109Zulässigkeit von Kettenverträgen bei Auslandseinsatz als UN-Militärbeobachter
Zulässigkeit von Kettenverträgen bei Auslandseinsatz als UN-Militärbeobachter
Es bedarf keiner speziellen Rechtfertigung, wenn eine positivgesetzliche Regelung eine Verlängerung eines befristeten Dienstverhältnisses ausdrücklich zulässt.
Kettenverträge im Anwendungsbereich des § 15 Auslandszulagen- und -hilfeleistungsgesetzes (AZHG) sind somit ohne Prüfung auf deren sachliche Rechtfertigung erlaubt.
Der Kl schloss mit der Bekl (Personalstelle: Heerespersonalamt) am 21.9.2018 einen Dienstvertrag („gemäß § 4 Vertragsbedienstetengesetz 1948 in Verbindung mit § 15 Auslandszulagen- und -hilfegesetz“ [AZHG]) mit Dienstantritt 24.9.2018 ab. Das Dienstverhältnis wurde befristet für die Dauer der Entsendung gem § 1 Z 1 lit a bis c BVG über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland (KSE-BVG), einschließlich einer allfälligen inländischen Vor- oder Nachbereitung, längstens jedoch bis 31.10.2019, eingegangen. Der Kl war in der Folge im Auslandseinsatz als UN-Militärbeobachter im Rahmen der MINURSO-Mission der Vereinten Nationen in der Westsahara tätig.
Mit vier Nachträgen zum Dienstvertrag wurde das Vertragsbedienstetenverhältnis viermal, jeweils „längstens befristet“, bis letztlich 30.11.2020 verlängert. Am 27.10.2020 wurde der Kl aus dem Einsatzraum nach Österreich repatriiert, woran sich die Nachbereitung bis 26.11.2020 anschloss.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kl die Zahlung von 96.334,04 € sA (Gehalt Dezember 2020 bis Oktober 2021) sowie die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses ab 1.12.2020. Es lägen unzulässige Kettenarbeitsverträge vor, weil die jeweiligen Befristungen sachlich nicht gerechtfertigt gewesen seien.
Die Bekl bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass für Tätigkeiten im Rahmen militärischer Einsätze im Ausland im Anwendungsbereich des § 15 Abs 1 AZHG der Abschluss eines unbefristeten Dienstverhältnisses nicht möglich sei und keine Beschränkungen über die Anzahl und Dauer der Befristungen bestünden.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Es schloss sich der Rechtsauffassung des Erstgerichts an, wonach befristete Verlängerungen von Dienstverhältnissen im Rahmen der Entsendung des Kl nach § 1 KSE-BVG aufgrund der Sonderregel des § 15 AZHG keiner speziellen Rechtfertigung bedürften. Die in § 15 Abs 2 AZHG normierte Derogation des § 4 Abs 4 VBG habe nicht zur Folge, dass im Anwendungsbereich des § 15 AZHG an die Stelle des besonderen Kettenvertragsverbots die allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätze über die (Un-)Zulässigkeit von Kettenverträgen zum Tragen komme, sondern sie bewirke vielmehr einen ersatzlosen Entfall der in § 4 Abs 4 VBG für den Anwendungsbereich des VBG abschließend normierten Beschränkung.
Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen. Der OGH erachtete die Revision als zulässig, aber nicht berechtigt.
„Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob eine Aneinanderreihung mehrerer gemäß § 15 Abs 1 AZHG nach dem VBG abgeschlossener befristeter Dienstverträge aufgrund der ständigen Rechtsprechung zu den sogenannten Kettenverträgen […] so zu behandeln ist, als bestünde ein unbefristeter Dienstvertrag, wenn die Befristungen nicht durch besondere wirtschaftliche oder soziale Gründe gerechtfertigt sind. Dazu hat der Senat erwogen:
[13] 1. Das Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland (KSE-BVG) ermöglicht es, Einheiten und einzelne Personen für folgende Aufgaben in das Ausland zu entsenden (§ 1 Abs 1 Z 1 und 2):
„1. zur solidarischen Teilnahme ana) Maßnahmen der Friedenssicherung einschließlich der Förderung der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Schutz der Menschenrechte im Rahmen einer internationalen Organisation oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder in Durchführung von Beschlüssen der Europäischen Union im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oderb) Maßnahmen der humanitären Hilfe und der Katastrophenhilfe oderc) Maßnahmen der Such- und Rettungsdienste oderd) Übungen und Ausbildungsmaßnahmen zu den in lit. a bis c genannten Zwecken sowie2. zur Durchführung von Übungen und Ausbildungsmaßnahmen im Bereich der militärischen Landesverteidigung (Art. 79 Abs. 1 B-VG).“
[…]
[15] § 15 Abs 1 und 2 AZHG lautet:
„(1) Mit Personen, die nicht in einem aktiven Dienstverhältnis zum Bund stehen und keine Angehörigen des Bundesheeres sind, ist für die Dauer ihrer Entsendung nach § 1 KSE-BVG, einschließlich einer allfälligen inländischen Vor- und Nachbereitung,234 ein befristeter Dienstvertrag nach dem Vertragsbedienstetengesetz 1948 abzuschließen.(2) Auf dieses Dienstverhältnis ist § 4 Abs. 4 des Vertragsbedienstetengesetzes 1948 nicht anzuwenden.“
[16] 3. § 4 Abs 4 VBG 1948 lautet:
„Ein Dienstverhältnis, das auf bestimmte Zeit eingegangen worden ist, kann auf bestimmte Zeit einmal verlängert werden; diese Verlängerung darf drei Monate nicht überschreiten. Wird das Dienstverhältnis darüber hinaus fortgesetzt, so wird es von da ab so angesehen, wie wenn es von Anfang an auf unbestimmte Zeit eingegangen worden wäre.“
[17] 4. Unstrittig und zutreffend ist daher, dass nach § 15 Abs 2 AZHG im – hier eröffneten – Anwendungsbereich des § 15 Abs 1 AZHG das in § 4 Abs 4 VBG 1948 normierte Verbot von Kettendienstverträgen […] nicht gilt. Ob aber auf das Dienstverhältnis des Kl die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Frage der Zulässigkeit der Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverhältnisse im allgemeinen Arbeitsrecht anzuwenden sind, bedarf einer näheren Betrachtung:
[18] 4.1. Nach ständiger Rechtsprechung (zuletzt 9 ObA 25/20x Pkt 1.1. mwN) ist die Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse mit einer für den Arbeitnehmer nachteiligen Unsicherheit für seine weitere berufliche Zukunft verbunden und birgt in hohem Maß die Gefahr der Umgehung zwingender Rechtsnormen. Wenn gesetzliche Bestimmungen mehrere befristete Arbeitsverhältnisse in Aufeinanderfolge zulassen, ist eine auf den Normzweck Bedacht nehmende Interpretation vorzunehmen; es ist daher zu prüfen, ob im konkreten Fall die Vereinbarung mehrerer, sich unmittelbar aneinanderreihender Arbeitsverhältnisse zulässig ist […]. Aus diesen Gründen ist die Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverhältnisse im allgemeinen Arbeitsrecht nur dann zulässig, wenn besondere wirtschaftliche oder soziale Gründe das rechtfertigen. Andernfalls sind solche „Kettenarbeitsverträge“ als unbefristete Arbeitsverhältnisse zu behandeln […]. […]
[19] 4.2. Teilweise normieren Sondergesetze, wie etwa § 4 Abs 4 VBG 1948 weitere Beschränkungen oder lassen – nach ihrem Wortlaut – wiederholt Befristungen ohne Beschränkungen zu, wie etwa die Bestimmung des § 32 Abs 5 ORF-G (9 ObA 25/20x Pkt 1.2.). Zur Vorschrift des § 4 Abs 4 VBG 1948 […] hat der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt, dass die außerhalb des Geltungsbereichs dieser Gesetzesstelle vorzunehmende Prüfung der Rechtfertigung durch besondere wirtschaftliche oder soziale Gründe im Anwendungsbereich des § 4 Abs 4 VBG 1948 nicht stattzufinden hat (8 ObA 214/95; 8 ObA 5/19x Pkt 2.2.).
