6Solidarhaftung von „faktischem Geschäftsführer“ und Arbeitgeber:in bei Belästigung
Solidarhaftung von „faktischem Geschäftsführer“ und Arbeitgeber:in bei Belästigung
Der deliktisch haftende Belästiger, der der belästigten Person für den durch seine sexuelle Belästigung erlittenen Schaden und die erlittene persönliche Beeinträchtigung Ersatz nach § 6 Abs 1 Z 3 iVm § 12 Abs 11 GlBG zu leisten hat, haftet mit seinem AG, der aufgrund der Zurechnung der Belästigung seines Repräsentanten nach § 6 Abs 1 Z 1 GlBG für denselben Schaden einzustehen hat, solidarisch. Die belästigte Person kann ihren Schaden nur einmal ersetzt erhalten.
Eine Stellungnahme zur Frage, ob es zu einer Kumulation von Schadenersatzforderungen kommt, wenn auch der AG der belästigten Person nach § 6 Abs 1 Z 2 GlBG – unabhängig vom Belästiger – haftet, weil er es schuldhaft unterlassen hat, im Falle einer sexuellen Belästigung durch Dritte (§ 6 Abs 1 Z 3 GlBG) angemessene Abhilfe geschaffen zu haben, ist daher im Anlassfall nicht notwendig.
[1] Die Bekl war bei der Kl von 13.7.2015 bis 15.3.2016 als Angestellte beschäftigt.
[2] Im Verfahren 21 Cga 41/16a des ASG Wien begehrte die Bekl von der Kl infolge einer erlittenen sexuellen Belästigung durch den „Seniorchef“ F*, gestützt auf §§ 6, 12 GlBG, ua Schadenersatz von 10.000 €. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Urteil vom 30.9.2019 statt. Nach den § 12 Abs 11, § 6 GlBG, § 1325 ABGB stünde der Bekl dieser Betrag an immateriellem Schadenersatz aufgrund der durch die Belästigungshandlungen des F* erlittenen psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert zu. Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Der OGH stellte mit Urteil vom 29.4.2021 (9 ObA 19/21s) das Ersturteil wieder her. Die Haftung der Kl für das Verhalten des F* gründe sich auf § 12 Abs 11 iVm § 6 Abs 1 Z 1 GlBG.
[3] Im Verfahren 17 Cg 43/16t des LG für Zivilrechtssachen Wien begehrte die Bekl aufgrund der sexuellen Belästigungen durch F* von diesem persönlich einen immateriellen Schadenersatz von 15.000 €. Mit Urteil vom 26.8.2019 wurde der Bekl in erster Instanz ein Schadenersatzbetrag von 7.500 € zugesprochen. Das OLG Wien bestätigte diese E mit Urteil vom 18.12.2019 (11 R 182/19v).
[4] Am 21.2.2020 zahlte F* der Bekl den Kapitalbetrag samt Zinsen und Kosten.
[5] Am 7.6.2021 zahlte die Kl der Bekl 5.939,06 €, bestehend aus dem Kapitalbetrag von 2.500 € samt Zinsen und Kosten. In einem Schreiben vom selben Tag wies die Kl die Bekl darauf hin, dass diese für denselben Schaden von F* bereits 7.500 € erhalten habe.
[6] Am 21.6.2021 überwies die Kl weitere 2.500 € an die Bekl.
[7] Am 7.7.2022 bewilligte das Bezirksgericht Donaustadt zu 12 E 2415/22d eine von der Bekl gegen die Kl beantragte Fahrnis- und Forderungsexekution zur Hereinbringung einer Kapitalforderung von 7.498,17 € samt Zinsen aus dem Urteil des ASG Wien vom 30.9.2019 (21 Cga 41/16a) sowie einer Kostenforderung von 9,77 € samt Zinsen aus dem Urteil des OGH vom 29.4.2021 (9 ObA 19/21s).
[8] Am 21.7.2022 brachte die Kl die gegenständliche Klage als Oppositionsklage ein.
[9] Daraufhin überwies die Kl der Bekl am 31.8.2022 einen Betrag von 10.227,40 € (darin enthalten ein Kapital von 7.498,17 €, Zinsen, Prozesskosten und Exekutionskosten von 609,01 € und 280,54 €) unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Rückforderung und mit dem Hinweis, dass die Zahlung unter dem Druck der Exekution geleistet werde.
[10] Mit Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 13.9.2022 wurde das Exekutionsverfahren über Antrag der Bekl gem § 39 Abs 1 Z 6 EO eingestellt.
