53

Nichtigkeit einer über das ArbVG hinausgehenden Betriebsratsfreistellung

PETERJABORNEGG (LINZ)
  1. Das Mandat des Betriebsratsmitgliedes ist gem § 115 Abs 1 Satz 1 ArbVG ein Ehrenamt. Dieses soll eine Entfremdung der Belegschaftsvertretung von der Belegschaft verhindern. Daher wird auch die in § 117 ArbVG normierte permanente Freistellung von Betriebsratsmitgliedern nur als Ausnahme von diesem Prinzip in Kauf genommen.

  2. Der Freistellungsanspruch gem § 117 ArbVG ist ein Recht des Kollegialorgans BR verbunden mit der Verpflichtung des freigestellten Betriebsratsmitgliedes, sich der Interessenvertretungsaufgabe zu widmen. Der Bestimmung des § 117 ArbVG kommt grundsätzlich zweiseitig zwingender Charakter zu, sie kann daher durch eine ihr entgegenstehende Vereinbarung nicht aufgehoben werden.

  3. Der Umstand, dass ein AN Mitglied des BR ist, darf zu keiner Benachteiligung, aber auch zu keiner Bevorzugung führen. Ein solcher verpönter Vorteil kann darin liegen, dass einem Betriebsratsmitglied im Einvernehmen mit dem Betriebsinhaber (BI) über die von § 117 ArbVG normierten Grenzen hinaus eine dauernde Freistellung eingeräumt wird.

  4. Da das Schutzobjekt der Ehrenamtlichkeit des Betriebsratsmandates die Belegschaft und deren Anspruch auf unbeeinflusste Interessenvertretung ist, ist eine den Schutzzweck der §§ 115 bis 117 ArbVG beeinträchtigende Vereinbarung nach den dargestellten Grundsätzen von absoluter Nichtigkeit bedroht, auf die sich auch der BI berufen kann.

Der Kl ist seit 15.6.1997 bei der Erstbekl als Pilot angestellt. Er ist seit 1998 durchgehend Mitglied des BR Bord bei der Erstbekl, dessen Vorsitzender er von Herbst 2005 bis April 2007 war. In der Gewerkschaft ist er seit etwa 2000 aktiv, seit etwa 2002 ist er Vorsitzender des Berufsgruppenausschusses Bordpersonal und Bundesfachgruppenvorsitzender für den Bereich Luftfahrt/Schifffahrt.

Am 17.8.2007 schlossen die Erstbekl und der ÖGB, Gewerkschaft * folgende Vereinbarung:

„A-AG gewähren dem ÖGB – Gewerkschaft * analog § 117 ArbVG zwei Freistellungen, wobei eine Freistellung nach Wahl der Gewerkschaft * ganz oder teilweise von T beschickt werden kann. Diese Vereinbarung kann nur gemeinsam mit dem Kollektivvertrag für das Bordpersonal gekündigt werden und wirkt wie dieser nach.“

Diese Vereinbarung wurde für die Gewerkschaft * vom Kl unterfertigt. Aus ihr sollte ausschließlich die Gewerkschaft * berechtigt werden, nicht der Kl. Um die Wiedergabe des § 117 ArbVG und der dazu existierenden Judikatur entbehrlich zu machen, wurde aus Gründen der Vermeidung von Arbeitsaufwand die Formulierung „analog § 117 ArbVG“ gewählt. Die Freistellung sollte genau so erfolgen, wie die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern. Für eine der beiden Freistellungen wurde der Kl abgestellt, er wurde aus diesem Grund seit September 2007 vom Dienst frei gestellt. Diese Vorgangsweise wurde dann über etwa drei Jahre praktiziert.

Am 14.7.2008 trafen die Erstbekl und der ÖGB, Gewerkschaft * eine weitere Vereinbarung, wonach die Erstbekl der Gewerkschaft für die Wahrnehmung von Gewerkschaftsaufgaben 86 freie Tage pro Kalenderjahr gewährt.

Um seine Fluglizenz erhalten zu können, hatte der Kl Interesse daran, weiterhin zu fliegen. Er einigte sich deshalb mit der für ihn zuständigen Dienstplanerin darauf, dass er ihr bekannt gab, zu welchen Zeiten es ihm möglich war zu fliegen. Das wurde im Dienstplan, den der Kl immer am 20. eines Monats für den Folgemonat erhielt, entsprechend berücksichtigt.

