41(Keine) Folgen der Verletzung einer Kollektivvertragsregel; KollV und Truckverbot
(Keine) Folgen der Verletzung einer Kollektivvertragsregel; KollV und Truckverbot
Selbst „Pausen“-Zeiten auf Grund einer, nach dem Gastronomie-KollV unzulässigen zweiten Unterbrechung der täglichen Arbeitszeit sind Freizeit und mangels gegenteiliger Regelung im KollV nicht entgeltpflichtig.
Individuell vereinbarte Naturalleistungen dürfen auf den Kollektivvertragsmindestlohn nur dann angerechnet werden, wenn dies der KollV selbst vorsieht und wenn zudem die sozialpolitische Zweckbestimmung der Existenzsicherung eingehalten ist.
Ist in einer (Landes-)Lohnordnung zum Gastronomie-KollV die Höhe des Kostenersatzes für eine vom AG beigestellte Wohnversorgung nicht festgesetzt, obwohl dies nach dem KollV vorgesehen ist, so liegt deren arbeitsvertragliche Vereinbarung mit einem Satz, der unter den tatsächlichen Kosten liegt, dem Willen der Kollektivvertragsparteien erkennbar näher als die Rechtsfolge der Unentgeltlichkeit.
Die Kl war vom 11.5.1991 bis September 2010 in einem Gasthof [...] als Küchengehilfin beschäftigt. Auf das Beschäftigungsverhältnis war der KollV für Arbeiter in der Hotellerie und Gastronomie (früher Hotel- und Gastgewerbe) anzuwenden. [...] Es handelte sich um einen Ganzjahresbetrieb, in dem mehr als zwei familienfremde AN beschäftigt waren. Die Kl arbeitete stets an sechs Tagen pro Woche, und zwar von 7:30 Uhr bis 9:00 Uhr, von 12:00 Uhr bis 14:00 Uhr und von 19:30 Uhr bis 21:30 Uhr. [...] Der Kl stand ein Personalzimmer zur Verfügung, in dem sie dauerhaft, also auch in dienstfreien Zeiten, Unterkunft nahm. Zudem erhielt sie regelmäßig drei Mahlzeiten täglich; ihr war es auch gestattet, zwischendurch Essen und Getränke zu konsumieren. Mit der Kl war vereinbart, dass sie für Kost und Logis monatlich 196,20 € netto (dieser Wert galt ab 1.1.2007) zu bezahlen hat und dieser Betrag vom jeweiligen Lohn in Abzug gebracht wird. [...]
Die Kl begehrte restliches Entgelt für den Zeitraum September 2007 bis August 2010. Soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung brachte sie vor, dass laut KollV eine mehrfache Unterbrechung der täglichen Arbeitszeit unzulässig sei. Aus diesem Grund seien auch die Zeiten der zweiten Arbeitszeitunterbrechung in die Arbeitszeit einzubeziehen bzw abzugelten. Unter Berücksichtigung der Pausenzeiten habe sie an sechs Tagen in der Woche eine Wochenarbeitszeit von zumindest 64,5 Wochenstunden erbracht, woraus sich eine Überstundenleistung von 24,5 Stunden in der Woche und von 106 Stunden pro Monat ergebe. [...] Eine Vereinbarung, wonach sie für Kost und Logis einen Betrag zu entrichten habe, sei nicht getroffen worden. Außerdem sei das kollektivvertragliche Mindestentgelt zur Gänze in bar auszuzahlen, weshalb Sachleistungen davon nicht in Abzug gebracht werden dürften. [...]
Das Erstgericht wies das Klagebegehren [...] ab. [...]
Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Nach Pkt 2 lit a des KollV sei Arbeitszeit jene Zeit, während der sich der AN im Betrieb zur Verfügung des AG halten müsse. Die Zeiten der Ruhepausen seien demnach nicht in die Arbeitszeit einzurechnen. Für den Fall, dass die tägliche Arbeitszeit entgegen Pkt 2 lit g des KollV durch mehr als eine Ruhepause unterbrochen werde, hätten die Kollektivvertragsparteien keine Regelung getroffen. Daraus sei der Schluss zu ziehen, dass eine Abgeltung der „zweiten Pause“ von den Kollektivvertragsparteien nicht gewollt gewesen sei. Die Kl könne daher nicht die Abgeltung weiterer Arbeitsstunden fordern. Die Inanspruchnahme von Mahlzeiten und Wohngelegenheiten im Betrieb des AG unterliege laut Pkt 11 des KollV der freien Vereinbarung zwischen AG und AN. Dies gelte auch für die Wohnkosten, zumal die Lohnordnung für Tirol dafür keine Kostenfestsetzung enthalte. Das Argument, dass der Kl das kollektivvertragliche Mindestentgelt in bar zur Verfügung stehen müsse und Sachbezüge darauf nicht angerechnet werden dürften, sei nicht maßgebend, weil der anzuwendende KollV selbst eine dem Barzahlungsgebot entgegenstehende Anordnung enthalte. Da Wohnen und Essen zu den lebensnotwendigen Bedürfnissen zähle, sei der Abzug vom Nettolohn im Anlassfall nicht zu beanstanden. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zu den Konsequenzen einer unzulässigen zweiten Arbeitspause pro Tag einerseits sowie zur Abzugsfähigkeit vereinbarter Gegenleistungen für Kost und Logis vom kollektivvertraglichen Mindestlohn andererseits höchstgerichtliche Rsp fehle. [...]
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Kl ist der KollV für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe anzuwenden. Eine Ausnahme für Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG und für ländliche Kleinbetriebe mit weniger als drei familienfremden AN (siehe dazu Pkt 2 lit g des KollV) liegt nicht vor. [...]
2. Im Anlassfall ist unstrittig, dass die tägliche Arbeitszeit der Kl – entgegen Pkt 2 lit g des KollV – mehr als einmal unterbrochen wurde. Die Kl zieht daraus den Schluss, dass ihre tägliche Einsatzzeit 14 Stunden betragen habe. Zeiten einer unzulässigen Arbeitszeitunterbrechung (zweite Unterbrechung von 14:00 Uhr bis 19:30 Uhr: zusätzlich 5,5 Stunden minus 1 Stunde Ruhepause) seien abzugelten. Dem KollV könne nicht unterstellt werden, dass er für eine unzulässige Unterbrechung der täglichen Arbeitszeit keine Sanktion vorsehe.
