Soziale und ökologische Nachhaltigkeit: Perspektiven für Arbeit und Beschäftigung

MARKUSMARTERBAUER (WIEN)
Prekäre Beschäftigung und klimabedingter Strukturwandel lösen Ängste aus, die das Leben der Betroffenen beeinträchtigen und die Demokratie gefährden. Aktiv und zukunftsorientierte Arbeitspolitik kann den Strukturwandel gestalten und Hoffnung machen.
  1. Was ist nachhaltige Arbeit?

    1. Fehlende Nachhaltigkeit löst Ängste aus

    2. Gefahr für die Demokratie

  2. Klimakrise für nachhaltige Arbeit nutzen

    1. Beschäftigungsalternativen zu Wintertourismus und Kfz-Industrie entwickeln

    2. Aktive und zukunftsorientierte Arbeitspolitik

  3. Arbeitskräfteknappheit für nachhaltige Arbeit nutzen

    1. Dualisierung auf dem Arbeitsmarkt

    2. Fehlende Nachhaltigkeit prekärer Beschäftigung

  4. Nachhaltige Arbeit: Grenzen setzen

1.
Was ist nachhaltige Arbeit?
1.1.
Fehlende Nachhaltigkeit löst Ängste aus

Der deutsche Soziologe Oskar Negt definierte fundamentale Bedingungen für akzeptable Arbeit und damit die Aufgaben der Beschäftigungspolitik: „Arbeitsplätze schaffen, die den Menschen ermöglichen, auf angstfreier Existenzbasis zu leben.* Damit ist eine erste Definition von Nachhaltigkeit in Bezug auf Arbeit gesetzt, denn die Arbeitserfahrung von Menschen ist durch vielfältige Ängste geprägt. Die Angst vor dem Chef und der Ausbeutung am Arbeitsplatz wie die Angst vor Arbeitslosigkeit und dem damit verbundenen Abrutschen in Armut begleiten die Erfahrungen arbeitender Menschen im Kapitalismus von Beginn weg und standen der Schaffung sozialer Sicherungssysteme im 19. und 20. Jahrhundert Pate. Sie standen auch am Anfang einer Politik, die auf Vollbeschäftigung ausgerichtet war, denn die österreichische Soziologin Marie Jahoda hatte erkannt: „Arbeitslosigkeit führt nicht zu Revolution, sondern zu Resignation.

Oskar Negt geht aber weiter. Erwerbsarbeit muss mit Einkommen, gesellschaftlicher Anerkennung und Integration verbunden sein, um Ängste zu nehmen. Viele prekäre Arbeitsplätze mit befristeter Anstellung, zu geringen Arbeitsstunden, niedrigen Löhnen und der Verletzung von fundamentalen Rechten der Beschäftigten leisten das bis heute nicht. Nicht weniger beachtenswert sind Ängste, die mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel verbunden sind, der neue Produktionsstrukturen und Arbeitsplätze schafft, aber auch viele alte vernichtet und so jene bedroht, denen die Anpassung nicht so leichtfällt, weil sie alt, krank, schlecht ausgebildet oder auf andere Weise benachteiligt sind.

Heinrich Heine hat 1844 im „Weberlied“ das Elend der schlesischen Weber:innen beschrieben, die im Zuge der Industrialisierung Arbeit und Auskommen verloren und denen niemand half: „Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebetet, ... ein Fluch dem König, dem König der Reichen, ... ein Fluch dem falschen Vaterlande ...“ Heute stehen wir neuerlich vor einem einschneidenden Strukturwandel in Zusammenhang mit der Klimakrise. Zum ersten ist die Klimakrise für arbeitende Menschen täglich spürbar, auch in Beeinträchtigungen durch zB Hitze auf dem Arbeitsplatz. Zum zweiten erfordert die Bekämpfung der Klimakrise einen raschen und grundlegenden Umbau der Wirtschaft, etwa 143 der industriellen Produktionsweisen, des Energiesystems oder der Mobilität. Das wird das Arbeitsleben weitreichend verändern. Damit ist Unsicherheit verbunden und es löst Ängste aus.

