EDITORIAL

RUDOLFMOSLER ( SALZBURG)
Arbeitsrecht und Nachhaltigkeit

Dieses Sonderheft von DRdA enthält die Schriftfassungen der Vorträge, die bei der Tagung „Arbeitsrecht und Nachhaltigkeit“ am 26./27. September 2023 an der Universität Salzburg gehalten wurden.

Nachhaltigkeit im Recht ist ein Thema, das erst seit wenigen Jahren intensiver diskutiert wird. Im österreichischen Arbeitsrecht scheint es weitgehend Neuland zu sein. Es handelt sich um ein Querschnittsthema, das zunächst die politische Diskussion um ökologische Fragen im Recht abbildet. Klimaschutz, Mobilitätswende, erneuerbare Energie, Schutz natürlicher Ressourcen sind einige oft wiederkehrende Schlagworte.

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist aber durchaus weiter und kann allgemein iSv „längere Zeit anhaltende Wirkung“ verstanden werden. Als solcher ist er für eine juristische Betrachtung wenig ergiebig. Mehr Sinn macht es, ihn auf das Verhältnis zwischen gegenwärtiger Bedürfnisbefriedigung und Erhaltung von Zukunftschancen zu beziehen. IdS ist eine Entwicklung nachhaltig, die beim Verbrauch von Ressourcen und Gütern darauf Bedacht nimmt, dass auch eine künftige Bereitstellung bzw Regeneration möglich ist. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass diese Begriffsbedeutung aus der Forstwirtschaft kommt: Es soll immer nur so viel Holz geschlägert werden, als jeweils nachwachsen kann.*

Mittlerweile wird Nachhaltigkeit nicht mehr nur auf Ökologie, sondern auch auf Ökonomie und Soziales bezogen („Drei-Säulen-Modell“).* In der Ökologie geht es im Wesentlichen darum, den Naturressourcenverbrauch dauerhaft stabil zu gestalten. Ein mögliches arbeitsrechtliches Thema ist in diesem Zusammenhang, wie sich die ökologische Transformation auf den Arbeitsmarkt und das Arbeitsrecht auswirkt bzw auswirken kann. Man kann etwa untersuchen, welche Verteilungswirkung Klimaschutzmaßnahmen haben und wie das Arbeitsrecht darauf reagieren sollte.* Man kann auch diskutieren, welchen Beitrag die Instrumente des Arbeitsrechts und Sozialrechts für eine Nachhaltigkeit im ökologischen Sinn leisten können.

In einem ökonomischen Sinn beschreibt Nachhaltigkeit vor allem die längerfristige Relation von Einnahmen und Ausgaben, volkswirtschaftlich also etwa wie viel Verschuldung sich der Staat leisten kann, aber auch wofür die Einnahmen ausgegeben werden (also zB langfristige Investitionen in die Infrastruktur versus kurzfristig wirkende Alimentierungen).

Im Sozialen wird Nachhaltigkeit für Sozialsysteme verwendet, die kontinuierlich und längerfristig wirken. Das ist in erster Linie ein Thema für das Sozialrecht, besonders das Pensionsversicherungsrecht. Man kann dabei die Frage stellen, ob Sozialsysteme mehr oder weniger nachhaltig sind. Im Arbeitsrecht wird soziale Nachhaltigkeit häufig mit Chancengerechtigkeit und Fairness bei Zugang zur Beschäftigung, Entgelt und Arbeitsbedingungen assoziiert. Zunehmend wird auch die soziale Verantwortung von Unternehmen betont (Corporate Social Responsibility).

Der Begriff der Nachhaltigkeit hat unverkennbar eine gewisse Verwandtschaft mit dem Begriff des Gemeinwohls. Die Ähnlichkeit liegt darin, dass beide Konzepte davon ausgehen, dass nicht nur der individuelle Vorteil, das Wohl des Einzelnen angestrebt werden soll, sondern Ideen der Solidarität und Gerechtigkeit einen hohen Stellenwert einnehmen. Nachhaltigkeit wird oft als Bestandteil des Gemeinwohls angesehen,* Corporate Social Responsibility auch in diesem Zusammenhang diskutiert.* Als gemeinwohlrelevante Bereiche werden in der Literatur* vor allem Arbeitsqualität (Arbeitsschutz, Work-Life-Balance, flexible Arbeitszeiten, mitarbeiterorientierte Organisationskultur, faire Beschäftigungs- und Entgeltpolitik), Gleichstellung und Diversität, gerechte Verteilung der Erwerbsarbeit (idR verbunden mit geringerer individueller Arbeitszeit), gerechte Einkommensverteilung (Begrenzung der Einkommensspreizung, Einkommenstransparenz) und innerbetriebliche Demokratie angeführt. Letztlich betrifft das fast alle Bereiche des Arbeitsrechts, geht aber weit darüber hinaus. Die Vertreter:innen der Gemeinwohlorientierung stehen in einem betont kritischen Verhältnis zur traditionellen Marktwirtschaft und zum Wettbewerb, während die Nachhaltigkeitsdiskussion durchaus auch systemimmanent geführt wird. Der Blick auf die Gemeinwohldiskussion ergibt im Hinblick auf die diskutierten Themen mit Bezug zu Arbeitsrecht und Sozialpolitik partielle Übereinstimmung mit der Nachhaltigkeitsdiskussion, bringt allerdings wenig neue Erkenntnisse für diese.