3.1 Allgemein gilt, dass das Arbeitsentgelt entfällt, soweit der AN seine Arbeit nicht leistet und kein Entgeltfortzahlungstatbestand vorliegt (Rebhahn in ZellKomm2 § 1152 ABGB Rz 71). Der Begriff der Arbeitszeit nach dem AZG ist an diesen Grundsatz420 angepasst und steht mit diesem damit im systematischen Einklang. Demnach ist Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Ruhepausen. Die Arbeitszeit beginnt mit der Aufnahme der vereinbarten Arbeit bzw mit dem Zeitpunkt, ab dem der AN dem AG vereinbarungsgemäß zur Verfügung steht (§ 2 Abs 1 AZG; Löschnigg, Arbeitsrecht11 Rz 6/410). Aus arbeitsrechtlicher Sicht besondere arbeitsfreie Zeiträume sind vor allem Urlaub, Krankenstand und Feiertage. Für solche Zeiträume ist gesetzlich oder kollektivvertraglich eine besondere Entgeltpflicht iS einer Entgeltfortzahlung angeordnet. Den angeführten Zeiträumen ist gemein, dass es sich nicht um Arbeitszeit, sondern um entgeltpflichtige Zeiten ohne Arbeitspflicht handelt (vgl 8 ObA 47/13i). Besondere Regelungen bestehen auch für Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft. Für diese Zeiten ist ebenfalls charakteristisch, dass der AN dem AG zur Verfügung steht. Für die Arbeitsbereitschaft, die zur Arbeitszeit zählt, ist maßgebend, dass sich der AN an einem vom AG bestimmten Ort aufzuhalten hat, um im Bedarfsfall jederzeit die Arbeitsleistung aufnehmen zu können (Löschnigg, aaO Rz 6/556; Grillberger in
Demgegenüber ist eine Ruhepause nach allgemeinem Verständnis nicht Arbeitszeit, sondern unbezahlte Freizeit. Es handelt sich um Unterbrechungen der Arbeitszeit, die der Erholung und den sonstigen Lebensbedürfnissen des AN dienen. Sie müssen deshalb im Voraus umfangmäßig feststehen und für den DN vorhersehbar sein. Zudem muss es sich um echte Freizeit handeln, dh, der AN muss über diese Zeit nach seinem Belieben verfügen können (Grillberger, aaO Rz 5; Klein in
3.2 Das AZG regelt nicht, welches Entgelt dem AN für die verschiedenen Formen der Inanspruchnahme der Arbeitskraft zusteht. Dies ist in erster Linie Sache des KollV und – im Rahmen des Günstigkeitsprinzips – der individuellen Vereinbarung (Grillberger, aaO Rz 19). So kann etwa auch zur Bezahlung der Ruhepausen zu Gunsten der AN eine entsprechende Regelung getroffen werden (vgl Klein, aaO § 11 Erl 1).
Das AZG spricht allgemein von Ruhepausen und erfasst damit nicht bloß die vorgeschriebenen Mindestpausen (§ 11 AZG), sondern auch zusätzlich vereinbarte Pausen (Grillberger, aaO Rz 7).
3.3 Bei der hier in Rede stehenden zweiten täglichen Arbeitszeitunterbrechung handelt es sich ohne Zweifel um eine Ruhepause iSd dargestellten arbeitsrechtlichen Grundsätze. Es besteht weder eine Arbeitspflicht noch eine Bereithaltungspflicht zu Gunsten des AG. Die fragliche Zeit steht dem AN zur freien Verfügung.
4.1 Die einschlägigen Regelungen des anzuwendenden KollV weichen, wie sich im Folgenden ergibt, vom dargestellten synallagmatischen System nicht ab.
Zur Auslegung der Bestimmungen eines KollV ist festzuhalten, dass dafür in erster Linie der Wortsinn, auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen, zu erforschen und die sich aus dem Text des KollV ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen ist. Im Zweifel ist unter Zugrundelegung dieses Verständnisses mittels objektiv teleologischer Interpretation nach dem Sinn und Zweck zu fragen, den die Regelung mit Rücksicht auf den Systemzusammenhang vernünftigerweise haben kann (8 ObA 47/13i).
4.2 Nach Pkt 2 lit a des KollV ist Arbeitszeit nur die Zeit, während der sich der AN im Betrieb zur Verfügung des AG halten muss. Daneben bestehen Ruhepausen und die wöchentliche Ruhezeit; dabei handelt es sich um Freizeit. In lit f leg cit wird der Begriff „Ruhepausen“ mit dem Klammerausdruck „(Essenspausen)“ verknüpft und dazu angeordnet, dass diese Pausen auf eine Stunde täglich beschränkt bleiben. Zudem wird klargestellt, dass auch als Ruhepausen (Essenspausen) nur Zeiten gelten, während derer sich der AN nicht zur Verfügung halten muss. In lit g leg cit wird die tägliche Ruhepause (Ruhezeit) nach Beendigung der Tagesarbeitszeit geregelt. Zudem wird die Unterbrechung der täglichen Arbeitszeit ermöglicht und dazu angeordnet, dass die Arbeitszeit an einem Arbeitstag – abgesehen von den Essenspausen iSd lit f des KollV – nur einmal unterbrochen werden darf. Klargestellt wird wiederum, dass eine Arbeitszeitunterbrechung nicht zur Arbeitszeit gehört und sich der AN daher nicht im Betrieb zur Verfügung des AG halten muss.
Aus einer logisch systematischen Auslegung dieser Bestimmungen folgt, dass für die Frage der Entgeltpflicht nach Pkt 2 des KollV das Element der Verfügbarkeit im Betrieb des AG maßgebend ist. Schon aus der allgemeinen Formulierung in lit a leg cit folgt, dass der KollV nicht nur die Essenspausen als Ruhepausen qualifiziert. Dies wird durch die Anordnung in lit g bestätigt, wonach zusätzlich zu den Essenspausen tägliche Ruhepausen während des Arbeitstages sowie nach der Arbeitszeit vorgesehen sind. Die Ruhepausen nach lit g (Essenspausen) stellen somit eine besondere Form der Ruhepausen dar. Daneben handelt es sich auch bei vereinbarten Arbeitszeitunterbrechungen um Ruhepausen.
