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Ausgleichszulage und Rechtsmissbrauch von Unionsbürger:innen

INESKAGER (WIEN)
  1. Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL gesteht aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen AN ein Daueraufenthaltsrecht unabhängig von der Aufbringung ausreichender Existenzmittel zu.

  2. Die unionsrechtliche AN-Eigenschaft richtet sich unabhängig von persönlichen Motiven bloß nach objektiven Kriterien.

  3. Rechtsmissbrauch durch willkürliche kurzfristige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit liegt nicht vor, wenn eine tatsächliche und echte Tätigkeit entsprechend den Voraussetzungen des Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL für den Zeitraum von 12 Monaten ausgeübt wird.

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob der Aufenthalt der Kl im Inland rechtmäßig iSd § 292 Abs 1 ASVG ist.

[2] Die 1956 geborene Kl ist slowakische Staatsbürgerin. Sie ist verwitwet, ihr Sohn lebt in der Slowakei, ihre Tochter in Österreich. [...] seit 1.2.2016 bezieht sie in der Slowakei eine Alterspension.

[3] Die Kl war in Österreich von 1.8.2019 bis 18.8.2020 [...] tätig und verdiente [...] etwa 560 € brutto monatlich. Sie erwarb [...] 13 Beitragsmonate einer Pflichtversicherung.

[4] Die Kl hat ihren Hauptwohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt seit 19.1.2015 in Österreich in einer Wohnung, die jeweils zur Hälfte in ihrem Eigentum und jenem ihrer Tochter steht. Am 30.5.2022 wurde der Kl gem § 53a Abs 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) der Daueraufenthalt bescheinigt. [...]

[5] Mit Bescheid vom 25.10.2021 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt (PVA) den Antrag der Kl vom 25.8.2020 auf Gewährung einer Ausgleichszulage ab.

[6] Mit ihrer dagegen gerichteten Klage begehrte die Kl erkennbar, die Bekl schuldig zu erkennen, ihr ab 1.9.2020 eine Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

[7] Die Bekl beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Kl habe kein Recht auf Daueraufenthalt erworben. Die Kl halte sich mangels ausreichender Existenzmittel nicht rechtmäßig iSd RL 2004/38/EG („Unionsbürger-RL“) in Österreich auf und habe dies auch die letzten fünf Jahre nicht getan. Sie könne sich auch nicht auf den vorzeitigen Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt gem Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL berufen, da sie sich auch nicht für einen Zeitraum von drei Jahren rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe. Darüber hinaus habe die rund einjährige Beschäftigung der Kl offenkundig nur den Zweck gehabt, durch einen Pensionsanspruch einen Krankenversicherungsschutz in Österreich zu erlangen, dies unter der Annahme, damit einen Anspruch auf Ausgleichszulage zu begründen. Dabei handle es sich aus unionsrechtlicher Sicht um Rechtsmissbrauch.

[8] Das Erstgericht verpflichtete die Bekl zur Zahlung einer Ausgleichszulage [...]. Die Kl habe in den ersten fünf Jahren ihres Aufenthalts in Österreich über ausreichende Existenzmittel und einen entsprechenden Krankenversicherungsschutz verfügt. Es würden keine Hinweise darauf vorliegen, dass der Umzug nach Österreich lediglich zum Zweck des Leistungsbezugs erfolgt sei. [...]

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge, änderte das Ersturteil im klageabweisenden Sinn ab und ließ die Revision nicht zu. [...] Die Kl habe nicht durchgehend über einen Zeitraum von fünf Jahren über ausreichende Existenzmittel verfügt, um von einem Daueraufenthaltsrecht (§ 53a NAG) und damit von einem rechtmäßigen Aufenthalt im Inland iSd § 292 Abs 1 ASVG ausgehen zu können. [...]

[12] Die Revision ist teilweise (hinsichtlich eines Anspruchs auf Ausgleichszulage ab 18.10.2022) mangels Beschwer unzulässig und im Übrigen (hinsichtlich eines Anspruchs auf Ausgleichszulage von 1.9.2020 bis 17.10.2022) zulässig, weil dem Berufungsgericht eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlief; insofern ist sie auch berechtigt.

Zu I.: [13] I.1. Die Kl begehrte erkennbar die Gewährung einer Ausgleichszulage in gesetzlicher Höhe ab dem 1.9.2020. [...]

Zu II.: [19] II.1. Die Kl macht in der Revision geltend, dass die Voraussetzung eines rechtmäßigen Aufenthalts nach § 292 Abs 1 ASVG erfüllt sei. Durch Sparen in ihrer berufstätigen Vergangenheit, intelligente Investitionen und eine sehr genügsame Lebensweise habe sie über ausreichende Existenzmittel verfügt und sei nicht auf Sozialleistungen des Staats angewiesen gewesen. Außerdem habe sie das Recht auf Daueraufenthalt gem § 53a Abs 3 Z 1 NAG erworben, weil sie seit mehr als 12 Monaten in Österreich gearbeitet und seit 2015 gewohnt habe.

