Die Haftung des Beschäftigers in der Insolvenz des Überlassers gemäß § 14 AÜG
Die Haftung des Beschäftigers in der Insolvenz des Überlassers gemäß § 14 AÜG
Grundlagen
Zweck und Historie des § 14 AÜG
Umfang und Abstufung der Haftung nach § 14 Abs 1 und 2 AÜG
Entfall der Haftung gem § 14 Abs 3 AÜG
Allgemeines zum Entfall der Haftung
Pauschale Wirkung oder Prüfung pro Anspruch?
Anwendung der Missbrauchsjudikatur durch den IEF – Folgen für die Haftung?
Die Missbrauchsjudikatur des OGH
Folgen für die Haftung
Zusammenfassung
Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG)* trat am 1.7.1988 in Kraft.* In dessen § 14 ist dabei eine Regelung für die Haftung des Beschäftigers als Bürge für die Ansprüche der überlassenen Arbeitskraft vorgesehen.
Mit dieser Norm verfolgte der Gesetzgeber den Materialien zufolge zwei zentrale Ziele: Einerseits sollten die Ansprüche der überlassenen Arbeitskraft gesichert werden, andererseits sollten die Beschäftiger aber auch zu einer sorgfältigen Auswahl der Überlasser „motiviert“ werden.* In der Literatur wurde als Begründung für die Haftung des Beschäftigers vorgebracht, dass dieser (ebenfalls) von der Arbeitsleistung der überlassenen Arbeitskraft profitiert.* Schließlich fungiert die Bestimmung auch als Schutzbestimmung zugunsten der zuständigen Sozialversicherungsträger*; daher 3 ist sie nach der Rsp auch auf vor dem 1.7.1988 geschlossene Verträge anzuwenden.* § 14 AÜG ist aufgrund der Anordnung in § 8 AÜG einseitig zwingendes Recht; von der Bestimmung kann daher zum Nachteil der überlassenen Arbeitskraft nicht abgewichen werden.*
Durch eine Novelle im Jahr 2009 wurde die Haftung auf die Lohnzuschläge nach dem Bauarbeiter- Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (BUAG)* ausgedehnt,* weil diese laut den Erläuterungen „in Ansprüche münden, die Entgelt sind
“.* Seit der letzten Änderung der Bestimmung im Jahr 2012 sind die „Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, die der Beschäftiger bereits gem § 67a Abs 3 Z 2 ASVG an das Dienstleistungszentrum überwiesen hat, [auf die Haftung anzurechnen,] insoweit der Beschäftiger die Tätigkeit der überlassenen Arbeitskraft im Rahmen des jeweiligen Auftrages sowie die Höhe der auf die überlassene Arbeitskraft während dieser Tätigkeit entfallenden Beitragsleistung nachweist
“ (§ 14 Abs 1 AÜG letzter Satz).* Ansonsten ist die Bestimmung seit der Stammfassung inhaltlich unverändert geblieben.*
Mit 1.1.2017 wurde in § 9 des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSD-BG)* eine besondere Haftungsregelung für den Baubereich eingeführt.* § 9 Abs 9 LSD-BG ordnet an, dass im Fall der Beschäftigung von grenzüberschreitend überlassenen AN mit Bauarbeiten iSd § 9 Abs 1 LSD-BG der Auftraggeber als Beschäftiger nur nach § 9 LSD-BG haftet; die Anwendung von § 14 AÜG wird ausgeschlossen.* § 8 Abs 2 LSD-BG hingegen sieht vor, dass § 14 AÜG „[f]ür den Bereich der
[grenzüberschreitenden] Arbeitskräfteüberlassung
“ aus Drittstaaten anzuwenden ist.*
§ 14 AÜG sieht für die Haftung des Beschäftigers ein „Stufenmodell“ vor: Gem Abs 1 leg cit haftet der Beschäftiger grundsätzlich – auf der ersten „Stufe“ – als (einfacher) Bürge iSd § 1355 ABGB; es handelt sich dabei um eine gesetzliche Bürgschaft.* Der Beschäftiger kann bei dieser Form der Bürgschaft (bereits) dann belangt werden, wenn der Überlasser erfolglos – gerichtlich oder außergerichtlich – gemahnt wurde.* Eine gerichtliche Klage gegen den Überlasser ist nicht erforderlich.* Dem Überlasser ist allerdings eine angemessene Frist zur Zahlung der fälligen Forderung einzuräumen.*
Der Umfang der Haftung ergibt sich mangels Bürgschaftserklärung direkt aus § 14 Abs 1 AÜG:* Der Beschäftiger haftet demnach für „die gesamten der überlassenen Arbeitskraft für die Beschäftigung in seinem Betrieb zustehenden Entgeltansprüche und die entsprechenden Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sowie für die Lohnzuschläge nach dem BUAG
“. Im Fall einer Subüberlassung wird vertreten, dass auch der Zweitbeschäftiger diese Haftung übernehmen müssen wird.*
Unter „Entgeltansprüche“ fallen außer dem Grundlohn auch Zulagen, Zuschläge und Sonderzahlungen sowie Pensionskassenbeiträge und Beiträge nach dem Betrieblichen Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz (BMSVG).* Im Schrifttum ist seit jeher umstritten, ob auch Aufwandersatzansprüche von der Bürgenhaftung umfasst sind;* der OGH hat sich bisher – soweit ersichtlich – noch nicht dazu geäußert. Die „Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung
“ erfassen nach heute herrschender Ansicht neben den ASVG-Beiträgen auch die Beiträge zur AlV und zum IEF.* Generell ist die Haftung immer 4 auf die Zeit der Beschäftigung beschränkt; der Beschäftiger haftet also immer nur für die Zeit, in der die Arbeitskraft in seinem Betrieb tätig war,* nicht aber für Stehzeiten.* Diese Haftung für die konkrete Dauer des Einsatzes kann es zB notwendig machen, Monatslöhne aliquot auf mehrere Beschäftiger aufzuteilen; für überlassungsfreie Zeiten entfällt hingegen die Bürgenhaftung.* Maßgeblich ist nicht der Stundensatz, den der Beschäftiger dem Überlasser für die Arbeitskraft vereinbarungsgemäß bezahlen muss, sondern das Entgelt, das der Überlasser seinem Mitarbeiter schuldet.*
Aus § 14 Abs 2 AÜG ergibt sich die zweite „Stufe“ der Haftung: Der Beschäftiger haftet nur solange als einfacher Bürge, als er seine Verpflichtungen aus der Überlassung dem Überlasser gegenüber noch nicht erfüllt, also die fälligen Forderungen aus dem Dienstverschaffungsvertrag noch nicht beglichen hat.* Sobald der Beschäftiger seine Verpflichtungen nachweislich – zB durch Vorlage einer Zahlungsbestätigung* – erfüllt hat, haftet er gem § 14 Abs 2 AÜG nur mehr als Ausfallsbürge.* Er kann als solcher erst in Anspruch genommen werden, wenn der Überlasser zuvor geklagt und erfolglos gegen ihn Exekution geführt wurde;* die Haftung wird also „an strengere Haftungsvoraussetzungen im Sinne einer stärker ausgebildeten Subsidiarität geknüpft
“.* Der Beschäftiger kann jedoch nicht verlangen, dass eine von vornherein aussichtslose Zwangsvollstreckung gegen den Überlasser durchgeführt wird.*
Zusätzlich sieht § 1356 ABGB, der aufgrund des expliziten Verweises in § 14 Abs 2 AÜG jedenfalls anzuwenden ist, zwei Varianten vor, in denen der Ausfallsbürge auch primär – also ohne das Vorliegen der eben genannten Voraussetzungen – belangt werden kann: Einerseits, wenn der Schuldner – hier der Überlasser – unbekannten Aufenthalts ist, oder andererseits, wenn über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wurde; jeweils vorausgesetzt, dass dem Gläubiger keine Nachlässigkeit vorzuwerfen ist.* Die Begründung für diese Ausnahmen liegt darin, dass etwaige Eintreibungsversuche in diesen Konstellationen nur wenig erfolgversprechend sind.* Ist der Aufenthalt des Überlassers zum Zeitpunkt des Zahlungsbegehrens* der Arbeitskraft unbekannt, so kann der Gläubiger grundsätzlich ohne weitere Nachforschungen auf den Bürgen (= Beschäftiger) greifen;* im Prozess trifft ihn jedoch die Behauptungs- und Beweislast.* Für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Überlassers sieht § 14 Abs 3 AÜG einen besonderen Haftungsausschluss vor, der im Folgenden ausführlich erörtert wird.*
Auf allgemein-zivilrechtlicher Ebene kann der Beschäftiger als Bürge alle Einwendungen erheben, die auch dem Hauptschuldner, also dem Überlasser, zustehen.* Ein Zurückbehaltungsrecht am Entgelt aus dem Dienstverschaffungsvertrag im Hinblick auf eine mögliche Haftung gem § 14 AÜG besteht jedoch nach stRsp nicht* und muss explizit vertraglich eingeräumt werden.* Auch die Erhebung der Unsicherheitseinrede gem § 1052 Satz 2 ABGB scheitert in aller Regel daran, dass die geschuldete Gegenleistung für das Entgelt, nämlich die Überlassung von Arbeitskräften, nicht unsicher ist, sondern – ganz im Gegenteil – meist bereits erfolgt ist.*
Nach der Rsp zulässig ist allerdings eine Aufrechnung durch den Beschäftiger mit seinem bedingten Regressanspruch gegen den Entgeltanspruch des Überlassers;* darauf wird iZm dem Insolvenzverfahren noch zurückzukommen sein. 5
Bei Insolvenz des Überlassers entfällt gem § 14 Abs 3 AÜG die Haftung des Beschäftigers als Bürge weitgehend: Wenn die überlassene Arbeitskraft Anspruch auf Insolvenz-Entgelt nach dem IESG* hat und die Befriedigung der durch § 14 Abs 1 AÜG gesicherten Ansprüche dadurch „tatsächlich gewährleistet“ ist, haftet der Beschäftiger für diese Ansprüche nicht.*
Über die Motive für diese (wertungsmäßig zu hinterfragende) Regelung geben die Materialien keine Auskunft. Bei der Ausfallsbürgschaft soll sich der Entfall der Haftung aus § 1362 ABGB ergeben;* die hA* leitet aus dieser Bestimmung ab, dass der Ausfallsbürge gegenüber anderen Sicherungsmitteln – hier die Sicherung durch den IEF – nur nachrangig herangezogen werden kann.
