FeldnerKündigungsschutz für Whistleblower im Wandel
Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2023, 370 Seiten, € 109,90
FeldnerKündigungsschutz für Whistleblower im Wandel
Das hier zu besprechende Werk von Laura Feldner ist eine Monografie aus Deutschland zum Thema Kündigungsschutz für Whistleblower:innen und wurde 2022 von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Stand der Arbeit bezüglich Literatur und Judikatur ist Anfang Dezember 2021. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht einmal die Umsetzungsfrist der Whistleblowing-Richtlinie (RL [EU] 2019/1937) abgelaufen, weshalb das daraus entspringende Hinweisgeberschutzgesetz (BGBl I 2023 Nr 140 [HinSchG]) der Bundesrepublik Deutschland, das am 2.7.2023 in Kraft getreten ist, nicht berücksichtigt werden konnte. Aus demselben Grund fehlt die für dieses Thema richtungsweisende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in 79 der Rs Halet ([Große Kammer] 14.2.2023, Nr 21884/18, Halet gegen Luxemburg), worauf noch zurückzukommen sein wird.
Der Aufbau des Buches ist übersichtlich und gliedert sich in sechs Teile. Teil eins (S 23 ff) und Teil zwei (S 27 ff) behandeln zentrale Vorfragen und bieten eine sozialwissenschaftliche Beschreibung des Phänomens „Whistleblowing“. Hierbei wird insb der soziökonomische Nutzen von Whistleblowing hervorgehoben (S 30 ff). Wie bereits hinlänglich bekannt ist, steht diesem naturgemäß eine mangelnde Meldebereitschaft der AN gegenüber, weshalb Feldner anschließend Anreizfaktoren zur Förderung von Whistleblowing behandelt (S 44 ff). Teil drei (53 ff) enthält eine Darstellung der Rechtsquellen in Bezug auf Whistleblowing im nationalen einfachen Recht und Verfassungsrecht sowie im unionalen Primär- und Sekundärrecht einschließlich ihrer jeweiligen Bezüge zur europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Im vierten Teil (S 100 ff), der den Kern und zugleich den lohnendsten Teil der Arbeit bildet, beschäftigt sich Feldner mit dem „Status Quo“ des Kündigungsschutzes von Whistleblower:innen in der Privatwirtschaft. Nach einem kurzen Einblick in die allgemeine Systematik des deutschen Kündigungsrechts, folgt in einem ersten Schritt eine ausführliche Analyse und Bewertung der einschlägigen nationalen Rsp sowie der Entscheidungen des EGMR. Teil fünf (S 207 ff) baut darauf auf und analysiert die unionsrechtlichen Umsetzungsvorgaben der Whistleblowing- RL. Diese werden mit den Erkenntnissen aus dem vierten Teil verglichen, um den Einfluss der Richtlinie auf das deutsche Kündigungsrecht sowie die Umsetzungsaufgaben für den Gesetzgeber darzustellen. Das sechste Kapitel (S 329 ff) schließt die Arbeit mit einem Fazit und einem Ausblick ab, wobei auf den damaligen (vom Rechtsausschuss geänderten) Regierungsentwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes idF 20/3442 vom 14.12.2022 Bezug genommen wird.
Inhaltlich setzt Feldner ihre Prüfung entsprechend dem Titel des Werks bei der Frage an, wann die Meldung von Missständen durch AN eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung darstellt (S 103 f). Mangels einer einheitlichen, fallübergreifenden gesetzlichen Regelung obliegt diese Frage auch in Deutschland den Arbeitsgerichten, allerdings liegt im Nachbarland eine weitaus umfassendere Rsp zu diesem Thema vor. Sogar das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich im Jahre 2001 in einer Grundsatzentscheidung mit Whistleblowing befasst und der Verfassungsbeschwerde eines wegen Whistleblowings fristlos gekündigten (entlassenen) AN stattgegeben. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) befasst sich regelmäßig mit Whistleblowing- Fällen und prüft das Vorliegen einer Pflichtenverletzung durch Whistleblowing anhand eines etablierten Kriterienkatalogs. Dieser umfasst die Berechtigung der Meldung, die Motivation des:der AN und das Fehlen eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs. Die einzelnen Kriterien und ihre Entwicklung werden im Buch im Detail beschrieben (S 148 ff). In einer ansprechenden Zusammenschau stellt Feldner anschließend die These auf, dass das BAG den vom BVerfG gewährten grundrechtlichen Schutz von Whistleblowern:innen untergräbt (S 188 ff). Anders als das BAG habe nämlich das BVerfG in seinem Grundsatzurteil auch das – im Buch detailreich erörterte – Grundrecht der Meinungsfreiheit, das staatsbürgerliche Anzeigerecht und den daraus resultierenden gesellschaftlich gewünschten Effekt der Strafrechtspflege in die Prüfung miteinbezogen. Das BAG betrachte das Arbeitsverhältnis hingegen als ein vom öffentlichen Interesse weitgehend autarkes Rechtsverhältnis, wodurch das vom BVerfG aufgestellte hohe Schutzniveau von Whistleblower:innen zugunsten der AG-Interessen abgesenkt werde. Dadurch kehre das BAG das vom BVerfG aufgestellte Regel-Ausnahme- Prinzip ins Gegenteil um, sodass selbst die berechtigte Meldung eines Missstands eher als rechtfertigungsbedürftiges Verhalten des:der AN behandelt wird, anstatt als im Regelfall zulässiges Verhalten.
Umfassende Beachtung schenkt Feldner auch der Rsp des EGMR, welcher einen Schutz für Whistleblower: innen aus Art 10 EMRK ableitet. Die Frage, ob ein Eingriff in die Meinungsfreiheit eines Whistleblowers: einer Whistleblowerin vorliegt, beurteilt der EGMR anhand einer (Gesamt-)Interessenabwägung von sechs Kriterien. In Bezug auf eines oder sogar das am schwierigsten zu beurteilende der sechs Kriterien, die Reihenfolge der Meldestellen, schließt sich Feldner bewusst der Mindermeinung an. Die Meldung an eine externe staatliche Stelle sei ihr zufolge der Meldung an einen Vorgesetzten oder an einer anderen internen Stelle gleichberechtigt, nur die Veröffentlichung von Informationen sei nach Rechtsprechungspraxis des EGMR nachrangig (S 169 ff). Feldner stützt diese These vor allem auf Übersetzungsfehler in der deutschen Sprachfassung (S 170 f), was den Rezensenten auf den ersten Blick auch tatsächlich überzeugen konnte. Allerdings spricht der Wortlaut der neuen Leitentscheidung des Gerichtshofes (EGMR [Große Kammer] 14.2.2023, Nr 21884/18, Halet gegen Luxemburg, Rn 121-123, 171-172) für die gegenteilige Ansicht, wonach zunächst grundsätzlich ein interner Abhilfeversuch zu erfolgen hat. Dadurch verkompliziert sich jedoch das Verhältnis zwischen externer Meldung an eine staatliche Stelle und Veröffentlichung, was ein Grund sein könnte, warum die große Kammer in der angesprochenen E zusätzlich ausgeführt hat, dass die individuellen Umstände die am besten geeignete Meldestelle bestimmen.
Obwohl der Rezensent punktuell nicht ganz der Meinung der Autorin ist, so handelt es sich insgesamt dennoch um eine lesenswerte Dissertation mit vielen mir bis dahin unbekannten Erkenntnissen und anregenden Lösungsvorschlägen. Trotz des nicht mehr ganz aktuellen Stands kann dieses Werk daher jedem interessierten Wissenschaftler empfohlen werden. 80