Dazu wurde erwogen: [20] II.2.1. Nach § 292 Abs 1 ASVG hat der Pensionsberechtigte Anspruch auf Ausgleichszulage, solange er seinen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich hat. Durch das Abstellen auf den „rechtmäßigen Aufenthalt“ soll ein Gleichklang der Ausgleichszulagenregelung mit dem europäischen und österreichischen Aufenthaltsrecht hergestellt werden (10 ObS 53/21y SSVNF 35/51; 10 ObS 159/20k SSV-NF 35/10).

[21] II.2.2. Der EuGH hat die österreichische Ausgleichszulage in der E C-160/02, Skalka [ECLI:EU:C:2004:269], als „beitragsunabhängige Sonderleistung“ iSd Art 70 VO (EG) 883/2004 (und nicht als Sozialhilfeleistung iS von „sozialer und medizinischer Fürsorge“) qualifiziert. Die Ausgleichszulage wurde [...] gem Art 70 Abs 2 lit c VO (EG) 883/2004 in den Katalog in Anhang X dieser Verordnung eingetragen. Nach der Rsp des EuGH schließt die Einstufung einer Leistung wie der österreichischen Ausgleichszulage als „beitragsunabhängige Sonderleistung“ [...] jedoch nicht aus, dass diese Leistung gleichzeitig 28 auch unter den Begriff der Sozialleistungen iSd Unionsbürger-RL fallen kann, sodass deren Art 24 zur Anwendung kommt (EuGHC-299/14, García-Nieto ua [ECLI:EU:C:2016:114]; C-67/14, Alimanovic [ECLI:EU:C:2015:597]; C-333/13, Dano [ECLI:EU:C:2014:2358]; C-140/12, Brey [ECLI:EU:C:2013:565]).

[22] II.2.3. Nach stRsp des EuGH ist der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt, der grundlegende Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu sein. Jeder Unionsbürger kann sich daher [...] auf das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art 18 AEUV) berufen, das auch in Art 4 VO (EG) 883/2004 und in Art 24 Unionsbürger-RL konkretisiert wird. Diese Situationen umfassen etwa die Ausübung des von Art 21 AEUV gewährten Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, vorbehaltlich der Beschränkungen und Bedingungen, die ua auch in der Unionsbürger- RL festgelegt sind. Diese RL sieht hinsichtlich des Aufenthaltsrechts im Aufnahmemitgliedstaat ein abgestuftes System vor, das im Recht auf Daueraufenthalt mündet (vgl EuGHC-411/20, Familienkasse Niedersachsen-Bremen [ECLI:EU:C:2022:602] Rn 28 ff; C-424/10, C-425/10, Ziolkowski und Szeja [ECLI:EU:C:2011:866] Rn 38).

[23] II.2.3.1. [...] Art 14 Abs 1 dieser RL erhält das Aufenthaltsrecht für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen aufrecht, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen (EuGH , Familienkasse Niedersachsen-BremenC-411/20 [ECLI:EU:C:2022:602] Rn 31). Abweichend vom Recht auf Gleichbehandlung [...] ist der Aufnahmemitgliedstaat dementsprechend auch nicht verpflichtet, anderen Personen als AN oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während der längeren Dauer der Arbeitssuche (Art 14 Abs 4 lit b Unionsbürger-RL) einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren (Art 24 Abs 2 Unionsbürger-RL).

[24] II.2.3.2. Zweitens ist bei einem Aufenthalt von mehr als drei Monaten die Ausübung des Aufenthaltsrechts von den Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 Unionsbürger-RL abhängig [...]. Insb dem ErwGr 10 der Unionsbürger-RL ist zu entnehmen, dass diese Voraussetzungen ua verhindern sollen, dass diese Personen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nehmen (EuGHC-709/20, The Department for Communities in Northern Ireland [ECLI:EU:C:2021:602] Rn 76; C-424/10, C-425/10, Ziolkowski und Szeja [ECLI:EU:C:2011:866] Rn 39).

[25] II.2.3.3. Drittens erwirbt jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig (EuGHC-147/11, C-148/11, Czop und Punakova [ECLI:EU:C:2012:538]) fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, gem Art 16 Abs 1 Unionsbürger-RL ein Daueraufenthaltsrecht, das keinen Bedingungen mehr unterworfen ist (vgl Erwägungsgrund 18 der Unionsbürger-RL). Abweichend davon haben nach Art 17 Abs 1 Unionsbürger-RL bestimmte [... Personen bereits vor Ablauf des ununterbrochenen Zeitraums von 5 Jahren das Recht auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat. Soweit hier von Interesse, gehören dazu nach Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL AN oder Selbständige, die zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Geltendmachung einer Altersrente gesetzlich vorgesehene Alter erreicht haben, oder AN, die ihre abhängige Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich dort seit mindestens drei Jahren ununterbrochen aufgehalten haben.