1.2.
Gefahr für die Demokratie

Ängste, die aus fehlender Nachhaltigkeit von Arbeitsplätzen resultieren, beeinträchtigen das Leben der Einzelnen. Doch die Folgen gehen weit darüber hinaus, sie betreffen die ganze Gesellschaft. Menschen, die unter fehlender Nachhaltigkeit ihres Arbeitsplatzes leiden und denen nicht geholfen wird, neigen dazu, sich aus Demokratie und Gesellschaft zurückzuziehen, dh nicht mehr für ihre eigenen Interessen, aber auch nicht für die Interessen anderer einzutreten. Im SORA-Demokratiemonitor 2023 sagen nur 16 % der Befragten des unteren ökonomischen Drittels, dass „Menschen wie ich im Parlament gut vertreten sind“, 26 % meinen, dass „Menschen wie ich mit Beteiligung etwas bewirken können“.*

Wenn Menschen den Eindruck haben, dass „die Politik“ sich nicht um sie kümmert, dann ziehen sie sich aus der Demokratie zurück. An den Nationalratswahlen 2019 haben sich 41 % der Wahlberechtigten des unteren Einkommensdrittels nicht beteiligt, aber nur 17 % des oberen Drittels.* Dazu kommt, dass viele Menschen im unteren ökonomischen Drittel gar nicht wahlberechtigt sind. Bei den Gemeinderatswahlen in Wien 2020 waren 60 % der Arbeiter:innen und 70 % der Reinigungskräfte, 65 % der Pflegekräfte und 49 % der Gastronomiebeschäftigten wegen fehlender Staatsbürgerschaft nicht wahlberechtigt.* Damit verliert die parlamentarische Demokratie ihre Repräsentativität. Und das verstärkt die Abwärtsspirale. Denn Demokratie und Mitbestimmung in Bezug auf die eigenen Lebensrealitäten wären unverzichtbare Instrumente gegen Ausgrenzung und Angst.

Die Vorkämpfer der liberalen Demokratie hatten deshalb den Anspruch, den Menschen Ängste zu nehmen, indem die Machtausübung des absoluten Herrschers und des Adels grundlegend beschränkt und die Möglichkeiten der Mitentscheidung und Selbstbestimmung der breiten Masse der Bevölkerung grundlegend ausgebaut wurden. Die USPolitologin Judith Shklar spricht deshalb zurecht vom „Liberalismus der Furcht“.* Heute gilt es wohl, die demokratischen Rechte der Menschen gegenüber der Macht der Multinationalen Konzerne und der Vermögenden zu verteidigen. Ängste, die zB aus fehlender Nachhaltigkeit von Arbeit entstehen, gefährden heute wieder die Demokratie, weil sie die Beteiligung am demokratischen Prozess und damit dessen Repräsentativität unterhöhlen.

Ich werde im Folgenden auf Basis der Überlegungen, die Martin Schürz und ich in unserem Buch angestellt haben,* Rahmenbedingungen und Politikoptionen nachgehen, die helfen können, diese Ängste in Hoffnung zu verwandeln: Zunächst in Bezug auf den Strukturwandel der Arbeit, der mit der Klimakrise verbunden ist, dann in Bezug auf die Arbeitsbedingungen.

2.
Klimakrise für nachhaltige Arbeit nutzen

Das von der Bundesregierung vereinbarte und den internationalen Verpflichtungen entsprechende Ziel, bis 2040 die Klimaneutralität der österreichischen Wirtschaft zu erreichen, erfordert den weitgehenden Umbau des Wirtschaftssystems und zwar in allen Bereichen: Energie, Mobilität, Wohnen, Industrie, Nahrungsmittelproduktion uvam. In vielen Wirtschaftsbereichen können die Klimakrise selbst, aber auch der durch ihn notwendig gemachte Strukturwandel Produktion und Beschäftigung gefährden.