[20] 5.1. Die (innerstaatliche) Auslegung des § 15 AZHG durch das Berufungsgericht wird vom Senat geteilt. Schon bei der Einführung des § 15 Abs 2 AZHG wurde erläutert, dass eine Entsendung nunmehr auch um mehr als drei Monate verlängert werden könne, ohne dass dadurch ein auf unbestimmte Zeit eingegangenes Dienstverhältnis entstehe (ErläutRV 1632 BlgNR 20. GP 11). Später wurde im Zuge einer redaktionellen Änderung erläutert, der Zweck des § 15 Abs 2 AZHG bestehe darin, dass das Dienstverhältnis bei ein- oder mehrmaliger Verlängerung nicht als von Anfang an auf unbestimmte Zeit eingegangen angesehen wird (ErläutRV 585 BlgNR 25. GP 23). […] Auch mehrfache und mehr als dreimonatige Verlängerungen sollen zulässig sein. Die historische Interpretation […] der Bestimmung des § 15 AZHG ergibt daher, dass Kettenverträge im Anwendungsbereich des § 15 AZHG ohne Prüfung auf deren sachliche Rechtfertigung erlaubt sein sollen.
[21] 5.2. Dieses Ergebnis wird durch systematisch-teleologische Erwägungen gestützt: Der Gesetzgeber hat in einem bestimmten Bereich (VBG) ein spezielles Verbot angeordnet (§ 4 Abs 4 VBG) und in einem bestimmten Teilbereich (§ 15 AZHG) eine Ausnahme davon normiert (§ 15 Abs 2 AZHG). Das AZHG geht daher in diesen Sonderfällen von vornherein davon aus, dass eine – von der Rechtsprechung im Allgemeinen geforderte – Rechtfertigung für die mehrfachen Befristungen von Dienstverhältnissen vorliegt. Das diesen Entsendungsfällen zugrunde liegende KSE-BVG wurde mit dem Ziel eingeführt, um den Entwicklungen auf internationaler Ebene (Bereitschaft Österreichs „sich im vollen Umfang und aktiv an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, so wie sie im Vertrag über die Europäische Union definiert ist, zu beteiligen“
) Rechnung zu tragen und um ua auch die Entsendung von einzelnen Personen verwirklichen zu können (vgl ErläutRV 503 BlgNR 20. GP 1 ff). […]
[22] 5.3. Daraus folgt nun zunächst, dass anders als in den Verfahren 9 ObA 11/22s und 8 ObA 58/22w, in welchen aufgrund der zur Anwendung zu gelangenden Bestimmungen des Theaterarbeitsgesetzes (TAG) für die davon umfassten Tätigkeitsbereiche generell der befristete Arbeitsvertrag den Normalfall darstellt, der Gesetzgeber hier die Möglichkeit schaffen wollte, neben dem geschlossenen Kontingent von Angehörigen des Bundesheeres bzw der Wachkörper des Bundes, auch einzelne Personen, die sich zur Dienstleistung für den betreffenden Einsatz verpflichtet haben, zeitlich befristet entsenden zu können. Nur für diese Personen, die nicht in einem aktiven Dienstverhältnis zum Bund stehen und keine Angehörigen des Bundesheeres sind, sieht § 15 Abs 1 AZHG vor, dass für die Dauer ihrer Entsendung nach § 1 KSE-BVG, einschließlich einer allfälligen inländischen Vor- und Nachbereitung, ein befristeter Dienstvertrag nach dem VBG abzuschließen ist, wobei auf diese Dienstverhältnisse § 4 Abs 4 VBG nicht zur Anwendung zu gelangen hat. Nach § 15 Abs 1 und Abs 2 AZHG ist ein befristeter Dienstvertrag abzuschließen und kommt dabei das VBG unter Ausschluss der Bestimmung des § 4 Abs 4 VBG zur Anwendung. Dass diese Bestimmung einen gesetzlichen Ausschluss von sonst an sich zulässigen Kettenverträgen darstellt […] und daher die außerhalb des Geltungsbereichs dieser Gesetzesstelle vorzunehmende Prüfung der Rechtfertigung durch besondere wirtschaftliche oder soziale Gründe nicht stattzufinden hat […], ist ständi235ge Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Anders als das TAG sieht das VBG den befristeten Vertrag nicht als Normalfall an, sondern sollen befristete Dienstverträge die Ausnahme bilden und nur in den im Gesetz (eng) umschriebenen Fällen zulässig sein (8 ObA 5/19x Pkt 2.2.). Bei der Auslegung der Ausnahmebestimmungen ist ein strenger Maßstab anzulegen, da das sich aus § 4 Abs 4 VBG ergebende Verbot von Kettenarbeitsverträgen einer extensiven Interpretation von Ausnahmebestimmungen entgegen steht (8 ObA 5/19x Pkt 2.2.).
