Naderhirn/TrostDie Betriebsratswahl

7. Auflage, Verlag des ÖGB, Wien 2023, 448 Seiten, € 69,–

KARINBURGER-EHRNHOFER (WIEN)

Mit der vorliegenden 7. Auflage des von Strasser begründeten und zwischenzeitlich auch gemeinsam mit Jabornegg bearbeiteten Kommentars haben die beiden Autorinnen die alleinige Herausgeberschaft übernommen. In gewohnter Weise gliedert sich die aktuelle Auflage in ein Abkürzungs- sowie ein Literaturverzeichnis, eine Einleitung sowie mehrere Sachkapitel, in denen die zum jeweiligen Thema passenden Bestimmungen des ArbVG sowie der BRWO gebündelt und kommentiert werden. Den Abschluss bilden ein Gesetzesverzeichnis sowie ein Sachregister, das das Nachschlagen in diesem Kommentar sehr erleichtert. Neu ist an der aktuellen Auflage eine Einleitung, die auf 15 Seiten einen interessanten Bogen von der historischen Entwicklung der Betriebsverfassung zu aktuellen Herausforderungen eben dieser spannt, und in der, festgemacht an Fragen wie zB der Geschlechterdemokratie, dem nachlassenden Interesse der Belegschaft an einer betrieblichen Vertretung im Rahmen des ArbVG und dem sich ua auch daraus ergebenden Phänomen der alternativen betrieblichen Vertretungsstrukturen sowie Fragen der Digitalisierung der Bedarf bzw auch Nichtbedarf nach künftigen Handlungsfeldern des Gesetzgebers ausgelotet wird. Auch die Abkehr vom bisherigen Endfußnotensystem darf als willkommene Neuerung gegenüber den Vorauflagen begrüßt werden.

Im Hauptteil des Buches wird in den ersten elf der insgesamt 21 Sachkapitel die zeitliche Abfolge einer Betriebsratswahl auf betrieblicher Ebene ausführlich dargestellt. Den Beginn machen Ausführungen zur Frage, in welcher organisatorischen Umgebung eine Betriebsratswahl überhaupt stattzufinden hat bzw welche Formen an Betriebsräten es – abhängig von der Zusammensetzung der Belegschaft – geben kann. Dabei setzen sich die beiden Autorinnen auch vertiefend mit der Legitimation eines BR auseinander, der nur von einem Bruchteil der Wahlberechtigten gewählt wurde, weil der überwiegende Teil der Belegschaft der Wahl ferngeblieben ist (S 67 ff); eine Frage, die in der Lehre bisher kaum aufgegriffen wurde. Auch wenn das grundsätzliche demokratiepolitische Problem zurecht adressiert wird, stellt sich allerdings die Frage nach einer alternativen Lösung zur gegenwärtigen Situation im ArbVG. Und um ehrlich zu sein, drängt sich da wenig auf. Will man dieses Problem künftig etwa durch das Einführen von erforderlichen Präsenzquoren im Rahmen der Betriebsratswahl lösen, wird die Betriebsverfassung eher weiter erodieren als die Motivation gehoben, sich als AN entsprechend zu engagieren. Das Vorhandensein von Betriebsräten wird sich auf für AN „sichere“ Branchen beschränken, wodurch sich ein weiteres in diesem Buch angesprochenes Phänomen verstärken wird, das vermehrte Vorhandensein von Parallel-Vertretungsstrukturen außerhalb des ArbVG. Diese geben der Belegschaft zwar auch eine Möglichkeit der Mitwirkung, meist aber unter Ausklammerung des Schutzes, der vor allem durch die personellen Mitwirkungsrechte des ArbVG gewährt wird.

Ua wird hier aber auch auf die Frage eingegangen, welche Folgen ein Unterschreiten der Belegschaftsstärke unter die Mindestzahl von fünf AN iSd § 36 ArbVG auf den Bestand eines bereits gewählten BR hat. Im Ergebnis wird dazu – wenn auch um einiges differenzierter als in den Vorauflagen – weiterhin die Meinung vertreten, dass es in diesem Fall zu einem automatischen vorzeitigen Ende der Tätigkeitsdauer des BR iSd § 62 ArbVG kommt (S 71). Die von OGH (RIS-Justiz RS0120847; 9 ObA 117/17xDRdA 2018, 443) und VwGH (86/01/0282

