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Anfechtung einer Eventualkündigung und der „Anspruch“ auf Bestand und Bewahrung

BARBARATROST (LINZ)
  1. Eine zu einem späteren Zeitpunkt für den Fall der Stattgebung einer Kündigungsanfechtung hinsichtlich einer zuvor ausgesprochenen Kündigung ausgesprochene Eventualkündigung ist grundsätzlich zulässig.

  2. Der von § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG verfolgte Zweck des Schutzes der arbeitsrechtlichen Stellung des/r AN bezieht sich auf den Schutz des/r AN im Arbeitsverhältnis. Das Bestreben des/r AN, nicht gekündigt zu werden, stellt hingegen keinen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis dar, der durch § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geschützt ist. Mit dem Festhalten an der Absicht, das Arbeitsverhältnis mit dem/r AN beenden zu wollen, stellt der/die AG keinen Anspruch des/r AN aus dem Arbeitsverhältnis in Frage. Es ist dies daher kein verpöntes Motiv für die Eventualkündigung.

  3. Der bloße Umstand, dass dem/r AN die Anfechtung der neuerlich ausgesprochenen Kündigung infolge der nunmehr erfolgten ausdrücklichen Zustimmung des BR nicht mehr wegen Sozialwidrigkeit möglich ist, kann nicht dem/r AG zugerechnet werden.

[...] Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die E zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die von der Bekl am 7.11.2008 ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Kl werde für rechtsunwirksam erklärt, wird abgewiesen.“ [...]

Der Kl war seit dem 1.7.2007 als AN bei der Bekl beschäftigt. Die Bekl kündigte mit Schreiben vom 25.7.2008 das Arbeitsverhältnis zum Kl zum 15.9.2008 auf. Grund für diese Kündigung war ein von der Bekl wahrgenommener mangelnder Arbeitserfolg. Der Kl, der zunächst die Anfechtungsfrist gem § 105 Abs 4 ArbVG versäumt hatte, stellte beim Erstgericht zur AZ 25 Cga 105/08f einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte unter einem eine Anfechtungsklage mit dem Begehren ein, die am 25.7.2008 ausgesprochene Kündigung wegen Sozialwidrigkeit für rechtsunwirksam zu erklären.

Der Beschluss, mit dem dem Kl die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist bewilligt wurde, wurde der Bekl samt einer Ladung zu einem Verhandlungstermin am 24.10.2008 zugestellt. Nachdem bei der Bekl derart bekannt wurde, dass der Kl gegen die Kündigung eine Klage eingebracht hatte, entschloss man sich dazu, den Kl ein weiteres Mal zu kündigen, weil die Anfechtung der ersten Kündigung erfolgreich sein könne und man den Kl dann weiterbeschäftigen müsse. Der Betriebsratsvorsitzende der Bekl wurde davon informiert und entschloss sich, der nun auszusprechenden Eventualkündigung zuzustimmen. Nach Einhaltung dieses Vorverfahrens sprach die Bekl mit Schreiben vom 7.11.2008 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum Kl zum 31.12.2008 aus.

Im vom Kl gegen die erste Aufkündigung am 25.7.2008 beim Erstgericht eingeleiteten Anfechtungsverfahrens wurde diese wegen Sozialwidrigkeit für rechtsunwirksam erklärt.

Der Kl begehrt nunmehr die Unwirksamerklärung der Eventualkündigung. Soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, brachte er vor, dass diese wegen eines verpönten Motivs gem § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG ausgesprochen worden sei. Grund für die zweite Kündigung sei der Umstand, dass der Kl seinen AG mit der ersten Anfechtungsklage in Anspruch genommen habe. Die Berechtigung dieses Anspruchs des Kl ergebe sich daraus, dass das erste Anfechtungsverfahren auch erfolgreich gewesen sei.

