Whistleblowing im Arbeitsrecht – Ausgewählte Aspekte
Whistleblowing im Arbeitsrecht – Ausgewählte Aspekte
Begriff und Erscheinungsformen des Whistleblowing
Whistleblowing des AN zum Nachteil seines AG
Ausgangssituation
Grundsätze der Judikatur zum Whistleblowing des AN zum Nachteil seines AG
Grundsätze des EGMR
Stellungnahme zu Einzelfragen
An welchen Tatsachen hat der AG kein geschütztes Geheimhaltungsinteresse?
Mögliche Rechtsgrundlagen für Anzeigen/Meldungen von AG
Nicht leichtfertiges, schonendes Vorgehen des AN
Nicht leichtfertiges Vorgehen des AN
Schonendes Vorgehen des AN
Sind die Motive des AN für die Erstattung der Anzeige/Meldung unerheblich?
Beendigungsrechtliche Aspekte
Internes Whistleblowing (Aufdecken interner Missstände, unlauterer Praktiken von Arbeitskollegen) gegenüber dem AG
Gibt es eine generelle Verpflichtung zur Meldung von Arbeitskollegen?
Erweiterung der Verpflichtung zur Meldung von Arbeitskollegenfehlverhalten möglich?
Whistleblowing-Hotlines
Allgemeines und Datenschutzrecht
Kann der AG die AN verpflichten, ein Whistleblowing-System zu benutzen?
Whistleblowing ist ein Phänomen, das (auch) im Arbeitsleben zunehmend an Bedeutung gewinnt. Zunächst ist abzuklären, was Whistleblowing in Bezug auf das Arbeitsrecht überhaupt bedeutet. Whistleblowing kann ins Deutsche mit „Alarm schlagen“ übersetzt werden.* In der Literatur wird unter einem Whistleblower ein Informant verstanden, der Missstände (wie zB illegales Handeln), von denen er an seinem Arbeitsplatz erfährt, an die Öffentlichkeit bringt. Unterschieden wird dabei zwischen internem Whistleblowing (der Informant wendet sich an Vorgesetzte, Kollegen, Geschäftsleitung oder andere unternehmensinterne Stellen) und externem Whistleblowing (die Informationsweitergabe erfolgt an Aufsichtsbehörden, Strafverfolgungsbehörden, Medien oder andere öffentliche Stellen).* Entweder geschieht die Anzeige des AN offen oder durch eine anonyme Meldung.* Unter Whistleblowing kann zB die Meldung unlauterer Machenschaften von Arbeitskollegen an den AG verstanden werden (zB wenn der AN dem AG 14meldet, dass ein Arbeitskollege im Dienst Geld veruntreut oder unbemerkt vom AG die Arbeitszeiten nicht einhält). Typisch ist auch die Meldung von Verfehlungen des AG bzw von Missständen im Unternehmen (zB Meldung an das Finanzamt, dass der AG Steuern hinterzieht, Meldung an das Arbeitsinspektorat, dass es im Betrieb zu Verletzungen von AN-Schutzvorschriften kommt, Meldung, dass der AG Kundendaten unbefugt an Dritte weitergibt, Meldung an den Sozialversicherungsträger, dass der AG gegen sozialversicherungsrechtliche Vorschriften verstößt, Meldung an Kunden des AG, dass dieser ihnen gegenüber unlautere Geschäftspraktiken anwendet, Meldung verbotener Preisabsprachen des AG). Whistleblowing kann vom AN selbst ausgehend erfolgen, aus seinem eigenen Antrieb (wenn zB der AN seinen AG anzeigt), oder auch vom AG ausdrücklich erwünscht bzw geboten sein (zB wenn der AG Whistleblowing-Hotlines im Betrieb einrichtet). Aus Sicht des AN am gefährlichsten ist natürlich, wenn er Missstände im Betrieb oder unlautere Machenschaften des AG an die Öffentlichkeit bringt. Hier erfolgt nicht selten eine Kündigung bzw Entlassung des AN oder sonstige Benachteiligungen. Ebenso kann aber uU die Unterlassung der Meldung von Verfehlungen von Arbeitskollegen, Kunden etc zum Nachteil des AG den AN vertrauensunwürdig machen. Es gibt also auch Fälle, in denen der AN gleichsam zum Whistleblowing „verpflichtet“ ist. Wie Hauser aufzeigt,* lauern auf einen Whistleblower, abgesehen von arbeitsrechtlichen Konsequenzen, noch andere rechtliche Gefahren, wie zB Verstöße gegen das Bank- bzw Versicherungsgeheimnis, gefährliche Drohung oder Nötigung, Beleidigung, Verletzung des Briefgeheimnisses etc. Im Speziellen soll auf zwei Fallgruppen eingegangen werden: Zum einen auf das Whistleblowing des AN zum Nachteil seines AG und zum anderen auf das Whistleblowing des AN zum Nachteil von Arbeitskollegen und damit im Zusammenhang auf Fragen der Einrichtung von Whistleblowing- Systemen durch den AG. Nicht Thema dieses Beitrags ist das Whistleblowing durch den BR.*
Es kann vorkommen, dass der AN im Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis von Umständen Kenntnis erlangt, die er an die Öffentlichkeit bringen möchte bzw sich dazu für verpflichtet erachtet (zu Beispielen siehe oben). Nun ist aber im Arbeitsleben die Treuepflicht des AN zu beachten und im gegebenen Zusammenhang insb die Verschwiegenheitspflicht als Teil der Treuepflicht. Die Treuepflicht des AN wird damit erklärt, dass der AG dem AN in weiten Bereichen Einblick in seinen Betrieb gewährt und ihm die Wahrung seiner unternehmerischen Interessen anvertraut.* Die Verschwiegenheitspflicht des AN bezieht sich auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse. Geheimnisse sind Tatsachen, um die nur ein begrenzter Personenkreis weiß und die auch nicht über diesen Personenkreis hinaus bekannt werden sollen. Geschäftsgeheimnisse sind eher kaufmännischer bzw wirtschaftlicher Natur, Betriebsgeheimnisse eher technischer Natur. Die Verschwiegenheit über solche Geheimnisse soll die Verschlechterung der geschäftlichen Position des AG im wirtschaftlichen Wettbewerb vermeiden.* Der AG muss also ein wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung haben.* Geschäftsgeheimnisse sind etwa Kundenlisten, Umsatzzahlen etc.* Zeigt der AN den AG zB wegen Steuerhinterziehung an oder meldet er Verstöße gegen AN-Schutzvorschriften dem Arbeitsinspektorat, besteht ein Spannungsverhältnis mit der Treuepflicht. Völlig klar ist natürlich, dass wissentlich unwahre Anzeigen/Meldungen generell – also auch im Arbeitsverhältnis – nicht zulässig sind. Zeigt der AN seinen AG an, obwohl er weiß, dass die angezeigten Vorwürfe nicht den Tatsachen entsprechen, stellt diese Anzeige einen Entlassungsgrund dar und hat auch strafrechtliche bzw zivilrechtliche Konsequenzen.* Im Übrigen ist in Judikatur und Lehre – berechtigterweise – unbestritten, dass es Situationen geben kann, in denen trotz Treue- bzw Verschwiegenheitspflicht eine Anzeige/Meldung des AG gerechtfertigt ist.* Die Treuepflicht soll betriebliche Interessen schützen, setzt also auch voraus, dass der AG im Einzelfall konkret schutzwürdig ist. Bei gewissen Verhaltensweisen des AG geht seine Schutzwürdigkeit verloren, er hat kein schützenswertes Interesse an der Geheimhaltung bestimmter Tatsachen,* andere Interessen wiegen stärker. Solche Interessen können zB das öffentliche Interesse an der Aufdeckung von Steuerhinterziehung sein (auch im Interesse der ehrlichen Steuerzahler), an der Aufdeckung von Verstößen gegen sozialversicherungsrechtliche Vorschriften oder Sozialbetrug (wenn der AG zB Beihilfen bezieht, die ihm nicht zustehen), an der Aufdeckung von Umweltsünden des AG (AG leitet unberechtigt giftige Abwässer in einen Fluss) oder von Gefährdungen der Allgemeinheit (AG verarbeitet minderwertiges oder gar gesundheitsschädliches Fleisch etc). Es gibt aber auch Meldungen, die vorrangig im Interesse ganz bestimmter Personen sind (zB bei der Meldung unlauterer Machenschaften des AG in Bezug auf Kunden), oder die primär im Interesse des AN selbst liegen (zB Meldungen von Verstößen gegen AN-Schutzvorschriften, Arbeitszeitverstößen etc). Letztgenannte Verstöße stellen auch eine Verletzung der Fürsorgepflicht durch den AG dar. Nachdem nun klargestellt ist, dass Whistleblowing durch den AN in bestimmten Fällen grundsätzlich zulässig ist, weil andere Interessen die Interessen des AG an der Geheimhaltung überwiegen, soll auf 15verschiedene Fragen in Bezug auf Whistleblowing des AN zum Nachteil seines AG eingegangen werden. Für den AN ist dies von essentieller Bedeutung, da – wie bereits erwähnt – einem Whistleblower verschiedenste Gefahren drohen.