Seit April 2011 erachtete sich die Erstbekl nicht mehr an die Vereinbarung vom 17.8.2007 gebunden und teilte den Kl mehrmals zum Dienst ein. Der Kl nahm diese Dienste nicht wahr. Mit Gehaltsabrechnung vom 22.6.2011 wurde dem Kl mit der Begründung „Abzug gemäß § 8 AngG“ ein Teil seines Gehalts sowie anteiliges Urlaubsgeld abgezogen. Darüber hinaus wurden Mehrleistungen in Höhe von 1.668,48 € nicht ausbezahlt. Mit der weiteren Gehaltsabrechnung vom 25.7.2011 wurde dem Kl mit der Begründung, dass er vorgesehene Dienste unentschuldigt nicht geleistet habe, ein Teil des Gehalts, sowie anteiliges Urlaubsgeld abgezogen.

Der Kl begehrt mit dem Vorbringen, die Gehaltsabzüge seien unberechtigt erfolgt, die Zahlung dieser Beträge in der Höhe von insgesamt 4.689,34 € sA sowie die Feststellung, dass er weiterhin Anspruch auf volle Fortzahlung seines Entgelts während laufender Freistellung gemäß der Vereinbarung vom 17.8.2007 habe. Diese Vereinbarung sei aufrecht und Teil seines Arbeitsvertrags geworden.

Für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung wandte die Erstbekl dagegen zusammengefasst ein, dass die Vereinbarung gem § 879 ABGB gesetz- und sittenwidrig sei, weil sie dem Gebot der Gegnerunabhängigkeit iSd § 4 Abs 2 Z 4 ArbVG nicht entspreche und gegen § 117 ArbVG verstoße.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren über 4.605,03 € sA und dem Feststellungsbegehren gegen die Erstbekl statt. Durch die Freistellung zweier Gewerkschaftsmitglieder begebe sich die Teilgewerkschaft * – oder gar der gesamte ÖGB – mit Sicherheit nicht in eine von § 4 Abs 2 Z 4 ArbVG verpönte finanzielle Abhängigkeit von der Erstbekl. Abgesehen davon sei der Schutz des DG nicht Zweck der Bestimmung des § 4 Abs 2 Z 4 ArbVG. Die Vereinbarung vom 17.8.2007 sei daher wirksam, weshalb das Klagebegehren berechtigt sei.

Das Berufungsgericht gab der von der Erstbekl gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. § 4 ArbVG enthalte kein Verbot der Gewährung finan522zieller Zuwendungen an freiwillige Berufsvereinigungen der AN durch AG. Eine Verletzung des Prinzips der Unabhängigkeit gegenüber der anderen Seite („Gegnerunabhängigkeit“) iSd § 4 Abs 2 Z 4 ArbVG habe lediglich zur Folge, dass gem § 5 ArbVG die Kollektivvertragsfähigkeit durch das Bundeseinigungsamt (BEA) mit konstitutiver Wirkung aberkannt werden könne. Hingegen sei eine die Gegnerunabhängigkeit allenfalls gefährdende privatrechtliche Vereinbarung nicht mit Nichtigkeit bedroht. Darüber hinaus könne im konkreten Fall nicht ernsthaft vertreten werden, dass die Freistellung von zwei Beschäftigten für Gewerkschaftstätigkeiten, also die Finanzierung zweier Gewerkschaftsfunktionäre, auch nur im Ansatz geeignet sei, die Unabhängigkeit der Willensbildung im ÖGB bzw der einer Teilgewerkschaft zu gefährden. Schließlich stehe auch der zwingende Charakter des § 117 ArbVG der Vereinbarung vom 17.8.2007 nicht entgegen, weil diese weder in zwingende betriebsverfassungsrechtliche Normen eingreife noch die obligatorische gesetzliche Vertretung der Belegschaft des Betriebs beeinflusse.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage der Zulässigkeit privatrechtlicher Vereinbarungen über die dauernde Freistellung von DN in einer die betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben übersteigenden Zahl eine höchstgerichtliche Rsp nicht aufgefunden werden konnte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Kl beantwortete Revision der Erstbekl. Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.

