4Stimmzettel mit zweifelhaften Wählerwillen bei (vereinfachter) Betriebsratswahl
Stimmzettel mit zweifelhaften Wählerwillen bei (vereinfachter) Betriebsratswahl
Es macht einen Unterschied, ob der Wähler selbst durch das Ausfüllen des Wahlvorschlags seinen Willen zum Ausdruck bringt oder sich dieser Wahlvorschlag bereits auf dem einheitlichen Stimmzettel befindet, aber nicht angekreuzt wird. Die [vom Wahlvorstand durch Nichtbeachtung dieses Unterschieds] bewirkte mangelhafte Auszählung des Wahlergebnisses stellt einen Anfechtungsgrund dar, der aber nach § 59 Abs 2 ArbVG nur den AN selbst bzw anderen wahlwerbenden Gruppen offensteht, nicht aber dem Betriebsinhaber.
Zur Anfechtung der Wahl wegen Nichtigkeit können nur solche Mängel berechtigen, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit so schwerwiegend sind, dass der betreffende Vorgang „nicht einmal die Merkmale einer Wahl aufweist“ und deshalb nur als „Zerrbild“ einer Wahl bezeichnet werden kann. Bei einer Gesamtbewertung mehrerer Verstöße beim Wahlvorgang, die bei getrennter Beurteilung nur zur Anfechtung berechtigten, bei einer Gesamtbeurteilung jedoch das Gewicht einer Nichtwahl erhalten könnten, ist Vorsicht geboten, um nicht die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht, durch eine umfassende Regelung des Anfechtungsbereichs den Nichtigkeitsbereich möglichst einzuschränken, zu vereiteln. Ist doch zu bedenken, dass die Nichtigkeit der Betriebsratswahl nicht nur auch nach Ablauf der Monatsfrist geltend gemacht werden kann, sondern auch die Nichtigkeit aller von diesem BR gesetzten Rechtsakte bewirkt.
[...] Das Klagebegehren, die Nichtigkeit der bei der Kl am 5.2.2010 durchgeführten Betriebsratswahl wird festgestellt, in eventu, diese Betriebsratswahl wird für unwirksam erklärt, wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
Im Betrieb des kl AG wurde bereits eine Betriebsratswahl im November 2009 aufgrund eines Formmangels angefochten. Nach dem Rücktritt des Betriebs34ratsvorsitzenden und dessen Stellvertreters und damit dem Erlöschen des BR wurde dieses Verfahren beendet. Im Anschluss fand am 10.1.2010 eine Betriebsversammlung statt, bei der erneut beschlossen wurde, dass der frühere Betriebsratsvorsitzende wieder kandidieren soll. Auch wurde dessen früherer Stellvertreter einstimmig zum Wahlvorstand gewählt. Der Wahlvorschlag für den früheren Betriebsratsvorsitzenden bzw dessen Stellvertreter wurde von allen Mitarbeitern unterzeichnet.
Bei der Wahl am 5.2.2010 waren 8 Mitarbeiter wahlberechtigt. Die einheitlichen Stimmzettel enthielten als Bezeichnung nur den einzigen Wahlvorschlag „Liste 1“, bei dem in gewissem Abstand ein Kreis aufschien. An der Wahl beteiligten sich 6 Mitarbeiter. Entweder vom früheren Betriebsratsvorsitzenden oder der Beisitzerin im Wahlvorstand wurde AN die Auskunft erteilt, dass sie leere Stimmzettel abgeben sollten, wenn sie der Wahl nicht zustimmen wollen. Bei der Wahl wurde nur ein Stimmzettel abgegeben, auf dem der Wahlvorschlag „Liste 1“ angekreuzt war. Bei einem Stimmzettel findet sich neben der Bezeichnung „Liste 1“ das Wort „Nein“, 4 weitere dieser Stimmzettel wurden leer abgegeben.
