30

Spezielles Blutdruckmessgerät ist ein Heilbehelf

FELIXSCHÖRGHOFER (WIEN)
  1. Das ASVG unterscheidet deutlich zwischen Leistungen, die im Krankheitsfall erbracht werden (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) und Leistungen bei körperlichen Gebrechen (Hilfsmittel). Die Unterscheidung ist danach zu treffen, ob die Leistung dem Heilungszweck dient oder erst nach Abschluss des Heilungsprozesses zum Einsatz kommt.

  2. Von den Heilmitteln sind die Heilbehelfe zu unterscheiden. Alle Heilmittel, auch sonstige Heilmittel, erfordern eine Einwirkung auf den Körper.

  3. Ein Blutdruckmessgerät wirkt nicht auf den Körper ein. Es dient im gegenständlichen Fall lediglich dazu, den Blutdruck zu messen, um in der Folge die notwendigen Medikamente richtig dosieren zu können. Das Blutdruckmessgerät stellt daher schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch lediglich einen „Behelf“ dar. Es ist daher als Heilbehelf zu qualifizieren.

Der am 25.9.2009 geborene Sohn der Kl K leidet an einer angeborenen polyzystischen Nierendegeneration, Kavernom rechts, Parieto re occipital und St.p. Pyelonephrititis mit Urosepsis. Diese Erkrankung erfordert eine laufende Überwachung und Messung des Blutdrucks, um die Verabreichung von Medikamenten dosieren zu können. Bei einem Kleinkind wie dem Sohn der Kl ist die Verwendung von herkömmlichen Blutdruckmessgeräten nicht möglich. Der den Sohn der Kl behandelnde Arzt verschrieb daher am 3.3.2010 ein Blutdruckmessgerät „Dinamap RR“, mit dem auch beim Kleinkind der Blutdruck gemessen werden kann. Dieses Blutdruckmessgerät war zur Behandlung des Sohnes der Kl zweckmäßig bzw ausreichend und überstieg nicht das Maß des Notwendigen. Das Erfordernis der Verwendung dieses Blutdruckmessgeräts ist auch derzeit noch aufrecht und wird auch in der Zukunft solange weiter bestehen, bis aufgrund des Wachstums des Sohnes der Kl ein herkömmliches Blutdruckmessgerät eingesetzt werden kann.

Nach der ärztlichen Verordnung des Blutdruckmessgeräts für ihren Sohn im März 2010 entschied sich die Kl, das Gerät im Hinblick auf die Höhe der Anschaffungskosten von ca 3.200 € nicht zu kaufen, sondern zu mieten. Dafür fielen für den Zeitraum vom 11.3.2010 bis 31.3.2011 Mietkosten in Höhe von 2.173,32 € (inklusive 20 % USt) an. Aufgrund eines Ansuchens der Kl leistete die Bekl im Jahr 2010 einen Zuschuss in Höhe von 411 €, sodass von der Kl letztlich Kosten in Höhe von 1.762,32 € selbst zu zahlen waren. Aufgrund der dringenden Empfehlung des behandelnden Arztes mietete die Kl aufgrund einer Verordnung dieses Arztes ab 12.8.2011 neuerlich ein solches Blutdruckmessgerät, wofür wiederum Kosten anfallen werden, welche von der Kl jedoch bisher noch nicht zu bezahlen waren.

Die bekl Gebietskrankenkasse sprach mit Bescheid vom 16.6.2011 aus, dass der Kl für das für ihren Sohn am 3.3.2010 ärztlich verordnete Blutdruckmessgerät der satzungsmäßige Höchstzuschuss von 411 € bewilligt worden sei und ein darüber hinausgehender Kostenzuschuss abgelehnt werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren auf Feststellung, dass die Bekl der Kl die bisher entstandenen und die für die Dauer der ärztlichen Verordnung noch entstehenden Mietkosten für das verordnete Blutdruckmessgerät zu ersetzen habe. Hilfsweise wurde ein Zahlungsbegehren über 1.762,32 € für die bisher entstandenen Mietkosten des Blutdruckmessgeräts und ein weiteres Feststellungsbegehren hinsichtlich der ab 31.3.2011 noch entstehenden (weiteren) Mietkosten gestellt. [...]