[23] Die von der Revision als nicht einschlägig erachtete Entscheidung 9 ObA 225/01f, worin im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 7 NÖ LVBG ausgeführt wurde, dass es keiner speziellen Rechtfertigung bedarf, wenn eine positivgesetzliche Regelung eine Verlängerung eines befristeten Dienstverhältnisses ausdrücklich zulässt, fügt sich in diese Rechtsprechung ein (vgl 9 ObA 25/20x Pkt 1.2.).
[24] 5.4. Die Entsendung nach § 15 Abs 1 und Abs 2 AZHG iVm § 1 KSE-BVG stellt nach Ansicht des Senats eine solche Ausnahmebestimmung dar. Die Entsendung auf Grundlage eines befristeten Dienstvertrags darf ausschließlich in den in § 1 KSE-BVG konkret umschriebenen Fällen erfolgen und es können nur Personen, die sich zur Dienstleistung für den betreffenden Einsatz verpflichtet haben und nicht Angehörige des Bundesheeres bzw des Wachkörpers des Bundes sind, davon erfasst sein. […]
[25] 5.5. Der Kl bestritt nicht, im Rahmen seiner befristeten Dienstverhältnisse anders als in seinen Dienstverträgen vereinbart, eingesetzt worden zu sein. […] Nach § 15 AZHG iVm § 1 Z 1 KSE-BVG kommt es entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht auch darauf an, welche Gründe konkret für die Entsendung (bzw deren Aufrechterhaltung) ursächlich waren, wenn damit nur ein in § 1 KSE-BVG aufgezählter Zweck erfüllt wird und zudem die Voraussetzungen des § 15 AZHG vorliegen. […]
[26] 6. Im konkreten Fall ist aber auch eine unionsrechtliche Beurteilung der vom AZHG erlaubten Befristung von Dienstverhältnissen erforderlich […]
[27] 6.1. Mit der Richtlinie 1999/70/EG des Rates über befristete Dienstverträge vom 28.6.1999 (Befristungs-RL) wurde die EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse vom 18.3.1999 übernommen. Das erklärte Ziel dieser Richtlinie gemäß § 1 der Rahmenvereinbarung ist es, durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität der befristeten Arbeitsverhältnisse zu verbessern und einen Rahmen zu schaffen, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse verhindert (9 ObA 11/22s Rz 21 mwN).
[28] 6.2. Grundsätzlich überlässt § 5 Nr 2 der Befristungs-RL es aber den Mitgliedstaaten zu bestimmen, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge und -verhältnisse als aufeinanderfolgend bzw als unbefristet zu betrachten sind (9 ObA 11/22s Rz 26 mwN).
[29] 6.3. […] Die Mitgliedstaaten können nach § 5 Nr 1 lit a bis c der Befristungs-RL die Zulässigkeit einer mehrfachen Befristung vom Vorliegen sachlicher Gründe abhängig machen, sie können eine maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverhältnisse oder die zulässige Zahl der Verlängerungen festlegen. Schon aus dem Wortlaut ergibt sich, dass die verschiedenen, darin angeführten Maßnahmen als „gleichwertig“ angesehen werden. Somit wird in § 5 Nr 1 der Befristungs-RL mit der Verwendung „gleichwertige gesetzliche Maßnahmen“ auf alle Maßnahmen des nationalen Rechts abgestellt, die wie die in diesen Paragraphen genannten Maßnahmen die missbräuchliche Verwendung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen oder -verhältnissen auf effektive Weise verhindern sollen. […]
[…] [31] 6.5. Sieht eine innerstaatliche Regelung über die Befristung eines Arbeitsverhältnisses keine den in § 5 Nr 1 der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen vor, ist zu prüfen, ob der Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge in diesem Bereich durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden kann (vgl EuGHC-331/17, Sciotto, Rn 37, ECLI:EU:C:2018:859). Der Begriff „sachliche Gründe“ ist dahin zu verstehen, dass er genau bezeichnete, konkrete Umstände meint, die eine bestimmte Tätigkeit kennzeichnen und daher in diesem speziellen Zusammenhang den Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge rechtfertigen können. Diese Umstände können sich etwa aus der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung die Verträge geschlossen worden sind, und deren Wesensmerkmalen oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Ziels durch einen Mitgliedstaat ergeben (EuGHC-331/17, Sciotto, Rn 39). Hingegen entspräche eine nationale Vorschrift, die sich darauf beschränkte, den Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge allgemein und abstrakt durch Gesetz oder Verordnung zuzulassen, nicht den in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils dargelegten Erfordernissen. […]
[32] 6.6. Wie bereits oben (Pkt 5.4.) dargestellt, sind der Regelung des § 15 AZHG iVm § 1 KSE-BVG sachliche Gründe für die Befristung im Sinn der vom EuGH judizierten Grundsätze immanent. Es handelt sich nicht um eine Norm, die im Allgemeinen für einen bestimmten Tätigkeitsbereich und ohne die Angabe konkreter Gründe die Befristung von Verträgen zulässt. Die Zulässigkeit mehrfacher aufeinanderfolgender Befristungen von Dienstverhältnissen nach § 15 AZHG iVm § 1 Z 1 KSE-BVG zielt auch nicht darauf ab, einen ständigen oder dauerhaften Bedarf an Personen, die nicht in einem aktiven Dienstverhältnis zum Bund stehen und keine Angehörigen des Bundesheeres sind (§ 15 Abs 1 Z 1 KHVG), abzudecken, sondern einen vorübergehenden Bedarf, wenn es eine Situation iSd § 1 KSE-BVG ausnahmsweise erfordert.“
Im gegenständlichen Verfahren hatte der OGH wieder einmal zu beurteilen, ob die Aneinanderreihung 236mehrerer befristeter Verträge zu einem unbefristeten Dienstverhältnis geführt hat.
Auf das Dienstverhältnis war das AZHG anzuwenden. Der Kl wurde als Vertragsbediensteter des Bundes beschäftigt. Im anzuwenden VBG 1948 ist in § 4 Abs 4 vorgesehen, dass ein befristeter Vertrag nur einmal und maximal um drei Monate verlängert werden darf. § 15 Abs 2 AZHG schließt jedoch § 4 Abs 4 VBG 1948 aus. Die zu klärende Frage war daher, ob aufgrund dieses Ausschlusses die allgemeine Judikatur zu Kettenverträgen einschlägig war oder die Sonderregelung zu einer anderen Beurteilung führen musste.
Nach dieser allgemeinen Judikatur ist die Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverhältnisse nur dann zulässig, wenn besondere wirtschaftliche oder soziale Gründe das rechtfertigen. Andernfalls sind solche „Kettenarbeitsverträge“ als unbefristete Arbeitsverhältnisse zu behandeln.
Grundsätzlich (mit Ausnahmen) ist die erste Befristung eines Arbeitsverhältnisses zulässig, ohne dass es einer sachlichen Rechtfertigung bedarf. Aber schon die erste befristete Verlängerung ist nur zulässig, wenn damit nicht zum Nachteil des AN die Bestimmungen des Kündigungsschutzes oder (auch) die gesetzlichen Vorschriften über Kündigungsfristen und Kündigungstermine umgangen werden. Je öfter die Aneinanderreihung von Befristungen erfolgt, desto strenger sind die inhaltlichen Anforderungen an die Rechtfertigungsgründe. Auch die Dauer der Befristung und die Art der Arbeitsleistung sind in die Überlegungen einzubeziehen.
Der Vertrag des Kl wurde viermal befristet verlängert, sodass die Prüfung der Zulässigkeit nach dieser allgemeinen Judikatur entsprechend streng sein müsste.
Alle Instanzen waren sich jedoch einig, dass die normierte Sonderregelung (also der Ausschluss des § 4 Abs 4 VBG 1948) so zu verstehen ist, dass überhaupt keine Prüfung stattzufinden hat, sondern im konkreten Anwendungsbereich mehrfache befristete Verlängerungen zulässig sind und nicht zu einem unbefristeten Vertrag führen.
Auch europarechtlich bestehen nach dieser Entscheidung keine Bedenken gegen die getroffene Beurteilung, weil die Sonderregel aus sachlichen Gründen iSd vom EuGH judizierten Grundsätze geschaffen wurde.