Kozak (Hrsg)Arbeitsrecht in der Coronakrise – Wiener Arbeitsrechtsforum 2021

Manz Verlag, Wien 2022, 122 Seiten, broschiert, € 32,–

BARBARATROST (LINZ)

Menschen, die gerne aus historischer Distanz auf Recht und Sozialpolitik blicken, genießen es, in anachronistischen Werken zu schmökern. Warum „anachronistisch“ im Zusammenhang mit diesem Buch? Nicht, weil irgendjemand die Corona-Pandemie für beendet erklärt hat, sondern weil wir uns wünschen wollen, dass nie wieder, und zwar in keiner Krise der Zukunft, je mit dem Recht so umgegangen wird!

Abseits belastender Erinnerungen an Zeiten, in denen Jurist:innen weithin das Recht vergessen und dem einzigen Schlagwort Pandemie untergeordnet haben, erfrischt hier zu Beginn ein Beitrag von krisenunabhängiger Allgemeingültigkeit: Einstweilige Verfügungen – so der Herausgeber über den Artikel von Kodek – seien „vor und wohl auch nach der Pandemie“ brisant und würden dies weiter bleiben. Hier finden sich nach feiner Auflistung der Entscheidungen zum Recht auf Beschäftigung (S 13) interessante Ausführungen zur Gefährdung als Voraussetzung für einstweilige Verfügungen. Besonders spannend lässt sich zunächst das Kapitel über einstweilige Verfügungen zur Abwehr unzulässiger Weisungen an. Die Erwartungshaltung ist hoch, wenn man das Buch von außen betrachtet. Fragen ohne Zahl ziehen nämlich sofort durch den Kopf: Passt eine einstweilige Verfügung auch gegen eine unzulässige Impfweisung? Kann der an Hautkrebs Erkrankte durch einstweilige Verfügung durchsetzen, dass sein ärztliches Maskenbefreiungsattest akzeptiert wird? Und vieles mehr. Ein bisschen enttäuschend ist am Ende, dass (dem Titel des Bandes zum Trotz) in dem gesamten Beitrag das Thema Corona fehlt! Umgekehrt aber auch befriedigend: „Pandemie“ ist schließlich Anachronismus, und – so wie schon der Herausgeber im Vorwort (S 1) – ist möglicherweise ohnehin dieser inhaltsreiche und gelungene Beitrag von Kodek das einzige, was dauerhaft relevant bleibt.

Medias in res, was Corona betrifft, kommt im zweiten Beitrag Krömer (S 59 ff). Nach der präzisen Darstellung der Rahmenbedingungen für Kurzarbeit stehen Fragen rund um die Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Rahmen von Kurzarbeit im Mittelpunkt. Die wissenschaftliche Aufarbeitung zeigt eindrucksvoll, wie umfassend diese Thematik, obwohl anlassbezogen befristet, bereits in der Lehre diskutiert wurde. Richtig erkennt auch Krömer den Fehler in der Sozialpartnervereinbarung, wonach auf die Auffüllverpflichtung sowohl bei betriebsbedingten als auch bei grundlosen (!) Kündigungen vergessen worden war (S 69). In der entscheidenden Frage nach der Rechtswirksamkeit an sich unzulässiger Kündigungen wirkt die hier erzielte Schadenersatzlösung ein wenig krampfartig. Methodisch hat mich jedenfalls die Begründung nicht 347 überzeugt, von meinem eigenen (übrigens unmittelbar nach Erscheinen dieses Buches veröffentlichten; DRdA 2022/37) Ansatz des Vergleichs mit den Kündigungen im Betriebsübergang abzurücken.

Besonders deutlich wird der Anachronismus im Beitrag von Mestwerdt, der den Blick auf die seinerzeitige Lage in Deutschland eröffnet (S 73 ff). Die auch für Mitte 2022 sehr unkritische Faktenwahrnehmung fällt nicht nur bei der Wiedergabe der Judikatur zum Generalverdacht gegen Maskenbefreiungsatteste auf, wo eher undifferenziert vom „Gefälligkeitsattest aus Kreisen von Pandemieskeptiker/innen“ die Rede ist (S 83), sondern insb auch dort, wo nach zwar gründlicher Darlegung der datenschutzrechtlichen Schranken schließlich doch dem AG das Recht zum Erfragen des Impfstatus zuerkannt wird, uzw wegen des geringeren „Ansteckungsrisikos“ (S 84) – eine mittlerweile sowohl durch Wissenschaft als auch durch Faktizität widerlegte Argumentation. Nachwirkend gut und profund liest sich die Kritik an der E des BAG vom 13.10.2021, 5 AZR 211/21 (S 77 ff). Dass bei behördlicher Schließung kein Betriebsrisiko vorläge, konterkariere die Umsetzung der Kurzarbeit. Für „das Leben danach“ wird man sich ergänzend noch weitere Argumente gegen die Aussagen des BAG überlegen dürfen, denn vergleichbare Fälle wird es auch ohne Pandemie geben.

