35Fürsorgepflicht konkret: unverzügliche und angemessene Abhilfemaßnahmen bei Mobbing
Fürsorgepflicht konkret: unverzügliche und angemessene Abhilfemaßnahmen bei Mobbing
Die Fürsorgepflicht verpflichtet den/die AG nicht nur dazu, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass das Leben und die Gesundheit der AN möglichst geschützt und auch andere immaterielle und materielle Interessen der AN gewahrt werden, sondern auch dazu, die notwendigen Maßnahmen gegen das Betriebsklima gröblich beeinträchtigende MitarbeiterInnen zu ergreifen, insb wenn deren Verhalten so weit geht, dass die Arbeitsbedingungen für andere AN nahezu unzumutbar werden.
Wenn dem/der AG Gefährdungen zur Kenntnis gelangen, hat er/sie daher unverzüglich auf angemessene Weise Abhilfe zu schaffen. Der/Die AG ist allerdings in der Wahl der Mittel, ein Mobbinggeschehen auf angemessene, aber wirksame Weise zu unterbinden, frei.
Verletzt der AG schuldhaft seine Fürsorgepflicht und entsteht dem AN ein Schaden, so trifft den AG eine Schadenersatzpflicht. Diese Schadenersatzansprüche unterliegen den allgemeinen Voraussetzungen des Schadenersatzrechts, insb auch in Bezug auf das Vorliegen eines Schadens und dessen Verursachung durch den Schädiger. Für beides trägt der Geschädigte die Beweislast.
Der Kl [...] war ab 2.7.2001 bei der Bekl in einem Rehabilitationszentrum beschäftigt, [...] ab 1.5.2005 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 29.12.2009 als Hausarbeiter bzw fallweise auch als Portier.
Der Kl fühlte sich über längere Zeit hindurch an seinem Arbeitsplatz von den Kollegen ausgeschlossen [...]. Die Ursache sah er darin, dass er keinen Alkohol konsumierte. In den letzten drei Jahren seines Arbeitsverhältnisses nahm der Kl an keiner gemeinsamen Feier mit den anderen Kollegen [...] teil. Diese wollten auch nicht, dass der Kl an den Feiern teilnimmt.
Der Kl hatte immer wieder Kontakt mit dem Betriebsratsvorsitzenden [...]. Diesem schilderte er bereits in den Jahren 2004/2005, dass er mit einem bestimmten Kollegen Probleme habe. Der Betriebsratsvorsitzende schlug daraufhin vor, diese Probleme dem Vorgesetzten mitzuteilen, was der Kl jedoch ablehnte und erklärte, er werde die Probleme schon selbst lösen. [...] Der Kl berichtete dem Verwaltungsleiter des Rehabilitationszentrums zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt, dass seine Kollegen während der Arbeitszeit teilweise Alkohol konsumieren. Er sehe dies nicht ein, weil er selbst stets arbeite. Daraufhin veranlasste der Verwaltungsleiter, dass sämtliche Mitarbeiter auf das Alkoholverbot im Betrieb hingewiesen wurden. Bei einer Nachschau im Betriebsgebäude wurde Leergut gefunden. Wer Alkohol konsumierte, konnte nicht festgestellt werden.
Der Werkmeister [...] führte mit den Hausarbeitern wöchentliche „Mitarbeitergespräche“. Dabei wurden die Arbeitsabläufe besprochen, Wünsche und Beschwerden erörtert. [...] Dabei berichtete ihm der Kl, dass er mit bestimmten Kollegen Probleme habe. Er werde von diversen Zusammenkünften ausgeschlossen und könne mit einem bestimmten Kollegen nicht zusammenarbeiten. Der Werkmeister versuchte dies im Rahmen der Dienstpläne zu berücksichtigen. Insgesamt erschienen ihm aber die vom Kl geschilderten Probleme nicht auffällig, weil es immer wieder vorkam, dass es unter Mitarbeitern Probleme gab.