Zur Frage des Whistleblowing des AN zum Nachteil des AG besteht Judikatur und einige wichtige Grundsätze sind hier auszumachen.* Schon im Jahr 1952 hat das Arbeitsgericht (ArbG) Innsbruck* entschieden, dass der AN den AG wegen Steuerverfehlungen beim Finanzamt anzeigen darf, da der Treuepflicht die selbstverständlichen Pflichten jedes Staatsbürgers gegenüber der Gesamtheit der Staatsbürger gegenüberstehen. Die Anzeige dürfe allerdings keine verleumderische Denunziation darstellen, was das ArbG Innsbruck auch nicht als gegeben annahm, da sich die Anzeige zum Großteil durch die Ergebnisse der Überprüfung als richtig erwies. Ähnliches sprach das LG für ZRS Graz * aus. Die Erstattung einer Anzeige gegen den AG verstoße an sich nicht gegen die Treuepflicht, da die Verpflichtung der Gesamtheit gegenüber, unredliche Machenschaften aufzudecken, stärker wiege. Der AN müsse aber auf schonendste und unauffälligste Weise vorgehen. Das OLG Graz hat in 8 Ra 45/90* entschieden, dass bei einer zumindest teilweise berechtigten Anzeige nicht von einem Vertrauensbruch oder von einem gegen die Interessen des AG gerichteten Verhalten gesprochen werden kann. In dem der OGH-E 9 ObA 2165/96i* zugrunde liegenden Fall hatte die Sekretärin einer Rechtsanwaltskanzlei dem Finanzamt mitgeteilt, dass der AG vereinnahmte Erlöse nicht verbuche und nicht versteuere, worauf gegen den AG ein Finanzstrafverfahren eingeleitet wurde. Der OGH hielt dazu fest, dass den AN bei strafrechtswidrigen Umtrieben des AG, insb bei Steuerhinterziehungen, idR keine Verschwiegenheitspflicht trifft. In der OGH-E vom 14.6.2000, 9 ObA 118/00v* wurden Regielisten, die der Verrechnung mit Kunden dienten, über Weisung von Vorgesetzten mit Inhalten versehen, die nicht der Wahrheit entsprachen. Es wurden zB Leistungen an Tagen angeführt, an denen wegen Urlaubs oder Krankenstands tatsächlich gar keine Leistungen erbracht wurden. Dadurch lag der Verdacht des Betrugs nahe. Der AN wies Vorgesetzte erfolglos auf die Unrichtigkeit hin. In der Folge fotokopierte er die unrichtigen Listen und übermittelte diese anonym an die geschädigten Kunden. Nachdem der AN zugegeben hatte, das anonyme Schreiben übermittelt zu haben, wurde er entlassen. Auch hier betonte der OGH, dass den AN bei strafrechtswidrigen Umtrieben des AG keine Verschwiegenheitspflicht trifft. Weiters hielt er fest, dass unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten nicht zu den Umständen zählen, an deren Geheimhaltung der AG ein objektiv berechtigtes Interesse hat. Nur haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen bilden den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit. Entscheidend ist die subjektive Vorstellung des AN bei Erstattung der Anzeige. In der genannten E kam der OGH zum Schluss, dass ein AN berechtigt ist, einen Geschäftspartner seines AG über strafrechtlich relevante Verhaltensweisen seines AG zu informieren. Der AN muss jedoch in möglichst schonender Form vorgehen, wobei die Information des Geschäftspartners als ein schonenderes und gelinderes Mittel als die Strafanzeige anzusehen ist. Ob das Verhalten des AN Vertrauensunwürdigkeit begründet, hängt nach Ansicht des OGH nicht davon ab, ob das Strafverfahren in der Folge eingestellt wird, sondern ob die Handlungsweise leichtfertig erfolgte. In der OGH-E vom 15.3.2007, 8 ObA 66/06y* hat der OGH die Entlassung eines AN wegen Vertrauensunwürdigkeit für gerechtfertigt angesehen, der seinen AG (eine Entwicklungshilfeorganisation) wegen angeblicher Bilanzunregelmäßigkeiten bei der für die Erteilung des Spendengütesiegels zuständigen Kammer der Wirtschaftstreuhänder anschwärzte. In Wahrheit war die Vorgehensweise des AG bei der Bilanzierung zwar nicht ganz unumstritten, wurde aber von Wirtschaftstreuhändern empfohlen und in vielen Staaten geübt. Der AN hatte die Berechtigung seiner Anschuldigungen vorher nicht geprüft. In der Sachverhaltsdarstellung des AN fehlte zudem der Hinweis auf Umstände, die für den AG sprachen.
