Veränderte Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen: Herausforderungen für die betriebliche Mitbestimmung

HEINZLEITSMÜLLERRENÉSCHINDLERHANNESSCHNELLER (WIEN)
Das ArbVG hat sich in den letzten Jahrzehnten weitgehend bewährt. Im EU-Binnenmarkt, in der Informationsgesellschaft und vor dem Hintergrund globalisierter Wirtschaftsentwicklungen werden aber doch einige Probleme und neue Anforderungen sichtbar. Die „New Economy“ des dritten Jahrtausends kann man grob mit den Schlagworten „entgrenzte Wirtschaft“ und „entgrenzte Arbeitsplätze“ skizzieren. Gesetzliche Anpassungen sind vor allem vor dem Hintergrund folgender Entwicklungen erforderlich:
  • Unternehmensgrenzen verschwimmen und Entscheidungszentralen rücken in die Ferne;

  • Betriebsänderungen der Industriegesellschaft von 1974 sind nicht Betriebsänderungen der digitalen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft des 21. Jahrhunderts;

  • aus Betrieben werden „Profitcenter“ und aus AN werden zunehmend „Kostenstellen“ oder sogar – wie im Fall der Zeit-AN – „Sachaufwand“.

    Übersicht
  1. Einleitung

  2. Herausforderungen

    1. Betriebsänderungen der Industriegesellschaft von 1974 sind nicht jene der (digitalen) Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft

    2. Aus Betrieben werden Unternehmen, aus Unternehmen Konzerne

    3. Die Unternehmensgrenzen verschwimmen

    4. Entscheidungszentralen rücken in die Ferne

    5. Neue Technologien im IKT-Bereich – und dennoch schwieriger Zugang zu Informationen

    6. Zunehmende Abwälzung des wirtschaftlichen Risikos auf Beschäftigte

    7. Die „wahre“ Bilanz: verschwimmende Unternehmensgrenzen lassen auch wirtschaftliche Ergebnisse verschwimmen

    8. Zu wenig Transparenz bezüglich nichtfinanzieller Indikatoren

  3. Reformbedarf: Mitbestimmung basiert auf relevanten Informationen und fairer Beratung „auf Augenhöhe“!

    1. Umstrukturierungen, Betriebsübergänge und Betriebsänderungen sind wenigstens „lege artis oeconomiae“ vorzubereiten und zu beraten

    2. Zeitgerechte Mitwirkung bei Wechsel des kontrollierenden Eigentümers

    3. Aufwertung der Branchenschlichtungskommission (§ 111) und der staatlichen Wirtschaftslenkung und Vermittlung (§ 112)

    4. Effiziente Durchsetzung von wirtschaftlichen Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten

    5. Verhinderung und Behinderung von Betriebsratswahlen pönalisieren!

    6. Mitwirkung bei der Gestaltung von Vertragsschablonen488

    7. Der leidige Kündigungsschutz

    8. Effektiver Rechtsschutz beim Sozialplan

    9. Betriebsverfassungsrecht und Arbeitskräfteüberlassung

  4. Resümee

1,
Einleitung

Seit nunmehr 40 Jahren bestimmt das ArbVG den Alltag der betrieblichen Interessenvertretung. Was seine Effektivität betrifft, besteht wohl Einigkeit da rüber, dass das im Gesetz vorgesehene Ziel der Konfliktvermeidung grundsätzlich erreicht wurde; fast alle Auseinandersetzungen werden einvernehmlich und außergerichtlich gelöst. Das liegt zum einen an der Kultur und den Mechanismen der österreichischen Sozialpartnerschaft, ebenso jedoch an den umfangreichen Instrumenten der Interessenvertretung, die der kodifizierte „Werkzeugkasten ArbVG“ enthält. Die Rsp des OGH vertieft das, indem sie floskelhaft den überbetrieblichen und betrieblichen Parteien grundsätzlich zubilligt, „vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelungen“ zu treffen und einen „gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen“ herbeiführen zu wollen.*