Die Bekl bestritt, aus einem verpönten Motiv gehandelt zu haben. Eine vom AG ausgesprochene Eventualkündigung sei während eines noch laufenden Kündigungsverfahrens zulässig. Sie verdeutliche lediglich den Standpunkt des AG, dass er das Arbeitsverhältnis mit dem AN auch für den Fall endgültig beenden wolle, dass der AN mit seinem Anfechtungsbegehren gegen die erste Kündigung durchdringe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Für die Eventualkündigung des Kl sei der Umstand maßgebend gewesen, dass der Kl die erste Kündigung bei Gericht angefochten habe. Dem Kl sei es gelungen, iSd § 105 Abs 5 ArbVG glaubhaft zu machen, dass dieser Umstand das alleinige Motiv der Bekl für die Eventualkündigung gewesen sei. Darüber hinaus habe die Bekl zum Zeitpunkt des Ausspruchs dieser Kündigung aufgrund der Zustimmung des BR gewusst, dass eine nochmalige Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit nicht mehr zulässig sei. Der Anspruch des Kl, bei der Bekl trotz der rechtsunwirksamen ersten Kündigung des Arbeitsverhältnisses weiter beschäftigt zu bleiben, sei ein offenbar nicht unberechtigter Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis, der gerade durch den Ausspruch der Eventualkündigung nach Zustimmung des BR habe verhindert werden sollen. Es liege daher ein verpöntes Motiv gem § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG vor. Dass ein anderes Motiv für die Eventualkündigung maßgebend iSd § 105 Abs 5 ArbVG gewesen wäre, habe die Bekl nicht glaubhaft gemacht.

Das Berufungsgericht gab der von der Bekl gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Aus dem Umstand, dass eine Eventualkündigung grundsätzlich zulässig sei, lasse sich nicht bereits der Schluss ziehen, dass die Anfechtung der ersten Kündigung als Grund für die Eventualkündigung kein verpöntes Motiv gem § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG sein könne. Mit der Anfechtung der ersten Kündigung habe der Kl nicht offenbar unberechtigt einen von der Bekl in Frage gestellten Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht, nämlich den Anspruch auf ununterbrochene Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses. Der Kl habe glaubhaft gemacht, dass die Eventualkündigung auf die Geltendmachung dieses Anspruchs durch ihn zurückzuführen sei. Dies422 stelle ein verpöntes Motiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG dar. Dass ein anderes Motiv mit höherer Wahrscheinlichkeit für die Kündigung ausschlaggebend gewesen wäre, habe die Bekl nicht einmal behauptet. Die – im Gegensatz zur ersten Kündigung – nunmehr erteilte Zustimmung des BR zur beabsichtigten Eventualkündigung stelle für sich allein kein sachliches Kündigungsmotiv dar, das die Bekl dem verpönten Kündigungsmotiv entgegensetzen könne. [...]

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist [...] zulässig, sie ist auch berechtigt.

1. Eine zu einem späteren Zeitpunkt für den Fall der Stattgebung einer Kündigungsanfechtung hinsichtlich einer zuvor ausgesprochenen Kündigung ausgesprochene Eventualkündigung ist grundsätzlich zulässig (8 ObA 4/03a; 9 ObA 119/05y ua). Dies wird auch vom Kl gar nicht mehr in Frage gestellt.

2. Nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG kann eine Kündigung dann angefochten werden, wenn sie wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung von vom AG in Frage gestellten Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis durch den AN erfolgt. Der wesentliche Zweck dieser Anfechtungsbestimmung liegt darin, die arbeitsrechtliche Stellung des AN zu schützen (8 ObA 68/03p mwH). Umfasst ist dabei nicht nur die Geltendmachung von Geldansprüchen, sondern auch anderer vom AG in Frage gestellter Ansprüche (9 ObA 223/93; RIS-Justiz RS0104686). Bei diesem Kündigungsanfechtungsgrund geht es also darum, dass der AG nach Meinung des AN bestehende Ansprüche nicht erfüllt, dass der AN diese nicht erfüllten Ansprüche dem AG gegenüber geltend macht, und dass der AG den AN wegen dieser Geltendmachung kündigt (RIS-Justiz RS0051666). Vom Schutzzweck sind nicht nur schon entstandene Ansprüche, sondern zusätzlich Ansprüche auf Wahrung der Rechtsposition aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gegen einseitige Eingriffe erfasst (8 ObA 298/99b ua).