Der Wahlvorstand veröffentlichte als Wahlergebnis fünf gültige Stimmen für die „Liste 1“, die damit das eine zu vergebende Mandat erhielt.
Das Erstgericht traf darüber hinaus Feststellungen zu den Vorstellungen der AN bei der Wahl und deren Ansicht zur mangelnden Erforderlichkeit der Wahl.
Der kl AG stützte sein Begehren auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl, in eventu Anfechtung der Wahl, im Wesentlichen darauf, dass die AN gegenüber dem Geschäftsführer die Ansicht geäußert haben, sich nicht an der Wahl beteiligen bzw ungültig wählen zu wollen. Der Betriebsratsvorsitzende habe bloß seinen Kündigungsschutz angestrebt. Der Wahlvorschlag habe nicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht. Wegen der fehlenden Anzahl der gültigen Stimmen hätte die Wahl auch nicht so durchgeführt werden dürfen.
Der bekl BR wendete zusammengefasst ein, dass der Grund für die Betriebsratswahl in verschiedenen Auseinandersetzungen, insb der Streichung von Zulagen, liege. Selbst wenn bei der Stimmauszählung Fehler unterlaufen sein sollten, könne dies weder die Nichtigkeit der Wahl noch deren Anfechtbarkeit wegen der Unzulässigkeit der Wahl „ihrer Art nach“ bedeuten.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der BR habe nicht die erforderliche Mehrheit erhalten. Ein Stimmzettel sei auch dann ungültig, wenn kein Wahlvorschlag gekennzeichnet sei. Im Ergebnis sei hier davon auszugehen, dass die elementarsten Grundsätze einer Wahl außer Acht gelassen worden seien. Das Wahlergebnis habe nicht dem wahren Willen der Mehrheit der Wahlberechtigten entsprochen, die eine Wahl haben verhindern wollen.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des bekl BR nicht Folge. Bei Vorliegen bloß eines Wahlvorschlags sei die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Es müsse die Möglichkeit geben, den Wahlvorschlag nicht zu wählen. Hier liege ein einheitlicher Stimmzettel iSd § 21a der BR-Wahlordnung (BRWO) vor. Die Stimmen seien – entgegen der Ansicht der Literatur – ungültig, wenn kein Wahlvorschlag angekreuzt sei. Die Auszählung sei daher falsch erfolgt. Wegen der Bedeutung des Repräsentationsprinzips für die demokratische Vertretung habe die Missachtung dieser Regelungen die Nichtigkeit der Wahl zur Folge. Das Verhalten des Wahlvorstands habe eine grobe Verzerrung des Wahlergebnisses bewirkt.
Wegen der Einzelfallbezogenheit verneinte das Berufungsgericht die Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 1 ZPO.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision des bekl BR ist zulässig und auch berechtigt. Eine Rsp des OGH zur Auslegung der hier maßgeblichen Bestimmungen der BRWO liegt nicht vor.
I. Vorweg ist aber auf den vom kl AG eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Erstattung der Revisionsbeantwortung einzugehen.
Der OGH stellte der Kl die Beantwortung der vom Bekl erhobenen außerordentlichen Revision frei. Der Beschluss über die Freistellung wurde dem Klagevertreter am 28.4.2011 zugestellt. Die am 16.6.2011 eingebrachte Revisionsbeantwortung ist daher verspätet.
Mit ihrem Wiedereinsetzungsantrag beantragt die Kl, ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Revisionsbeantwortung zu bewilligen.
Aufgrund der Einvernahmen des Klagevertreters sowie von dessen Kanzleikraft kann als bescheinigt angenommen werden, dass die Kanzlei des Klagevertreters vom 28.4. bis 1.5.2011 übersiedelte. Dabei wurde entgegen den sonst üblichen Kanzleiabläufen die Freistellung nicht in den elektronischen Akt eingescannt, weil der Scanner bereits abgebaut war. Mit einem Post-it wurde dies auf dem ausgedruckten Aktenstück festgehalten. Im Zuge der Übersiedlung unterblieb jedoch dann das Einscannen und unterließ die langjährig verlässliche, zuständige Sekretariatsmitarbeiterin die Vorlage des Freistellungsbeschlusses an den Klagevertreter. Daher kam es in weiterer Folge zur Versäumung der Frist.
