leih-AN gem Art 5 Abs 3 der RL achten (vgl entsprechend Urteil vom 19.9.2018, Bedi, C-312/17, EU:C:2018:734, Rn 70 und die dort angeführte Rsp).
68 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass der nationale Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, die Voraussetzungen und Kriterien für die Achtung des Gesamtschutzes von Leih- AN iS dieser Bestimmung vorzusehen, wenn der betreffende Mitgliedstaat den Sozialpartnern die Möglichkeit einräumt, Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zum Nachteil der Leih-AN zulassen. [...]
Zur fünften Frage
70 Mit seiner fünften Frage, die für den Fall gestellt worden ist, dass die dritte Frage verneint wird, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 dahin auszulegen ist, dass Tarifverträge, die nach dieser Bestimmung Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zum Nachteil von Leih-AN zulassen, einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen können, um zu überprüfen, ob die Sozialpartner ihrer Pflicht zur Achtung des Gesamtschutzes von Leih-AN nachkommen.
71 Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass nach Art 28 der Charta der Grundrechte die AN sowie die AG oder ihre jeweiligen Organisationen nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ua das Recht haben, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen. Zum anderen stellt Art 152 Abs 1 AEUV klar, dass die Union 269„die Rolle der Sozialpartner auf Ebene der Union unter Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit der nationalen Systeme [anerkennt und fördert]“ und dass sie „den sozialen Dialog [fördert] und dabei die Autonomie der Sozialpartner [achtet]“
, wobei im Übrigen auch im 19. Erwägungsgrund der RL 2008/104 auf die Bedeutung dieser Autonomie hingewiesen wird.
72 Diese Autonomie bedingt, dass die Sozialpartner während der Phase, in der sie – was ausschließlich ihre Sache ist – eine Vereinbarung aushandeln, frei einen Dialog miteinander führen und handeln können, ohne jegliche Anordnungen oder Weisungen von Dritten, insb der Mitgliedstaaten oder der Unionsorgane (Urteil vom 2.9.2021, EPSU/Kommission, C-928/19 P, EU:C:2021:656, Rn 61).
73 Es ist somit darauf hinzuweisen, dass die Sozialpartner nicht nur bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel von mehreren im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik sie verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über einen weiten Beurteilungsspielraum verfügen (Urteil vom 19.9.2018, Bedi, C-312/17, EU:C:2018:734, Rn 59 und die dort angeführte Rsp).
74 Soweit das in Art 28 der Charta der Grundrechte proklamierte Recht auf Kollektivverhandlungen Bestandteil des Unionsrechts ist, muss es jedoch im Rahmen der Anwendung des Unionsrechts im Einklang mit diesem ausgeübt werden (Urteil vom 19.9.2018, Bedi, C-312/17, EU:C:2018:734, Rn 69 und die dort angeführte Rsp).
75 Auch wenn die Sozialpartner somit, wie in Rn 73 des vorliegenden Urteils ausgeführt, im Rahmen der Aushandlung und des Abschlusses von Tarifverträgen über einen weiten Beurteilungsspielraum verfügen, wird dieser folglich durch die Pflicht begrenzt, die Wahrung des Unionsrechts sicherzustellen.
76 Daraus folgt, dass – wie in Beantwortung der dritten Frage festgestellt worden ist – die Bestimmungen der RL 2008/104 den Mitgliedstaaten zwar nicht den Erlass einer bestimmten Regelung, mit der der Gesamtschutz von Leih-AN iS von Art 5 Abs 3 dieser RL gewährleistet werden soll, vorschreiben; die Mitgliedstaaten, einschließlich ihrer Gerichte, müssen jedoch dafür sorgen, dass Tarifverträge, die Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zulassen, insb den Gesamtschutz von Leih-AN gem Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 achten.
77 Um die volle Wirksamkeit der RL 2008/104 sicherzustellen, obliegt es, wie der Generalanwalt in Nr 79 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob die Tarifverträge, die nach Art 5 Abs 3 der RL vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichen, den Gesamtschutz von Leih-AN angemessen achten, indem sie ihnen im Gegenzug für jede Abweichung von diesem Gleichbehandlungsgrundsatz Ausgleichsvorteile gewähren.
78 Trotz des Beurteilungsspielraums, über den die Sozialpartner bei der Aushandlung und dem Abschluss von Tarifverträgen verfügen, ist das nationale Gericht verpflichtet, alles in seiner Zuständigkeit Liegende zu tun, um die Vereinbarkeit von Tarifverträgen mit den sich aus Art 5 Abs 3 der RL 2008/104 ergebenden Anforderungen sicherzustellen.