1.1. Die §§ 115 ff ArbVG regeln die Rechtsstellung der Mitglieder des BR. § 117 ArbVG normiert die dauernde bezahlte Freistellung einzelner Betriebsratsmitglieder, die nur von der Anzahl der zu vertretenden AN abhängt. Sie bringt den Grundgedanken zum Ausdruck, dass bei einer so großen Zahl von AN die Aufgaben bei der Vertretung der Belegschaftsinteressen einen so großen Umfang annehmen, dass sie neben den Arbeitspflichten nicht mehr ausreichend wahrgenommen werden können (OGH8 ObA 20/08m mwH). Der Freistellungsanspruch gem § 117 ArbVG ist ein Recht des Kollegialorgans BR (Gahleitner in

). Das freigestellte Betriebsratsmitglied ist verpflichtet, sich der Interessenvertretungsaufgabe zu widmen. Nur aus der betrieblichen Interessenvertretungsaufgabe heraus findet die gesetzliche Pflicht des BI zur Entgeltfortzahlung an das permanent freigestellte Betriebsratsmitglied überhaupt erst ihre verfassungskonforme Rechtfertigung (Resch in
Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 117 Rz 57). Der Bestimmung des § 117 ArbVG kommt grundsätzlich zweiseitig zwingender Charakter zu, sie kann daher durch eine ihr entgegenstehende Vereinbarung nicht aufgehoben werden (OGH9 ObA 240/94 mit Anm von Gahleitner in ; Resch in
Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 117 Rz 4). Bei zweiseitig oder absolut zwingenden Gesetzesbestimmungen ist jegliche Abänderung der gesetzlichen Regelung untersagt (Strasser in
Strasser/Jabornegg/Resch
, ArbVG § 3 Rz 23).

1.2. Das Mandat des Betriebsratsmitglieds ist gem § 115 Abs 1 Satz 1 ArbVG ein Ehrenamt. Die Ehrenamtlichkeit soll eine Entfremdung der Belegschaftsvertretung von der Belegschaft verhindern. Daher wird auch die in § 117 ArbVG normierte permanente Freistellung von Betriebsratsmitgliedern vom Gesetzgeber nur als Ausnahme von diesem Prinzip in Kauf genommen (Resch, aaO § 115 Rz 14). Das Mitglied des BR hat infolge der Ehrenamtlichkeit nur Anspruch auf das nach § 116 ArbVG fortzuzahlende Entgelt. Der Umstand, dass ein AN Mitglied des BR ist, darf nach der stRsp zu keiner Benachteiligung aber auch nicht zu einer Bevorzugung führen (RIS-Justiz RS0051326; Mosler in ZellKomm2 § 115 Rz 11; Resch, aaO § 115 Rz 13; Schneller in

Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller
, ArbVG4 § 115 Anm 1). Die Unentgeltlichkeit der Ausübung des Ehrenamtes ist gerade ein entscheidender Wert der repräsentativen Mitbestimmung (Floretta in
Strasser/Floretta
, ArbVG 775). Schutzobjekt der Ehrenamtlichkeit ist die Belegschaft und ihr Anspruch auf eine vom BI unbeeinflusste Interessenvertretung (Schneller, aaO § 115 Erl 1; Resch, aaO § 115 Rz 14).

Generell dürfen Betriebsratsmitglieder daher aus ihrem Mandat keinen Vorteil ziehen (RIS-Justiz RS0051303; Mosler, aaO § 115 Rz 13). So wurde etwa bereits ausgesprochen, dass es den zwingenden Bestimmungen der §§ 115 bis 117 ArbVG widerspricht, einem Mitglied des BR die zur Erfüllung seiner Obliegenheiten zu gewährende Freizeit günstiger zu vergüten als seine Arbeitszeit (OGH9 ObA 227/91). Ein solcher verpönter Vorteil kann auch darin liegen, dass einem Betriebsratsmitglied im Einvernehmen mit dem BI über die von § 117 ArbVG normierten Grenzen hinaus eine dauernde Freistellung eingeräumt wird (Resch, aaO § 117 Rz 41; § 115 Rz 33; Klug, Die Grundsätze der Mandatsausübung des Betriebsrats 44).

1.3. Gem § 879 Abs 1 ABGB ist ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Gebot verstößt, nichtig. Nichtigkeit infolge Gesetzwidrigkeit ist nach Lehre und Rsp dann anzunehmen, wenn diese Rechtsfolge ausdrücklich normiert ist oder der Verbotszweck die Ungültigkeit des Geschäfts notwendig verlangt (RIS-Justiz RS0016837; RS0016840). Bei Verstößen gegen Gesetze, die dem Schutz von Allgemeininteressen, der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit dienen, ist die Rechtsfolge der Nichtigkeit eine absolute. Auf die Nichtigkeit kann sich auch der Vertragspartner berufen, der diese beim Vertragsabschluss gekannt hat, weil anders der Zweck solcher Verbotsnormen kaum zu erreichen wäre (RIS-Justiz RS0016432).

