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Pflegegeld: Einstufung bei Unterstützungsbedarf bei der Ganzkörperreinigung sowie bei Teilverrichtungen der täglichen Körperpflege

JOHANNARACHBAUER

Eigenständige Bedeutung kommt dem Aufwand für ein zweimaliges Baden oder Duschen pro Woche nur zu, wenn der Betroffene die tägliche Körperpflege ohne fremde Unterstützung bewerkstelligen kann. Neben dem Betreuungsaufwand für die tägliche Körperpflege ist die Hilfe beim Baden bzw Duschen daher in der Regel nicht gesondert zu veranschlagen. Besteht der Hilfebedarf nur für Teilverrichtungen der täglichen Körperpflege, ist der dafür notwendige Teilaufwand hingegen neben dem Aufwand für die „sonstige“ Körperpflege zu berücksichtigen.

Von der gründlichen Ganzkörperreinigung (durch Baden oder Duschen) ist die notdürftige Reinigung von Ober- und Unterkörper mit einem Waschlappen im Rahmen der täglichen Körperpflege zu unterscheiden, die in der Regel nur an jenen Tagen als erforderlich angesehen wird, an denen keine gründliche Ganzkörperreinigung stattfindet.256

Sachverhalt

Aufgrund ihres Gesundheitszustands bedarf die Kl Hilfe bei der sonstigen bzw gründlichen Körperpflege und bei der täglichen Körperpflege im unteren Körperbereich. Zusätzlich sind noch eine Reihe anderer Pflegeverrichtungen notwendig.

Verfahren und Entscheidung

Mit Bescheid vom 20.5.2021 gewährte die bekl Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) der Kl ab 1.5.2021 Pflegegeld der Stufe 1. Mit ihrer Klage begehrt die Kl die Zuerkennung eines Pflegegeldes zumindest der Stufe 3.

Das Erstgericht erkannte die Bekl schuldig, der Kl ab 1.5.2021 Pflegegeld der Stufe 2 in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Es folgerte, dass der Betreuungsaufwand für die im Revisionsverfahren nicht strittigen Verrichtungen durchschnittlich 83 Stunden pro Monat betrage. Überdies zog es einen monatlichen Zeitaufwand für die tägliche Körperpflege im unteren Körperbereich von 12,5 Stunden und für die Hilfe beim Duschen/Baden einen solchen von 4 Stunden heran. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl nicht Folge und sprach ebenso Pflegegeld der Stufe 2 zu. Der untere Körperbereich könne nicht als lediglich ganz kleiner Teil gesehen werden, der im Verhältnis zum Gesamtaufwand der täglichen Körperpflege (nur) unbedeutende Handgriffe anderer Personen bedürfe und den Mindestwert daher erheblich unterschreite. Es sei daher der Mindestwert im Ausmaß von 25 Stunden monatlich zu berücksichtigen. Da damit auch der Aufwand für die sonstige Körperpflege miterfasst werde, sei für die Körperreinigung insgesamt nur dieser Wert zu berücksichtigen. Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Bekl.

Der OGH sah die außerordentliche Revision sowohl für zulässig als auch für berechtigt an und ändert die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend ab, dass der Kl ein Pflegegeld der Stufe 1 zu gewähren ist.

Originalzitate aus der Entscheidung

„2.1. Für die tägliche Körperpflege legt § 1 Abs 4 EinstV einen Mindestwert von zwei Mal 25 Minuten pro Tag (entsprechend 25 Stunden pro Monat) fest. Hierzu gehören das Waschen der Hände und des Gesichts, das notdürftige Reinigen von Ober- und Unterkörper mit einem Waschlappen, das Putzen der Zähne (bzw die Reinigung von Zahnersatz), das Frisieren der Haare oder das Rasieren bei einem Mann […]. […]