Im Spätsommer 2008 suchte der Kl gemeinsam mit seiner Ehegattin den Werkmeister zuhause auf [...]. Er könne mit einigen Kollegen nicht gemeinsam arbeiten, könne nicht mehr schlafen und wolle nicht mehr zur Arbeit. Er werde schikaniert und beschimpft. In Reaktion auf dieses Gespräch teilte der Werkmeister den Kl in der Folge für Arbeiten ein, die er entweder allein oder mit einem bestimmten Kollegen, mit dem der Kl gerne zusammenarbeitete, durchführen konnte.
Am 7.9.2008 sandte der Kl dem Verwaltungsleiter das folgende E-Mail:
„Sehr geehrter Herr Verwaltungsleiter![...] Dazu noch die Firma, das ist einfach zu viel. Jahrelang habe ich alles unterdrückt und mich selbst und andere angelogen, dass alles in Ordnung ist.Ich bitte sie diese Woche eine Änderung für mich zu machen wie es weiter geht, da ich um eine Versetzung eventuell ins [...] bitte oder bei uns in einer anderen Funktion, falls das nicht möglich ist, werde ich noch heuer durchhalten und dann mein Dienstverhältnis lösen – mit beiderseitigem Einverständnis – da ich auf meine Abfertigung nicht verzichten möchte und sie auch begründen kann. [...]341Hochachtungsvoll ihr Mitarbeiter [...]“
Nach dem Absenden des E-Mails begab sich der Kl auf Urlaub. Am 25.9.2008 fand eine Besprechung mit dem Kl statt, an der der Verwaltungsleiter, dessen Stellvertreter, der Werkmeister und dessen Stellvertreter teilnahmen. Der Kl beklagte sich darüber, dass er stets arbeite, während die Kollegen Alkohol konsumieren. [...] Er werde beleidigt und man gehe immer auf ihn los. Der Kl nannte die Namen jener drei Kollegen, die ihn schikanierten. [...] Dem Kl wurde erklärt, dass es für einen Arbeitsplatzwechsel keine Möglichkeit gebe, es würden aber vermehrt Kontrollen durchgeführt und „der Sache“ nachgegangen werden. Der Verwaltungsleiter werde mit den genannten Mitarbeitern sowie mit dem BR Gespräche führen.
Nach der Besprechung wurden vermehrt Kontrollen im Hinblick auf Alkohol durchgeführt. Der Kl wurde mit jenem Kollegen zu Arbeiten eingeteilt, mit dem er gern zusammenarbeitete. Die vom Kl bezeichneten Mitarbeiter erfuhren im Rahmen eines Betriebsausflugs vom E-Mail des Kl vom 7.9.2008 und der Besprechung vom 25.9.2008. Danach war der Kl immer stärkeren Angriffen seiner Kollegen ausgesetzt. Er wurde als „Arschloch“, „Schwein“ und „Kameradensau“ beschimpft und als „Verräter“ bezeichnet. Der Kl zog sich in der Folge nicht mehr gleichzeitig mit den Kollegen um und empfand eine große nervliche Belastung. Da der Verwaltungsleiter im Krankenstand war und einen Urlaub konsumierte, fand die nächste Besprechung erst am 7.11.2008 statt. An dieser nahmen die gleichen Personen teil wie schon bei der vorhergehenden Besprechung. Dazu kamen noch der Betriebsratsvorsitzende und die drei vom Kl bezeichneten Kollegen. Im Rahmen dieses Gesprächs wurden wechselseitige Vorwürfe erhoben. Der Verwaltungsleiter erkannte, dass er die Situation zwischen den Hausarbeitern nicht lösen könne, und kündigte an, zur nächsten Besprechung einen Mediator beizuziehen.
