„Tatsächliche Ausbildungskosten“ bei betriebs- oder konzerninternen Schulungsmaßnahmen?

RAINERWANDERER (WIEN)

Seit Inkrafttreten der Spezialnorm des § 2d AVRAG am 18.3.2006 standen innerhalb des Rechtsgebiets des Ausbildungskostenrückersatzes Fragen der Aliquotierung* und der einzelvertraglichen Schriftlichkeit* im Fokus der höchstgerichtlichen Rsp.

§ 2d AVRAG normiert jedoch als ebenbürtiges Tatbestandselement, dass der AG jedenfalls „tatsächliche Ausbildungskosten“ nachweisen muss, um im Falle seines Ausscheidens einen Rückzahlungsanspruch gegenüber dem AN für Ausbildungskosten geltend machen zu können. Die zentrale Bedeutung dieser gem § 16 AVRAG zwingenden Gültigkeitsvoraussetzung für die Begründung einer Rückersatzverpflichtung scheint zuletzt etwas auch dem Blickwinkel gerückt zu sein. Dabei handelte es sich um keine gesetzliche Neuschöpfung aus dem Jahr 2006, sondern lediglich um die Festschreibung der bisherigen jahrzehntealten bewährten Judikatur. Durch den Ausbildungskostenrückersatz soll zwar die Möglichkeit eines Investitionsschutzes für den AG geschaffen werden, umgekehrt muss die Ausübung der in Art 6 und Art 18 Staatsgrundgesetz (StGG) verankerten Grundrechte der Freiheit der Berufswahl und der Erwerbstätigkeit durch den AN gewährleistet bleiben. Die langjährige Rsp hat daher aufgrund dieses Grundrechtsbezugs mit den „tatsächlichen Ausbildungskosten“ richtigerweise einen sehr engen Kostenbegriff entwickelt und begnügt sich nicht mit bloß „angemessenen Ausbildungskosten“ oder „marktüblichen Ausbildungskosten“.

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Zentrale Prüfungskriterien der Judikatur

Wichtige Rechtssätze, was unter „tatsächlichen Ausbildungskosten“ zu verstehen sei, ergeben sich aus zwei arbeitsrechtlichen Grundsatzentscheidungen:

OGH4 Ob 120/78Arb 9787:

Auch die Bezifferung der gegebenenfalls zurückzuerstattenden Ausbildungskosten mit einem bestimmten Betrag bedeutet nur, dass diese Pauschalierung des Rückzahlungsbetrags mangels einer abweichenden Parteienabrede nur im Interesse des AN vereinbart wurde, dessen Rückersatzpflicht damit zwar mit diesem Betrag begrenzt wird, der aber in keinem Fall mehr als die tatsächlichen Ausbildungskosten zu zahlen habe.

Rein fiktive Pauschalbeträge sind daher nie überwälzbar.

OGH9 ObA 211/94Arb 11.336:

Rückforderbar sind stets nur notwendige Ausbildungskosten; Kosten, die der AG in seinem Interesse auflaufen lässt, können als einseitige Maßnahmen dem AN nicht angelastet werden.443

Reise- und Unterbringungskosten, die sich aus ausbildungsfremden Motiven ergeben, sind nicht überwälzbar. Bei einer Durchführung der Ausbildung außerhalb des Dienstortes „um die Kommunikation zu verbessern“, handelt es sich nicht um einen notwendigen und nützlichen Aufwand gem § 1014 ABGB in Bezug auf den Ausbildungszweck.

Zur Ermittlung der „tatsächlichen Ausbildungskosten“ bei betriebsinternen Schulungsmaßnahmen gibt es ein sehr aufschlussreiches Judikat:

OLG Wien 7 Ra 154/05a ARD 5691/6/2006:

Rückforderbar sind stets nur die notwendigen Ausbildungskosten und nur die vom AG für die Ausbildung tatsächlich aufgewendeten „Kosten“, also nur jene besonderen Auslagen, die ihm nicht auch ohne den AN betreffenden Ausbildungsaufwand entstanden wären.Das Risiko der Auslastung von etwa Schulungsräumen oder ähnlichen Ausbildungsmitteln kann nicht dem auszubildenden AN allein überbunden werden, der dann umso schlechter gestellt wäre, je weniger weitere AN mit ihm an einer Ausbildung teilnehmen. Dabei ist nicht zu untersuchen, ob der AG für externe Schulungen der AN gleichen Inhalts einen Betrag aufzuwenden gehabt hätte, der die Höhe der „Vollkosten“ erreicht, weil ein Anspruch des AG auf Ersatz solcher fiktiven Kosten nicht besteht.
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Aktuelle Fallbespiele aus der Beratungspraxis

Praxisfall 1:

Ein in der Personalabteilung eines Exportunternehmens beschäftigter Angestellter nimmt an dem eintägigen Seminar „Arbeitsrecht bei grenzüberschreitendem Einsatz von Arbeitnehmern“ eines privaten Seminarveranstalters im Jänner 2012 teil. Die Rechnung über € 500,– wird vom AG bezahlt. In einer schriftlichen Rückersatzvereinbarung verpflichtet sich der Angestellte im Falle seines Ausscheidens, innerhalb von drei Jahren diese Ausbildungskosten aliquot zurückzahlen, wobei die aliquoten Abschläge ein Drittel pro vollendetem Jahr betragen. Ende Dezember 2012 scheidet der AN schließlich aufgrund einer Selbstkündigung aus dem Unternehmen aus.

Weder am Ausbildungscharakter iS einer allgemeinen Verwertbarkeit des Wissens am Arbeitsmarkt noch an den „tatsächlichen Kosten“ können irgendwelche Zweifel bestehen. Es gab ja einen tatsächlichen Zahlungsfluss an ein drittes Unternehmen und damit einen finanziellen Aufwand. Nach der derzeitigen Spruchpraxis ist zu erwarten, dass den ausscheidenden AN eine Rückzahlungsverpflichtung über die vollen Kosten über € 500,– treffen wird.

Nicht einmal für ganz kurze Schulungen wurden von den österreichischen Gerichten sehr lange Bindungsfristen bisher beanstandet. Auch werden aliquote Abschläge nur in Jahressprüngen akzeptiert. Beides erscheint jedoch gerade bei wenig zeitintensiven Seminaren überhaupt nicht adäquat.

Man bedenke, dass das im vorliegenden Fall nur an einem Schulungstag erworbene Wissen dem AG bereits mehrere hundert Arbeitstage lang zu Gute gekommen ist. Deshalb wird man wohl kaum mehr mit einer frustrierten Aufwendung des AG argumentieren können, die eine Beschränkung des freien Kündigungsrechts des AN noch länger zu rechtfertigen vermag.

Ohne dass es dafür spezialgesetzlicher Vorgaben bedurfte, hat sich in der deutschen Judikatur richtigerweise eine gefestigte Spruchpraxis etabliert, wonach die Länge der Ausbildung in einem angemessenen Verhältnis zur Bindungsdauer stehen muss. In seinem Judikat vom 14.1.2009, 3 AZR 900/07, hat das deutsche Bundesarbeitsgericht zu den gebotenen Regelzeiträumen zusammenfassend Folgendes festgehalten:

„Bei einer Fortbildungsdauer von bis zu einem Monat ohne Verpflichtung zur Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Bezüge ist eine Bindungsdauer bis zu sechs Monaten zulässig, bei einer Fortbildungsdauer von bis zu zwei Monaten eine einjährige Bindung, bei einer Fortbildungsdauer von drei bis vier Monaten eine zweijährige Bindung, bei einer Fortbildungsdauer von sechs Monaten bis zu einem Jahr keine längere Bindung als drei Jahre und bei einer mehr als zweijährigen Dauer eine Bindung von fünf Jahren.“

Damit tragen die deutschen Gerichte der Wahrung der in Art 15 Grundrechtecharta der europäischen Union geschützten AN-Mobilität bereits in weit angemessener Weise Rechnung.

