3

Sind für den Berufsschutz eines Angestellten auch selbstständige Zeiten zu berücksichtigen?

WOLFGANGPANHÖLZL (WIEN)
  1. Die entscheidungswesentliche Frage, ob bei der Beurteilung des Berufsschutzes iSd § 273 Abs 1 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 neben Beitragsmonaten einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit zusätzlich – obwohl sie im Gesetzestext nicht genannt sind – auch Zeiten der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit nach dem GSVG zu berücksichtigen sind, ist im Hinblick auf den Gesetzestext zu verneinen.

  2. Eine Gesetzeslücke wäre nur dann gegeben, wenn das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist. Gegen eine planwidrige Unvollständigkeit des § 273 Abs 1 ASVG sprechen aber bereits die Gesetzesmaterialien zum BudgetbegleitG 2011. Nach diesen bestand Übereinstimmung darin, dass künftig nur eine längere tatsächliche Ausübung des erlernten (angelernten) Berufs geschützt werden und daher zur Erlangung des Berufsschutzes erforderlich sein soll.

  3. Im Übrigen besteht der Anspruch des Kl auf Berufsunfähigkeitspension auch dann nicht zu Recht, wenn man seinen Berufsschutz bejahen wollte, weil er trotz seiner Leistungseinschränkungen noch Tätigkeiten innerhalb seiner Berufsgruppe entsprechend der Stufe A3 des KollV für Angestellte im Baugewerbe verrichten kann.

Mit Bescheid vom 21.4.2011 lehnte die Bekl den Antrag des Kl vom 29.12.2010 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab. [...] Der Kl genieße keinen Berufsschutz als Angestellter, weil er im relevanten Beobachtungszeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1.1.2011) nur 89 statt der erforderlichen 90 Monate der Pflichtversicherung als Angestellter erworben habe. Er sei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen: Der am 5.12.1959 geborene Kl war zuletzt als Projektleiter im Baugewerbe tätig. Er war mit der Bauabwicklung, Organisation und Administration von Baustellen bis zur Schlüsselübergabe befasst. Er verhandelte mit Bauherren, Behörden, Architekten und Banken und führte auch Abrechnungstätigkeiten, Baustellenkontrollen und die gesamte Bauüberwachung durch. Dieses Tätigkeitsbild entspricht der Beschäftigungsgruppe A4 des KollV für Angestellte im Baugewerbe. Im Zeitraum vom 1.1.1996 bis 30.12.2010 liegen 83 Monate einer unselbstständigen Tätigkeit als angestellter Projektleiter (Bauleiter). Von 10/02 bis 7/08 übte der Kl die Tätigkeit als Bauleiter selbstständig aus. [...]

Auf Grundlage [seines] medizinischen Leistungskalküls ist der Kl nicht mehr in der Lage, seine zuletzt ausgeübte Angestelltentätigkeit als Projektleiter auszuüben. Mit seinem Leistungskalkül sind aber kaufmännisch-technische Innendiensttätigkeiten im Baugewerbe vereinbar, wie zB Sachbearbeitertätigkeiten in der Planung, Kalkulation, Stundenerfassung und Abrechnung entsprechend der Beschäftigungsgruppe A3 des KollV für das Baugewerbe. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist der Kl für eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Tätigkeiten einsetzbar.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass dem Kl kein Berufsschutz iSd § 273 Abs 1 ASVG zukomme, weil nach dieser Gesetzesstelle in der hier anwendbaren Fassung der Versicherte innerhalb 36der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit als Angestellter oder nach § 255 Abs 1 ASVG – also unselbstständige Tätigkeiten – ausgeübt haben müsse. Tätigkeiten als Selbstständiger nach dem GSVG seien – entsprechend der bis zu 31.12.2010 geltenden Rechtslage – außer Betracht zu lassen. [...]