Es dürfte einmalig sein, dass ein EuGH-Urteil zu einem Verfahren ergeht, welches seinen Ausgangspunkt in einer Fernseh-Satiresendung hat. Am 16.5.2017 wurde nämlich in der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ eine Aktion gestartet, in deren Rahmen ein Aufruf an Leih-AN erging, mittels Klagen zu versuchen, den für Leih-AN an sich geltenden Equal-Pay-Grundsatz effektiv gegenüber Leiharbeitsunternehmen durchzusetzen, wobei der ehemals an der Universität Bremen tätige Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler als juristischer „Mastermind“ hinter dieser Kampagne fungiert(e) (siehe zu dieser sogenannten „Däubler-Kampagne“ Lembke/Stoffels, „Equal Treatment“ und seine Tarifausnahme – europarechts- oder verfassungswidrig? in Festschrift für Wilhelm Moll [2019] 377 f). Es war dabei das erklärte Ziel der Kampagne, ein Urteil des EuGH zu erwirken, was mit dem vorstehend abgedruckten Urteil, das den instanzenmäßigen Schlusspunkt der „Däubler-Kampagne“ bildet, auch erreicht wurde. Im Folgenden sollen der normative Hintergrund (unter 1.) und die Kernaussagen des EuGH (unter 2.) dargestellt sowie eine Bewertung der E und eine Einschätzung von deren Folgewirkung (unter 3.) vorgenommen werden.
Das deutsche AÜG erlaubt es, den an sich zentralen, von der Leiharbeits-RL 2008/104/EG vorgegebenen Equal-Pay- bzw besser Equal-Treatment-Grundsatz (Roloff in Müller-Glöge/Preis/Schmidt [Hrsg], Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht23 [2023] § 8 AÜG Rz 1), dem zufolge die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leih-AN während der Dauer ihrer Überlassung an einen Beschäftiger mindestens denjenigen Bedingungen entsprechen, die für sie gelten würden, wenn sie vom Beschäftiger unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Art 5 Abs 1 RL 2008/104/ EG), zu Lasten von Leih-AN zu modifizieren, indem ein TV vor allem im Hinblick auf das den Leih-AN zu leistende Arbeitsentgelt diesen die Gleichstellung mit den Stamm-AN des Beschäftigerbetriebs versagen kann (§ 8 Abs 2 und 4 dAÜG; Bayreuther, Vergütungsstrukturen und Equal-pay in der Arbeitnehmerüberlassung nach der AÜG-Reform, NZA 2017, 18 [19]). 270
Mit dieser Regelung stützt sich das dAÜG auf eine von der Leiharbeits-RL selbst vorgesehene Ausnahmebestimmung, kraft derer die Mitgliedstaaten den Sozialpartnern die Möglichkeit einräumen können, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leih-AN Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leih-AN, die von dem Equal-Treatment-Grundsatz abweichen können, enthalten können (Art 5 Abs 3 RL 2008/104/EG). In Deutschland führte die Nutzung dieser mit § 8 Abs 2 und 4 dAÜG in das deutsche Recht umgesetzten sogenannten „(Tarif-) Öffnungsklausel“ (Ercher-Lederer, Neues aus der Gesetzgebung, ZAS 2013/19, 106 [107]; Schrattbauer, Arbeitskräfteüberlassung [2015] 253) bzw „Tarifausnahme“ (Blanke, Der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Arbeitnehmerüberlassung, DB 2010, 1528 [1529]) dazu, dass die eigentlich als gesetzliche Ausnahme gedachte Möglichkeit zur tarifvertraglichen Durchbrechung des Gleichstellungsgrundsatzes zum Regelfall mutiert ist (Bissels/Singraven, Update Arbeitnehmerüberlassung, AuA 2023 H 2, 14 [17]).
Unionsrechtlich betrachtet bezweckt Art 5 Abs 3 RL 2008/104/EG der grundrechtlich garantierten (Art 28 GRC) Tarifautonomie entsprechenden Raum zu geben (Hamann/Klengel, Die AÜG-Reform 2017 im Lichte der Richtlinie Leiharbeit, EuZA 10 [2017] 485 [499]; Zimmer, Der Grundsatz der Gleichbehandlung in der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG und seine Umsetzung ins deutsche Recht, NZA 2013, 289 [290]). Allerdings wird die Möglichkeit zur tarifvertraglichen Abweichung vom Equal-Treatment-Grundsatz nicht voraussetzungslos garantiert (Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht [2011] 540; J. Ulber, Das neue Recht der Arbeitnehmerüberlassung – Die deutsche Variante des Ausstiegs aus dem Gemeinschaftsrecht, RdA 2018, 50 [53]), sondern steht unter dem gewichtigen Vorbehalt, dass die Tarifvertragsparteien dabei den „Gesamtschutz“ von Leih-AN achten müssen. Worin dieser „Gesamtschutz“ besteht und welche inhaltlichen Anforderungen an dessen Achtung zu stellen sind, lässt die Leiharbeits-RL allerdings offen (Lembke/Stoffels in FS Moll 385; Mazal, AÜG-Novelle 2012: Keine Gleichstellung im Entgelt bei doppelter Tarifbindung, ecolex 2013, 100).