Auch in Deutschland besteht zum gegenständlichen Thema Einiges an Judikatur, wobei diese ähnliche Grundsätze wie die österreichische Rsp aufgestellt hat (keine wissentlich unwahren oder leichtfertig gemachten falschen Aussagen, Ausgang des Strafverfahrens unerheblich, idR ist zunächst eine innerbetriebliche Klärung zu versuchen).*
Im Urteil vom 21.7.2011, Bsw 28274/08, hatte der EGMR über die fristlose Kündigung einer in einem deutschen Altenpflegeheim beschäftigten Altenpflegerin zu entscheiden.* Ihr AG war eine GmbH, deren Mehrheitseigentümer das Land Berlin ist. Die Beschwerdeführerin (Bf) hatte mehrfach auf Mängel in dem Pflegeheim hingewiesen, insb auf Personalmangel. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen stellte bei Kontrollbesuchen auch tatsächlich Mängel fest. 16Als sich die Situation nicht besserte, erstattete die Bf Strafanzeige wegen besonders schweren Betrugs ua mit der Begründung, der AG leiste wissentlich nicht die in der Werbung versprochene hochwertige Pflege und setze dadurch die Patienten einer Gefahr aus. Auch bestehe Bereicherungsabsicht. Die Staatsanwaltschaft stellte jedoch die Ermittlungen gegen den AG ein. Die Bf wurde dann wegen wiederholter Krankenstände gekündigt. Sie verteilte in der Folge Flugblätter, in denen die Kündigung als politische Disziplinierung verurteilt und auch ihre Strafanzeige erwähnt wurde. Der AG kündigte die Bf daraufhin fristlos. Sie erhob Beschwerde beim EGMR. Unstrittig war, dass die Strafanzeige der Bf Whistleblowing darstellt, das in den Anwendungsbereich von Art 10 EMRK (Meinungsfreiheit) fällt. Der EGMR stellte fest, dass eine Strafanzeige gegen den AG eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann, sofern sie eine erhebliche Verletzung der Loyalitätspflicht darstellt. Allerdings wies der EGMR auch darauf hin, dass von AN getätigte Meldungen über illegales Verhalten bzw Missbräuche am Arbeitsplatz unter gewissen Umständen Schutz genießen sollen. Bei wahrgenommenen Missständen sollte zunächst dem Vorgesetzten oder einer anderen kompetenten Stelle Bericht erstattet werden. Nur in Fällen, in denen eine solche Vorgangsweise impraktikabel erscheint, dürfen Informationen – als letzter Ausweg – an die Öffentlichkeit weitergegeben werden. Ferner ist relevant, ob dem AN andere effektive Mittel zur Abstellung der Missstände zur Verfügung stehen. Der AN sollte in gutem Glauben sowie in der Überzeugung handeln, die übermittelten Informationen seien wahr, ferner muss eine Offenlegung im öffentlichen Interesse sein und darf dem AN kein anderes – diskreteres – Mittel zur Verfügung stehen, um die Missstände abzustellen. Der EGMR wendete diese Prinzipien auf den gegenständlichen Fall an und kam zum Schluss, dass die fristlose Kündigung der Bf eine unverhältnismäßige Maßnahme darstellte. Das Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis des Missstandes wiege hier stärker als die Interessen des Arbeitgebers. Der Eingriff in das Recht der AN auf Freiheit der Meinungsäußerung war in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Im Ergebnis hat der EGMR entsprechend den Leitlinien der deutschen Judikatur entschieden.* Zu beachten ist, dass von Art 10 EMRK nicht nur Werturteile (Meinungen ieS) geschützt sind, sondern auch Tatsachenaussagen und andere Mitteilungen.* Es fällt also auch die werturteilsfrei erstattete Strafanzeige gegen den AG unter den Begriff der Meinung. Festzuhalten ist, dass Urteile des EGMR an sich nur den beklagten Vertragsstaat für den entschiedenen Fall verpflichten. Faktisch entfalten die Urteile jedoch über den entschiedenen Fall hinaus Orientierungswirkung auch für andere Staaten.* Die österreichische Rsp wendet aber ohnehin ähnliche Kriterien wie der EGMR an, wie ein Blick auf die unter 2.2. angeführten Entscheidungen zeigt.*
In der OGH-E vom 14.6.2000, 9 ObA 118/00v* hat der OGH strafrechtswidrige Umtriebe, unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten als Umstände gewertet, an deren Geheimhaltung der AG kein berechtigtes Interesse hat. In der Entscheidungsbesprechung hat Kallab darauf hingewiesen, dass unter „unlauteren Geschäftspraktiken“ nicht nur strafrechtliche Tatbestände gemeint sind, sondern auch wesentliche und vorsätzliche Vertragsverletzungen des AG erfasst sein können.* In der deutschen Literatur wird als Beispiel für Whistleblowing angeführt,* dass ein Mitarbeiter eines Reaktorbauunternehmens öffentlich Sicherheitsbedenken hinsichtlich der Bauweise eines neuen Reaktortyps äußert, also Zustände anprangert, die nicht illegal, aber möglicherweise gefährlich, moralisch verwerflich oder kritikwürdig sind. In der Tat können solche Äußerungen zulässige Gegenstände von Whistleblowing sein, auch wenn der AG (noch) kein rechtswidriges Verhalten gesetzt hat. Die Angelegenheiten, an denen der AG kein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse hat, lassen sich nicht im Vorhinein eingrenzen, sondern es muss stets im Einzelfall beurteilt werden, ob das Geheimhaltungsinteresse des AG überwiegt oder andere Interessen an der Publikmachung. Grundsätzlich kommt für zulässiges Whistleblowing daher alles in Betracht, an dessen Offenbarung stärkere Interessen bestehen als das Interesse des AG an der Geheimhaltung.
§ 80 StPO normiert ein allgemeines Anzeigerecht. Wer von der Begehung einer strafbaren Handlung Kenntnis erlangt, ist zur Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft berechtigt. Eine wissentlich falsche Anzeige ist als Verleumdung gem § 297 StGB strafbar. In Österreich gibt es jedoch keine generelle Verpflichtung, Straftaten anzuzeigen. Punktuelle Regelungen bestehen allerdings, so zB für bestimmte Berufsgruppen in gewissen Fällen, zB nach § 7 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) und im Bereich des öffentlichen Dienstes (§§ 45, 53, 1753a BDG; §§ 5, 5b VBG).* Nach § 78 Abs 1 StPO besteht eine Anzeigepflicht an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft, wenn einer Behörde oder öffentlichen Dienststelle der Verdacht einer Straftat bekannt wird, die ihren gesetzmäßigen Wirkungsbereich betrifft. Nach Abs 2 gibt es jedoch in bestimmten Fällen keine Anzeigepflicht.* Eine spezielle Schutzbestimmung für Whistleblower enthält § 9b UIG.* Eine Verpflichtung zum Whistleblowing gegenüber der Finanzmarktaufsichtsbehörde sowie Regelungen, die den Whistleblower schützen sollen, beinhalten § 48d Abs 9 und 10 BörseG.* Besteht ausnahmsweise eine rechtlich verankerte Anzeigepflicht, bedarf es keiner näheren Begründung, dass der AN durch die Anzeige keine Treuepflichten verletzt. Die Interessen des AN wiegen generell dann höher, wenn er sich durch das Unterlassen der Anzeige/Meldung selbst strafbar oder haftbar machen würde.