4.3 Mit Bezug auf den Anlassfall ist richtig, dass die zweite tägliche Ruhepause der Kl (von 14:00 Uhr bis 19:30 Uhr) nach Pkt 2 lit g des KollV unzulässig ist. Entgegen der Ansicht der Kl kann die Entgeltpflicht für die Zeit dieser Ruhepause aber nicht allein aus dem Vorliegen eines Verstoßes gegen den KollV abgeleitet werden. Vielmehr müsste die Entgeltpflicht für diese echte Freizeit im KollV ausdrücklich vorgesehen sein, was aber nicht der Fall ist.
Gerade der von der Kl ins Treffen geführte Umstand, dass den Kollektivvertragsparteien die Praxis bekannt sei, mehr als eine Arbeitszeitunterbrechung pro Arbeitstag zu vereinbaren, spricht gegen die von der Kl argumentierte Lösung. Hätten die Kollektivvertragsparteien die Sanktion in finanziellen Konsequenzen gesehen, so wäre es ein Leichtes gewesen, dies auch anzuordnen. Dies umso mehr, als der KollV von den arbeitsrechtlichen Grundsätzen421 gerade nicht abweicht und Arbeitszeit daher nur dann vorliegt, wenn sich der AN im Betrieb zur Verfügung des AG hält.
4.4 Warum die von der Kl angesprochene Überschneidung von öffentlichem Arbeitsrecht (AN-Schutz) und privatem Arbeitsrecht (Entgeltlichkeit) zur Entgeltpflicht von Ruhepausen führen soll, vermag auch die Kl nicht schlüssig zu begründen. Selbst wenn das AZG keine Aussage über die Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit trifft, zeigt sich aus der Interpretation der einschlägigen Regelungen des KollV doch, dass die Entgeltpflicht laut KollV an den arbeitszeitrechtlichen Grundsätzen iSd AZG anknüpft und nicht von dessen Systematik abweicht. Die von der Kl argumentierte entgeltliche Sanktion des Verstoßes gegen den KollV (Pkt 2) ist somit keineswegs die logische Konsequenz der Interpretation des KollV.
4.5 Insgesamt stellt die zweite tägliche Ruhepause der Kl entgegen ihrer Ansicht weder eine Arbeitsbereitschaft noch eine „Zurverfügunghaltung im Betrieb des Arbeitgebers“ noch sonst Arbeitszeit iSd KollV dar. Sie kann sich daher nicht auf daraus resultierende zusätzliche Entgeltansprüche berufen.
5. Zum Thema Kost und Logis wurde zwischen der Kl und dem AG vereinbart, dass der Kl dafür monatlich ein Betrag von 196,20 € netto von ihrem jeweiligen Lohn abgezogen wird. Die Kl vertritt dazu den Standpunkt, der Abzug für Mahlzeiten und Wohngelegenheit sei nicht zulässig, weil nach § 78 GewO 1859 der kollektivvertragliche Mindestlohn zur Gänze in einem Geldbetrag zur Verfügung stehen müsse. Eine vertragliche Disposition zwischen AG und AN sei über die Geldzahlung des Mindestentgelts nicht möglich. Jedenfalls sei der Abzug für Wohngelegenheit nicht berechtigt. Die Festlegung des entsprechenden Betrags sei den Kollektivvertragsparteien (im Rahmen des jeweils gültigen Lohnabkommens) vorbehalten worden. Für Tirol sei in der zugrunde liegenden Lohnordnung ein solcher Betrag nicht festgesetzt worden.
Auch mit diesen Überlegungen ist die Kl nicht im Recht.
6.1 In Pkt 11 Satz 1 des KollV wird ausdrücklich geregelt, dass die Inanspruchnahme von Mahlzeiten und Wohngelegenheiten im Betrieb der freien Vereinbarung zwischen AG und AN vorbehalten bleibt. Aus diesem Wortlaut ergibt sich unmissverständlich, dass die Frage, ob Kost und Logis vom AN in Anspruch genommen wird, einzelvertraglich zu regeln ist. Aus der Bezugnahme auf die „für die Inanspruchnahme in Betracht kommenden Kosten“ folgt im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen, dass die Inanspruchnahme einer solchen besonderen Leistung des AG nicht unentgeltlich zu erfolgen hat. Im Grundsatz ist somit auch die Höhe der Kosten zu vereinbaren.
6.2 Zu den Wohngelegenheiten wird normiert, dass die dafür in Betracht kommenden Kosten zwischen den Vertragspartnern zu vereinbaren und im jeweils gültigen Lohnabkommen festzulegen sind. Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf die Inanspruchnahme, sondern nur auf die Höhe der Wohnkosten. Auch wenn in einer Kollektivvertragsbestimmung, die eine Vereinbarung zwischen AG und AN zum Gegenstand hat, die Wendung „zwischen den Vertragspartnern zu vereinbaren“ prima vista nicht für einen Hinweis auf die Kollektivvertragsparteien spricht, folgt doch aus der Bezugnahme auf das Lohnabkommen (siehe dazu Pkt 8 lit a des KollV), dass die Wohnkosten grundsätzlich von den Kollektivvertragsparteien festgelegt werden sollen. Nach dem ausdrücklich in der in Rede stehenden Kollektivvertragsbestimmung angeführten Zweck soll dadurch eine Verdienstspanne für den AG verhindert werden.
Wird in der gültigen Lohnordnung ein solcher Betrag nicht festgesetzt, so bleibt es dennoch bei der grundsätzlichen Kollektivvertragsregelung, wonach die Inanspruchnahme von Mahlzeiten und Wohngelegenheiten der freien Vereinbarung zwischen AG und AN unterliegt. Besteht kein Zweifel an der Einhaltung der erwähnten Zweckbestimmung des Regelungsvorbehalts zu Gunsten der Lohnordnung, so liegt eine entgeltpflichtige Lösung durch eine entsprechende einzelvertragliche Regelung dem Willen der Kollektivvertragsparteien erkennbar näher als die von der Kl argumentierte Rechtsfolge der Unentgeltlichkeit der Wohngelegenheit. Der KollV geht nämlich eindeutig von der Gegenleistungspflicht für die besondere, ohne vertragliche Regelung vom AG nicht geschuldete Leistung aus.
