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Keine unmittelbare Bindungswirkung arbeits- und steuerrechtlicher Verfahren für die Frage der Pflichtversicherung nach ASVG oder GSVG

ALEXANDERPASZ
§§ 4 Abs 2 und Abs 4 lit a, 539a ASVG

Der Erstmitbeteiligte war von 28.8.2000 bis 29.10.2009 Inhaber einer Gewerbeberechtigung für Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik. Mit zwei Bescheiden stellte die Österreichische Gesundheitskasse fest, dass der Erstmitbeteiligte im Zeitraum 1.10.1999 bis 1.4.2015 aufgrund seiner Tätigkeit weder als echter DN noch als freier DN der Vollversicherungspflicht bei der A AG unterlegen ist. Das BVwG entschied im weiteren Rechtsgang jedoch, dass der Erstmitbeteiligte aufgrund seiner Tätigkeit bei der A AG im Zeitraum von 1.10.1999 bis 10.1.2013 als freier DN der Vollversicherungspflicht unterlegen ist. Gegen das Erkenntnis des BVwG wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision der A AG. Die Revision war zulässig und teilweise auch berechtigt:

§ 4 Abs 4 lit a ASVG ordnet an, dass ua dann keine Pflichtversicherung nach dieser Bestimmung eintritt, wenn aufgrund der Tätigkeit bereits eine Versicherung nach § 2 Abs 1 Z 1 bis 3 GSVG besteht. Wird daher eine Tätigkeit im Rahmen einer Gewerbeberechtigung verrichtet, schließt insoweit die aus der Innehabung dieser Gewerbeberechtigung folgende Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 1 GSVG eine Pflichtversicherung als freier DN nach § 4 Abs 4 ASVG aus. Nach den vom BVwG getroffenen Feststellungen hat der Erstmitbeteiligte für die revisionswerbende Partei Tätigkeiten im Rahmen seiner Gewerbeberechtigung für Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik verrichtet. Die Revision ist daher im Recht, dass im Zeitraum von 28.8.2000 bis 29.10.2009, in dem der Erstmitbeteiligte Inhaber dieser Gewerbeberechtigung war, eine Pflichtversicherung als freier DN nach § 4 Abs 1 Z 14 iVm Abs 4 ASVG nicht eingetreten ist. Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich der Feststellung einer Pflichtversicherung als freier DN von 28.8.2000 bis 29.10.2009 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Der Abspruch über die Versicherungspflicht ist stets zeitraumbezogen zu beurteilen und war insoweit auch teilbar.

Hinsichtlich der weiteren festgestellten Zeiträume der Pflichtversicherung (vor dem 28.8.2000 und nach dem 29.10.2009) wurde in der Revision vorgebracht, in arbeitsgerichtlichen und abgabenrechtlichen Verfahren sei davon ausgegangen worden, dass der Erstmitbeteiligte in keiner direkten Vertragsbeziehung zur revisionswerbenden Partei gestanden bzw dass er selbstständig erwerbstätig gewesen sei. Diese Entscheidungen seien durch den OGH (26.2.2020, 9 ObA 141/19d) bzw den VwGH (18.1.2021, Ra 2018/13/0092) bestätigt worden. Von diesen höchstgerichtlichen Entscheidungen weiche das BVwG im vorliegenden Fall ab.

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren wurde eine vom Erstmitbeteiligten auf Leistung von Arbeitsentgelt gerichtete Klage abgewiesen und davon ausgegangen, dass der Erstmitbeteiligte in keiner Vertragsbeziehung zur revisionswerbenden Partei gestanden sei. Der OGH hatte eine Revision des Erstmitbeteiligten zurückgewiesen und dabei ua auf das Neuerungsverbot verwiesen. Daraus ist für die hier revisionswerbende Partei aber schon deshalb nichts zu gewinnen, weil das Vorliegen einer vertraglichen Beziehung zwischen dem Erstmitbeteiligten und der revisionswerbenden Partei – insb auch das Vorliegen eines Angestelltenverhältnisses – nur vorfrageweise im Zusammenhang mit dem als Hauptfrage geltend gemachten Entgeltanspruch beurteilt wurde. Eine Bindung an das Ergebnis des arbeitsgerichtlichen Verfahrens besteht daher in der Frage, ob ein Vertragsverhältnis – insb auch ein (freier) Dienstvertrag – zwischen der revisionswerbenden Partei und dem Erstmitbeteiligten abgeschlossen wurde, bereits aus diesem Grund nicht. Dies war vielmehr vom BVwG eigenständig zu beurteilen und ist somit in dieser Hinsicht richtig erfolgt.