2.2. Demgegenüber fällt ein Wannen- oder Duschbad – worunter ebenso wie ein normales gründliches Waschen des ganzen Körpers eine gründliche vollständige Ganzkörperreinigung zu verstehen ist – als nicht täglich notwendige Maßnahme unter die „sonstige“ Körperpflege nach § 1 Abs 2 EinstV. Der Oberste Gerichtshof vertritt dazu in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass mangels gegenteiliger medizinischer Indikation ein zweimaliges Baden oder Duschen pro Woche als ausreichend anzusehen ist, ohne dass der Betroffene damit der Gefahr der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. […] Bei der Bewertung dieses Betreuungsaufwands hat sich die Rechtsprechung an den in § 1 Abs 4 EinstV für die tägliche Körperpflege angeführten Mindestwerten von zwei Mal 25 Minuten pro Tag orientiert und ihn mit etwa 25 Minuten bewertet, woraus sich bei zwei Wannen- oder Duschbädern pro Woche ein monatlicher Aufwand von rund 4 Stunden ergibt. […]

2.3. Eigenständige Bedeutung kommt dem Aufwand für ein zweimaliges Baden oder Duschen pro Woche aber nur zu, wenn der Betroffene die tägliche Körperpflege ohne fremde Unterstützung bewerkstelligen kann. Neben dem Betreuungsaufwand für die tägliche Körperpflege ist […] die Hilfe beim Baden bzw Duschen daher in der Regel nicht gesondert zu veranschlagen. Besteht der Hilfebedarf nur für Teilverrichtungen der täglichen Körperpflege (§ 1 Abs 4 EinstV), ist der dafür notwendige Teilaufwand hingegen neben dem Aufwand für die „sonstige“ Körperpflege (§ 1 Abs 2 EinstV) zu berücksichtigen.

3. Von der gründlichen Ganzkörperreinigung (durch Baden oder Duschen) ist daher die notdürftige Reinigung von Ober- und Unterkörper mit einem Waschlappen im Rahmen der täglichen Körperpflege zu unterscheiden, die in der Regel nur an den anderen, also jenen Tagen als erforderlich angesehen wird, an denen keine gründliche Ganzkörperreinigung stattfindet. Dies beruht auf der Überlegung, dass ohne anderslautende medizinische Indikation an Tagen, an denen geduscht oder gebadet wird, nicht zusätzlich noch eine Körperpflege mit einem Waschlappen (am Waschbecken) durchgeführt wird.

[…] Die Frage, ob […] nunmehr täglich ein Wannenvollbad oder Duschen zuzugestehen ist – womit auch der Aufwand für die tägliche Reinigung des (oberen und) unteren Körperbereichs abgegolten wäre –, muss hier aber nicht entschieden werden. Denn unabhängig davon, ob man mit der bisherigen Rechtsprechung davon ausgeht, dass es zur Hintanhaltung einer Verwahrlosung ausreicht, zwei Mal pro Woche zu baden oder zu duschen und an den restlichen fünf Tagen eine Reinigung mit einem Waschlappen vorzunehmen, oder nur mehr den Aufwand für ein tägliches Baden/Duschen berücksichtigt, führt das im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis:

3.1. Bis auf die Reinigung des Unterkörpers (Genitalbereich und untere Extremitäten) bedarf die Klägerin nach dem festgestellten Sachverhalt keiner Hilfe bei der täglichen Körperpflege. Das Erstgericht sah dafür allein einen Zeitwert von 12,5 Stunden pro Monat, also die Hälfte des in § 1 Abs 4 EinstV insgesamt vorgesehenen Mindestwerts, als angemessen an. Wenn die Rechtsprechung für die gründliche Ganzkörperreinigung (inklusive der genannten, nur fallweise erforderlichen zusätzlichen Verrichtungen) jedoch einen Zeitwert von 25 Minuten heranzieht, muss sich für die weniger aufwändige notdürftige Reinigung nur des Ober- und Unterkörpers mit einem Waschlappen zwangsläufig ein geringerer Zeitwert ergeben, wäre die Unter257scheidung zwischen diesen Verrichtungen ansonsten doch obsolet. Berücksichtigt man die im Rahmen der täglichen Körperpflege insgesamt anfallenden Tätigkeiten, erscheint ein Aufwand von 15 Minuten täglich für die (notdürftige) Reinigung nur des Unterkörpers angemessen. Zieht man zusätzlich ins Kalkül, dass diese nur an den (anderen 5) Tagen stattfindet, an denen nicht geduscht oder gebadet wird, ist – umgerechnet auf eine 7-Tage-Woche – ein Zeitwert zwischen 10 und 11 Minuten täglich zu veranschlagen. Das entspricht einem Aufwand von 5 bis 5,5 Stunden pro Monat. […]