Da das Schutzobjekt der Ehrenamtlichkeit des Betriebsratsmandats die Belegschaft in ihrem Anspruch auf eine unbeeinflusste Interessenvertretung ist, ist eine den Schutzzweck der §§ 115 bis 117 ArbVG beeinträchtigende Vereinbarung nach den dargestellten Grundsätzen von absoluter Nichtigkeit bedroht, auf die sich auch der BI berufen kann (Holzer, Anm zu 9 ObA 109/02y, DRdA 2003, 261 [265]; Resch, aaO § 115 Rz 34). Auch eine entsprechende faktische Übung, die iS einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung gedeutet werden könnte, ist, wenn sie gegen den genannten Schutzzweck verstößt, unzulässig und daher ungültig. Der BI darf daher, selbst wenn er Mehrleistungen erbracht hat, künftige Leistungen auf das gesetzliche Maß herabsetzen (OGH9 ObA 227/91).523

2. Die Revisionswerberin hat sich daher im Ergebnis zu Recht darauf berufen, dass der Kl aus der Vereinbarung vom 17.8.2007 und der tatsächlich erfolgten Freistellung auch unter Beachtung der §§ 115 ff ArbVG nicht den begehrten Freistellungsanspruch ableiten kann. Die Auswahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder obliegt gem § 117 ArbVG allein dem BR (Schneller, aaO § 117 Erl 1). Gerade der vom Kl ins Treffen geführte Umstand, dass er „anlaog § 117 ArbVG“ vom Dienst freigestellt wurde, zeigt die von § 115 ArbVG verpönte Besserstellung des Kl als Betriebsratsmitglied auf.

Dadurch bewirkte die Vereinbarung iSd § 115 ArbVG ungebührliche Sonderrechte des Kl als Betriebsratsmitglied, sodass sie im konkreten Fall zu einem vom Gesetz verpönten Eingriff in die zwingende Regelung der Ehrenamtlichkeit der Betriebsratsmitglieder nach § 115 ArbVG führte. Die Erstbekl war daher berechtigt, die dauernde Freistellung des Kl zu beenden. Dass der Kl einen solchen Anspruch auch aufgrund jahrelanger Übung infolge der absoluten Nichtigkeit der Vereinbarung nicht erwerben kann, wurde bereits dargelegt.

Der Revision ist daher Folge zu geben und das Klagebegehren auch hinsichtlich der Erstbekl abzuweisen.

Anmerkung

Der E ist sowohl im Ergebnis wie auch in der Begründung vollinhaltlich zuzustimmen. Einige ergänzende Aspekte sollen dies zusätzlich untermauern und zugleich die gegenteiligen Meinungen der Unterinstanzen sowie die bereits publizierte Entscheidungsanmerkung von Gerhartl, ZAS 2013, 229 ff, kritisch analysieren.

1
Zwingende Wirkung der Freistellungsregelungen des ArbVG

Mit Recht stellt der OGH die zwingende und daher durch keinerlei Vereinbarungen irgendwie abänderbare Wirkung des Prinzips der Ehrenamtlichkeit des Betriebsratsmandats im Allgemeinen und der daraus unmittelbar ableitbaren absolut zwingenden Wirkung (auch) des § 117 ArbVG in das Zentrum seiner E. Dass die in § 115 Abs 1 Satz 1 ArbVG ausdrücklich verankerte Ehrenamtlichkeit auch ein Bevorzugungsverbot für Betriebsratsmitglieder beinhaltet, das vor allem die vom BI unbeeinflusste Interessenvertretungstätigkeit sichern soll, entspricht praktisch einhelliger Auffassung in Rsp und Lehre (Zitate finden sich in der E) und geht – wie im Fachschrifttum zutreffend hervorgehoben wird (vgl nur Stefan Köck, Betriebsratstätigkeit und Arbeitspflicht [1992] 60 ff; Resch in

Strasser/Jabornegg/Resch
, Kommentar zum ArbVG § 115 Rz 12) – schon auf das BRG 1919 zurück, wo in den Materialien (Vorlage der Staatsregierung 164 BlGKNV 11) überdies der in der vorliegenden E vom OGH genannte weitere Normzweck ausdrücklich angesprochen wird, dass eine Entfremdung der Belegschaftsvertretung von der Belegschaft verhindert werden soll: „Denn die Betriebsräte sollen lediglich durch ihren persönlichen Einfluß, getragen von dem Vertrauen ihrer Auftraggeber, hingegen nicht durch einen bureaukratischen Apparat die Interessen der Arbeiterschaft wahrnehmen, sie sollen mit dieser stets in lebendigem Kontakt bleiben und nicht eine neue Einrichtung entwickeln, welche nur zu bald der Arbeiterschaft gegenüber den Charakter einer Behörde erhalten könnte.