[11] Mit einem im gegenständlichen Verfahren am 14.9.2022 eingebrachten Schriftsatz änderte die Kl ihr Oppositionsklagebegehren auf ein Leistungsbegehren von 10.823 € sA. Dazu brachte sie vor, dass ihre Verbindlichkeit aus dem Urteil des ASG Wien vom 30.9.2019 gegenüber der Bekl hinsichtlich des Kapitalbetrags von 10.000 € durch die von F* am 21.2.2020 geleistete Zahlung im Umfang von 7.500 € erloschen sei. Aufgrund des Urteils des OGH vom 29.4.2021 habe sie mit der Zahlung von 2.500 € an Kapital samt Zinsen und Kosten die gesamte gegenüber der Bekl titulierte Forderung zur Gänze getilgt.
[12] Den darüber hinausgehenden Kapitalbetrag von 2.500 € habe sie über Aufforderung der Bekl nur gezahlt, um einen weiteren Rechtsstreit zu vermeiden. Die Bekl habe den – unrichtigen – Standpunkt vertreten, die Kl und F* hafteten nicht solidarisch für ein und denselben Schaden der Bekl. In Summe habe die Bekl daher sogar 12.500 € an Kapital erhalten.
[13] Den weiteren Betrag von 10.227,40 € habe sie unter dem Druck des von der Bekl eingeleiteten Exekutionsverfahrens unter dem Vorbehalt der Rückforderung an die Bekl gezahlt. Die damit geleistete Nichtschuld fordere sie nunmehr von der Bekl zurück.
[...].
[15] Das Erstgericht ließ die Klagsänderung zu und wies das Klagebegehren ab.
[16] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl teilweise Folge und verpflichtete die Bekl in Abänderung des Ersturteils zur Rückzahlung von 9.337,85 € sA. Das Mehrbegehren wies es ab.
[...]
[23] Die Revision der Bekl ist zur Klarstellung zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[...]
[26] 2. § 1431 ABGB setzt voraus, dass irrtümlich eine Nichtschuld gezahlt wurde (RS0033765). Nach der Rsp kann die Rückforderung einer Leistung aber auch trotz des Bewusstseins, zu dieser nicht verpflichtet zu sein, gerechtfertigt sein, wenn an die Stelle des Irrtums über den Bestand der Schuld 49 iSd § 1431 ABGB gleich zu gewichtende andere Umstände treten (2 Ob 219/11m Pkt 5.). So kann die Leistung auch dann zurückgefordert werden, wenn sie unter dem Druck einer Vollstreckung geleistet wurde (RS0033569). Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, weil keine den Rückforderungsanspruch verneinende rechtskräftige E vorliegt (vgl RS0033569 [T2]), wird in der Revision – zu Recht – nicht weiter in Frage gestellt.
[27] 3. Die Revisionswerberin steht auf dem Standpunkt, ihre titelmäßigen Schadenersatzansprüche gegen die Kl einerseits und gegen F* andererseits seien nicht ident. Jedenfalls führe eine richtlinienkonforme Auslegung der Gleichbehandlungs-RL zum Ergebnis, dass der AG, der nicht Abhilfe geschaffen hat, nach § 6 Abs 1 Z 2 GlBG unabhängig vom Belästiger nach § 6 Abs 1 Z 3 GlBG für eigenes schuldhaftes Verhalten hafte.
Dazu hat der Senat erwogen:
[28] 3.1.1. Nach § 6 Abs 1 GlBG liegt eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes auch vor, wenn eine Person
vom/von der AG selbst sexuell belästigt wird,
durch den/die AG dadurch diskriminiert wird, indem er/sie es schuldhaft unterlässt, im Falle einer sexuellen Belästigung durch Dritte (Z 3) eine auf Grund gesetzlicher Bestimmungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder des Arbeitsvertrages angemessene Abhilfe zu schaffen,
durch Dritte in Zusammenhang mit seinem/ ihrem Arbeitsverhältnis belästigt wird oder
durch Dritte außerhalb eines Arbeitsverhältnisses (§ 4) belästigt wird.
[29] 3.1.2. Bei einer sexuellen Belästigung nach § 6 oder einer geschlechtsbezogenen Belästigung nach § 7 GlBG hat die betroffene Person gegenüber dem/der Belästiger/in und im Fall des § 6 Abs 1 Z 2 oder § 7 Abs 1 Z 2 auch gegenüber dem/der AG Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens. Soweit der Nachteil nicht nur in einer Vermögenseinbuße besteht, hat die betroffene Person zum Ausgleich der erlittenen persönlichen Beeinträchtigung Anspruch auf angemessenen, mindestens jedoch auf 1.000 € Schadenersatz (§ 12 Abs 11 GlBG).