In diesem Zusammenhang ist kurz auf § 286 StGB hinzuweisen (Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung). Strafbar ist, wer es mit dem Vorsatz, dass vorsätzlich eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen werde, unterlässt, ihre unmittelbar bevorstehende oder schon begonnene Ausführung zu verhindern oder in den Fällen, in denen eine Benachrichtigung die Verhinderung ermöglicht, der Behörde oder dem Bedrohten mitzuteilen. Es muss die Ausführung einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten, vorsätzlich zu begehenden Handlung unmittelbar bevorstehen oder schon begonnen haben.* Die Vorschrift verpflichtet keinesfalls dazu, eine bereits begangene Straftat zur Anzeige zu bringen.* In subjektiver Hinsicht wird vorausgesetzt, dass der Handlungspflichtige annimmt, eine vorsätzliche Kriminalstraftat stehe unmittelbar bevor oder deren Ausführung habe bereits begonnen, dass er sich seiner Handlungsmöglichkeiten bewusst ist und sich dennoch dazu entschließt, die Ausführung nicht zu verhindern. IS eines erweiterten Vorsatzes ist zusätzlich erforderlich, dass der Handlungspflichtige es zumindest ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, dass die Tat auch vollendet wird, was zB nicht der Fall wäre, wenn er meint, ein Dritter werde die Tat verhindern.* Als objektive Bedingungen der Strafbarkeit verlangt § 286 StGB, dass die Straftat zumindest versucht wurde und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, was auf sogenannte Bagatelldelikte nicht zutrifft. Auf Fragen des Vorsatzes bei § 286 StGB soll nun nicht eingegangen werden, man wird aber – ohne ins Detail gehen zu müssen – festhalten können, dass sich der AN durch das Unterlassen der Anzeige seines AG idR nicht nach § 286 StGB strafbar machen wird, wenn nämlich der Entschuldigungsgrund des Abs 2 Z 1 eingreift, wonach der Täter nicht zu bestrafen ist, wenn er die Verhinderung oder Benachrichtigung nicht leicht und ohne sich oder einen Angehörigen der Gefahr eines beträchtlichen Nachteils auszusetzen, bewirken konnte. Nach der Lehre geht es hier um eine drohende Verletzung ins Gewicht fallender Interessen.* Da der AN bei Anzeige jedenfalls Repressalien des AG bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses befürchten muss, wird dieser Strafausschließungsgrund im Allgemeinen zu bejahen sein.* Aus § 286 StGB kann daher auch keine generelle Anzeigepflicht des AN abgeleitet werden. Es ist festzuhalten, dass bei Straftaten idR nur das Anzeigerecht nach § 80 StPO übrig bleibt. ME ist in Fällen, in denen keine Anzeige- bzw Meldepflicht besteht und sich der AN durch das Unterlassen der Meldung auch nicht straf- oder haftbar machen würde, stets eine Abwägung der durch das Whistleblowing geförderten Interessen (der Öffentlichkeit, des AN selber, bestimmter dritter Personen) mit der Schutzwürdigkeit des AG vorzunehmen. Häufig wird die Schutzwürdigkeit des AG schwächer wiegen. Dies wird deutlich, wenn man sich die oben genannten Sachverhalte vor Augen hält. Von der grundsätzlichen Berechtigung einer Anzeige/Meldung zu trennen, ist aber die Frage nach der nicht leichtfertigen und schonendsten Vorgangsweise des AN (dazu unten).
Einzugehen ist darauf, ob die Treuepflicht eine Ausnahme vom Anzeigerecht bei „Bagatelldelikten“ des AG gebietet (zB der AN erfährt, dass der AG einmalig in geringem Rahmen Steuern hinterzogen hat). Könnte die Treuepflicht stärker wiegen als die mit der Anzeige verbundene Schädigung des AG? Gegen eine solche Ausnahme bei Bagatelldelikten spricht der Umstand, dass die Judikatur bei der Entlassung von AN wegen Straftaten prinzipiell keine Geringfügigkeitsgrenze annimmt. So hat der OGH in der E vom 23.5.1997* ausgeführt, dass auch die Entwendung einer Sache geringen Wertes aus dem Besitz des AG im Normalfall einen Entlassungsgrund bildet, da ein bewusstes und vorsätzliches Zuwiderhandeln gegen die Interessen des AG vorliege. Bei Diebstahl oder Veruntreuung ist nach Ansicht des OGH Vertrauensunwürdigkeit subintellegiert, daran ändere auch ein relativ geringer Wert der Waren nichts. Demgemäß wurde die versuchte unrechtmäßige Zueignung eines Briochestriezels als Entlassungsgrund angesehen,* ebenso der versuchte Diebstahl von sechs Golatschen im Gesamtwert von (damals) 45 Schilling.* Das Verhalten dieser AN soll in keiner Weise gut geheißen werden, aber angesichts dieser Entscheidungen des OGH könnte man nun einen Wertungswiderspruch erblicken, wenn zugunsten des AG „Bagatellgrenzen“ gelten würden, die der AN im 18Rahmen der Treuepflicht respektieren müsste. Ist bei Diebstahl oder Veruntreuung seitens des AN auch bei ganz geringwertigen Sachen automatisch Vertrauensunwürdigkeit gegeben, könnte man im Gegenzug auch annehmen, dass der AG bereits durch eine einmalige geringfügige Steuerhinterziehung uä das Vertrauen (der Öffentlichkeit) verwirkt. Dagegen kann allerdings der Einwand erhoben werden, dass das Verhalten der AN in den erwähnten Fällen vorsätzlich war und sich direkt gegen die Interessen des AG gerichtet hat, während etwa bei Steuerverfehlungen des AG die Interessen des AN nicht unmittelbar betroffen sind und der AG möglicherweise auch nur fahrlässig gehandelt hat. Eine endgültige Aussage zu diesem Problem kann letztlich nicht getroffen werden, es muss der Einzelfall betrachtet werden. Handelt es sich um ein einmaliges, geringfügiges Delikt des AG, das von diesem womöglich auch nur fahrlässig begangen worden ist, ist dem AN wegen der Treuepflicht eine Anzeige jedenfalls nicht anzuraten.
Anzumerken ist noch, dass Weiß zutreffend darauf hingewiesen hat,* dass eine Klausel im Arbeitsvertrag, die etwa Anzeigen an die Steuerbehörden wegen Steuerhinterziehung (strafbar gemäß FinStrG) oder an die Sozialversicherungsträger wegen Verletzung von Melde-, Anzeige- und Auskunftspflichten (strafbar nach ASVG) verhindern soll, sittenwidrig und nichtig ist, weil sie (justiz- oder verwaltungs-)strafrechtswidriges Verhalten des AG ermöglichen bzw decken soll.*
Es entspricht der hL und der Judikatur, dass der AN bei Erstattung einer Anzeige/Meldung gegen den AG nicht leichtfertig handeln darf und möglichst schonend vorgehen muss.
Das Angezeigte muss wahr sein oder vom AN für wahr gehalten werden, wobei nach dem OGH die subjektive Vorstellung des AN bei Erstattung der Anzeige maßgeblich ist. Wird das Verfahren gegen den AG in der Folge eingestellt, ist dies unerheblich, wenn der AN gutgläubig war.* Der AN ist in der Regel rechtlicher Laie, es kann von ihm zB nicht vorhergesehen werden, ob etwa ein Strafausschließungsgrund erfüllt ist.* Immer wieder entscheiden ja sogar die Gerichte in ein und derselben Sache unterschiedlich. Der EGMR hat in seiner E ausgesprochen, dass der AN im guten Glauben sowie in der Überzeugung handeln soll, dass die übermittelten Informationen wahr sind. Es stellt sich aber die Frage, was gilt, wenn der AN zwar von der Wahrheit der angezeigten Vorwürfe überzeugt war, aber objektiv gesehen um die Unwahrheit wissen musste. Die Rsp betont ja, dass der AN nicht leichtfertig vorgehen darf. War objektiv klar, dass die Vorwürfe nicht stimmen, kann Vertrauensunwürdigkeit schon vorliegen, weil der AN dann offensichtlich leichtfertig gehandelt hat. Hätte der AN die Information überprüft, hätte er objektiv zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Information unrichtig ist. Der AN muss sorgfältig prüfen, ob der Vorwurf berechtigt ist.* Dies kann aber nur im zumutbaren Rahmen verlangt werden, Detektivarbeit muss der AN nicht leisten. Nach Ansicht von Kallab können Erhebungen oder Maßnahmen der Beweissicherung zur Bestärkung eines begründeten Verdachts des AN in keinem Fall eine Entlassung rechtfertigen (hingegen sind sE Handlungen, die nur wegen einer unscharfen Ahnung gesetzt werden, um einen Verdacht erst zu begründen, problematisch).* Auch der OGH hat in der E 9 ObA 118/00v vom 14.6.2000 das eigenmächtige Ausnützen einer Gelegenheit und das heimliche Kopieren der in einem offenen Ordner liegenden Regielisten nicht als Vertrauensunwürdigkeit begründend angesehen, zumal dies im engen Zusammenhang mit der vermeintlichen Aufdeckung strafrechtlich relevanter Tatbestände gestanden ist. Ein heimliches Durchsuchen von Büros oder das Stöbern in fremden Computern wird aber auch bei begründetem Verdacht unzulässig sein.