Bezieht sich der tatsächliche Bedarf nur auf einen kleinen Teil der von der Hilfe bei der täglichen Körperpflege umfassten Betreuungsmaßnahmen, der einen Betreuungsaufwand von deutlich weniger als der Hälfte des Mindestwerts erfordert, kommt die Anerkennung des pauschalen Mindestbedarfs nach ständiger Rechtsprechung nicht mehr in Betracht. In diesem Fall ist der tatsächliche Zeitaufwand für die erforderlichen Betreuungsleistungen zu veranschlagen.

[…]

3.3. Im Sinn der bisherigen Judikatur wären daher maximal 5,5 Stunden für die Teilverrichtung der Reinigung nur des Unterkörpers an fünf Tagen der Woche (§ 1 Abs 4 EinstV) und weitere 4 Stunden pro Monat für die Hilfe bei der sonstigen Körperpflege bzw einem zweimaligen Duschen oder Baden pro Woche (§ 1 Abs 2 EinstV), insgesamt also 9,5 Stunden, zu veranschlagen.

4. Unabhängig davon, ob man bei der Klägerin nun für die Reinigung lediglich des Unterkörpers mit einem Waschlappen (§ 1 Abs 4 EinstV) an 5 Tagen sowie ein Duschen oder Baden (§ 1 Abs 2 EinstV) an zwei Tagen der Woche einen Zeitwert von zusammen 9,5 Stunden heranziehen oder […] bloß einen Zeitwert von 10 Stunden für ein tägliches Baden oder Duschen (und keinen zusätzlichen Aufwand für die Reinigung des Unterkörpers mit einem Waschlappen) veranschlagen würde, ergibt sich nach Addition mit den unstrittigen 83 Stunden kein Betreuungsaufwand von mehr als 95 Stunden pro Monat.“

Erläuterung

In der vorliegenden Entscheidung werden mehrere Fragen im Zusammenhang mit dem Pflegebedarf einer Person, die bei der täglichen Körperpflege des unteren Körperbereichs (§ 1 Abs 4 EinstV) und bei der gründlichen Körperpflege (§ 1 Abs 2 EinstV) Hilfe bedarf, behandelt: Ist die sonstige bzw gründliche Körperreinigung zusätzlich zur täglichen Körperpflege des unteren Körperbereichs zu berücksichtigen und wenn ja, in welchem Ausmaß? Ist für die tägliche Körperpflege (nur) des unteren Körperbereichs der Mindestwert der täglichen Körperpflege oder ein geringerer Wert zu veranschlagen?

Zur ersten Frage gibt der OGH die bisherige Rsp wieder, der zufolge ein Pflegebedarf für sonstige bzw gründliche Körperpflege nur dann anzurechnen ist, wenn kein oder nur ein teilweiser Hilfebedarf für die tägliche Körperpflege besteht (RS0107436 [T1]; OGH 2.5.2000, 10 ObS 367/99i; OGH 11.2.1997, 10 ObS 6/97y; OGH 10.11.1998, 10 ObS 272/98t). In der vorliegenden Konstellation ist die gründliche Körperpflege demnach zu berücksichtigen. Daraus folgt jedoch, dass an den Tagen, an denen eine gründliche Körperpflege erfolgt, eine zusätzliche notdürftige Reinigung des unteren Körperbereichs nicht mehr erforderlich ist.