[30] 3.2. Nach dieser Gesetzeslage hat die betroffene Person bei einer sexuellen Belästigung nach (dem hier relevanten) § 6 GlBG gegenüber dem Belästiger (dies kann der AG [§ 6 Abs 1 Z 1 GlBG] oder ein Dritter [§ 6 Abs 1 Z 3 und 4 GlBG] sein) und im Fall des § 6 Abs 1 Z 2 GlBG (schuldhaftes Unterlassen der Abhilfe im Fall einer sexuellen Belästigung durch Dritte [§ 6 Abs 1 Z 3 GlBG]) gegenüber dem AG Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens (vgl 8 ObA 132/00w zu § 2a Abs 7 GlBG 1979 idF BGBl I 1998/44). Dazu wird im Schrifttum vertreten, dass es zu einer Kumulation der Schadenersatzbeträge kommt, wenn (Mehrfachtäterschaft) auch der AG der belästigten Person nach § 6 Abs 1 Z 2 GlBG – unabhängig vom Belästiger – haftet, weil er es schuldhaft unterlassen hat, im Falle einer sexuellen Belästigung durch Dritte (§ 6 Abs 1 Z 3 GlBG) angemessene Abhilfe geschaffen zu haben (vgl Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 [2021] § 12 Rz 113; vgl Smutny/Mayr, GlBG [2001] 329 zu den Vorgängerbestimmungen §§ 2, 2a GlBG 1979; Eichinger, Rechtsfragen zum GlBG [1993] 106 f; Mazal in Windisch-Graetz, GlBG2 [2022] § 7 Rz 62d). Der OGH hat dazu bislang noch nicht ausdrücklich Stellung genommen. Dies ist auch im Anlassfall nicht notwendig.
[31] 3.3. Der genannte Fall (Haftung des Belästigers und Haftung des AG nach § 6 Abs 1 Z 2 GlBG) liegt – entgegen der Ansicht der Revisionswerberin, die sich (nur) im Zusammenhang mit der vom Belästiger gesonderten Haftung des AG nach § 6 Abs 1 Z 2 GlBG auf eine richtlinienkonforme Auslegung beruft – hier nicht vor. Die Schadenersatzpflicht der Kl für die Belästigung der Bekl durch F* gründet nicht darauf, dass sie es schuldhaft unterlassen hat, angemessene Abhilfe gegen die sexuellen Belästigungen durch Dritte (§ 6 Abs 1 Z 3 GlBG) geschaffen zu haben (§ 6 Abs 1 Z 2 GlBG), sondern weil sie als AG für die Belästigung des „Seniorchefs“ F* nach § 6 Abs 1 Z 1 GlBG einzustehen hat (9 ObA 19/21s). Unrichtig ist auch, dass der Täter nicht gleichzeitig Dritter und Repräsentant sein kann. Auch Organmitglieder einer juristischen Person sind – soweit es um deren Eigenhaftung geht – im Verhältnis zur belästigten Person Dritte (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1328 ABGB Rz 25).
[32] 3.4. Im Schrifttum wird vertreten, dass im Fall einer solchen „Repräsentantenhaftung“ die juristische Person (die AG) und die natürliche Person, welche die Belästigung ausgeübt hat (und der AG zuzurechnen ist), solidarisch haften (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1328 ABGB Rz 25; Apostol/Hofbauer, Sexuelle Integrität 3. Kapitel Rz 3.21; Tinhofer, Sexuelle Belästigung durch den Geschäftsführer einer GmbH – zugleich eine Besprechung von ASG Wien 25.2.1994, 25 Cga 461/93, RdW 1994, 248 [250]; Bollenberger in Bollenberger [Hrsg], Geschäftsführerhaftung6 [2017] Haftung der Gesellschaft, 70). Diese Rechtsauffassung überzeugt.
[33] 3.5. Ist der AG eine natürliche Person, die belästigt, kann er gem § 6 Abs 1 Z 1 iVm § 12 Abs 11 GlBG in Anspruch genommen werden; es besteht in diesem Fall ein Schaden, der gegen eine Person (nur) einmal geltend gemacht werden kann. Nichts anderes kann gelten, wenn der AG eine juristische Person ist. Die juristische Person kann jedoch nicht selbst handeln, weshalb es hier der Zurechnung bedarf. Die Höhe des Anspruchs auf Ersatz des durch die Belästigung erlittenen Schadens und die erlittene Beeinträchtigung kann jedoch nicht davon abhängen, ob der AG eine juristische Person ist oder eine natürliche. Die von der Belästigung betroffene Person kann daher auch in dem Fall, dass der AG eine juristische Person ist, ihren Schaden nur einmal ersetzt erhalten, auch wenn der Belästiger als natürliche Person (darüber hinaus) für diesen Schaden deliktisch haftet.