Mit dem vorliegenden Urteil präzisiert der EuGH nun die mit der Nutzung der Tariföffnungsklausel von Art 5 Abs 3 RL 2008/104/EG verbundenen Anforderungen. Zunächst macht der EuGH deutlich, dass der von Art 5 Abs 3 RL 2008/104/EG in Bezug genommene „Gesamtschutz“ von Leih-AN zwar nicht die Implementierung eines eigenen Schutzniveaus für Leih-AN erfordert. Wenn aber die Tarifvertragsparteien in ihrem TV vom Equal-Treatment-Grundsatz abweichen, so verlangt die Achtung des Gesamtschutzes nach der Ansicht des EuGH, dass der TV den Leih-AN zum Ausgleich für die Durchbrechung des Equal-Treatment-Grundsatzes Vorteile einräumen muss, die sich auf die in Art 3 Abs 1 lit f RL 2008/104/EG genannten „wesentliche[n] Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ (das sind: Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage und Arbeitsentgelt) beziehen müssen. Der EuGH benennt in diesem Zusammenhang konsequenterweise auch die relevanten Prüfungsschritte zur Klärung der Frage, ob die den Leih-AN zukommenden Ausgleichsvorteile ausreichend sind, um den gebotenen „Gesamtschutz“ zu wahren. Danach sind in einem ersten Schritt die für die Stamm-AN geltenden wesentlichen Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen – bezogen auf den von einem Leih-AN besetzten Arbeitsplatz im Beschäftigerbetrieb – zu eruieren, dann sind diese in einem nächsten Schritt mit jenen zu vergleichen, denen der Leih-AN kraft tarifvertraglicher Bindung unterliegt. Und in einem dritten Schritt ist zu bewerten, „ob die [tarifvertraglich] gewährten Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen“
(so der EuGH in Rn 49 des zu besprechenden Urteils).
Weiters stellt der EuGH klar, dass die innerstaatliche Gesetzgebung den Tarifvertragsparteien keine inhaltlichen Vorgaben zu machen braucht, denen die sozialpartnerschaftlich abgeschlossenen Tarifverträge entsprechen müssten, damit die Tarifverträge der von Art 5 Abs 3 RL 2008/104/ EG geforderte Achtung des Gesamtschutzes von Leih-AN entsprechen. Der EuGH verlangt aber, dass jene Tarifverträge, mit denen vom Equal- Treatment-Grundsatz zulasten von Leih-AN abgewichen wird, einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen müssen, damit geprüft werden kann, ob die Tarifvertragsparteien ihrer Pflicht zur Achtung des Gesamtschutzes von Leih-AN entsprochen haben.