Gem § 146 Abs 1 letzter Satz ZPO hindert der Umstand, dass einer Partei ein Verschulden an der Versäumung einer Frist zur Last liegt, die Bewilligung der Wiedereinsetzung dann nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein bloß minderer Grad des Versehens liegt nicht mehr vor, wenn die Partei die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihr zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (RIS-Justiz RS0036811 uva).
Der Wiedereinsetzungswerber hat nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seines Rechtsvertreters einzustehen. Der mit den Verhältnissen bei Gericht vertraute Rechtsvertreter unterliegt einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten des Vertreters sind diesem (und deren Verschulden wiederum den Parteien) zuzurechnen (RIS-Justiz RS0036813).
Ein Verschulden eines Kanzleiangestellten steht der Bewilligung der Wiedereinsetzung aber dann nicht entgegen, wenn es sich um ein einmaliges Versehen35 handelt, das angesichts der bisherigen Verlässlichkeit und Bewährung der Kanzleikraft nicht zu erwarten war und dem Rechtsvertreter nicht die Verletzung der von ihm zu erwartenden Sorgfalts-, Organisationsund Kontrollpflichten vorgeworfen werden muss (RIS-Justiz RS0036813 [T5]).
Davon kann aber hier im Hinblick auf die besonderen Umstände im Zusammenhang mit der Übersiedlung der Kanzlei ausgegangen werden.
II. In der Sache selbst ist die Revision berechtigt.
§ 58 ArbVG legt folgendes vereinfachtes Wahlverfahren fest:
„58. Unbeschadet der Bestimmungen des § 51 Abs 1 gilt in Betrieben (Arbeitnehmergruppen), in denen bis zu zwei Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, Folgendes:1. Die Betriebsratsmitglieder und die Ersatzmitglieder werden mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewählt; [...]“
Da hier im Betrieb bloß acht wahlberechtigte AN beschäftigt waren, ist von der Anwendbarkeit des § 58 ArbVG auszugehen.
Nach § 21a der BRWO hat der Wahlvorstand nun grundsätzlich einen „einheitlichen Stimmzettel“, auf dem alle zugelassenen Wahlvorschläge in gleicher Weise aufscheinen, aufzulegen. § 35a BRWO sieht jedoch vor, dass der Wahlvorstand in Betrieben mit weniger als 150 wahlberechtigten AN beschließen kann, statt des einheitlichen Stimmzettels leere Stimmzettel auszugeben.
§ 24 Abs 3 BRWO ermöglicht es dem Wähler, unter gewissen Voraussetzungen überhaupt eigene Stimmzettel zu verwenden. Nach der allgemeinen Regel des § 24 Abs 6 Z 1 BRWO ist eine Stimme ua dann ungültig, wenn kein Wahlvorschlag gekennzeichnet bzw kein Wahlvorschlag oder Wahlwerber eindeutig bezeichnet wurde.
§ 24 Abs 5b BRWO ordnet an, dass ua im Fall des § 35a BRWO eine gültige Stimmabgabe auch dann erfolgt, wenn aus dem Stimmzettel eindeutig zu erkennen ist, welchen Wahlvorschlag der Wähler wählen wollte. Dies soll insb dann der Fall sein, wenn auf dem Stimmzettel der Wahlvorschlag durch Bezeichnung oder durch Angabe eines oder mehrerer Wahlwerber eindeutig festgelegt ist.