Problematisch ist freilich, dass die derzeitige hA* eine Regressmöglichkeit des IEF gegen den Beschäftiger verneint: Da die Legalzession des § 11 IESG nach Auffassung des OGH nur arbeitsrechtliche Ansprüche der Beschäftigten gegen den AG (Insolvenzmasse) erfasst, nicht aber Ansprüche, die einem AN auf Grund sondergesetzlicher Regelungen gegen Dritte (Beschäftiger) zustehen, soll sich der IEF iZm § 14 Abs 3 AÜG nicht beim Beschäftiger regressieren können. Die Neufassung des § 11 Abs 1 S 3 IESG durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010* hat insoweit unmittelbar keine Änderung bewirkt: Denn damit wurde zwar klargestellt, dass mit dem Forderungsübergang auch sämtliche vertraglichen Rechte übergehen, die der AN gegenüber Dritten hat, sofern diese Rechte in unmittelbarem Zusammenhang mit Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis stehen und dafür Insolvenz-Entgelt gewährt wurde. Sondergesetzliche Haftungen (daher auch die gesetzliche Bürgschaft gem § 14 AÜG) sind von dieser Bestimmung jedenfalls explizit nicht erfasst.* Fraglich ist allerdings, ob insoweit nicht eine planwidrige Lücke anzunehmen ist, die durch die analoge Anwendung des § 11 Abs 1 S 3 IESG zu schließen ist. Ein Argument dafür kann der differenzierende Ansatz Liebegs* liefern: Demnach sei die Legalzession bei Ansprüchen des AN gegen Dritte aufgrund sondergesetzlicher Regelungen nicht generell zu verneinen; vielmehr sei in jedem Einzelfall aus dem Zweck der Bestimmung zu prüfen, ob Ansprüche des AN gegen Dritte nach dem Übergang der Ansprüche des AN vom IEF geltend gemacht werden können. Der zentrale Zweck des § 14 AÜG besteht nun (wie ausgeführt) neben der Motivation der Beschäftiger zu einer sorgfältigen Auswahl der Überlasser insb in der Sicherung der Ansprüche der überlassenen Arbeitskraft; diese erfordert aber eine effektive Durchsetzungsmöglichkeit und eine entsprechende Ausstattung des IEF, der im Interesse der Gemeinschaft der AN und der Allgemeinheit den Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu beachten hat.* Dieser Zweck rechtfertigt uE durchaus eine analoge Anwendung des § 11 Abs 1 S 3 IESG auf die Bürgenhaftung gem § 14 AÜG und damit eine Regressmöglichkeit des IEF gegen den Beschäftiger. De lege ferenda wäre angesichts der damit verbundenen praktischen Probleme überhaupt eine Streichung des Entfalls der Haftung des Beschäftigers im Sicherungsfall anzudenken; dies würde dem Grundsatz Rechnung tragen, dass Ansprüche der AN tunlichst nicht aus Mitteln des IEF befriedigt werden sollen, wenn (auch) Dritte dafür haften.*
Das Insolvenz-Entgelt nach dem IESG deckt nahezu die gesamten offenen Ansprüche ab: Grundsätzlich gesichert sind ua die Entgeltansprüche der AN (§ 1 Abs 2 Z 1 IESG), die DN-Beitragsanteile zur gesetzlichen SV (§ 13a IESG) und die Lohnzuschläge nach dem BUAG (§ 13b IESG).* Von vornherein treffen kann den Beschäftiger allerdings eine Haftung aufgrund der Überschreitung der betraglichen Höchstgrenzen für die Sicherung gem § 1 Abs 3 Z 4 iVm § 1 Abs 4 und 4a IESG* sowie eine Haftung für Ansprüche, die außerhalb der zeitlichen Sicherungsgrenzen des § 3a IESG* liegen.*
Vor allem aber sind die DG-Beitragsanteile zur gesetzlichen SV nicht durch das IESG gesichert; für diese haftet der Beschäftiger also jedenfalls weiterhin.*Andexlinger/Spitzl* hielten diesen „‚beitragsrechtliche[n] Durchgriff‘ auf den Beschäftiger
“ für verfassungswidrig; der OGH* hat an ihn 6 herangetragene verfassungsrechtliche Bedenken jedoch nicht geteilt.*