3. Der von § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG verfolgte Zweck des Schutzes der arbeitsrechtlichen Stellung des AN bezieht sich aber auf den Schutz des AN im Arbeitsverhältnis. Das Bestreben des AN, nicht gekündigt zu werden, stellt hingegen angesichts der im österreichischen Arbeitsrecht geltenden Kündigungsfreiheit keinen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis dar, der durch § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geschützt ist. Die Bekl, die mit der von ihr ausgesprochenen Eventualkündigung für den Fall des Erfolgs der Anfechtung der ersten Kündigung nur an ihrer Absicht festhielt, das Arbeitsverhältnis mit dem Kl zu beenden, stellte daher mit dieser Eventualkündigung keinen offenbar nicht unberechtigten Anspruch des Kl aus dem Arbeitsverhältnis in Frage. Das dargestellte Motiv für die Eventualkündigung ist aus diesen Gründen kein verpöntes Motiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG. Ein anderes verpöntes Motiv iS dieser Bestimmung hat der Kl nicht geltend gemacht. Der bloße Umstand, dass dem Kl die Anfechtung der neuerlich ausgesprochenen Kündigung infolge der nunmehr erfolgten ausdrücklichen Zustimmung des BR nicht mehr wegen Sozialwidrigkeit möglich ist, kann nicht der Bekl zugerechnet werden.

Der Revision war daher Folge zu geben und das Klagebegehren abzuweisen. [...]

Anmerkung
1
Zur Problematik der Eventualkündigung als Folgekündigung

Unter dem Oberbegriff Folgekündigung können insb zwei formal unterschiedliche aber in ihren Auswirkungen ähnliche Sachverhalte zusammengefasst werden: Kündigungen, die während eines laufenden Kündigungsanfechtungsverfahrens in eventu für den Fall des Obsiegens des/der AN im Prozess ausgesprochen werden, und Kündigungen, die nach Prozesserfolg des/der AN im Anfechtungsverfahren unmittelbar anschließend ausgesprochen werden. In ihren praktischen Auswirkungen sind beide Varianten nach der derzeitigen Judikatur des OGH für die Betroffenen gleich. In jedem Fall hängt der Erfolg im Kampf gegen die ungerechtfertigte Kündigung letztlich nicht von der Rechtslage sondern von der Durchhaltekraft des/der AN ab. Anders ausgedrückt: Es siegt, wer wirtschaftlich den längeren Atem hat – im Regelfall nicht der/die AN.

In der vorliegenden E steht jene Variante der Folgekündigung am Prüfstand, die als Eventualkündigung zu bezeichnen ist. Die prinzipielle Zulässigkeit einer Eventualkündigung stellt der OGH in der gegenständlichen E nicht mehr in Frage (vgl auch schon OGH8 ObA 4/03aARD 5423/3/2003). Die Ausgangslagen bei solchen Kündigungen sind stets ähnlich: Immer strebt der/die AG danach, ein Arbeitsverhältnis jedenfalls zu beenden, und zwar gleichgültig, ob zwischendurch ein Gericht den aufrechten Bestand des Arbeitsverhältnisses wiederherstellt oder einfach feststellt. Denkbar ist demgemäß eine Eventualkündigung nicht nur für den Fall eines laufenden Anfechtungsverfahrens (wie hier), sondern auch für jenen eines Feststellungsverfahrens hinsichtlich des aufrechten Bestandes, etwa wegen einer behaupteten Nichteinhaltung des betriebsverfassungsrechtlichen Vorverfahrens im ersten Kündigungsgang. Naturgemäß kann der/die AG Eventualkündigungen auch aussprechen, wenn der/die AN (noch) nicht die Absicht geäußert oder umgesetzt hat, gegen die Kündigung klagsweise vorzugehen. Die Eventualkündigung wird dann eben einfach sicherheitshalber ausgesprochen. Auch im Anschluss an eine Entlassung kann eine Folgekündigung als Eventualkündigung ausgesprochen werden.