International hat sich jedenfalls mehr der Begriff Nachhaltigkeit durchgesetzt. Schon 2015 haben die Vereinten Nationen auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung eine bis 2030 umzusetzende Agenda mit 17 Zielen (Sustainable Development Goals) und 169 Unterzielen (Targets) verabschiedet.*82

In mehreren Zielen wird ein Bezug zum Sozialen hergestellt: Beenden der Armut, Gewährleistung eines gesunden Lebens für alle Menschen jeden Alters, Geschlechtergleichstellung, menschenwürdige Arbeit für alle fördern, Verringerung der Ungleichheit in und zwischen Ländern. Die Agenda baut auf dem genannten Drei-Säulen-Modell auf und bezweckt offenkundig ein Zusammenführen der Umweltproblematik mit der globalen Armutsproblematik. Sie ist nicht verbindlich und letztlich zu allgemein gehalten für eine unmittelbare Umsetzbarkeit im nationalen Arbeitsrecht und Sozialrecht.

Noch wesentlich länger beschäftigt sich die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) mit Themen, die man heute der sozialen Nachhaltigkeit zuordnen würde. Die IAO hat Mindeststandards für menschenwürdige Arbeitsbedingungen definiert* und zehn Übereinkommen über „Kernarbeitsnormen“ geschlossen.* Aus neuerer Zeit stammen Handlungsempfehlungen an internationale Unternehmen an Hand von Best-Practice-Beispielen.* Ausdrücklich wird dabei die Lieferkettenproblematik thematisiert und Unternehmen empfohlen, die Einhaltung von menschenrechtlichen und arbeitsrechtlichen Mindeststandards bei ihren Vertragspartnern im Vertrag zu verankern oder einen Code of Conduct bzw Compliance-Regeln zur Basis der Geschäftsbeziehung zu machen. Im Unterschied zu den IAO-Übereinkommen, die als völkerrechtliche Verträge die Mitgliedstaaten binden, handelt es sich um Empfehlungen, die sich nicht nur an Unternehmen, sondern ausdrücklich auch an Regierungen sowie Gewerkschaften und AG-Organisationen richten. Das führt in vielen Fällen zum Abschluss von Kollektivverträgen, die vor allem Mindestlöhne, Arbeitsschutzmaßnahmen und eine Begrenzung der Arbeitszeit vorsehen, aber auch zu Beschwerdesystemen bei Nichteinhaltung.

Auf Unionsebene kann auf die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verwiesen werden.* Die Richtlinie ist am 5.1.2023 in Kraft getreten und muss binnen 18 Monaten umgesetzt werden. Sie erweitert die schon bestehenden Pflichten von Unternehmen in Bezug auf eine Art Selbstevaluierung in Nachhaltigkeitsbelangen. Es sind verbindliche europäische Berichtsstandards vorgesehen, die sich nicht nur auf Umweltstandards und Governance beziehen, sondern auch auf

  • Chancengleichheit für alle, einschließlich Gleichstellung der Geschlechter und gleiches Entgelt für gleiche Arbeit, Ausbildung und Qualifizierung sowie Beschäftigung und Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen;

  • Arbeitsbedingungen, einschließlich sicherer und anpassungsfähiger Arbeitsplätze, Löhne, sozialen Dialog, Tarifverhandlungen und Beteiligung der AN, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sowie eine gesunde, sichere und gut angepasste Arbeitsumgebung.

Ausdrücklich wird die Wertschöpfungskette des Unternehmens einbezogen. Es sind den Mitgliedstaaten eine externe Prüfpflicht und wirksame Sanktionen vorgeschrieben. Die Richtlinie sieht eine Information der AN-Vertreter und eine Pflicht zur Erörterung der einschlägigen Informationen und der Mittel zur Einholung und Überprüfung von Nachhaltigkeitsinformationen vor. Die Stellungnahme der AN-Vertreter ist gegebenenfalls den zuständigen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorganen mitzuteilen.

Ein weiterer Richtlinien-Vorschlag betrifft die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit.* Erfasst werden neben der Kinderarbeit ua angemessene Arbeits- und Entgeltbedingungen, einschließlich der Begrenzung der Arbeitszeit. Unter bestimmten Voraussetzungen werden auch in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten einbezogen. Die Sorgfaltspflicht betrifft nicht nur das eigene Unternehmen, sondern auch beherrschte Tochterunternehmen und gilt darüber hinaus in der gesamten Wertschöpfungskette, allerdings nur im Rahmen der „etablierten Geschäftsbeziehungen“.

Gerade die EU-Richtlinien zeigen, wie sehr im Bereich der Nachhaltigkeit eine Verknüpfung mit dem Wirtschaftsrecht besteht. Berichts- und Sorgfaltspflichten sind den Unternehmen als Verpflichtungen aufzuerlegen, sie betreffen – keineswegs nur – aber auch das Arbeitsrecht. Eine Reduktion auf eine arbeitsrechtliche Sichtweise wäre daher unvollständig. Das Konzept der Tagung war darauf ausgerichtet, das Thema Arbeitsrecht und Nachhaltigkeit sehr breit und fachübergreifend zu sehen und auch die ökonomische, wirtschaftsrechtliche und völkerrechtliche Seite zu betrachten (das Unionsrecht ist ohnehin immer dabei). Es handelt sich um ein neues Thema, bei dem die Positionen noch nicht endgültig bezogen sind, das man daher auch noch ergebnisoffen diskutieren kann. Die folgenden Beiträge dienen diesem Ziel. 83