2.1.
Beschäftigungsalternativen zu Wintertourismus und Kfz-Industrie entwickeln

So dürfte der Winterschitourismus bei fehlendem Schnee in vielen Regionen Österreichs zum Erliegen kommen. Extremwetterereignisse können darüber hinaus touristische Einrichtungen und Dienste betreffen. Insofern sind durch die Klimakrise eine nennenswerte Zahl an Arbeitsplätzen gefährdet. Dem gilt es im Interesse der Erwerbstätigen entgegenzutreten. Dabei darf allerdings nicht zu eng gedacht werden, etwa indem die Bedeutung des Tourismus für die Gesamtwirtschaft und Beschäftigung überschätzt wird. Das geschieht, wenn vom „Tourismusland Österreich“ gesprochen wird. Da noch kein Tourismus-Satellitenkonto von Statistik Austria für den Tourismus 2022 oder 2023 vorliegt, beziehe ich mich hier nur auf die Zahl der Beschäftigten in Gastronomie und Beherbergung, von denen ein (erheblicher) Teil auf touristische Dienste entfällt. Auch in anderen Branchen stehen Arbeitsplätze in Zusammenhang mit Tourismus, zB im Verkehr (Seilbahnen). Die Gastronomie hatte im Jahresdurchschnitt 2023 gut 110.000 Beschäftigte, das Beherbergungswesen etwa 90.000. Das sind insgesamt knapp 5 % der unselbständig Beschäftigten. Damit ergibt sich ein erhebliches Potenzial an gefährdeten Arbeitsplätzen durch die Klimakrise von einigen zehntausend. Dazu kommt, dass diese Arbeitsplätze stark auf wenige Bundesländer (Tirol, Salzburg, Kärnten) konzentriert sind und dort oft auf Gebiete, in denen andere wirtschaftliche Aktivitäten fehlen.

Dennoch bietet die Klimapolitik gerade auch in diesen Regionen enorme Beschäftigungschancen. Man denke nur an das riesige Potenzial für die Bauwirtschaft. Sie ist zwar auch selbst erheblich vom Strukturwandel betroffen (treibhausgasfreie Produktion), darf aber doch enorme Aufträge im Zuge 144 des Umbaus der Wirtschaft erwarten. Ähnliches gilt für Elektriker:innen oder Installateur:innen Allein die Bauwirtschaft hat mehr als 300.000 Beschäftigte und damit um etwa 50 % mehr als Gastronomie und Beherbergung. Das gleiche gilt für das Gesundheitswesen. Zudem ist zu bedenken, dass 2021 etwa die Hälfte der Vollzeitarbeitsplätze in der Beherbergung und Gastronomie mit weniger als € 2.000,– brutto pro Monat entlohnt wurde. Viele dieser Niedriglohnarbeitsplätze sind auch aus sozialen Gründen nicht nachhaltig und damit auch nicht erhaltenswert.

Ein zweites Beispiel bildet die Kfz-Industrie. Das Ende der Verbrennungsmotoren gefährdet Arbeitsplätze in der Kfz-Industrie. In der Produktion von Kfz sind in Österreich etwa 50.000 Menschen beschäftigt (dazu kommt eine höhere Zahl an Beschäftigten in der Zulieferung). Eine starke Konzentration an Kfz-Beschäftigten gibt es in Graz und im oberösterreichischen Zentralraum. Dabei handelt es sich um gut bezahlte Arbeit mit guten Arbeitsbedingungen. Allerdings wird auch die Bedeutung der Kfz-Industrie in Österreich überschätzt, etwa wenn vom „Autoland Österreich“ gesprochen wird. Im Maschinenbau arbeiten fast doppelt so viele Menschen (90.000), im Bereich der Metallwaren um 50 % mehr (75.000). Beide Bereiche haben im letzten Jahrzehnt vom weltweiten Investitionsboom profitiert und sich exzellent entwickelt, während die Kfz-Industrie unter der Konsumschwäche und den Strukturproblemen der deutschen Automobilindustrie litt. Gleichzeitig haben sie riesiges Produktionspotenzial im Zuge des ökologischen Umbaus.