Diese Haftung des Beschäftigers verursacht durchaus Schwierigkeiten. Ein Problem besteht schon darin, dass der Beschäftiger seine potenzielle Haftung ohne Kenntnis der Kalkulation des Überlassers kaum exakt bestimmen kann: Denn für die Berechnung der Haftungssumme ist (wie erwähnt) nicht der Stundensatz maßgeblich, den der Beschäftiger dem Überlasser für die Arbeitskraft vereinbarungsgemäß bezahlen muss, sondern das Entgelt, das der Überlasser seinem Mitarbeiter schuldet. Zudem muss er auch für Beitragsnachverrechnungen einstehen, die sich aufgrund einer Betriebsprüfung beim Überlasser ergeben; insofern bieten auch Zusatzvereinbarungen, wonach die laufende Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge der aktuell beschäftigten Mitarbeiter dem Überlasser nachzuweisen ist, nur bedingt Schutz vor einer Inanspruchnahme gem § 14 AÜG, weil die gemeldete Beitragsgrundlage nicht mit den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten übereinstimmen muss.*
Das Haftungsszenario betreffend die rückständigen DG-Beiträge zur SV beeinflusst auch unmittelbar die Abwicklung der Insolvenz des Überlassers und bereitet dort tendenziell Schwierigkeiten: Der Insolvenzverwalter hat die Außenstände als einzig nennenswertes Aktivvermögen einzubringen; dabei muss er nach zutreffender Ansicht nicht auf die Problematik des § 14 AÜG Rücksicht nehmen. Zahlt der Beschäftiger dann ohne Vorbehalt an den Insolvenzverwalter, so kann er bei nachfolgender Inanspruchnahme gem § 14 AÜG das an die Insolvenzmasse Geleistete nicht mehr zurückfordern.*
Allerdings halten Beschäftiger in solchen Konstellationen dem Insolvenzverwalter typischerweise die potenzielle Haftung gem § 14 AÜG entgegen und verweigern die Bezahlung offener Forderungen. Basis dafür kann – wie erwähnt – freilich weder ein Zurückbehaltungsrecht noch eine Unsicherheitseinrede, sondern allein eine Aufrechnung sein: Die künftigen Regressansprüche des Beschäftigers sind als bedingte Insolvenzforderungen iSd § 16 IO zu qualifizieren, die iSd § 17 Abs 2 IO nur bedingt angemeldet werden können. Nach der Rsp kann nun der Beschäftiger in der Insolvenz des Überlassers gem § 19 Abs 2 IO mit einem solchen Regressanspruch gegen den Entgeltanspruch des Überlassers aufrechnen.* Bei Bejahung der Zulässigkeit der Aufrechnung kann der Insolvenzverwalter im Ergebnis nur die den möglichen Haftungsbetrag gem § 14 AÜG übersteigende Forderung mit Aussicht auf Erfolg betreiben.*
Das ist sowohl hinsichtlich der Dogmatik als auch hinsichtlich der praktischen Auswirkungen durchaus kritisch zu sehen:* Denn in dieser Situation ist der betreffende bedingte Regressanspruch (weil er nur bedingt anmeldbar und damit subsidiär ist) im Insolvenzverfahren ja noch gar nicht durchsetzbar; ohne die Aufrechnungslage würde der Beschäftiger also nicht einmal eine Quote gem § 16 IO sichergestellt erhalten. Es stellt sich daher die Frage, wieso dann eine vollumfängliche Aufrechnung zulässig sein soll. Als Rechtfertigung für die Aufrechenbarkeit wird zT ins Treffen geführt, dass die offene Schuld gegenüber der Insolvenzmasse den einzigen Deckungsfonds des Bürgen für seine Regressansprüche darstellt.*70) Dem steht allerdings die Rechtslage bei nachrangigen Forderungen gem § 57a IO, mit denen nicht aufgerechnet werden kann, entgegen.* Gegen eine Aufrechenbarkeit spricht vor allem der (in § 17 Abs 2 IO umgesetzte) Grundsatz, dass der Bürge das Insolvenzrisiko des Hauptschuldners zu tragen hat; diese Rsp ist daher wertungsmäßig bedenklich.* Die einzige Schutzmöglichkeit der Insolvenzmasse liegt insofern in dem (in der Praxis allerdings bislang offenbar wenig gebräuchlichen) Institut der Sicherheitsleistung gem § 19 Abs 2 IO; das Gericht kann demnach bei bedingten Forderungen die Zulässigkeit der Aufrechnung von einer Sicherheitsleistung abhängig machen.*