Auch nach dieser Besprechung wurde der Kl weiterhin beschimpft und beleidigt. Kurz vor Weihnachten 2008 nahm der Kl mit der Betriebsärztin Kontakt auf, mit der er, weil ihr Urlaub bevorstand, einen Termin für die Zeit nach ihrer Rückkehr im neuen Jahr vereinbarte. In den letzten Wochen seiner Arbeitstätigkeit im Jahr 2008 wurde der Kl als Portier nicht mehr abgelöst, um eine kurze Pause zu machen [...]. Der Kl meldete diesen Vorfall noch am gleichen Tag per E-Mail an den Werkmeister, der diese Information an die Verwaltung weiterleitete. Sowohl der Werkmeister als auch der Verwaltungsleiter sprachen mit dem Kollegen, der den Kl zu Silvester hätte ablösen sollen.
Der Kl befand sich ab 5.1.2009 im Krankenstand. [...] Während des Krankenstands des Kl wurde mehrmals von Beklagtenseite versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen. [...] Im April 2009 kam es auf Ersuchen des Kl und seiner Ehegattin zu einem Gespräch der Ehegattin des Kl mit dem Bereichsleiter der Bekl für Personal und Recht, dem Verwaltungsleiter und dessen Stellvertreter. Dabei wurden die Vorfälle nochmals besprochen. [...] Mangels freier Stellen gab es allerdings keine Möglichkeit, den Kl [...] zu versetzen. Es gab auch keine Möglichkeit einer Versetzung innerhalb des Rehabilitationszentrums.
Die angekündigte Mediation fand nicht statt, weil nach Kontaktaufnahme mit dem Mediator ein Termin erst ab Jänner 2009 möglich gewesen wäre. Zum 29.12.2009 erfolgte – nach einjährigem Krankenstand – der vorzeitige Austritt des Kl aus dem Arbeitsverhältnis mit der Bekl. Seit Jänner 2010 befindet sich der Kl in Pension.
Der Kl begehrt [...] 7.183,64 € sA aus dem Titel des Schadenersatzes. Davon entfallen 5.520 € auf Verdienstentgang durch den zwölfmonatigen Bezug von Krankengeld, 563,64 € auf Fahrtkosten zu Ärzten bzw Therapien im Zusammenhang mit seiner psychischen Erkrankung, 1.000 € auf Schmerzengeld für die erlittene, bereits Krankheitswert aufweisende psychische Beeinträchtigung und 100 € auf pauschale Unkosten für Medikamente und erhöhten Telefonaufwand mit Ärzten und Therapieeinrichtungen. Weiters begehrt der Kl die Feststellung, dass ihm die Bekl für alle zukünftigen Schadenersatzansprüche hafte, die im Zusammenhang mit seiner psychischen Beeinträchtigung stehen und durch Mobbinghandlungen der Arbeitskollegen hervorgerufen worden seien. [...] Die Bekl bestritt das Klagebegehren und beantragte dessen Abweisung. [...]
Das Erstgericht wies das Klagebegehren [...] ab. Das Berufungsgericht gab der gegen das Ersturteil erhobenen Berufung des Kl nicht Folge.
Die Revision des Kl ist [...] iSd begehrten Aufhebung und Zurückverweisung berechtigt.
[...] Die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts charakterisieren [...] ein typisches Mobbinggeschehen. Dieser Zwischenbefund löst allerdings den Fall noch nicht. Das Kalkül „Mobbing“ gibt einem Fall [...] zwar eine bestimmte Prägung; für die Begründung (oder Abwehr) von Schadenersatzansprüchen sind aber noch andere Überlegungen zu beachten. [...] In diesem Sinn hat der OGH auch bereits klargestellt, dass die rechtliche Würdigung eines als „Mobbing am Arbeitsplatz“ bezeichneten Sachverhalts vor allem unter dem Blickwinkel zu erfolgen hat, ob von den beteiligten Akteuren arbeitsrechtliche Pflichten verletzt wurden (9 ObA 86/08z ua). [...] Die geltend gemachten Schadenersatzansprüche drehen sich um die vom Kl im Arbeitsverhältnis mit der Bekl erlittene und über die Beendigung hinaus fortwirkende psychische Erkrankung. [...] Die erlittenen Schäden sollen der Bekl deshalb zurechenbar sein, weil sie ihre Fürsorgepflicht verletzt habe.