[26] II.3. Die Kl behauptet ein Recht auf Daueraufenthalt und stützt sich in der Revision erkennbar einerseits auf Art 16 Abs 1 Unionsbürger-RL und andererseits auf § 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL.

[27] Das Berufungsgericht verneinte einen rechtmäßigen Aufenthalt der Kl in den letzten fünf Jahren, weil sie in dieser Zeit nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt habe, und bezog sich damit (nur) auf Art 16 Unionsbürger-RL. Diese in der Revision (auch) bekämpfte Beurteilung ist aber nicht entscheidungswesentlich, weil sich die Kl zutreffend auf ein – vom Berufungsgericht nicht geprüftes – Recht auf Daueraufenthalt nach Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL stützen kann.

[28] II.3.1. Die dort enthaltenen zeitlichen Voraussetzungen – die Ausübung einer Erwerbstätigkeit während der letzten zwölf Monate einerseits und ein ununterbrochener Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat seit mindestens drei Jahren andererseits – gelten auch für AN (wie die Kl), die zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das in diesem Mitgliedstaat für die Geltendmachung einer Altersrente gesetzlich vorgesehene Alter erreicht haben (EuGH C-32/19, Pensionsversicherungsanstalt [ECLI:EU:C:2020:25]), und sind [...] unstrittig erfüllt.

[29] II.3.2. Soweit die Bekl in der Revisionsbeantwortung (wie in der Berufung) die AN-Eigenschaft der Kl bestreitet, ist dies nicht zielführend. Für die Qualifizierung als AN iSd Art 7 der Unionsbürger- RL ist erforderlich, dass eine Person eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, die keinen so geringen Umfang hat, dass sie sich als vollständig untergeordnet und unwesentlich darstellt. [...] es sind alle Umstände des Falls, die sich auf die Art sowohl der fraglichen Tätigkeit als auch des fraglichen Arbeitsverhältnisses beziehen, in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. [...] Der Umstand, dass eine unselbständige Tätigkeit für kurze Dauer ausgeübt wird (EuGHC-413/01, Ninni-Orasche [ECLI:EU:C:2003:600] Rn 25), ändert daran grundsätzlich genauso wenig wie die beschränkte Höhe dieser Vergütung, der Ursprung der Mittel, die stärkere oder schwächere Produktivität des Betroffenen oder die geringe Anzahl geleisteter Wochenstunden (EuGHC-46/12, N. [ECLI:EU:C:2013:97] Rn 41). Bei dieser Prüfung sind nur die Art der Tätigkeit und des fraglichen Arbeitsverhältnisses maßgeblich (EuGHC-46/12, N. [ECLI:EU:C:2013:97] Rn 43; C-413/01e, Ninni-Orasch [ECLI:EU:C:2003:600] 29 Rn 27) und Umstände, die sich auf das Verhalten des Betreffenden vor und nach der Beschäftigungszeit beziehen, ohne Bedeutung (C-413/01, Ninni-Orasche [ECLI:EU:C:2003:600] Rn 28).

[30] Weder die nach Ansicht der Bekl „kurzzeitige“ Tätigkeit noch die von ihr behaupteten Verhaltensweisen der Kl vor und nach der Beschäftigungszeit vermögen daher die Qualifikation der Kl als AN iSd Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL in Zweifel zu ziehen. Soweit die Bekl der Kl einen unionsrechtlichen Rechtsmissbrauch unterstellt, ist ihr zu entgegnen, dass das Problem eines Rechtsmissbrauchs keinen Einfluss auf diese Beurteilung haben kann (C-413/01, Ninni-Orasche [ECLI:EU:C:2003:600] Rn 31).

[31] II.3.3. Die Bekl stand in erster Instanz noch auf dem Standpunkt, dass sich die Kl nicht drei Jahre rechtmäßig in Österreich aufgehalten hat und sich daher (auch) nicht auf Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL berufen könne. [...]

[32] II.3.4. Dass die Kl die Voraussetzungen des Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL formal erfüllt, bestreitet die Bekl auch [...] nicht mehr. Sie hält dem [...] Recht auf Daueraufenthalt vielmehr lediglich [...] unionsrechtlichen Rechtsmissbrauch der Kl entgegen. Dies begründete sie damit, dass die Kl unmittelbar nach Beendigung des letzten Dienstverhältnisses in der Slowakei während des Bezugs einer slowakischen Invaliditätsrente nach Österreich übersiedelt sei, kurz danach erstmalig die Gewährung einer Ausgleichszahlung beantragt habe, den Antrag nach Befassung der Aufenthaltsbehörde zurückgezogen habe, dann neuerlich die Gewährung der Ausgleichszulage beantragt habe, kurz nach Ablehnung dieses Anspruchs im 64. Lebensjahr kurzfristig ein Dienstverhältnis aufgenommen habe und schließlich jedwede Beschäftigung in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Zuerkennung der österreichischen Alterspension aufgegeben habe. Die von der Kl in Österreich aufgenommene Erwerbstätigkeit sei daher von dem Bemühen getragen gewesen, auf kürzest möglichem Wege die Zuerkennung der Ausgleichszulage zu erwirken.

