Pensionsvermeidende berufliche Rehabilitation in der Arbeitslosenversicherung

RudolfMüller (Wien/Salzburg)
Eine erfolgreiche Arbeitsmarkverwaltung (Arbeitsmarktservice [AMS]) ist nicht jene, die möglichst reibungslos die Auszahlung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bewerkstelligt, sondern jene, die möglichst viele arbeitslos gewordene Menschen möglichst rasch wieder in den ersten Arbeitsmarkt integrieren kann. Das AMS hat in diesem Zusammenhang zahlreiche Modelle von Wiedereingliederungsmaßnahmen, insb auch im Rahmen sozioökonomischer Betriebe und gemeinnütziger Leistungen, entwickelt. Durch das SRÄG 2012 ist dem AMS in einer eigenartigen Kooperation mit dem Pensionsversicherungsträger eine weitere Aufgabe zugewachsen, nämlich die berufliche Rehabilitation von Menschen, die in ihrem bisherigen Beruf in der Dauer von zumindest sechs Monaten invalid (berufsunfähig)* geworden sind. Aus Aktualitätsgründen beschränkt sich das Referat auf die Darstellung dieses neuen Typus der Umschulungstätigkeit des AMS und die sich dabei ergebenden rechtsdogmatischen Fragen. Zum besseren Verständnis erweist sich ein Rückblick auf die jüngere Rechtsgeschichte auf diesem Gebiet als nützlich.
  1. Reform der beruflichen Rehabilitation in der Pensionsversicherung

  2. Der Anspruch auf berufliche Rehabilitation nach § 253e ASVG und § 39b AlVG

  3. Abgrenzung des persönlichen Geltungsbereichs des § 39b AlVG von § 253e ASVG

  4. Das Zusammenspiel beruflicher und medizinischer Rehabilitation

  5. Inhalt und Umfang beruflicher Rehabilitations-Maßnahmen nach § 39b AlVG

    1. Allgemeines

    2. Die Zweckmäßigkeit der Maßnahme

    3. Die Zweckmäßigkeit im engeren Sinn

    4. Zu den Begriffen „Ausreichend“ und „Notwendig“

    5. Das Zusammenspiel der Elemente

  6. Die Zumutbarkeit von Maßnahmen beruflicher Rehabilitation

  7. Das Qualifikationsniveau

  8. Zum Begriff des Berufsfeldes

  9. Behördenzuständigkeit

  10. Zusammenfassung

1.
Reform der beruflichen Rehabilitation in der Pensionsversicherung

Der Grundsatz des „Vorrangs der Rehabilitation vor Pension“ gilt im ASVG im Wesentlichen seit der 32. Novelle zum ASVG.* Eine weitere Stärkung des Rehabilitationsgedankens erfuhr das Gesetz mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 dadurch, dass mit § 253e ASVG* erstmals ein Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation in der PV zur Vermeidung von Invalidität begründet wurde. Nach § 361 Abs 1 ASVG gilt der Antrag auf eine Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit nunmehr nicht „auch“, sondern „vorrangig“ als Antrag auf Leistungen der Rehabilitation. Dass man mit dieser neuen Pflichtleistung „berufliche Rehabilitation“ sehr weit gehen wollte, zeigt allein der Umstand, dass man in den Materialien* eine Rehabilitationsdauer im Regelfall von mindestens einem Jahr angenommen hat. Die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld nach einer solchen Maßnahme wurde gleichzeitig in § 18 Abs 2 lit c AlVG auf 78 Wochen verlängert, um die betroffenen Personen, bei denen ein längerer Zeitaufwand für die Reintegration in den Arbeitsmarkt erwartet wurde, danach sozial besser abzusichern. Der Gesetzgeber rechnete also mit einer375 Rehabilitationszeit bis zur Wiedereingliederung von bis zu zweieinhalb Jahren.* Das eröffnet naturgemäß die Chance, bei der beruflichen Rehabilitation „Nägel mit Köpfen“ zu machen.

1.1.

Es wurde also im BudgetbegleitG 2011 vom Konzept her eine Systemreform der Rehabilitation zur Vermeidung von Invaliditätspension auf den Weg gebracht. Die unmittelbaren Auswirkungen auf das faktische Pensionsantrittsverhalten waren freilich zunächst noch überschaubar geblieben,* was aber möglicherweise damit zusammenhängt, dass der Sachleistungsanspruch auf berufliche Rehabilitation, wenngleich verbunden mit einem Anspruch auf Übergangsgeld nach § 306 ASVG, statt des erhofften Anspruchs auf Invaliditätspension für sich allein nicht so wirklich eine durchschlagende Wirkung hatte und es noch an motivierenden Begleitmaßnahmen fehlte.

1.2.

Dieses gerade erst geschaffene System wurde aber zwecks Erhöhung der Effektivität mit dem SRÄG 2012 neuerlich geändert:

1.2.1.

Die befristete Invaliditätspension wurde für den Personenkreis der ab dem 1.1.1964 geborenen, also der am 1.1.2014 noch nicht 50-jährigen Personen abgeschafft. Die berufliche Rehabilitation iSd § 253e ASVG wurde für diesen Personenkreis als Pflichtleistung der PV wieder beseitigt; es wurde jedoch durch § 39b AlVG ein Anspruch auf Umschulungsgeld verknüpft mit einem gleichartigen Anspruch auf berufliche Rehabilitation geschaffen und letztere damit in den Aufgabenbereich der Arbeitsmarktverwaltung übertragen. Als weiterer Flankenschutz der Reform wurde ein Anspruch auf medizinische Rehabilitation in § 253f ASVG für denselben Personenkreis geschaffen. Für den Personenkreis der am 1.1.2014 über 50-Jährigen* wird § 253e ASVG aber aufrechterhalten.

1.2.2.

§ 39b AlVG räumt nach Rubrum und Aufbau also keinen unmittelbaren Rechtsanspruch auf eine berufliche Rehabilitation mehr ein, sondern regelt in erster Linie den Anspruch auf Umschulungsgeld. Der Geldleistungsanspruch „Umschulungsgeld“ steht jedoch unter der Bedingung, dass sich die betreffende Person tatsächlich den – hinsichtlich der Ziele in einem vorangegangenen Bescheid des Pensionsversicherungsträgers festgelegten – Umschulungsmaßnahmen unterzieht. Über die Gewährung bzw Entziehung von Umschulungsgeld soll die Teilnahme der Versicherten an der (Um-)Schulungsmaßnahme gesteuert werden. Aus dem Recht auf Rehabilitation wurde in gewissem Sinne eine Verpflichtung zur Rehabilitation, die aber freilich vom AMS anzubieten ist.

1.3.

Mit diesem Stand der Reform zum Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ will ich mich in der Folge näher beschäftigen.

2.
Der Anspruch auf berufliche Rehabilitation nach § 253e ASVG und § 39b AlVG
2.1.

Eine Voraussetzung für den Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation ist gem § 253e Abs 1 ASVG, dass die betreffenden versicherten Personen „infolge ihres Gesundheitszustandes die Voraussetzungen für die Invaliditätspension im Sinne des § 254 Abs 1 erfüllen, wahrscheinlich erfüllen oder in absehbarer Zeit erfüllen werden“.

§ 253e ASVG wurde zwar durch das SRÄG 2012 wieder aufgehoben, gilt jedoch einerseits aufgrund der Übergangsbestimmung des § 669 Abs 5 ASVG für Personen, die am 1.1.2014 das 50. Lebensjahr bereits vollendet haben, weiter, andererseits finden sich die wesentlichen Grundzüge dieser Spielart der beruflichen Rehabilitation in den „Ersatzbestimmungen“ für die unter 50-Jährigen wieder.

2.2.

Die durch das SRÄG 2012 in das AlVG übertragene pensionsvermeidende berufliche Rehabilitation wird im ASVG durch den Anspruch auf medizinische Rehabilitation ergänzt, der in § 253f ASVG neu geregelt und dem in § 143a ASVG ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld beigefügt wurde.

2.2.1.

Beide Ansprüche hängen von einer bescheidmäßigen Feststellung des Pensionsversicherungsträgers ab:*

a) Der Anspruch auf medizinische Rehabilitation setzt eine bescheidmäßige Feststellung gem § 367 Abs 4 Z 1 und 2 ASVG voraus und ist (arg: Zitierung des § 255 Abs 3 in § 253f Abs 1 ASVG) auch für Personen vorgesehen, denen kein Berufsschutz zukommt.

b) Der Anspruch auf Umschulungsgeld (und die damit verknüpfte berufliche Rehabilitation) erfordert Feststellungen gem § 367 Abs 4 Z 1, 2 und 3.