Praxisfall 2:

Einer der besten österreichischen Friseure stimmt mit seinem AG darin überein, dass es im Inland für ihn keine sinnvolle Weiterbildungsmöglichkeit mehr gebe. Deshalb vereinbaren die beiden Vertragspartner, dass der AN im Jänner 2010 an einem dreitägigen Styling-Training bei einem Londoner Starfriseur teilnehmen soll. Die reinen Ausbildungskosten dafür betragen € 1.000,–, dazu kommen noch der Preis für den Flug in der Höhe von € 200,– und die Kosten der Unterbringung in der Höhe von € 300,–. Der AN verpflichtet sich in einer auf die konkrete Weiterbildungsmaßnahme bezogenen schriftlichen Rückzahlungsvereinbarung, dass bei einem Ausscheiden innerhalb des ersten Jahres eine volle Rückersatzverpflichtung für die Gesamtkosten von € 1.500,–, innerhalb des zweiten Jahres im Ausmaß von zwei Drittel über € 1.000,– und im dritten Jahr über ein Drittel, dh € 500,–, bestehe. Der AN kündigt knapp zwei Jahre nach dem Styling-Training mit Jahresende 2012. Sein ehemaliger AG stellt ihm 2/3 der ursprünglichen Gesamtkosten, dh € 1.000,–, in Rechnung.

Absolut nicht adäquat erscheint auch hier das grobe Missverhältnis zwischen der Kürze der Ausbildung und der langen Bindungsdauer. Im Einklang mit § 879 ABGB und in Anlehnung an die ständige deutsche Rsp erschiene für solche in der Beratungspraxis stark vorherrschenden Kurzzeitschulungen eine auf sechs Monate beschränkte maximale Bindungsdauer sachgerecht. Einem halben Kalenderjahr entsprechen etwa 1.000 Arbeitsstunden, in welcher der AN die ihm in nur drei Tagen vermittelten Fertigkeiten zu Gunsten des Unternehmens bereits sehr intensiv anwenden konnte. Nach dem Ablauf von sechs Monaten hat sich die Investition in die Weiterbildung des AN für den AG voll amortisiert.

Jedenfalls handelt es sich bei dieser ganz Individuellen und auf die Persönlichkeit des AN zugeschnit444tenen internationalen Weiterbildung des AN sowohl um allgemein verwertbares Wissen als auch um „tatsächliche Ausbildungskosten“.

Auch die Reise- und Unterbringungskosten sind als Bestandteil der „tatsächlichen Ausbildungskosten“ zu betrachten, da sie mit der Teilnahme an der Veranstaltung in unvermeidbarem Zusammenhang stehen. Der angefallene Reiseaufwand war notwendig und nützlich für den AN in Bezug auf den Ausbildungszweck iSd § 1014 ABGB und unterliegt daher ebenfalls der getroffenen Rückersatzvereinbarung.

Praxisfall 3:

Ein IT-Unternehmen organisiert einmal pro Jahr einen unternehmensexklusiven Oracle-Kurs mit externen Trainern für alle neu eintretenden Mitarbeiter. Der Pauschalpreis des Kurses beträgt € 10.000,–. Die Höchstteilnehmerzahl beträgt 15 Personen. Am konkreten Kurs haben zehn Mitarbeiter teilgenommen. Anlässlich einer AN-Kündigung wird auf den ausscheidenden AN ein Bruchteil von € 1.000,– überwälzt.

Der Oracle-Kurs ist nicht als bloße Einschulung zu werten, in welcher nur betriebsspezifisches Wissen vermittelt wird, sondern evidentermaßen als Veranstaltung iSd Ausbildungsbegriffs des § 2d AVRAG. Bei der „Verwertbarkeit von Spezialkenntnissen auch bei anderen Arbeitgebern“ und dem Nachweis „tatsächlicher Kosten“ handelt es sich jedoch nicht um alternative, sondern kumulative unabdingbare Tatbestandselemente. Auch gilt gem § 2d AVRAG keinesfalls ein bewegliches System, wonach bei einer Bejahung der allgemeinen Verwertbarkeit der Wissensinhalte an die Glaubhaftmachung der aufgewendeten „tatsächlichen Kosten“ gerade für einen bestimmten AN weniger strenge Anforderungen zu richten sind. Beide angeführten gesetzlichen Gültigkeitsvoraussetzungen müssen für die Begründung einer Rückersatzpflicht für Ausbildungskosten ohne Abstriche zweifelsfrei erfüllt werden.

