1. Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art 1, 2 und 5 der RL 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl L 303, S 16). [...]
Rechtsrahmen
Völkerrecht
3. Im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das mit dem Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26.11.2009 (ABl 2010, L 23, S 35, im Folgenden: VN-Übereinkommen) [...]. [...]
4. Art 1 dieses Übereinkommens sieht vor:
„Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.
Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“
[...]
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
15. Frau Ring war seit 1996 bei der Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau Boligorganisation Samvirke in Lyngby (Dänemark) und seit dem 17.7.2000 bei DAB, die Samvirke übernommen hatte, beschäftigt. Zwischen dem 6.6.2005 und dem 24.11.2005 war Frau Ring wiederholt abwesend. In den ärztlichen Bescheinigungen war ua angegeben, dass sie an ständigen Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule leide, die nicht behandelbar seien. Es war nicht möglich, vorherzusagen, ob sie irgendwann wieder eine Vollzeitbeschäftigung aufnehmen kann.
16. Mit Schreiben vom 24.11.2005 kündigte DAB Frau Ring gem § 5 Abs 2 FL.
17. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass der Arbeitsplatz nach dieser Kündigung umgestaltet wurde. DAB hat einen Kostenvoranschlag vom 3.9.2008 über einen Gesamtbetrag von „ungefähr 305.000 DKK (+ Marge)“ für „einen Empfangstresen und einige Arbeitsplätze dahinter“ sowie „die Erneuerung des Bodenbelags“ und das Aufstellen von „höhenverstellbaren Tischen“ vorgelegt.
18. Am 1.2.2006 trat Frau Ring eine neue Stelle als Empfangssekretärin bei dem Unternehmen ADRA Danmark mit einer Arbeitszeit von 20 Wochenstunden an. Die Parteien des Ausgangsverfahrens in der Rs C-335/11 sind sich darüber einig, dass es sich bei ihrem Arbeitsplatz um einen gewöhnlichen Arbeitsplatz handelt, der ua mit einem höhenverstellbaren Tisch ausgestattet ist.
19. Frau Skouboe Werge war seit 1998 bei Pro Display als Sekretärin/Direktionsassistentin beschäftigt. Am 19.12.2003 hatte sie einen Verkehrsunfall, bei dem sie ein Schleudertrauma erlitt. Sie war deshalb ungefähr drei Wochen krankgemeldet. Danach fehlte sie nur einzelne Tage krankheitsbedingt. Am 4.11.2004 teilte der Leiter der Buchhaltung von Pro Display per E-Mail den übrigen Mitarbeitern mit, dass sich Frau Skouboe Werge mit ihrem Einverständnis vier Wochen, in denen sie nur ungefähr vier Stunden pro Tag arbeiten werde, teilweise in Krankheitsurlaub befinden werde. Pro Display ließ sich das Gehalt von Frau Skouboe Werge in Höhe der Krankentagegelder erstatten.
20. Am Montag, den 10.1.2005 meldete sich Frau Skouboe Werge für die volle Arbeitszeit krank. Mit E-Mail vom 14.1.2005 teilte sie dem Geschäftsführer von Pro Display mit, dass es ihr nach wie vor sehr schlecht gehe und dass sie am gleichen Tag einen Termin bei einem Facharzt habe. Aus einer ärztlichen Bescheinigung vom 17.1.2005 geht hervor, dass sie den Arzt an diesem Tag aufsuchte und erklärte, dass sie seit dem 10.1.2005 arbeitsunfähig sei. Der Arzt ging davon aus, dass die Arbeitsunfähigkeit noch einen weiteren Monat andauern werde. In einer ärztlichen Bescheinigung vom 23.2.2005 stellt dieser Arzt fest, dass er zur Dauer der Arbeitsunfähigkeit keine Angaben machen könne.
21. Mit Schreiben vom 21.4.2005 wurde Skouboe Werge Frau mit einer Kündigungsfrist von einem Monat zum 31.5.2005 gekündigt. [...]
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
28. Vorab ist daran zu erinnern, dass die Organe der EU, wenn von dieser internationale Übereinkünfte 30geschlossen werden, nach Art 216 Abs 2 AEUV an solche Übereinkünfte gebunden sind; die Übereinkünfte haben daher gegenüber den Rechtsakten der Union Vorrang (Urteil vom 21.12.2011, Air Transport Association of America ua, C-366/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn 50 und die dort angeführte Rsp).
29. Es ist weiter darauf hinzuweisen, dass der Vorrang der von der Union geschlossenen völkerrechtlichen Verträge vor den Bestimmungen des abgeleiteten Rechts es gebietet, diese Bestimmungen nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesen Verträgen auszulegen (Urteil vom 22.11.2012, Digitalnet ua, C-320/11, C-330/11, C-382/11 und C-383/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn 39 und die dort angeführte Rsp). [...]