Wird ein Pensionsantrag auf Invaliditätspension gestellt, wird dieser gem § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG vorrangig als ein solcher auf Leistungen der (sc beruflichen oder medizinischen) Rehabilitation „einschließlich des Rehabilitationsgeldes“ (Fassung des SRÄG 2012) behandelt.

2.2.2.

Im Anstaltsverfahren ist vorher gem § 366 Abs 4 ASVG von der Pensionsversicherungsanstalt376 (PVA) eine berufskundliche Beurteilung zu der Frage durchzuführen, ob Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation gem § 303 Abs 4 ASVG zumutbar sind; daran hat die antragstellende Person mitzuwirken. Wenn Invalidität in der Dauer von voraussichtlich mindestens sechs Monaten vorliegt (§ 367 Abs 4 Z 1 und 2 ASVG), hat die PVA dann mit Bescheid diesen Umstand sowie gem § 367 Abs 4 Z 3 ASVG ferner festzustellen, ob berufliche Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar sind und das Berufsfeld, für welches die versicherte Person qualifiziert werden kann, festzulegen.*

2.3.

Da die berufliche Rehabilitation schwerpunktmäßig meist im Zusammenhang mit eingetretener Invalidisierung eine Rolle spielt, wird die Ermessensleistung nach § 300 ASVG im Anwendungsbereich des § 253e ASVG bzw des § 39b AlVG keine große Rolle mehr spielen. Die Neukonstruktion der beruflichen Rehabilitation durch das SRÄG 2012 wirft aber auch andere Fragen auf, denen in der Folge nachzugehen ist.

3.
Abgrenzung des persönlichen Geltungsbereichs des § 39b AlVG von § 253e ASVG
3.1.

Zumindest auf den ersten und auch auf den zweiten Blick unklar ist, ob für die älteren Jahrgänge die pensionsvermeidende Rehabilitation iSd § 39b AlVG und der für über 50-Jährige aufrechterhaltene § 253e ASVG parallel laufen, da das AlVG die Leistungen nach § 39b nicht ausdrücklich auf jenen Personenkreis einschränkt, der am 1.1.2014 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Auch die Übergangsbestimmung schweigt zu dieser Frage. Pfeil erwägt in seiner Kommentierung des § 39b AlVG* eine Einschränkung auf die noch nicht 50-Jährigen im Hinblick auf die „materielle Bezugnahme auf die Neuregelungen im Pensionsversicherungsrecht“. Födermayr* regt in ihrer Kommentierung des § 253e ASVG im SV-Komm eine Klarstellung durch den Gesetzgeber an.

3.2.

Es scheint mir demgegenüber normativ geklärt zu sein, dass § 39b AlVG tatsächlich nur für jene gilt, die am 1.1.2014 noch nicht 50 Jahre alt gewesen sind. § 39b AlVG verweist nämlich als Voraussetzung für die Gewährung von Umschulungsgeld in Abs 1 der Sache nach und in Abs 2 ausdrücklich auf eine vorherige Feststellung gem § 367 Abs 4 Z 3 ASVG. Und dort findet sich mE auch des Rätsels Lösung: Nach dem Einleitungssatz des § 367 Abs 4 ASVG ist Voraussetzung für die berufliche Rehabilitation, dass „eine beantragte Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit“ mangels Vorliegens einer auf Dauer geminderten Arbeitsfähigkeit abgelehnt, aber zugleich nach Z 1 und 2 festgestellt wird, dass Invalidität vorliegt und voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird. Wenn aber die (gänzliche) Ablehnung der beantragten Leistung und die Feststellung des Vorliegens einer Invalidität durch mindestens sechs Monate gleichzeitig vorzunehmen sind, dann kann für diese Person nicht zugleich ein Anspruch auf befristete Invaliditätspension bestehen. Denn dann müsste diese ja folgerichtig bei Vorliegen einer Invalidität in der Dauer von mindestens sechs Monaten zugesprochen werden. Aus alledem muss daher der Schluss gezogen werden, dass die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle und damit auch der Anspruch auf Umschulungsgeld nach § 39b AlVG eben nur für jene gilt, für die das Gesetz keinen Anspruch auf befristete Invaliditätspension gem § 256 ASVG mehr vorsieht. Das sind aber die ab dem 1.1.1964 geborenen Versicherten.

3.3.

Für die vor dem 1.1.1964 Geborenen gilt daher nur der insoweit aufrechterhaltene § 253e ASVG. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 253e ASVG (bereits eingetretene, wahrscheinlich oder in absehbarer Zeit eintretende Invalidität) hat die PVA in Erledigung des Pensionsantrages nicht Feststellungen nach § 367 Abs 4 ASVG zu treffen, sondern unmittelbar Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation bescheidmäßig zu gewähren und ab dem Stichtag der Leistungsfeststellung nach § 306 Abs 1 letzter Satz ASVG zugleich Übergangsgeld zuzuerkennen. Auch für dieses Verfahren gilt freilich § 366 Abs 4 ASVG über die Mitwirkungspflicht der versicherten Person. Erachtet die PVA das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht als gegeben, ohne dass die sonstigen Voraussetzungen des § 253e ASVG (also eingetretene oder unmittelbar drohende Invalidität) vorliegen, ist aber die Leistungsfähigkeit der Person auf Dauer herabgesunken, dann kann die PVA zwar immer noch eine Rehabilitationsmaßnahme nach § 300 anbieten. Die Ermessenspflichtleistung nach § 300 ASVG ist aber im Anwendungsbereich des § 253e ASVG von der letztgenannten Bestimmung verdrängt. Das führt dazu, dass aufgrund der Koppelung der beruflichen Rehabilitation an vorliegende oder drohende Invalidität beide Verfahrensgegenstände für den Fall eines Leistungsstreitverfahrens vor den Arbeits- und Sozialgerichten miteinander verbunden sind. Daher gilt für diese Konstellation auch nicht mehr, dass sich die PVA vor Gericht nur dann auf zumutbare Rehabilitationsmaßnahmen berufen kann, wenn sie diese schon im Anstaltsverfahren nach § 300 ASVG erfolglos angeboten hat.*

4.
Das Zusammenspiel beruflicher und medizinischer Rehabilitation
4.1.

Das Zusammenspiel zwischen beruflicher und medizinischer Rehabilitation ist aus dem Gesetzestext nicht leicht auszumachen. Es finden sich dazu zum Teil widersprüchlich anmutende Regelungen in den Verfahrensbestimmungen im 7. Teil des ASVG:

4.1.1.

Zur Erinnerung: Kommt der Versicherungsträger zum Ergebnis, dass zwar nicht dauernde Invalidität, wohl aber vorübergehende Invalidität vorliegt, so hat er gem § 367 Abs 4 Z 1 und 2 ASVG zu prü377fen, ob Invalidität überhaupt, bejahendenfalls ob sie zumindest für sechs Monate vorliegt. Trifft dies zu, so ist gem § 367 Abs 4 Z 3 ASVG ferner festzustellen, ob pensionsvermeidende berufliche Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig (§ 303 Abs 3) und zumutbar (§ 303 Abs 4) sind und für welches Berufsfeld die versicherte Person durch diese Maßnahmen qualifiziert werden kann. An diesen Ausspruch knüpft § 39b AlVG an: Wird die Frage der Zumutbarkeit von Maßnahmen beruflicher Rehabilitation bejaht, dann ist sie anspruchsbegründend für Umschulungsgeld, sofern von der versicherten Person eine Rehabilitationsmaßnahme angetreten und ein entsprechender Antrag gestellt wird. § 367 Abs 4 ASVG erweckt also den Eindruck, als ob dauernde Invalidität berufliche Rehabilitationsmaßnahmen geradezu ausschließen, vorübergehende Invalidität durch mindestens sechs Monate sie aber ermöglichen würde.

4.1.2.