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den bereits eingangs wiedergegebenen Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht im Ergebnis dahin, dass das Blutdruckmessgerät einen Heilbehelf darstelle, weshalb der sich aus § 137 Abs 5 ASVG iVm § 28 Abs 1 Z 1 der Satzung der Bekl ergebende Höchstbetrag von 411 € nicht überschritten werden dürfe. Da sich das Klagebegehren nur auf einen darüber hinausgehenden Betrag richte, sei es nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kl keine Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass es sich beim Blutdruckmessgerät um einen Heilbehelf iSd § 137 ASVG und nicht um ein Heilmittel iSd § 136 ASVG handle. Durch dieses Gerät werde keine Heilung iS einer Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder Sicherung des Heilerfolgs herbeigeführt, sondern es werde damit die eigentliche Heilbehandlung (durch die Feststellung des Blutdrucks zur exakten Dosierung der erforderlichen Medikation) nur vorbereitet. Das Blutdruckmessgerät erfülle daher nur eine Hilfsfunktion des Heilerfolgs, sodass es als Heilbehelf iSd § 137 ASVG zu qualifizieren sei. [...]

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage, ob ein spezielles Blutdruckmessgerät für Kleinkinder zur Feststellung der Dosierung einer erforderlichen Medikation als Heilmittel iSd § 136 ASVG oder als Heilbehelf iSd § 137 ASVG zu beurteilen sei, noch keine Rsp des OGH vorliege.

Gegen diese E richtet sich die Revision der Kl wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils iS einer Stattgebung des Hauptbegehrens, in eventu des Eventualbegehrens.

Die Bekl beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Kl zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Kl macht in ihrem Rechtsmittel im Wesentlichen geltend, das Blutdruckmessgerät sei ein sonstiges Heilmittel iSd § 136 Abs 1 lit b ASVG, weil es zur Dosierung der Medikamente unabdingbar notwendig sei. Die korrekte Messung des Blutdrucks sei notwendiger Bestandteil der heilenden Wirkung und diene317 somit der Sicherung des Heilerfolgs. Nach der Rsp sei das Vorliegen eines „sonstigen“ Heilmittels nicht ausgeschlossen, wenn es nicht unmittelbar am Körper appliziert werde. Nach dem maßgebenden Zweck der gesetzlichen Regelung umfasse die abstrakte Definition der sonstigen Heilmittel in § 136 Abs 1 lit b ASVG auch ein für die richtige Dosierung eines Medikaments unabdingbar notwendiges Blutdruckmessgerät. Als Alternative käme nur eine wesentlich teurere Heilbehandlung in einem Krankenhaus, welches über die notwendigen Messgeräte verfüge, in Betracht. Das ASVG wäre lückenhaft, wenn der Krankenversicherungsträger nicht verpflichtet wäre, zur Krankenbehandlung aus medizinischer Sicht unverzichtbare Geräte zur Verfügung zu stellen bzw diese Kosten zu ersetzen. In diesem Fall müsste geprüft werden, ob das ASVG den Grundrechten und der Verfassung genüge.

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

1. Die Krankenbehandlung umfasst gem § 133 Abs 1 ASVG ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe. Voraussetzung für das Gebühren von Leistungen der Krankenbehandlung ist das Vorliegen einer Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn. Krankheit ist ein regelwidriger Körper oder Geisteszustand, der eine Krankenbehandlung notwendig macht (§ 120 Abs 1 Z 1 ASVG). Die Heilmittel umfassen nach § 136 ASVG die notwendigen Arzneien (lit a) und die sonstigen Mittel, die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur Sicherung des Heilerfolgs dienen (lit b). § 137 ASVG regelt die Versorgung mit Heilbehelfen, ohne diesen Begriff jedoch näher zu definieren. Das Gesetz nennt nur beispielsweise Brillen, orthopädische Schuheinlagen und Bruchbänder. § 154 ASVG regelt die Versorgung mit Hilfsmitteln bei körperlichen Gebrechen. Hilfsmittel sind Gegenstände oder Vorrichtungen, die geeignet sind, die Funktion fehlender oder unzulänglicher Körperteile zu übernehmen oder die mit einer Verstümmelung, Verunstaltung oder einem Gebrechen verbundene körperliche oder psychische Beeinträchtigung zu mildern oder zu beseitigen.

