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Kündigung wegen Impfverweigerung weder motiv-, sitten- noch grundrechtswidrig und auch nicht diskriminierend

KLAUSBACHHOFER

Die Kl war seit 1.12.2019 bei der bekl Rechtsanwaltskanzlei im Sekretariat beschäftigt. Am 28.10.2021 ordnete die Bekl aufgrund der im Oktober eskalierenden Covid-19-Infektionszahlen, des neuerlich bevorstehenden Lockdowns, der von der Regierung angekündigten verschärfenden Maßnahmen und ua auch der bereits in den Medien thematisierten und avisierten Impfpflicht ua an, dass ihre Mitarbeiter spätestens bis zum 31.1.2022 eine vollständige Immunisierung durch eine Corona-Schutzimpfung nachweisen müssen. Davon ausgenommen waren jene Mitarbeiter, bei denen eine medizinische Kontraindikation vorliege. Die Bekl verfolgte damit das Ansinnen, die Schutzmaßnahmen kanzleiintern zum Schutz des Lebens und der Gesundheit aller Mitarbeiter sowie des wirtschaftlichen Aufrechterhaltens des Kanzleibetriebs zu verschärfen. Die 2-G-Regel (genesen oder geimpft) wurde zwecks Risikominimierung kanzleiintern auch gegenüber externen Besuchern umgesetzt und im Falle des Nichtvorliegens dieser Voraussetzungen zB auf Videokonferenzen ausgewichen. Die Bekl erläuterte ihren Mitarbeitern im Rahmen von Teamgesprächen, dass die Impfungen iS und zum Schutz aller Mitarbeiter mit Rücksicht auf Personen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, vorgesehen seien.

Alle DN der Bekl, bis auf die Kl, die eine Covid-19-Impfung ablehnte, sowie eine weitere Person, bei der eine medizinische Kontraindikation vorlag, standen hinter dieser Dienstanweisung. Die Kl wollte sich (jedenfalls mit dem damals zur Verfügung stehenden mRNA-Impfstoff) nicht impfen lassen. Das kostenlose Angebot der Bekl, einen ärztlichen Beratungstermin in Anspruch zu nehmen, nahm die Kl nicht wahr.

Am 8.11.2021 sprach die Bekl die Kündigung der Kl aus, weil sich diese weder impfen ließ noch nachgewiesen habe, dass gegen die Impfung eine medizinische Kontraindikation bestehe.

Mit der am 18.11.2021 eingebrachten Klage begehrte die Kl zum einen die Kündigung als rechtsunwirksam aufzuheben, in eventu festzustellen, dass diese rechtsunwirksam gewesen sei, jedenfalls aber die Bekl zur Zahlung des Gehalts Jänner und aliquot Februar 2022, zu verpflichten. Die Kündigung sei sittenwidrig, weil die Bekl den aufrechten Bestand des Arbeitsvertragsverhältnisses nicht von einer Impfbereitschaft der Kl abhängig hätte machen dürfen. Zudem verstoße die Kündigung gegen das Diskriminierungsverbot des § 17 GlBG, weil sie der Weltanschauung anhänge, dass den Corona-Impfungen kritisch zu begegnen sei. Die Anordnung der Impfpflicht sei auch sachlich nicht begründet, weil die Impfung keinen ausreichenden Schutz gegen Ansteckungen biete und zahlreiche schwere Nebenwirkungen zur Folge haben könne. Auch liege der Kündigung ein verpöntes Motiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG zugrunde, weil die Bekl ihre Grundrechte, auf die sie sich gegenüber der Bekl berufen habe, in Frage gestellt habe. 230

Die Bekl wendete dagegen zusammengefasst ein, dass sie die 2-G-Regel zum Schutz ihrer Mitarbeiter eingeführt habe. Die Kl habe angegeben, dass sie weder an einer Covid-19-Impfung noch an einem – von ihr kostenlos zur Verfügung gestellten – ärztlichen Beratungstermin interessiert sei, ohne dafür Gründe zu nennen. In den Gesprächen mit den Verantwortlichen der Bekl habe sie sich auch nie auf ihre Grundrechte berufen. Die Kl habe keine Ansprüche geltend gemacht, die von der Bekl in Frage gestellt worden wären. Das höchstpersönliche Recht eines jeden Mitarbeiters, über die Inanspruchnahme oder Ablehnung einer Covid-19-Impfung selbständig entscheiden zu können, habe sie nie bestritten. Die Anordnung zur Impfung habe sie aus rein sachlichen Gründen zum Schutz ihrer Mitarbeiter und aus betriebswirtschaftlichen Gründen gegeben.

Das Erstgericht erklärte die Kündigung der Kl wegen Vorliegens eines verpönten Motivs iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG für rechtsunwirksam. Das Berufungsgericht wies dagegen sämtliche Klage- und Eventualbegehren ab.

Der OGH entgegnete der dagegen gerichteten außerordentlichen Revision der Kl folgendermaßen:

Beim Kündigungsanfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geht es darum, dass der AG nach Meinung des AN bestehende Ansprüche nicht erfüllt, dass der AN diese nicht erfüllten Ansprüche dem AG gegenüber geltend macht und dass der AG den AN wegen dieser Geltendmachung kündigt. Vom Schutzzweck sind nicht nur schon entstandene Ansprüche, sondern zusätzlich Ansprüche auf Wahrung der Rechtsposition aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe erfasst. Ziel des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG ist es, dem AN die Rechtsdurchsetzung im aufrechten Arbeitsverhältnis zu ermöglichen.