Ausgehend von der von der Rsp bejahten Aufrechnungsmöglichkeit der Beschäftiger können Insolvenzverfahren von Überlassern de facto erst beendet werden, wenn das Problem der Bürgenhaftung des Beschäftigers betragsmäßig gelöst ist.* Damit hat sich aber die Regelung des § 14 AÜG von einer AN-Schutzbestimmung weitgehend zu einer Regelung zur Sicherung von Sozialversicherungsbeiträgen entwickelt, die eine (vom Gesetzgeber vermutlich so nicht beabsichtigte) potenzielle Hürde in der Abwicklung von Insolvenzverfahren von Überlassern verursacht.*
Soweit ersichtlich noch nicht diskutiert wurde bisher die Frage, ob der (auf die Sicherung nach dem IESG abstellende) Entfall der Haftung gem § 14 Abs 3 AÜG pauschal wirkt oder ob bei jedem Anspruch einzeln zu prüfen ist, ob dieser von der IEF-Service GmbH tatsächlich zuerkannt und idF auch erfüllt wurde.
Hier spricht bereits der Wortlaut des § 14 Abs 3 AÜG gegen eine „Pauschallösung“ nach Maßgabe der Forderungskategorie und damit für die Notwendigkeit der Prüfung jedes einzelnen Anspruchs: Hätte der Gesetzgeber eine pauschale Wirkung des Haftungsausschlusses beabsichtigt, hätte ein bloßes Abstellen auf die (abstrakte) Anspruchssicherung nach dem IESG ausgereicht. Nach § 14 Abs 3 AÜG entfällt die Haftung des Beschäftigers aber nur, soweit durch die Sicherung „die Befriedigung der
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in Abs 1 erwähnten Ansprüche tatsächlich gewährleistet ist“. Dies weist auf die Notwendigkeit einer konkreten Prüfung im Einzelfall hin.
Dies wird durch das Verfahren für die Zuerkennung von Insolvenz-Entgelt untermauert: Die Arbeitskräfte müssen ihre Ansprüche insofern einzeln geltend machen, als sie in ihrem Antrag auf Insolvenz-Entgelt aufschlüsseln müssen, um welche Forderungen es sich im Einzelnen handelt.* Dementsprechend werden die Ansprüche in der Folge auch einzeln geprüft. Dabei ist es durchaus möglich, dass für einen Anspruch Insolvenz-Entgelt zusteht, für einen anderen Anspruch derselben Arbeitskraft jedoch nicht;* gem § 7 Abs 2 IESG sind für die zuzuerkennenden und die abzuweisenden Ansprüche gesonderte Bescheide zu erlassen. Vor der Entscheidung durch die IEF-Service GmbH ist die Beurteilung eines allfälligen Entfalls der Haftung des Beschäftigers insoweit nicht möglich.
Fraglich ist, ob § 11 Abs 1 IESG, der einen Forderungsübergang auf den IEF mit Antragstellung bzw Anmeldung im Insolvenzverfahren vorsieht, hier in dem Sinn relevant ist, als ein Entfall der Haftung infolge Sicherung bereits an diese Verfahrenshandlungen geknüpft sein könnte. Das ist jedoch zu verneinen, weil – wie erwähnt – auf die tatsächliche Gewährleistung der Anspruchsbefriedigung abzustellen ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der in § 11 Abs 1 IESG mit der Novelle BGBl 1983/613 zunächst vorgesehene Vorbehalt der späteren bescheidmäßigen Zuerkennung mit der Novelle 1986/395 für nicht bestrittene Forderungen beseitigt wurde.* Maßgeblich für einen Entfall der Haftung ist daher nicht bereits der Forderungsübergang, sondern erst die einschlägige Entscheidung. Liegen daher rechtskräftige zuerkennende oder abweisende Bescheide der IEF-Service GmbH vor, so lässt sich daraus ohne Weiteres ableiten, für welche Ansprüche eine Haftung des Beschäftigers gem § 14 AÜG besteht und bei welchen diese entfällt.