2. Das ASVG unterscheidet somit deutlich zwischen Leistungen, die im Krankheitsfall erbracht werden (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) und Leistungen bei körperlichen Gebrechen (Hilfsmittel). In diesem Sinne ist daher die Unterscheidung zwischen Heilbehelfen (§ 137 ASVG) und Hilfsmitteln (§ 154 ASVG) nach stRsp und hL danach zu treffen, ob der Behelf (im konkreten Anwendungsfall) dem Heilungszweck dient (Heilbehelf) oder ob er erst nach Abschluss des Heilungsprozesses (als Hilfsmittel) zum Einsatz kommt (vgl Binder in

Tomandl
, SV-System, 21. Erg-Lfg 244; RIS-Justiz RS0109537 ua).

3. Im vorliegenden Fall ist zwischen den Parteien nicht strittig, dass das Blutdruckmessgerät aufgrund bestehender Krankheit (und nicht eines Gebrechens) des Sohnes der Kl verordnet wurde und daher Zwecken der Krankenbehandlung dient. Strittig ist lediglich die Frage, ob das Blutdruckmessgerät als Heilmittel (§ 136 ASVG) oder als Heilbehelf (§ 137 ASVG) zu qualifizieren ist.

3.1 Heilmittel sind nach der Rsp (vgl RIS-Justiz RS0083917) die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur Sicherung des Heilerfolgs dienenden Mittel einschließlich gewisser – außerhalb der ärztlichen Tätigkeit liegender – äußerlicher Einwirkungen auf den (menschlichen) Körper. Das Kernstück der Heilmittel bilden Arzneien. Das sind Mittel, die im Wesentlichen auf den inneren Organismus wirken, indem sie diesem in geeigneter Weise zugeführt werden oder örtliche Erkrankungen der Haut oder Schleimhäute beeinflussen (RIS-Justiz RS0083921). Die „sonstigen Heilmittel“ iSd § 136 Abs 1 lit b ASVG umfassen die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder der Sicherung des Heilerfolgs dienenden anderweitigen Mittel einschließlich Verbandmittel und Verbandstoffe sowie äußerliche Einwirkungen auf den Körper wie Einreiben, Massieren, Elektrotherapie, Diathermie, Elektroschock, alle balneologischen und hydrotherapeutischen Maßnahmen, die nicht den Besuch eines eigenen Kurortes bedingen. Es sind also jene Heilmittel, die keine notwendigen Arzneien sind, aber wie diese zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit oder zur Sicherung des Heilerfolgs dienen (10 ObS 52/96, SSV-NF 10/30 = ZAS 1998/3, 42 [Offenberger] =

ua; RIS-Justiz RS0083917; Teschner/Pöltner, MGA-ASVG 116. Erg-Lfg Anm 2 zu § 136 ua).

3.2 Von den Heilmitteln sind die Heilbehelfe (§ 137 ASVG) zu unterscheiden. Die Bestimmung des § 137 ASVG bietet keine Definition der „Heilbehelfe“, sondern begnügt sich mit einer beispielsweisen Aufzählung (Brillen, orthopädische Schuheinlagen und Bruchbänder). Es ist daher nach der Rsp jeweils zu prüfen, ob ein bestimmtes, dem Versicherten verordnetes Mittel dem Sprachgebrauch nach einen „Behelf“ darstellt und den gesetzlichen Beispielen zwanglos zugeordnet werden kann. Auch hier sind aber nur solche Behelfe gemeint, die der Heilung, Linderung oder Verhütung von Verschlimmerungen der Krankheit dienen (vgl Schober in

Sonntag
, ASVG3 § 137 Rz 1 mwN; RIS-Justiz RS0109536).