2.2.
Aktive und zukunftsorientierte Arbeitspolitik

Klimakrise und Umbau der Wirtschaft im Zuge der Klimapolitik gefährden zehntausende Arbeitsplätze, etwa im Wintertourismus oder in der Kfz- Industrie. Doch gleichzeitig entstehen viele neue Arbeitsplätze etwa in der Bauwirtschaft oder im Maschinenbau. Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik dürfen diese Strukturveränderungen nicht passiv abwarten oder gar bremsen, etwa durch immer neue Subventionen für sterbende Wirtschaftsbereiche. Damit jenen geholfen wird, die vom Strukturwandel betroffen sind und nicht so flexibel sind wie andere, müssen Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik und Regionalpolitik aktiv eingreifen. Eine gute soziale Absicherung, Qualifizierung und Vermittlung auf neue Arbeitsplätze sind wichtig. Die AlV muss dem Anspruch genügen, den Lebensstandard auch im Fall von Arbeitslosigkeit zu sichern. Das tut sie aufgrund des geringen Leistungsniveaus vor allem bei Langzeitbeschäftigungslosigkeit derzeit nicht. Deshalb bilden die Arbeitslosen die am stärksten armutsgefährdete soziale Gruppe.

Versuche, das Arbeitslosengeld mit der Dauer der Arbeitslosigkeit noch weiter abzusenken („degressives Arbeitslosengeld“), erhöhen die Armut massiv. Ein lebensstandardsicherndes Sozialversicherungssystem ist wichtig in der Zurückdrängung von berechtigten Ängsten. Darüber hinaus gilt es, mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Qualifizierung und Vermittlung, neue Beschäftigungschancen für Arbeitslose zu schaffen.

Sinnvoll wäre es allerdings, nicht erst Menschen, die wegen des Strukturwandels arbeitslos wurden, abzusichern, zu qualifizieren und auf gute Arbeitsplätze zu vermitteln. Sinnvoll wäre es vielmehr, derzeit Beschäftigte, deren Arbeitsplätze absehbar gefährdet sind (etwa in den beiden exemplarisch genannten Bereichen des Wintertourismus und der Kfz-Industrie), vorzeitig auf andere, gute Arbeitsplätze zu qualifizieren und zu vermitteln. Dies braucht eine Reform des Institutionensystems und Maßnahmenkatalogs der Arbeitsmarktpolitik.

Gleichzeitig müssen alle Instrumente der Klimapolitik, die expansiv wirken, also mit dem Entstehen neuer guter Arbeitsplätze verbunden sind, betont werden. Das gilt etwa für die Technologiepolitik sowie Forschung und Entwicklung. Es gilt ganz besonders für die Förderung privater und öffentlicher Investitionen. Allein die öffentliche Hand muss bis 2030 60 bis 80 Mrd € investieren, um Städte und Gemeinden klimafit zu machen.* Das Beschäftigungspotenzial ist riesig. Pro Milliarde Euro an Investitionen kann mittelfristig mit etwa 10.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen gerechnet werden.

3.
Arbeitskräfteknappheit für nachhaltige Arbeit nutzen
3.1.
Dualisierung auf dem Arbeitsmarkt

Der österreichische Arbeitsmarkt ist von einer Dualisierung geprägt.* Etwa zwei Drittel aller Arbeitsplätze sind dauerhafte Vollzeitbeschäftigung mit gutem Einkommen, in Kollektivverträgen gesicherten Arbeitsbedingungen und mit langfristiger Perspektive. Etwa ein Drittel der Arbeitsplätze sind prekär, darunter vor allem jene, die mit Migrant:innen, Frauen und Jungen besetzt sind und jene im Tourismus, bei Lieferdiensten und anderen wirtschaftlichen Dienstleistungen und in der Landwirtschaft. Unter den neuen, aber die kommenden Jahrzehnte prägenden Bedingungen von Arbeitskräfteknappheit, droht sich diese Dualisierung zu verschärfen, wenn die Politik passiv und ideenlos bleibt. Sie setzt zum einen auf Zuwanderung aus immer neuen Gebieten der Welt und zum anderen auf Anreize für Beschäftigte, mehr zu arbeiten. Die Gefahr ist groß, dass auf der einen Seite viele Migrant:innen schlecht integriert werden und in das Drittel der prekär Beschäftigten abgleiten. Die steuerliche Begünstigung von Überstunden, die Senkung von Abgaben für Beschäftigung nach dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter kommt auf der einen Seite primär jenen zugute, die bereits hohes Einkommen und günstige Arbeitsbedingungen 145 haben, gesund und leistungsfähig sind. Die Verteilungswirkungen dieser Politik sind negativ, die Spaltung wird verstärkt.