[34] 3.6. Auch im allgemeinen Schadenersatzrecht gilt der Grundsatz, dass es nicht zu einer Doppelliquidation des Schadens (auch § 12 Abs 11 GlBG spricht in der Einzahl vom „erlittenen Schaden“) kommen darf (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1328 ABGB Rz 31 mwN; Danzl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch [Hrsg], ABGB: Großkommentar zum ABGB – Klang-Kommentar – §§ 1328- 50 1329 ABGB, Schadenersatz3 [2022] § 1328 ABGB Rz 103). Auch der Geschäftsherr und der ihm nach § 1313a ABGB zurechenbare Gehilfe haften nach allgemeinem Schadenersatzrecht solidarisch (RS0017495 [T9]). Haftet der Geschäftsherr aufgrund der Zurechnung fremden Verschuldens solidarisch mit dem deliktisch Haftenden, muss dies umso mehr gelten, wenn der AG (wie hier) für sein eigenes Verschulden aufgrund der Zurechnung seines Repräsentanten haftet.
[35] 4.1. Liegt ein Titel vor, nach dem mehrere Schuldner eine Forderung zu begleichen haben und ergibt sich aus diesem Titel keine Gesamtforderung, haftet jeder der Schuldner (zu seinen Gunsten) nur anteilig, also nach Kopfanteil (RS0000451). Diese Rsp ist bei getrennten Exekutionstiteln über dieselbe Forderung nicht anzuwenden. Die Exekutionstitel sind in diesem Fall daher im jeweiligen Spruch dem Wortsinn nach auslegungsbedürftig, wozu ausnahmsweise auch die den Entscheidungen beigegebene Begründung herangezogen werden darf (3 Ob 50/21f Rz 14). In der genannten E wurde die Auffassung vertreten, dass „allein die im Spruch des gegen den Sohn ergangenen Bescheids fehlende ausdrückliche Bezugnahme auf die Solidarhaftung daher nicht gegen die behauptete Gesamtschuld spricht, wenn (sonst) unzweifelhaft ist, dass der Sohn als Gesamtschuldner haftet
“ (3 Ob 50/21f Rz 15).
[36] 4.2. Zutreffend weist die Revisionswerberin zwar darauf hin, dass der Spruch der gegen die Kl ergangenen E 9 Ob 19/21f eindeutig ist und nicht iS einer Solidarhaftung gemeinsam mit F* ausgelegt werden kann. Grundsätzlich kann daher aufgrund beider von der Bekl gegen die Kl und F* erwirkten Urteile Exekution auf den gesamten jeweils zugesprochenen Klagsbetrag geführt werden (vgl 3 Ob 255/06f). Der Vorwurf der Revisionswerberin, die Kl hätte im Titelverfahren den Einwand der Solidarhaftung erheben müssen, übersieht, dass ein gegen einen Solidarschuldner ergangenes Urteil nicht auch gegen die Übrigen, nicht am Verfahren beteiligten Solidarschuldner wirkt (vgl RS0017421).
[37] 4.3. Die in der Revision aufgeworfene Frage, ob zum Zeitpunkt des Einbringens der Oppositionsklage durch die Kl die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einwendung nach § 35 EO erfüllt waren, ist für die Beurteilung des von der Kl nach Klagsänderung geltend gemachten Bereicherungsanspruchs nicht mehr relevant. Entscheidend ist dafür, dass jeder Mitschuldner zwar zur ungeteilten Hand dem Gläubiger „für das Ganze“, das ist der dem Gläubiger aus der Forderung insgesamt zustehende Betrag, haftet. Diesen Betrag kann der Gläubiger nach seiner freien Wahl bis zu seiner vollen Befriedigung auch von jedem beliebigen Mitschuldner verlangen, er kann aber auch einzelne oder alle Mitschuldner anteilig in Anspruch nehmen. Wurde der Gläubiger allerdings anteilig befriedigt, werden insofern auch die übrigen Mitschuldner von ihrer Schuld befreit (Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch [Hrsg], Großkommentar zum ABGB – Klang-Kommentar – §§ 888-896 ABGB Gemeinschaft Gläubiger-Schuldner3 [2008] § 891 ABGB Rz 42). Die Verpflichtung der Mitschuldner bleibt daher zwar auch dann aufrecht, wenn bereits einer der Solidarschuldner zur Zahlung des Ganzen verurteilt wurde, weil nicht das Urteil, sondern erst die Erfüllung objektive Wirkung entfaltet (7 Ob 17/10s Pkt 6.2. mwN). Zutreffend führt die Revisionsbeantwortung aus, dass der Gläubiger die Solidarschuld aber nur einmal tatsächlich erhalten kann (RS0017435).