4. Wie bereits zu Pkt 3.1 dargelegt wurde, erfordern auch die sonstigen Heilmittel iSd § 136 Abs 1 lit b ASVG eine Einwirkung auf den Körper. Das Blutdruckmessgerät wirkt nach den zutreffenden Ausführungen der Bekl in ihrer Revisionsbeantwortung jedoch nicht auf den Körper des Sohnes der Kl ein, sondern dient lediglich dazu, dessen Blutdruck zu messen, um in der Folge die notwendigen Medikamente richtig dosieren zu können. Es ist somit Sinn und Zweck des Gerätes, die eigentliche Medikation zu fördern und vorzubereiten. Das Blutdruckmessgerät stellt daher im gegenständlichen Fall schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch lediglich einen „Behelf“ dar, welcher der eigentlichen Medikation unterstützend dient. Das Blutdruckmessgerät des Sohnes der Kl wurde daher von den Vorinstanzen zutreffend als Heilbehelf iSd § 137 ASVG und nicht als sonstiges Heilmittel iSd § 136 Abs 1 lit b ASVG qualifiziert.

5. Soweit die Revisionswerberin gegen diese Beurteilung ins Treffen führt, dass die korrekte Messung des Blutdrucks notwendiger Bestandteil der heilenden Wirkung der Medikamente sei und somit eindeutig der Sicherung des Heilerfolgs diene, ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob das Blutdruckmessgerät dem Heilungszweck dient, für die hier ohnedies nicht strittige Frage der Abgrenzung zwischen Heilmittel318 und Heilbehelfen einerseits und Hilfsmittel bei körperlichen Gebrechen andererseits relevant ist. Während die Gewährung von Heilmitteln und Heilbehelfen im Rahmen der Krankenbehandlung dem Heilungszweck dient, kommt die Gewährung eines Hilfsmittels bei körperlichen Gebrechen nach der bereits zitierten stRsp erst nach Abschluss des Heilungsprozesses in Betracht.

5.1 Die von der Revisionswerberin für ihren Rechtsstandpunkt zitierte E 10 ObS 311/00h (= SSV-NF 14/145) hatte, wie auch die Revisionswerberin selbst einräumt, die Frage der Eignung eines Thermalbades als sonstiges Heilmittel und die Abgrenzung von Sachmitteln, die dem Bereich der allgemeinen Lebensführung zuzurechnen sind, zum Gegenstand. Die Revisionswerberin kann sich aber auch nicht mit Erfolg auf die weiters von ihr zitierte E 10 ObS 52/96 (= SSV-NF 10/30) berufen, da in dieser E lediglich ausgesprochen wurde, dass es sich bei dem damals ärztlich verschriebenen und injizierten Medikament Ukrain jedenfalls der Art nach um eine Arznei und nicht um ein sonstiges Heilmittel gehandelt habe. Soweit die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang inhaltlich ganz offensichtlich auf die E 10 ObS 62/89 (= SSV-NF 3/68), in der bei einer an Hausstaubmilbenallergie leidenden Kl ein Desinfektionsmittel für Einrichtungsgegenstände als sonstiges Heilmittel anerkannt wurde, Bezug nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass dieses Desinfektionsmittel zwar nicht am oder im menschlichen Körper angewendet wird, es jedoch die krankheitsverursachenden Hausstaubmilben abtötet und insofern eine Einwirkung auf den Körper erfolgt.

5.2 Die von der Revisionswerberin weiters relevierte Frage, ob ihr Sohn alternativ zur Verwendung des Blutdruckmessgeräts im Krankenhaus behandelt werden müsste, ist für die hier allein strittige Frage der Abgrenzung von Heilmittel und Heilbehelf nicht entscheidend.