[33] II.3.4.1. Feststellungen zu diesen tatsächlichen Umständen, aus denen nach der Rechtsauffassung der Bekl auf einen Rechtsmissbrauch der Kl zu schließen sei, wurden zwar nicht getroffen. Dem Erstgericht ist allerdings darin zuzustimmen, dass sich aus diesem Vorbringen ein unionsrechtlicher Rechtsmissbrauch der Kl, der einen Ausgleichszulagenanspruch ausschließen könnte, nicht ableiten lässt.

[34] II.3.4.2. Das Unionsrecht findet bei missbräuchlichen Praktiken keine Anwendung (EuGHC-456/12, O. [ECLI:EU:C:2014:135] Rn 58; C-413/01, Ninni-Orasche [ECLI:EU:C:2003:600] Rn 36; C-39/86, Lair/Universität Hannover [ECLI:EU:C:1988:322] Rn 43). Der Nachweis eines Missbrauchs setzt zum einen voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, und zum anderen ein subjektives Element, nämlich die Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die [...] Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (EuGHC-456/12, O. [ECLI:EU:C:2014:135] Rn 58; C-364/10, Ungarn/Slowakei [ECLI:EU:C:2012:630] Rn 58).

[35] II.3.4.3. Voranzustellen ist, dass die Erfüllung der in der Unionsbürger-RL normierten Voraussetzungen eines rechtmäßigen Aufenthalts für sich allein genommen in der Regel keinen Rechtsmissbrauch darstellen kann. Auch erfolglose Anträge auf Gewährung von Leistungen deuten – ohne Hinzutreten weiterer, hier nicht vorgetragener Umstände – auf einen Rechtsmissbrauch grundsätzlich nicht hin.

[36] Aus der Aufnahme einer Beschäftigung durch die Kl, die die zeitlichen Voraussetzungen des Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL von einem Jahr erfüllt und daher – entgegen der Qualifikation der Bekl – nicht bloß „kurzzeitig“ ausgeübt wurde, ist insb nicht ersichtlich, dass das Ziel dieser RL – die Förderung der Freizügigkeit der Unionsbürger ohne unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfe des Aufnahmestaats – nicht erreicht worden wäre. Hintergrund des Rechts auf Daueraufenthalt nach den Art 16 f Unionsbürger-RL ist erkennbar eine entsprechende Integration des Unionsbürgers im Aufnahmestaat; die von der Bekl genannten Umstände stehen dieser Intention nicht entgegen.

[37] Dem Vorbringen der Bekl lässt sich somit insgesamt nicht entnehmen, inwiefern die vom EuGH für einen unionsrechtlichen Rechtsmissbrauch erforderlichen objektiven Elemente vorliegen. Auf die Frage, ob das vom EuGH außerdem (zusätzlich) geforderte subjektive Element hier vorlag, muss daher nicht eingegangen werden. Die von der Bekl angeführten Umstände stehen dem Recht der Kl auf Daueraufenthalt somit nicht entgegen, sodass insofern auch keine sekundären Feststellungsmängel zu erkennen sind.

[38] II.4.1. Infolge des Rechts der Kl auf Daueraufenthalt nach Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL ist die Voraussetzung eines rechtmäßigen Aufenthalts nach § 292 Abs 1 ASVG erfüllt, sodass der vom Berufungsgericht und von der Bekl angenommene Grund für die Verneinung des Anspruchs der Kl – wie sie in der Revision zutreffend geltend macht – nicht vorliegt.

ANMERKUNG

§ 292 Abs 1 ASVG beschränkt den Anspruch auf Ausgleichszulage zu Pensionen aus der PV auf Pensionsberechtigte, die ihren rechtmäßigen und gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

Die Kl hat ihren Hauptwohnsitz seit Beginn 2015 in Österreich. Seit 2016 bezieht sie eine Altersrente aus der Slowakei und war überdies in den Jahren 2019 und 2020 für 13 Monate in Österreich beschäftigt. Der Antrag auf eine Ausgleichszulage, den sie 2020 gestellt hatte, wurde von der PVA mangels rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts abgelehnt. Ohne ausreichende Existenzmittel hätte die Kl weder gem Art 16 Abs 1 noch Art 17 Abs 1 der Unionsbürger-RL jemals ein Daueraufenthaltsrecht 30 erwerben können. Unabhängig davon sei die Aufnahme der Erwerbstätigkeit aber auch rechtsmissbräuchlich erfolgt. Dem widerspricht der OGH. Das Daueraufenthaltsrecht gem Art 17 Abs 1 der RL sei nicht an die Aufbringung der notwendigen Existenzmittel gebunden. Einer Missbräuchlichkeit stehe die Aufnahme der langfristigen Erwerbstätigkeit von mindestens einem Jahr entgegen.