Die Fürsorgepflicht [...] verpflichtet den AG nicht nur dazu, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass das Leben und die Gesundheit der AN möglichst geschützt und auch andere immaterielle und materielle Interessen der AN gewahrt werden, sondern auch dazu, die notwendigen Maßnahmen gegen das Betriebsklima gröblich beeinträchtigende Mitarbeiter zu ergreifen, insb wenn deren Verhalten so weit geht, dass die Arbeitsbedingungen für andere AN nahezu unzumutbar werden [...].
Nach dem festgestellten Sachverhalt war die Bekl jedenfalls ab dem E-Mail des Kl vom 7.9.2008 an den Verwaltungsleiter des Rehabilitationszentrums und der nachfolgenden Besprechung vom 25.9.2008 in Kenntnis von fortgesetzten Beschimpfungen und Schikanen gegen den Kl durch andere Mitarbeiter. [...] Nach den342 Feststellungen wurde der Kl über einen längeren Zeitraum wiederholt von anderen AN der Bekl beschimpft und schikaniert, sodass er sich immer mehr dem Punkt näherte, nicht mehr für die Bekl am bisherigen Arbeitsplatz arbeiten zu können. Sobald dies der Bekl bekannt wurde, war im Rahmen der sie treffenden Fürsorgepflicht ein rasches Einschreiten gefordert. [...]
Der AG [ist] in der Wahl seiner Mittel, ein Mobbinggeschehen auf angemessene, aber wirksame Weise zu unterbinden, frei. Entschied sich der Verwaltungsleiter für Gespräche mit den Beteiligten, dann war dies jedenfalls zunächst ein grundsätzlich zulässiger Ansatz. [...]
Bis zur zweiten Besprechung vom 7.11.2008 ist der Bekl zugutezuhalten, dass sie durch entsprechende Diensteinteilungen versuchte, den Kl aus Konflikten mit den von ihm benannten Kollegen herauszuhalten, und gleichzeitig versuchte, durch Kontrollen das vom Kl benannte Alkoholproblem im Dienst zu unterbinden. Spätestens aber bei der Besprechung vom 7.11.2008 erkannte der Verwaltungsleiter der Bekl aufgrund der wechselseitig erhobenen Vorwürfe, dass er die Situation zwischen den Hausarbeitern nicht mehr selbst lösen könne. Er kündigte daher an, einen Mediator beizuziehen. Auch das kann noch im Rahmen der Wahlfreiheit des AG bezüglich zu ergreifender Mittel, um ein Mobbinggeschehen zu unterbinden, als in Betracht kommende Maßnahme angesehen werden. [...] Nach der Lage des Falls war aber zwingend rasches Handeln gefordert. Tatsächlich ist aber nichts mehr geschehen, um den Kl ausreichend zu schützen. Plausible Gründe für das nur mehr halbherzige Agieren vermochte die Bekl nicht aufzuzeigen. Allfällige Terminschwierigkeiten des von der Bekl in Aussicht genommenen Mediators, der bis zum Jahresende nicht mehr zur Verfügung gestanden sein soll, reichen nicht aus, zumal er auch danach nicht bestellt wurde. Die Verhinderung des Mediators wäre ein Grund für die Beiziehung eines anderen Mediators oder für andere Initiativen der Bekl zum Schutz des Kl gewesen. Andere Maßnahmen wurden aber nicht ergriffen, weshalb die gegen den Kl gerichteten Beschimpfungen und Schikanen bis zu seinem Dauerkrankenstand ab 5.1.2009 weiter gingen. Nach der Lage des Falls ist daher ab dem 7.11.2008 von einer Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Bekl auszugehen, weil sie trotz bekannt gewordener ernster Probleme des Kl und dem Erkennen, dass bloße Gespräche nicht ausreichen, nur mehr halbherzig reagiert hat und nicht unverzüglich für ausreichende Abhilfe gesorgt hat.