Wenn aber für Betriebsratsmitglieder kraft Gesetzes unabänderlich ein Bevorzugungsverbot gilt, so kann keine arbeitsvertragliche Vereinbarung (und auch keine in den Arbeitsvertrag eingehende betriebliche Übung) daran etwas ändern. Gleiches muss wegen der insoweit in keiner Weise eingeschränkten zwingenden Wirkung der gesetzlichen Regelung auch für allfällige Vereinbarungen in einem KollV (vgl zu einer Kollektivvertragsregelung betreffend „Funktionszulagen“ für Betriebsratsmitglieder bereits Klug, Die Grundsätze der Mandatsausübung des Betriebsrats [2001] 42) oder einer BV gelten, sofern man – was freilich sehr zu bezweifeln ist – überhaupt annehmen will, dass Fragen der Ehrenamtlichkeit der Betriebsratsmitglieder möglicher Gegenstand kollektiver Regelungsbefugnisse sein können.

Festzuhalten ist noch, dass gerade auch eine über § 117 ArbVG hinausgehende gänzliche Dienstfreistellung von Betriebsratsmitgliedern dem der Ehrenamtlichkeit innewohnenden Bevorzugungsverbot widerspricht, wofür sich der OGH ebenfalls auf entsprechende Stimmen im Fachschrifttum berufen konnte (Resch in

Strasser/Jabornegg/Resch
, Kommentar zum ArbVG § 117 Rz 41, § 115 Rz 33; Klug, Die Grundsätze der Mandatsausübung des Betriebsrats 44; siehe weiters etwa Jabornegg, Absolut zwingendes Arbeitsverfassungsrecht, in FS Strasser [1983] 376, 379, 386; Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht2 [2012] 608; Stefan Köck, Betriebsratstätigkeit und Arbeitspflicht 57 ff, 64, 227).

Demgegenüber hält Gerhartl (ZAS 2013, 230) diese Auslegung für „zweifelhaft“, da der damit für die zusätzlich freigestellten Betriebsratsmitglieder verbundene Vorteil (nämlich Entfall der Arbeitspflicht für Betriebsratstätigkeiten) mit dem Umstand einhergehe, dass das Betriebsratsgremium dadurch insgesamt über mehr Zeit für die Wahrnehmung der Belange der Belegschaftsvertretung verfüge. Das Argument, dass eine solche Vorgangsweise mit dem Anspruch auf eine vom BI unbeeinflusste Interessenvertretung nicht vereinbar sei und zu einer Entfremdung zwischen BR und Belegschaft führen würde, sei daher „eher fragwürdig“.

Wirklich fragwürdig ist es indessen, ein Mehr an vom BI bezahlter Dienstfreistellung für Betriebsratsmitglieder einfach mit mehr Zeit für die Betriebsratstätigkeit gleichzustellen. Denn über § 116 ArbVG ist (wiederum zwingend!) ohnehin und uneingeschränkt gesichert, dass für während der Dienstzeit erforderliche Betriebsratsarbeit bezahlte Dienstfreistellung in Anspruch genommen werden kann, weshalb darüber hinausgehende bezahlte Dienstfreistellungen von vornherein nur den Zweck haben können, entweder die einzelnen Betriebsratsmitglieder von der Inanspruchnahme ihrer Freizeit für (während der Dienstzeit nicht erforderliche) Betriebsratstätigkeit zu entlasten (was zweifellos mit der Ehrenamtlichkeit in Wider524spruch stünde) oder aber andere als betriebsrätliche Tätigkeiten zu finanzieren. In beiden Fällen begeben sich aber die davon begünstigten Betriebsratsmitglieder in eine zusätzliche Abhängigkeit vom BI, die durchaus geeignet sein kann, die vom BI unbeeinflusste Interessenvertretung in Frage zu stellen und überdies (bei gänzlicher Freistellung) eine Entfremdung von der Belegschaft (in der oben aus den Materialien zum seinerzeitigen BRG 1919 zitierten Weise) zu fördern. Stefan Köck, der diese Fragen sehr ausführlich unter Abwägung aller maßgebenden Aspekte untersucht hat, gelangte daher völlig zu Recht zu folgendem Resümee (Betriebsratstätigkeit und Arbeitspflicht 227): „Arbeitgeber-bezahlte Freistellung gefährdet nur dann die Unabhängigkeit der Belegschaftsvertreter nicht, wenn sie absolut zwingend ist, also keine Dispositionsmöglichkeiten eröffnet, und wenn sie sich möglichst klar erkennen läßt.