1.
Anspruch auf Ausgleichszulage
1.1.
Allgemeines

Die sogenannte „Ausgleichszulage“ steht Pensionsberechtigten gem § 292 ASVG zu, wenn ihre „Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften erwachsenden Nettoeinkommens und der gem § 294 leg cit zu berücksichtigenden Beträge“ nicht die Höhe des jeweils anwendbaren Richtsatzes gem § 293 leg cit erreicht. Die Ausgleichszulage ist demnach ein gesetzlicher Anspruch in Höhe des Differenzbetrags zwischen tatsächlich zustehenden vor allem beitragsabhängigen Leistungen und jenen Richtsätzen, die im österreichischen Sozialrecht als konventionelles Existenzminimum gelten (iSe Mindesteinkommens; vgl hierzu Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 292 ASVG Rz 1 ff mwN).

1.2.
Rechtmäßiger, gewöhnlicher Aufenthalt

Das Tatbestandsmerkmal des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland wurde erst durch das Sozialrechtsänderungsgesetz 1996 (SRÄG 1996; BGBl 1996/411) in § 292 Abs 1 ASVG aufgenommen. Laut den zugehörigen Materialien (34/ME 20. GP 42 f) sei diese Änderung auf Anregung der Sozialversicherungsträger und aus Anlass erheblicher Auslegungsschwierigkeiten bezüglich des bloßen Inlandsaufenthalts vorgenommen worden (vgl auch Pfeil, Ausgleichszulagenanspruch und Auslandsaufenthalt, DRdA 1998, 214 [216 f]).

Die VO (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 2004/166, 1) normiert zwar in Art 5 lit b leg cit das Gebot der Gleichstellung von Sachverhalten und in Art 7 die Aufhebung von sogenannten Wohnortklauseln. Dies bedeutet, dass Geldleistungen nicht allein deshalb gekürzt, verändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden dürfen, weil die Anspruchsberechtigten oder deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat als dem des leistungspflichtigen Trägers wohnen. Bereits zur VO (EWG) 1408/71 (ABl L 1971/149, 2 idF VO [EG] 1386/2001, ABl L 2001/187, 1) stellte der EuGH jedoch klar, dass die Ausgleichszulage, die eine Alters- oder Invaliditätsrente ergänzt und dem Empfänger im Fall einer unzureichenden Rente ein Existenzminimum gewährleisten soll, deren Gewährung nach objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien, und deren Finanzierung nie über die Beiträge der Versicherten erfolgt, unter die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen iSd Art 70 VO 883/2004 fällt – sie weist sowohl Merkmale von Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe auf (EuGH 29.4.2004, C-160/02, Skalka zum damaligen Art 4 Abs 2a VO 1408/71; mittlerweile ist die Ausgleichszulage ausdrücklich in Anhang X der VO 883/2004 unter dieser Kategorie aufgeführt). Für Leistungen dieser Zwischenkategorie sind gem Art 70 Abs 3 VO 883/2004 weder die Gleichstellung von Sachverhalten (sehr wohl aber die Gleichstellung von Leistungen und Einkünften gem Art 5 lit a leg cit, so auch OGH10 ObS 172/10gDRdA 2012, 61) noch die Aufhebung der Wohnortklauseln anwendbar. Es entfällt somit die unionsrechtliche Exportpflicht (Pfeil, Keine Exportpflicht der Ausgleichszulage; Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 292 ASVG Rz 14 [Stand 1.10.2019, rdb.at] mwN). Das nationale Recht darf daher den gewöhnlichen Aufenthalt voraussetzen, muss Pensionsleistung aus anderen Mitgliedstaaten aber inländischen gleichhalten.

Mit dem BGBl I 2010/111 sollte sodann „durch das [zusätzliche] Abstellen auf den ‚rechtmäßigen‘ Aufenthalt [...] ein Gleichklang der Ausgleichszulagenregelung mit dem europäischen und österreichischen Aufenthaltsrecht hergestellt werden“ (ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 206). Sind die Voraussetzungen des unionsrechtlichen und nationalen Aufenthaltsrechts nicht erfüllt, fehlt es an einem rechtmäßigen Aufenthalt und ein Anspruch auf Ausgleichszulage kann nicht entstehen oder geht verloren. Durch die Aufnahme dieser Tatbestandsmerkmale in § 292 ASVG obliegt die Prüfung der aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen der PVA; auf Anfrage haben die Fremdenpolizeibehörden jedoch bei der Feststellung mitzuwirken (vgl § 459f ASVG). Im vorliegenden Verfahren stellte die PVA die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts einerseits mangels Erfüllung der aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen und andererseits aufgrund rechtsmissbräuchlichen Verhaltens in Frage.