Schwer zu beantworten ist häufig die Frage nach der möglichst schonenden Vorgangsweise des AN. Damit verbunden ist das Problem, ob der AN vor Erstattung der Meldung/Anzeige an andere Stellen dem AG die Möglichkeit zur Einstellung der unlauteren Praxis etc geben bzw vorher ein klärendes Gespräch suchen muss (schonender ist natürlich stets eine Information des AG als die sofortige Erstattung einer Meldung/Anzeige an externe Stellen). Nach Kallab besteht keine solche allgemeine Verpflichtung.* Auch das deutsche BAG betont,* dass der innerbetrieblichen Klärung nicht generell der Vorrang gebührt. Es komme auf den Einzelfall an. Eine vorherige innerbetriebliche Meldung und Klärung sei dem AN bei schwerwiegenden Straftaten und bei vom AG selbst begangenen Straftaten unzumutbar. Dasselbe gelte, wenn Abhilfe berechtigerweise nicht zu erwarten ist. Es besteht nach Ansicht des BAG keine Treuepflicht mehr, wenn der AN den AG auf die gesetzwidrige Praxis im Unternehmen hingewiesen hat, der AG aber nicht für Abhilfe gesorgt hat. Da die Treuepflicht des AN auch bei Bejahung eines grundsätzlichen Rechts zur Anzeige/Meldung weiter besteht, ist der Judikatur zuzustimmen, dass der AN – wenn möglich – zunächst eine innerbetriebliche Klärung und Abhilfe anzustreben hat. Ist eine innerbetriebliche Meldung erfolgversprechend, ist diese jedenfalls primär durchzuführen, bei Scheitern einer innerbetrieblichen Lösung kann der AN immer noch weitere Schritte setzen. Verstößt der AG zB gegen AN-Schutzvorschriften, wird es jedenfalls geboten sein, dass der AN ihn zunächst darauf hinweist und ihm die 19Möglichkeit zur Abhilfe gibt, bevor er sich an öffentliche Stellen wendet. Das Gebot der möglichst schonenden Vorgangsweise bezieht sich vor allem darauf, dass internes Whistleblowing dem externen möglichst vorzuziehen ist, da die Gefahr einer Schädigung des AG bei externem Whistleblowing typischerweise größer ist. Mit diesem Gebot steht daher nicht in Widerspruch, wenn sich der AN mit seinem Abhilfeverlangen nicht zuerst an den AG, sondern gleich an den BR wendet. Zudem hat der BR eine Interessenvertretungsaufgabe wahrzunehmen, wobei ihm zu diesem Zweck vom Gesetz Beteiligungsrechte übertragen worden sind.* So enthält § 89 ArbVG Überwachungsrechte, wobei Z 3 ua die Überwachung der Durchführung und Einhaltung der AN-Schutzvorschriften betrifft. Nach hA handelt es sich dabei um Pflichtbefugnisse, deren Ausübung nicht in das Ermessen des BR gestellt ist.* § 90 ArbVG beinhaltet Interventionsrechte. Hier hat der BR ua das Recht, die Beseitigung von Mängeln zu verlangen. Um diesen Aufgaben gerecht werden zu können, hat der BR auch ein Interesse daran, von Missständen informiert zu werden. Wollte man hier unter Hinweis auf das Gebot der möglichst schonenden Vorgehensweise das Recht der AN, sich an den BR zu wenden, einschränken, käme man in ein unerwünschtes Spannungsverhältnis mit der Interessenvertretungsaufgabe des BR.
In der deutschen Literatur wird der AN zT auch auf die Möglichkeit der Leistungsverweigerung verwiesen, * was aber auf Dauer auch nicht zumutbar ist, vielmehr muss der AN die Möglichkeit haben, die Einhaltung der AN-Schutzvorschriften durch den AG auch tatsächlich durchzusetzen. Eine Meldung gewisser Umstände an die Medien wird generell nur im absoluten Ausnahmefall gerechtfertigt sein.* ME muss der AG bei solchen Delikten nicht vorher informiert werden, bei denen er bei vorheriger Information Beweismittel verschwinden lassen könnte (wie zB bei Steuerhinterziehung) oder wenn auf andere Weise die vorherige Information dem AG die Gelegenheit geben würde, Umstände zu vertuschen. Keine vorherige Information ist auch nötig, wenn in irgendeiner Weise Gefahr im Verzug ist und unverzügliches Handeln geboten ist (unmittelbare Gefahr für Konsumenten, der AG ist nicht erreichbar). Bei Betrug an einem Kunden oder sonstigen unlauteren Praktiken zu Lasten bestimmter dritter Personen wird als gelinderes Mittel die Information der betreffenden Personen in Betracht kommen.
Das BAG hat im Urteil vom 3.7.2003* ausgesprochen, dass die Gründe, die den AN dazu bewegen, eine Anzeige zu erstatten, besonders zu beachten sind. Erfolge die Anzeige ausschließlich, um den AG zu schädigen bzw fertig zu machen, könne – unter Berücksichtigung des der Anzeige zugrunde liegenden Vorwurfs – eine unverhältnismäßige Reaktion vorliegen. Durch ein derartiges pflichtwidriges Verhalten nehme der AN keine verfassungsrechtlichen Rechte wahr, sondern verhalte sich – jedenfalls gegenüber dem AG – rechtsmissbräuchlich. Auch in der deutschen Literatur wird vertreten, dass eine Anzeigeerstattung aus Rache oder in Schikane- oder Schädigungsabsicht für sich allein eine Treuepflichtverletzung begründet.* Allerdings ist Forst der Auffassung, dass ein mutmaßlicher Straftäter keine Rücksichtnahme verdient, nur weil der Anzeigende sich rächen will.* Der OGH hat in einer E vom 12.11.1998* ausgesprochen, dass ein AN zur Information eines Prozessgegners seines ehemaligen AG über dessen Versuch, den AN zu einer Urkundenfälschung zu bestimmen, berechtigt ist. Das gilt auch dann, wenn dies der AN nicht aus „edlen Motiven“ tut, wie um der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, sondern vielmehr aus Verärgerung über seinen ehemaligen AG, der ihn unberechtigt entlassen und fälschlicherweise strafbarer Handlungen bezichtigt hatte. Nach Ansicht von Huber* kommt es auf die Beweggründe des AN nicht an, wenn der AN nicht leichtfertig vorgeht und keine haltlosen Anschuldigungen erhebt. Dass er nicht aus edlen Motiven handelt, sondern etwa aus Verärgerung über seinen AG, ist dann auch nach ihrer Auffassung ohne Bedeutung. Auch nach Mulle erscheint ein Abstellen auf die genauen Motive des AN im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nicht unbedingt erforderlich.* Generell kann festgehalten werden, dass der AN nicht schutzwürdig ist, wenn er dem AG mit einer (wenn auch berechtigten) Anzeige droht, um Vorteile für sich selbst zu erlangen.* Dies jedenfalls dann, wenn es sich dabei um Vorteile handelt, die dem AN rechtlich nicht zustehen, wie eine Gehaltserhöhung, Beförderung etc. Was gilt aber, wenn der AN die Anzeigedrohung dazu benützt, tatsächlich bestehende Ansprüche durchzusetzen, deren Erfüllung der AG verweigert? Man denke etwa an den Fall, dass einer weiblichen AN für gleichwertige Arbeit nicht das gleiche Entgelt wie den männlichen AN gezahlt wird. Die Bitten der AN um gleiches Entgelt werden vom AG abgeschmettert. Nun erfährt die AN durch Zufall davon, dass der AG Steuern hinterzogen hat. Sie droht ihm mit einer Anzeige wegen Steuerhinterziehung, wenn er sich weiterhin weigert, ihr das zustehende Entgelt zu bezahlen. Dieses Vorgehen der AN ist nicht zu billigen, obwohl sich der AG ihr gegenüber rechtswidrig verhält. Die Rechtsordnung sieht hier Rechtsschutzmöglichkeiten und Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten vor, die die AN in Anspruch nehmen kann. So hat der OGH am 15.6.1962* auch entschieden, dass die Drohung mit einer Anzeige kein zulässiges Mittel ist, eine 20Gehaltsforderung gegen den AG durchzusetzen. Eine solche Drohung bildet einen Entlassungsgrund. Zudem ist aus strafrechtlicher Sicht auch die E des OGH 7.5.1996, 11 Os 56/96 zu beachten. Ein AN hatte seinen ehemaligen AG zur Auszahlung ihm vermeintlich zustehender Provisionen durch gefährliche Drohung, nämlich der Drohung, ihn bei der Gebietskrankenkasse und dem Finanzamt anzuzeigen, zu bewegen versucht. Der OGH nahm hier den Tatbestand der Nötigung an, da eine sittenwidrige Verknüpfung von Mittel und Zweck vorlag. Der Zweck der Drohung (Durchsetzung eines vermeintlichen Provisionsanspruchs) hänge nämlich mit der Drohung nicht zusammen.