46

Sonderverträge bei der Post AG

KONRADGRILLBERGER (SALZBURG)
  1. Dispositive Bestimmungen in einem KollV sind nur zulässig, wenn es sich um eine Einzelregelung handelt und dafür ein sachlicher Grund besteht.

  2. § 52 DO der Post AG enthält keine generelle Ermächtigung zum Abschluss von Sonderverträgen zum Nachteil der DN. Die abweichende Sondervereinbarung muss dem Gebot der Sachlichkeit entsprechen.

Der Kl ist seit 2.11.2000 bei der Bekl als Sachbearbeiter mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 4.090,26 € beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis findet die gem § 19 Poststrukturgesetz (PTSG) als KollV geltende Dienstordnung (DO) Anwendung. Die Streitteile schlossen am 13.11. 2000 einen Sondervertrag ab, nach dessen Pkt 13 auf das Dienstverhältnis die Bestimmungen des Angestelltengesetzes und der Dienstordnung 2000 der Österreichischen Post AG mit Ausnahme ua des § 25 zur Anwendung gelangen. § 25 DO sieht bei einem zehn Jahre dauernden Dienstverhältnis im Krankheitsfall eine ungekürzte Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von 182 Kalendertagen vor. Der Kl befand sich von 15.6. bis 13.10.2011 (121 Kalendertage) und in der Folge im Krankenstand.

Mit seiner am 7.10.2011 eingebrachten Klage begehrte der Kl zuletzt 7.794,42 € brutto mit dem wesentlichen Vorbringen, gem § 25 DO habe er Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von 182 Kalendertagen. Die Beschränkung des Entgeltfortzahlungszeitraums auf jenen nach § 8 AngG durch den Sondervertrag verstoße gegen § 3 ArbVG und sei unwirksam. Der Klagsbetrag ergebe sich aus den Gehaltsdifferenzen für August bis Oktober 2011 und für die Sonderzahlungen des dritten und vierten Quartals 2011.

Die Bekl beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, dass der Kl nach § 8 AngG Anspruch auf acht Wochen volle Entgeltfortzahlung und vier Wochen halbe Entgeltfortzahlung habe. Nach § 52 DO, deren Inhalt gemäß PTSG gesetzlich angeordnet worden sei, könnten in Sonderverträgen Regelungen getroffen werden, die von der DO abwichen. Nach ihrer Entstehungsgeschichte sei diese Bestimmung als Parallelbestimmung zu § 36 VBG zu sehen, mit der im Zuge der Postausgliederung die Grundlage für eine flexible Anpassung für Arbeitsverhältnisse geschaffen worden sei. Die Möglichkeit der Beschränkung der Entgeltfortzahlung auf das gesetzliche Mindestmaß stehe im Zusammenhang mit der bestehenden Überzahlung des Kl. Der DO sei als KollV zweiseitig zwingender Charakter zuzubilligen. Werde dies verneint, so wäre von einer dispositiven Wirkung des gesamten KollV auszugehen, sodass auch zu Ungunsten der AN abweichende Regelungen getroffen werden könnten. Die entsprechende Gehaltskürzung sei daher zulässig.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren nach dem von ihm angestellten Günstigkeitsvergleich iSd § 3 ArbVG statt. Da die Entgeltfortzahlungsregelung im KollV günstiger sei, sei der Ausschluss des § 25 DO im425 Sondervertrag nicht gültig. Daran ändere eine entgeltmäßige Besserstellung des Kl beim laufenden Gehalt nichts, weil die Entgeltbestimmungen der Sondervereinbarung und die Krankenstandsbestimmungen der DO nicht zum selben Regelungsblock gehörten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung keine Folge. Zusammengefasst kam es zum Ergebnis, dass § 52 DO für den AN ungünstigere Regelungen nicht ausschließe, jedoch die Grenzen des § 3 ArbVG zu beachten seien, die mangels rechtlichem und sachlichem Zusammenhang zwischen der Entgeltregelung des Sondervertrags und der Regelung der DO über die Dauer der Entgeltfortzahlung bei Krankheit überschritten worden seien. Die Revision sei zulässig, weil Rsp zum Inhalt des § 52 DO sowie zur Frage fehle, ob Nachteile bei der Bemessung des Entgeltfortzahlungszeitraums durch ein höheres laufendes Entgelt gem § 3 Abs 2 ArbVG kompensiert werden dürfen.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Bekl, das Berufungsurteil iS einer Klagsabweisung abzuändern.