Da sich nun im vorliegenden Fall das klagende Betriebsratsmitglied darauf berufen hat, dass die mit der Gewerkschaft getroffene Vereinbarung über seine bezahlte Dienstfreistellung Teil seines Arbeitsvertrags geworden sei, konnte sein Rechtsstandpunkt nur durchdringen, wenn man überhaupt eine vertragliche Erweiterung des § 117 ArbVG iSd Vereinbarung zusätzlicher gänzlicher Dienstfreistellungen für Betriebsratsmitglieder für zulässig hielte, was aber – wie schon gesagt – der in Rsp und Lehre gesicherten Interpretation der genannten Bestimmung iVm § 115 Abs 1 ArbVG widerspricht.

Umso erstaunlicher erscheint es, wenn Gerhartl (ZAS 2013, 230) dazu Folgendes ausführt: „Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Frage, ob § 117 ArbVG absolut zwingender Charakter zukommt, kann im Rahmen dieses Kommentars zwar nicht erfolgen, diese ist jedoch aus meiner Sicht im Ergebnis zu verneinen.

Man muss hier leider festhalten, dass derlei unreflektierte Äußerungen in unserer schnelllebigen Zeit und gerade aus rechtswissenschaftlicher Sicht bedauerlicherweise zunehmend Schule machen: Anstelle einer fundierten Auseinandersetzung mit den jeweiligen Grundfragen wird ohne jeden Ansatz irgendeiner sachlichen Begründung eine nach Gesetzeswortlaut, historischer Absicht der GesetzesverfasserInnen und objektivem Normzweck wohl begründete und durch Rsp und Lehre gefestigte Auslegung mit dem bloßen Hinweis auf die „Sicht“ des kritischen Autors in Frage gestellt und bei der gesamten nachfolgenden Entscheidungskritik die solcherart fehlende Fundierung einfach außer Betracht gelassen. Denn wenn man vorliegend der bislang gesicherten Auffassung über die absolut zwingende Wirkung des § 117 ArbVG folgt, kann man – wie schon erwähnt – zu verbindlichen Abweichungen weder über den Einzelvertrag zwischen Betriebsratsmitglied und AG, noch auch über Vereinbarungen zwischen Gewerkschaft und BI kommen, weil in beiden Fällen ein Ergebnis erreicht würde, das dem Normzweck des § 117 ArbVG iVm der Ehrenamtlichkeit nach § 115 Abs 1 ArbVG klar widersprechen würde. Anders ausgedrückt: Alle entscheidungskritischen Überlegungen Gerhartls machen erst dann Sinn, wenn man Ehrenamtlichkeit der Betriebsratsmitgliedschaft und § 117 ArbVG als dispositiv betrachtet. Genau dazu enthält aber der entscheidungskritische „Kommentar“ nichts Substantielles, abgesehen vom Eingeständnis, dass die dazu notwendige gründliche Untersuchung – aus welchen Gründen immer – in der betreffenden Entscheidungsglosse eben „nicht erfolgen“ konnte.

2
Zur Frage der Gewerkschaft als Vertragspartnerin

Ungeachtet der dargelegten eindeutigen Rechtslage erscheint doch von Interesse, dass beide Unterinstanzen zu einem anderen Ergebnis gekommen sind. Entscheidend dürfte dabei gewesen sein, dass vorliegend eben 1. nicht unmittelbar eine Vereinbarung zwischen BI und Betriebsratsmitglied, sondern zwischen BI und der zuständigen Fachgewerkschaft abgeschlossen worden ist, und dass 2. die vereinbarte bezahlte Dienstfreistellung möglicherweise nicht einfach der Belegschaft bzw dem BR für Betriebsratstätigkeit zustehen sollte, sondern dem ÖGB (auch?) für nicht betriebsbezogene gewerkschaftliche Aufgaben.