Im Berufungsurteil, welches schließlich in Rechtskraft erwuchs, wurde erkannt, dass die Division des Pauschalpreises für den Kurs durch die Zahl der tatsächlichen Teilnehmer (10.000 : 10 = € 1.000,–) eine legitime Methode sei, um die Höhe der Rückzahlungspflicht des ausscheidenden AN zu ermitteln.* Dies erscheint bei nur oberflächlicher Betrachtung sachgerecht, hält aber einer eingehenderen Analyse nicht stand. Was wäre gewesen, wenn kurzfristig zwei der vorgesehen Teilnehmer krankheitsbedingt ausgefallen wären? Würde sich die Rückzahlungspflicht des ausscheidenden AN damit auf € 1.250,– (10.000 : 8) erhöhen? Beträgt die Ersatzpflicht des einzelnen Teilnehmers nur € 667,– (10.000 : 15), wenn in einem Jahr die Höchstteilnehmerzahl ausgeschöpft wird, aber stolze € 2.000,– (10.000 : 5), wenn sich in einem anderen Jahr nur fünf neu eintretende Mitarbeiter als Kursteilnehmer finden?

Zutreffend war daher der Rechtsstandpunkt der Erstinstanz,* wonach bei dieser Konstellation keine tatsächlichen variablen Zusatzkosten für einzelne AN festzumachen seien und daher keine Zahlungspflichten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehen können.

Bei der Durchführung von unternehmensexklusiven Schulungsmaßnahmen mit einem Pauschalpreis fallen in Wahrheit nur jene Fixkosten an. Durch diese Art der Abwicklung vermeiden Unternehmen konkrete arbeitnehmerbezogene variable Kosten und damit von den einzelnen Teilnehmern abhängige Risikofaktoren (Krankheit, Beendigung), die nur bei individuell organisierten Weiterbildungsveranstaltungen (Praxisfall 1 und 2) bestehen.

Bedauerlicherweise hat das Höchstgericht* eine außerordentliche Revision trotz der diametral entgegengesetzten rechtlichen Bewertung seitens der Vorinstanzen nicht zugelassen. Die Einschätzung des OGH, es handle sich um keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende bedeutsame Rechtsfrage, erscheint aber gerade in Anbetracht des immer häufigeren Auftretens dieser Problemstellung in der Beratungspraxis verfehlt.

Praxisfall 4:

Ein internationales Fitness-Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz hat Tochtergesellschaften in Österreich und Deutschland, in welchen es jeweils als Alleingesellschafter aufscheint. Einstellungsvoraussetzung für den Abschluss eines Arbeitsvertrags und die Tätigkeit als Fitnesstrainerin in Wien war zunächst der Abschluss eines gesonderten „Ausbildungsbildungsvertrags“. In diesem musste sich die österreichische Stellenwerberin bereiterklären, vor der geplanten Begründung des Arbeitsverhältnisses unbezahlt eine einmonatige Fitness-Schulung beim deutschen Schwesterunternehmen in Berlin zu absolvieren. Weiters musste sie sich verpflichten, einen Gesamtbetrag von € 2.500,– an Ausbildungs- und Unterbringungskosten zu refundieren, sollte das Dienstverhältnis von ihr nicht angetreten oder vorzeitig beendet werden. Der Arbeitsvertrag kam zwar noch zu Stande, die Fitness-Trainerin entschloss sich aber zu einer Lösung in der Probezeit.

Seitens des Fitnesscenters wurde argumentiert, bei der Ausbildungsvereinbarung handle es sich um einen völlig autonomen zivilrechtlichen Vertrag. Die Mindeststandards des § 2d AVRAG seien daher zur Beurteilung der Rückersatzverpflichtung nicht maßgeblich, da diese Rechtsnorm nur für Ausbildungen während eines Arbeitsverhältnisses gelte.