Der Kl beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen lauten:

§ 19 Abs 4 PoststrukturG (PTSG):

„(4) Die mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten, vereinbarte Dienstordnung gilt mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes als Kollektivvertrag.“

§ 52 DO:

„Der Vorstand kann im Dienstvertrag Regelungen treffen, die von dieser Dienstordnung abweichen. Solche Verträge sind als Sonderverträge zu bezeichnen.“

§ 3 ArbVG:

„(1) Die Bestimmungen in Kollektivverträgen können, soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regeln, durch Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden. Sondervereinbarungen sind, sofern sie der Kollektivvertrag nicht ausschließt, nur gültig, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger sind oder Angelegenheiten betreffen, die im Kollektivvertrag nicht geregelt sind.(2) Bei der Prüfung, ob eine Sondervereinbarung im Sinne des Abs 1 günstiger ist als der Kollektivvertrag, sind jene Bestimmungen zusammenzufassen und gegenüberzustellen, die in einem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang stehen.“

2. Der Wortlaut von § 52 DO indiziert, dass der Vorstand ermächtigt ist, mit AN mittels Sondervertrag auch solche Vereinbarungen zu treffen, die ungeachtet eines Günstigkeitsvergleichs iSd § 3 ArbVG vom kollektivvertraglichen Standard der DO zum Nachteil des AN abweichen. Insoweit käme der DO lediglich dispositive Wirkung zu.

Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Frage, ob und inwieweit es den Kollektivvertragsparteien freisteht, Inhaltsnormen dispositive Wirkung zu verleihen, bereits Gegenstand der E 8 ObA 88/04f war. In dieser wurde unter Bedachtnahme auf die verschiedenen in der Lehre vertretenen Standpunkte dargelegt, dass bei Bestehen eines sachlichen Grundes für eine dispositive Einzelregelung in einem KollV keine Bedenken gegen die Zulässigkeit dieser dispositiven Regelung bestehen, sofern sie auch inhaltlich nicht nach allgemeinen Kriterien korrekturbedürftig erscheint. Im Hinblick auf die Zulässigkeit gänzlich dispositiver Regelungen in einem KollV sprächen gewichtige Argumente, vor allem der Schutzzweck des § 3 ArbVG, aber dafür, dass es im Regelfall nach der gesetzlichen Konzeption bei der einseitig zwingenden Wirkung des KollV zu bleiben habe. Daran ist grundsätzlich festzuhalten.

3. Dennoch kann in der vorliegenden Konstellation die Entstehungsgeschichte der DO nicht unbeachtet bleiben. Unzweifelhaft ist, dass § 52 DO den Vorstand vor Inkrafttreten des PoststrukturG ermächtigte, mittels Sondervertrag von den Standards der DO abzuweichen, ohne dass ein Günstigkeitsvergleich iSd § 3 Abs 1 ArbVG anzustellen gewesen wäre. Der Umstand, dass die DO nicht von Kollektivvertragsparteien abgeschlossen wurde, sondern im Zuge der Ausgliederung des Postwesens aus der Bundesverwaltung aufgrund gesetzlicher Anordnung zum KollV erklärt wurde, wirft die Frage auf, ob der Gesetzgeber trotz der Anordnung, dass die DO als KollV gilt, nicht bewusst die ursprüngliche Reichweite der Vorstandsermächtigung des § 52 DO beibehalten wollte.

In den Erläuterungen zum PoststrukturG, RV 72 BlgNR XX. GP 323, ist festgehalten:

„Mit Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes gilt die Dienstordnung als Kollektivvertrag. Die Normwirkung des Kollektivvertrages beginnt daher bereits ab diesem Zeitpunkt. In die Vertragsautonomie zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer wird durch diese Bestimmung nicht eingegriffen. Spätere Änderungen des Kollektivvertrages bedürfen der Genehmigung des Aufsichtsrates. Die formellen Bestimmungen des I. Teiles des Arbeitsverfassungsgesetzes über Kollektivverträge sind anzuwenden.“