32. Daraus folgt, dass die RL 2000/78 nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen auszulegen ist.
33. Die Fragen des vorlegenden Gerichts sind im Licht dieser Erwägungen zu beantworten.
Zur ersten und zur zweiten Frage
34. Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff „Behinderung“ iSd RL 2000/78 dahin auszulegen ist, dass er den Gesundheitszustand einer Person erfasst, die ihre Arbeit aufgrund physischer, geistiger oder psychischer Beeinträchtigungen über einen wahrscheinlich langen Zeitraum oder dauerhaft nicht oder nur in begrenztem Umfang verrichten kann. Es möchte außerdem wissen, ob dieser Begriff dahin auszulegen ist, dass er einen Zustand, der durch eine ärztlich diagnostizierte unheilbare Krankheit verursacht ist, erfasst, dass er auch einen Zustand, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare Krankheit verursacht ist, erfasst und dass es für die Frage, ob der Gesundheitszustand einer Person unter diesen Begriff fällt, auf die Art der Maßnahmen ankommt, die der AG ergreifen muss. [...]
36. Der Begriff „Behinderung“ ist in der RL 2000/78 selbst nicht definiert. Deshalb hat der Gerichtshof in Rn 43 des Urteils Chacón Navas entschieden, dass dieser Begriff so zu verstehen ist, dass er eine Einschränkung erfasst, die insb auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet.
37. Das VN-Übereinkommen, das die EU mit dem Beschluss vom 26.11.2009, also nach der Verkündung des Urteils Chacón Navas, ratifiziert hat, erkennt in Buchst e seiner Präambel an, dass „das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern
“. So bestimmt Art 1 Abs 2 dieses Übereinkommens, dass zu den Menschen mit Behinderungen Menschen zählen, „die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können
“.
38. In Anbetracht der Erwägungen in den Rn 28 bis 32 des vorliegenden Urteils ist der Begriff „Behinderung“ so zu verstehen, dass er eine Einschränkung erfasst, die insb auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen AN, hindern können.
39. Außerdem ergibt sich aus Art 1 Abs 2 des VN-Übereinkommens, dass die körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen „langfristig“ sein müssen.
40. Ferner ist, wie die Generalanwältin in Nr 32 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, nicht ersichtlich, dass die RL 2000/78 nur Behinderungen erfassen will, die angeboren sind oder von Unfällen herrühren, und Behinderungen, die durch eine Krankheit verursacht sind, ausschlösse. Für den Anwendungsbereich dieser RL je nach Ursache der Behinderung zu differenzieren, würde nämlich ihrem Ziel selbst, die Gleichbehandlung zu verwirklichen, widersprechen.
41. Es ist daher festzustellen, dass eine heilbare oder unheilbare Krankheit unter den Begriff „Behinderung“ iSd RL 2000/78 fallen kann, wenn sie eine Einschränkung mit sich bringt, die insb auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen AN, hindern können, und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist.
42. Dagegen fällt eine Krankheit, die keine solche Einschränkung mit sich bringt, nicht unter den Begriff „Behinderung“ iSd RL 2000/78. Krankheit als solche kann nämlich nicht als ein weiterer Grund neben denen angesehen werden, derentwegen Personen zu diskriminieren nach der RL 2000/78 verboten ist (vgl Urteil Chacón Navas, Rn 57).
43. Dass der Betreffende seine Arbeit nur in begrenztem Umfang ausüben kann, steht einer Subsumierung seines Gesundheitszustands unter den Begriff „Behinderung“ nicht entgegen. Entgegen dem Vorbringen von DAB und Pro Display ist eine Behinderung nicht unbedingt mit dem vollständigen Ausschluss von der Arbeit oder vom Berufsleben verbunden.
44. Insoweit ist der Begriff „Behinderung“, wie er sich aus Rn 38 des vorliegenden Urteils ergibt, so zu verstehen, dass er eine Beeinträchtigung der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit erfasst, nicht aber, wie DAB und Pro Display geltend machen, die Unmöglichkeit, eine solche Tätigkeit auszuüben. Der Gesundheitszustand von Menschen mit Behinderung, die – zumindest Teilzeit – arbeiten können, kann daher unter den Begriff „Behinderung“ fallen. Eine Auslegung wie die von DAB und Pro Display vertretene wäre überdies unvereinbar mit dem Ziel der RL 2000/78, die insb Menschen mit Behinderung Zugang zur Beschäftigung oder die Ausübung eines Berufs ermöglichen soll.