Arbeitskräfteknappheit wäre aber eine Chance, die Dualisierung zu überwinden und gute Arbeitsplätze für jene Bevölkerungsgruppen zu schaffen, die bisher nur prekäre Jobs haben und deshalb berechtigte Ängste entwickeln, gerade in Zeiten hoher Teuerung. Aktive und zukunftsorientierte Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik muss die Strukturen so ändern, dass die hunderttausenden Menschen des benachteiligten Drittels gute Arbeitsplätze bekommen. Arbeitskräfteknappheit ist gekommen, um zu bleiben. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, die in den letzten sechs Jahrzehnten stetig gewachsen ist, wird nun aus demografischen Gründen stagnieren bzw leicht zurückgehen.

Auf dem Arbeitsmarkt spiegelt sich die Arbeitskräfteknappheit im Indikator des Stellenandrangs, der die Zahl der Arbeitslosen je offener Stelle darstellt. Sie stieg in Österreich in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre nach dem zweiten Erdölpreisschock auf sechs und betrug von Beginn der 1990er-Jahre bis Mitte der 2010er-Jahre im Durchschnitt sieben, mit Spitzen bei zwölf Arbeitslosen je offener Stelle. In den 1960er- und 1970er-Jahren lag sie primär aufgrund der starken Nachfrage nach Arbeitskräften hingegen bei unter zwei, mit einem Tiefstand von einem halben Arbeitslosen je offener Stelle in der Arbeitskräfteknappheit der ersten Hälfte der 1970er-Jahre. Nach Überwinden der Covid-Krise beträgt der Stellenandrang 2023 wieder nur etwas mehr als zwei, ähnlich den 1960ern und 1970ern. Der Arbeitsmarkt hat damit die Charakteristika der letzten vier Jahrzehnte mit hoher Arbeitslosigkeit und geringer Zahl an offenen Stellen überwunden, primär aufgrund des nun deutlich geringeren Wachstums des Angebots an Arbeitskräften. Das bietet enorme Chancen für Strukturreformen und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für jene Menschen, die es bislang auf dem Arbeitsmarkt nicht so leicht haben.

3.2.
Fehlende Nachhaltigkeit prekärer Beschäftigung

Diese Gruppe ist in ihren Charakteristika vielfältig und heterogen, sie ist aber jedenfalls sehr groß. Sie besteht erstens aus den etwa 300.000 Arbeitslosen. Darunter jene 75.000 Menschen, die länger als ein Jahr ohne Beschäftigung sind, oft unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden und die am stärksten armutsgefährdete soziale Gruppe des Landes bilden.

Es gibt eine zweite Gruppe von Arbeitslosen, die nicht beim Arbeitsmarktservice (AMS) aufscheinen. Das WIFO schätzt die Zahl der in der „Stillen Reserve“ befindlichen Menschen auf 300.000.* Das sind ältere Personen, die nicht in Arbeitslosigkeit oder Beschäftigung sind, viele mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen; Junge, die weder in Ausbildung noch in Beschäftigung sind; Migrant:innen der ersten und zweiten Generation mit geringem

Status der Arbeitsmarktintegration, darunter viele Frauen; Frauen mit Betreuungspflichten.