2.
Aufenthaltsrecht
2.1.
Allgemeines

Der längerfristige Aufenthalt von Fremden in Österreich ist auf nationaler Ebene durch das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG; idF BGBl I 2024/67) geregelt. Dieses sieht gem § 9 NAG die Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts von Unionsbürger:innen vor. Das Aufenthaltsrecht selbst gründet sich aber unmittelbar auf EU-Recht, insb die RL 2004/38/EG (Unionsbürger-RL oder Freizügigkeits-RL, ABl L 158 vom 30.4.2004, S 77; Abermann/Czech/Kind/ Peyrl, Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz inkl Integrationsgesetz2 [2019] § 9 Rz 1 ff mwN). Art 6 leg cit konstatiert ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht für drei Monate, das an keine weiteren Voraussetzungen als den Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses geknüpft ist. Darüber hinaus dürfen sich Unionsbürger:innen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, sofern sie entweder als AN oder Selbständige tätig sind oder über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen 31 oder eine Ausbildung absolvieren (vgl auch § 51 NAG). Nach fünf Jahren eines solchen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthaltes im Bundesgebiet erwerben Unionsbürger:innen das Recht auf Daueraufenthalt, das keinen weiteren Bedingungen mehr unterliegt (Art 16 Abs 1 Unionsbürger- RL; § 53a NAG). In besonderen Fällen, die in Art 17 leg cit geregelt sind, steht ein solches Daueraufenthaltsrecht bei Ausscheiden aus dem Erwebsleben sogar schon früher zu. Die Kl stützte ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt zum Antragszeitpunkt auf ihr Daueraufenthaltsrecht gem Art 16 Abs 1 als auch Art 17 Abs 1 lit a der Unionsbürger-RL.

2.2.
Die Rolle von Sozialhilfeleistungen im Aufenthaltsrecht

Wie die VO (EG) 883/2004 sieht auch die Unionsbürger- RL in ihrem Art 24 grundsätzlich eine Gleichbehandlung von Unionsbürger:innen mit den Staatsangehörigen des jeweiligen Mitgliedstaates vor, schränkt diese jedoch im Bereich der Sozialhilfe ein. Bloß AN und Selbständige können vom Zugang zu Sozialhilfeleistungen nicht ausgeschlossen werden; Arbeitssuchende sind nach einem dreimonatigen Aufenthalt gem Art 14 Abs 4 lit b der RL ebenfalls anspruchsberechtigt. Diese Einschränkungen zielen darauf ab, wirtschaftlich inaktive Unionsbürger von einer unangemessenen Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats abzuhalten (vgl ErwGr 10 leg cit). Die Bestimmungen zur Ausgleichszulage korrespondieren hierbei mit den Regelungen des Aufenthaltsrechts (siehe Pkt 1.2.; vgl dazu auch Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Kommentar § 292 ASVG Rz 12 [Stand 1.10.2019, rdb.at] mwN): Die Ausgleichszulage kann nur bei rechtmäßigem Aufenthalt gewährt werden. Ein solcher Aufenthalt ist jedoch ausgeschlossen, wenn Sozialhilfeleistungen wie die Ausgleichszulage unangemessen in Anspruch genommen werden (vgl ErwGr 10, 16 leg cit; EuGHC-140/12, Brey, ECLI:EU:C:2013:565; die Einstufung im System der VO 883/2004 als besondere beitragsunabhängige Geldleistung anstelle einer sozialen Fürsorgeleistung iSd Art 3 Abs 5 lit a leg cit, schadet nicht – die Kategorien der beiden Unionsrechtsakte korrespondieren demnach nicht; vgl auch ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 12, wonach ausdrücklich auch die Ausgleichszulage „aufenthaltsschädlich“ sein solle).