Gerade der Hinweis, mit § 19 Abs 4 PTSG nicht in die Vertragsautonomie von DG und DN eingreifen zu wollen, zeigt aber, dass der Gesetzgeber im Zuge der Überleitung der Post-Vertragsbediensteten auf die Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft um Kontinuität in der Rechtssetzungsbefugnis bemüht war. Dies entspricht auch der Erwägung der Bekl, dass der Gesetzgeber hier die Regelung des davor ex lege anwendbaren § 36 Abs 1 VBG 1948 nachempfunden hat. Nach dieser Bestimmung können in Ausnahmefällen in Dienstverträgen Regelungen getroffen werden, die von diesem Bundesgesetz abweichen; solche Dienstverträge sind als Sonderverträge zu bezeichnen und bedürfen der (gegebenenfalls generellen, Abs 2) Genehmigung des Bundeskanzlers (siehe RIS-Justiz RS0008975). Nach der Rsp ist es aber zulässig, dass ein Sondervertrag gem § 36 VBG unter bestimmten Voraussetzungen auch zum Nachteil des DN vom VBG abweichen darf (9 ObA 149/07p ua). Ebenso spricht der Hinweis in den Erläuterungen, dass die formellen Bestimmungen des I. Teils des ArbVG über KollV anzuwenden sind, dafür, dass der Gesetzgeber nicht in jedem Fall auch die materiellen Bestimmungen dieses Teils angewandt wissen wollte. Zu letzteren zählt aber § 3 Abs 1 ArbVG. Aus historisch-teleologischen Erwägungen ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Anordnung der Geltung des § 52426 DO als Kollektivvertragsbestimmung – ungeachtet des § 3 Abs 1 ArbVG – den Vorstand auch zum Abschluss solcher Sonderverträge ermächtigen wollte, die zum Nachteil des AN von der DO abweichen.

4. § 52 DO ist dennoch nicht iS einer schrankenlosen Freiheit des Vorstands zu deuten. Schon aus prinzipiellen Gründen kann diese Ermächtigung vielmehr nur so verstanden werden, dass auch sie dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot unterliegt (vgl RIS-Justiz RS0038552 ua). Dieses muss daher den Rahmen für die Entscheidung des Vorstands vorgeben. Im Zweifel hat dabei die Bekl nachzuweisen, dass eine von der DO zu Lasten des AN abweichende Sondervereinbarung dem Gebot der Sachlichkeit standhält.

5. Das kann im vorliegenden Fall bejaht werden, weil mit dem Kl ein weit überkollektivvertragliches Entgelt vereinbart wurde (nach dem unbestrittenen Vorbringen der Bekl hätte sein Bruttomonatsgehalt nach der DO 2.173,69 € brutto anstelle der vereinbarten 4.090,26 € betragen) und lediglich seine Entgeltfortzahlungsansprüche nicht über den gesetzlichen Standard hinausgehen sollten. Erwägungen zu einem Günstigkeitsvergleich iSd § 3 Abs 1 ArbVG sind daneben nicht mehr anzustellen.

Anmerkung
1

Die E hat die arbeitsrechtlichen Regelungen der Ausgliederung der Post- und Telegrafenverwaltung durch das PTSG 1996 zum Gegenstand. Bei der Post waren neben Beamten auch Vertragsbedienstete beschäftigt, auf deren Dienstverhältnis das VBG 1948 anzuwenden war. Anlässlich der Ausgliederung wurde zwischen Gewerkschaft und DG eine DO ausgehandelt, die sich am VBG 1948 orientiert hat

In § 19 Abs 4 PTSG wurde dann angeordnet, dass die DO „als KollV gilt“. § 52 DO sieht allerdings vor: „Der Vorstand kann im Dienstvertrag Regelungen treffen, die von dieser DO abweichen. Solche Verträge sind als Sonderverträge zu bezeichnen.

Im gegenständlichen Fall lag ein solcher Sondervertrag vor. Seine Besonderheit bestand darin, dass sich die Anspruchsdauer der Entgeltfortortzahlung im Krankheitsfall nicht nach der einschlägigen Bestimmung in der DO richten sollte, die insoweit der entsprechenden Regelung im VBG 1948 entsprach. Nach dem Dienstvertrag sollten stattdessen die kürzeren Fristen des AngG zur Anwendung kommen. Offenbar gleichzeitig wurde mit dem DN ein in ca 85 % über den Ansätzen der DO liegendes Gehalt vereinbart.

Der kl DN war der Ansicht, die vertragliche Verkürzung der Anspruchsdauer sei als ungünstigere Regelung iSd § 3 ArbVG unwirksam. Die unteren Instanzen waren ebenfalls dieser Auffassung. Der OGH entschied freilich anders.