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge. Es erachtete die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts als zutreffend. Dafür, dass selbstständige Tätigkeiten bzw nach dem GSVG erworbene Versicherungsmonate für die Erfüllung des Berufsschutzes unberücksichtigt zu bleiben haben, spreche neben dem Wortlaut des § 273 Abs 1 ASVG auch der Umstand, dass durch die Rechtsänderung ab 1.1.2011 die Anspruchsvoraussetzungen für die Erlangung des Berufsschutzes nicht erleichtert, sondern im Gegenteil erschwert werden sollten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine E des OGH zur Frage bestehe, ob nach den Änderungen der §§ 273 iVm 255 ASVG durch das BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111 für die Erfüllung des Berufsschutzes auch nach dem GSVG erworbene Versicherungsmonate zu berücksichtigen seien. [...]

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt. [...]

Die entscheidungswesentliche Frage, ob bei der Beurteilung des Berufsschutzes iSd § 273 Abs 1 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 neben Beitragsmonaten einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit zusätzlich – obwohl sie im Gesetzestext nicht genannt sind – auch Zeiten der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit nach dem GSVG zu berücksichtigen sind, ist – wie bereits die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben – im Hinblick auf den Text zu verneinen. [...]

Anmerkung

Zu Recht hat der OGH darauf hingewiesen, dass selbst wenn der Kl den Berufsschutz gem § 271 erworben hätte, ein Pensions- bzw Rehabilitationsanspruch nicht bestünde, weil der Kl noch Tätigkeiten innerhalb seiner Berufsgruppe entsprechend der Stufe A3 des KollV für Angestellte im Baugewerbe verrichten kann. Das Wesentliche an der E ist jedoch die Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Kl grundsätzlich Berufsschutz erworben hat. Da es um die Anerkennung von Erwerbszeiten für den Berufsschutz im ASVG geht, die der Kl aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit im GSVG erworben hat, ist der Problemkreis „Wanderversicherung und Berufsschutz“ angesprochen.

1.
Wanderversicherung und Berufsschutz

Sowohl innerhalb der Zweige des ASVG-Systems wie auch innerhalb der Pensionssysteme des ASVG, GSVG und BSVG bestehen berufsgruppenbezogene Unterschiede beim Zugang zu einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Daher kommt im Falle einer Wander- oder Mehrfachversicherung dem anzuwenden Recht eine mitunter entscheidende Bedeutung zu. Der OGH hat in zahlreichen Entscheidungen Grundsätze zur Interpretation der in den §§ 251a ASVG, 129 GSVG und 120 BSVG normierten Wanderversicherung erarbeitet, die allerdings nicht ganz widerspruchsfrei ineinandergreifen.

Das Wesen der Wanderversicherung besteht darin, dass alle erworbenen Versicherungszeiten vom zuständigen Träger so behandelt werden, als ob sie bei ihm erworben worden wären. Der zuständige Träger hat bei der Feststellung der Leistungsansprüche nur eigenes Recht anzuwenden (OGH

29
3
2011
, 10 ObS 17/11i). Dieser Grundsatz fußt auf der Entscheidungslinie „dass im Rahmen der Wanderversicherung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nur die Leistungen in Frage kommen, die die leistungszuständige Pensionsversicherung vorsieht, was bedingt, dass nur in diesem System erworbene Versicherungszeiten in die Prüfung einbezogen werden können“ (OGH
25
11
1997
, 10 ObS 308/97k;
OGH
14
9
2004
, 10 ObS 115/04s
). In dieser Entscheidungslinie distanzierte sich der OGH von seiner Rsp davor (OGH 1990/SSV-NF 4/93), in der er die systemübergreifende Einbeziehung von BSVG-Tätigkeiten in eine GSVG-Pensionsprüfung für zulässig erachtete.