6.3 Im Anlassfall lässt die Kl die Beurteilung des Berufungsgerichts unbeanstandet, dass der vom Bekl für Kost und Logis verrechnete Betrag die (amtsbekannten) Gestehungs- bzw Anschaffungskosten im Großraum Innsbruck nicht übersteige. Eine Verdienstspanne für den Bekl ist damit ausgeschlossen. Die von den Streitteilen getroffene Vereinbarung ist daher auch für die Gegenleistungspflicht für Kost und Logis maßgebend.
In dieser Hinsicht wird in Pkt 11 letzter Satz des KollV angeordnet, dass die festgesetzten (bzw vereinbarten) Beträge vom Lohn einbehalten werden. Auch der Abzug vom Lohn (im Wege der vom Berufungsgericht dargelegten Kompensation) ist nach der in Rede stehenden Kollektivvertragsregelung somit zulässig.
7.1 Zum Geldzahlungsgebot nach § 78 GewO 1859 verweist die Kl selbst zutreffend auf die Ausnahmebestimmungen der Abs 2 und 3. Ungeachtet der Frage, ob sich das in Rede stehende Gebot nicht überhaupt nur auf den „mindestens angemessenen Grundlohn“ bezieht und die Ausnahmen nach Abs 2 und 3, zu denen auch Kosten für Wohnung und Lebensmittel bzw „Beköstigung“ gehören, daher auch von dieser Größe (angemessenes Mindestentgelt) abzugsfähig sind (vgl dazu Preiss in ZellKomm2 § 78 GewO 1859 Rz 4 f), stützt sich die Kl nur auf die Ansicht, dass kollektivvertragliche Mindestentgelte, die (üblicherweise) in Geldbeträgen vorgesehen sind, jedenfalls in Geld zu entrichten seien und in Naturalien nicht abgegolten werden dürften; dies gelte auch in Bezug auf Naturalleistungen, die unmittelbar der Existenzsicherung dienten, wie Wohnung oder Nahrung; auf einen Günstigkeitsvergleich komme es nicht an (vgl dazu Preiss, aaO Rz 7).
7.2 Im gegebenen Zusammenhang ist der bloße Hinweis auf die Judikatur des VwGH zur sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflicht (VwGH92/08/0150, 95/08/0037, 2002/08/0089: Hinzurechnung jedes Sachbezugs zum Mindestentgelt bei Ermittlung der Beitragsgrundlage) verkürzt.422
Wie Binder in seiner Untersuchung (Zur Wiederentdeckung des „Truckverbots“ oder Gedanken über das Verhältnis von Barzahlungsgebot zum Naturalentgelt, in FS Bauer/Maier/Petrag 111 [117]) zutreffend aufzeigt, wird durch das Barzahlungsgebot (als Entgeltsicherungseffekt) gewährleistet, dass dem AG prinzipiell keine Abzugsrechte zustehen, die nicht durch Gesetz oder kollektive Gestaltungsmittel im Rahmen ihrer Kompetenz eröffnet werden. Die Art und Weise der Entgeltzahlung könne nur aus der spezifischen lohngestaltenden Vorschrift, der Branche und der übertragenen Arbeitsaufgabe abgeleitet werden. Der wahre Grund für die Ablehnung jeglicher Naturalsubstitution sei im Zweck der kollektivvertraglichen Mindestentgelte, der auf die Deckung des AN-Grundbedarfs gerichtet sei, zu finden. Das kollektivvertragliche Mindestentgelt diene funktionell in der Regel der Abdeckung der Elementarbedürfnisse. Die Preisgünstigkeit angebotener Naturalbezüge könne nicht dazu führen, dass sich der AN seiner Dispositionsmöglichkeiten bezüglich der Verwendung des Mindestentgelts begebe. Die Aufrechterhaltung der Konsumsouveränität des AN sei somit als eigenständiger sozialpolitischer Wertmaßstab im Kriterienkatalog des Günstigkeitsprinzips zu beachten und gegenüber einem Kostenvorteil bei Sachbezügen prinzipiell höherrangig (Binder, aaO 120 und 121).
7.3 Da das dargestellte Anrechnungsverbot für (individuell) vereinbarte Naturalleistungen auf den existenzsichernden Mindestlohn aus den Lohnregelungen des KollV und dem Zweck des kollektivvertraglichen Mindestlohns abgeleitet wird, muss eine Durchbrechung dann zulässig sein, wenn sie der KollV selbst vorsieht und wenn zudem die sozialpolitische Zweckbestimmung der Existenzsicherung eingehalten ist.
Diese Voraussetzungen sind hier für Kost und Logis gegeben. Der KollV sieht eine Einbehaltemöglichkeit (Abzugsfähigkeit) der Kosten für eine vereinbarte Inanspruchnahme von Kost und Logis in Pkt 11 ausdrücklich vor. Essen und Wohnen gehören zweifellos zu den Grundbedürfnissen, sodass auch der sozialpolitische Zweck der Bestimmung des § 78 GewO 1859 eingehalten ist (vgl Preiss, aaO Rz 4). Entgegen der Ansicht der Kl widerspricht die in Rede stehende Kompensation somit nicht dem konkreten sozialpolitischen Zweck der kollektivvertraglichen Mindestnorm (vgl RIS-Justiz RS0051081).
7.4 Auf die E 9 ObA 112/03skann sich die Kl nicht berufen. Dort ging es um die Frage, ob der AG einseitig, also ohne Vereinbarung mit dem AN, Sachbezüge auf das kollektivvertragliche Mindestentgelt anrechnen kann. Auch die Qualifikation der Sachbezüge als „Aliud“ hat sich nur auf den Umstand der einseitigen Vorgangsweise des AG bezogen. Im Anlassfall liegt aber weder eine einseitige Anordnung des AG noch ein einseitiges Abgehen von einer kollektivvertraglichen Vereinbarung (vgl RIS-Justiz RS0117393) vor.