[38] 4.4. Dem steht auch der Umstand, dass die beiden solidarisch Haftenden in getrennten Verfahren belangt wurden und demnach zwei (rechtskräftige) Urteile vorliegen, nicht entgegen. Solidarisch Haftende müssen nicht gemeinsam geklagt werden, da sie keine einheitliche Streitpartei sind (vgl RS0035606), sondern bloß eine materielle Streitgenossenschaft bilden: Einerseits besteht nach materiellem Recht gerade keine Notwendigkeit, alle Gesamtschuldner gemeinschaftlich zu klagen und das Urteil muss nach rechtlichen Gesichtspunkten auch nicht gegenüber allen Solidarschuldnern gleich lauten. Die E in einem Prozess zwischen Gläubiger und Solidarschuldner entfaltet zudem keine Rechtskraft zugunsten oder zu Lasten der am Prozess nicht Beteiligten (Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 891 ABGB Rz 45; RS0017421).
[...]
Die vorliegende E enthält mehrere für die Rechtsdurchsetzung wesentliche Klarstellungen zu Fragen der Leistungskondiktion (Rz 26) sowie der Solidarschuld (Rz 35 ff), die sich auf die bisherige Rsp stützen können. Nachfolgend soll jedoch auf die spezifisch arbeitsrechtlichen (gleichbehandlungsrechtlichen) Aussagen dieser E eingegangen werden.
Zum besseren Verständnis ist zunächst auf die auch vom OGH zitierte „Vorentscheidung“ OGH9 ObA 19/21s (Arb 13.736 = DRdA-infas 2021/177 = EvBl 2021/102 = ARD 6763/5/2021) einzugehen.
In dieser E wurde der dortigen Kl (und im nunmehrigen Verfahren Bekl) ein immaterieller Schadenersatz gegen ihre ehemalige AG aufgrund sexueller Belästigung durch den „Seniorchef“ zugesprochen. Dieser war zwar nicht Organ der AG als juristische Person, jedoch wurde er der Kl schon beim Vorstellungsgespräch im Beisein des handelsrechtlichen Geschäftsführers als eine Person mit leitenden Aufgaben im Unternehmen präsentiert. Er war nahezu täglich im Unternehmen präsent, prüfte die ihm vorgelegten Rechnungen, gab – allenfalls nach Rücksprache mit seinem Sohn – Geld und Rechnungen frei, überprüfte mit dem Salesteam die Lieferungen und trat auch gegenüber Kunden und AN als Geschäftsführer (und AG) auf.
Der OGH knüpfte an seine bisherige Rsp an, wonach eine juristische Person nicht nur für die sexuelle Belästigung durch ihre Vertretungsorgane, 51 sondern auch durch Personen, die kraft ihrer Befugnisse und ihrer Stellung gegenüber den anderen DN als zur selbständigen Ausübung von Unternehmer- und insb AG-Funktionen berechtigt sind. Diese Zurechnungskriterien waren nach Ansicht des OGH im Falle des „Seniorchefs“ erfüllt.
Allgemein ist bei juristischen Personen jeweils das Verhalten der vertretungsbefugten Organe dem/ der AG unmittelbar zurechenbar. Zurechenbar ist weiters das Verhalten von „Machthaber:innen“. Darunter sind physische Personen zu verstehen, die bei einer juristischen Person eine verantwortliche, leitende oder überwachende Funktion ausüben (Koziol/Welser/Kletecka, Bürgerliches Recht I14, Rz 253). Bei Vorliegen einer Vertragsbeziehung (wie bspw im Verhältnis zwischen AG und AN) tritt auch eine Haftung für Erfüllungsgehilf:innen gem § 1313a ABGB hinzu. Der/die AG hat daher für alle Personen einzustehen, die er/sie zur Wahrnehmung der entsprechenden Pflichten gegenüber Bewerber:innen oder AN eingesetzt hat. Die Rsp geht mittlerweile davon aus, dass der/die AG grundsätzlich für das Verhalten von AN, die als Erfüllungsgehilf:innen bei der Erfüllung der Fürsorgepflicht anzusehen sind, gem § 1313a ABGB einzustehen hat (OGH9 ObA 141/09iDRdA 2011/36 [Eypeltauer] = ZAS 2021/16 [M. Mayr]; OGH9 ObA 118/11k Arb 13.040 = DRdA 2013/7 [K. Mayr]).