Bisher war es stRsp, dass eine gründliche Körperreinigung zweimal pro Woche ausreichend ist (RS0058447; OGH 22.10.2002, 10 ObS 337/02k ua) und dafür vier Stunden monatlich zu veranschlagen sind (RS0058279; OGH 10.12.2002, 10 ObS 384/02x ua). Ein Erlass des BMSGPK vom 31.3.2020 weist die Sozialversicherungsträger an, von dieser Rsp abweichend für die sonstige Körperpflege einen Zeitwert von zehn Stunden pro Monat zu berücksichtigen. Dass nunmehr täglich ein Wannenvollbad oder Duschen zuzugestehen sei, wird im Erlass durch verbesserte hygienische Ausstattungen und steigende Durchschnittstemperaturen begründet. Der OGH trifft keine Entscheidung darüber, ob dem Erlass auch von den Sozialgerichten zu folgen ist oder weiterhin nur eine zweimalige gründliche Körperreinigung pro Woche anzurechnen ist, da er dies im vorliegenden Fall als nicht erforderlich ansieht: Wenn die gründliche Körperreinigung täglich zugesprochen würde, wäre eine tägliche Körperreinigung des unteren Körperbereichs jedenfalls nicht mehr zuzugestehen, sondern zehn Stunden für die gesamte Körperpflege.

Anknüpfend jedoch an eine bloß zweimal wöchentliche gründliche Körperpflege widmet sich der OGH der zweiten Frage, welcher Zeitwert für die tägliche Körperpflege des unteren Körperbereichs zuzusprechen ist. § 1 Abs 2 EinstV sieht für die tägliche Körperpflege einen pauschalen Mindestwert von 2 x 25 Minuten täglich, das sind 25 Stunden monatlich, vor. Nach der stRsp ist ein davon abweichender, geringerer tatsächlicher Zeitwert nur dann zu veranschlagen, wenn nur ein kleiner Teil der von der Hilfe bei der täglichen Körperpflege umfassten Betreuungsmaßnahmen notwendig ist und dieser einen Aufwand von deutlich weniger als der Hälfte des Mindestwerts erfordert. Das Erstgericht sprach hier einen Betreuungsaufwand von 12,5 Stunden, das Berufungsgericht hingegen den gesamten pauschalen Mindestwert von 25 Stunden zu. Der OGH widersprach beiden Vorinstanzen und entschied, dass angesichts der Fülle an Tätigkeiten, die im Rahmen der täglichen Körperpflege anfallen (notdürftige Reinigung von Ober- und Unterkörper, Zähneputzen, Frisieren der Haare, Rasieren bei Männern), die notdürftige Reinigung des Unterkörpers nur weniger Zeit in Anspruch nehmen kann, nämlich 15 Minuten täglich.

In Zusammenfügung der bisher erörterten Puzzleteile spricht der OGH folglich aus, dass bei einer Person, bei der an zwei Tagen in der Woche eine gründliche Körperpflege erfolgt, die mit 4 Stunden zu berücksichtigen ist, an den restlichen fünf Tagen die tägliche Körperpflege im unteren Körperbereich mit einem Aufwand von 5 bis 5,5 Stunden pro Monat an258zurechnen ist. In Summe ergibt sich daher ein Pflegebedarf von zusammen 9,5 Stunden bei dieser Berechnungsweise. Da sich bei einer Zuerkennung einer gründlichen Körperpflege an allen Tagen der Woche ein Pflegebedarf von 10 Stunden ergäbe, ist es nach Ansicht des OGH im Ergebnis unerheblich, welcher der beiden Wege dorthin führt. In jedem Fall erreicht die Kl nicht den nötigen Pflegebedarf der Stufe 2.

Für Anwender:innen in der Praxis ist es bedauerlich, dass der OGH sich nicht dazu äußert, ob die sonstige bzw gründliche Körperpflege bloß an zwei oder nunmehr doch an allen Tagen der Woche zuzuerkennen ist. Hierfür wird wohl darauf zu warten sein, dass dem OGH eine andere Fallkonstellation vorgelegt wird.