Insgesamt steht der Kl somit auch keine Refundierung der vom Bekl vorgenommenen Abzüge für Kost und Logis zu.
8.1 Zusammenfassend ergibt sich:
Für das Vorliegen entgeltpflichtiger Arbeitszeit nach Pkt 2 des KollV für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe ist das Element der Verfügbarkeit des AN im Betrieb des AG maßgebend. Daran mangelt es bei täglichen Ruhepausen, zu denen neben den Essenspausen auch andere vereinbarte Arbeitszeitunterbrechungen gehören. Selbst Zeiten einer nach dem KollV unzulässigen (mehrfachen) Unterbrechung der täglichen Arbeitszeit sind Freizeit und mangels gegenteiliger Regelung im KollV nicht entgeltpflichtig. Nach Pkt 11 des KollV ist die Inanspruchnahme von Mahlzeiten und Wohngelegenheiten einzelvertraglich zu regeln. Dies gilt auch für die Höhe der Essenskosten, mangels Festsetzung der Wohnkosten im jeweils gültigen Lohnabkommen grundsätzlich auch für diese. Derartige Kosten sind auch vom kollektivvertraglichen Mindestentgelt dann abzugsfähig, wenn der KollV dies vorsieht und die sozialpolitische Zweckbestimmung der Existenzsicherung eingehalten ist.
Die E behandelt die äußerst bedeutsame Frage, welche Folgen der Verstoß gegen eine Kollektivvertragsbestimmung hat, für deren Verletzung der KollV selbst keine ausdrückliche Sanktion vorsieht; doch sie tut es fast ein wenig salopp: Diese Konstellation ist weit eher die Regel als die Ausnahme und verdient grundsätzliche Untersuchung! Ich denke, dass in solchen Fällen zunächst durch Kollektivvertragsinterpretation zu klären ist, ob der jeweilige KollV die Anordnung als sanktionsfreie bloße „Ordnungsvorschrift“ vorsieht oder ob das nicht angenommen werden kann (Pkt 2). Führt diese Untersuchung zum Ergebnis, dass nicht von einer reinen Ordnungsvorschrift ausgegangen werden kann, ist zu klären, welche Sanktion für die Verletzung entweder einschlägige Gesetze, der KollV selbst indirekt, oder allgemeine zivilrechtliche Regelungen, insb das Schadenersatzrecht, vorsehen. Diese Prüfung soll hier exemplarisch an Hand des KollV für ArbeiterInnen der Hotellerie und Gastronomie (Gastronomie-KollV) erfolgen (Pkt 3). Das Prüfschema ist aber mE stets anwendbar.
Die zweite Frage, welche die E anspricht, betrifft das grundsätzliche Verhältnis von Kollektivvertragsregeln zur gesetzlichen Regelung des Truckverbotes (§ 78 GewO 1859). Die Lösung des OGH, dass die im Gastronomie-KollV vorgesehenen Entgeltabzüge für vom AG erbrachte Sachleistungen nicht gegen das Truckverbot verstoßen, ist mE überzeugend. Spannend bleibt aber die Frage, welche Folgen ein im KollV abstrakt vorgesehener Entgeltabzug dann hat, wenn die vorgesehene Konkretisierung seiner Höhe durch eigene, auf Landesebene abzuschließende Kollektivverträge unterblieben ist (Pkt 4).
Dass im Anlassfall, gemessen an den Regeln des AZG, keine Arbeitszeit (auch nicht als Arbeits- oder Rufbereitschaft) vorlag, ist zweifellos richtig. Nach dieser Klarstellung hat der OGH völlig zu Recht untersucht, ob der Gastronomie-KollV andere Arbeitszeit423begriffe verwendet oder eine explizite Norm dieses KollV eine sonstige Entgeltzahlungspflicht für die fraglichen Stunden vorsieht. Auch das war prima vista zu verneinen.
Ebenso klar hat das Höchstgericht aber festgestellt, dass die Anordnung des Pkt 2 lit g Gastronomie-KollV, wonach in Gaststätten der fraglichen Kategorie die Arbeitszeit nur einmal „geteilt“ werden darf, verletzt wurde. Der Zweck dieser Regelung liegt auf der Hand und wird durch die Begrenzung der Höchstdauer von Ruhepausen in Pkt 2 lit f Gastronomie-KollV nochmals bestätigt: Der Arbeitsanfall in der Gastronomie weist notorisch Arbeitsspitzen rund um Frühstück, Mittag- und Abendessen auf. AG haben daher ein erhebliches Interesse, die Arbeitszeitverteilung so zu gestalten, dass zu diesen drei Bedarfsspitzen genügend Personal zur Verfügung steht; sie möchten dieses aber in den auslastungsschwachen Zeiten dazwischen möglichst nicht bezahlen. Eine „zerrissene“ Tagesarbeitszeit mit jeweils einigen Stunden Unterbrechung erlaubt andererseits keine für AN nützliche Freizeitgestaltung bzw schränkt diese erheblich ein. Daher erlaubt der Gastronomie-KollV, abgesehen von der gesetzlich vorgesehenen Ruhepause, nur eine einmalige Unterbrechung, im Grunde also nur einmalige Teilung der Arbeitszeit und begrenzt die zulässige Höchstdauer der Erholungspause mit einer Stunde. Lediglich in Kleinstbetrieben und Saisonbetrieben mutet er AN eine zerrissene Arbeitszeit zu: Bei letzteren wohl wegen der auf einige Monate begrenzten Dauer der Beschäftigung, bei ersteren offenkundig in Anerkennung der personalwirtschaftlichen Gegebenheiten solcher Unternehmen. Damit ist eine klare und ausgewogene Lastenverteilung zwischen AN und AG hinsichtlich der Folgen der schwankenden Auslastung erfolgt.