Die dritte Gruppe bilden etwa 280.000 überwiegend teilzeitbeschäftigte Menschen, die angeben, mit ihrer aktuellen Arbeitszeit unterbeschäftigt zu sein, darunter vor allem Frauen. Nicht alle Menschen in der Stillen Reserve und in ungenügender Teilzeitbeschäftigung sind sofort für den Arbeitsmarkt verfügbar.

Eine vierte Gruppe besteht aus Menschen in Niedriglohnbeschäftigung. 2021 haben zwischen 520.000 und 650.000 Vollzeitbeschäftigte weniger als € 2.000,– brutto verdient. Darunter etwa die Hälfte aller in Beherbergung und Gastronomie Beschäftigten. Etwa ein Siebtel der privat Beschäftigten gehört damit zum Niedriglohnsektor, sie haben ein Stundeneinkommen von weniger als 60 % des Medians und können – ganz besonders in der Teuerungskrise – nicht von ihrem Einkommen leben. Eine fünfte Gruppe besteht aus Scheinselbständigen, besonders in der 24-Stunden-Betreuung (insgesamt 66.000 Beschäftigte), bei Lieferdiensten und ähnlichen prekären Arbeitsverhältnissen.

Das Arbeitskräftepotenzial im Inland ist also riesig. Es beträgt im weiteren Sinn eine bis eineinhalb Millionen Menschen. Entmutigte, die sich auf offene Stellen gar nicht mehr bewerben; gesundheitlich Beeinträchtigte ohne Chance auf einen adäquaten Arbeitsplatz; Frauen mit geringer Erwerbstätigkeit und hoher wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Partner; Jugendliche ohne Hoffnung; Migrant:innen ohne Chance auf Integration; Menschen in ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und ohne Aufstiegschancen; Scheinselbständige in wirtschaftlicher Abhängigkeit und ohne ausreichende Absicherung. Prekäre Arbeitsverhältnisse schaffen Angst. Arbeitskräfteknappheit, dh das Vorhandensein unbesetzter Arbeitsplätze bei guten Unternehmen, mit akzeptablen Löhnen und Arbeitsbedingungen bietet die Hoffnung auf einen guten Arbeitsplatz.

Aktive und zukunftsgerichtete Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik muss den Betroffenen konkret helfen, diese Arbeitsplätze besetzen zu können:

  • Gesundheitsversorgung, Sozialarbeit, Jobgarantie für Langzeitbeschäftigungslose;

  • Qualifizierung in Richtung Fachkraft, Vermittlung nur noch auf gute Arbeitsplätze mit Mindeststandards (zB € 2.000,– für Vollzeit) für Arbeitslose;

  • Gesundheitsvorsorge für Ältere, altersgerechte Arbeitsplätze;

  • Ausbau Ganztagskindergarten und Ganztagsvolksschule, mobile und stationäre Pflege, um Leistungen für Kinder und Pflegebedürftige zu verbessern, gute Arbeitsplätze für Pädagog:innen und Pflegekräfte zu schaffen und Frauen die Aufnahme von Erwerbstätigkeit zu ermöglichen;

  • die Integration von Migrant:innen und Asylwerber:innen in den Arbeitsprozess;

  • Neuausrichtung des AMS oder einer neuen Institution auf die Qualifizierung und Vermittlung 146 von bereits Beschäftigten auf gute Arbeitsplätze.

Arbeitskräfteknappheit bietet die Chance, die Arbeitsmarktintegration von Benachteiligten deutlich zu verbessern und ihre berechtigten Ängste abzubauen. Gleichzeitig hilft er den vielen guten Unternehmen, die dringend Arbeitskräfte suchen und gute Arbeitsbedingungen bieten. Der Strukturwandel hin zu guten Arbeitsplätzen erhöht die Produktivität und die Löhne und nutzt der Gesamtwirtschaft.