45. Ferner hängt die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung nicht von der Art der zu treffenden Vorkehrungsmaßnahmen, wie zB der Verwendung besonderer Hilfsmittel, ab. Die Definition des Begriffs 31„Behinderung“ iS von Art 1 der RL 2000/78 geht der Bestimmung und Beurteilung der in Art 5 der RL ins Auge gefassten geeigneten Vorkehrungsmaßnahmen voraus. [...]
47. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass auf die erste und die zweite Frage zu antworten ist, dass der Begriff „Behinderung“ iSd RL 2000/78 dahin auszulegen ist, dass er einen Zustand einschließt, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit eine Einschränkung mit sich bringt, die insb auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen AN, hindern können, und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist. Für die Frage, ob der Gesundheitszustand einer Person unter diesen Begriff fällt, kommt es nicht auf die Art der Maßnahmen an, die der AG ergreifen muss.
Zur dritten Frage
48. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art 5 der RL 2000/78 dahin auszulegen ist, dass die Verkürzung der Arbeitszeit eine der in dieser Vorschrift genannten Vorkehrungsmaßnahmen darstellen kann.
49. Nach dieser Vorschrift ist der AG verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, insb um Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs und den beruflichen Aufstieg zu ermöglichen. Insoweit enthält der 20. Erwägungsgrund der RL eine nicht abschließende Aufzählung solcher Maßnahmen, die die Arbeitsumgebung, die Arbeitsorganisation und/oder die Aus- und Fortbildung betreffen können.
50. Weder in Art 5 der RL 2000/78 noch in ihrem 20. Erwägungsgrund wird die Verkürzung der Arbeitszeit erwähnt. Allerdings ist der in diesem Erwägungsgrund enthaltene Begriff „Arbeitsrhythmus“ auszulegen, um feststellen zu können, ob eine Arbeitszeitverkürzung darunter fallen kann.
51. DAB und Pro Display machen hierzu geltend, dass dieser Begriff Gesichtspunkte erfasst wie die Organisation des Arbeitsrhythmus und des Arbeitstakts, zB im Rahmen eines Herstellungsprozesses, sowie der Pausen, um die Belastung des behinderten AN so weit wie möglich zu verringern.
52. Es ergibt sich jedoch weder aus dem 20. Erwägungsgrund noch aus irgendeiner anderen Bestimmung der RL 2000/78, dass der Unionsgesetzgeber den Begriff „Arbeitsrhythmus“ auf solche Gesichtspunkte beschränken und die Gestaltung der Arbeitszeit, insb die Möglichkeit für Menschen mit Behinderung, die nicht oder nicht mehr Vollzeit arbeiten können, ihre Arbeit in Teilzeit zu verrichten, ausschließen wollte.
53. Nach Art 2 Abs 4 des VN-Übereinkommens sind „angemessene Vorkehrungen notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können
“. Daraus folgt, dass diese Bestimmung eine weite Definition des Begriffs „angemessene Vorkehrungen
“ enthält.
54. Im Zusammenhang mit der RL 2000/78 ist dieser Begriff somit dahin zu verstehen, dass er die Beseitigung der verschiedenen Barrieren umfasst, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen AN, behindert.
55. Da zum einen der 20. Erwägungsgrund der RL 2000/78 und Art 2 Abs 4 des VN-Übereinkommens nicht nur materielle, sondern auch organisatorische Maßnahmen ansprechen und zum anderen der Begriff „Arbeitsrhythmus“ als Takt oder Geschwindigkeit, mit der die Arbeit verrichtet wird, zu verstehen ist, lässt sich nicht ausschließen, dass eine Arbeitszeitverkürzung eine der in Art 5 dieser RL genannten Vorkehrungen sein kann.
56. Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass die im 20. Erwägungsgrund der RL 2000/78 enthaltene Aufzählung angemessener Maßnahmen zur Einrichtung des Arbeitsplatzes entsprechend der Behinderung nicht abschließend ist, so dass eine Arbeitszeitverkürzung, selbst wenn sie nicht unter den Begriff „Arbeitsrhythmus“ fiele, in Fällen, in denen sie es dem AN ermöglicht, seine Arbeit entsprechend dem mit Art 5 dieser RL verfolgten Ziel weiter auszuüben, als eine Vorkehrungsmaßnahme iS dieser Vorschrift angesehen werden kann.
57. Nach dem 17. Erwägungsgrund der RL 2000/78 wird jedoch unbeschadet der Verpflichtung, für Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen zu treffen, zu denen eine etwaige Verkürzung ihrer Arbeitszeit gehört, nicht die Einstellung, der berufliche Aufstieg oder die Weiterbeschäftigung einer Person vorgeschrieben, wenn diese für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist.