2.
Änderungen durch das Budgetbegleitgesetz 2011

Gem § 255 Abs 2 idF BGBl 2003/145 galten als überwiegend iSd Abs 1 solche erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem BG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurden. Nach § 255 Abs 2 idF BGBl 2010/111BGBl 2010/111 liegt eine überwiegende Tätigkeit iSd Abs 1 vor, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellte/r ausgeübt wurde. Gem § 273 Abs 1 idF des BGBl I 2010/111BGBl I 2010/111 gilt die versicherte Person als berufsunfähig, deren Arbeitsfähigkeit infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden versicherten Person von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit als Angestellte/r oder nach § 255 Abs 1 ausgeübt wurde (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 205).

Durch das BudgetbegleitG 2011 wurden die neuen Voraussetzungen für den Berufsschutz überdies auch für selbstständig Erwerbstätige eingeführt, sodass als erwerbsunfähig nunmehr nur die versicherte Person gilt, wenn – neben den in § 133 Abs 2 Z 1–3 GSVG genannten Voraussetzungen – innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine selbstständige Erwerbstätigkeit nach Z 3 oder eine Erwerbstätigkeit als Angestellte/r oder nach § 255 Abs 1 ASVG ausgeübt wurde (§ 133 Abs 2 GSVG; ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 205).

§ 233 Abs 2 Z 3 GSVG stellt für die Wartezeit von 60 Monaten der Erwerbstätigkeit ausdrücklich auf selbstständige Tätigkeiten ab. Diese Wertung ist auch inhaltlich sinnvoll, weil die Ausübung einer gleichartigen selbstständigen Tätigkeit gegenüber einer 37unselbstständigen immer ein Mehr erfordert, nämlich kaufmännische, planerische und betriebsorganisatorische Kenntnisse und Fähigkeiten.

Durch das BudgetbegleitG 2011 wurde im Bereich des GSVG der tätigkeitsbezogene Schutzbereich von den tätigkeitsbezogenen Anspruchsvoraussetzungen getrennt. Geschützt bleibt jene selbstständige Erwerbstätigkeit, die gem § 133 Abs 2 Z 3 GSVG zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt wurde. Dabei werden unselbstständige Zeiten nicht berücksichtigt. Für die 90 Pflichtversicherungsmonate innerhalb der letzten 15 Jahre werden zwar auch Tätigkeiten als Angestellte/r oder nach § 255 Abs 1 angerechnet, ohne dass man jedoch auf diese Tätigkeiten verwiesen werden könnte. Der Schutzbereich des § 233 Abs 2 wird allein durch die selbstständige Tätigkeit gem Z 3 leg cit definiert.

3.
Beispiele aus der Judikatur zur Wanderversicherung vor dem BudgetbegleitG 2011

In der OGH-E vom 20.3.2001, 10 ObS 15/01f, hatte ein Versicherter innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag 54 Versicherungsmonate als Tischlergeselle, 21 Ersatzmonate Arbeitslosengeldbezug und 73 Versicherungsmonate als selbstständiger Tischler (mit Meisterausbildung ohne Meisterprüfung) erworben. Aufgrund der Regeln der Wanderversicherung (§ 251a ASVG) war das ASVG anzuwenden, der Berufsschutz als Tischler war gegeben. Bei der Verweisungstätigkeit zum Arbeitsvorbereiter wurden seine im Zusammenhang mit seiner selbstständigen Tätigkeit erworbenen Kenntnisse (Meisterausbildung) mitberücksichtigt.

In der OGH-E vom 14.9.2004, 10 ObS 115/04s, hatte der Versicherte im Beobachtungszeitraum der letzten 15 Jahre 55 Monate als selbstständiger Fliesenleger und sechs Monate als unselbstständiger Fliesenleger erworben. Gem den Regeln der Wanderversicherung war das GSVG anzuwenden. Für die im GSVG in § 133 Abs 2 erforderlichen 60 Monate der Erwerbstätigkeitzur Erlangung des Tätigkeitsschutz für Kleingewerbetreibende ab dem 50. Lebensjahr wurde eine Zusammenrechnung der selbstständigen und unselbstständigen Tätigkeit abgelehnt. Selbst bei gleicher Bezeichnung der Tätigkeiten (Fliesenleger) trage das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen der selbstständigen und unselbstständigen Ausübung einer Tätigkeit liegt, erfordere doch eine selbstständige Tätigkeit kaufmännische, planerische und betriebsorganisatorische Fähigkeiten.

