KürthÄnderungsvorbehalte im Arbeitsvertrag – eine dogmatische Untersuchung

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2013, 216 Seiten, € 78,90

MARTINRISAK (WIEN)

Vertreter der AG fordern zumeist Kündigungsfreiheit, freie Lohngestaltung und ein weitgehendes Weisungsrecht, während von AN-Seite möglichst hohe Löhne sowie sichere und vorhersehbare Arbeitsverhältnisse verlangt werden. Diese diametral aufeinander prallenden Interessen wurden in Europa traditionell durch verschiedene Mechanismen ausgeglichen – auf der einen Seite durch die Gewerkschaftsbildung und kollektive Verhandlungen sowie auf der anderen durch eine arbeitnehmerInnenfreundliche Sozialgesetzgebung. Diese Lösungen basieren auf zwei unterschiedlichen Zugängen zum Arbeitsverhältnis, auf einem kollektiven und einem individuellen. Während ersterer in den letzten Jahrzehnten immer brüchiger geworden ist, hat zweiterer massiv an Bedeutung gewonnen. Damit Hand in Hand geht auch die Zunahme der praktischen Relevanz von individuellen Arbeitsverträgen, die versuchen, bestehende Spielräume auszuloten. Darauf hat auch die Wissenschaft reagiert, die sich in letzter Zeit verstärkt mit arbeitsvertragsrechtlichen Fragestellungen auseinandersetzt, wobei vor allem zivilrechtliche Aspekte betont werden. Zum Teil ist auch die Gesetzgebung aktiv geworden und hat den Gebrauch einzelner Klauseln (zB Ausbildungskostenrückersatz und die Konkurrenzklausel) eingeschränkt bzw – so in Deutschland – allgemeine Regelungen zur Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen geschaffen.

Wenngleich die grundlegenden Trends in den Arbeitsbeziehungen in Deutschland und Österreich ähnlich sind, haben sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen doch unterschiedlich entwickelt: Während in Österreich gesetzlich nur punktuelle Regelungen geschaffen wurden und grundsätzliche Neuzugänge zu dem Thema in der Wissenschaft, angestoßen insb durch die Arbeiten von Kietaibl, bislang noch wenig Auswirkungen auf die Praxis haben, hat sich in Deutschland die Gesetzgebung für generelle Regelungen entschieden. In das BGB wurden 2001 detaillierte Regelungen zur Inhaltskontrolle von Vertragsformblättern eingefügt (§§ 305 ff), die auch auf Arbeitsverhältnisse Anwendung finden und eine entsprechende Zahl von BAG-Entscheidungen zu wesentlichen Streitfragen ebenso zur Folge hatten wie eine Fülle von rechtswissenschaftlicher Literatur.176

Die Publikation „Änderungsvorbehalte im Arbeitsvertrag“ von Kürth, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen wurde, fügt sich in diese gut ein und bietet einen klar strukturierten, oft doch recht knapp formulierten Zugang zu den mit der vertraglich eingeräumten Möglichkeit zur einseitigen Abänderung der Arbeitsbedingungen verbundenen Rechtsfragen. Ein Rechtsvergleich (insb mit Österreich) wird nicht unternommen.

Eingeleitet wird mit einem Grundlagenkapitel, das Änderungsvorbehalte im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen der Vertragsfreiheit und der Vertragsbindung untersucht. Weiters wird auf Begründung einer Vertragsinhaltskontrolle eingegangen, die wegen der nur formal bestehenden Parität der Parteien bei Vertragsabschluss notwendig ist. Grundlage dafür ist nach deutschem Recht einerseits eine allgemeine Rechtskontrolle und andererseits die Angemessenheitskontrolle gem §§ 307 ff BGB für vorformulierte Vertragsinhalte. Kürth vertritt in diesem Zusammenhang, dass „im Arbeitsvertragsrecht ... der Grund für die Funktionsunfähigkeit des Vertragsmechanismus nicht in der Struktur des Arbeitsmarktes [liegt], sondern ... von Art und Ausmaß der Paritätsstörung im Einzelfall abhängig“ ist (S 39). Das stimmt mit seiner Grundannahme überein, dass kein allgemeines arbeitsrechtliches Schutzprinzip bestehe (S 35).

In der Folge werden Änderungsvorbehalte von anderen Formen der Änderung der Arbeitsbedingungen (Änderungsvertrag, Direktionsrecht, Änderungskündigung, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Teilkündigung, Kondiktionenbefristungs- und Anrechnungsklausel, Arbeit auf Abruf, Freiwilligkeitsvorbehalt) abgegrenzt. Zweckmäßig wäre hier auch eine Ausei nandersetzung mit indirekten Vorbehalten, wie die Koppelung an Kennzahlen sowie die Kettenbefristung, gewesen.

Bevor auf die Spezifika der Angemessenheitskontrolle nach §§ 307 ff BGB eingegangen wird, werden kurz Fragen der generellen Rechts- und Sittenwidrigkeitskontrolle behandelt. Verneint wird in diesem Zusammenhang unter dem Aspekt des Beendigungsschutzes des KündigungsschutzG die Zulässigkeit einer konzernweiten Versetzungsklausel, die zu einem Wechsel der Arbeitgeberin führen würde.

Den Kern des Buches bildet die Auseinandersetzung mit der Angemessenheitskontrolle nach §§ 307 ff BGB. In einem ersten Schritt wird der Maßstab der Angemessenheitskontrolle herausgearbeitet, wobei entgegen der hA in Deutschland eine Orientierung am Änderungskündigungsschutz, der nach dieser als Abänderungsschutz ausgestaltet ist, abgelehnt wird. Kürth vertritt hingegen vor allem mit dem Argument der Gleichbehandlung der AN unabhängig von der Betriebsgröße, dass der Zweck des Änderungskündigungsschutzes nur darin liege, AN, denen eine Beendigungskündigung droht, eine gerichtliche Überprüfung zu gewähren, ob ihnen zur Vermeidung der Beendigungskündigung angebotene Ersatzarbeitsbedingungen zumutbar sind (S 99). Der wesentliche Maßstab liegt für den Autor nach Ablehnung insb des Prinzips der funktionalen Äquivalenz in der (disponiblen) gesetzlichen Risikozuweisung, die sich aus § 615 BGB ergibt, der den Annahmeverzug und das Betriebsrisiko regelt. Im Ergebnis geht es aber auch nach Kürth um die Frage der Interessenabwägung, wobei der Zumutbarkeit der Leistungsänderung als solche sowie des Änderungsvorbehalts in seiner Formulierung (Klarheit und Bestimmtheit) besondere Bedeutung zukommt. Im Einzelfall ist dann in einem zweiten Schritt eine Ausübungskontrolle vorzunehmen, die sich im Bereich der vorformulierten Arbeitsbedingungen jedenfalls im Rahmen des billigen Ermessens zu halten hat.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Publikation einen guten systematischen Einstieg in die deutsche Rechtslage zum Änderungsvorbehalt bietet und den deutschen Meinungsstand in übersichtlicher Form aufarbeitet; der Autor scheut auch nicht zurück, eigene, von der hA abweichende Positionen zu vertreten. Das Buch ist deshalb als kompakter Grundlagentext über das Thema der Änderungsvorbehalte aus deutscher Sicht insb für rechtsvergleichend tätige österreichische ArbeitsrechtlerInnen zu empfehlen.