58. Darüber hinaus müssen nach Art 5 der RL die Vorkehrungen, auf die Menschen mit Behinderung Anspruch haben, in dem Sinne angemessen sein, dass sie den AG nicht unverhältnismäßig belasten.
59. In den Ausgangsverfahren ist es daher Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob die Arbeitszeitverkürzung als Vorkehrungsmaßnahme die AG unverhältnismäßig belasten würde.
60. Wie sich aus dem 21. Erwägungsgrund der RL 2000/78 ergibt, sollten in diesem Zusammenhang insb der mit einer solchen Maßnahme verbundene finanzielle und sonstige Aufwand sowie die Größe, die finanziellen Ressourcen und der Gesamtumsatz des Unternehmens und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt werden. [...]
64. Demnach ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art 5 der RL 2000/78 dahin auszulegen ist, dass die Verkürzung der Arbeitszeit eine der in dieser Vorschrift genannten Vorkehrungsmaßnahmen darstellen kann. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob unter den Umständen der Ausgangsverfahren die Verkürzung der Arbeitszeit als Vorkehrungsmaßnahme eine unverhältnismäßige Belastung des AG darstellt. [...]32
Zu Frage 4 Buchst a:
69. Mit seiner Frage 4 Buchst a möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die RL 2000/78 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Bestimmung, nach der ein AG einen Arbeitsvertrag mit einer verkürzten Kündigungsfrist beenden kann, wenn der betroffene behinderte AN innerhalb der letzten zwölf Monate krankheitsbedingt 120 Tage mit Entgeltfortzahlung abwesend war, entgegensteht, wenn diese Fehlzeiten auf seine Behinderung zurückzuführen sind.
70. Es ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit dieser Frage den Fall meint, dass § 5 Abs 2 FL auf Menschen mit Behinderungen nach einer krankheitsbedingten Abwesenheit angewandt wird, die ganz oder teilweise auf die Behinderung und nicht darauf zurückzuführen ist, dass der AG nicht gemäß der Verpflichtung nach Art 5 dieser RL, angemessene Vorkehrungen zu treffen, die geeigneten Maßnahmen ergriffen hat.
71. [...] Es stellt sich daher die Frage, ob die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Bestimmung zu einer Diskriminierung von Menschen mit Behinderung führen kann.
72. Zur Frage, ob die in den Ausgangsverfahren fragliche nationale Bestimmung eine auf der Behinderung beruhende Ungleichbehandlung enthält, ist festzustellen, dass § 5 Abs 2 FL, der krankheitsbedingte Fehlzeiten betrifft, in gleicher Weise auf behinderte und nichtbehinderte Menschen anwendbar ist, die krankheitsbedingt mehr als 120 Tage abwesend sind. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Bestimmung eine unmittelbar auf der Behinderung beruhende Ungleichbehandlung iS von Art 1 iVm Art 2 Abs 2 Buchst a der RL 2000/78 schafft. [...]
75. Zur Frage, ob diese Bestimmung zu einer mittelbar auf der Behinderung beruhenden Ungleichbehandlung führen kann, ist festzustellen, dass die Berücksichtigung von Fehlzeiten wegen mit der Behinderung in Zusammenhang stehenden Krankheiten bei der Berechnung krankheitsbedingter Fehlzeiten darauf hinausläuft, eine mit der Behinderung in Zusammenhang stehende Krankheit mit dem allgemeinen Begriff der Krankheit gleichzusetzen. Die Begriffe „Behinderung“ und „Krankheit“ lassen sich aber, wie der Gerichtshof in Rn 44 des Urteils Chacón Navas ausgeführt hat, nicht schlicht und einfach einander gleichsetzen.
76. Hierzu ist festzustellen, dass ein behinderter AN einem höheren Risiko ausgesetzt ist, dass ihm gegenüber die in § 5 Abs 2 FL vorgesehene verkürzte Kündigungsfrist angewandt wird, als ein nicht behinderter AN. Im Vergleich zu einem AN ohne Behinderung trägt ein AN mit Behinderung nämlich, wie die Generalanwältin in Nr 67 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ein zusätzliches Risiko, an einer mit seiner Behinderung zusammenhängenden Krankheit zu erkranken. Er ist somit einem höheren Risiko ausgesetzt, krankheitsbedingte Fehltage anzusammeln und damit die in § 5 Abs 2 FL vorgesehene Grenze von 120 Tagen zu erreichen. Diese 120-Tage-Regel kann daher AN mit Behinderung benachteiligen und so zu einer mittelbar auf der Behinderung beruhenden Ungleichbehandlung iS von Art 2 Abs 2 Buchst b der RL 2000/78 führen.