Allerdings sind noch weitere Fragen offen: Erstens ist fraglich, ob die gebotene Prüfung nach Maßgabe der einzelnen Ansprüche auch bedeutet, dass nicht nur die konkrete bescheidmäßige Zuerkennung oder Abweisung zu überprüfen ist, sondern auch, ob der IEF den der Arbeitskraft zustehenden Anspruch auf Insolvenz-Entgelt idF tatsächlich erfüllt hat. Die Wendung „tatsächlich gewährleistet“ wäre dann als „tatsächlich überwiesen bzw ausbezahlt“ zu verstehen. UE wäre die Annahme einer solchen Prüfverpflichtung aber überschießend und daher zu verneinen: Dagegen spricht nicht nur der dafür notwendige Aufwand, sondern vor allem auch die Tatsache, dass die Auszahlung von bescheidmäßig zuerkanntem Insolvenz-Entgelt vom IEF ohnedies veranlasst wird (§ 7 Abs 5 IESG).
Und zweitens ist unklar, ob der AN aufgrund eines abweisenden (also die Sicherung verneinenden) Bescheids den Beschäftiger gem § 14 Abs 3 AÜG unmittelbar in Anspruch nehmen kann oder ob für ihn insoweit eine Obliegenheit besteht, eine Klage gegen die IEF-Service GmbH (§ 10 IESG iVm § 65 Abs 1 Z 7 und § 67 Abs 1 Z 1 und Abs 2 ASGG) zu erheben. Eine solche Klage führt infolge der sukzessiven Kompetenz dazu, dass der abweisende Bescheid der IEF-Service GmbH mit der rechtzeitigen Klageerhebung im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft tritt (§ 71 Abs 1 ASGG);* Klarheit über die tatsächlich gewährleistete Anspruchsbefriedigung infolge einer Sicherung nach dem IESG iSd § 14 Abs 3 AÜG wird dann erst mit der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung hergestellt. Allerdings ist insoweit uE gerade vor dem Hintergrund der ratio des § 14 AÜG nicht davon auszugehen, dass die Inanspruchnahme des Beschäftigers durch den betroffenen AN eine Klage gegen die IEF-Service GmbH voraussetzt, bei der der AN bis zur Rechtskraft der von ihm herbeizuführenden gerichtlichen Entscheidung (gegebenenfalls bis zur letzten Instanz) zuwarten müsste. Dagegen spricht zwar nicht die potenzielle Kostenbelastung (vgl § 77 ASGG), jedoch hätte der AN dabei die Bürde des Zuwartens zu tragen. Zumal bei einer parallelen Klagsführung auch eine Unterbrechung des Prozesses gegen den Beschäftiger gem § 190 ZPO* in Betracht käme, würde eine solche Auslegung mithin den zentralen Zweck der Regelung des § 14 AÜG – die Sicherung der Ansprüche der überlassenen Arbeitskraft – völlig konterkarieren. Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass bereits der abweisende Bescheid die Haftung des Beschäftigers nach sich zieht. Für diese Auslegung spricht wiederum der Wortlaut des § 14 Abs 3 AÜG, wonach die Haftung des Beschäftigers nur entfällt, soweit die Befriedigung der betroffenen Ansprüche „tatsächlich gewährleistet“ ist. Insoweit ist es sachgerecht, die Anspruchsbefriedigung nur im Fall einer bescheidmäßigen Zuerkennung durch die IEF-Service GmbH als „tatsächlich gewährleistet“ anzusehen; umgekehrt besteht im Fall eines abweisenden Bescheids solange keine „tatsächliche Gewährleistung“, als keine entsprechende rechtskräftige gerichtliche Entscheidung vorliegt.