) sowie auch überwiegend in der jüngeren Literatur vertretene 77 Ansicht (vgl statt vieler Radner/Preis in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht 26 § 62 Rz 18 mwN), dass die Aufzählung in § 62 ArbVG taxativer Natur und daher nur dann erweiterungsfähig ist, wenn der nicht besonders angeführte Fall alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthält und das Prinzip der Norm auch in einem ihren Tatbestand ähnlichen Fall Beachtung fordert (so OGH in RIS-Justiz RS0008839), wird unter Verweis auf Nachweise über die Analogiefähigkeit dieser Norm sowie des Erfordernisses der Analogie selbst widersprochen. Voraussetzung eines Analogiebedarfs ist allerdings das Vorliegen einer planwidrigen Lücke. Diese ist mE in der doch sehr differenzierten Aufzählung des § 62 ArbVG nicht zu erkennen. Nachträgliche Änderungen bei der Zahl der AN führen in keiner Situation zu einer Änderung der Zusammensetzung des BR. Wieso sollte also eine – uU nur vorübergehende – Unterschreitung der Mindestbeschäftigtenzahl nach § 40 ArbVG eine so starke Konsequenz haben, dass die Funktionsperiode eines zum damaligen Zeitpunkt ordnungsgemäß gewählten BR automatisch endet? Vor allem dann, wenn weiterhin ein Betrieb iSd ArbVG gegeben ist? Die Hauptverantwortung für die konkrete Belegschaftsstärke wird bei den Betriebsinhaber*innen liegen. Eine entsprechende Erweiterung der Beendigungstatbestände in § 62 ArbVG würde also deren Handlungsmöglichkeiten massiv und schlussendlich vor allem zum Schaden der betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte der Belegschaft erweitern. Da außerdem sogar die Wahl in einem Nicht- Betrieb nur einen innerhalb der Monatsfrist ab Kundmachung des Wahlergebnisses im Betrieb geltend zu machenden Anfechtungsgrund nach § 59 Abs 2 ArbVG darstellt, wäre in einem während der gesamten fünfjährigen Funktionsperiode möglichen automatischen Ende der Tätigkeitsdauer des BR bei Unterschreitung der Mindestbeschäftigtenzahl ein massiver Wertungswiderspruch zu sehen (idS auch Radner/Preis in Gahleitner/ Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht 26 § 62 Rz 19, wobei an dieser Stelle auch zurecht auf die sich aus einem automatischen Ende der Tätigkeitsdauer des BR ergebenden Komplikationen in der Praxis verwiesen wird). Zu guter Letzt sprechen auch Argumente der Kontinuität und Rechtssicherheit für die Rechtsansicht der Höchstgerichte (vgl Neumayr, Betriebsrat: Wahl, Rechtsstellung und Geschäftsführung, in Mosler [Hrsg], 50 Jahre Arbeitsverfassungsgesetz [2024] 331 f).

Im zweiten Kapitel werden ua konkrete Fragen, die sich durch die fortlaufende Entwicklung der Kommunikationsmöglichkeiten bei der Frage der Ausübung der Betriebsratsarbeit stellen, angesprochen. Dass es auch in Zeiten der Kommunikation via Mail oder Videokonferenzen den vertraulichen und persönlichen Austausch zwischen einzelnen AN und Betriebsratsmitgliedern braucht, kann an dieser Stelle nur unterstrichen werden, weshalb die örtliche Komponente in diesem Zusammenhang auch in unserer digitalen Realität und Zukunft weiterhin für die Ausübung der Betriebsverfassung relevant ist bzw sein wird. Diesbezüglich erscheint der Ausschluss von Heimarbeiter*innen vom passiven Wahlrecht auf den ersten Blick stimmig. Den Autorinnen ist aber zuzustimmen, dass es eine verfassungsrechtliche Prüfung braucht, ob dieser Ausschluss nur einer bestimmten Gruppe an disloziert Arbeitenden rechtfertigbar ist, wenn in Zeiten von Homeoffice mangels entsprechender gesetzlicher Grundlage niemand daran zweifelt, dass Angestellte im Homeoffice das passive Wahlrecht genießen und zwar unabhängig davon, ob sie ausreichend oft im Betrieb anwesend sind, um die Rolle als BR überhaupt erfüllen zu können (S 98).