Gemessen an einem solchen, doch wesentlichen Ziel und der ersichtlichen doppelten Absicherung spricht zunächst gar nichts dafür, dass der KollV eine solche Anordnung sanktionsfrei gestaltet. Es handelt sich um ein sozialpolitisch wichtiges Anliegen und eine klare materielle Regel. Durch eine bloße Ordnungsvorschrift kann das verfolgte Ziel nicht erreicht werden. Sie würde die differenzierte Lastenverteilung unwirksam machen und eher eine „Schwarze-Schafe“-Förderung etablieren. Ein Blick auf die anderen Arbeitszeitvorschriften des KollV zeigt auch, dass für vergleichbar gewichtige Verstöße durchwegs Sanktionen vorgesehen sind – allerdings auch diese keineswegs explizit:
Pkt 2 lit b Gastronomie-KollV erlaubt eine Arbeitszeitdurchrechnung und begrenzt deren Dauer ebenso wie die in einzelnen Wochen höchstzulässige Normalarbeitszeit. Es ist keine Sanktion festgelegt, aber aus den §§ 4 und 6 AZG ergibt sich zweifelsfrei, dass bei Nichteinhaltung dieser Regeln eben keine durchgerechnete Normalarbeitszeit, sondern Überstunden vorliegen.
Ebenso wenig sieht Pkt 2 lit d Gastronomie-KollV eine explizite Sanktion für den Fall der unzulässigen, einseitigen Festlegung des Zeitpunktes des Ausgleichs von Zeitguthaben vor. Auch hier kann aber wohl nicht zweifelhaft sein, dass diesfalls der Ausgleich eben nicht zustande gekommen ist und die Zeitguthaben somit erhalten bleiben.
Pkt 2 lit f Gastronomie-KollV legt ausdrücklich fest, dass als Ruhepausen (Essenspausen) nur die Zeiten gelten, während der sich AN nicht zur Verfügung halten müssen. Die Sanktion ist gleichfalls klar: Müssen sich AN doch zur Verfügung halten, liegt keine Ruhepause, sondern Arbeitszeit vor.
Pkt 2 lit g Gastronomie-KollV enthält die ausdrückliche Anordnung eines 100 %-Lohnzuschlages, wenn eine von elf auf zehn Stunden verkürzte Ruhezeit nicht innerhalb von zehn Kalendertagen ausgeglichen wird.
Es gibt also keine Arbeitszeitanordnung des KollV Gastronomie, die nicht sanktioniert wäre. Warum sollte gerade die Höchstzahl bzw Höchstdauer von Unterbrechungen der Arbeitszeit sanktionsfrei sein? Insb der Vergleich mit der Verkürzung der Ruhezeit macht dies deutlich: Eine Kürzung der täglichen Ruhezeit von elf auf zehn Stunden ist ein vergleichsweise viel gelinderer Eingriff in die Freizeit des/der AN als die im Anlassfall vorgenommene zweifache Unterbrechung der Arbeitszeit! Bei der Ruhezeit sieht der KollV eine unbestreitbare, explizite Sanktion vor. Ähnliches regelt Pkt 3 lit b des KollV hinsichtlich der Wochen(end)-ruhe. Dann kann aber schon aus systematischer Sicht nicht angenommen werden, dass der vergleichsweise gewichtigere Verstoß im Anlassfall nach dem Willen des Gastronomie-KollV sanktionsfrei bleiben sollte!
Die Rsp hat sich mit der Frage, welche Kollektivvertragsbestimmungen als sanktionsfreie „Ordnungsvorschriften“ (im technischen Sinne) anzusehen seien, in mehreren Entscheidungen befasst: So wurde zum KollV Textilgewerbe entschieden, dass die Pflicht, eine vertraglich vereinbarte kürzere Kündigungsfrist im Dienstzettel zu dokumentieren, keine bloße Ordnungsvorschrift ist, sondern ihre Verletzung die Unwirksamkeit der Verkürzung zur Folge hat (OLG Wien9 Ra 182/04gARD 5613/6/2005). Ähnlich wurde zum KollV für Angestellte der Elektrizitätsversorgungsunternehmungen ausgesprochen, dass die Pflicht, eine BV ua zur Höhe des Entgelts für Rufbereitschaften abzuschließen, keine bloße Ordnungsvorschrift sei und deren Verletzung einen Entgeltanspruch in Höhe jener Entlohnung zur Folge hat, die der KollV für im Wesentlichen vergleichbare Tätigkeiten vorsieht (OGH8 ObA 321/01sArb 12.266).
Gemessen an dieser Rsp ist die vorliegende E eher überraschend und von der bisherigen Linie abweichend. Man darf aber nicht übersehen, dass der OGH offenbar ohnedies nicht von einer bloßen Ordnungsvorschrift ausgeht: Er untersucht präzise die dafür in Betracht kommenden Möglichkeiten, insb auch das Vorliegen von Arbeitszeit iSd Gastronomie-KollV. Nur weil eine solche Lösung an der diesbezüglich im KollV selbst vorgenommenen, ausdrücklichen Definition scheitert, gelangt das Höchstgericht letztlich, fast resignierend, zum Ergebnis der Sanktionsfreiheit.
Kollektivvertragsnormen sehen aber in aller Regel, wie oft auch gesetzliche Normen, nicht jeweils eine spezifische Sanktion für den Fall der Verletzung vor. Diese ergibt sich viel mehr aus dem übrigen Recht, wenn nicht anders, dann aus dem Schadenersatzrecht. So enthält kein mir bekannter KollV Anordnungen, welche Folgen das Unterschreiten der Mindestlöhne/Gehälter hat – dies ergibt sich ohnedies aus424 der einseitig zwingenden Normwirkung gemäß den §§ 3 und 11 ArbVG. Gerade darum muss zunächst die Prüfung vorgenommen werden, ob von einer sanktionsbewehrten oder von einer sanktionsfreien Anordnung auszugehen ist! Gelangt man wie hier zum Ergebnis einer nach den Intentionen des KollV zweifelsfrei sanktionsbewehrten Anordnung, muss – wenn die Sanktion nicht auf der Hand liegt – im nächsten Prüfschritt diese eruiert werden. ME hat vor allem das Vermengen dieser zwei Prüfschritte den OGH zu einem nicht überzeugenden Ergebnis geführt.