Im Gegensatz etwa zur Rs Brey (vgl auch EuGH C-333/13, Dano, ECLI:EU:C:2014:2358) geht es nunmehr jedoch nicht um die Schädlichkeit des Bezugs einer Sozialhilfeleistung für das Bestehen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. Im maßgeblichen Zeitraum bezog die Kl unstrittig keinerlei staatliche Unterstützungsleistungen. Die PVA argumentierte aber unabhängig davon, dass keine maßgeblichen Existenzmittel vorlagen. Zu Recht stellte der OGH jedoch klar, dass dies gar nicht entscheidungswesentlich sei (Rz 28 des Urteils). Die Kl stütze sich nämlich auch auf Art 17 Abs 1 lit a der Unionsbürger-RL (vgl § 53a Abs 3 Z 1 NAG). AN, „die zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Geltendmachung einer Altersrente gesetzlich vorgesehene Alter erreicht haben, oder [...] ihre abhängige Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich dort seit mindestens drei Jahren ununterbrochen aufgehalten haben“, erlangen so bereits früher ein Recht auf Daueraufenthalt. Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung fehlt in Art 17 Abs 1 lit a leg cit aber der Begriff „rechtmäßig“ in Bezug auf den ununterbrochenen Mindestaufenthalt von drei Jahren. Gegen eine systematische Auslegung iSd Art 16 Abs 1 leg cit spricht außerdem der Wortlaut des Art 17 Abs 1 leg cit, der die Bestimmung mit den Worten „Abweichend von Artikel 16“ einleitet. Auch laut EuGH unterscheide die Unionsbürger-RL eben nun einmal zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Personen, wobei nur letztere über ausreichende Existenzmittel verfügen müssen (vgl EuGH Rs Dano, Rn 75).

So verstand es auch der österreichische Gesetzgeber und verweist in § 53a Abs 3 NAG bloß auf „EWR-Bürger gemäß § 51 Abs 1 Z 1“, also solche, die in Österreich AN oder Selbständige sind. Die Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel (§ 51 Abs 1 Z 2 leg cit) ist ausdrücklich nicht erfasst (vgl auch zuletzt VwGH 2.12.2021, Ra 2020/10/0096).

2.3.
Arbeitnehmer:in iSd Art 7 RL 2004/38/EG

Die Kl musste somit für ein Daueraufenthaltsrecht gem Art 17 Abs 1 lit a Unionsbürger-RL keine ausreichenden Existenzmittel nachweisen. AN und Selbständige, als wirtschaftlich aktive Unionsbürger:innen, werden durch diese Bestimmung aufenthaltsrechtlich begünstigt. Die PVA stellte aber auch die AN-Eigenschaft der Kl in Frage und brachte dafür sowohl die bloß einjährige Dauer als auch die Motivation der Kl vor, die Tätigkeit bloß zur Erlangung der Ausgleichszulage aufgenommen zu haben.

Neben den klassischen Voraussetzungen für den unionsrechtlichen AN-Begriff, wie Weisungsgebundenheit und Entgeltlichkeit (Art 45 AEUV; vgl vor allem EuGHRs 66/85, Lawrie-Blum, ECLI:EU:C:1986:284, Rz 17), muss es sich auch um eine „tatsächliche und echte Tätigkeit“ handeln, die nicht bloß „völlig untergeordnet und unwesentlich“ ist (so bereits EuGH Rs 53/81, Levin, ECLI:EU:C:1982:105, Rn 17). Für diese Einschätzung könne laut EuGH weder ein geringer zeitlicher Umfang, noch die Dauer, noch die Höhe der Vergütung alleine ausschlaggebend sein. Vielmehr sei eine Gesamtbetrachtung anzustellen, in der auch die Gewährung sonstiger mit einem Arbeitsverhältnis klassisch verbundenen Ansprüche in Betracht gezogen wird (vgl etwa EuGHC-143/16, Antonino Bordonaro, ECLI:EU:C:2017:566, Rn 19 ff; EuGHC-14/09, Genc, EU:C:2010:57, Rn 27). Auch eine sehr kurze oder bloß geringfügige Beschäftigung könne demnach die AN-Eigenschaft begründen. 32 Dies bejahte der EuGH in der Rs Ninni-Orasche (C-413/01, ECLI:EU:C:2003:600) bei einer geplanten befristeten Beschäftigung für die Dauer von 2,5 Monaten und zur Geringfügigkeit in der Rs Genc, wo die Betroffene bloß für 5,5 Stunden pro Woche beschäftigt war. Aus der Rs Ninni-Orasche geht ebenfalls hervor, dass die Motive der Beschäftigten, wie auch das von der PVA vorgebrachte rechtsmissbräuchliche Motiv der Kl für die Beurteilung der AN-Eigenschaft nicht maßgeblich sein kann – der Begriff ist vielmehr nach objektiven Kriterien zu definieren (aaO Rn 24, 31 f). Dem OGH ist folglich sowohl im Ergebnis als auch in seiner Argumentation zuzustimmen. Einzig die Prüfung der Untergeordnetheit und Unwesentlichkeit der Tätigkeit ist entfallen (siehe Rn 30 der besprochenen E), wenngleich diese wohl schon aufgrund der Beiträge zur SV für den gesamten Zeitraum zu verneinen sein wird.