Gem § 253f ASVG haben Personen, für die bescheidmäßig festgestellt wurde, dass vorübergehende Invalidität iSd § 255 Abs 1 und 2 oder 3 im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt, auch Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation (§ 302 Abs 1), wenn dies zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit notwendig und infolge des Gesundheitszustandes zweckmäßig ist. § 143a ASVG ist in diesem Zusammenhang zu entnehmen, dass dann, wenn vorübergehende Invalidität für zumindest sechs Monate vorliegt und eine berufliche Rehabilitation nicht zweckmäßig oder nicht zumutbar ist, ab Vorliegen der vorübergehenden Invalidität (im Zweifel also ab dem Stichtag nach der Antragstellung) Anspruch auf Rehabilitationsgeld besteht. Und es setzt ein Case-Management zur Rehabilitation ein, an der mitzuwirken die versicherte Person bei sonstigem Entzug des Rehabilitationsgeldes verpflichtet ist. § 143a ASVG erweckt also für sich genommen den Eindruck, als ob nur dann, wenn berufliche Rehabilitation unzumutbar ist, medizinische Rehabilitation in Betracht kommt.*

4.2.

In Wahrheit ist es aber genau umgekehrt: Sowohl der Anspruch auf medizinische Rehabilitation als auch jener auf Umschulungsgeld zur beruflichen Rehabilitation setzen voraus, dass Invalidität im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt. Da dauernde Invalidität nur dann vorliegt, wenn ein nach Maßgabe allfälligen Berufsschutzes taugliches Verweisungsfeld mit medizinischen Mitteln voraussichtlich nicht wieder hergestellt werden kann, liegt eine Widersprüchlichkeit des Gesetzes darin, dass gerade in diesem Fall auch berufliche Rehabilitation ausgeschlossen zu sein scheint, wenn man § 367 Abs 4 ASVG wörtlich nimmt. Dazu passt es aber nicht, dass § 254 ASVG in der ab 1.1.2014 geltenden Fassung des SRÄG 2012 den Anspruch auf dauernde Invaliditätspension ganz klar auf jene Versicherten beschränkt, bei denen dauernde Invalidität vorliegt und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation gem § 303 Abs 3 und 4 ASVG nicht zweckmäßig oder zumutbar sind.*

4.3.

Richtigerweise müsste gerade aus pensionsversicherungsrechtlicher Sicht* erst dann, wenn dauernde Invalidität vorliegt, wenn also die medizinischen Möglichkeiten ausgereizt sind, geprüft werden, ob nicht doch noch ein neues Verweisungsfeld mittels beruflicher Rehabilitation gewonnen werden kann. Solange im bisherigen Beruf ein ausreichendes Verweisungsfeld besteht oder auf medizinischem Weg, also durch Krankenbehandlung oder durch medizinische Rehabilitation, erhalten bzw wieder hergestellt werden kann, scheinen hingegen Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation weder zweckmäßig noch zumutbar zu sein.

Dies setzt also für einen bescheidmäßigen Ausspruch, dass berufliche Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar ist, iSd § 367 Abs 4 Z 3 ASVG gedanklich voraus, dass zuvor erfolglos geprüft worden ist, ob (sc der versicherten Person zumutbare) Maßnahmen der Krankenbehandlung oder der medizinischen Rehabilitation zweckmäßig oder zumutbar sind. Denn wäre dies der Fall, so läge keine dauernde Invalidität, sondern ein durch medizinische Rehabilitation besserungsfähiger Zustand, also äußerstenfalls bloß vorübergehende Invalidität, mit der Aussicht der Wiederherstellung des Verweisungsfeldes auf medizinischem Weg, vor.

4.4.

Das Zusammenspiel medizinischer und beruflicher Rehabilitation erfordert also richtigerweise als Erstes die Klärung der Frage, ob Invalidität vorliegt, bejahendenfalls, ob sie durch Maßnahmen medizinischer Rehabilitation wenigstens so weit beseitigt werden kann, dass ein Verweisungsfeld wieder eröffnet bzw erhalten wird.

4.4.1.

Ist dies zu bejahen, dann ist berufliche Rehabilitation vorerst einmal nicht zweckmäßig und zumutbar, ehe nicht feststeht, wie weit das Verweisungsfeld als Ergebnis der medizinischen Rehabilitation wieder hergestellt werden kann. Daher bestehen im Falle einer solchen vorübergehenden Invalidität in erster Linie Ansprüche auf medizinische Rehabilitation gem § 253f ASVG und auf Rehabilitationsgeld gem § 143b ASVG.

4.4.2.

Kann eine einmal eingetretene Invalidität medizinisch nicht mehr beeinflusst werden, liegt dauernde Invalidität vor; dann ist aber zu prüfen, ob durch eine zumutbare berufliche Rehabilitation ein Verweisungsfeld iSd § 367 Abs 4 Z 3 ASVG gewonnen werden kann. Trifft Letzteres zu, so ist der Antrag auf Invaliditätspension iSd § 367 Abs 4 Einleitungssatz ASVG abzuweisen und es sind die Feststellungen nach Abs 1 bis 3 dieser Gesetzesstelle zu treffen. Es ist daher damit zu rechnen, dass die Zahl der Personen in medizinischer Rehabilitation gem § 235 f ASVG bei weitem größer sein wird, als jene in beruflicher Rehabilitation.

4.4.3.

Wurde eine als notwendig erachtete medizinische Rehabilitation zwar erfolgreich abgeschlossen, aber damit im Ergebnis als nicht weiter besserungsfähiger Zustand ein bloß so geringes Verweisungsfeld eröffnet, welches den Eintritt von Invalidität in absehbarer Zeit befürchten lässt, so liegen mangels aktuell378 vorliegender (auch nicht zumindest vorübergehender) Invalidität weder die Voraussetzungen für Invaliditätspension noch für Umschulungsgeld und damit auch nicht für berufliche Rehabilitation iSd § 39b AlVG vor. Während in einer solchen Konstellation (bloß) drohender Invalidität § 253e ASVG den vor dem 1.1.1964 Geborenen einen Anspruch auf berufliche Rehabilitation samt Übergangsgeld eröffnet,* bleibt für die ab dem 1.1.1964 Geborenen in einem solchen Fall nur die Ermessensleistung gem § 300 ASVG auf berufliche Rehabilitation als mögliches Angebot der PVA. Eine unverständliche Ungleichbehandlung und eine sozialpolitisch ganz verfehlte Lücke im System.

Für in dieser Konstellation mittlerweile arbeitslos gewordene Versicherte (wahrscheinlich der Regelfall) kommt nämlich ansonsten in erster Linie nur eine Umschulung oder eine Wiedereingliederungsmaßnahme durch das AMS nach den Bestimmungen des AMSG, bzw AlVG in Betracht, Maßnahmen also, die arbeitsmarktpolitisch orientiert und daher nur auf eine baldige Beendigung der Arbeitslosigkeit iSd § 9 AlVG ausgerichtet sind (vgl §§ 32 und 38a AMSG) und nicht den Zweckmäßigkeits- und Zumutbarkeitsbeschränkungen des § 367 Abs 4 ASVG iVm § 303 Abs 3 und 4 ASVG, vor allem nicht dem Gebot der Erhaltung einer aktuell bestehenden Qualifikation unterliegen (vgl § 29 Abs 1 und 2 AMSG).

4.5.

Die Untersuchung des Zusammenspiels von medizinischer und beruflicher Rehabilitation ergibt somit, dass die Frage der Zweckmäßigkeit und der Zumutbarkeit von Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation der Feststellung, dass – gemessen an dem in Betracht kommenden Verweisungsfeld – Invalidität dauernd oder zumindest vorübergehend vorliegt, vorgelagert, die Frage der beruflichen Rehabilitation dieser Feststellung jedoch nachgelagert ist. Solange nur vorübergehende Invalidität vorliegt, hat die medizinische Rehabilitation jedenfalls Vorrang vor der beruflichen. Soweit das System für jüngere Versicherte bei aktuell nicht gegebener, wohl aber drohender Invalidität eine Lücke enthält, sollte sie vom Gesetzgeber nach dem Muster des § 253e ASVG geschlossen werden. Gerade für jüngere Versicherte wäre eine qualifikationserhaltende berufliche Umschulung bei zwar noch nicht eingetretener oder nicht mehr vorliegender, wohl aber weiterhin drohender Invalidität für ein längeres Verbleiben im Arbeitsmarkt besonders wichtig.

