Marlies Glawischnig (Hrsg)Handbuch Arbeitsunfall

Linde Verlag, Wien 2012, 264 Seiten, kartoniert, € 48,–

RUDOLFMÜLLER (WIEN)

Wer sich unter einem Handbuch einen dicken Wälzer vorstellt, in dem er zum Begriff des Arbeitsunfalls das gesamte Wissen systematisch geordnet nachschlagen kann, wird überrascht sein, hier ein vom Umfang her eher schmal geratenes Büchlein als „Handbuch“ in Händen zu halten. Allein das Werk hat nicht in erster Linie JuristInnen oder gar die Rechtswissenschaft im Fokus, sondern – so das Vorwort der Herausgeberin und des AutorInnenteams – „alle Menschen, die in ihrem beruflichen Alltag mit Fragen des Arbeitnehmerschutzes und der rechtlichen Aufarbeitung von Arbeitsunfällen zu tun haben“. Das Handbuch soll als Arbeitsbehelf dienen, um „möglichst rasch die nach einem Arbeitsunfall zwangsläufig auftauchenden Rechtsfragen fundiert beantworten zu können“. Dem wird das Buch, das im wesentlichen von im Arbeits- und Sozialrecht ausgewiesenen Richtern und Richterinnen des ASG Wien, des OLG Wien und des OGH und einer Universitätsassistentin aus dem Strafrechtsbereich verfasst wurde, hinsichtlich der darin behandelnden Themen durchaus gerecht: Günter Kegelreiter schreibt über „Arbeitnehmerschutz und Prävention“, Robert Atria beschäftigt sich mit „Schadenersatz nach einem Unfall im Betrieb“, Pilar Kokoul und Gerhart Pohnert widmen sich dem Thema „Die strafrechtliche Verantwortung“, Sieglinde Tarmann-Prentner beschreibt „Leistungen der Sozialversicherung nach einem Arbeitsunfall“ und die Herausgeberin nimmt sich der „Sicherheit am Arbeitsplatz und Leistungen bei Arbeitsunfällen im Recht der Europäischen Union“ an. Ein Abkürzungsverzeichnis und ein Literaturverzeichnis (an dem der Rezensent in eigener Sache zu bemängeln hätte, dass sich hinter vier Fundstellen mit dem Autor „Müller“ drei verschiedene Müllers verbergen, die man – wie bei diesem Familiennamen üblich und leider unerlässlich – besser mit Vornamen unterscheidbar gemacht hätte) fehlen nicht. Nach welchen zeitlichen oder fachlichen Gesichtspunkten die Literatur (in der sich verstreut auch Entscheidungsrezensionen finden) von den AutorInnen ausgewählt wurde, bleibt allerdings unklar, zumal einerseits weiter zurückliegende Aufsätze zum Teil berücksichtigt wurden, andererseits aber – wenngleich ältere, aber durchaus weiterhin gültige – Standardwerke von Tomandl über den Arbeitsunfall und über den Wegunfall fehlen. Das Werk wird durch Inhaltsverzeichnisse bei den einzelnen Beiträgen und durch ein Stichwortverzeichnis erschlossen. Während das AN-Schutzrecht detailreich und gut gegliedert entlang des ASchG dargestellt wird (wobei der Erkenntnisgewinn sich nur unwesentlich von dem der Lektüre des Gesetzestextes unterscheiden dürfte), so bleibt die Darstellung der Leistungen der UV zwar eher bei den Grundzügen, berührt aber so gut wie alle Fragen und bietet durch die zahlreichen, in den Text kursiv eingestreuten Fallbeispiele (die vom Streit unter ArbeitskollegInnen, über den Schutz auf dem Arbeitsweg bis zur Dienstreise reichen) ein recht anschauliches Bild über den Kern, aber auch über die Grenzen des Unfallversicherungsschutzes bei Beschäftigung. Bei der Erwähnung des Erfordernisses der betrieblichen Gründe beim Streit auf einer sogenannten „Betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung“ (S 196) hätte ich mir Hinweise auf den an sich bestehenden Versicherungsschutz auf solchen Veranstaltungen (wie zB auf Betriebsausflügen) gewünscht, der auch ohne Streit besteht.

Sehr ertragreich ist der Beitrag zum „Schadenersatz nach einem Unfall im Betrieb“, der zunächst das Schadenersatzrecht in den Grundzügen darstellt, und in diesem Teil vom Schadensbegriff, über die Verursachung und die Darstellung der verschiedenen Arten der Schadenshaftung einschließlich der Haftung für Dritte und der Gefährdungshaftung, bis hin zu Verfahrens- und Versicherungsfragen kein Thema auslässt. Dieser Teil des Beitrags ist an JuristInnen gerichtet, die sich über die komplexen Zusammenhänge des Schadenersatzrechtes einen raschen Überblick verschaffen wollen und insoweit didaktisch hervorragend gelungen. Im Anschluss daran werden dann die schadenersatzrechtlichen Modifikationen des ASVG (Stichworte: Legalzession, Haftungsausschluss des DG und des Aufsehers im Betrieb) sehr ausführlich dargestellt. Dass der Haftungsausschluss des DG auf der einen und der „Quasiarbeitsunfall“ bei faktischer Beschäftigung „wie ein nach § 4 Versicherter“ im Zusammenhang darge463stellt werden, ist sehr verdienstlich, zumal die „Anerkennung“ eines Unfalls als gleichgestellter Arbeitsunfall nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG meist nicht in sozialgerichtlichen Verfahren sondern in Schadenersatzprozessen erfolgt und dort freilich zum Anspruchsverlust des Kl gegen den bekl Schädiger als „Quasi-DG“ führt. Insgesamt ist dieser Teil im Beitrag von Atria der juristisch anspruchsvollste des Handbuches und geht – gemessen an den anderen Beiträgen – eigentlich über das Ziel einer raschen Erstinformation deutlich hinaus. Die strafrechtliche Abteilung bietet einen Überblick über die Fahrlässigkeitsdelikte des StGB und über die strafrechtliche Fahrlässigkeitsdogmatik. Auch fehlen nicht Darstellungen der Diversion, des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes und einige Anmerkungen zum Strafverfahren. Der fundierte europarechtliche Beitrag der Herausgeberin zeigt, dass die EU auch durch Primär- und Sekundärnormen für den AN-Schutz und für die Koordination der Sozialversicherungssysteme Sorge trägt.

Mein Resumee: Ungeachtet dessen, dass sein Konzept angesichts der sehr unterschiedlichen Ansprüche der Beiträge an das juristische Vorverständnis etwas unklar bleibt, ist das „Handbuch Arbeitsunfall“ ein sehr praktischer Orientierungsbehelf, streckenweise sogar mehr als das. Aufgrund seines Umfangs passt es nahezu in jede Tasche. Man kann es als die rasche Erstinformation, die es sein will, durchaus empfehlen.