2.4.
Rechtsmissbrauch

Das Unionsrecht kommt bei missbräuchlichen Praktiken nicht zur Anwendung. Der von der PVA vorgebrachte Rechtsmissbrauch hat zwar keinen Einfluss auf die AN-Eigenschaft, könnte aber den Anspruch auf Ausgleichszulage beeinflussen. Ein rechtsmissbräuchlicher Sachverhalt muss nach Rsp des EuGH einerseits objektiv das Ziel der Regelung verfehlen, andererseits muss subjektiv die Absicht bestehen, „sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden“ (EuGH 12.3.2014, C-456/12, O., ECLI:EU:C:2014:135, Rn 58). In der Rs Lair (EuGHC-39/86, ECLI:EU:C:1988:322) stellte der EuGH außerdem klar, dass Rechtsmissbrauch etwa vorliegt, wenn sich AN nur in der Absicht in einen Mitgliedstaat begeben, um dort nach einer sehr kurzen Berufstätigkeit eine staatliche Leistung in Anspruch zu nehmen (aaO Rn 43).

Objektiv betrachtet, soll die Unionsbürger-RL das primärrechtlich gewährleistete Recht, sich innerhalb der Union vorbehaltlich der vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten, ausgestalten (ErwGr 1 leg cit). Um dieses zu vereinfachen und zu verstärken, sollten durch die RL bestehende Gemeinschaftsinstrumente, die AN und Selbstständige sowie Studierende und andere beschäftigungslose Personen getrennt behandeln, kodifiziert und vereinfacht werden (ErwGr 3 leg cit). Unionsbürger:innen soll das Aufenthaltsrecht grundsätzlich möglichst umfassend gewährt werden, solange sie Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen; AN, Selbständigen oder Arbeitssuchenden aber sogar unabhängig davon, solange keine Gründe öffentlicher Ordnung und Sicherheit entgegenstehen (ErwGr 16 leg cit). Nach fünf Jahren können beide Gruppen ein (bedingungsloses) Daueraufenthaltsrecht erwerben, das das Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und zum sozialen Zusammenhalt beitragen soll (ErwGr 17, 18). Art 17 leg cit schafft sodann eine Ausnahmeregelung für Personen, die aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Augenscheinlich soll ein Daueraufenthaltsrecht sohin auch Personen offenstehen, die sich zum Ende ihres Erwerbslebens in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen wollen und während dieser Zeit zumindest für eine kurze Zeit von zwölf Monaten im Aufnahme- oder einem anderen Mitgliedstaat erwerbstätig waren. Das jedoch unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation (siehe Pkt 2.2.). Zu erkennen ist also, dass die Personenverkehrsfreiheit möglichst umfassend gewährt werden sollte. Eine Grenze zieht die RL nur bei wirtschaftlich inaktiven Unionsbürger:innen, die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats im Rahmen ihres ersten Aufenthalts unangemessen in Anspruch nehmen und auch hier nur bis zum Erhalt des Daueraufenthaltsrechts.

Dem OGH ist sohin mE zuzustimmen, wenn er das Ziel der Unionsbürger-RL durch den vorliegenden Sachverhalt nicht konterkariert sieht, scheint doch Art 17 Abs 1 lit a leg cit gerade auch einen Sachverhalt erfassen zu wollen, in dem sich Unionsbürger:innen allenfalls nicht rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhielten. Das ist insofern sinnvoll, als sie bereits durch Aufnahme der Erwerbstätigkeit die genannten Garantien des Art 7 Abs 1 lit b genießen und diese nicht bloß durch den Eintritt des Pensionsantrittsalters verlieren sollen. Sieht Art 17 Abs 1 lit a leg cit hierfür eine Mindestdauer der Erwerbstätigkeit von zwölf Monaten vor, so sind die Ziele der RL grundsätzlich nicht verfehlt, wenn die Kl diese Voraussetzung erfüllt. Dem könnte man entgegenhalten, dass dem Rechtsmissbrauch die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzung eben inhärent sei. Doch steht der Annahme, die Kl habe sich ausschließlich nach Österreich begeben, um hier nach einer kurzen Berufstätigkeit die Ausgleichszulage zu beziehen, bereits die langfristige Tatbestandsvoraussetzung des dreijährigen ununterbrochenen – aber nicht notwendig rechtmäßigen – Aufenthalts entgegen. Dass sich die Kl ursprünglich nicht mit der Absicht in Österreich niedergelassen hat, um von der ANFreizügigkeit Gebrauch zu machen, schadet ebenfalls nicht. Auch hier kann auf die fehlende Voraussetzung der Rechtmäßigkeit in Art 17 Abs 1 lit b leg cit für den über die zwölf Monate hinausgehenden Aufenthalt verwiesen werden (aA Spitzenhofer, Ausgleichszulagenanspruch einer Unionsbürgerin, ZAS 2024/47, 271 [275]). Der Spielraum für einen Rechtsmissbrauch ist hier somit gering, wenn auch in offenkundigen Ausnahmekonstellationen wohl nicht ausgeschlossen. 33