In der OGH-E vom 8.3.2005, 10 ObS 4/05v, erwarb ein Versicherter innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag 70 Monate als unselbstständiger Autowäscher und 17 Monate als unselbstständiger Vertreter. In der Folge betrieb der Versicherte die Waschstraße, in der er zuvor beschäftigt war, als selbstständiger Unternehmer. Für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung von 120 Monaten „einer“ Tätigkeit gem § 255 Abs 4 (Tätigkeitsschutz) sind gleichartige Tätigkeiten zusammenzuzählen, auch wenn sie in unterschiedlichen Rechtsformen (zunächst als Beschäftigter, dann als Selbstständiger) ausgeübt wurden. Der OGH begründet diese E im Kern damit, dass § 255 Abs 4 das Erfordernis „nach diesem Bundesgesetz“ im Gegensatz zu den Vorgängerfassungen nicht mehr enthält. Zudem stellte der OGH fest, dass dieses Ergebnis nicht im Widerspruch zur OGH-E 10 ObS 115/04s (Fliesenleger) stehe, weil § 133 Abs 2 GSVG, ebenso wie § 133 Abs 3, ausdrücklich auf eine „selbstständige Erwerbstätigkeit“ abstellt. Es bestünde auch kein Widerspruch zur Rsp des OGH, der zu Folge für den Erwerb eines Berufsschutzes gem § 255 Abs 2 keine selbstständigen Zeiten berücksichtigt werden, weil § 255 Abs 2 nur auf erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten abstellt die „nach diesem Bundesgesetz“ erworben wurden. Mit dem BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111BGBl I 2010/111, ist aber gerade das Erfordernis „nach diesem Bundesgesetz“ seit 1.1.2011 entfallen.

In der OGH-E vom 29.3.2011, 10 ObS 17/11i, wurde die Frage aufgeworfen, ob GSVG-Versicherungszeiten, in denen der Beruf eines Kochs im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit (Pizzeria) angelernt und ausgeübt wurde, bei der Prüfung des Berufsschutzes gem § 255 Abs 1 und 2 zu berücksichtigen wären. Der OGH hatte die Frage zwar im konkreten Fall nicht zu beantworten, hat sie jedoch ausführlich erörtert und offen gelassen.

4.
Versuch einer zusammenfassenden Betrachtung der Judikatur zur Wanderversicherung auf Basis der aktuellen Rechtslage

Die gegenständliche E ist nun die erste, die die Frage der Wanderversicherung im Zusammenhang mit dem Erwerb des Berufsschutz auf Basis der Rechtslage gem dem BudgetbegleitG 2011 behandelt. Die im gegenständlichen Verfahren entscheidungswesentliche Frage, ob bei der Beurteilung des Berufsschutzes iSd § 273 Abs 1 idF des BudgetbegleitG 2011 neben Beitragsmonaten einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit zusätzlich – obwohl sie im Gesetzestext nicht genannt sind – auch Zeiten der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit nach dem GSVG zu berücksichtigen sind, wurde im Hinblick auf den Gesetzestext verneint.

Zusammenfassend ergibt die Entscheidungslinie des OGH zum Thema „Erwerb des Berufsschutzes in der Wanderversicherung“ ein komplexes und zum Teil widersprüchliches Bild. Der leistungszuständige Versicherungsträger hat grundsätzlich nur eigenes Recht anzuwenden. Das sind jene Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit, die im Leistungsrecht des jeweiligen Pensionssystems des ASVG, GSVG und BSVG geregelt sind. Wenn der Versicherungsfall ausdrücklich auf Versicherungszeiten im jeweils eigenen System abstellt mit Formulierungen wie „nach diesem Bundesgesetz“, oder „selbstständige“ bzw „unselbstständige“ Zeiten, etc ist die Berücksichtigung gleichartiger Versicherungszeiten anderer Pensionsversicherungssysteme ausgeschlossen.