Klar ist nun schon nach der Bestimmung des § 58 Z 1 ArbVG, dass im vereinfachten Wahlverfahren – wie hier – die Wahl mit der Mehrheit der abgegebenen, also auch unter Mitberücksichtigung der ungültigen Stimmen zu ermitteln ist (vgl etwa Strasser/Jabornegg, Die Betriebsratswahl 182).
Strittig ist, inwieweit jene „einheitlichen“ Stimmzettel, auf denen nur ein Wahlvorschlag vorgegeben ist, dann wenn sie abgegeben, aber nicht angekreuzt werden, als gültige Stimmen zu zählen sind. Dies wäre entsprechend § 24 Abs 5b BRWO nur dann der Fall, wenn ein leerer Stimmzettel iSd § 35a BRWO nunmehr den Wahlvorschlag aufweist oder der Wähler einen eigenen Stimmzettel iSd § 24 Abs 3 BRWO verwendet und darauf den Wahlvorschlag festhält.
Soweit den Ausführungen von Schneller (in Cerny/Gahleitner/Kundtner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsgesetz 24 § 56 Erl 2, 456) gegenteiliges entnommen werden könnte, weil diese Literaturstelle eine Einschränkung Einschränkung auf die Fälle eines „leeren“ (§ 35a BRWO) bzw vom Wähler beigebrachten Stimmzettels nicht enthält, kann dem nicht gefolgt werden. Ergibt sich doch aus der Systematik der BRWO eindeutig, dass zwischen den Fällen eines einheitlichen Stimmzettels mit bereits vorgegebenen Wahlvorschlägen einerseits und den Fällen von leeren bzw beigebrachten Stimmzetteln andererseits zu unterscheiden ist. Es macht auch einen Unterschied, ob der Wähler selbst durch das Ausfüllen des Wahlvorschlags seinen Willen zum Ausdruck bringt oder sich dieser Wahlvorschlag bereits auf dem einheitlichen Stimmzettel befindet, aber nicht angekreuzt wird. Insoweit erfolgte also hier die Auszählung des Wahlergebnisses mangelhaft. Dies stellt auch einen Anfechtungsgrund dar, der aber nach § 59 Abs 2 ArbVG nur den AN selbst bzw anderen wahlwerbenden Gruppen offensteht, aber nicht dem Betriebsinhaber.
Damit stellt sich die Frage, ob der Anfechtungsgrund nach § 59 ArbVG auch einen Nichtigkeitsgrund nach § 60 ArbVG darstellt.
Zur Anfechtung der Wahl wegen Nichtigkeit können nur solche Mängel berechtigen, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit so schwerwiegend sind, dass gesagt werden muss, es seien die elementarsten Grundsätze einer Wahl im Allgemeinen und einer Betriebsratswahl im Besonderen außer Acht gelassen worden, wenn also der betreffende Vorgang „nicht einmal die Merkmale einer Wahl aufweist“ und deshalb nur als „Zerrbild“ einer Wahl bezeichnet werden kann (RIS-Justiz RS0051171 mwN). Bei einer Gesamtbewertung mehrerer Verstöße beim Wahlvorgang, die bei getrennter Beurteilung nur zur Anfechtung berechtigten, bei einer Gesamtbeurteilung jedoch das Gewicht einer Nichtwahl erhalten könnten, ist Vorsicht geboten, um nicht die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht, durch eine umfassende Regelung des Anfechtungsbereichs den Nichtigkeitsbereich möglichst einzuschränken, zu vereiteln (RIS-Justiz RS0051144 mwN etwa SZ 45/129; Arb 9411; Arb 10.273; Arb 10.686; SZ 63/104). Ist doch zu bedenken, dass die Nichtigkeit der Betriebsratswahl nicht nur auch nach Ablauf der Monatsfrist geltend gemacht werden kann, sondern auch die Nichtigkeit aller von diesem BR gesetzten Rechtsakte bewirkt (vgl etwa Schneller, aaO § 60 Erl 2; Kallab in ZellKomm § 60 Rz 10 uva).