Verletzt der AG schuldhaft seine Fürsorgepflicht und entsteht dem AN ein Schaden, so trifft den AG eine Schadenersatzpflicht [...] Der Kl hat dazu auch entsprechende Behauptungen in erster Instanz aufgestellt, die von der Bekl bestritten wurden. Dafür, dass beim Kl eine psychische Erkrankung eingetreten ist, scheinen vom Kl vorgelegte ärztliche Befunde zu sprechen. Konkrete Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts oder Außerstreitstellungen der Parteien dazu fehlen aber bisher. Da die vom Kl behauptete psychische Erkrankung bisher nicht festgestellt wurde, wurden auch keine Feststellungen getroffen, wodurch diese Erkrankung nun tatsächlich verursacht wurde. Der Kl steht auf dem Standpunkt, dass seine psychische Erkrankung auf die von der Bekl nicht unterbundenen Beschimpfungen und Schikanen zurückzuführen sei. Dies wurde von der Bekl bestritten. Die Frage der Verursachung der vom Kl verursachten Schäden harrt daher einer Klärung im zweiten Rechtsgang. Dabei ist auf den Zeitraum der Verletzung der Fürsorgepflicht ab 7.11.2008 abzustellen. [...]
Mit der vorliegenden E hat der OGH einmal mehr zum Thema Mobbing und insb zu den damit in Zusammenhang stehenden Anforderungen an die arbeitgeberische Fürsorgepflicht ein deutliches Signal gesetzt und wichtige Leitlinien vorgegeben.
Vorerst ist als erfreulich zu konstatieren, dass sich bei der Frage der inhaltlichen Anforderungen an das Phänomen Mobbing selbst ohne ausdrückliche gesetzliche Definition innerhalb des letzten Jahrzehnts eine gewisse (Rechts-)Sicherheit eingestellt hat, die – zumindest in lehrbuchartigen Fällen wie dem vorliegenden – keiner umfangreichen Erörterung mehr bedarf (vgl dagegen noch Smutny/Hopf, Mobbing auf dem Weg zum Rechtsbegriff? Eine Bestandsaufnahme, DRdA 2003, 110). In der E konnte daher mit einem kurzen Verweis auf die typischen Komponenten von Mobbing (konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen und Kolleginnen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder einigen Personen systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird) und die dazu entwickelte Rsp (RIS-Justiz RS0124076 ua) im Wesentlichen das Auslangen gefunden werden.
Zu Recht verweist der OGH auf die große Bandbreite möglicher Mobbinghandlungen, die sich einer vollständigen Aufzählung entziehen, wobei sich jedoch einerseits einzelne (Teil-)Aspekte durchaus in anderen gesetzlichen Tatbeständen (etwa den Belästigungstatbeständen nach den §§ 6, 7, 21 GlBG) finden lassen, andererseits aber auch eine inzwischen sehr umfangreiche Judikatur zu verschiedenartigsten Fallkonstellationen eine sehr gute Basis für die Beantwortung der Frage bietet, welche Kriterien die Rsp bei der Beurteilung behaupteter Mobbinghandlungen zugrunde legt. Dem noch vor wenigen Jahren oft gehörten Einwand, einer effektiven Mobbingbekämpfung würde die schwere Fassbarkeit des Begriffs und dessen Schwammigkeit entgegenstehen, ist somit großteils der Boden entzogen.