Nicht ganz so eindeutig ist die Zurechnung bei Belästigungen iSd §§ 6, 7 GlBG, zumal hier zwischen einer Belästigung durch den/die AG selbst (§ 6 Abs 1 Z 1, § 7 Abs 1 Z 1 GlBG) und einer Beläs tigung durch den/die AG dadurch, dass er/sie es schuldhaft unterlässt, im Falle einer sexuellen Belästigung durch Dritte Abhilfe zu schaffen (§ 6 Abs 1 Z 2, § 7 Abs 1 Z 2 GlBG), differenziert wird. Die Frage, für wessen Verhalten der/die AG hier einzustehen hat, wurde in der Literatur unterschiedlich beantwortet (siehe bspw Rebhahn in Rebhahn [Hrsg], GlBG [2005] § 3 Rz 13; Kletecka/Köck in Windisch-Graetz [Hrsg], GlBG2 § 12 Rz 15; Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 § 12 Rz 115; Reischauer in Rummel [Hrsg], ABGB3 § 1328 Rz 25; Majoros, Mobbing [2010] 186; Tinhofer, Sexuelle Belästigung durch den Geschäftsführer einer GmbH – zugleich eine Besprechung von ASG Wien 25 Cga 461/93, RdW 1994, 248).
Der OGH hat zunächst klargestellt, dass Belästigungen durch ein vertretungsbefugtes Organ der juristischen Person unmittelbar zurechenbar sind (OGH 9 ObA 18/08z Arb 12.751 = ZAS 2009/45 [Krömer] = ASoK 2008, 440 = ecolex 2008/353 = ARD 5968/1/2009). Der OGH führte dazu aus, dass es sich beim Verbot der sexuellen Belästigung um eine Konkretisierung der Fürsorgepflicht und um die ausdrückliche Sanktionierung ihrer Verletzung handelt. Im konkreten Fall handelte der belästigende Geschäftsführer nicht nur deliktisch, sondern verletzte durch sein Tun auch die vertragliche Fürsorgepflicht der von ihm vertretenen GmbH, also des/der AG. Die Auffassung, die belästigte Person könne und habe Abhilfe von jenem Organ zu erwarten, das sie belästigt, erscheint allerdings von vornherein nicht Erfolg versprechend. Ein derartiges Verständnis kann dem GlBG nicht unterstellt werden. In einer weiteren E (OGH9 ObA 118/11k Arb 13.040 = DRdA 2013/7 [K. Mayr] = infas 2012 A 43 = ecolex 2012/150 = ARD 6215/4/2012; siehe auch Trattner, Haftung der juristischen Person für sexuelle Belästigung durch das Vertretungsorgan, ASoK 2012, 416) rechnete der OGH auch eine Belästigung durch den „faktischen Geschäftsführer“ dem/ der bekl AG (einer KG) zu. Anknüpfend an seine E 9 ObA 18/08z vom 5.6.2008 hielt der OGH zunächst fest, dass dann, wenn eine juristische Person als AG die vertraglichen Fürsorgepflichten gegenüber ihren AN nicht (nur) durch ihre Organe wahrnimmt, sondern die Erfüllung dieser Pflichten auf Gehilf:innen überträgt, jene Handlungen von Gehilf:innen, die in einem inneren Zusammenhang mit der übertragenen Fürsorgepflicht stehen, dem/ der AG gem § 1313a ABGB zuzurechnen sind. Das trifft zweifellos auf die Verletzung der Pflicht, bei sexueller Belästigung des/der AN Abhilfe zu schaffen, zu. Zur Frage, inwieweit dem/der AG auch die sexuelle Belästigung selbst zurechenbar ist, wenn sie von einer von der/dem AG oder von Vertretungsorganen einer juristischen Person verschiedenen Person vorgenommen wird, zog der OGH seine Rsp zu § 26 Z 4 AngG (Austrittsrecht des/der AN bei Tätlichkeiten, Verletzungen der Sittlichkeit oder erhebliche Ehrverletzungen bzw Verweigerung der Abhilfe) heran. Als DG iS dieser Bestimmung gilt grundsätzlich nur der/die Geschäftsinhaber:in (bei juristischen Personen die vertretungsbefugten Organe), also derjenige/diejenige, der/die die Verantwortung für das gesamte Unternehmen trägt und in der Lage ist, Abhilfe zu schaffen und weitere Ehrverletzungen in Zukunft zu verhindern. Ihm gleichgestellt sind aber jene Personen, die Kraft ihrer Befugnisse und ihrer Stellung gegenüber den anderen DN als zur selbständigen Geschäftsführung berufene Stellvertreter:innen anzusehen sind, also nur solche Personen, die zur selbständigen Ausübung von Unternehmerund insb AG-Funktionen berechtigt sind. Diese E wurde sodann vom OGH in seiner E 9 ObA 66/20a (DRdA-infas 2021/20 = ecolex 2021/120 = ARD 6744/8/202) sowie in der bereits erwähnten E 9 ObA 19/21s (Arb 13.736 = DRdA-infas 2021/177 = EvBl 2021/102 = ARD 6763/5/2021) bestätigt.