Ein weiteres, sich in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung bzw des verbreiteten Aufkommens von disloziertem Arbeiten vermehrt stellendes „Problem“ wird im dritten Kapitel ab S 120 angesprochen – die virtuelle Abhaltung von Betriebsversammlungen. Die Autorinnen sprechen sich in diesem Fall gegen die Annahme einer gültigen Betriebsversammlung aus und begründen dies ua damit, dass nicht durchgängig garantiert werden könne, dass alle stimmberechtigten AN über eine stabile Internet-Verbindung verfügen, um an einer virtuellen Betriebsversammlung teilnehmen zu können (S 121). Allerdings kann selbst bei rein physisch abgehaltenen Betriebsversammlungen nicht immer garantiert werden, dass alle stimmberechtigten AN auch tatsächlich teilnehmen und von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen können. § 47 Abs 1 ArbVG sieht zwar einen gesetzlich garantierten Freistellungsanspruch vor, ungeplante wichtige dienstliche Gründe, aber auch persönliche Umstände wie Krankheiten oder ungeplante Pflegefreistellungen, können dazu führen, dass an sich stimmberechtigte AN von einer Teilnahme an einer vor Ort abgehaltenen Betriebsversammlung abgehalten werden. ME ist daher eher Auer-Mayer zu folgen, die die grundsätzliche Zulässigkeit virtueller Betriebsversammlungen bejaht, sofern sie in Form einer so genannten „qualifizierten Videokonferenz“ abgehalten werden, bei der neben der Gegenseitigkeit auch die Authentizität sichergestellt ist (Auer-Mayer, Digitalisierung und Betriebsverfassung, DRdA 2022, 139 [140 ff] mwN). Ähnlich argumentieren die Autorinnen selbst an anderer Stelle, wenn sie herausstreichen, dass trotz der Tatsache, dass eine Antragstellung auf Ausstellung einer Wahlkarte im digitalen Weg gesetzlich nicht vorgesehen ist, gerade bei zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl ortsabwesenden Personen aber sinnvoll erscheint und dann – ohne wesentliche Verfahrensvorschriften zu verletzen – möglich sein wird, wenn die Person, die den Antrag stellt, ausreichend identifizierbar ist (S 185).

Dass der österreichische Gesetzgeber, anders als der deutsche (vgl § 129 BetrVG), auch in Zeiten einer weltweiten Pandemie mit entsprechenden Kontaktverboten keine Notwendigkeit einer expliziten gesetzlichen Regelung bezüglich der Zulässigkeit von virtuellen Betriebsversammlungen gesehen hat, kann durchaus auch so interpretiert werden, dass dies gar nicht notwendig war bzw ist, weil dem österreichischen ArbVG die prinzipielle Zulässigkeit von virtuellen Betriebsversammlungen – freilich nur bei Erfüllung der sonstigen gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen, wie Identifizierbarkeit der Teilnehmenden, Erfüllung eines allfälligen Präsenzquorums, Sicherstellung der Nicht-Teilnahme von Nicht-Berechtigten – zu entnehmen ist. In Betrieben, in denen alle AN Zugang zu den entsprechenden digitalen Kommunikationsmitteln haben, spricht daher mE schon de lege lata viel für die Zulässigkeit von virtuellen Betriebsversammlungen. Eine Klarstellung durch den Gesetzgeber erscheint allerdings wünschenswert (idS auch Bremm, ASoK 2020, 305 [307]).

Gleich an mehreren Stellen wird in der vorliegenden siebten Auflage dieses Kommentars das Phänomen 78 von Einheitslisten beleuchtet (S 214 ff bzw S 226 ff sowie auch S 244 f). So vertreten die Autorinnen – anders als in den Vorauflagen – nunmehr die Auffassung, dass eine Wahl, bei der bloß ein einziger Wahlvorschlag zur Wahl steht, nur dann korrekt abläuft, wenn es am Stimmzettel nicht nur die Möglichkeit gibt, pro Wahlvorschlag abzustimmen, sondern am Stimmzettel auch ausgedrückt werden kann, dass man diesem Wahlvorschlag gerade nicht seine Stimme geben möchte. Ob eine Wahl, bei der die Wahlberechtigten entweder mit Ja stimmen oder ungültig wählen können, so wie von den Autorinnen vertreten, anfechtbar ist (an den einschlägigen Stellen wird von einem Verstoß gegen elementare Grundsätze des Wahlrechts und nicht von einer Außerachtlassung der elementarsten Wahlgrundsätze gesprochen, weshalb wohl keine Annahme der Nichtigkeit gefordert wird), werden nur die Gerichte klären können. Allerdings kann auch die Abgabe einer ungültigen Stimme als Ergebnis einer Auswahl unter den bei einer Wahl bestehenden Möglichkeiten angesehen werden, weshalb mE bei einer bloßen Wahl zwischen gültiger Ja-Stimme und ungültiger Nein-Stimme nicht zwingend eine fehlerhafte Wahl angenommen werden muss. Dies kann auch auf die in § 29 Abs 1 BRWO enthaltene Vorgabe gestützt werden, wonach bei bloß einem gültig eingebrachten Wahlvorschlag die Betriebsratsmitglieder mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewählt werden. Auch ungültige Stimmen gelten als abgegebene Stimmen (vgl § 26 Abs 2 BRWO), weshalb auch Einheitslisten nur dann als gewählt gelten, wenn sie die einfache Mehrheit der insgesamt bei der Betriebsratswahl abgegebenen Stimmen erreichen. Werden mehr ungültige Stimmen als gültige Ja-Stimmen abgegeben, dann ergibt diese Wahl keinen BR, die Wahl ist gem § 29 Abs 2 BRWO unverzüglich neu auszuschreiben.