Wird in den Anspruchsvoraussetzungen eines Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit nicht ausdrücklich auf selbstständige oder unselbstständige Zeiten abgestellt, ist zu eruieren, ob die Einbeziehung von Versicherungszeiten des jeweils anderen Systems zu einem systematisch sinnvollen Ergebnis führt und dem Willen des Gesetzgebers entspricht.

Im Rahmen des § 255 Abs 4 sind gleichartige selbstständige Tätigkeiten zu berücksichtigen. 38Die Argumentation des OGH stützt sich dabei im Wesentlichen auf den Wegfall der Formulierung „nach diesem Bundesgesetz“. Zudem wird in der Entscheidungsbegründung des OGH10 ObS 4/05v auch auf OGH10 ObS 15/01f verwiesen, nach der im Verweisungsfeld einer unselbstständigen Tätigkeit die bei Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit erworbenen Kenntnisse zu berücksichtigen sind.

Widersprüchlich erscheint OGH10 ObS 4/05v im Bezug zur gegenständlichen E. Der OGH hat in der Begründung zur E 10 Ob S 4/05v ausdrücklich darauf hingewiesen, dass kein Widerspruch zur bisherigen Rsp des OGH bestünde, der zu Folge für den Erwerb eines Berufsschutzes gem § 255 Abs 2 keine selbstständigen Zeiten berücksichtigt werden, weil § 255 Abs 2 nur auf erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten abstellt, die „nach diesem Bundesgesetz“ erworben wurden. Nun ist durch das BudgetbegleitG 2011 auch im § 255 Abs 2 die Formulierung „nach diesem Bundesgesetz“ weggefallen. Demnach müssten selbstständige Zeiten im Rahmen des § 255 Abs 2 berücksichtigt werden. Der OGH lehnt jedoch die Berücksichtigung von selbstständigen Zeiten (als Bauleiter) ab, weil sie im Gesetzestext des § 255 Abs 2 „nicht genannt“ sind. Aber auch im § 255 Abs 4 sind selbstständige Zeiten nicht genannt und sie werden trotzdem berücksichtigt.

Zudem schließt der OGH eine Analogie mit dem Argument aus, der Gesetzgeber habe mit dem BudgetbegleitG 2011 den Berufsschutz verschärfen wollen, demnach könnten selbstständige Zeiten nicht berücksichtigt werden. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt (vgl Panhölzl, DRdA 2013,11), kann ein derartiger Wille des Gesetzgebers den Materialien nicht entnommen werden. Der Hauptwille des Gesetzgebers war darauf gerichtet, die berufliche Rehabilitation auf allen Ebenen der Vollziehung zu verstärken. Ausdrücklich zielen die EB bei der Wartezeit für einen Berufsschutz auf jenen Wertungswiderspruch ab, der nach der vorherigen RL darin bestand, dass es für die Erlangung des Berufsschutzes günstiger war arbeitslos zu bleiben, als eine unqualifizierte Beschäftigung anzunehmen. Auf die Nichtberücksichtigung von qualifizierten selbstständigen Zeiten hat der Gesetzgeber wohl nicht abgezielt. Im Gegenteil, vor dem Hintergrund des Prinzips Rehabilitation vor Pension kann wohl eher kein sozialpolitischer Sinn darin erkannt werden, einen nahezu durchgehend qualifiziert Erwerbstätigen – wie den Bauleiter in der gegenständlichen E – als „unqualifiziert“ zu behandeln und damit grundsätzlich auch eine Rehabilitation auszuschließen. Und dies allein aus dem Grund, weil er auch selbstständig als Bauleiter tätig war.