Die Ansicht der Vorinstanzen, dass hier ein „Zerrbild“ einer Wahl iSd dargestellten Rsp vorliege fußt im Wesentlichen auf den Feststellungen zum „wahren Willen“ der wahlberechtigten AN.
Dem steht jedoch schon entgegen, dass es einer der leitenden Wahlgrundsätze ist, dass die Wahl geheim zu erfolgen hat (§ 51 ArbVG).
Auch die Regelungen über die Anfechtungsmöglichkeiten stellen nicht auf den wahren Willen der Wähler, sondern auf die das Wahlverfahren regelnden Bestimmungen und Grundsätze ab und inwieweit deren Verletzung „geeignet“ ist, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Es kann nun dahingestellt bleiben, inwieweit dann, wenn der Wahlvorstand die Wähler falsch informiert, dies zu berücksichtigen wäre. Ein solches klar dem verantwortlichen Wahlvorstand zuzuordnendes Verhalten konnte hier letztlich nicht festgestellt werden.
Es verbleibt somit der Fehler bei der Auszählung des Wahlergebnisses, der auf einer nicht zutreffenden Rechtsansicht fußte. Dies allein kann jedoch36 nicht bewirken, dass die Wahl – die von keinem der wahlberechtigten AN angefochten wurde – als Zerrbild einer Wahl zu beurteilen wäre. Die Wähler haben die Stimmzettel mit der „Liste 1“ abgegeben und nur einer hat seine Ablehnung völlig eindeutig durch das Durchstreichen deutlich gemacht. Auch wenn – iSd obigen Ausführungen – das Abgeben eines bereits mit einer Liste vorweg versehenen Stimmzettels allein nicht als eindeutige Wahl der Liste angesehen werden kann, wird die Wahl dadurch doch auch nicht zu einem „Zerrbild“, das als nichtig anzusehen wäre.
Dass eine Anfechtung der Wahl durch den AG wegen solcher Mängel nicht erfolgen kann, ist dem Gesetz eindeutig zu entnehmen (§ 59 Abs 2 ArbVG). Fehler bei der Auszählung bewirken nicht, dass die Wahl ihrer Art oder ihrem Umfang nach oder mangels Vorliegens eines Betriebs so nicht durchzuführen gewesen wäre.
Insgesamt ist daher der Revision des bekl BR Folge zu geben und sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsabweisenden Sinne abzuändern.
Vorweg soll klargestellt werden, dass der gegenständliche Sachverhalt recht untypisch für die tatsächlichen Problemlagen in österreichischen Kleinbetrieben ist. Die hier möglicherweise vorgelegene Unwilligkeit der Mehrheit der – sehr überschaubaren und als kleines Kollektiv diversen AG-Repressalien stärker ausgesetzten – Belegschaft, einen BR zu wählen (die einzige zweifelsfrei gültige Stimme wurde möglicherweise vom nachmaligen Vorsitzenden des einköpfigen BR vergeben; vgl Tinhofer, Absurde Betriebsratswahl bleibt gültig, Der Standard 3.4.2012; M. Holzinger, Zum Betriebsrat mit nur einer Stimme? Der öffentliche Dienst aktuell Nr 5/2012), stellt einen untypischen Anlassfall dar. Allfälligen Vorurteilen, dass in Kleinbetrieben „ohnehin niemand einen BR braucht“, ist entgegen zu halten, dass in der Praxis nicht selten eine mehr oder weniger unverhohlene Druckausübung seitens der Geschäftsführung, die Wahl eines BR zu unterlassen, zu beobachten ist.