Dementsprechend behandelten die Unterinstanzen die Frage der Zulässigkeit nahezu ausschließlich unter dem Aspekt der Privatautonomie von Gewerkschaft und BI sowie einem möglichen Verstoß gegen die Gegnerunabhängigkeit gem § 4 Abs 2 Z 4 ArbVG, der aber letztlich verneint wurde. Auch sei der Schutz des AG nicht Zweck der Bestimmung des § 4 Abs 2 Z 4 ArbVG. Das OLG Linz führte darüber hinaus aus, dass § 4 ArbVG kein Verbot der Gewährung finanzieller Zuwendungen an freiwillige Berufsvereinigungen der AN durch AG enthalte und § 4 Abs 2 ArbVG lediglich die Voraussetzungen für die Zuerkennung und Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit an eine freiwillige Berufsvereinigung der AN bzw der AG durch das BEA regle. Eine Verletzung des Prinzips der Gegnerunabhängigkeit iSd § 4 Abs 2 Z 4 ArbVG habe lediglich zur Folge, dass gem § 5 ArbVG die Kollektivvertragsfähigkeit durch das BEA mit konstitutiver Wirkung aberkannt werden könne. Hingegen sei eine die Gegnerunabhängigkeit allenfalls gefährdende privatrechtliche Vereinbarung nicht mit Nichtigkeit bedroht.

Demgegenüber ist zunächst festzuhalten, dass eine Vereinbarung zwischen Gewerkschaft und BI mit dem Effekt, dass Betriebsratsmitglieder über die §§ 116 und 117 ArbVG hinausgehende bezahlte Dienstfreistellungen für Betriebsratstätigkeit erhalten, durchaus und unmittelbar mit den zwingenden Regelungen der §§ 115 Abs 1 und 117 ArbVG in Widerspruch steht und schon deshalb nicht verbindlich werden kann. Es ist kein wie immer gearteter Grund ersichtlich, weshalb das für Betriebsratsmitglieder geltende zwingende Bevorzugungsverbot dann nicht gelten sollte, wenn die Vereinbarung der Bevorzugung zwischen Gewerkschaft und BI erfolgt ist.

Vordergründig scheint dieser Gesichtspunkt jedoch dann nicht zu greifen, wenn es gar nicht um eine Freistellung für Betriebsratstätigkeit geht, sondern um eine von der Betriebsratstätigkeit klar abzugrenzende Wahrnehmung von rein „gewerkschaftlichen Aufgaben“ durch Betriebsratsmitglieder. Allerdings würde die betreffende Vereinbarung dann in die ebenso zwingende und daher vertraglich nicht abänderbare betriebliche Interessenvertretungsaufgabe der525 Betriebsratsmitglieder gem § 38 ArbVG eingreifen, weil sie zur Folge hätte, dass sich das Betriebsratsmitglied eben nicht der gesetzlich vorgeschriebenen betrieblichen Interessenvertretungsaufgabe widmen soll, sondern anderen (allgemeinen) gewerkschaftlichen Aufgaben. Damit verbunden wäre aber auch noch das Privileg, gerade als Betriebsratsmitglied für die zusätzliche bezahlte Dienstfreistellung ausgewählt worden zu sein, was dann doch wieder das zwingende Bevorzugungsverbot verletzt.

Allenfalls könnte man noch fragen, ob eine Gesetzwidrigkeit dann ausscheiden würde, wenn die zusätzlichen Dienstfreistellungen für Nicht-Betriebsratsmitglieder vereinbart worden wären. Diesfalls wäre zu unterscheiden, ob die Freistellung einer (zur Betriebsratsorganisation hinzutretenden ergänzenden oder diese gar ersetzenden) betrieblichen Interessenvertretung dienen soll oder ob es um bezahlte Dienstfreistellungen für „reine“ Gewerkschaftstätigkeit geht.

Im ersten Fall würde die Unzulässigkeit und Unwirksamkeit der Vereinbarung daraus folgen, dass es dadurch praktisch zu einer Art privatautonomer betrieblicher Interessenvertretung kommen würde, die aber der absolut zwingenden gesetzlichen betriebsverfassungsrechtlichen Organisation widersprechen würde. In einer sehr gründlichen Untersuchung solcher neben und unabhängig vom ArbVG geschaffenen privatautonom gestalteten betrieblichen Interessenvertretungen kam schon Kuderna (in seinem Aufsatz „Über die rechtliche Problematik der Vertretung der Arbeitnehmerschaft auf Grund privatautonomer Gestaltung,

) völlig zutreffend zu folgendem Resümee (aaO 115): „Eine auch nur einigermaßen wirksame und vor allem gesetzmäßige Vertretung der Interessen der AN-schaft eines Betriebes ist sog Vertrauenspersonen unter keinem in Betracht kommenden rechtlichen Aspekt möglich.“ Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass insoweit auch keine wie immer geartete Regelungsbefugnis durch KollV besteht und es auf eine glatte Gesetzesumgehung hinausliefe, wenn derartige Regelungen dann doch rein privatautonom mit einzelnen Betriebsinhabern wirksam zustande kommen könnten.