* Anders wird dies im Bereich des LSDB-G zu sehen sein. Hier stellt die Nichtbezahlung des Grundlohns eine Verwaltungsübertretung dar, die mit Strafen sanktioniert wird. Sind Strafen exakt für ein bestimmtes Fehlverhalten des AG gegenüber dem AN vorgesehen, kann man nicht von einer sittenwidrigen Verknüpfung sprechen, wenn der AN dem AG im Falle eines solchen Fehlverhaltens (Nichtbezahlung des Grundlohns) mit einer entsprechenden Anzeige an die Behörden droht.
Abgesehen von den erwähnten Fällen sollten die genauen Motive des AN für die Anzeige/Meldung unbeachtlich sein, wenn die Anzeige/Meldung im Rahmen der von der Judikatur aufgestellten Grundsätze erhoben wurde. Da die Motive des AN häufig schwer zu erforschen sind, würde eine gegenteilige Auffassung zu großer Rechtsunsicherheit führen, die zu Lasten des AN gehen würde.
Das LG für ZRS Graz* hat ausgeführt, dass die Erstattung einer Anzeige gegen den AG den Entlassungsgrund der Untreue oder der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 AngG begründen kann. Bei der Untreue verstößt der Angestellte bewusst gegen die Interessen des AG. Den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit können auch fahrlässige Handlungen bilden, wenn sich in ihnen ein Verhalten manifestiert, welches geeignet ist, das Vertrauen des AG weitgehend zu erschüttern. Aus der E des LG für ZRS Graz ergibt sich aber auch, dass ein AN wegen einer Anzeige/Meldung nicht entlassen werden darf, wenn diese nach den oben genannten Grundsätzen gerechtfertigt ist und der AN auch schonend und nicht leichtfertig vorgegangen ist.* Fraglich ist aber, was gilt, wenn der AN auf Grund der Anzeige/Meldung gekündigt wird. Das ArbG Innsbruck* wies darauf hin, dass ein AN, der eine berechtigte Steueranzeige gegen seinen AG erstattet, mit einer Kündigung seines Dienstverhältnisses rechnen müsse. Hier ist aber zu bedenken, dass diese E des ArbG Innsbruck zu einer Zeit (1952) erging, zu der es noch keine Regelung wie jene des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG gab, es deshalb auch noch nicht im Bewusstsein verankert war, dass ein AN, der gegen seinen AG vorgeht, in der Folge auch (in bestimmten Fällen) eines Schutzes vor der Beendigung seines Dienstverhältnisses durch Letzteren bedarf. Nach Ansicht von Aschauer kommt bei öffentlichkeitswirksamem externem Whistleblowing im Rahmen einer Kündigungsanfechtung eine wesentliche Beeinträchtigung der AN-Interessen in Betracht, wenn dem Whistleblower längere Arbeitslosigkeit droht. Bei eigener Betroffenheit des AN komme auch § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG in Frage.* In ihrer Dissertation vertritt sie die Ansicht, dass bei Kündigungen sowohl nach internem als auch nach externem Whistleblowing im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine sittenwidrige und damit nichtige Kündigung vorliegt.*Glaser/Komenda treten de lege ferenda für ein Kündigungsverbot von Whistleblowern ein.*Trost hat hingegen bereits 1987 vertreten,* dass eine Kündigung nach § 879 ABGB sittenwidrig und nichtig ist, wenn sie wegen einer berechtigten Strafanzeige des AN gegen seinen AG erfolgt. Es dürfe all das nicht zum Motiv für eine Kündigung gemacht werden, wozu sich der AN nach den Grundsätzen des § 879 ABGB auch nicht rechtswirksam verpflichten könnte.* Der OGH hat in der E vom 22.12.1997, 8 ObA 262/97f* ausgesprochen, dass eine Kündigung nur dann sittenwidrig ist, wenn ihr Beweggrund gänzlich unsachlich und insb aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligen ist. Davon könne keine Rede sein, wenn der AN wiederholt unberechtigte Kritik an Vorgesetzten und Mitarbeitern geübt hat. Damit ist aber eine berechtigte Anzeige/Meldung durch den AN gerade nicht zu vergleichen. ME ist die Sittenwidrigkeit einer Kündigung, die wegen einer berechtigten Anzeige/Meldung ausgesprochen wird, zu bejahen. § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG gibt dem AN die Anfechtungsmöglichkeit, wenn er wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom AG in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gekündigt wird, zB wenn er ausstehende Gehaltszahlungen einklagt. Sinn der Regelung ist, dem AN die Geltendmachung seiner Ansprüche zu ermöglichen, ohne dass dieser um seinen Arbeitsplatz bangen muss. Der AN soll nicht durch die Furcht vor einer Kündigung von der Geltendmachung seiner Ansprüche abgehalten werden.* Macht der AN mit seinem Whistleblowing offenbar nicht unberechtigt Ansprüche gegenüber dem AG geltend (er wendet sich zB an das Arbeitsinspektorat, weil der AG ihm gegenüber AN-Schutzvorschriften nicht einhält), ist § 105 Abs 3 Z 1 lit i einschlägig.* Der Tatbestand des Infragestellens ist bereits dann erfüllt, wenn der AG dem Verlangen des AN nicht nachgeben will oder 21den Anspruch als bestehend anerkennt, aber dem AN erklärt, ihn nicht erfüllen zu wollen.* Nimmt der AN hingegen sein Recht zur Anzeige/Meldung im Interesse der Allgemeinheit in Anspruch und wird er daraufhin gekündigt, würde es einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn diese Kündigung unantastbar wäre. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich krasse Fälle vor Augen hält, nämlich einerseits einen AN, der ausstehende Gehaltszahlungen einklagt und andererseits einen AN, der wahrheitsgemäß meldet, dass der AG bewusst „Gammelfleisch“ verarbeitet oder giftige Abwässer in einen Fluss leitet. Wäre es wirklich sachgerecht, Ersterem Schutz zu bieten, Zweiterem hingegen (der massiv öffentliche Interessen wahrnimmt) nicht? Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, dass es dem AG nicht zumutbar sei, mit einem AN, der ihn angezeigt/gemeldet hat, weiter zusammenzuarbeiten. Auch wenn der AN den AG zB klagt, um arbeitsrechtliche Ansprüche zu realisieren, ist bei Stattgabe der Kündigungsanfechtung der AG verpflichtet, den AN weiter zu beschäftigen, obwohl das Vertrauensverhältnis ebenso zerrüttet sein wird. Sollte man der These von der Sittenwidrigkeit der Kündigung nicht folgen, ist bei Vorliegen der Voraussetzungen jedenfalls eine Anfechtung der Kündigung wegen Sozialwidrigkeit möglich. Dabei muss klar sein, dass der AG die berechtigte Anzeige/Meldung nicht als verhaltensbedingten Grund für die Kündigung einwenden kann.