77. Nach Z i dieser Bestimmung ist zu prüfen, ob diese Ungleichbehandlung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist, ob die zu dessen Erreichung eingesetzten Mittel angemessen sind und ob sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des vom dänischen Gesetzgeber verfolgten Ziels erforderlich ist.
78. Zum Ziel des § 5 Abs 2 FL führt die dänische Regierung aus, dass es darum gehe, den AG einen Anreiz zu bieten, AN, bei denen ein besonderes Risiko besteht, dass sie krankheitsbedingt wiederholt abwesend sind, einzustellen und weiterzubeschäftigen, indem es ihnen ermöglicht wird, diese AN später mit einer verkürzten Kündigungsfrist zu entlassen, wenn die Fehlzeiten von sehr langer Dauer sind. Als Gegenleistung könnten diese AN während der Dauer ihrer Krankheit in ihrer Beschäftigung verbleiben.
79. Diese Regel bringe daher die Interessen des AG und des AN in Einklang und entspreche ganz der allgemeinen Regulierung des dänischen Arbeitsmarkts, die auf einer Kombination aus Flexibilität und Vertragsfreiheit einerseits und dem Schutz der AN andererseits beruhe. [...]
82. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Förderung von Einstellungen unbestreitbar ein legitimes Ziel der Sozial- oder Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten darstellt und dass diese Wertung offensichtlich auch für Instrumente der nationalen Arbeitsmarktpolitik gelten muss, die für bestimmte AN-Gruppen die Chancen auf Eingliederung in das Erwerbsleben verbessern sollen (vgl Urteil vom 16.10.2007, Palacios de la Villa, C-411/05, Slg 2007, I-8531, Rn 65). Auch eine Maßnahme zur Förderung der Flexibilität des Arbeitsmarkts kann als eine beschäftigungspolitische Maßnahme angesehen werden.
83. Daher können Ziele der Art, wie die dänische Regierung sie angeführt hat, grundsätzlich im Rahmen des nationalen Rechts eine auf der Behinderung beruhende Ungleichbehandlung, wie sie sich aus § 5 Abs 2 FL ergibt, iS von Art 2 Abs 2 Buchst b Z i der RL 2000/78 sachlich rechtfertigen.
84. Ferner muss geprüft werden, ob die zur Erreichung dieser Ziele eingesetzten Mittel angemessen und erforderlich sind und ob sie nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen.
85. Die dänische Regierung vertritt die Ansicht, dass mit § 5 Abs 2 FL zum einen das Ziel, die Einstellung und die Weiterbeschäftigung von Personen, die zumindest potenziell nur eingeschränkt arbeitsfähig seien, zu ermöglichen, und zum anderen das höherrangige Ziel eines flexiblen, auf vertraglichen Vereinbarungen beruhenden und sicheren Arbeitsmarkts auf die angemessenste Weise erreicht werden könne.
86. DAB und Pro Display weisen insoweit darauf hin, dass der AG, der dem im Krankheitsurlaub befindlichen AN das Entgelt zahle, nach der dänischen Regelung über die Krankentagegelder Anspruch auf Erstattung dieser Tagegelder durch die kommunalen Behörden des Wohnorts des AN habe. Dieser Anspruch sei jedoch auf 52 Wochen beschränkt, und die Tagegelder seien niedriger als das tatsächliche Entgelt. § 5 Abs 2 FL gewährleiste daher ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den hinsichtlich der krankheitsbedingten 33Fehlzeiten widerstreitenden Interessen des AN und des AG.
87. Angesichts des weiten Wertungsspielraums, der den Mitgliedstaaten nicht nur bei der Entscheidung über die Verfolgung eines bestimmten sozialund beschäftigungspolitischen Ziels, sondern auch bei der Festlegung der für seine Erreichung geeigneten Maßnahmen zusteht, erscheint ihre Auffassung, dass eine Maßnahme wie die 120-Tage-Regel des § 5 Abs 2 FL zur Erreichung der vorgenannten Ziele angemessen sein kann, nicht unvernünftig. [...]
90. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der dänische Gesetzgeber es bei der Verfolgung der rechtmäßigen Ziele, die Einstellung kranker Personen einerseits und ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den widerstreitenden Interessen des AN und des AG andererseits zu fördern, unterlassen hat, relevante Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die insb AN mit Behinderung betreffen.
91. Insoweit darf das Risiko für Menschen mit Behinderung, die im Allgemeinen größere Schwierigkeiten als nichtbehinderte AN haben, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern, und die spezifische Bedürfnisse im Zusammenhang mit dem Schutz haben, den ihr Zustand erfordert, nicht verkannt werden (vgl in diesem Sinne Urteil Odar, Rn 68 und 69).
92. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die Frage 4 Buchst a zu antworten, dass die RL 2000/78 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Bestimmung, nach der ein AG einen Arbeitsvertrag mit einer verkürzten Kündigungsfrist beenden kann, wenn der betroffene behinderte AN innerhalb der letzten zwölf Monate krankheitsbedingt 120 Tage mit Entgeltfortzahlung abwesend war, entgegensteht, wenn diese Fehlzeiten auf seine Behinderung zurückzuführen sind, es sei denn, diese Bestimmung verfolgt ein rechtmäßiges Ziel und geht nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinaus, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Der EuGH hat mit der vorliegenden E zum zweiten Mal zu Fragen des Diskriminierungsverbots aufgrund von Behinderung nach der RL 2000/78/EG Stellung genommen. Maßgebliche Vorjudikatur, auf die der EuGH Bezug nimmt, erging in der Rs Chacón Navas. Der EuGH hat die in der Rs Chacón Navas vorgenommene Definition des Behinderungsbegriffes präzisiert und weitere maßgebliche Fragen zu Diskriminierung bei Behinderung beantwortet, insb die Frage, ob eine Arbeitszeitverkürzung eine zumutbare Maßnahme sein kann, die ein AG setzen muss, um Menschen mit Behinderung einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsplatz zu ermöglichen.
Die erste Frage des vorlegenden Gerichts betrifft die Abgrenzung von Krankheit und Behinderung. Schon in der Rs Chacón Navas (EuGH 11.7.2006, C-13/05) hat der EuGH herausgearbeitet, dass Krankheit von Behinderung zu unterscheiden ist, und dass Krankheit per se nicht als Diskriminierungsgrund nach der RL 2000/78/EG zu qualifizieren ist (vgl dazu Mayr, „Hü“ in „Mangold“ und „Hott“ in „Chacón Navas“? Die Zurückhaltung des EuGH hinsichtlich des Begriffes der „Behinderung“im Sinne der RL 2000/78, ELR 2006, 310; Runggaldier, EuGH präzisiert den Diskriminierungstatbestand „Behinderung“gem Art 13 EGV und RL 2000/78/EG, RdW 2006, 578). Während dies in der Rs Chacón Navas noch recht plakativ hervorgehoben wird, differenziert der EuGH im vorliegenden Urteil Ring/Werge. Er begründet und rechtfertigt seine differenzierte Haltung durch ein in der Zwischenzeit von der EU abgeschlossenes völkerrechtliches Übereinkommen, das nunmehr vom EuGH für die Auslegung der RL 2000/78/EG zu beachten sei.
Anders als in der Rs Chacón Navas ist in der Rs Ring/Werge auch der Sachverhalt differenzierter festgestellt. Während in der Rs Chacón Navas lediglich festgestellt war, dass die Kl während eines längeren Krankenstandes gekündigt worden war, wird in der Rs Ring/Werge festgestellt, dass die Kl aufgrund chronischer Schmerzzustände in der Lendenwirbelsäule bzw eines Schleudertraumas in der Halswirbelsäule zuerst längere Zeit krankgeschrieben und in der Folge teilweise arbeitsfähig war. Eine Vollzeitbeschäftigung war aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr möglich, wohl aber eine Teilzeitbeschäftigung.
Der EuGH unterscheidet nun zwischen der Ursache für eine Behinderung und der Behinderung selbst. Die Ursache für eine Behinderung kann eine angeborene Funktionsstörung sein, ein Unfall, eine heilbare oder unheilbare Krankheit uvm. Unter der Behinderung selbst ist die Einschränkung zu verstehen, die den AN in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren hindert, voll und gleichberechtigt mit anderen AN am Erwerbsleben teilzuhaben. Auszugehen ist also von einem Mindestmaß an einer körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigung (von nicht nur vorübergehender Dauer), die Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit – gemessen an einer Vergleichsperson – hat. Der Fokus liegt in der Frage, ob durch die Auswirkungen dieser Beeinträchtigung die Teilhabe am Arbeitsleben erschwert wird (Potz, Bestandschutz behinderter Arbeitnehmer, ecolex 2009, 466).
Krankheit allein stellt daher, wie in der Rs Chacón Navas herausgearbeitet und nunmehr erneut betont, tatsächlich keinen Diskriminierungsgrund iSd RL 2000/78/EG dar. Krankheiten können sich aber so entwickeln, dass sie den AN in einen Zustand versetzen, der Erwerbsarbeit nur mehr unter erschwerten Bedingungen zulässt. Besteht dieser Zustand für einen längeren Zeitraum – der EuGH verwendet hier die Formulierung „von langer Dauer“ – liegt eine Behinderung iSd RL 2000/78/EG vor.