5.
Inhalt und Umfang beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen nach § 39b AlVG
5.1.
Allgemeines
5.1.1.

§ 39b Abs 1 Einleitungssatz iVm Abs 2 AlVG verweisen teils der Sache nach, teils ausdrücklich auf die „Feststellung gem § 367 Abs 4 Z 3 ASVG“. Wesentliche Voraussetzungen des Anspruchs auf Umschulungsgeld bzw der damit korrespondierenden Verpflichtung zur Teilnahme an beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen sind also merkwürdigerweise im Verfahrensrecht geregelt, wobei § 367 Abs 4 Z 3 ASVG seinerseits wieder auf § 303 Abs 3 und 4 ASVG weiter verweist. Die dort für den Fall der Rehabilitation als Ermessensleistung der PV geregelten Voraussetzungen werden damit in § 39b AlVG inkorporiert.

5.1.2.

Mit dem SRÄG 2012 wurden in § 303 Abs 4 insoweit nur die Regelungen der aufgehobenen (bzw in der Fortgeltung auf über 50-Jährige eingeschränkten) Bestimmung des § 253e ASVG übernommen, ausgenommen die Bedachtnahme auf die Neigung des Versicherten bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Maßnahme. Abgesehen davon, dass die Berücksichtigung der Neigung damit für die über 50-Jährigen in § 253e ASVG weiterhin gilt und mir ein sachlicher Grund für die differenzierende Behandlung beider Gruppen in dieser Frage nicht so recht einleuchten will, halte ich das für einen Fehler. Denn gerade dann, wenn man die aktive Mitwirkung der versicherten Person an der Rehabilitation einfordert – wohl aber auch benötigt, soll das Werk gelingen –, sollte die bloße Mitberücksichtigung der Neigung der betroffenen Person – und mehr kann es ja angesichts der Mehrzahl der Anforderungen nicht sein – selbstverständlich möglich sein. Und gerade die Wahrnehmung der Verpflichtung zur aktiven Mitwirkung der betroffenen Person an der Suche nach einem Berufsfeld wird seine Neigungen, ob man will oder nicht, ins Zentrum der Betrachtung rücken. Man wird daher gut beraten sein, die Neigung der zu rehabilitierenden Person soweit zu berücksichtigen, als dies mit den Zielen der beruflichen Rehabilitation vereinbar ist.*

5.2.
Die Zweckmäßigkeit der Maßnahme

Was die in § 367 Abs 4 Z 3 ASVG zum Begriff der Zweckmäßigkeit enthaltene Verweisung auf § 303 Abs 3 betrifft, so lehnt sich dessen Text im ersten Satz an die Umschreibung des Leistungsanspruchs auf Krankenbehandlung in § 133 Abs 2 ASVG („ausreichend, zweckmäßig, das Maß des Notwendigen nicht überschreitend“) an. Die in § 367 Abs 4 Z 3 ASVG benannte Zweckmäßigkeit hat auch die verwiesene Norm (offenbar in einem engeren Sinn verstanden) neben den beiden anderen Elementen noch einmal im Normtext. Man kann das vielleicht mit der Etikettierung eines „allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebotes“ versehen.

Was bedeuten diese Begriffe im Zusammenhang mit beruflicher Rehabilitation?

5.3.
Die Zweckmäßigkeit im engeren Sinn
5.3.1.

Man wird zum Begriff der „Zweckmäßigkeit“ ieS zunächst unschwer darin übereinstimmen können, dass die Schulungs- und Wiedereingliederungsmaßnahme „erfolgversprechend“ sein muss, wie dies der OGH für die Parallelregelung zur Krankenbehandlung schon zum Ausdruck gebracht hat.* Die Frage ist bei einer Maßnahme zur Rehabilitation nur: „erfolgverspre379chend“ in Bezug auf welches Ziel? Wir haben es – jetzt bewusst unscharf formuliert – mit Menschen zu tun, die aufgrund medizinisch nicht weiter besserbarer körperlicher oder geistiger Einschränkungen die bisherige Berufstätigkeit nicht mehr ausüben können und denen aufgrund des aktuellen oder in Bälde zu befürchtenden Verlustes eines zumutbaren Verweisungsfeldes im erlernten oder im angelernten Beruf Invalidität droht.

5.3.2.

Es geht also im Lichte der pensionsversicherungsrechtlichen Zwecke der Maßnahmen um das Auffinden eines Berufsfeldes, in dem sich der Betroffene im Rahmen des für ihn in Betracht kommenden Verweisungsfeldes unter medizinischen Gesichtspunkten auf längere Sicht bewegen kann. Je weiter das Verweisungsfeld, desto erfolgversprechender und zweckmäßiger ist daher unter pensionsversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten die gewählte Rehabilitationsmaßnahme.

5.3.3.

Das Verweisungsfeld des Invaliditätsbegriffes ist freilich ein abstraktes: Es kommt nur darauf an, ob in den Verweisungstätigkeiten ein Arbeitsmarkt existiert, nicht aber darauf, ob auf diesem (Teil-)Arbeitsmarkt freie Arbeitsplätze konkret zur Verfügung stehen.* Legte man der beruflichen Rehabilitation daher das Ziel zugrunde, Invalidität in diesem Verständnis zu vermeiden, dann könnte als eine erfolgversprechende berufliche Rehabilitation bereits jene erachtet werden, die ein möglichst weites Verweisungsfeld eröffnet, gleichgültig, ob der betreffende Arbeitsmarkt diese Tätigkeit überhaupt so ausreichend nachfrägt, dass mit der Unterbringung der versicherten Person auf dem Arbeitsmarkt gerechnet werden kann. Man könnte daher auf die Idee kommen, dass eine berufliche Rehabilitation für den Betroffenen auch dann zumutbar ist, wenn sie in dem in Aussicht genommenen Berufsfeld absehbar eine Rehabilitation in die Arbeitslosigkeit wäre. Dazu kommt, dass der Gesetzgeber in § 367 Abs 4 Z 3 zwar auf die sinngemäße Anwendung der §§ 303 Abs 3 und 4 ASVG verweist, nicht aber auf § 303 Abs 2 ASVG idF des SRÄG 2012, wonach (sc geeignete) Maßnahmen nach § 303 Abs 1 nur solche sind, durch die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Dauer Invalidität oder Berufsunfähigkeit beseitigt oder vermieden werden kann und die geeignet sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf Dauer sicherzustellen.*

5.3.4.

Allerdings hat das die Rsp und die Lehre schon zur alten Ermessensleistung des § 300 ASVG idF vor dem BBG 2011 anders gesehen: Der OGH hat nämlich zur damaligen Rechtslage die Auffassung vertreten, dass es bei der Zumutbarkeitsprüfung einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme auch darauf ankommt, ob eine „realistische Chance“ besteht, im neuen Beruf einen Arbeitsplatz zu finden.* Grundlage dafür war § 86 Abs 3 Z 2 ASVG, wonach eine Pensionsleistung nach Durchführung von medizinischen oder beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation erst dann anfällt, wenn durch die Maßnahme eine „Wiedereingliederung des Versicherten in das Berufsleben“ nicht bewirkt werden kann.

5.3.5.

Es gibt mittlerweile zwei weitere gesetzliche Hinweise für ein solches Verständnis zumutbarer beruflicher Rehabilitation: Der bei der Feststellung nach § 367 Abs 4 Z 3 ASVG anzuwendende Zweckmäßigkeitsbegriff des § 303 Abs 3 ASVG wird im zweiten Satz dieser Gesetzesstelle in die Richtung geprägt, dass die Maßnahme „unter Berücksichtigung des Arbeitsmarktes und ihrer Zumutbarkeit für die versicherte Person“ erbracht werden kann. § 39b Abs 2 zweiter Satz AlVG lässt schließlich zu, dass vom „Rahmen der Feststellungen“ des Pensionsversicherungsträgers nach § 367 Abs 4 Z 3 ASVG einvernehmlich „unter besonderer Berücksichtigung der Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften auf dem regionalen Arbeitsmarkt und ihrer Eignung für die betroffenen Personen“ abgewichen werden kann, was ebenfalls voraussetzt, dass arbeitsmarktpolitische Aspekte bei der Frage der Zweckmäßigkeit der Maßnahme nach dem Willen des Gesetzgebers eine große Rolle spielen sollen.* Aus dem Fehlen einer Verweisung auf § 303 Abs 2 in § 367 Abs 4 ASVG darf daher kein Gegenschluss gezogen werden.