Im abgabenrechtlichen Verfahren wurde über die Umsatz- und Einkommensteuer des Erstmitbeteiligten für die Jahre 2004 bis 2012 entschieden. Dabei ging das Bundesfinanzgericht (BFG) davon aus, dass die vom Erstmitbeteiligten für die revisions247werbende Partei verrichteten Tätigkeiten dem Erstmitbeteiligten selbst zuzurechnen waren. „Zwischengeschaltete Gesellschaften“ des Erstmitbeteiligten waren nur zu Abrechnungszwecken vorgeschoben worden und haben „als Briefkastenfirmen fungiert“. Ein Dienstverhältnis iSd § 47 Abs 2 EStG 1988 war nicht vorgelegen. Der VwGH wies die dagegen erhobene Revision des Erstmitbeteiligten zurück, wobei er insb darauf hinwies, dass es sich beim Begriff des Dienstverhältnisses iSd § 47 Abs 2 EStG 1988 um einen eigenständigen Begriff des Steuerrechts handelt und es nicht darauf ankommt, wie dies in anderen Rechtsgebieten beurteilt wird. Als DN nach § 4 Abs 2 ASVG gilt nach dem dritten Satz dieser Bestimmung jedenfalls auch, wer nach § 47 Abs 1 iVm Abs 2 EStG 1988 lohnsteuerpflichtig ist.

Der VwGH hat in seiner Rsp schon klargestellt, dass aus § 4 Abs 2 dritter Satz ASVG kein Gegenschluss in die Richtung gezogen werden kann, dass die Versicherungspflicht nach § 4 Abs 2 erster Satz ASVG nur dann vorliegt, wenn auch die Lohnsteuerpflicht iSd dritten Satzes dieser Gesetzesstelle zu bejahen ist (vgl VwGH 25.2.2019, Ra 2019/08/0025, mwN). Umso weniger kann aus dem Nichtvorliegen eines Dienstverhältnisses iSd § 47 Abs 2 EStG 1988 auf den Nichteintritt einer Pflichtversicherung als freier DN nach § 4 Abs 4 ASVG geschlossen werden. Die vom BVwG getroffene Feststellung einer Pflichtversicherung als freier DN steht daher mit dem abgabenrechtlichen Beschluss des VwGH nicht im Widerspruch.

Zur Zulässigkeit der Revision wurde weiters geltend gemacht, die Annahme des BVwG, der Erstmitbeteiligte sei in einer direkten Vertragsbeziehung zur revisionswerbenden Partei gestanden, beruhe auf einer unrichtigen Auslegung der Judikatur zur Arbeitskräfteüberlassung. Im vorliegenden Fall ist das BVwG davon ausgegangen, dass sich der Erstmitbeteiligte – nach den iSd § 539a ASVG maßgeblichen wahren Verhältnissen – persönlich gegenüber der revisionswerbenden Partei zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichtet habe und durch Zwischenschaltung diverser Kapitalunternehmen, die teilweise auch nur zu diesem Zweck gegründet bzw vom Erstmitbeteiligten übernommen worden seien, nur der Verschleierung der direkten vertraglichen Beziehung zum Erstmitbeteiligten gedient habe, weshalb die revisionswerbende Partei als DG nach § 35 Abs 1 ASVG anzusehen seien. Die Revision vermag nicht darzulegen, dass diese einzelfallbezogene Beurteilung unvertretbar durch das BVwG erfolgt wäre. Dass der Erstmitbeteiligte das Entgelt nicht direkt von der revisionswerbenden Partei, sondern von dritter Seite ausbezahlt erhalten hat, ist für die Beurteilung der DG-Eigenschaft iSd § 35 Abs 1 ASVG nicht von Relevanz.

In der Revision werden somit hinsichtlich der Feststellung der Pflichtversicherung des Erstmitbeteiligten als freier DN durch das BVwG – abseits des Zeitraumes von 28.8.2000 bis 29.10.2009 – keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher für den verbleibenden Zeitraum ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.