Nach dieser Auslegung bleibt es im Fall eines abweisenden Bescheids der IEF-Service GmbH (jedenfalls vorerst) bei einer Haftung des Beschäftigers, der daher in Anspruch genommen werden kann.* Sollte allerdings der AN Klage gegen die IEF-Service GmbH erheben und im Prozess obsiegen, so greift – da die gerichtliche Entscheidung an die Stelle des Bescheids tritt (§ 71 Abs 1 ASGG) – wieder der Haftungsausschluss nach § 14 Abs 3 AÜG. Dadurch fällt der Rechtsgrund für die Leistung – die Bürgenhaftung nach § 14 AÜG – 8 nachträglich weg; der Beschäftiger könnte eine bereits erbrachte Leistung daher grundsätzlich gem § 1435 ABGB zurückverlangen;* ein Einwand des gutgläubigen Verbrauchs durch den AN wäre angesichts des Prozesses gegen die IEF-Service GmbH wohl problematisch.*
Die bereits erwähnten zeitlichen Sicherungsgrenzen des § 3a IESG wurden 1997 als Reaktion auf zahlreiche Missbrauchsfälle* eingeführt und durch mehrere Novellen verschärft.* Die Rsp hat freilich zusätzliche „Schranken“ für die Sicherung nach dem IESG entwickelt, um Missbrauch vorzubeugen.* Mit der Missbrauchsjudikatur verfolgt der OGH ganz allgemein das Ziel, eine Überwälzung des Finanzierungsrisikos für das Entgelt, das den AG als wirtschaftlich Begünstigten der Arbeitsleistung treffen soll, auf den IEF zu verhindern.* Das IESG soll AN als typischerweise auf ihr Entgelt als einzige Einkommensquelle angewiesene Personen vor den Folgen der Insolvenz des AG schützen;* eine übermäßige Inanspruchnahme – und damit eine „Aushöhlung“ – des Fonds muss verhindert werden, damit dieser ursprüngliche Zweck erfüllt werden kann.*
Der OGH beurteilte dabei insb das „Stehenlassen“ von Entgelt – also der Verzicht des AN auf den Versuch der Einbringlichmachung ausstehenden Entgelts – im Zusammenhang mit verschiedenen anderen Faktoren wie einer familiären Nahebeziehung zum DG oder einem atypischen Arbeitsverhältnis als Indiz für eine missbräuchliche Überwälzung des Finanzierungsrisikos des AG auf den IEF.* In der Literatur wurde in der Folge kritisiert, dass die sogenannte „Sittenwidrigkeitsjudikatur“ vom OGH immer schematischer angewandt und zu teils unbilligen Ergebnissen für die AN, jedenfalls aber zu Rechtsunsicherheit führen würde.*
In der E 8 ObS 206/00b* setzte sich der OGH mit dieser Kritik auseinander und schuf die Basis für die heutige Missbrauchsjudikatur.* In mittlerweile stRsp judiziert der OGH, dass die zeitliche Komponente des „Stehenlassens“ von Entgelt allein nicht ausreicht, um auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme schließen zu können;* bei Hinzutreten weiterer Umstände ist im Rahmen eines „Fremdvergleichs“ zu beurteilen, ob ein bedingter Vorsatz im Hinblick auf eine missbräuchliche Überwälzung des Finanzierungsrisikos anzunehmen ist.* Zu berücksichtigen ist dabei ua die Dauer der Betriebszugehörigkeit: Wenn ein AN bereits lange im Betrieb tätig war und sein Entgelt zumindest im Wesentlichen regelmäßig bezahlt wurde, verliert er den Anspruch auf Insolvenz- Entgelt weniger schnell als ein neu eingestellter AN (Stichwort „Betriebstreue“).*
Ist vom Vorliegen eines solchen bedingten Vorsatzes hinsichtlich eines Missbrauchs auszugehen, ist nach der Rsp eine Widerlegung durch einen Beweis über die konkreten Absichten des AN nicht möglich;* eine Begründung dafür bleibt der OGH – soweit ersichtlich – allerdings schuldig.*
Im Kontext des § 14 AÜG stellt sich die Frage, welche Auswirkungen es auf die Bürgenhaftung des Beschäftigers hat, wenn der IEF der Arbeitskraft die Missbrauchsjudikatur entgegenhält und die – grundsätzlich gesicherten – Ansprüche nicht befriedigt. Aus der Zielsetzung der Missbrauchsjudikatur – die Verhinderung einer übermäßigen Inanspruchnahme des IEF – lässt sich vorerst kein zwingender Schluss auf die Auswirkung auf die Haftung des Beschäftigers gem § 14 AÜG ziehen.