Die Ausführungen des EuGH sind im Großen und Ganzen überzeugend. Der EuGH entfaltet seine Argumentation vor allem teleologisch, indem der Gerichtshof mehrfach auf die in den Erwägungsgründen der RL 2008/104/EG und in deren Normtext selbst angeführten Zielsetzungen Bezug nimmt, um daraus Anhaltspunkte zur Beantwortung der Vorlagefragen zu gewinnen. Kritisch zu sehen ist aber die mangelnde inhaltliche Auseinandersetzung mit der Gewährleistung der Tarifautonomie durch Art 28 GRC (ebenso Franzen, Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer nach der Leiharbeitsrichtlinie, NZA 2023, 25 [27]; verständnisvoller Däubler, Ende der Leiharbeitstarifverträge? NZA 2023, 73 [76]), da deren Wirkungsgehalt mE nicht vollumfänglich vom EuGH gewürdigt wird. Art 28 GRC nimmt nämlich auch die „einzelstaatliche Gepflogenheiten“ in den Blick, womit diese primärrechtlich für kompetent erklärt werden, dem Unionsgrundrecht der Tarifautonomie inhaltliche Konturen zu verleihen (EuGH 15.7.2010, C-271/08, Kommission/Deutschland,271 ECLI:EU:C:2010:426, Rn 38 = DRdA 2010, 511). Zu diesen „einzelstaatlichen Gepflogenheiten“ lässt sich mE auch die Annahme von der Richtigkeitsgewähr von Tarifverträgen – iSd Bejahung einer Angemessenheitsvermutung (BAG 4 AZR 50/13 BAGE 148, 139 = RdA 2016, 63 [Herrmann]) tarifvertraglich konsentierter Regelungen – zählen, die sich somit als unionsrechtlich zu respektierende Folgewirkung des Abschlusses von Tarifverträgen präsentiert. In diesem Zusammenhang ist es zwar auf der einen Seite begrüßenswert, dass der EuGH den Mitgliedstaaten keine gesetzgeberischen Vorgaben für den von Tarifvertragsparteien zu achtenden Gesamtschutz abverlangt (anders Blanke, DB 2010, 1532 und Klumpp, Die neue Leiharbeitsrichtlinie, GPR 2009, 89 [92], die klare gesetzliche Festlegungen einfordern). Auf der anderen Seite steht aber die ziemlich apodiktisch formulierte Aussage, dass die nationalen Gerichte Tarifverträge einer Kontrolle im Hinblick auf die Achtung des Gesamtschutzes unterziehen können müssen. Hier räumt der EuGH den nationalen Gerichten einen mE zu weitgehenden Kontrollzugriff auf den Inhalt von Tarifverträgen ein, der dem Unionsgrundrecht der Tarifautonomie nicht gerecht wird (Stichwort „Tarifzensur“, siehe auch Franzen, NZA 2023, 27).
Die abschließende Frage, ob dieses Urteil Bedeutung für die österreichische Rechtslage hat, ist mit ja und nein zu beantworten. Nein, weil bereits mangels richtlinienkonformer Umsetzung von Art 5 Abs 3 RL 2008/104/EG die innerstaatliche gesetzliche Andockfläche fehlt, um die Vorgaben des EuGH rezipieren zu können. Ja, weil das Urteil darauf aufmerksam macht, dass die sich auf die Tariföffnungsklausel von Art 5 Abs 3 RL 2008/104/EG stützende Bestimmung von § 10 Abs 1 S 4 AÜG (so die ErläutRV 1903 BlgNR 24. GP 3 und die fast einhellige Lehre: statt vieler siehe nur Schrattbauer in dies [Hrsg], AÜG [2020] § 10 Rz 54; F. G. Burger, Entgeltschutz, Gleichstellungsanspruch und Diskriminierungsschutz überlassener Arbeitskräfte, in Raschauer/Resch [Hrsg], Neuerungen bei der Arbeitskräfteüberlassung [2014] 65 [79]; Ercher-Lederer, ZAS 2013/19, 107) eben nicht für sich in Anspruch nehmen kann, richtlinienkonform umgesetzt zu sein. § 10 Abs 1 S 4 AÜG durchbricht nämlich selbst den Equal-Treatment-Grundsatz in Bezug auf die Maßgeblichkeit von betrieblichen Entgeltregelungen für Leih-AN im Beschäftigerbetrieb (Schindler, Europarechtliche Grundlagen der AÜG-Novelle 2012 und ihre gesetzliche Umsetzung in Österreich, in Raschauer/Resch [Hrsg], Neuerungen bei der Arbeitskräfteüberlassung [2014] 13 [24]; Schrattbauer, Arbeitskräfteüberlassung 255) und nimmt damit den Kollektivvertragsparteien den regulatorischen Raum, der ihnen mit Art 5 Abs 3 RL 2008/104/EG eigentlich eröffnet werden sollte (Hamann/Klengel, EuZA 10 [2017] 499).
Selbst dann, wenn man mit Schörghofer (Gleichbehandlung und Gleichstellung im AÜG, in Brodil [Hrsg], Diener fremder Herren – Gerechtigkeit in der Arbeitswelt [2016] 41 [48 f]) davon ausgehen möchte, dass sich § 10 Abs 1 S 4 AÜG auf Art 5 Abs 2 RL 2008/104/EG stützt, verbleibt dann immer noch das Problem, dass Art 5 Abs 2 RL 2008/104/EG nur in Bezug auf unbefristete Leiharbeitsverhältnisse genutzt werden kann, während eine Durchbrechung des Equal-Treatment-Grundsatzes hinsichtlich befristeter Leiharbeitsverhältnisse, die nach österreichischem Recht wirksam begründet werden können (Schrattbauer, Arbeitskräfteüberlassung 252), von vornherein nur Art 5 Abs 3 RL 2008/104/EG unterstellt werden kann.