5.4.
Zu den Begriffen „Ausreichend“ und „Notwendig“
5.4.1.

Das zur Rehabilitation Notwendige oder auch Unentbehrliche legt offenbar ein quantitativ und qualitatives Maß fest, ohne dessen Verfügbarkeit die Ziele der Maßnahme voraussichtlich nicht erreicht werden können. Das Unentbehrliche darf daher auch durchaus teuer sein, wenn es keine günstigeren Alternativen gibt. Das über das Unentbehrliche oder auch Notwendige Hinausgehende steht freilich unter der Begrenzung des Ausreichenden, womit der Umfang der Maßnahme in quantitativer Hinsicht begrenzt wird. Mindestens das Notwendige und höchstens das Ausreichende wird – anders als das bei der Krankenbehandlung der Fall sein wird* – häufig auf ein und dieselbe Grenzziehung hinauslaufen. Eine scharfe Grenze wird es freilich kaum sein.

5.4.2.

Sollen die Begriffe des Notwendigen und des Ausreichenden justiziabel sein, so wird man um eine etwas vergröbernde Deutung nicht herumkommen. Man wird – Zumutbarkeit für die betroffene Person immer vorausgesetzt – auf der einen Seite ein380 Effizienzgebot annehmen müssen (unzulässig ist also das voraussichtlich zur Zielerreichung nicht Geeignete, bei mehreren Möglichkeiten das weniger Geeignete) und auf der anderen Seite ein qualitatives und quantitatives Exzessverbot in Bezug auf das Unnötige und das Überflüssige. Zwischen diesen Polen besteht aber ein mE gerichtlich nicht näher nachprüfbares Ermessen der handelnden Institutionen.

5.5.
Das Zusammenspiel der Elemente

5.5.1. Das Zusammenspiel der drei Elemente zweckmäßig, notwendig und ausreichend enthält also insoweit Dehnfugen, als bei mehr als einer in Betracht kommenden und auch zur Verfügung stehenden Alternative jedenfalls jener der Vorzug zu geben ist, bei der die Chance, später einen Arbeitsplatz zu finden, deutlich höher ist, mag auch das erzielbare Verweisungsfeld kleiner sein als bei anderen Varianten. Das kann zwar das Invalidisierungsrisiko unter dem Gesichtspunkt der Breite des Verweisungsfeldes erhöhen, es vermindert es auf der anderen Seite aber doch deutlich unter dem Gesichtspunkt physisch und psychisch nachteiliger Auswirkungen von Arbeitslosigkeit.

5.5.2. Eine Maßnahme beruflicher Rehabilitation, die eine Umschulung auf Verweisungstätigkeiten vorsieht, hinsichtlich derer aber auf absehbare Zeit keine ausreichende Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erwarten ist, wird daher unzweckmäßig und nicht zulässig sein. Mit Blick auf den pensionsversicherungsrechtlichen Schwerpunkt von Maßnahmen nach § 39b ASVG darf man diese Anforderungen aber auch nicht überspannen, weil dem Gesetzgeber auf der anderen Seite auch nicht unterstellt werden kann, dass er das Arbeitsplatzrisiko gänzlich auf den Pensionsversicherungsträger verlagern wollte:* Es kommt also nicht darauf an, dass mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ Arbeitslosigkeit nicht eintreten wird;* für eine (immerhin) „realistische Arbeitsmarktchance“ tritt der OGH in seiner Rsp zur Rechtslage vor dem BudgetbegleitG 2011 ein,* wenn dort ausgeführt wird:

Im Einzelfall ist zu prüfen, ob ein Versicherter nach erfolgreicher Rehabilitation in dem gemäß § 255 Abs 5 ASVG erweiterten Verweisungsfeld voraussichtlich einen Arbeitsplatz finden wird; Rehabilitationsmaßnahmen, bei denen diese Aussicht nicht besteht, sind nicht zumutbar. Daher darf die durch eine erfolgreiche Rehabilitation zu erwartende Einsatzfähigkeit des Versicherten nicht rein abstrakt anhand des Vorhandenseins von mindestens hundert (freien oder besetzten) Arbeitsstellen im umgeschulten Beruf geprüft werden. Andererseits darf aber das Arbeitsplatzrisiko des nicht mehr voll Arbeitsfähigen auch nicht zur Gänze auf die Pensionsversicherung verlagert werden. Es muss eine realistische Chance bestehen, dass der konkrete Umgeschulte nach Ende der Umschulung im neuen Beruf voraussichtlich einen Arbeitsplatz findet.

5.5.3. Das ist mE auf die Rechtslage nach dem SRÄG 21012 übertragbar: Es wird darauf ankommen, dass es sich um die Umschulung zu einer Berufstätigkeit handelt, die am Arbeitsmarkt regelmäßig aktiv nachgefragt wird.* Mehr wird man bei schwankenden Vermittlungschancen am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht verlangen können. Der bei Beurteilung der Invalidität verwendete Satz „gleichgültig, ob freie Arbeitsplätze existieren oder nicht“ hat bei der Prüfung der Zweckmäßigkeit der beruflichen Rehabilitation nach § 39b AlVG jedenfalls keinen Platz.

6.
Die Zumutbarkeit von Maßnahmen beruflicher Rehabilitation
6.1.

Haben wir uns kraft der Verweisung auf § 303 Abs 3 ASVG mit objektiven Merkmalen der Maßnahme beschäftigt, so geht es bei der Zumutbarkeit iSd § 303 Abs 4 ASVG um die subjektive Seite der betroffenen Person. Die Zumutbarkeit einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme war im „alten Recht“, in § 307b ebenso wie in § 86 Abs 2 Z 2 ASVG (nämlich als Hindernis für den Pensionsanfall), durch die Anordnung determiniert, dass auf Dauer und Umfang seiner Ausbildung einerseits und die bisher ausgeübte Tätigkeit andererseits Bedacht zu nehmen ist. Der OGH hat das in der Weise interpretiert, dass der Pensionsversicherungsträger „unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges der Ausbildung des Versicherten sowie der von ihm bisher ausgeübten Tätigkeit, aber auch seines Alters, zu beurteilen [hatte], ob das Rehabilitationsziel überhaupt erreichbar ist“.

6.2.

Bei der jeweils unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilenden Frage der Zumutbarkeit einer (beruflichen) Rehabilitationsmaßnahme würden somit die Ausbildung und die bisherige Tätigkeit des Versicherten, ein bestehender Berufsschutz sowie Inhalt und Dauer der ins Auge gefassten Rehabilitationsmaßnahme eine wesentliche Rolle spielen.

6.3.

Die gesetzliche Regelung des § 303 Abs 4 ASVG ist sehr komplex.

Danach ist in Bezug auf die versicherte Person zu berücksichtigen:

  1. die physische und psychische Eignung;

  2. die bisherige Tätigkeit;

  3. Dauer und Umfang der bisherigen Ausbildung (Qualifikationsniveau) – eine wesentliche Unterschreitung des Qualifikationsniveaus ohne Zustimmung des Versicherten ist unzulässig;

  4. das Alter;

  5. der Gesundheitszustand;

  6. die Dauer eines Pensionsbezuges.

6.4.

Das Element „die bisherige Tätigkeit“ spielte – wie erwähnt – schon nach früherem Recht vor dem BudgetbegleitG 2011 eine Rolle: Nach der Rsp des OGH waren für die Zumutbarkeit einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme „die Ausbildung und die bisherige Tätigkeit des Versicherten, ein bestehender Berufsschutz sowie Inhalt und Dauer der ins Auge gefassten Rehabilitationsmaßnahme“ wesentlich.* Das wird, so unscharf es sein mag, auch künftig nicht381 anders sein. Mehr lässt sich dazu abstrakt kaum sagen.

6.5.

Lassen wir ferner die physische und psychische Eignung bzw den „Gesundheitszustand“ als eher selbstverständliche Fragen der gesundheitlichen Tauglichkeit einer versicherten Person für einen Umschulungsberuf einmal beiseite, so stellt sich die Frage des Zusammenspiels zwischen den Elementen des Alters und der „Dauer eines Pensionsbezuges“.

6.5.1.