6. In der Lehre wird zur Frage der Abgrenzung zwischen Heilmitteln und Heilbehelfen auch teilweise die Auffassung vertreten, dass als Heilmittel jene Sachmittel anzusehen seien, deren Gebrauch gleichzeitig ihr Verbrauch sei, als Heilbehelfe hingegen jene durch den Heilzweck geprägten Sachmittel, deren bestimmungsgemäßer Gebrauch nicht im Verbrauch liegt (vgl Naderhirn in der Entscheidungsbesprechung in DRdA 2004/22, 263 mwN). Auch nach dieser Auffassung wäre das gegenständliche Blutdruckmessgerät als Heilbehelf iSd § 137 ASVG zu qualifizieren.

7. Die Bekl, die nach § 137 Abs 1 ASVG dem Versicherten für sich und seine Angehörigen sonstige notwendige Heilbehelfe in einfacher und zweckentsprechender Ausführung nach Maßgabe der weiteren Absätze dieser Gesetzesstelle zu gewähren hat, hat der Kl den ihr nach der Satzung der Bekl zustehenden Höchstbetrag in der unstrittigen Höhe von 411 € (§ 137 Abs 5 ASVG iVm § 28 Abs 1 Z 1 der Satzung) bereits ausbezahlt, weshalb die Kl nach § 137 ASVG keinen Anspruch auf Übernahme höherer Kosten durch den bekl Versicherungsträger hat.

8. Wenn die Revisionswerberin gegen dieses Ergebnis schließlich noch ins Treffen führt, das ASVG sei lückenhaft, wenn der Krankenversicherungsträger nicht verpflichtet sei, zur Krankenbehandlung aus medizinischer Sicht unverzichtbare Geräte zur Verfügung zu stellen bzw diese Kosten zu ersetzen, und es müsse daher in diesem Fall geprüft werden, ob das ASVG den Grundrechten und der Verfassung genüge, ist ihr entgegenzuhalten, dass die KV nach stRsp nicht verpflichtet ist, dem Versicherten alle denkbaren und medizinisch möglichen Leistungen als Sachleistungen ohne Zuzahlungen zu erbringen (vgl 10 ObS 231/03y, SSV-NF 17/116 mit Nachweisen aus der Rsp des VfGH).

Der Revision musste daher ein Erfolg versagt bleiben. [...]

Anmerkung

In der vorliegenden E geht es um die Reichweite der Kostentragung des Krankenversicherungsträgers für ein spezielles Blutdruckmessgerät. Im Ergebnis muss die Kl für die Behandlung ihres mitversicherten Kindes voraussichtlich mehrere tausend Euro selber zahlen. Das, obwohl es sich unstrittig um eine Krankenbehandlung im Rahmen des Leistungsspektrums des ASVG handelt. Diese Behandlung kann auch grundsätzlich nicht ohne das Blutdruckmessgerät durchgeführt werden. Es gibt also durchaus Anlass, das Ergebnis des OGH zu hinterfragen. Entscheidungsrelevant ist die Qualifikation des Blutdruckmessgerätes entweder als Hilfsmittel oder als Teil der Krankenbehandlung. Innerhalb der Krankenbehandlung muss wiederum zwischen Heilmittel und Heilbehelf unterschieden werden.

1
Krankenbehandlung oder Hilfsmittel?

Vorab schließt der OGH § 154 ASVG als Anspruchsgrundlage aus. Darin ist der Anspruch auf Hilfsmittel geregelt, die nicht der Heilung einer Krankheit dienen, sondern nur bestehende gesundheitliche Beeinträchtigungen (Gebrechen) mindern sollen. Das geforderte Blutdruckmessgerät unterstützt unzweifelhaft den Heilungsprozess und fällt daher unter das Leistungsangebot bei Krankenbehandlung (§ 133 ASVG).