Der E selbst ist anzumerken, dass sich der OGH, im Gegensatz zu den Vorinstanzen, die Beurteilungsaufgabe nicht leicht gemacht hat. Das Recht sprechen erforderte gerade hier einen glasklaren Blick auf die Rechtslage und ihren Telos, sowie ein Ausblenden allfälliger Sympathien oder Antipathien für den konkreten Fall und seine Hintergründe, wie etwa die von der Bekl behauptete „bloße Verschaffung eines besonderen Kündigungsschutzes“. Und dies angesichts des Vorbringens, dass fünf (von insgesamt acht) Wahlberechtigte(n) „gegen die Wahl“ oder zumindest gegen den einzigen Kandidaten votieren wollten. Diese Aufgabe hat der OGH vor allem im Hinblick auf die hier so bedeutsame Rechtssicherheit (das Berufungsgericht wollte übrigens die Revision nicht zulassen) hervorragend gemeistert.
Neben der formalrechtlich interessanten Zulassung der Wiedereinsetzung gerade im Hinblick auf die Übersiedlung der Kanzlei (samt Abbau und Wiederaufbau von technischen Geräten, vor allem Scanner) des säumigen Rechtsvertreters enthält die E zwei grundsätzliche Begründungselemente:
a) Ob mit den möglicherweise irrtümlich (dh gegen den vermuteten Wählerwillen) vorgenommenen Stimm abgaben und deren Auszählung ein gravierender, Nichtigkeit bewirkender Fehler unterlaufen ist, kann und darf im Hinblick auf das Wahlgeheimnis nicht geklärt werden;
b) Die bisherige Spruchpraxis zur Abgrenzung von Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, dh die Grenzziehung zwischen mangelhafter Wahl und „Nichtwahl“, wird abermals vertieft und ausführlich begründet.
Die vorliegende E zeigt übrigens ein Dilemma auf: Das ArbVG und sein Teil „Betriebsverfassung“ ist nach ganz hA Teil des Privatrechts. Ob diese dogmatische Zuordnung im Hinblick auf Ermessensentscheidungen von Wahlvorständen und ganz allgemein für das Organisationsrecht so aufrecht erhalten werden kann, könnte bezweifelt werden. Insb das Wahlrecht hat sich grundsätzlich an öffentlich-rechtlichen Prinzipien messen zu lassen. Hat nicht der Wahlvorstand bei einem derart bedeutsamen und daher auch formalisierten Vorgang wie der Wahl eines gesetzlichen Vertretungsorgans eher öffentlich-rechtliche Aufgaben zu bewältigen? Jedoch: Der Versuchung, Betriebsratswahlen zur Gänze mit allgemeinen politischen Wahlen zu vergleichen, muss schon deshalb widerstanden werden, weil bei ersteren ein den Gemeinderats-, Landtags- oder gar Nationalratswahlen entsprechender „Apparat“ fehlt. Es müssen vom Kleinbetrieb mit fünf AN bis zum Großbetrieb mit mehreren freigestellten Betriebsratsmitgliedern alle Wahlverantwortlichen mit dem recht rudimentären gesetzlichen Instrumentarium der §§ 55 bis 58 ArbVG zurechtkommen. Treffend meint Löschnigg (in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 54 Rz 3), dass einige Elemente des Betriebsratswahlrechts als Kompromiss zwischen demokratischen Wahlgrundsätzen und einfacher, rascher Zielerreichung zu sehen seien.