Es liegt auf der Hand: Je jünger eine versicherte Person ist, desto geringere Anforderungen an die Zumutbarkeit einer Umschulung sollen offenbar gestellt werden; je näher jemand zum Regelpensionsalter ist, desto höher werden die Anforderungen sein. Schon bisher wurde in der Literatur vertreten, dass man von einer Person, die lange Jahre ihren Beruf ausgeübt habe und nicht mehr weit vom Regelpensionsalter entfernt sei, schwer verlangen könne, noch einen neuen Beruf zu erlernen.* Allerdings ist der vom SRÄG 2012 vorerst einmal adressierte Personenkreis unter 50 Jahre alt und daher derzeit noch weit weg vom Regelpensionsalter.*

6.5.2.

Beim Element der „Dauer des Pensionsbezuges“ habe ich lange gerätselt, bis ich in § 301 Abs 1 ASVG idF der 32. Novelle (also der erstmaligen Einführung des Grundsatzes „Rehabilitation vor Pension“) diese Anforderung erstmals vorgefunden habe, und zwar in jener Fassung dieser Bestimmung, die diese (und andere der §§ 300 ff) im Sozialausschuss erhalten hatte. Die ursprünglich nur für Aktive gedachte Rehabilitationsregelung war zuvor nämlich dahin kritisiert worden, dass Bezieher von Invaliditätspension davon ausgeschlossen sein würden. Erst die Einbeziehung der Bezieher einer Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit machte es erforderlich, für diesen Personenkreis in § 301 Abs 1 ASVG eigene Zumutbarkeitsanforderungen aufzunehmen. Daher wurden für Bezieher einer derartigen Pension ausdrücklich Alter, Gebrechenszustand und Dauer des Pensionsbezuges als Zumutbarkeitsmaßstäbe in das Gesetz aufgenommen. Der AB* führt dazu aus, dass Rehabilitationsmaßnahmen solchen Pensionsbeziehern dann nicht zumutbar seien, „wenn der Behinderte beispielsweise schon im fortgeschrittenen Alter steht, er die Pension schon sehr lange bezieht oder der Zustand seines Leidens oder Gebrechens besonderer Natur ist.“

6.6.

Die Erwähnung dieser Kriterien in § 303 Abs 4 ASVG mag daher auch derzeit noch, soweit an die Gewährung von Ermessensleistungen nach § 300 Abs 1 ASVG angeknüpft wird, durchaus Sinn machen, da diese Leistungen zumindest theoretisch auch Pensionsbeziehern einer Invaliditätspension zum Zwecke der Wiederaktivierung gewährt werden können. Die pensionsvermeidende berufliche Rehabilitation iSd SRÄG 2012 richtet sich aber gerade nicht an Pensionsbezieher, wie auch die Überbrückungsleistungen während der Rehabilitationsmaßnahmen zeigen. In der Verweisung auf § 303 Abs 4 in § 367 Abs 4 Z 3 ASVG sind daher, bezogen auf § 39b AlVG, die Elemente „Gesundheitszustand“ (es ist ja davor schon viel präziser von der „psychischen und physischen Eignung“ die Rede) und „Dauer des Pensionsbezuges“ und vorerst wohl auch das Alter eher redundant.

7.
Das Qualifikationsniveau
7.1.

Der wichtigste Parameter für die berufliche Rehabilitation ist jener des Qualifikationsniveaus. Die Parameter für die Beurteilung des Qualifikationsniveaus sind nach § 303 Abs 4 letzter Satz a) die für die Tätigkeit notwendige berufliche Ausbildung und b) die für die Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten (Fachkompetenz).

Hat die versicherte Person jedoch eine Tätigkeit ausgeübt, die einen Lehrabschluss oder einen mittleren Schulabschluss erfordert oder hat sie qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten durch praktische Arbeit erworben, ist die Zulässigkeit der Rehabilitation auf Tätigkeiten mit gleichwertigem Ausbildungsniveau beschränkt.

7.2.

Das bedeutet, dass ein Unterschreiten des Qualifikationsniveaus durch die Umschulung bei Vorliegen eines erlernten oder angelernten Berufes nicht in Betracht kommt. Der Maßstab für die Frage, ob eine solche Qualifikation vorliegt, ist – anders als in § 253e Abs 1 Z 1 und 2 ASVG – in § 303 Abs 4 ASVG unmittelbar nicht genannt; die enge Anknüpfung an die Zwecke der Vermeidung einer Invaliditätspension legt aber – wie auch aus den Materialien hervorgeht* – einen Rückgriff auf § 255 Abs 2 ASVG nahe: Es muss eine derartige qualifizierte Tätigkeit während der letzten siebeneinhalb Beitragsjahre in den letzten 15 Jahren ausgeübt worden sein.*

7.3.

Das Element der Qualifizierung unterscheidet die berufliche Rehabilitation nach § 39b AlVG von schlichten Schulungs-, Umschulungs- und Nachschulungsmaßnahmen,* sowie von Wiedereingliederungs382maßnahmen nach dem AMSG, zu denen arbeitslose Personen nach § 9 AlVG zugewiesen werden können: Während derartige Zeiten, wenn sie im Beobachtungszeitraum für die Prüfung des Berufsschutzes liegen, den Berufsschutz gefährden können, sind Beitragszeiten der beruflichen Rehabilitation gleich solchen des Bezuges von Rehabilitationsgeld gem § 234 Abs 1 Z 5 ASVG idF BGBl I 2013/3als neutrale Zeiten aus dem Beobachtungszeitraum auszuscheiden. Eine derartige Neutralisierung hat der OGH für berufliche Rehabilitationszeiten nach § 300 ASVG für Zeiträume vor Inkrafttreten des BudgetbegleitG 2011 vertreten, während derer nach § 306 ASVG ein – in § 234 ASVG gleichfalls nicht genanntes – Übergangsgeld gewährt worden war.* Es ist kein Grund ersichtlich, diese Rsp nicht auf Beitragszeiten des Bezuges von Umschulungsgeld während beruflicher Maßnahmen der Rehabilitation gem § 8 Abs 1 Z 2 lit b ASVG zu übertragen. Selbst wenn also im Beobachtungszeitraum für den Berufsschutz überwiegend Beitragszeiten der Rehabilitation und daneben eine demgegenüber geringere Zahl von Beitragszeiten der Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit liegen, bleibt der Berufsschutz ebenso erhalten, wie im Falle der Ausübung jener Tätigkeit, zu der durch die Rehabilitation befähigt wurde.

7.4.

Dem Gesetzgeber geht es also um die Erhaltung des Berufsschutzes trotz Rehabilitation. Dies wieder hängt eng mit den Rechtsfolgen des § 255 Abs 5 ASVG zusammen, ist doch dem Versicherten bei der Prüfung der Invalidität „jedenfalls eine Tätigkeit zumutbar, für die er unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie der von ihm bisher ausgeübten Tätigkeit durch Leistungen der beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden ist“.

Man wird sich unter dem Gesichtspunkt des Qualifikationsschutzes daher daran zu orientieren haben, dass entweder Kenntnisse der versicherten Person in einem möglichst weiten Umfang im neuen Berufsfeld verwertet werden können oder dass die Rehabilitationsmaßnahme durch einen so langen Zeitraum gewährt wird, der die Erlernung eines qualifizierten Berufes oder die Anlernung zu einem solchen ermöglicht. Die berufliche Rehabilitation muss zu solchen Tätigkeiten ausbilden, zu deren Verrichtung qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten vonnöten sind, sei es, dass diese aus dem angestammten Beruf schon vorhanden sind, sei es, dass diese im Zuge der Rehabilitation dazu erworben werden müssen. Man wird die äußerste „Grenze nach unten“ bei der Qualifikation im Allgemeinen dort ziehen können, wo der Berufsschutz auch die Verweisung begrenzt.* Eine Rehabilitation kann auch zu einem Mischberuf erfolgen, der sich aus teils vorhandenen, teils aus neu erworbenen qualifizierten Kenntnissen und Fähigkeiten zusammensetzt.*

7.5.