2

Die E betrifft eine eher spezielle Fragestellung. Einzelne Aspekte sind aber doch von allgemeiner Bedeutung, sodass eine kurze Anmerkung gerechtfertigt ist. Von genereller Bedeutung ist zunächst, dass der OGH an seiner Judikatur zur eingeschränkten Zulässigkeit von dispositiven Bestimmungen in Kollektivverträgen festhält. Die einschlägige Formulierung in § 52 DO, wonach der Vorstand (!) im Dienstvertrag Regelungen treffen kann, die von der DO abweichen, scheint ja auf den ersten Blick eine unbegrenzte Möglichkeit für Abweichungen in jede Richtung zu eröffnen. Die Unterinstanzen haben offenbar am Wortlaut des § 52 DO festgehalten und diese Bestimmung unter Hinweis auf die einschlägige OGH-E vom

20
10
2004
, 8 ObA 88/04f, als ungültig angesehen. Auf diese Weise gelangten sie zur Anwendung des § 3 Abs 1 ArbVG. Die Frage, ob man ein höheres laufendes Gehalt gegen die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall abtauschen darf, haben sie dann zutreffend verneint. Hervorzuheben ist, dass der OGH diese Auffassung nicht grundsätzlich kritisiert. Dh, hätte man es bei der DO mit einem „normalen“ KollV zu tun gehabt, hätte der OGH höchstwahrscheinlich die Ansichten der Unterinstanzen geteilt.

3

Sein Ergebnis begründet der OGH mit Argumenten aus der Entstehungsgeschichte des PTSG. Sehr überzeugend ist die Berufung auf die Gesetzesmaterialien freilich nicht. Dies deshalb, weil die einschlägigen Erläuterungen nicht nur sehr knapp sind, sie glänzen auch nicht durch arbeitsrechtlichen Sachverstand. Was soll man etwa von einer Äußerung halten, wonach die DO als KollV gilt und gleichzeitig erklärt wird, dass in die Vertragsautonomie von DG und DN dadurch nicht eingegriffen wird? Auch die Formulierung, dass die formellen Bestimmungen des I. Teils des ArbVG über Kollektivverträge anzuwenden sind, ist rätselhaft. Soll zB § 11 ArbVG über die Normwirkung zu den „formellen“ Bestimmungen gehören, während § 3 ArbVG über die zwingende Wirkung zu den „materiellen“ Regelungen zählen soll? Dem ArbVG ist eine solche Unterscheidung jedenfalls fremd. Sie hätte wohl auch kaum einen Sinn. Trotzdem bemüht der OGH diese im Gesetz nicht vorhandene, auch sonst nicht übliche und nicht näher erläuterte Unterscheidung als Argument für sein Verständnis des § 52 DO. Überzeugender wäre es mE gewesen, wenn man diese Bestimmung als Nachfolgeregelung des § 36 Abs 1 VBG 1948 verstanden hätte. Die DN der Post AG waren vor der Ausgliederung ja Vertragsbedienstete des Bundes, die dem VBG 1948 unterlagen. Ihre Rechte sollten ihnen gem § 18 Abs 1 PTSG gewahrt bleiben. Dazu gehört wohl auch der Umstand, dass ihre gesetzlichen Rechte nur nach Maßgabe des § 36 VBG 1948 verändert werden können. Dieser Umstand hätte es nahegelegt, § 52 DO so zu interpretieren wie § 36 Abs 1 VBG. Dann wäre es iSd dazu ergangenen Judikatur darauf angekommen, ob die Abweichung von der DO durch besondere konkrete Umstände des Einzelfalls begründet war (zB OGH

20
10
2004
, 8 ObA 82/04y). Über den Grund des Sondervertrages im konkreten Fall erfährt man aus der E leider nichts. Es bleibt bei dem nicht recht befriedigenden Hinweis, dass § 52 DO dem Vorstand der Post AG keine schrankenlose Freiheit gewährt, sondern ihm nur eine Ermächtigung erteilt, die dem Sachlichkeitsgebot unterliegt. Sachlich war es dann in den Augen des OGH, dass eine Verkürzung der Anspruchsdauer der Entgeltfortzahlung bei Krankheit ohne Weiteres gegen ein erheblich höheres laufendes Entgelt eingetauscht werden kann. Wo die Preisgrenzen liegen, bleibt naturgemäß ebenso offen wie die Frage, ob alle Objekte der DO dem Tauschhandel unterliegen können.427