Strasser hat die schon seit der Urfassung des ArbVG bestehenden, mit der Novelle 1990 aber verstärkten Wirrnisse rund um die verschiedenen Arten von Stimmzetteln bereits in
, beschrieben („Die ArbVG-Novellen des Jahres 1990“) und dabei auch den Gesetz- sowie den (BRWO-)Verordnungsgeber kritisiert: „Damit ist [trotz komplexer Neuregelungen] das alte bisherige System im wesentlichen wiederhergestellt.“
Der Gesetzgeber lässt (nicht erst seit BGBl 1990/411 und 1990/690) bis dato folgende Stimmzettelformen zu, auf die in der Wahlkundmachung in aller Regel hinzuweisen ist (§ 19 Abs 2 Z 10 BRWO; Ausnahme bei vereinfachter Wahl: § 36 Abs 6 BRWO):
Dieser ist vom Wahlvorstand „aufzulegen“, also mit den zugelassenen Wahlvorschlägen bedruckt, bereitzustellen und an jede/n Wahlberechtigte/n einzeln (samt undurchsichtigem Kuvert) unmittelbar vor der Stimmabgabe auszuhändigen oder aber samt Wahlkarte und Retourkuvert zu übermitteln bzw auszuhändigen (§ 56 Abs 2 und § 59 Abs 1 letzter Satz ArbVG; § 21a und § 22 Abs 5 BRWO; übrigens wurde37 im Zuge der BRWO-Anpassung [BGBl II 2012/142] an die ArbVG-Novelle 2010 neu und papiersparend geregelt, dass auch das Retourkuvert als Wahlkarte fungieren kann [§ 22 Abs 5a BRWO]).
Explizit geregelt wurde diese Zettelform erst durch die ArbVG-Novelle BGBl 1990/411 (Windisch-Graetz in Tomandl [Hrsg], ArbVG § 56 Erl 2), wobei den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, dass „im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 59 Abs 1 ... der Wähler nicht verhalten ist, den einheitlichen Stimmzettel zu verwenden
“ (ErläutRV 1308 BlgNR 17. GP 8).
Dieser wird ausdrücklich in § 22 Abs 6 BRWO für den Fall der Gefahr des Versäumens der Briefwahl-Fristen ermöglicht. Implizit ist diese Stimmzettelform auch durch § 56 Abs 4 ArbVG, ergänzt durch § 35a BRWO, zugelassen: Erstmalige Betriebsratswahl oder Betriebe mit bis zu 150 AN. Aus diesen raren Rechtsquellen (nur die DurchführungsVO erwähnt diesen Modus für die Abgabe des Wählerwillens; allerdings hat der Verordnungsgeber im Hinblick auf die oberflächliche gesetzliche Determinierung seine Ermächtigung gem § 161 Abs 1 Z 1 ArbVG mE nicht überschritten) ist abzuleiten, dass abgesehen von den drei geregelten Fällen ein „nackter“, vom/von der WählerIn zu beschreibender Zettel unzulässig ist. Die hohe Bedeutung des Wahlgeheimnisses, das ja durch den handschriftlichen Vermerk des Wahlvorschlags oder – bei vereinfachter Wahl – der/des KandidatIn tendenziell gefährdet ist (ängstliche WählerInnen könnten allenfalls einen Stempel oä in die Wahlzelle mitnehmen), erfordert eine restriktive Interpretation der zitierten Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen.
Diese Form ist im Gesetz nicht explizit erwähnt, allenfalls lässt sich der letzte Satz des § 59 Abs 1 („mittels anderer Stimmzettel
“ und nicht: „eines anderen“) aber so verstehen, dass es, vom Normalfall des einheitlichen Stimmzettels abgesehen, noch eine weitere „andere“ Form neben der des leeren Stimmzettels gibt. In der BRWO wird diese Stimmzettelart zum einen in § 24 Abs 3 Satz 4 erwähnt: „Verwendet der Wähler zur Stimmabgabe einen anderen Stimmzettel, so soll (sic!) dieser in der Größe dem einheitlichen entsprechen.
“ Zum anderen bestimmt Abs 5b dieses Paragrafen, dass die eindeutige Bezeichnung des vom/von der WählerIn gewollten Wahlvorschlags aus diesem „anderen Stimmzettel“ hervorgehen muss. Im vereinfachten Wahlverfahren, wo ja namentliche KandidatInnen-Kür ausreicht (§ 58 Z 3 ArbVG), könnte ein „Fraktionsstimmzettel“ ohne weiteres zum „Kandidatenstimmzettel“ mutieren, der den bzw die Namen (und sicherheitshalber auch Geburtsdaten) enthält.