Das bedeutet bei Arbeitern mit Berufsschutz die Rehabilitation für qualifizierte, nicht untergeordnete Teiltätigkeiten (des bisherigen oder eines neuen Berufs), deren Verrichtung den Berufsschutz nicht beeinträchtigt,* dh, dass die berufliche Qualifikation des Versicherten in möglichen Rehabilitationsberufen verwertet werden kann oder eine entsprechende Qualifikation neu erworben wird.* Für die Angestellten gilt Entsprechendes: Die Rehabilitation darf äußerstenfalls auf eine Tätigkeit derselben oder der nächstniedrigeren Verwendungsgruppe des KollV erfolgen.* Bei der Rehabilitation zu angelernten, berufsschutzwahrenden Tätigkeiten wird es für die Qualifikation auf die Dauer der Rehabilitation ankommen,* die – sofern nicht einschlägige qualifizierte Kenntnisse schon erworben wurden – im Lichte der Rsp des OGH im Regelfall mitunter wohl nicht unter zwei Jahren wird bleiben dürfen.*

8.
Zum Begriff des Berufsfeldes
8.1.

Das Qualifikationsniveau bestimmt auch das für die Rehabilitationsmaßnahme in Aussicht genommene „Berufsfeld“. Unter Berufsfeld versteht Gablers Wirtschaftslexikon* die zusammenfassende Bezeichnung für eine Gruppe inhaltlich oder funktional verwandter (Ausbildungs-)Berufe. Das AMS-Qualifikations-Barometer enthält über 20 Berufsfelder mit Prognosen über die jeweilige mutmaßliche Arbeitsmarktentwicklung. Beim Begriff des „Berufsfeldes“ iSd § 367 Abs 4 Z 3 ASVG geht es nach dem systematischen Zusammenhang in erster Linie darum, jene Berufe zusammenzufassen, hinsichtlich derer qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten einander zumindest in Teilbereichen überschneiden.

Es wird wahrscheinlich – ungeachtet der vom Gesetzgeber getroffenen Vorkehrungen hinsichtlich der sozialen Absicherung – nicht immer erwartet werden können, dass man in der beruflichen Rehabilitation einen komplett neuen Beruf erlernt, wohl aber, das man zu Tätigkeiten in Berufen befähigt wird, bei deren Verrichtung man einerseits auf die erworbenen eigenen Qualifikationen zurückgreifen kann, die aber383 andererseits selbst wieder entsprechend qualifizierte Tätigkeiten darstellen.*

8.2.

ME kommt es bei einem innerhalb des im Berufsfeld liegenden Umschulungsberufs nicht darauf an, dass alle Tätigkeiten des neuen Berufes erlernt werden; es müsste nach dem Zweck der Norm vielmehr ausreichen, wenn die versicherte Person die Befähigung zu qualifizierten Teiltätigkeiten erwirbt, deren Ausübung den erworbenen Berufsschutz* nicht gefährdet.

8.3.

Fraglich ist, inwieweit bei Erlassung des Anstaltsbescheides die konkreten, nach der Berufsfindungsphase in Aussicht genommenen Rehabilitationsmaßnahmen zumindest in der Begründung konkretisiert werden müssen. Denn die vom Gesetz augenscheinlich vorgenommene Unterscheidung zwischen der Prüfung der Zweckmäßigkeit und der Zumutbarkeit von Maßnahmen einerseits und der Festlegung des Berufsfeldes andererseits legt nahe, dass nicht nur das Berufsfeld Gegenstand der Zumutbarkeitsprüfung ist, sondern auch das konkrete, vom AMS vorgesehene Rehabilitationsprogramm in diese Beurteilung mit einzubeziehen ist.

8.3.1.

§ 366 Abs 4 ASVG über die Mitwirkung (und Anhörung) der antragstellenden Person im Anstaltsverfahren deckt mE rechtlich durchaus die derzeitige Praxis ab, nach der – wie aus ersten Veröffentlichungen zu diesem Thema entnommen werden kann* und in Gesprächen, die ich im Zusammenhang mit der Erarbeitung dieses Vortrages geführt habe, bestätigt wurde – der Erlassung des Bescheides des Pensionsversicherungsträgers eine längere „Clearing-Phase“ zur Berufsfindung vorgeschaltet wird, in der bereits das AMS auf den Plan tritt und gemeinsam mit der betroffenen Partei und dem Pensionsversicherungsträger klärt, ob und welche Maßnahme der beruflichen Rehabilitation zumutbar ist und in Betracht kommt.

8.3.2.

In dieser Berufsfindungsphase sollen nach dieser Praxis drei mögliche, realisierbare Berufe he-rausgearbeitet werden, die dann in den PVA-Bescheid übernommen werden.* Wird das AMS früh eingeschaltet, erspart man sich eher das spätere Abweichen iSd § 39b Abs 2 AlVG. Die Auswahl aus drei Berufen lässt dem AMS und der antragstellenden Partei einen ausreichenden Spielraum hinsichtlich der konkret zu wählenden Maßnahmen. Überdies soll die Berufsfindungsphase unter Beiziehung des Versicherten offenbar auch Klagen vermeiden helfen, die nur aus dem Grund erhoben werden, weil der Versicherte seine Interessen beim AMS nicht hinreichend berücksichtigt findet. Der Gesetzgeber ordnet alle Eignungs- und Zumutbarkeitsfragen dem Feststellungsverfahren nach § 367 Abs 4 ASVG zu. Mit der Aufnahme der konkreten „Maßnahmen“, wenn man das so deuten kann, in den Bescheid werden auch spätere Einwände im Rehabilitationsverfahren, welche gegenüber dem AMS die Zweckmäßigkeit oder die Zumutbarkeit der umzusetzenden Rehabilitationsschritte nachträglich in Zweifel ziehen wollen, abgeschnitten.

8.3.3.

Auch die Materialien* lassen erkennen, dass schon im Feststellungsverfahren nach § 367 Abs 4 ASVG vom Pensionsversicherungsträger nicht nur das Berufsfeld festgestellt werden soll, sondern dass (offenbar konkrete) „in Aussicht genommene[n] berufliche[n] Maßnahmen“ festgelegt werden, von denen dann nur durch „gleichwertige andere berufliche Maßnahmen“ einvernehmlich abgegangen werden kann, wenn sie im Hinblick auf günstigere Beschäftigungsmöglichkeiten zweckmäßiger sind (und es bei § 39b Abs 2 zweiter Satz AlVG nicht nur um das Verlassen des Berufsfeldes geht).

8.4.

Der Nachteil dieser Vorgangsweise mag darin liegen, dass damit in einem frühen Stadium des Verfahrens schon eine Auswahl von Berufen aus einem oder mehreren Berufsfeldern getroffen und damit der nachfolgende Spielraum des AMS eingeengt werden kann. Freilich: Berufliche Rehabilitation wird ohnehin nur mit Menschen funktionieren, die wirklich an ihr interessiert sind, nicht aber mit jenen, die sich zu etwas gezwungen fühlen, das sie dann unter Ausschöpfung aller erdenklichen Rechtswege zu bekämpfen trachten. Es ist daher jedenfalls zweckmäßig, wenn bei der Anhörung gem § 366 Abs 4 bzw in der Berufsfindungsphase wenn nicht vollkommene Einigkeit, so doch aber jedenfalls weitgehende Übereinstimmung darüber herbeigeführt werden könnte, in welche Richtung die Rehabilitationsmaßnahme konkret ablaufen soll.

9.
Behördenzuständigkeit
9.1.

Alles andere als in jeder Hinsicht klar scheint die Aufgabenverteilung zwischen AMS und PVA zu sein.

9.1.1.

Klar scheint nur, dass der Pensionsversicherungsträger über das „Ob“ der Maßnahme (= grundsätzlicher Anspruch auf Umschulungsgeld), über deren Zweckmäßigkeit und Zumutbarkeit sowie über das anzustrebende Berufsfeld bindend entscheidet. Der Rechtszug geht an die Sozialgerichtsbarkeit. Es kann die versicherte Person daher vor dem AMS (zB aus Anlass einer vorübergehenden Entziehung des Umschulungsgeldes wegen nicht genügender Mitwirkung) nicht mehr den Einwand erheben, dass die Maßnahme von vornherein unzumutbar oder ungeeignet gewesen sei. Auch bei einer nachträglichen Änderung der Sach- oder der Rechtslage wäre eine mittlerweile eingetretene Unzumutbarkeit beim Pensionsversicherungsträger geltend zu machen und eine abändernde Entscheidung gem § 367 Abs 4 ASVG herbeizuführen.384

9.1.2.

Klar ist ferner, dass es bei der versicherten Person liegt, Umschulungsgeld zu beantragen und sich der Rehabilitation zu unterziehen oder davon Abstand zu nehmen (mit der Konsequenz, dass alternativ Arbeitslosengeld, allenfalls auch Übergangsgeld nach dem AlVG beantragt werden kann).