Für Österreich definiert das BehEinstG Behinderung als Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren und legt den maßgeblichen Zeitraum mit mehr als voraussichtlich sechs Monaten fest. Dieser Zeitraum korreliert mit den Voraussetzungen, die zu einem Anspruch auf medizinische und berufliche Rehabilitation im Rahmen der „Invaliditätspension Neu“ ab dem 1.1.2014 führen. Gem § 253f ASVG 34muss für einen Anspruch auf medizinische Rehabilitation festgestellt sein, dass eine vorübergehende Invalidität im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt. Für Personen, die sich in Rehabilitation befinden, wird daher häufig der Diskriminierungsschutz gem §§ 7b ff BehEinstG zu berücksichtigen sein.
Die zweite Frage geht dahin, ob ein AG verpflichtet ist, dem AN eine Herabsetzung der Arbeitszeit anzubieten, sollte der AN aufgrund seiner Behinderung nicht mehr imstande sein, die zuvor vereinbarte Arbeitszeit zu leisten. Eine solche Verpflichtung könnte auf Art 5 RL 2000/78/EG gestützt werden, wonach der AG geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat, um Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs und den beruflichen Aufstieg zu ermöglichen.
Auch wenn der Wortlaut der RL die Herabsetzung der Arbeitszeit nicht ausdrücklich als mögliche Form zumutbarer Maßnahmen nennt, kommt der EuGH zu Recht zu dem Ergebnis, dass auch eine Herabsetzung der Arbeitszeit eine zumutbare Maßnahme sein kann. Die RL spricht in Art 5 allgemein von „angemessenen Vorkehrungen“, die nicht weiter spezifiziert werden, um im Einzelfall möglichst effektive Maßnahmen für Menschen mit Behinderung setzen zu können. Im 20. Erwägungsgrund der RL wird hervorgehoben, dass die Maßnahmen wirksam und praktikabel sein sollen, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten. Beispielsweise wird auf eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen hingewiesen. Eine weite Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes „angemessene Vorkehrungen“ muss unter Berücksichtigung des in den Erwägungsgründen genannten Beispiels „Anpassungen des Arbeitsrhythmus“ mE selbstverständlich zu dem Ergebnis führen, dass auch Anpassungen der Arbeitszeit als angemessene Vorkehrung in Betracht kommen. Das bedeutet für die Rechtspraxis, dass Menschen mit Behinderung einen Anspruch gegenüber dem AG auf Reduktion der Arbeitszeit haben können (Laimer/Wieser, EuGH: Anpassung des Behinderungsbegriffs und Teilzeitarbeit als verhältnismäßige Vorkehrungsmaßnahme, RdW 7/2013).
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die in Betracht kommenden angemessenen Vorkehrungen den AG nicht unverhältnismäßig belasten dürfen. Dies ist auch im Hinblick auf eine mögliche Arbeitszeitverkürzung als Vorkehrungsmaßnahme zu beachten. Der EuGH gibt dem nationalen Gericht, das diese Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen hat, Kriterien an die Hand, die zu beachten sind: Es sollten insb der mit einer solchen Maßnahme verbundene finanzielle und sonstige Aufwand sowie die Größe, die finanziellen Ressourcen und der Gesamtumsatz des Unternehmens und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln berücksichtigt werden. Im Ergebnis wird die Zumutbarkeitsprüfung daher auf ähnliche Weise vorgenommen werden können, wie sie der OGH in Zusammenhang mit Kündigungen und Entlassungen von partiell arbeitsunfähigen AN vornimmt. Diesbezüglich entscheidet der OGH regelmäßig, dass der AG im Rahmen der Fürsorgepflicht verhalten ist, dem beschränkt leistungsfähigen AN auf einem, seinen geminderten Kräften entsprechenden, Arbeitsplatz einzusetzen. Dabei kommen nur solche Verweisungstätigkeiten in Betracht, die auch dem AG vernünftigerweise zumutbar sind, wobei der AG nicht verpflichtet ist, seine Arbeitsorganisation umzustrukturieren oder gar nicht existierende Arbeitsplätze neu zu schaffen, nur um der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des AN gerecht zu werden (zB OGH 29.9.2009, 8 ObA 43/09w; OGH 13.6.2002, 8 ObA 79/02d; OGH 28.10.1986, 2 Ob 554/86, ).Im Rahmen dieses Abwägungsprozesses kann nur im Einzelfall beurteilt werden, ob dem AN eine Arbeitszeitverkürzung zumutbar ist. Unter Berücksichtigung des vorliegenden EuGH-Urteils wäre es allerdings unzulässig zu argumentieren, eine Arbeitszeitverkürzung sei grundsätzlich eine dem AG unzumutbare Umstrukturierung seiner Arbeitsorganisation. Ob dem Unternehmer eine solche Teilung des Arbeitsplatzes oder Neuverteilung der Arbeitsaufgaben zumutbar ist, ist im Einzelfall zu entscheiden.