Auch wenn der OGH an der grundsätzlichen Zulässigkeit solcher Eventualkündigungen keinen Zweifel lässt, muss auch darüber an dieser Stelle ein weiteres Mal (vgl bereits Trost in

Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG [2012] § 105 Anm 37) diskutiert werden. Abgesehen von der sozialen Brisanz der Thematik in jenen konkreten Situationen stellt sich rechtsdogmatisch die vom OGH noch immer nicht befriedigend gelöste Frage, ob die Eventualkündigung für den Fall des Obsiegens des/der AN im Prozess tatsächlich als Ausnahme vom Grundsatz der Kündigung als bedingungsfeindlichem Rechtsgeschäft gelten darf. Immerhin handelt es sich bei der Eventualkündigung eben auch um nichts anderes als eine bedingte Kündigung. Während sich bei den (ebenfalls ihrer Natur nach bedingten) Änderungskündigungen die Ausnahme dadurch rechtfertigt, dass der Eintritt oder Nichteintritt der Bedingung dort ausschließlich im Willen des/der AN gelegen ist (vgl 423OGH9 ObA 168/93ARD 4496/12/93; OGH9 ObA 114/93; OGH8 ObA 216/94 = ZAS 1995/5 [Brodil]), kann davon bei der Eventualkündigung für den Fall des durch den/die AN gewonnenen Anfechtungsprozesses keine Rede sein. Das einzige, was in diesem Fall im Willen des/der AN gelegen wäre, könnte die Zurückziehung der Anfechtungsklage sein, was aber ohnehin wieder den Effekt hätte, dass die neuerliche Kündigung gar nicht wirksam würde, weil in diesem Fall ohnehin die erste Kündigung wirksam bliebe. Festzuhalten ist daher, dass bei Eventualkündigungen als Folgekündigungen anders als bei der Änderungskündigung der Eintritt oder Nichteintritt der Bedingung nicht im Willen des/der AN liegt, dass also ohne Zweifel von einer kasualen Bedingung auszugehen ist (Trost in
Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG, § 105 Rz 37). Dogmatisch korrekt folgt daraus der Schluss, dass solche unzulässig bedingten Kündigungen rechtsunwirksam sind. Warum der OGH neuerlich auch im vorliegenden Fall diesen Schluss nicht zieht, ist nicht nachvollziehbar.

2
Der Anspruch, nicht rechtswidrig gekündigt zu werden, als Gegenstand der Geltendmachung iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG

Einzuräumen ist, dass – losgelöst vom Anlassfall – ganz allgemein dem/der AG grundsätzlich – wie oben dargelegt – unbenommen bliebe, den/die AN eben dann nach Abschluss des Prozesses neuerlich zu kündigen. Schon aus diesem Grund verdienen auch die weiteren Ausführungen des OGH eine nähere Betrachtung, wenn auch nach hier vertretener Auffassung die Rechtsunwirksamkeit der als Eventualkündigung ausgesprochenen Folgekündigung im gegenständlichen Fall alles Weitere erübrigen würde.