9.2.

Die Berechnung, Gewährung und – im Falle fehlender Mitwirkung – auch die vorübergehende Entziehung von Umschulungsgeld hat durch das AMS nach den Regeln über das Arbeitslosengeld mit Mitteilung gem § 47 bzw § 24 Abs 1 AlVG zu erfolgen; ebenso hat das AMS auch das Ruhen des Umschulungsgeldes nach § 16 AlVG festzustellen bzw die Einstellung wegen Arbeitsunfähigkeit iSd § 8 AlVG oder wegen Wegfall des Erfordernisses der Arbeitslosigkeit iSd § 12 Abs 1 AlVG zu verfügen. Gem § 24 Abs 1 AlVG kann in den Entziehungs- oder Einstellungsfällen binnen vier Wochen nach Zustellung der Mitteilung ein Bescheid verlangt werden, gegen den der Rechtszug an das Bundesverwaltungsgericht geht.

Das Fehlen der Mitwirkung an der Rehabilitation, zB durch wiederholtes unentschuldigtes Fernbleiben, kann freilich auch zur Folge haben, dass deren Zweck nicht mehr erreichbar ist (§ 39b Abs 1 vorletzter Satz AlVG – dazu sogleich).

9.3.

Klärungsbedürftig scheinen mir die Verfahrensprozeduren in folgenden Konstellationen zu sein:

9.3.1.

Kommt das AMS „zur begründeten Auffassung“, dass die Realisierbarkeit beruflicher Maßnahmen der Rehabilitation nicht oder nicht mehr gegeben ist, so gebührt nach § 39b Abs 1 vorletzter Satz AlVG das Umschulungsgeld bis zur neuerlichen Entscheidung des Pensionsversicherungsträgers.

  1. Diese Rechtsfolge setzt nach dem zuvor Gesagten voraus, dass ein Widerrufs- oder Einstellungsgrund iSd § 24 AlVG nicht vorliegt, denn ansonsten dürfte das AMS den Bezug auch schon vor der Entscheidung des Pensionsversicherungsträgers einstellen. Jedenfalls hat das AMS aber die Verpflichtung, seine begründete Auffassung der PVA mitzuteilen, damit diese in die Lage versetzt wird, einen neuen Bescheid zu erlassen.

  2. Die Erlassung eines neuen Bescheides wegen geänderter Sach- und Rechtslage hat der Pensionsversicherungsträger, wenn er die Auffassung des AMS teilt, von amtswegen vorzunehmen, und – gegebenenfalls – darin nunmehr festzustellen, dass die Voraussetzungen für berufliche Rehabilitation nach § 39b AlVG iVm § 367 Abs 4 ASVG nicht mehr vorliegen.

  3. ME hat das AMS in einer solchen Situation also keinen eigenen Bescheid über seine „begründete Auffassung“ zu erlassen;* die Bescheidpflicht für den contrarius actus zum Feststellungsbescheid nach § 367 Abs 4 ASVG trifft vielmehr ausschließlich die PVA. Soweit es nur um die „Entziehung“ der beruflichen Rehabilitation geht, ist ebenso von amtswegen vorzugehen, wie es auch sonst bei der Entziehung von Leistungen der Fall ist. Mit Erlassung dieses Bescheides erlischt der Anspruch auf Umschulungsgeld dem Grunde nach und lebt erst wieder auf, wenn – nach Klagsführung – durch das Arbeits- und Sozialgericht eine gegenteilige rechtskräftige Entscheidung getroffen wird.

9.3.2.

Die zweite Frage kann entstehen, wenn gem § 39b Abs 2 AlVG bei den beruflichen Maßnahmen vom Rahmen der Feststellung des Berufsfeldes aus den dort genannten Gründen abgewichen werden soll.

  1. Die Wendung „einvernehmlich“ kann verschieden gedeutet werden, nämlich, ob auch der Pensionsversicherungsträger zustimmen muss oder nicht. Die Materialien gehen ohne nähere Begründung davon aus, dass eine Zustimmung des Pensionsversicherungsträgers nicht erforderlich sei.* Es steht dabei offenbar nicht die Realisierbarkeit der Rehabilitation im Rahmen des Berufsfeldes an sich in Frage (das wäre ein dem Pensionsversicherungsträger zur Entscheidung vorzulegender Fall des Abs 1 vorletzter Satz), sondern es eröffnet sich der Blick auf eine weitere Berufstätigkeit außerhalb des bisherigen Berufsfeldes, die objektiv besser geeignet scheint, die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten.

  2. Allerdings sind es gerade die Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation, für welche die PV die Kosten zur Gänze zu tragen hat (§ 16 AMPFG iVm § 307a ASVG), sodass – auch unter Berücksichtigung, dass gem § 307a Abs 3 ASVG die Bezahlung von Pauschalbeiträgen vereinbart werden kann – nicht ohne weiteres einsichtig ist, aus welchen naheliegenden oder gar zwingenden Gründen bei Schweigen des Gesetzgebers auf die Zustimmung des Pensionsversicherungsträgers verzichtet werden könnte.*

  3. Da der Betroffene nach dem Gesetz für eine solche Maßnahme jedenfalls sein Einverständnis erteilen muss (widrigenfalls das Umschulungsgeld im Weigerungsfall nicht entzogen werden könnte), besteht im Falle der Erteilung dieses Einverständnisses von dieser Seite her kein Rechtsschutzinteresse an der Erlassung eines Bescheides durch das AMS. Wenn hingegen das AMS mit der versicherten Person kein Einvernehmen erzielen kann und auch eine Vorgehensweise nach § 39b Abs 1 vorletzter Satz AlVG nicht in Betracht kommt, dann hätte die PVA auf Anzeige durch das AMS wohl erneut ein Ermittlungsverfahren iSd § 366 Abs 4 ASVG einzuleiten, und zwar zur Klärung der Frage, ob sich seit der Erlassung des letzten Feststellungsbescheides der Sachverhalt wesentlich geändert hat. Denn wenn der PVA das Recht zum Widerruf der Feststellung zusteht, dass berufliche Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar sind, dann sehe ich kein Hindernis für eine amtswegige Abänderung des Bescheides im Falle nachträglich geänderter Verhältnisse.

10.
Zusammenfassung

Es ist sicher noch zu früh, sich ein Urteil über die Neugestaltung der pensionsvermeidenden beruflichen Rehabilitation zu bilden. Legistisch scheint nicht alles wirklich geglückt zu sein. Eine Novellierung, zum Teil auch Ergänzung des normativen Materials soll – wie der kürzlich ausgesandte Ministerialentwurf zeigt* – mit dem SVÄG385 2014 erfolgen. Man muss abwarten, wie das neue Modell von den Betroffenen angenommen und wie die Bürokratie mit den eher komplexen Verfahrensanforderungen zurecht kommen wird. Im Hinblick darauf, dass dieses neue Rehabilitationskonzept in einem engen Zusammenhang mit den Bemühungen steht, angesichts einer ungünstigen demographischen Entwicklung im Interesse der Erhaltung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen PV das effektive Pensionsantrittsalter nach oben zu drücken,* kann man dem Modell nur viel Erfolg wünschen. Denn „entscheidend für den Erfolg der Rehabilitation ist die positive Einstellung des Versicherten, seine Überzeugung, dass die Rehabilitation im Vergleich zur Pension die für ihn vorteilhaftere Maßnahme darstellt“.*

Besonders hoffnungsvoll stimmen mich Ansätze wie § 39b Abs 5 letzter Satz AlVG, der die berufliche Rehabilitation auch Menschen eröffnet, die nach Erschöpfung ihres Entgeltfortzahlungs- und ihres Krankengeldanspruches noch in einem Dienstverhältnis stehen. Diese Bestimmung ermöglicht auch nach schweren und länger dauernden Erkrankungen eine schrittweise Wiedereingliederung auf den Arbeitsplatz beim bisherigen AG, wie sie in Deutschland zB beim sogenannten „Hamburger Modell“ seit längerem mit Erfolg praktiziert wird.* Auf diesen Problemkreis kann im gegebenen Zusammenhang zwar nicht weiter eingegangen werden, es ist jedoch evident, dass eine Rehabilitation auf einen Arbeitsplatz beim bisherigen AG besonders günstige Aussichten darauf eröffnet, dass die Maßnahme auch nachhaltig wirkt.