Der OGH dürfte somit bei „aktiven“ Belästigungshandlungen für die Zurechnung zu dem/der AG eine Erfüllungsgehilf:innenhaftung gem § 1313a ABGB nicht für ausreichend ansehen, zumal er lediglich Belästigungshandlungen von Personen, die dem/der AG gleichzustellen sind, zurechnet (idS auch Kletecka/Köck in Windisch-Graetz [Hrsg], GlBG2 § 12 Rz 15). Dieses Ergebnis ist nicht zwingend und ergibt sich überdies vorwiegend aus dem Zusammenhang zwischen § 6 Abs 1 Z 1 mit Z 3 GlBG (ebenso § 7 Abs 1 Z 1 mit Z 3 GlBG); dies ändert somit nichts daran, dass der/die AG grundsätzlich für das Verhalten von Erfüllungsgehilf:innen bei Erfüllung der Fürsorgepflicht gem § 1313a ABGB einzustehen hat, womit der Kreis der zurechenbaren Personen außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 6, 7 GlBG weit 52 über „Personen, die zur selbstständigen Ausübung von Unternehmer:innen- und insb AG-Funktionen berechtigt sind
“, hinausgeht.
Im konkreten Fall haftet die AG als juristische Person für das Verhalten des „Seniorchefs“ als ihr zurechenbare Person. Die AG haftet somit gem § 12 Abs 11 iVm § 6 Abs 1 Z 1 GlBG, indem die Belästigung durch den „Seniorchef“ als Belästigung durch die AG anzusehen ist. Davon zu unterscheiden ist eine Haftung wegen schuldhaften Unterlassens der Abhilfe im Falle der sexuellen Belästigung durch Dritte (§ 12 Abs 11 iVm § 6 Abs 1 Z 2 GlBG) – dieser Tatbestand ist nur dann verwirklicht, wenn der/die AG nicht ohnehin wegen eigener Belästigungshandlungen (oder Belästigungshandlungen durch dem/der AG direkt zurechenbare Personen) haftet. Liegt aber eine Belästigung durch den/die AG (bzw durch direkt zurechenbare Personen) vor, muss der/die belästigte AN nicht um Abhilfe ersuchen, um Ansprüche gem § 12 Abs 11 GlBG geltend machen zu können (idS auch OGH 5.6.2008, 9 ObA 18/08z).
Somit kam der OGH konsequenterweise zum Ergebnis, dass es sich – entgegen der Ansicht der hier bekl AN – bei dem Schadenersatzanspruch gegen die AG und den „Seniorchef“ um einen identen Anspruch handelt, den die belästigte AN somit auch nur einmal ersetzt bekommen kann. Die gegenteilige Ansicht würde auf eine „Doppelliquidation“ des Schadens hinauslaufen. ISd vom OGH zitierten Lehrmeinungen zur Repräsentant:innenhaftung sowie der Rsp zu § 1313a ABGB besteht somit im konkreten Fall eine Solidarhaftung von AG (§ 12 Abs 11 iVm § 6 Abs 1 Z 1 GlBG) und „Seniorchef“ (§ 12 Abs 11 iVm § 6 Abs 1 Z 3 GlBG).
Die Frage, ob bzw in welchem Ausmaß es zu einer Kumulation der Haftung von AG und „Dritten“ kommt, war hier somit nicht zu klären. Diese Frage stellt sich nur dann, wenn zur Haftung des/ der Belästiger:in gem § 12 Abs 11 iVm § 6 Abs 1 Z 3 GlBG auch eine Haftung des/der AG gem § 12 Abs 11 iVm § 6 Abs 1 Z 2 GlBG hinzukommt, weil es der/die AG schuldhaft unterlassen hat, Abhilfe zu schaffen. Dies setzt aber voraus, dass der/die Belästiger:in nicht ohnehin selbst AG (oder eine der/ dem AG direkt zurechenbare Person) ist. Nur dann kann es sich um „nicht idente“ Ansprüche handeln, bei denen es zu einer Kumulation kommen kann.