In der aktuellen Auflage werden außerdem Fragen der Kollision zwischen Betriebsverfassungsrecht und Gleichbehandlungsrecht erörtert, insb die nach den §§ 4 Z 2 und 16 Abs 1 Z 3 GlBG angesprochenen Diskriminierungsverbote beim Zugang zur Mitgliedschaft bzw Mitwirkung in AN-Organisationen (S 159 f). Dass der BR grundsätzlich eine AN-Organisation iSd Bestimmungen des GlBG darstellt, kann wohl bejaht werden (die Autorinnen legen sich diesbezüglich nicht fest; vgl aber Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 § 4 Rz 4). Eine Auflösung der dazu angesprochenen Spannungsverhältnisse ist allerdings tatsächlich problematisch, wobei sich der eine oder andere Lösungsansatz direkt in den Regelungen des GlBG finden lassen könnte, wie etwa die analoge Heranziehung der Regelungen zu den Tendenzbetrieben, wenn es um die sachliche Rechtfertigung einer möglichen Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung geht, etwa wenn Personen mit abweichenden Weltanschauungen die Aufnahme auf einen Wahlvorschlag verweigert wird (so auch die Autorinnen in FN 6 auf S 160).

Der Aspekt der Gleichbehandlung der Geschlechter wird auch im Rahmen der Auseinandersetzung mit der in der Praxis bedeutsamen Bestimmung des § 65 Abs 2 ArbVG angesprochen. So betonen die Autorinnen zurecht, dass unter Verweis auf die in § 55 Abs 4a ArbVG verankerte Soll-Bestimmung, wonach bei der Zusammensetzung der Wahlvorschläge auf ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter geachtet werden soll, auch der Wunsch gerechtfertigt werden kann, von einem linearen Nachrücken nach der Reihenfolge auf der Ersatzliste abzugehen, wenn andernfalls das Geschlechterverhältnis grob gestört werden würde (vgl S 221).

Im elften Kapitel werden die Anfechtbarkeit bzw Nichtigkeit einer Betriebsratswahl erörtert. Beim Thema Feststellung der Nichtigkeit (S 263) weisen die Autorinnen zurecht darauf hin, dass die in § 60 ArbVG genannte „jederzeitige Geltendmachung der Nichtigkeit“ unter der Restriktion der Willkürlichkeit steht. Wird daher mit der Geltendmachung einer Nichtigkeit nach Kenntnisnahme so lange zugewartet, bis sie für einen selbst möglichst gewinnbringend eingesetzt werden kann, kann dies durchaus zu einer Verwirkung dieses Rechts führen.

Den inhaltlichen Abschluss des Kommentars bilden Ausführungen zur Wahl des Zentralbetriebsrats (Kapitel 12), zur Bestellung der Konzernvertretung (Kapitel 13), zur Wahl des Jugend- und Zentraljugendvertrauensrats sowie zur Konzernjugendvertretung (Kapitel 14 bis 16) und ergänzenden Bestimmungen zur BRWO (Kapitel 17). Daran anschließend werden die Bestimmungen zur Organbildung im Rahmen der Europäischen Betriebsverfassung, in der Europäischen Gesellschaft, der Europäischen Genossenschaft und bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen besprochen (Kapitel 18 bis 21).

Gerade aufgrund der mutigen Entscheidung, in die nunmehrige siebte Auflage dieses Praxiskommentars an klug gewählten Stellen vermehrt auf vertiefende wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den sich im Rahmen einer Betriebsratswahl in der Praxis stellenden Problemen zu setzen, ist dieses Standardwerk nicht nur jenen engagierten AN, die die Betriebsverfassung in ihrem Betrieb am Leben erhalten, ans Herz gelegt, sondern bietet auch für den wissenschaftlichen Austausch zahlreiche wertvolle Anhaltspunkte für eine weitergehende Vertiefung der angesprochenen Rechtsprobleme.