Von der „Geltendmachung“ eines Anspruchs ist nach stRsp des OGH dann die Rede, wenn sich der AN gegenüber dem AG im aufrechten Arbeitsverhältnis erkennbar – sei es auch nur konkludent – auf eine Rechtsposition beruft. Dass dies hier der Fall gewesen wäre, lässt sich dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt, an den der OGH gebunden ist, aber nicht entnehmen.

Nach übereinstimmender Rsp der arbeitsgerichtlichen Fachsenate des OGH ist § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG selbst unter der Annahme, ein DN habe durch seine Weigerung, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, die Rechtsposition vertreten, zur Impfung nicht verpflichtet zu sein, nicht anwendbar. Diese Bestimmung setzt nämlich ua auch voraus, dass der AG den vom AN geltend gemachten Anspruch „in Frage gestellt“ hat. Ein Anspruch wird vom AG „in Frage gestellt“, wenn er ihn – was nur bei Leistungsansprüchen möglich ist – nicht erfüllt oder – was bei allen Ansprüchen möglich ist – wenn er seine Berechtigung in Zweifel zieht. Derartiges ist hier nicht ersichtlich.

Richtig ist, dass die Kl von der Bekl vor die Wahl gestellt wurde, sich einer Covid-19-Impfung zu unterziehen, um ihre Tätigkeit weiterhin ausüben zu können, oder die Vornahme dieser Impfung abzulehnen. Damit hat die Bekl die Haltung der Kl, sich nicht impfen zu lassen, aber nicht in Zweifel gezogen. Sie hat vielmehr ihren Standpunkt zu erkennen gegeben, dass die Kl ihr gegenüber nicht zur Vornahme einer Impfung verpflichtet sei, sie die Kl aber bei endgültiger Ablehnung der Impfung nicht weiterbeschäftigen wolle, um den Schutz ihrer Mitarbeiter und Kunden zu gewährleisten.

Sittenwidrig ist eine Kündigung nach § 879 ABGB nur dann, wenn der AG von seinem Kündigungsrecht aus gänzlich unsachlichen und insb aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligenden Motiven Gebrauch gemacht hätte. Ob eine Kündigung sittenwidrig ist, kann nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Das Berufungsgericht hat bei dieser Entscheidung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschritten. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Bekl habe zum Zeitpunkt der Kündigung im November 2021 durchaus davon ausgehen dürfen, dass das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig gegen Covid-19 immunisiert seien, in Summe zumindest in erheblichem Maß geringer sei als durch nicht geimpfte (immunisierte) Personen, wurde nicht beanstandet.

Die Kündigung der Bekl griff auch nicht in die Grundrechte der Kl ein. Der Kl stand es frei, die Covid-19-Impfung aufgrund ihrer kritischen Haltung dazu abzulehnen.

Auch mit dem Argument, dass die Bekl mit ihrer Anordnung die Tatsache ignoriert habe, dass es für die Übertragung des Virus SARS-Cov-2 völlig unbedeutend sei, ob jemand geimpft, ungeimpft, genesen oder ungenesen sei, zeigt die außerordentliche Revision der Kl keinen Verstoß der Bekl gegen den Gleichheitssatz (Art 7 B-VG; Art 2 StGG) auf. Nach den Feststellungen hat die Bekl ihre Anordnung nicht willkürlich, sondern aus Gründen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihren anderen Mitarbeitern und ihren Kunden erteilt, die ihr zum damaligen Zeitpunkt gerechtfertigt und notwendig erschien.

Richtig weist die Kl darauf hin, dass niemand aufgrund der Weltanschauung im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden darf, insb auch nicht bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 17 Abs 1 Z 7 GlBG). Richtig ist auch, dass eine Kündigung bei Gericht angefochten werden kann, wenn das 231Arbeitsverhältnis vom AG wegen der Weltanschauung gekündigt worden ist (§ 26 Abs 7 GlBG).

Der OGH vertritt in stRsp die Auffassung, dass der Begriff „Weltanschauung“, der eng mit dem Begriff „Religion“ verbunden ist, als Sammelbezeichnung für alle ideologischen, politischen und ähnlichen Leitauffassungen vom Leben und von der Welt als einem Sinnganzen sowie zur Deutung des persönlichen und gemeinschaftlichen Standortes für das individuelle Lebensverständnis dient. Weltanschauungen sind keine wissenschaftlichen Systeme, sondern Deutungsauffassungen in der Form persönlicher Überzeugungen von der Grundstruktur, Modalität und Funktion des Weltganzen. Die bloß kritische Einstellung gegenüber der Covid-19-Impfung erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

Auch eine sonstige unzulässige, gegen Art 14 EMRK verstoßende Benachteiligung der Kl durch den Kündigungsausspruch war für den OGH nicht zu erkennen, weswegen er schließlich die außerordentliche Revision der Kl zurückwies.

Anmerkung des Bearbeiters:

Der OGH bekräftigt mit dieser E seine bereits zu 8 ObA 78/22m vom 16.12.2022 und 9 ObA 116/22g vom 16.12.2022 vom 24.1.2023 eingenommene Position, dass er den Wunsch von AG, dass sich AN gegen die COVID-19-Pandemie impfen lassen, als der Fürsorgepflicht entsprechend sachlich gerechtfertigt bewertet. Kündigungen, die aufgrund einer diesbezüglichen Weigerung ausgesprochen werden, sind daher nicht als sitten- oder motivwidrig zu qualifizieren. Die Freiheit von AN, sich nicht impfen zu lassen, wird dadurch nicht „in Frage gestellt“, stellt aber auch keinen Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis dar, der iSd § 105 ArbVG geltend gemacht werden könnte. Eine kritische Impfeinstellung ist nicht als „Weltanschauung“ iSd GlBG anzusehen, deretwegen AN nicht diskriminiert werden dürften.