In der zweiten Variante würde die Vereinbarung letztlich bedeuten, dass ein BI unentgeltlich Personalkosten der Gewerkschaft übernimmt. Für diese Konstellation wird es zwar richtig sein, dass ungeachtet finanzieller Unterstützung von der Seite des sozialen Gegenspielers § 4 Abs 2 Z 4 ArbVG keine ausreichende unmittelbare Grundlage für die Unwirksamkeit der betreffenden Vereinbarung darstellt, ein Widerspruch zur Gegnerunabhängigkeit besteht aber bei auch nur geringfügiger Finanzierung der Gewerkschaftstätigkeit durch AG allemal. Die Unwirksamkeit einer solchen Vereinbarung ergibt sich hier wohl aus einer weiteren Überlegung. Es ist nämlich davon auszugehen, dass jedenfalls keine kollektivvertragliche Regelungsbefugnis für die unentgeltliche Tragung von Personalkosten einer Gewerkschaft durch die AG-Seite besteht. Einerseits fehlt dafür von vornherein eine eigene Regelungsermächtigung in § 2 ArbVG, andererseits sind die dort vorhandenen allgemeinen Regelungsermächtigungen (wie zB die Inhaltsnormen iSd Abs 2 Z 2) wohl so auszulegen, dass der KollV selbst nicht Inhalte haben darf, die ihrer Art nach mit Voraussetzungen für die Kollektivvertragsfähigkeit in Widerspruch stehen. Dementsprechend wäre eine Kollektivvertragsregelung unzulässig und unwirksam, wenn sie die bezahlte Dienstfreistellung von AN für Gewerkschaftstätigkeiten beinhalten würde. Das rein quantitative – und insofern schon per se problematische – Argument, dass bei nur vereinzelten Freistellungen keine wirkliche Gegnerabhängigkeit begründet würde, ändert insoweit nichts daran, dass die Vereinbarung auf eine unmittelbare finanzielle Unterstützung gewerkschaftlicher Interessenvertretung durch die AG-Seite hinausläuft und damit jedenfalls in Richtung Gegnerabhängigkeit weist. Es kann nicht angenommen werden, dass das Gesetz für die Kollektivvertragsfähigkeit zwingend einerseits volle Gegnerunabhängigkeit verlangt und gleichzeitig doch verbindliche Kollektivvertragsvereinbarungen der Kollektivvertragsparteien zulässt, die gerade in Richtung Gegnerabhängigkeit gehen. Wenn aber derartige Regelungen durch KollV nicht wirksam getroffen werden können, muss diese Unzulässigkeit auch sonstige Vereinbarungen mit einzelnen (selbst nicht kollektivvertragsfähigen) AG treffen. Alles andere würde Umgehungen Tür und Tor öffnen. Dass von dieser Unzulässigkeit natürlich nicht primär der AG geschützt werden soll, versteht sich von selbst, der Schutz der Unabhängigkeit der Gewerkschaft von der AG-Seite verlangt aber gleichwohl die Unverbindlichkeit derartiger Vereinbarungen, worauf sich eben dann auch der AG berufen können muss.

Wer sich allenfalls noch rechtspolitisch die Frage stellen will, ob die bestehende Gesetzeslage mit einem im hier interessierenden Bereich verhältnismäßig engen Korsett als noch sachgerecht angesehen werden kann, sollte nicht außer Acht lassen, dass es betriebliche Interessenvertretungen „von Gnaden“ des AG auch schon vor dem BRG 1919 gegeben hat und die dann eingeführte gesetzlich zwingende Betriebsverfassung stets als entscheidender Fortschritt gesehen wurde. Alle Versuche, diese Rechtslage durch Anerkennung von autonomen Vereinbarungen über die Finanzierung betrieblicher (oder auch überbetrieblicher) AN-Interessenvertretungen durch die AG-Seite zu verändern, führen zwangsläufig wieder zurück in Richtung Abhängigkeit der AN-Interessenvertretung vom „guten“ Willen des AG. Ist das wirklich wünschenswert?526