Wenn ein/e AN gegen eine/n AG (mit oder ohne Erfolg) Prozess führt und währenddessen oder in weiterer Folge eine Kündigung ausgesprochen wird, denkt man im Geltungsbereich des betriebsverfassungsrechtlichen Kündigungsschutzes automatisch an § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG. Mit diesem Motivkündigungsschutztatbestand sollen prinzipiell AN geschützt werden, die sich als Folge der (nicht nur gerichtlichen) Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis mit einer Kündigung (oder Entlassung) konfrontiert sehen. Für eine „Geltendmachung“ iSd Norm kommen praktisch alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis in Betracht, nicht aber ein „Anspruch“ auf Bewahrung und Beibehaltung bisheriger Arbeitsbedingungen, weil es einen solchen nach hA nicht gibt (vgl zB OGH

30
9
2009
, 9 ObA 11/09xLE-AS 39.1.3. Nr 4). Daher ist auch ein/e AN wegen der Ablehnung eines Verschlechterungsangebots nicht geschützt. Unmittelbare Auswirkungen hat dies auf die Beurteilung von Änderungskündigungen. Zwar können solche – aus welchen Gründen auch immer – Motivkündigungen sein, die Ablehnung des Änderungsangebotes ist aber nicht per se eine geschützte Geltendmachung bzw ein verwerfliches Kündigungsmotiv. Eine andere Beurteilung hätte übrigens zur Folge, dass jede Änderungskündigung an sich eine Motivkündigung iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG wäre.

Diese prinzipiell zutreffende Auslegung der für eine Geltendmachung in Betracht kommenden Ansprüche iSd Motivschutztatbestandes nimmt der OGH nun zum Ausgangspunkt für die weitere Schlussfolgerung, wonach sich nicht nur die Bewahrung von Arbeitsbedingungen der Geltendmachung entziehe, sondern auch die Bewahrung des Arbeitsverhältnisses an sich. Demnach sei die Bekämpfung einer bereits ausgesprochenen Kündigung kein Anspruch „aus dem Arbeitsverhältnis“, insb weil dem die Kündigungsfreiheit des/der AG gegenüberstehe. Was der OGH übersieht, indem er letztendlich der Kündigungsfreiheit den Vorrang gibt, ist, dass es bei erfolgreichen Kündigungsanfechtungen eben gerade nicht um Kündigungsfreiheit geht. Vielmehr ist die Kündigungsfreiheit im österreichischen Arbeitsrecht durch den Kündigungsschutz eingeschränkt, und Kündigungen, die mit Erfolg angefochten werden können (mit Erfolg angefochten wurden), sind (waren) rechtswidrige Kündigungen. Aus dem Bestandschutz ergibt sich, dass AN vor genau solchen rechtswidrigen Kündigungen durch die Rechtsordnung geschützt sind. AN haben aufgrund der Bestimmungen des Kündigungsschutzes einen Anspruch, nicht rechtswidrig gekündigt zu werden, welchen sie (ua) mit der Anfechtung von Kündigungen geltend machen. Dieser Anspruch besteht während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses und ist ohne Zweifel ein Anspruch „aus dem Arbeitsverhältnis“. Das bedeutet nicht, dass AN nicht gekündigt werden könnten, und es führt daher der Anspruch aus dem Bestandschutz nicht zur Vernichtung der Kündigungsfreiheit der AG. Der Anspruch erstreckt sich nämlich nur auf den Schutz vor rechtswidrigen, also erfolgreich anfechtbaren Kündigungen. Kein Schutz iSd lit i wäre demnach gegeben, wenn die erste Kündigung rechtmäßig erfolgt wäre, also nicht erfolgreich angefochten werden hätte können. In diesem Fall wäre aber ohnehin der/die AN im Prozess unterlegen und eine Folgekündigung hätte sich damit erübrigt.