Nach dem OGH könnten nun die Ausführungen in Cerny ua, ArbVG Bd 24 (2010) 456 (wohl gemeint: vorletzter Absatz), so verstanden werden, dass bei allen drei Stimmzettelarten das bloße Einwerfen in die Wahlurne, ohne anzukreuzen oder sonstwie den Wählerwillen anzubringen, als gültige Stimmabgabe zu verstehen sei. Da diese Kommentierung aber auf jenen Fall Bezug nimmt, wo nur ein Wahlvorschlag besteht, wird in der Praxis hier nur ein leerer oder ein Fraktionsstimmzettel gegenständlich sein. Ein einheitlicher, bedruckter Stimmzettel ist bei derartigen (zudem meist im vereinfachten Wahlverfahren bis höchstens 19 AN stattfindenden) Fällen praktisch nie anzutreffen. Gemeint ist in der zitierten Gesetzeskommentierung der oben unter 1.3. dargestellte Zettel.
ME wäre übrigens de lege lata die Ausdehnung des vereinfachten Wahlverfahrens auf etwas größere Kleinbetriebe überlegenswert (vgl den seit 2001 geltenden § 14a dtBetrVG: bis zu 50 AN).
Wenn nun, wie hier vorliegend, ein einheitlicher Stimmzettel (vgl oben 1.1.) verwendet wurde, ist dann dessen nicht angekreuzte Abgabe (Einwurf) als Stimmenthaltung oder als „abgegebene, aber ungültige Stimme“ zu werten? Der OGH entscheidet zugunsten der zweiten Variante und das mE zu Recht. Die irreführenden Belehrungen des „einköpfigen“ (§ 58 Z 2 ArbVG) Wahlvorstands – des 2009 durch vorhergehende erfolgreiche Wahlanfechtung seiner Funktion enthobenen ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden-Stellvertreters – sind ohne Relevanz. Nicht einmal die mit einem „Nein“ neben dem vorgedruckten Kreis versehene Stimme, ist eine Nichtstimme. Ob diese/r WählerIn die „Liste 1“ oder den BR insgesamt verhindern wollte, ist nicht erkennbar und dürfte auch durch ZeugInnenbefragung (nach Zurückverweisung an das Erstgericht) nicht erhoben werden. Liegt hier ein Beweisthemen- oder ein Beweismittelverbot nach der ZPO vor? Verfahrensrechtlich ist zwar letzteres der Fall, § 321 Abs 1 Z 6 ZPO erlaubt dem/der ZeugIn die Aussageverweigerung. Aber das Beweisthema „Wählerwille“ macht mE das relative zu einem absoluten Aussageverbot.
Völlig zu Recht revidiert der OGH in der Entscheidungsbegründung die „Feststellungen“ der Vorinstanzen zur „Ungültigkeit“ der Stimmabgaben. Dabei verweist das Höchstgericht nicht bloß auf das formalrechtliche Verweigerungsrecht; zusätzlich dürfte sehr lebensnah ins Kalkül gezogen worden sein, dass diverse ZeugInnenaussagen in Jahre später stattfindenden Verfahren vom wahren WählerInnenwillen, wie er einst vor und in der Wahlzelle gebildet wurde, abweichen könnten (vgl auch meine eingangs der Anmerkung aufgezeigte Druckausübungspraxis in Kleinbetrieben). Mit den Worten des OGH: „Die Ansicht der Vorinstanzen, dass hier ein „Zerrbild“ einer Wahl im Sinne der dargestellten Rechtsprechung vorliege, fußt im Wesentlichen auf den Feststellungen zum „wahren Willen“ der wahlberechtigten Arbeitnehmer. Dem steht jedoch schon entgegen, dass es einer der leitenden Wahlgrundsätze ist, dass die Wahl geheim zu erfolgen hat (§ 51 ArbVG).
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