Gerade im Beitrag von Mestwerdt wird besonders deutlich, wie stark die juristische Sicht von der im jeweiligen Zeitpunkt als „herrschend“ bezeichneten wissenschaftlichen Meinung geprägt war. Interessant ist idZ die vom Autor unter Hinweis auf § 4 IfSG (Infektionsschutzgesetz) angesprochene Rolle des Robert Koch-Instituts (RKI) (S 74 f). In Österreich vielleicht wenig bekannt: Es handelt sich beim RKI nicht um ein unabhängiges Forschungsinstitut, sondern um eine Behörde (!), die dem BM für Gesundheit untersteht. Wohl beeinflusst von dem im Zeitpunkt der Verfassung dieses Beitrags durch jenes Ministerium propagierten Vorgehen, lobt Mestwerdt – und das klingt nun aus heutiger Sicht wirklich kurios – in seinem Ausblick das österreichische Impfpflichtgesetz und sieht dieses als Vorbild für Deutschland.

Einem Thema, das vielen Betroffenen von damals noch auf der Seele drückt, widmen sich Peyrl und Zechner im letzten Beitrag: Den Pandemieauswirkungen auf die AlV (S 85 ff). Übersichtlich wird der existentiellen Frage nachgegangen, inwieweit die Verweigerung von Corona-Maßnahmen die Verfügbarkeit bzw Arbeitswilligkeit ausschließen und damit zum Verlust des Arbeitslosengeldes führen könnte (S 93 ff). Auch hier verdient der intensivste Eingriff in Persönlichkeitsrechte, der de facto Impfzwang, das größte Augenmerk. Zu Recht erkennen die Autor:innen, dass zu fragen wäre, ob „nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine Impfung tatsächlich vor der Infektion und der Ansteckung anderer schützt“ (S 102) und schließen vor diesem Hintergrund einen Verlust des Arbeitslosengeldes bei Impfverweigerung selbst für den Fall einer Impfpflicht aus. Demgegenüber wird aber an anderer Stelle die sensible Thematik des Schutzes von Gesundheitsdaten – ganz im Geiste der damaligen Zeit – gelinde gesagt fahrlässig behandelt. Gemeint ist die lediglich auf zwei anlassbezogen-zeitgeistige Aussagen gestützte Feststellung: „Einigkeit besteht [...] darüber, dass vor Abschluss des Arbeitsvertrages, dh insb im Bewerbungsgespräch, nach dem Impfstatus gefragt werden darf.“ (S 101) Der Nachwelt ist zu wünschen, dass dieser Satz niemals kontextlos zitiert und dazu verwendet werden möge, zB einem Forstarbeiter wegen Auskunftsverweigerung über allfällige Zeckenschutz- oder Tetanusimpfungen Rechtsnachteile zuzufügen! Richtig müsste es nämlich heißen: „Über den Impfstatus ist bei Bewerbungen prinzipiell niemals Auskunft zu geben, es sei denn, der Gesetzgeber hätte es ausnahmsweise für einen konkreten Fall (verfassungskonform) vorgeschrieben.“

Dass manches in dieser dunklen Zeit auch von großartigen Jurist:innen nicht gründlicher durchdacht worden war, begründet keinen individuellen Vorwurf, sondern ist dem Zeitgeist geschuldet. Den Zeitdruck wiederum trifft möglicherweise die Schuld, dass sich in dem gesamten Sammelband eine – für den Manz Verlag ungewohnt – stattliche Anzahl an Grammatik- und Tippfehlern eingeschlichen hat. Zum Schmunzeln war dabei vor allem jene knappe halbe Seite (S 3), auf der nacheinander sage und schreibe vier Mal der „Impfpflicht“ ein „pf“ unterschlagen wurde („Impflicht“) – den Autor:innen ist es jedenfalls damit gelungen, durch grammatikalischen Reduktionismus den „politischen Rohrkrepierer Impfpflicht“ auf eine angemessene Weise zu würdigen. 348