In der Lehre wird beinahe einhellig von einer Kumulation von Schadenersatzansprüchen ausgegangen. Bereits zur „Vorgängerregelung“ (§ 2a Abs 7 GlBG 1979) wurde vertreten, dass bei schuldhafter Unterlassung angemessener Abhilfe vor Belästigungen seitens Dritter die Haftung des/der AG neben die Haftung der belästigenden Person tritt. Beide werden iSd §§ 1301 ff ABGB idR nicht als Mittäter:innen, sondern als Nebentäter:innen anzusehen sein, zuordenbare Vermögens- und ideelle Schäden wären somit von dem/der entsprechenden Verursacher:in zu ersetzen, nicht sicher zuordenbare wären von beiden Täter:innen solidarisch zu tragen sein. Der „Mindestschadenersatz“ wird im Ergebnis selbst in jenen Fällen, in denen Solidarhaftung eintritt, zu bejahen sein, da das Gesetz selbst Schadenersatz für beide Tatbestandshandlungen vorsieht und die Abgeltung jeder – wenn auch geringfügigen Persönlichkeitsverletzung – mit (damals) mindestens ATS 5.000,– bemisst (Smutny/Mayr, GlBG [2001] 329 f; im Ergebnis auch Eichinger, Rechtsfragen zum GlBG [1993] 106 f). Daran anknüpfend wird auch für § 12 Abs 11 GlBG eine Kumulation der Schadenersatzbeträge vertreten, da Belästiger:in und AG unabhängig voneinander haften (Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 [2021] § 12 Rz 113; für die Möglichkeit einer Kumulation auch Mazal in Windisch-Graetz [Hrsg], GlBG2 [2022] § 7 Rz 62d). Nach Purtscher (Kein „doppelter“ Schadenersatz nach sexueller Belästigung, Anm zu OGH9 ObA 79/23t EvBl 2024/189) käme eine Kumulation nur dann in Betracht, wenn man von zwei unabhängigen Schäden ausginge, die durch die Belästigung einerseits und die unterlassene Abhilfe andererseits entstehen. Dagegen spreche, dass der zweite Nachteil ohne den ersten nicht denkbar wäre und überdies nach der Judikatur mehrere Belästigungen eines/einer einzigen Täter:in nicht gesondert zu kompensieren sind.
Richtig ist, dass es auch bei einer Mehrfachtäterschaft nicht zu einer „Doppelliquidierung“ eines einzigen Schadens kommen darf. Gerade beim ideellen Schadenersatz nach dem GlBG stellt sich jedoch die Frage, was konkret dieser „Schaden“ ist und wie dieser bemessen werden soll. Anhaltspunkte, wie etwa durch medizinische Sachverständigengutachten festzustellende „Schmerzperioden“ (welche die Festsetzung des gem § 1325 ABGB im Falle einer Körperverletzung zu ersetzenden Schmerzengeldes wesentlich erleichtern) fehlen hier. Nach der Rsp ist der durch eine (sexuelle) Belästigung verursachte immaterielle Schaden im Wege einer Globalbemessung für die durch die (fortgesetzte) Belästigung geschaffene Situation in ihrer Gesamtheit – und nicht für jede einzelne Beläs tigungshandlung gesondert – nach den auch sonst im Schadenersatzrecht angewandten Grundsätzen auszumessen (OGH9 ObA 18/018z Arb 12.751 = ZAS 2009/495 [Krömer]). Bei der Bemessung ist insb auf die Dauer der Diskriminierung und die Erheblichkeit der Beeinträchtigung Bedacht zu nehmen (OGH9 ObA 66/20aDRdA-infas 2021/20), wobei der Entschädigung für den immateriellen Schaden nach dem expliziten gesetzlichen Auftrag des § 12 Abs 14 GlBG auch präventive Funktion zuzukommen hat (OGH9 ObA 87/15g Arb 13.252 = DRdA 2016/24 [Mayr] = ASoK 2016, 113 [Braun]). Dass es hier aufgrund der Verwirklichung zweier unterschiedlicher Haftungstatbestände auch zu einer Kumulierung von Ersatzansprüchen kommen kann, erscheint durchaus nachvollziehbar. Gerade beim „Mindestschadenersatz“ sprechen mE die überwiegenden Argumente für eine solche Kumulation, zumal dieser der Bagatellisierung sexueller Belästigungen entgegenwirken soll (OGH8 ObA 188/98z,
[Eichinger]). 53