Für einen Entfall der Haftung des Beschäftigers könnte bei erstem Zusehen der Umstand sprechen, dass § 14 Abs 3 AÜG die Haftung nur für jene Ansprüche ausschließt, welche ohnedies aufgrund gesetzlicher Vorschriften durch den IEF abgedeckt sind. Wenn der AN diese an sich gegebene Sicherungsmöglichkeit verwirkt, indem er (in kollusivem Zusammenwirken mit dem nun insolventen Überlasser) rechtsmissbräuchliches Verhalten setzt, könnte es grundsätzlich als gerechtfertigt erachtet werden, dass er dann auch das „Sicherungsnetz“ 9 der Bürgenhaftung verliert. Bei einer solchen Auslegung würde allerdings nicht (wie oben ausgeführt) auf die konkrete Anspruchsbefriedigung, sondern auf die gesetzlich an sich gegebene Sicherung und deren Verwirkung durch Rechtsmissbrauch abgestellt. Die Verwirkung der Sicherung durch den AN würde auch einen Verlust der Bürgenhaftung nach sich ziehen; der Beschäftiger würde insoweit (als eine Art Trittbrettfahrer) vom Rechtsmissbrauch profitieren. Zu bedenken ist auch, dass AN in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zum Überlasser stehen und deshalb möglicherweise nur eingeschränkt Widerstand gegen eine – für nicht rechtskundige Personen eventuell nicht eindeutig erkennbar – als rechtsmissbräuchlich zu qualifizierende Vorgehensweise leisten können; der Entfall der Haftung des Beschäftigers wäre zumindest in solchen Fällen überschießend. Dazu kommt, dass die Missbrauchsjudikatur eine unbotmäßige Aushöhlung des IEF unterbinden will, auf den Schutz der Beschäftiger zielt sie aber nicht ab. Ein solches Ergebnis wäre daher unstimmig.
Vielmehr sprechen die besseren Argumente dafür, die Haftung in einem solchen Fall nicht entfallen zu lassen, also ein „Durchschlagen“ des Rechtsmissbrauchsvorwurfs auf die Bürgenhaftung – zum Vorteil des Beschäftigers – zu verneinen. Bereits die Abstufung der Haftung in § 14 AÜG liefert ein Argument gegen einen Entfall der Haftung in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation: Im Insolvenzfall kann gem § 1356 ABGB grundsätzlich direkt, also ohne vorherige Mahnung oder Eintreibungsversuche, auf den Ausfallsbürgen gegriffen werden; nur der Haftungsausschluss des § 14 Abs 3 AÜG verhindert das im Regelfall für die nach dem IESG gesicherten Ansprüche.* Wenn die Sicherung durch den IEF aufgrund des Rechtsmissbrauchsvorwurfs entfällt, ist der Beschäftiger daher wieder nach der allgemeinen Regel in die Pflicht zu nehmen.
Auch die konkrete Regelung des Haftungsausschlusses in § 14 Abs 3 AÜG bietet tative Ansatzpunkte: Nach dessen Wortlaut soll die Haftung nur entfallen, wenn die Befriedigung der Ansprüche der überlassenen Arbeitskraft durch den IEF tatsächlich gewährleistet ist; das ist – wie ausgeführt – konkret für jeden einzelnen Anspruch zu prüfen. Eine solche tatsächliche Gewährleistung der Befriedigung der Ansprüche erfolgt aber gerade nicht, wenn dem AN seitens des IEF Rechtsmissbrauch entgegengehalten und die Befriedigung versagt wird. Unabhängig davon darf der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht (indirekt) den Beschäftiger entlasten, zumal dieser nach dem Zweck der Norm dazu angehalten ist, sich die Überlasser, mit denen er zusammenarbeitet, sorgfältig auszusuchen. Ein Überlasser, der in rechtsmissbräuchlichem Zusammenwirken mit der Arbeitskraft den IEF „ausplündern“* will, wäre wohl als „schwarzes Schaf“ zu sehen, dem der Geschäftsbetrieb erschwert werden soll.* Der Beschäftiger hat außerdem in diesem Fall bereits von der Arbeitsleistung der überlassenen Arbeitskraft profitiert; auch das spricht dafür, ihn zur Sicherung des Anspruchs in der Insolvenz des Überlassers heranzuziehen.
§ 14 AÜG sieht eine abgestufte Haftung des Beschäftigers für die Entgeltansprüche und die Sozialversicherungsbeiträge von überlassenen Arbeitskräften vor: Grundsätzlich haftet er als (einfacher) Bürge iSd § 1355 ABGB, sobald er aber seine Verpflichtung gegenüber dem Überlasser aus dem Dienstverschaffungsvertrag erfüllt hat, nur mehr als Ausfallsbürge. Gem § 14 Abs 3 AÜG entfällt die Haftung des Beschäftigers in dem Ausmaß, in dem die überlassene Arbeitskraft tatsächlich Insolvenz-Entgelt für die ihr zustehenden Ansprüche zuerkannt bekommt; dies ist für jeden Anspruch im Einzelfall konkret zu prüfen. Wird unter Berufung auf die Missbrauchsjudikatur des OGH ein Anspruch auf Insolvenz-Entgelt versagt, so entfällt die Bürgenhaftung des Beschäftigers nicht; der Rechtsmissbrauchsvorwurf darf nicht (indirekt) den Beschäftiger entlasten, zumal dieser bei der Auswahl der Überlasser sorgfältig agieren soll. 10