Während es im ersten Teil dieser Abhandlung darum gegangen ist, ob der AN seinen AG bei externen Stellen anzeigen/melden darf, soll nun der Frage nachgegangen werden, ob und unter welchen Voraussetzungen der AN verpflichtet ist, Fehlverhalten von Arbeitskollegen dem AG anzuzeigen. Zunächst soll untersucht werden, ob und in welchen Fällen eine solche Pflicht – unabhängig von Whistleblower-Systemen – im Arbeitsrecht zu bejahen ist.
Möglicherweise bemerkt ein AN, dass Arbeitskollegen unlautere Machenschaften tätigen, die den AG schädigen. Der AG hat dann natürlich ein Interesse daran, davon zu erfahren. Dem AN könnte aber eine Meldung an den AG aus nachvollziehbaren Gründen unangenehm sein. Er wird dann häufig als „Vernaderer“ bezeichnet, das Betriebsklima leidet, möglicherweise ist er in der Folge Mobbing von Arbeitskollegen ausgesetzt. Grundlage für eine mögliche Anzeigepflicht des AN ist die Treuepflicht. Aus der Treuepflicht wird die Verpflichtung des AN abgeleitet, den AG von drohenden Gefahren und Schäden zu informieren und zu deren Beseitigung beizutragen.* Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann die (berechtigte) Entlassung des AN wegen Vertrauensunwürdigkeit nach sich ziehen. Klar ist, dass der AN Verfehlungen von Arbeitskollegen dem AG melden darf. Für ihn interessant ist aber eher die Frage, wann er sich durch das Unterlassen einer Meldung der Gefahr einer Entlassung aussetzt. Eine Meldepflicht kann sich schon aus der Arbeitspflicht, aus der Art der Tätigkeit selbst ergeben, zB bei Tätigkeiten als Revisor. In diesen Fällen bedarf es keiner weiteren Begründung, dass der AN zur Meldung verpflichtet ist. Ist es Inhalt der Arbeitspflicht, bestimmte Unregelmäßigkeiten aufzudecken, so muss man dies auch tun, ansonsten kommt es zu einer Verletzung des Arbeitsvertrages. Ergibt sich die Meldepflicht nicht schon aus der Arbeitspflicht, muss mE eine Abwägung der AN-Interessen an der Nichtmeldung mit den AG-Interessen an der Meldung stattfinden. Der AN ist durch die Treuepflicht nicht gehalten, eigene überwiegende Interessen an einem zuträglichen Betriebsklima zurückzustellen. Die Treuepflicht reicht nur soweit, wie die AG-Interessen überwiegen. Zum gegenständlichen Thema gibt es (wenige) Urteile. In der grundlegenden OGH-E vom 25.9.1984, 4 Ob 83/83* hat der OGH Vertrauensunwürdigkeit einer AN angenommen, die Briefmarkendiebstähle eines Arbeitskollegen* im Gesamtwert von (damals) mindestens 365.490 Schilling trotz konkreter Anhaltspunkte nicht meldete, was dem Kollegen auch die Möglichkeit zu weiteren Diebstählen gegeben hat. Die Vertrauensunwürdigkeit konnte in diesem Fall auch durch eine jahrelange einwandfreie Vordienstleistung nicht aufgewogen werden.
Aus strafrechtlicher Sicht hat das OLG Wien* ausgeführt, dass das bloße Mitwissen betreffend eine strafbare Handlung eines Arbeitskollegen noch keine strafbare Handlung darstellt. Bloßes Mitwissen sei nicht einer Beitragstäterschaft gleichzusetzen. Auch Beihilfe durch Unterlassung liege nicht vor, da keine Garantenstellung des mitwissenden AN vorliege. Das OLG Wien sprach aus, dass im Rahmen der Treuepflicht eine Anzeigepflicht dem AG gegenüber dann angenommen werden könne, wenn der AN die Aufsicht über andere AN auszuüben hat oder sonst eine besondere Vertrauensstellung einnimmt. Dies nahm das OLG Wien als gegeben an, da dem AN im konkreten Fall gegenüber dem Arbeitskollegen (der Unterschlagungen begangen hatte) eine Vorgesetztenposition zukam. Als unerheblich wertete das OLG Wien, dass der Arbeitskollege der Bruder des AN war.
Grillberger hat bereits 1986 darauf hingewiesen, dass es nicht iSd AG gelegen sein kann, wenn ein Klima des Misstrauens zwischen den Arbeitskollegen entsteht.* Die Anzeigepflicht ist daher eher eng zu 22sehen.* Der AN ist bei Straftaten von Arbeitskollegen grundsätzlich zur Meldung an den AG verpflichtet. Dies gilt natürlich für Straftaten zum Nachteil des AG, aber auch bei Straftaten zum Nachteil Dritter, wenn dadurch der AG mittelbar geschädigt werden könnte (zB der AN erfährt, dass ein Arbeitskollege im Dienst Kunden des AG betrügt). Eine Anzeigepflicht ist aber auch dann zu bejahen, wenn durch das Fehlverhalten von Arbeitskollegen Gefahren für Leib/Leben/Gesundheit von Personen drohen. Grillberger bringt etwa das Beispiel, dass ein Arbeitskollege eine Schulbusfahrt offensichtlich betrunken antreten will.* Es könnte aber auch sein, dass sich ein Arbeitskollege weigert, Schutzvorschriften einzuhalten, wodurch Gefahr zB durch Austreten giftiger Dämpfe droht. Meldepflichtig sind aber auch sonstige schwere Verfehlungen von Arbeitskollegen, zB Absprachen mit Kunden des AG zum Nachteil des AG. In solchen Fällen wiegt das Informationsinteresse des AG mehr als das Interesse des AN an einem gedeihlichen Betriebsklima. Mit Grillberger* ist aber davon auszugehen, dass dem AN – wenn dies zielführend erscheint – zunächst die Möglichkeit zugestanden werden muss, die Sache mit dem Arbeitskollegen direkt zu klären, zB ihn dazu zu bewegen, den Diebstahl selbst dem AG zu gestehen, das gestohlene Geld zurückzulegen, die Fahrt mit dem Schulbus nicht betrunken anzutreten. Weigert sich der Arbeitskollege, Schutzvorschriften einzuhalten, wird dies der AN vorab bei ihm einmahnen dürfen und wird nicht gleich den AG zu informieren haben. Bei offensichtlicher Erfolglosigkeit der Bemühungen des AN ist die Meldepflicht dann aber zu bejahen. Was etwa die Frage der Meldepflicht von Arbeitszeitverstößen von Arbeitskollegen betrifft, hat bereits Grillberger zutreffend darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich Sache des AG und nicht der Arbeitskollegen ist, dafür zu sorgen, dass die AN die vertraglich übernommenen Pflichten erfüllen. So besteht nach seiner Ansicht keine Anzeigepflicht, wenn ein AN einen wegen Grippe im Krankenstand befindlichen Arbeitskollegen bei einer Heurigenpartie ertappt.* In der Regel ist der AG für die Kontrolle der AN verantwortlich, es obliegt ihm, zu kontrollieren, ob die AN die Arbeitszeit einhalten, ob die Arbeit erledigt wird. Es ist nicht Sache eines AN zu kontrollieren, ob die anderen AN ihre Arbeitsverträge ordnungsgemäß erfüllen. Anderes gilt nur, wenn solche Kontrollpflichten Inhalt des Arbeitsvertrages eines AN sind, zB im Einzelfall bei einem Abteilungsleiter oder Vorarbeiter. Im Übrigen kommt entgegen dem OLG Wien eine Anzeigepflicht aber nicht nur für AN in Betracht, die eine Aufsichtsfunktion ausüben oder die sonst eine besondere Vertrauensstellung einnehmen. Wegen der Treuepflicht kann eine Meldeverpflichtung bei Vorliegen der Voraussetzungen jeden AN treffen.*