3
Veränderte Umstände, insb auch durch verändertes Verhalten des BR

In weiterer Folge stellt sich nun die Frage, ob nach richtiger Interpretation des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG jede nachfolgende Kündigung nach einer erfolgreichen Kündigungsanfechtung für den/die AG praktisch unmöglich wäre. Selbstverständlich ist dies nicht der Fall. Eine neuerliche Kündigung nach einer erfolgreichen Kündigungsanfechtung ist nur dann eine verwerfliche Motivkündigung, wenn seit der ersten Kündigung keine Änderung der Rahmenbedingungen eingetreten ist. War also beispielsweise die erste Kündigung eine solche aus verpöntem Motiv und wurde die Folgekündigung aus eben demselben Motiv ausgesprochen, so kann kein Zweifel bestehen, dass auch diese Folgekündigung rechtswidrig und mit Erfolg anfechtbar ist. War die erste Kündigung eine Motivkündigung und wurde die Folgekündigung zwar nicht aus demselben Motiv, sondern „wegen“ der (erfolgreichen) Anfechtung ausgesprochen, so ist die zweite Kündigung wiederum eine Motivkündigung, und zwar eine solche gem § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG. Gleiches muss aber auch gelten, wenn die erste Kündigung deshalb rechtswidrig war, weil sie sozial ungerechtfertigt war. Wurde in diesem Fall die Folgekündigung ausschließlich wegen des Erstprozesses ausgesprochen, so ist wiederum lit i erfüllt.424

Anders ist die Lage naturgemäß, wenn sich zwischen der ersten angefochtenen Kündigung und der Folgekündigung eine Änderung der Verhältnisse dahingehend ergeben hat, dass nunmehr ein sachlicher Grund für die Kündigung vorliegt. Das wäre etwa der Fall, wenn der/die AN zwischenzeitlich einen Entlassungsgrund oder ein Verhalten gesetzt hat, das eine Kündigung rechtfertigt (zB iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG). Ebenso können sich in der Zwischenzeit betriebliche Umstände ergeben, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen.

In all diesen Fällen ist es für den/die AG nicht von Nachteil, wenn der/die AN die Folgekündigung unter Berufung auf § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG anficht. Der/Die AG wird nämlich gem § 105 Abs 5 ArbVG den mittlerweile eingetretenen sachlichen Grund als wahres Kündigungsmotiv einbringen und nach entsprechender Glaubhaftmachung wird das sachliche Motiv im Vergleich zum behaupteten Motiv (Reaktion auf die erste Klage) als das wahrscheinlichere überwiegen.

Nach all dem stellt sich nun für den vorliegenden Sachverhalt die logische Anschlussfrage, ob bei zwei aufeinander folgenden Kündigungen auch ein zwischenzeitlich geändertes Verhalten des BR eine solche maßgebliche Veränderung der Verhältnisse sein könnte, die es rechtfertigte, die Folgekündigung nicht als eine schlicht verwerfliche Reaktion auf die Bekämpfung der ersten Kündigung anzusehen. Die Frage ist klar zu verneinen. Stellt sich heraus, dass die erste Kündigung rechtswidrig, weil sozial ungerechtfertigt ist, so ist die darauf folgende Kündigung iSd oben Dargestellten als Reaktion auf die nicht unbegründete Geltendmachung des Anspruchs auf Kündigungsschutz eine Motivkündigung gem § 105 Abs 3 Z 1 lit i. Selbst wenn dieser Kündigung nun der BR zugestimmt hat, ändert dies nichts an der Anfechtbarkeit, weil sich das partielle Sperrrecht auf die Motivschutztatbestände nicht erstreckt. Würde freilich nun vom/von der AG vorgebracht werden, es seien zwischen erster und zweiter Kündigung Sachverhalte hervorgekommen, die die neuerliche Kündigung rechtfertigten (zB neu gewonnene Erkenntnisse über Fehlverhalten des/der AN, welche so gravierend sind, dass sie nunmehr sogar den BR zur Zustimmung bewogen haben), so würden diese Umstände wiederum als Motive in die Motivabwägung gem § 105 Abs 5 ArbVG eingebracht werden und bei entsprechender Glaubhaftmachung als wahrscheinlicher überwiegen.

4
Fazit

Der vorliegenden E kann weder im Ergebnis noch in der Begründung zugestimmt werden. Nicht nur aus wirtschaftlichen und sozialen, sondern vor allem aus dogmatischen Erwägungen bedürfte der Meinungsstand zu Folgekündigungen und hier wieder im Besonderen zur Eventualkündigung dringend einer (gedanklichen) Revision!