2
Heilmittel oder Heilbehelf?

Innerhalb des Leistungsspektrums der Krankenbehandlung ist im Anlassfall die Unterscheidung zwischen Heilbehelf (§ 137 ASVG) und Heilmittel, insb sonstigen Heilmitteln (§ 136 Abs 1 lit b ASVG) entscheidungsrelevant. Wichtig ist diese Unterscheidung, weil die Kosten von Heilbehelfen von den Krankenversicherungsträgern nur sehr eingeschränkt übernommen werden. Der OGH qualifiziert das Blutdruckmessgerät als Heilbehelf (§ 137 ASVG). Der Gesetzgeber definiert weder den Begriff des Heilbehelfes, noch den der sonstigen Heilmittel näher. Von Lehre und Rsp wurden mehrere Prüfkriterien zur Unterscheidung entwickelt (vgl ausführlich Felten in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm [2013] § 137 ASVG). Die vorliegende E bietet einen Überblick über die verschiedenen Thesen.

Zu prüfen sei demnach, ob der jeweilige Gegenstand nach dem Sprachgebrauch einen „Behelf“ darstellen kann, der OGH führt diese Überlegung in der319 Folge aber nicht näher aus. Zur Konkretisierung des Begriffes „Heilbehelf“ wird außerdem an die demonstrative Aufzählung der Heilbehelfe in § 137 Abs 1 ASVG angeknüpft (Brillen, orthopädische Schuheinlagen, Bruchbänder und [Abs 2a] Kontaktlinsen). Der zu prüfende Gegenstand müsse sich diesen Beispielen „zwanglos zuordnen“ lassen. Dagegen bestehen allerdings zwei Bedenken. Erstens diente die Aufzählung in Abs 1 zumindest in der Stammfassung des ASVG (BGBl 1955/189) nicht zur Konkretisierung des Begriffes des Heilbehelfes durch Nennung typischer Beispiele. Vielmehr waren diese drei Behelfe eine Sondergruppe, weil nur diese ohne Einschränkung gewährt wurden, bei den „sonstigen“ Heilbehelfen war bereits damals eine Höchstgrenze in der Satzung erlaubt. Diese Unterscheidung wurde erst 1981 aufgehoben (BGBl 1981/588). Zweitens sind Brillen nicht der typische Fall einer Leistung zur Krankenbehandlung. Sie beeinflussen nur in wenigen Fällen die Fehlsichtigkeit und wären daher grundsätzlich eher den Hilfsmitteln zuzuordnen. Zwar kann man diesen scheinbaren Widerspruch durch eine weite Interpretation des Krankheitsbegriffes lösen (Binder in

Tomandl
[Hrsg], System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 207), trotzdem verliert die Aufzählung in § 137 Abs 1 ASVG durch diese Unstimmigkeit mE viel an Beispielcharakter.

Der OGH erwähnt auch die These, bei Heilbehelfen, im Gegensatz zu Heilmitteln, bestünde der bestimmungsgemäße Gebrauch nicht im Verbrauch (Mazal, Krankheitsbegriff und Risikoabgrenzung [1992] 303 f). Gegen diese These spricht § 137 Abs 3 ASVG, aus dem abgeleitet werden kann, dass auch Sachmittel, die nur einmal verwendet werden können, grundsätzlich vom Begriff des Heilbehelfs erfasst sind. Risak (ZAS 1999/5) sieht darin kein Hindernis für die Unterscheidung zwischen Gebrauch und Verbrauch. Man muss „Verbrauch“ dann aber als „in der Wirkung selbst liegenden Vernichtung des Sachmittels“ verstehen (Mazal, aaO 304). Die Unterscheidung kann daher nur danach getroffen werden, ob der Gegenstand nach der Verwendung untergeht (Heilmittel) oder bloß für eine weitere Verwendung unbrauchbar wird (Heilbehelf). Die Sinnhaftigkeit dieser Differenzierung ist zweifelhaft. Hintergrund dieser These zur Unterscheidung zwischen Heilmitteln und Heilbehelfen war, dass sich die beiden Gruppen nach dem Willen des Gesetzgebers in der Gebrauchsdauer unterscheiden sollen (Mazal, aaO 303). Für die Gebrauchsdauer ist es aber unerheblich, ob sie wegen Vernichtung oder wegen sonstiger Unbrauchbarkeit des Gegenstandes endet.