Der der vorliegenden E zugrunde liegende Sachverhalt macht allerdings einmal mehr deutlich, dass Mobbinghandlungen von KollegInnen nach wie vor häufig als Kavaliersdelikt verstanden werden, dem im konkreten Fall – anders als zB in Bezug auf die Missachtung des Alkoholverbots – nicht mit effizienten Kontrollen oder sonstigen deutlichen Maßnahmen entgegengetreten wurde. Dabei wurde nicht nur für Dienstverhältnisse zum Bund mit der 2. Dienstrechts-343Novelle 2009, BGBl I 2009/153, (in Kombination mit dem Gebot des „achtungsvollen Umgangs“) ein ausdrückliches „Mobbingverbot“ verankert (§ 43a BDG 1979; § 5 Abs 1 VBG ua), mit dem klargestellt sein sollte, dass Mobbing eine Dienstpflichtverletzung darstellt, sondern hat der OGH in der vorliegenden E einmal mehr festgehalten, dass Mobbing nicht nur in Dienstverhältnissen zum Bund, sondern in jedem Arbeitsverhältnis verboten ist (und daher entsprechende Sanktionen nach sich ziehen kann und gegebenenfalls im Rahmen der auszuübenden Fürsorgepflicht auch muss).
Der Bedeutung psychischer Belastungen und Gefährdungen aus individueller, aber auch volks- und betriebswirtschaftlicher Sicht trägt nicht zuletzt auch die ASchG-Novelle, BGBl I 2012/118, die am 1.1.2013 in Kraft getreten ist, Rechnung, mit der die psychische Gesundheit und die Prävention arbeitsbedingter psychischer Belastungen in den Fokus des AN-Schutzes gerückt wurden und zB ArbeitspsychologInnen ausdrücklich als „sonstige geeignete Fachleute“ genannt wurden, die von den AG auch mit der Arbeitsplatzevaluierung iSd ASchG beauftragt werden können.
Auch wenn die rechtliche Würdigung eines als „Mobbing am Arbeitsplatz“ bezeichneten Sachverhalts unter dem Blickwinkel zu erfolgen hat, ob von den beteiligten Akteuren arbeitsrechtliche Pflichten verletzt wurden, weil Mobbing (bislang) nicht als eigenständige Anspruchsgrundlage für Ersatzansprüche – anders als etwa die konkret definierten Belästigungstatbestände des Gleichbehandlungsrechts (siehe etwa §§ 6, 7 iVm § 12 Abs 11 GlBG; § 7d iVm § 7i BEinstG etc) – zur Verfügung steht, vermittelt der Begriff auch aus Sicht des OGH den RechtsanwenderInnen ein bestimmtes Bild vom Geschehen und hilft, die über einen mehr oder weniger langen Zeitraum erfolgten Unterlassungen und/oder gravierenden Handlungen, denen ein/e AN am Arbeitsplatz ausgesetzt war, unter einer Bezeichnung zusammenzufassen. Die durch die Langzeitbelastung oder die Beeinträchtigung durch eine Vielzahl von Übergriffen oft zu beobachtenden exponentiell ansteigenden Folgen machen deutlich, dass, auch wenn es im Verfahren erforderlich ist, das Mobbinggeschehen anhand einzelner Übergriffe zu konkretisieren und zu substantiieren, dieses als ein Mehr als die Summe seiner Teile zu begreifen ist. Das setzt allerdings ein gewisses Grundverständnis der (organisations)psychologischen und allenfalls medizinischen Auswirkungen von Mobbing voraus. Dieses ist auch dienlich, um Mobbing von Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten, wie sie täglich am Arbeitsplatz vorkommen und die in der Regel keinen besonderen Handlungsbedarf auf AG-Seite hervorrufen, zu unterscheiden.
Es ist tatsächlich ernüchternd zu beobachten, mit welcher Hilflosigkeit selbst wohlwollend agierende AG und Personalverantwortliche einem Mobbinggeschehen gegenüberstehen, das nicht nur die davon unmittelbar betroffene Person, sondern auch den Betrieb erheblich schädigt/schädigen kann.
Der Kl stützte sich im vorliegenden Fall darauf, dass seine AG die sie treffende Fürsorgepflicht verletzt habe, indem sie gegen das von anderen AN ausgehende und gegen ihn gerichtete Verhalten nicht eingeschritten sei. Durch die dauernde Belastung aufgrund der nicht unterbundenen Mobbinghandlungen habe er eine psychische Erkrankung erlitten, für deren Folgen die Bekl einzustehen habe. Zusammenfassend beurteilt der OGH die Revision des Kl vorerst insoweit als berechtigt, als von einer Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Bekl infolge Unterlassung der gebotenen Abhilfe auszugehen ist. Dabei zeigt der OGH sehr individuell und überaus hilfreich die phasenbezogen ausreichenden oder eben unzulänglichen Interventionen der AG im konkreten Fall auf.