Primär würde man vermuten, wie dies ersichtlich auch der OGH tut, dass schlicht jene Stunden, die über die höchstzulässige Unterbrechungsdauer hinausgehen, als Arbeitsstunden zu werten sind. Nun enthält Pkt 2 lit a Gastronomie-KollV eine Definition der Arbeitszeit, die nicht erfüllt ist, weil sich die Kl weder im Betrieb noch zur Verfügung ihres AG (auf)halten musste. Allerdings ist diese Vorschrift offenkundig nicht vollständig: Einerseits ist die Frage der Rufbereitschaft nicht geregelt, weil zwar die Arbeitsbereitschaft im Betrieb als Arbeitszeit gilt, nicht aber die außerhalb des Betriebes. Andererseits geht Pkt 2 lit a letzter Satz Gastronomie-KollV in offener Verletzung des § 19c AZG von einem einseitigen Gestaltungsrecht des AG hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit und der Ruhepausen bei zudem generell einwöchiger (!) Ankündigungsfrist aus (er enthält diese Regel zumindest seit 1992, sie ist offenbar an die 1997 geänderten Regelungen des AZG nicht angepasst worden; auch nicht iSd § 19c Abs 3 AZG).
Ruft man sich die oben zitierte E zum KollV Elektrizitätsversorgungsunternehmen in Erinnerung, hat das Höchstgericht dort, mangels einer expliziten Festlegung der Höhe des zustehenden Bezahlungsanspruchs auf Ansätze des dortigen KollV für im wesentlichen vergleichbare Tätigkeiten zurückgegriffen. Dabei hat der OGH mangels eines Lohnsatzes für Erreichbarkeit bei beliebigem Aufenthalt die Lohnsätze für die Erreichbarkeit in einem Radius von 4 km rund um die Wohnung, also die Entgelthöhe für eine etwas striktere Einschränkung der Freizeitgestaltung herangezogen, weil es Sätze für die bloße Pflicht, eine mobile Telefoneinrichtung mit sich zu führen, rechtswidrigerweise nicht gab. Folgt man diesem Ansatz, ist es nicht entscheidend, eine „passende“ Arbeitszeitkategorie zu finden (was – siehe oben – auch möglich wäre): Ganz grundsätzlich hängt ja die Frage der Bezahlung bestimmter (Arbeits-)Stunden nur sehr mittelbar mit ihrer Qualifikation entsprechend den verschiedenen Kategorien der Arbeitszeit zusammen (OGH9 ObA 6/09mDRdA 2011/47, 536[Schindler]). Wesentlich ist es, eine „passende“ Lohnkategorie festzustellen.
Mangels sonstigen Ansatzes für die Bezahlung jener Stunden, in denen die Verfügungsmöglichkeit der Kl über ihre Freizeit rechtswidrig beeinträchtigt war, steht daher mE zwar keine Überstundenentlohnung, aber der normale Stundenlohnsatz zu: Wäre auch nur Arbeitsbereitschaft vorgelegen, hätte die Überstundenentlohnung gezahlt werden müssen, weil dann die Arbeitszeitdefinition des Pkt 2 lit a Gastronomie-KollV erfüllt gewesen und wegen Überschreitung der Normalarbeitszeit Überstundenarbeit iSd Gastronomie-KollV vorgelegen gewesen wäre – die Überstundendefinition des Pkt 5 lit a Gastronomie-KollV erfasst diesen Fall. Da aber die Kl nicht gezwungen war, sich im Betrieb aufzuhalten oder erreichbar zu sein, die Einschränkung ihrer Freizeit mit einer Arbeitsbereitschaft also nicht vergleichbar ist, wäre eine Entlohnung auf dieser Basis mit dem Entgeltsystem des KollV nicht im Einklang. Welcher Lohnsatz des KollV ist dann für rechtswidrig erzwungene Pausenzeiten heranzuziehen? ME der nächst niedrigere im KollV festgelegte Satz, also jener für Normalarbeit. Dass zulässige Pausen unbezahlt sind, spricht nicht gegen diese Lösung: Mit gutem Grund wurden sie ja auf eine Stunde täglich begrenzt. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Verletzung der Kollektivvertragsregel zur Höchstdauer bzw -zahl von Arbeitszeitunterbrechungen faktisch oft zu einer tatsächlichen Anwesenheit im Betrieb führt und führen muss, weil die vielen, aber kurzen arbeitsfreien Zeiten nichts Anderes zulassen. Daraus resultiert zwangsläufig eine informelle, aber faktisch und sozial kaum vermeidbare Verfügbarkeit im Bedarfsfall.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich behaupte nicht, dass im Anlassfall irgendeine Art von Arbeitszeit, sei es auch nur Rufbereitschaft, vorlag. Es geht lediglich darum festzustellen, welche Rechtsfolge der KollV Gastronomie für den Fall der Verletzung seiner Arbeitszeit-Teilungsregel vorsieht. In systematischer und teleologischer Interpretation des KollV, insb unter Beachtung der für vergleichbare Verstöße gegen dessen Arbeitszeitregeln eintretenden Folgen, zeigt sich, dass in einem solchen Fall für die rechtswidrig erzwungenen zusätzlichen „Pausen“-Stunden der Stundenlohn gebührt. Nicht zuletzt spricht auch die Aufgabe jedes KollV, innerhalb der Branche Sozialdumping zu verhindern (Kartellfunktion) für diese Lösung: Es wird damit exakt jener wirtschaftliche Vorteil beseitigt, den sich andernfalls ein rechtswidrig handelnder Gastronom im Verhältnis zu seinem rechtstreuen Konkurrenten verschaffen könnte. Um den richtigen Hinweis des Höchstgerichts zu den Quartierkosten (siehe unten Pkt 4) abzuwandeln: Die Rechtsfolge der Pflicht zur Zahlung des Kollektivvertragsmindestlohns für die Dauer einer nach dem KollV unzulässigen Arbeitsunterbrechung liegt „dem Willen der Kollektivvertragsparteien erkennbar näher als die ... Rechtsfolge der Unentgeltlichkeit“.