Von den dargestellten Unterscheidungskriterien bleibt im Ergebnis daher nur die folgende These übrig, die auch für den OGH im Mittelpunkt der Prüfung steht: Zu prüfen sei, ob das Sachmittel auf den Körper einwirkt. Bei Heilmitteln sei dies der Fall, bei Heilbehelfen dagegen nicht. Das Blutdruckmessgerät wirke nicht auf den Körper ein und sei daher als Heilbehelf zu qualifizieren. Felten (aaO § 137 Rz 6) verbindet diese These mit dem Wortlaut des Gesetzes: Heilmittel würden „unmittelbare Wirkung entfalten“, Heilbehelfe hätten demgegenüber nur eine „mittelbare, bloß unterstützende Funktion“. Tatsächlich versteht der Duden unter einem Behelf „etwas, womit man sich in Ermangelung eines Besseren behelfen muss“.

In der Folge stellt sich allerdings die Frage, wann ein Mittel auf den Körper einwirkt. Im Urteil findet sich ein Hinweis, wie der OGH dies versteht. Er hält nämlich eine frühere E für vereinbar mit dieser Abgrenzung: Danach stellt ein Desinfektionsmittel, das auf Einrichtungsgegenständen angewandt wird, ein sonstiges Heilmittel dar (OGH10 ObS 62/89ZAS 1999/22 [Mazal]). Der OGH begründet dies damit, dass auch das Desinfektionsmittel auf den Körper einwirke, indem es Hausstaubmilben abtötet (krit Rebhahn in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 136 ASVG Rz 110). Fragwürdig erscheint diese Aussage, wenn man bedenkt, dass in § 137 ASVG orthopädische Schuheinlagen als Heilbehelfe bezeichnet werden. Wirkt ein Desinfektionsmittel, das auf Einrichtungsgegenstände angewandt wird, wirklich mehr auf den Körper ein als eine Schuheinlage oder die ebenfalls in § 137 ASVG genannten Bruchbänder? Die Lösung kann nur darin liegen, dass nach Meinung des OGH eine rein „mechanische“ Beeinflussung des Körpers, wie eben durch Schuheinlagen oder Bruchbänder, kein „Einwirken“ auf den Körper darstellt.

Das Abstellen auf das Einwirken auf den Körper entspricht zwar am besten dem Wortlaut, bleibt aber unbefriedigend, weil auch dadurch nicht die Frage beantwortet wird, warum das ASVG überhaupt zwischen Heilmitteln und Heilbehelfen differenziert. Bei der Interpretation des Begriffes des Heilbehelfes wurden teleologische Argumente, soweit zu sehen, kaum vorgebracht. Da die Kosten bei Heilbehelfen nur eingeschränkt übernommen werden, ist klar, dass dadurch eine Kostenersparnis erreicht werden soll. Aber warum gerade nur bei Heilbehelfen? Zu bedenken ist, dass nicht nur bei Heilmitteln, sondern auch bei Heilbehelfen die Möglichkeit besteht, die Angebotsseite zu kontrollieren. Geschehen ist das bezüglich des Angebots von Heilbehelfen etwa gem § 348a Abs 3 ASVG im Apothekergesamtvertrag (Anlage III), aber auch gem § 349 Abs 3 ASVG mit anderen Berufsgruppen, die Heilbehelfe anbieten (vgl Karl/Marko, Sind Zuzahlungsverbote in Gesamtverträgen zulässig? in

Karl
[Hrsg], Jahrbuch Sozialversicherungsrecht [2008] 85).