Daraus ergeben sich folgende Maximen:
„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold
“ – nicht so bei Mobbing:
Untätigkeit führt bei Mobbing selten zum Erfolg, sondern wird häufig als „Freibrief“ missverstanden (vgl Smutny/Hopf, Ausgemobbt! – Wirksame Reaktionen gegen Mobbing2 [2012] 213). An einem Tätigwerden der AG führt daher nicht nur aus organisationspsychologischer Sicht, sondern auch nach stRsp in der Regel kein Weg vorbei (RIS-Justiz RS0119353, RS0029841).
Leider nehmen viele Führungskräfte ihre diesbezüglichen Aufgaben nicht oder nur unzureichend wahr. In der Mobbingberatung wird hingegen oft davon berichtet, dass Vorgesetzte das Problem ignorieren („Bei uns gibt es keine Probleme“), bagatellisieren („Das legt sich wieder“), passiv bleiben („Machen Sie sich das untereinander aus...“), aktionistisch ohne Rücksprache mit den Betroffenen und ohne Rücksicht auf deren Wohl agieren, oder das Problem selbst verstärken, indem sie, sei es aus Absicht oder Überforderung, selbst (mit)mobben (Smutny/Hausman, Jetzt ist Führung gefragt!ÖZPR 2012/49, 68).
Ein Aspekt der Fürsorgepflicht besteht ua darin, durch geeignete Schlichtungsmaßnahmen interpersonale Konflikte zu beseitigen (Schnorr, Probleme des allgemeinen sozialen Kontaktes zwischen Arbeitnehmern eines Betriebes, in
Entschied sich der Verwaltungsleiter im vorliegenden Fall zunächst für Gespräche mit den Beteiligten, dann war dies auch aus Sicht des OGH jedenfalls in diesem Stadium ein grundsätzlich zulässiger Ansatz. Ebenso erachtete der OGH die angedachte Beiziehung eines Mediators als eine innerhalb der Dispositionsbefugnis der AG liegende, grundsätzlich zielführende Maßnahme. Auch der OGH geht somit davon aus, dass dann, wenn den Beteiligten bei solchen Gesprächen eine entschlossene Haltung des/der AG vermittelt wird, Mobbinghandlungen unter keinen Umständen zu tolerieren und notfalls alle zur Verfügung stehen344den arbeitsrechtlichen Mittel auszuschöpfen, dies in bestimmten Fällen durchaus ausreichen kann.
„Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen
“:
Im vorliegenden Fall ist insb dem zeitlichen Aspekt der notwendigen Abhilfe besondere Bedeutung zugemessen worden.
Für Personalverantwortliche ist es generell wichtig, Mobbinghandlungen möglichst früh zu erkennen und sie aktiv einzudämmen, um die negativen Folgen aufzuhalten und zu verhindern, dass sich Mobbing fortsetzt oder gar ausbreitet. Grundsätzlich gilt: Je früher adäquat eingeschritten wird, umso breiter ist das Reaktionsspektrum auf AG-Seite und umso höher die Wahrscheinlichkeit, den schädigenden Verlauf noch zu stoppen (Kolodej/Majoros, aaO 157; Smutny/Hausman, aaO 68). Wenn dem/der AG Gefährdungen zur Kenntnis gelangen, hat er/sie eben auch aus rechtlicher Sicht unverzüglich [...] Abhilfe zu schaffen (OGH
„Durchs Reden kommen die Leut‘ zam
“ – und dann?