Im vorherigen Punkt wurden Fälle aufgezeigt, in denen der AN aufgrund der Treuepflicht zu Meldungen an den AG verpflichtet ist. Es stellt sich nun die Frage, ob diese durch Weisung bzw Arbeitsvertrag/BV erweitert werden können. In der deutschen Literatur wird die Auffassung vertreten, dass Regelungen, die eine generelle Anzeigepflicht aller AN bei jeder Form eines Verstoßes – unabhängig von seiner Schwere und den Umständen des Einzelfalles – vorsehen, zu weitgehend sind und per Weisungsrecht nicht eingeführt werden können.* Nach Ansicht von Grillberger ist es weder den Parteien des Einzelvertrages noch einer kollektiven Vereinbarung möglich, Anzeigepflichten gegenüber Arbeitskollegen in allgemeiner, undifferenzierter Weise festzulegen. Er weist darauf hin, dass vertragliche Regelungen nicht zu einer Erweiterung des Entlassungsrechts führen dürfen und vertritt die Auffassung, dass eine vertragliche Regelung, die undifferenziert zur Anzeige von Dienstvergehen verpflichtet, nach § 879 ABGB sittenwidrig ist.* Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Mayer hat in einem Muster sehr sinnvolle Kriterien für die Vereinbarung einer Anzeigepflicht des AN aufgestellt. Sie schlägt eine Einschränkung dahingehend vor, dass eine Meldung seitens des AN nicht erfolgen muss, wenn ausnahmsweise schutzwürdige Interessen auf seiner Seite entgegenstehen. Weiters sollte (demonstrativ) angeführt werden, in welchen Fällen jedenfalls eine Anzeigepflicht besteht.* Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Anzeige/Meldung im Rahmen eines Whistleblowing-Systems erfolgen soll.
Das Ziel von Whistleblowing-Systemen ist die Ermöglichung des unternehmensinternen Aufzeigens von Missständen auf möglichst effiziente Art und Weise. Allfälliges Fehlverhalten von Mitarbeitern soll aufgedeckt werden. Die Mitarbeiter können ihre Meldungen idR telefonisch oder per Internet erstatten (meist an eine externe Stelle, die die Meldungen bearbeitet und evaluiert und wieder an das Unternehmen zurückleitet, wo dann entsprechende Maßnahmen ergriffen werden).*
Im Jahr 2002 wurde vom US-Kongress der Sarbanes Oxley Act (SOX) verabschiedet. Unternehmen, die in den USA börsenotiert sind und auch deren ausländische Tochterunternehmen müssen interne Kontrollmaßnahmen, darunter auch Whistleblowing-Hotlines, 23einrichten.* Anfang Februar 2006 veröffentlichte die Art 29 Datenschutz-Arbeitsgruppe* ein Arbeitspapier. Dieses ist zwar rechtlich unverbindlich, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Ansichten der Arbeitsgruppe von allen europäischen Datenschutzbehörden beachtet werden.* Durch dieses Arbeitspapier sollte den Unternehmen die nach dem SOX verlangte Einführung von Whistleblowing-Systemen erleichtert werden, damit sie den Vorgaben der europäischen Datenschutz-RL genügen.* Zur Vermeidung von Wiederholungen soll auf die Ausführungen von Knyrim/Kurz/Haidinger verwiesen werden, die den Inhalt dieses Arbeitspapiers ausführlich darstellen.*
Sie formulieren auch auf Basis der bisher ergangenen Entscheidungen und Empfehlungen Richtlinien für die Implementierung von Whistleblowing-Systemen, zB
dass die Verwendung des Whistleblowing-Systems durch die Mitarbeiter ausschließlich auf freiwilliger Basis erfolgen darf,
die Personen, gegen die sich eine Anzeige richten kann und die zur Anzeige berechtigt sind, ex ante bestimmt definiert und zahlenmäßig möglichst begrenzt sein müssen,
Anzeigen nicht anonym erstattet werden sollen, wobei die Identität des Anzeigers aber zu schützen ist,
Zugriff auf die Anzeigen nur ein ex ante definierter, kleiner und geschulter Personenkreis hat.
Klar ist, dass bei Whistleblowing-Systemen in Österreich das DSG idR anwendbar ist, da es um die Verarbeitung personenbezogener Daten iSd § 4 Z 1 DSG geht.* Im Übrigen soll im vorliegenden Beitrag nicht auf datenschutzrechtliche Fragen von Whistleblowing-Systemen eingegangen werden. Zu diesem Thema gibt es ohnehin ausführliche Stimmen in der Literatur.*Leissler weist darauf hin, dass die DSK bisher in weiten Teilen den Empfehlungen der europäischen Datenschutzgruppe gefolgt ist. Er empfiehlt daher, Whistleblowing-Systeme an diesen Maßstäben auszurichten.*
Es ist davon auszugehen, dass die Einführung eines Whistleblowing-Systems grundsätzlich zulässig ist und zwar auch außerhalb des SOX. Dabei zu beachten sind der Datenschutz (siehe oben) und die Mitwirkungsrechte des BR. Häufig wird die Mitbestimmung nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG in Betracht kommen, wobei im Rahmen dieses Beitrags auf mitbestimmungsrechtliche Aspekte nicht näher eingegangen werden soll, da dies eine eigene Abhandlung erfordern würde.* Die DSK hat die Auffassung vertreten, dass bei Whistleblowing-Systemen grundsätzlich die Mitwirkungsrechte nach den §§ 96, 96a ArbVG zum Tragen kommen.* Der AG kann zwar den Wunsch zum Ausdruck bringen, dass sich die AN für solche Meldungen des Whistleblowing-Systems bedienen, es kommen aber mE keine arbeitsrechtlichen Sanktionen in Betracht, wenn der AN einen anderen Weg für die Meldung wählt, zB dies direkt dem AG mitteilt, anstatt die Whistleblowing-Hotline zu benutzen. Zu beachten ist jedoch, dass die Meldung des Arbeitskollegen auf eine Weise zu erfolgen hat, die den AG möglichst nicht schädigt. Selbstverständlich sollte – gerade bei Bestehen einer Whistleblowing-Hotline – keine sofortige Meldung an die Staatsanwaltschaft oder gar die Presse erfolgen.24