Auf der Ebene der Wort- und systematischen Interpretation ist dem OGH wohl zu folgen, wenn auch mit einer anderen Begründung. Im § 255 Abs 2 ist zwar die Formulierung „nach diesem Bundesgesetz“ entfallen. Das allein kann jedoch nicht die Berücksichtigung von selbstständigen Zeiten rechtfertigen. Denn der Wortlaut des Abs 2 stellt auf eine Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellte/r ab. Abs 1 zielt auf Versicherte ab, die überwiegend in erlernten Berufen tätig waren. Aufgrund der Verweise in § 273 und § 233 Abs 2 auf § 255 Abs 1 ist zu schließen, dass mit Tätigkeiten gem § 255 Abs 1 ausschließlich unselbstständige Tätigkeiten gemeint sind. Nach dieser wörtlichen und systematischen Interpretation bleibt für die Berücksichtig von selbstständigen Zeiten kein Spielraum.

In E 10 ObS 4/05v hat der OGH jedoch aus teleologischen Gründen anders entschieden. Und gerade teleologisch ist es auch bei einer qualifizierten Tätigkeit, zB als Bauleiter, nicht nachvollziehbar, dass dieser keinen Berufsschutz erhalten soll, weil er auch selbstständig als Bauleiter tätig war. Zumal eine selbstständige Tätigkeit zusätzliche Qualifikationen erfordert. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Berufsschutz durch eine Rehabilitationspflicht überlagert wird (vgl Panhölzl, DRdA 2013,11).

5.
Schlussfolgerung

Sachgerecht erschiene, dass gem § 255 Abs 2 qualifizierte, selbstständige Tätigkeiten zur Begründung des Berufsschutzes mitberücksichtigt werden. Ob dies durch einen Lückenschluss hergestellt werden kann, ist zugegebenermaßen fraglich, wenn auch die Begründung, mit der die Analogie vom OGH abgelehnt wurde, nicht überzeugt. Eine Verweisung auf selbstständige Tätigkeiten im Rahmen des ASVG ist jedoch auch in diesem Zusammenhang grundsätzlich abzulehnen. Dies schon allein deshalb, weil niemand, der überwiegend unselbstständig tätig war und für den deshalb das ASVG zur Anwendung kommt, zur Übernahme eines Unternehmerrisikos verpflichtet werden kann. Wie bereits in § 233 GSVG geschehen (siehe oben), kann der berufs- bzw tätigkeitsbezogene Schutzbereich von den berufs- bzw tätigkeitsbezogenen Anspruchsvoraussetzungen getrennt werden. Geschützt im Falle einer Wanderversicherung sollte jene unselbstständige, qualifizierte Tätigkeit bleiben, die gem § 251a iVm § 255 Abs 2 in den letzten 15 Jahren überwiegend ausgeübt wurde und daher eine Zuordnung ins ASVG bewirkt. Für die Frage, ob über zumindest 90 Kalendermonate eine qualifizierte Tätigkeit ausgeübt wurde, sollten gleichartige selbstständige Tätigkeiten berücksichtigt werden.

Sachgerecht erscheint dann auch, dass die Kenntnisse, die im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit erworben wurden, für das Verweisungsfeld einer unselbstständigen Tätigkeit mitberücksichtigt werden. Der Erwerb des Berufsschutzes würde damit für Wanderversicherungsfälle im Bereich des ASVG mit der Konsequenz erleichtert, dass auch in diesen Fällen ein Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation entsteht und eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermieden würde. Gerade bei Personen, die überwiegend qualifiziert beschäftigt waren, aber diese Beschäftigung unter Einbeziehung des Verweisungsfeldes nicht mehr ausüben können, bedeutet eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in der Regel Langzeitarbeitslosigkeit und Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Im Ergebnis erfolgt der Pensionsantritt verzögert durch Transferleistungen aus der AlV. Ein Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation auch in Fällen der Wanderversicherung ist damit auch volkswirtschaftlich sinnvoll und entspricht dem Willen des Gesetzgebers wie die EB zum BudgetbegleitG belegen.39