Mag „reden“ in vielen Situationen die angezeigte Maßnahme sein, für Mobbingbetroffene bietet das bloße Gespräch ab einer gewissen Intensität von Mobbinghandlungen keinen echten Schutz mehr (vgl Binder in
Die in Übereinstimmung mit der Lehre herrschende Rsp, wonach „Abhilfe“ zu treffen ist, lässt mE gar keinen anderen Interpretationsspielraum zu, als dass nur eine solche Maßnahme als ausreichend zu betrachten sein wird, die geeignet ist, vor weiteren Mobbinghandlungen zu schützen. Dass AG verhalten sind, angemessene Abhilfe zu schaffen, kann weiters nur in dem Sinn zu verstehen sein, dass je nach Intensität der Übergriffe und Beeinträchtigung der gemobbten Person die zur Verfügung stehenden Mittel nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzuwenden sind (vom Gespräch bis hin zur Entlassung der mobbenden MitarbeiterInnen).
Auch im vorliegenden Fall wurde der OGH darüber hinaus nicht müde zu betonen, dass ein/e AG in Bezug auf die Wahl der Mittel gegen ein bekannt gewordenes Mobbinggeschehen grundsätzlich frei ist. Der/Die beeinträchtigte AN hat daher grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass zB arbeitgeberseits das Arbeitsverhältnis mit dem/der Kontrahent/en/in beendet wird. Er/Sie hat jedoch ein Recht darauf, dass der/die AG aktiv wird und die erforderlichen Mittel ergreift, um ihn/sie vor weiteren Angriffen zu schützen. Der Zeitfaktor spielt selbstverständlich eine wesentliche Rolle.
Im konkreten Fall hatte die AG zunächst Gespräche mit den Beteiligten und – wohl aber primär im Interesse des Dienstbetriebs – Alkoholkontrollen durchgeführt bzw danach getrachtet, den Kl durch entsprechende Diensteinteilungen aus den Konflikten herauszuhalten. Als (spätestens am 7.11.2008) erkannt wurde, dass die Situation zwischen den Beteiligten nicht mehr ohne fachkundige Dritte gelöst werden könnte, wurde geplant, einen Mediator beizuziehen, wozu es aber aufgrund von Terminschwierigkeiten letztlich nicht kam. Der OGH sah hier eine Verletzung der Fürsorgepflicht, weil die AG trotz bekannt gewordener ernster Probleme des Kl und dem Erkennen, dass bloße Gespräche nicht ausreichen, nur mehr halbherzig (re)agiert hat, sodass das Mobbinggeschehen bis zum Dauerkrankenstand des Kl (ab 5.1.2009) andauern konnte.
Freilich soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass der OGH in seiner jüngeren E vom
„Zu Tode gefürchtet, ist auch gestorben
“:
Nun wird nicht verkannt, dass voreilige Reaktionen der AG auf behauptete Verfehlungen von AN für die AG riskant sein können (vgl RIS Justiz RS0028971, RS0029127 ua) und Abhilfemaßnahmen überlegt gesetzt werden sollen (vgl Mazal, Mobbing Prävention ist Chefsache!RdM 2007/44). Verletzt jedoch ein/e AG die ihn/sie treffende Fürsorgepflicht, weil er/sie gegen das von anderen AN ausgehende Verhalten nicht (rechtzeitig) eingeschritten ist, handelt er/sie rechtswidrig und haftet für den dadurch verursachten Schaden (OGH
Dass das Unterlassen der im Rahmen der Fürsorgepflicht gebotenen Abhilfe durch die AG rechtswidrig war, bedurfte auch in der vorliegenden E keiner besonderen Erörterung. Ausdrücklich weist der OGH darauf hin, dass die AG gem § 1298 ABGB auch dafür beweispflichtig gewesen wäre, dass sie ohne ihr Verschulden gehindert gewesen wäre, die Abhilfeverpflichtung zu erfüllen. Es sind daher nicht nur die zum Einsatz kommenden Maßnahmen gut zu überlegen, sondern es sind AG gut beraten, immer einen Gegencheck dahin durchzuführen, ob sie ebenso gut begründen und belegen können, weshalb gebotene Maßnahmen unterblieben sind.345