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Kein Insolvenz-Entgelt bei sittenwidrigem Stehenlassen von Entgeltansprüchen

MARGITMADER

Der Kl war von 1.3.2018 bis 28.2.2019 als Handelsvertreter für die mittlerweile insolvente E* GmbH tätig. Im Gegensatz zu den anderen AN im Unternehmen wurde dem Kl von Anfang an weder Gehalt noch Provisionen bezahlt, doch war vereinbart, dass er mit den ihm zustehenden Provisionen 50 % der Firmenanteile der E* GmbH erwerben werde. Zahlungen der E* GmbH über € 2.000,- wurden als „Coaching Rechnungen“ tituliert. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragte der Kl seine offenen Forderungen als Insolvenz-Entgelt bei der IEF-Service GmbH. Die IEF-Service GmbH lehnte den Antrag des Kl ab. Die dagegen gerichtete Klage wurde von den Vorinstanzen abgewiesen. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Kl ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig.

Gem § 1 Abs 2 IESG sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis dann gesichert, wenn sie aufrecht, nicht verjährt und nicht ausgeschlossenen sind. Eine atypische Vertragsgestaltung kann jedoch nach der Judikatur des OGH die Geltendmachung von Insolvenz-Entgelt sittenwidrig machen. Danach sind Vereinbarungen, bei deren Abschluss die Parteien bereits damit rechnen mussten, dass sie letzten Endes zu Lasten des IEF gehen, als rechtsmissbräuchlich und damit als nichtig iSd § 879 ABGB zu qualifizieren.238

Zweck des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes ist die sozialversicherungsrechtliche Sicherung von Entgeltansprüchen und sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden Ansprüchen von AN im Falle der Insolvenz ihres AG. Versichertes Risiko ist im Kernbereich die Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlusts ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind.

Nach stRsp des OGH liegt eine missbräuchliche Geltendmachung von Insolvenz-Entgelt erst dann vor, wenn zum Stehenlassen des Entgelts noch weitere Umstände hinzutreten, die konkret auf den Vorsatz des AN, das Finanzierungsrisiko zu überwälzen, schließen lassen. Ob diese Annahme zutrifft, ist im Rahmen eines Fremdvergleichs mit einem typischen AN zu beurteilen. Ergibt sich aus dem Fremdvergleich der Schluss, dass zumindest der bedingte Vorsatz einer Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist, so kann dieser nicht durch den Beweis über die konkreten Absichten des AN widerlegt werden. Zwar kann regelmäßig allein aus der zeitlichen Komponente des „Stehenlassens“ von Entgeltansprüchen noch nicht auf eine missbräuchliche Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds geschlossen werden, sehr wohl aber dann, wenn weitere Umstände hinzutreten, die dies konkret indizieren.

Der Kl macht geltend, dass er das Entgelt gegenüber seiner AG nicht eingefordert habe, weil er davon ausgegangen sei, dass damit der Kaufpreis für die Gesellschaftsanteile beglichen werden würde. Dabei übersieht er aber, dass der Kaufpreis für diese Gesellschaftsanteile nicht der Gesellschaft, zu der er ein Arbeitsverhältnis behauptet, gebühren würde, sondern dem Gesellschafter, der diese Gesellschaftsanteile veräußert. Abgesehen davon macht es für den Fremdvergleich keinen Unterschied, ob ein AN, der seine Entgeltansprüche stehen lässt, auf eine spätere Zahlung oder die spätere Übertragung von Gesellschaftsanteilen hofft.

Berücksichtigt man, dass der Kl über zwölf Monate hinweg weder Gehalt noch Provisionen beansprucht hat und selbst die von ihm vereinnahmten Zahlungen nicht auf das Arbeitsverhältnis angerechnet wurden, ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach das Verhalten des Kl als Versuch der sittenwidrigen Überwälzung des Ausfallrisikos auf die Bekl zu beurteilen war, nicht korrekturbedürftig.