Die unterschiedliche Kostentragung von Heilmitteln und Heilbehelfen kann auch nicht mit der unterschiedlichen Bedeutung für die Krankenbehandlung begründet werden. Im Anlassfall konnte ohne die Blutdruckmessung auch die Arznei nicht eingesetzt werden. Die Behandlung war also ebenso vom Heilmittel wie von der Blutdruckmessung abhängig. Die Kl beruft sich auf diesen Zusammenhang von Arznei und Blutdruckmessung. Auch Mazal (aaO 304) hat vorgeschlagen, dass Sachmittel, die grundsätzlich als Heilbehelf qualifiziert werden müssten, dann als Heilmittel gelten sollen, wenn sie zwingend zur Anwendung von Heilmitteln benötigt werden. Der OGH folgt diesem Argument nicht. Die Unterscheidung zwischen Heilmitteln und Heilbehelfen muss im Ergebnis wohl als mehr oder weniger willkürliche Kategorienbildung des Gesetzgebers akzeptiert werden.

Die Kl weist in ihrem Begehren auch auf die Alternative der Blutdruckmessung in einer Krankenanstalt320 hin. In vielen Fällen wäre wohl auch eine Blutdruckmessung durch eine/n niedergelassene/n Arzt/Ärztin möglich. Beides wäre für den/die PatientInnen zwar mit mehr Aufwand, aber dafür wahrscheinlich mit geringeren Kosten verbunden als die selbständige Blutdruckmessung, weil er/sie dann nicht den Großteil der Kosten für das Messgerät tragen muss. Der OGH geht darauf nicht ein. Tatsächlich ist die Argumentation der Kl wenig aussichtsreich, zumindest wenn damit ein Anspruch auf Anstaltspflege gemeint war. Unstrittig besteht ein Anspruch auf Anstaltspflege erst, wenn die ambulante Behandlung nicht mehr ausreicht (RS0106685). Im Anlassfall war die Behandlung außerhalb einer Krankenanstalt durch die selbständige Blutdruckmessung aber möglich, wenngleich nur unter erheblicher finanzieller Belastung für die Kl. Es besteht daher kein Anspruch auf Anstaltspflege.

Vor der Erfindung digitaler Blutdruckmessgeräte bestand aber wohl noch ein Anspruch auf regelmäßige Blutdruckmessung durch medizinisches Personal. Wenn man (vorbehaltlich einer genaueren Untersuchung) unterstellt, dass es nun auch keinen Anspruch mehr auf regelmäßige Blutdruckmessung durch niedergelassene ÄrztInnen gibt, ist die Blutdruckmessung durch den technischen Fortschritt innerhalb des Leistungskataloges der KV von der ärztlichen Hilfe oder Anstaltspflege zum Anspruch auf Heilbehelfe gewandert. Durch die technische Entwicklung ist daher eine Verschiebung der Kosten auf die Versicherten erfolgt, weil die Leistungen der KV bei Heilbehelfen geringer sind.

Bei der Schaffung des Begriffes des Heilbehelfs konnte diese Entwicklung nicht vorhergesehen werden. Der Begriff des Behelfs ist schon alt, er existierte bereits vor der Übernahme in die Stammfassung des ASVG (Mazal, aaO 288). Bei der Einführung des Begriffes des Heilbehelfes hat der Gesetzgeber möglicherweise nicht an sehr teure Geräte gedacht. Dafür könnte sprechen, dass den Versicherungsträgern vom Gesetzgeber bei der Leistung von Hilfsmitteln teilweise ein höherer Höchstbetrag (das 25-fache der Höchstbeitragsgrundlage) eingeräumt wird, als bei Heilbehelfen (das 10-fache der Höchstbeitragsgrundlage). Außerdem wäre es sonst naheliegend gewesen, beim Anspruch auf Heilbehelfe nicht nur eine teilweise Befreiung vom Selbstbehalt vorzusehen (§ 137 Abs 4 ASVG), sondern auch von den Höchstbeträgen.

Die gegenständliche E des OGH bietet durchaus Anlass, die Sinnhaftigkeit der gesetzlichen Unterscheidung zwischen Heilmitteln und Heilbehelfen zu überdenken. Das gilt insb für Heilbehelfe, die, wie im Anlassfall, in untrennbarem Zusammenhang mit der Anwendung von Heilmitteln stehen.