4.
Nachhaltige Arbeit: Grenzen setzen

Nachhaltigkeit in Bezug auf Arbeit kann mit Bezug auf Oskar Negt definiert werden: Arbeitsplätze, die eine angstfreie Existenzbasis bieten. Die Klimakrise und die hohe Zahl an prekären Arbeitsplätzen gefährden diese Nachhaltigkeit. Sie lösen berechtigte Ängste aus, die das Leben der Betroffenen beeinträchtigen, aber auch die soziale Stabilität und die Demokratie gefährden. Eine kapitalistische Wirtschaft führt, wenn sie sich selbst überlassen wird, zu massiven Verwerfungen, konkret zur Verschärfung von Klimakrise und Ungleichheit. Eine Arbeitspolitik, die sich der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlt, muss ihren Anspruch über angstfreie Existenzbasis hinaus richten. Gute Arbeitsplätze als unverzichtbares Element einer gerechten Gesellschaft überzeugen durch angemessene Löhne, dauerhafte Beschäftigung, soziale Sicherheit, Mitbestimmung, Solidarität, Weiterbildung und Innovation sowie Arbeitszeiten, die Freizeit für die wichtigen Dinge im Leben lassen. Sinnerfüllte und gesellschaftlich nützliche Arbeit weckt das Interesse der Menschen, bietet ihnen Anerkennung und beteiligt sie an der Verwirklichung eines guten Lebens für alle.

Eine aktive und zukunftsorientierte Politik gegen die Klimakrise und gegen prekäre Arbeit bietet die Chance, neue, gute Arbeitsplätze zu schaffen, die den Menschen Hoffnung geben und wirtschaftlichen Fortschritt mit sich bringt. Dafür müssen dem kapitalistischen Wirtschaftssystem klare ökologische, wirtschaftliche und soziale Vorgaben gemacht und enge Grenzen gesetzt werden. Um die Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, muss die Politik Regulierungen, Ge- und Verbote setzen (zB Bodenverbrauch, Flugverbote, Geschwindigkeitsbegrenzungen für Kfz, Heizkesseltausch ua), Umwelt- und Luxuskonsumsteuern erhöhen, Technologie- und Forschungspolitik betreiben und vor allem die öffentlichen grünen Investitionen ausweiten. Gelingt der Strukturwandel, dann kann der unvermeidbare Verlust an Arbeitsplätzen in einigen Wirtschaftsbereichen (Wintertourismus, Kfz-Industrie) durch das Entstehen neuer zukunftsfähiger Arbeitsplätze (mehr als) ausgeglichen werden. Zu diesem Zweck muss eine aktive Klimapolitik um soziale Absicherung und arbeitsmarktpolitische Qualifizierung ergänzt werden.

Arbeitskräfteknappheit kann die Spaltung des Arbeitsmarktes weiter verschärfen, wenn jene mit guten Startbedingungen von der hohen Nachfrage profitieren und jene mit schlechten Ausgangsbedingungen zurückbleiben. Sie kann aber auch den Auftakt für Solidarität und Integration bieten, indem die Politik gezielt Menschen, die in prekärer Beschäftigung sind, auf gute Arbeitsplätze lotst. Das bedarf auch besserer Untergrenzen im Sozialstaat, etwa durch höhere Mindeststandards in der sozialen Absicherung (Arbeitslosengeld), in der Arbeitsvermittlung (keine Vermittlung auf Arbeitsplätze unter € 2.000,– brutto), in den Kollektivverträgen (Anhebung der Lohnuntergrenzen).

Judith Shklar hat die zentrale Aufgabe des Liberalismus als Beendigung der Furcht vor den Herrschenden beschrieben. Dafür ist heute die Begrenzung der ökonomischen und politischen Macht der Vermögenden notwendig. Sie ermöglicht eine Bewältigung der enormen Herausforderungen, die aus Klimakrise und prekärer Beschäftigung für nachhaltige Arbeit entstehen. Eine aktive und zukunftsorientierte Wirtschafts-, Beschäftigungsund Klimapolitik ist geeignet, den Menschen Ängste zu nehmen und berechtigte Hoffnung zu machen. Denn wie wusste der Philosoph Ernst Bloch: „Es ist die Hoffnung, die die Angst ersäuft.*147