Richtigerweise liegt jedoch kein unabhängiges Rechtsgeschäft, sondern ein Scheinvertrag vor, durch welches eine ausschließliche Zweckbindung der Ausbildung auf das Arbeitsverhältnis bloß verschleiert werden sollte. Gem § 916 ABGB gilt daher zwischen den Parteien nicht das simulierte, sondern das dissimulierte Geschäft.*

So haben sowohl die erste Instanz* als auch die zweite Instanz* völlig zu Recht eine Rückersatzverpflichtung der AN abgelehnt, da dies gemäß dem anzuwendenden § 2d Abs 4 Z 1 AVRAG bei einer Lösung in der Probezeit ausgeschlossen ist.

Allerdings bestehen auch entscheidende Unterschiede zu den vorangegangenen drei Praxisfällen, was die Qualität der Kosten betrifft:445

Während im Praxisfall 2 eine Reise des AN nach London objektiv unumgänglich war, um an dem von AN und AG beabsichtigten Styling-Training des englischen Starfriseurs teilnehmen zu können, sind im vorliegenden Praxisfall 4 überhaupt keine fachlichen Notwendigkeiten erkennbar, die eine Durchführung der vom AG gewünschten Fitness-Schulung ausgerechnet in Berlin rechtfertigen zu vermögen. Es handelt sich um eine rein kaufmännische Entscheidung der Unternehmensgruppe, die damit völlig in ihre eigene Risikosphäre fällt und deren finanzielle Konsequenzen sie sich daher selbst zurechnen muss. Für die Fitnesstrainerin wurde hierdurch in Bezug auf den Ausbildungszweck weder ein notwendiger noch ein nützlicher Aufwand nach § 1014 ABGB getätigt, weshalb bereits nach den auftragsrechtlichen Grundregeln eine Überwälzbarkeit der Fahrt- und Unterbringungskosten ausscheiden muss.

Während es den Praxisfällen 1, 2 und 3 Zahlungsflüsse für AN-Schulungen seitens des AG an einen echten Dritten gab, kam es im Praxisfall 4 nur zu Geldverschiebungen zwischen Schwesterunternehmen. Diese richten sich nicht nach Marktgesetzlichkeiten, sondern lagen – was die Festlegung der Höhe betrifft – völlig im Belieben der Unternehmensgruppe. Keinesfalls können durch solche Transaktionen „tatsächliche Ausbildungskosten“ nach § 2d AVRAG generiert werden.

Überdies wird die Fitness-Schulung als entgeltpflichtige Arbeitszeit zu werten sein, da es sich bei der Teilnahme um eine Leistung der Fitness-Trainerin im alleinigen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und auf ausdrückliche Weisung des AG gehandelt hat.

Praxisfall 5:

Eine große österreichische Bankengruppe bietet einem Mitarbeiter ausschließlich Schulungen in der konzerneigenen Akademie an. Die Auswahl von Veranstaltungen wurde immer in Mitarbeitergesprächen festgelegt und stellte ein „freiwilliges Muss“ dar. Als der Angestellte aufgrund einer AN-Kündigung ausscheidet, werden ihm Ausbildungsbildungskosten in der Gesamthöhe von € 1.528,– für zwei Seminare in Rechnung gestellt, welche er im vergangenen Jahr besucht hat: „Bilanzanalyse“ (drei Tage): reine Ausbildungskosten: € 570,–, Unterkunft: € 420,20, Fahrtspesen € 47,20; „Rechtliche Fallen im Kreditgeschäft“ (ein Tag): reine Ausbildungskosten: € 370,–, Unterkunft € 58,–, Fahrtspesen: € 62,60. Die Seminare wurden in Sierning (OÖ) bzw in Pöllauberg (Stmk) abgehalten. Sowohl die beiden Vortragenden als auch alle Seminarteilnehmer waren Konzernmitarbeiter.

Nicht nur in Niedriglohnbranchen (siehe Praxisfall 4), sondern gerade auch im österreichischen Bankenund Versicherungswesen ist in der Beratungspraxis folgender auffälliger Trend feststellbar:

Bloße Wissensvermittlung durch dienstältere Kollegen, die es in vergleichbarer Form notwendigerweise immer schon immer geben musste und die wohl als Bestandteil des Arbeitsvertrags selbst zu werten ist, wird gebündelt und formell auf Tochtergesellschaften ausgelagert. Auch wenn gar keine Ausbildungsoffensive stattfindet, wird durch das rein buchhalterische Verschieben von Geldbeträgen zwischen Gesellschaften innerhalb eines Konzerns der bloße Anschein von „tatsächlichen Ausbildungskosten“ erweckt. Durch derart fingierte Ausbildungskosten sollen Mitarbeiter auf völlig unlautere Weise an Unternehmen gebunden werden.