Die letzte Frage, die hier aufgegriffen werden soll, ist jene nach der Zulässigkeit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit längerfristig abwesenden AN, wenn deren krankheitsbedingte Abwesenheit auf einer Behinderung beruht. In der Rs Ring/Werge hält der EuGH zunächst fest, dass eine Kündigung wegen des Erreichens eines bestimmten Ausmaßes von Krankenstandstagen keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund einer Behinderung ist (so auch Rauch, Kündigung wegen langer Krankenstände, ASoK 2010, 10). Sie sei allerdings eine mittelbare Diskriminierung wegen Behinderung, weil behinderte Menschen, zusätzlich zum normalen Risiko zu erkranken, auch noch das Risiko hätten, aufgrund ihrer Behinderung zu erkranken. Der EuGH musste sich daher auf die Suche nach einem Rechtfertigungsgrund machen und fand diesen in der Eignung des maßgeblichen dänischen Gesetzes, die Wiedereinstellung von behinderten AN zu fördern. Was aber, wenn sich in einem anderen Fall keine solchen legitimen Interessen finden lassen? Wenn der AG schlicht und einfach einen längerfristig abwesenden kranken, behinderten AN aus wirtschaftlichen Gründen kündigen will? Wirtschaftliche Gründe des AG werden in der EuGH-Judikatur zur Diskriminierung grundsätzlich nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt.
ME ist das Problem der Beendigung von Arbeitsverhältnissen längerfristig abwesender, behinderter AN durch Überlegungen zur Reichweite des Diskriminierungsschutzes bei Behinderung zu lösen. Zweck der RL 2000/78/EG ist es, behinderten Menschen die Teilnahme am Arbeitsleben zu ermöglichen. Es ist aber kein Ziel der RL, arbeitsunfähige AN in Arbeitsverhältnissen zu halten. In diesem Sinn ist im 17. Erwägungsgrund der RL 2000/78/EG festgehalten: Mit dieser RL 35wird unbeschadet der Verpflichtung, für Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen zu treffen, nicht die Einstellung, der berufliche Aufstieg, die Weiterbeschäftigung oder die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen einer Person vorgeschrieben, wenn diese Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes oder zur Absolvierung einer bestimmten Ausbildung nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist. Pacic (Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit Alkoholikern, RdW 2007, 542 [545]) betont daher zu Recht, dass ein AN mit Behinderung noch eine verwertbare Restarbeitsfähigkeit besitzen muss, andernfalls der AG zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt ist.
Ist ein behinderter AN nicht mehr fähig, seine Arbeit zu leisten, und wird er wegen der mangelnden Einsetzbarkeit bzw wegen seiner Abwesenheit gekündigt, kann er sich grundsätzlich nicht auf den Diskriminierungsschutz bei Behinderung stützen. Allerdings ist auch in diesem Rahmen die Verpflichtung des Art 5 RL 2000/78/EG zu beachten, dass der AG angemessene Vorkehrungen zu treffen hat, um einen AN mit Behinderung in seinem Unternehmen einsetzen zu können. In diesem Sinn kann es als angemessene Vorkehrung erachtet werden, einem behinderten AN einen freien anderen Arbeitsplatz anzubieten, so wie dies in der österreichischen Judikatur zur Beendigung bei nur mehr partiell arbeitsfähigen AN regelmäßig entschieden wird. Die Wertung des OGH, dass eine Verpflichtung des AG, Verweisungsarbeitsplätze durch Kündigung anderer AN freizumachen, nicht besteht (OGH 2.6.2009, 9 ObA 21/08s),entspricht den Wertungen der RL 2000/78/EG. Aus dem 17. Erwägungsgrund ist ableitbar, dass die Zumutbarkeit angemessener Vorkehrungen ihre Grenze dort findet, wo zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen oder andere AN gekündigt werden müssten (vgl K. Mayr in Neumayr/Reissner, Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht2[2011] BehEinstG § 6 Rz 2). Es kann aber mE auch eine zumutbare Maßnahme sein, längere Zeit als üblich mit der Kündigung eines behinderten AN zuzuwarten, wenn damit für den AG keine wirtschaftlichen Lasten verbunden sind. Auch diesbezüglich kann auf die Judikatur des OGH zu krankheitsbedingten Kündigungen verwiesen werden.