Lehnt man dieses Ergebnis ab, wäre der Verstoß dennoch nicht folgenlos: In Betracht kommen zunächst bereicherungsrechtliche Ansprüche bzw die Anwendung des § 1152 ABGB. Wie der OGH in der „Peek & Cloppenburg“-E ausgesprochen hat, sind Vorteile, die AG aus der rechtswidrig erhöhten (hier: zeitlich optimierten) Verfügbarkeit von AN ziehen, durch das vereinbarte Entgelt nicht abgegolten. Für solche „Dienste“ steht AN ein angemessenes Entgelt zu (OGH8 ObA 277/01wDRdA 2002/48mit Besprechung von Mosler, DRdA 2002, 461 ff, insb 466). Der OGH erklärt in jener E ausdrücklich, dass die Pflicht, Dauer und Lage der Arbeitszeit zu vereinbaren (§§ 19c, 19d AZG), nicht als bloße Ordnungsvorschrift angesehen und ein Verstoß dagegen nicht folgenlos bleiben kann – die Parallelität der Problematik ist425 offenkundig. Verwirft man auch diesen Ansatz, wären immer noch die Schadenersatzregeln des ABGB anzuwenden und festzustellen, wie hoch der Schaden aus dem rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff in die vom KollV Gastronomie gewährleistete Zeitautonomie zu bewerten ist. Die Höhe solcher Ansprüche ist allerdings viel schwieriger und wohl nur mittels richterlichem Ermessen (§ 273 ZPO) feststellbar; und natürlich müsste ein/e Kl seinen/ihren Anspruch (auch) auf die dargestellten Rechtsgründe stützen.
Die grundsätzlichen Ausführungen der E zum Barzahlungsgebot gem § 78 GewO 1859 überraschen fast: § 78 Abs 2 und 3 GewO 1859 erlaubt ausdrücklich den vereinbarten Abzug der tatsächlich für ein beigestelltes Quartier bzw für Verpflegung aufgewendeten Kosten. Die Ausnahmen vom gesetzlichen Barzahlungsgebot sind daher mit den, vom KollV-Gastronomie statuierten Ausnahmen von dessen Geldzahlungsgebot deckungsgleich. Die Frage, ob der KollV Mindestansprüche, die er selbst schafft, einer weitergehenden Anrechnung unterwerfen dürfte, stellt sich nicht. Da historisch vor allem der Schutz vor Ausbeutung durch überhöhte Preise Anlass für die Regelung war (Viktor Adlers Kampf für die Wienerberger Ziegelarbeiter), wäre sie mE zu verneinen, jedenfalls soweit es um eine Anrechnung höherer Beträge als der Gestehungskosten ginge. Jedenfalls aber sollte das gesetzliche Barzahlungsgebot nicht mit dem, jedem Kollektivvertragsmindestlohn inhärenten Geldzahlungsgebot vermengt werden, wie das zT in der Begründung der E passiert: Die Ausnahmeregeln des § 78 GewO 1859 beziehen sich zwar wohl auch auf Kollektivvertragsmindestentgelte, aber nichts hindert den KollV daran, zu Gunsten der AN striktere Regeln anzuordnen als das Gesetz es tut. Es ist daher stets eine doppelte, keine vermengte Prüfung durchzuführen: Vorgenommene Lohnabzüge für Naturalleistungen müssen sowohl nach dem Gesetz als auch nach dem jeweils anzuwendenden KollV zulässig sein. Erlaubt der KollV keine Anrechnung, ist sie hinsichtlich der Mindestentgelte stets unzulässig.
Ferner hatte die E eine Kollektivvertragsauslegungsfrage zu lösen, die eine auffallende Ähnlichkeit zur oben diskutierten Frage der Folgen einer Verletzung der Arbeitszeit-Teilungsregel aufweist: Pkt 11 Gastronomie-KollV legt fest, dass die für die Inanspruchnahme von Quartieren zu ersetzenden Kosten im jeweiligen Lohnabkommen und somit bundesländerweise festzulegen sind. Eine solche Festsetzung ist allerdings (und nicht nur in Tirol) unterblieben. Unter erneuter Berufung auf die OGH-E zum KollV Elektrizitätsversorgungsunternehmen ist dem OGH zuzustimmen, wenn er spiegelbildlich ausführt, dass die von den Sozialpartnern pflichtwidrig unterlassene Regelung nicht zum Nachteil des einzelnen AG dazu führen kann, dass gar keine Kosten verrechnet werden dürfen. Da Pkt 11 Gastronomie-KollV auch eine inhaltliche Festlegung trifft – die Kosten sind „unter Weglassung einer Verdienstspanne für den Arbeitgeber“ zu vereinbaren –, entspricht eine an dieser Vorgabe orientierte arbeitsvertragliche Vereinbarung viel eher dem angestrebten Normziel, als das Verbot jeglicher Kostenverrechnung. Die Vereinbarung einer Wohnkostenabgeltung in vergleichsweise geringer Höhe ist somit kollektivvertragskonform. Anzumerken ist aber, dass es nicht auf die Gestehungskosten „im Großraum Innsbruck“, sondern auf jene des konkreten AG ankommt.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Kollektivvertragsnormen in aller Regel keine bloßen Ordnungsvorschriften darstellen. In insb systematischer und teleologischer Auslegung ist zu klären, ob dies im Einzelfall ausnahmsweise doch der Fall ist. Wo nicht, ist festzustellen, welche sanktionierende Rechtsfolge, gegebenenfalls implizit, im jeweiligen KollV oder einschlägigen Gesetzen vorgesehen ist. Dabei sind mangelhafte Regelungen ebenso wie zB die mangelnde Festsetzung von Entgelten oder Kostenersätzen durch Rückgriff auf die sachnächste Anordnung des KollV zu sanieren (Lückenschluss). Wenn dies nicht möglich ist, sind insb im Zusammenhang mit AG-Vorteilen aus rechtswidriger Vertragsgestaltung bereicherungsrechtliche Ansprüche, aber auch Ansprüche auf ergänzendes, angemessenes Entgelt (§ 1152 ABGB) und jedenfalls Schadenersatzansprüche zu prüfen. Im Anlassfall hätte das, entgegen der E, zum Zuspruch von Entgelt im Ausmaß des Normalstundenlohnes (nicht aber von Überstundenentgelt) für die rechtswidrig überlange „Pausen“-Zeit führen müssen; der vorgenommene Lohnabzug für das beigestellte Quartier und die Verpflegung wurde hingegen zu Recht für zulässig erachtet.426