Der in einem marktwirtschaftlichen System höchst wünschenswerte Wettbewerb zwischen den einzelnen Unternehmen um bessere Arbeitsbedingungen wird dadurch gefährdet. Die Ausübung des freien Kündigungsrechts von Angestellten aller Qualifikationsgrade und damit die Möglichkeit eines Wechsels sind zusehends beeinträchtigt. Es wird immer mehr zum Regelfall, ausscheidende Beschäftigte mit vierstelligen Eurobeträgen zu belasten, obwohl keinerlei Zahlungen für die Ausbildung von Mitarbeitern an konzernfremde Firmen erfolgten.

Im erstinstanzlichen Verfahren wurde das Zahlungsbegehren der Bank zu Recht zur Gänze abgewiesen. * Die konzerneigene Akademie sei kein echter Dritter.

Ein der Höhe nach völlig im Belieben der Unternehmensgruppe liegendes Jonglieren mit Geldbeträgen zwischen Schwesterfirmen kann keinesfalls „tatsächliche Ausbildungskosten“ darstellen. Richtig ist, dass es gerade den Hauptvorteil einer konzerninternen Organisation von Schulungsmaßnahmen darstellt, das Entstehen von variablen Zusatzkosten für einzelne AN zu vermeiden. Nur bei Teilnahme von Mitarbeitern bei externen Schulungsveranstaltungen (Praxisfall 1 und 2) sind die „tatsächlichen Ausbildungskosten“ abhängig von der Teilnehmerzahl und erhöhen sich mit jeden zusätzlichen AN auch real.

Deshalb ist es sehr bedenklich, dass das Berufungsgericht entgegengesetzt entschieden hat* und sich mit diesen rein konzernintern festgelegten Zahlungsflüssen als alleinigen Anknüpfungspunkt für eine Zahlungspflicht des Angestellten in dieser Höhe zufrieden gab.

Diese Sichtweise stellt ein völliges Aushöhlen der zwingenden gesetzlichen Nachweispflichten für variable „tatsächliche Ausbildungskosten“ zu Gunsten eines willkürlichen Festlegungsrechts von Zahlungsforderungen gegenüber ausscheidenden AN durch Konzerne dar. Das entspricht weder der eingangs dargestellten ständigen Judikatur noch dem Gesetzeszweck des § 2d AVRAG, durch welchen Mobilitätsbeschränkungen eingedämmt und nicht ausgeweitet werden sollten. Selbst wenn die Marktüblichkeit der angegebenen Kosten zu bejahen wäre, würde es sich hierbei nicht um reale, sondern um jene fiktiven Ausbildungskosten handeln, auf welche der AG gerade keinen Ersatzanspruch haben soll.*

Eine weitere Kernaussage dieses Berufungsurteils zu Ungunsten des AN war die Feststellung, dass der anzuwendende konzernexklusive KollV nach seinem Wortlaut offenkundig gerade auch auf Schulungen der konzerneigenen Akademie abstelle. Kollektivertragsnormen seien sozialpartnerschaftlich ausverhandelt und damit als hinreichend ausgewogene Regelungen446 zu betrachten. Diese Auffassung zum Inhalt von Kollektivverträgen ist nicht nur verklärend, sondern vor allem methodisch falsch. Sie deckt sich nicht mit der höchstgerichtlichen Judikatur, wonach kollektivvertragliche ebenso wie einzelvertragliche Bestimmungen einer Gesetzmäßigkeitskontrolle unterliegen bzw diese gesetzeskonform auszulegen sind. Zu Recht hat der OGH* in unangemessen kurzen Ausschlussfristen in Kollektivverträgen eine übermäßige Erschwerung in der Geltendmachung von Ansprüchen gesehen. Eine Kollektivvertragsverfallsfrist von sechs Wochen sei daher zu kurz und gem § 879 ABGB sittenwidrig. Im Stufenbau der Rechtsordnung sind gesetzliche Rahmenvorgaben für Kollektivvertragsbestimmungen hierarchisch klar übergeordnet. So hat das Höchstgericht* ebenfalls zutreffend erkannt, dass gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßende Kollektivvertragsbestimmungen gesetzwidrig und damit unwirksam seien.

Folglich kann auch der hier anzuwendende KollV für gewerbliche Kreditgenossenschaften, die sich aus § 879 ABGB bzw §§ 2d, 16 AVRAG ergebende gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung einer strengen Nachweispflicht für gerade durch den betreffenden AN verursachte, zusätzliche „tatsächlichen Ausbildungskosten“ nicht rechtswirksam eliminieren, sondern es muss dieser vielmehr gesetzeskonform ausgelegt werden.

Was die Aufenthalts- und Unterbringungskosten betrifft, kann ungeklärt bleiben, ob die Durchführung der beiden Seminare in ländlichen Regionen aus gruppendynamischen Gründen erfolgt sei oder um die Erreichbarkeit des Veranstaltungsorts für die Mitarbeiter der Konzerntöchter aus West- und Südösterreich zu erleichtern. Beide Beweggründe entspringen einer rein unternehmerischen Organisationsentscheidung und fallen damit eindeutig in die vom AG zu vertretende Interessenssphäre. Ebenso wie im Praxisfall 4 sind keine fachlichen Notwendigkeiten für eine auswärtige Durchführung feststellbar. Mangels eines für den Ausbildungszweck getätigten notwendigen und nützlichen Aufwands durch den AG iSd § 1014 ABGB ist eine Überwälzbarkeit dieser Ausgaben auf ausscheidende Mitarbeiter entschieden zu verneinen.

Dieses ergangene Berufungsurteil steht folglich im klaren Widerspruch zum Inhalt der einleitend angeführten arbeitsrechtlichen Grundsatzentscheidungen Arb 9787 und Arb 11.336. Folglich sind mehrere Rechtsfragen in der von § 502 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG geforderten Qualität berührt.

Leider hat das Höchstgericht* abermals eine außerordentliche Revision nicht zugelassen. Eine für Arbeitsrechtspraktiker sehr wünschenswerte aktuelle Sachentscheidung des OGH zum ausgewogenen Schutz der sowohl verfassungs- als auch europarechtlich verankerten AN-Mobilität konnte damit wieder nicht erfolgen.

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Präzise rechtliche Analyse der behaupteten Ausbildungskosten immer unbedingt geboten

Für die Teilnahme an rein konzern- oder betriebsintern organisierten Schulungsmaßnahmen werden gegenüber ausscheidenden AN häufig Rückzahlungsforderungen erhoben, gegen welche auf den ersten Blick überhaupt keine rechtlichen Einwände zu bestehen scheinen. Jene Beträge, die in Rechnung gestellt werden, wirken oft durchaus angemessen oder marktüblich.

§ 2d AVRAG und die schon vor dessen Inkrafttreten bestehende dargestellte langjährige Rsp knüpfen jedoch gerade nicht an einen solchen abstrakt-fiktiven, sondern wohlbedacht an einen ganz konkreten Kostenbegriff an.

Unternehmen sind daher rechtlich immer dazu verpflichtet arbeitnehmerbezogene „tatsächliche Ausbildungskosten“ nachzuweisen. Zusätzliche variable Aufwendungen müssten beziffert werden, welche ohne die Teilnahme des betreffenden AN sonst nicht aufgelaufen wären und im Hinblick auf den Ausbildungszweck auch wirklich unvermeidbar waren. Solche „tatsächlichen Ausbildungskosten“ werden bei Schulungsmaßnahmen innerhalb von Unternehmen oder Unternehmensgruppen in aller Regel nicht glaubhaft anfallen, weshalb mangels Erfüllung dieser zwingenden Tatbestandsvoraussetzung auch keine Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung zum Ausbildungskostenrückersatz bestehen kann.447