Ein anderes Bild zeigt sich, wenn man die Aufgabe der effizienten Vertretung der Interessen der AN betrachtet, die das weit grundsätzlichere Ziel des Gesetzes ist. Sozialer Friede kann ein Mittel sein, diese zu fördern, aber ein Automatismus besteht keineswegs, eher im Gegenteil: Betrachtet man die Entwicklung der Einkommensverteilung (zB der bereinigten Lohnquote), aber auch der Arbeitsbelastung, des Arbeitsmarktes usw, scheint die fortdauernde Geduld der betrieblichen Interessenvertretungen eher auf Resignation zu beruhen, denn auf Erfolgen und der Zufriedenheit mit effizienten gesetzlichen Regeln. Daher ist es an der Zeit, die Praktikabilität dieses Gesetzes nach nunmehr vier Jahrzehnten auch anhand von Rechtsberatungs- und Rechtsvertretungserfahrungen zu evaluieren. Genügen die gesetzlichen Regelungen den intendierten Anforderungen an die wirksame Vertretung der AN-Interessen und ein sozialökonomischen Ausgleich schaffendes Regime? Sind andere, zeitgemäßere Bestimmungen erforderlich, um einer von der Industrie- über die Dienstleistungsgesellschaft zur „digitalen Öffentlichkeit“ sich entwickelnden Gesellschafts- und Wirtschaftsrealität Rechnung zu tragen? Wie könnte eine Reform der ArbVG-Regeln zur betrieblichen Interessenvertretung aussehen, ist eine grundlegende Neuordnung erforderlich oder sollten, unter Beibehaltung der Strukturen und Leitlinien des „Jahrhundertwerks ArbVG“,* nur punktuelle Weiterentwicklungen ins Auge gefasst werden?

2,
Herausforderungen

Die „New Economy“ des dritten Jahrtausends kann man grob mit den Schlagworten „entgrenzte Wirtschaft“ und „entgrenzte Arbeitsplätze“ skizzieren. Einige Daten aus einer Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts (Wien 2014) über Entwicklungen im drittgrößten Produktions-Bundesland Wien (nach Oberösterreich und der Steiermark) können das Auseinanderdriften von Wertschöpfung, Beschäftigtenzahlen und betrieblichen Belegschaftsgrößen veranschaulichen:

Im Zeitverlauf sieht man, bezogen auf den produzierenden Bereich mit mehr als 100 AN pro Unternehmen, dass zwischen 1995 und 2010 die Anzahl dieser Unternehmen (259 –-> 194) und der Beschäftigten (119.861 –-> 84.131) zwar deutlich abgenommen hat, die nominelle Wertschöpfung aber steigt (7,5 Mrd –-> 9,3 Mrd €) und die reale Wertschöpfung (9,0 –-> 9,3 Mrd €) ebenfalls leicht steigt. Es zeigt sich deutlich, dass mit weniger Beschäftigten und in (personell) kleineren Betrieben wesentliche Produktivitätssteigerungen erzielt werden. Die Betriebe sind in der Regel wieder Teil einer komplexen Wertschöpfungskette – mitunter über den gesamten Globus verteilt. Die folgende Punktation versucht überblicksartig die relevanten Veränderungen der wirtschaftlichen und arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen zu skizzieren.

2.1.
Betriebsänderungen der Industriegesellschaft von 1974 sind nicht jene der (digitalen) Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft

Unzählige Rationalisierungs- und Reorganisationsvorgänge in den letzten vier Jahrzehnten haben dazu geführt, dass mit sehr geringen Belegschaftsgrößen Betriebsergebnisse erzielt werden können, die im Entstehungszeitpunkt des ArbVG wohl selbst die kühnsten Wirtschaftsprognostiker kaum zu träumen gewagt hätten. Das Gesetz ist aber in seinen Prinzipien und (Vertretungs)Strukturen auf große, stabile Belegschaften ausgerichtet – und nicht auf die in zahlreiche Klein- und Kleinstunternehmen (und -betriebe) umstrukturierten und „redimensionierten“, also erheblich verkleinerten Workforce-Zahlen der Gegenwart. Außerdem ist die Struktur und Systematik der Organisations- und Mitwirkungsregelungen des ArbVG am „Normalarbeitsverhältnis“ orientiert. Atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse, wie Leiharbeit (Zeitarbeit), freie Dienstverträge oder nahezu flächendeckende Teilzeitarbeit gab es 1974 so gut wie gar nicht. Der Wandel zur „Wissensgesellschaft“ führt darüber hinaus zu einer stärkeren Segmentierung der Belegschaften: Qualifizierte Beschäftigte wollen nicht nur vertreten, sondern auch selbst beteiligt werden; auf der anderen Seite werden ungelernte ArbeiterInnen oder gering Qualifizierte häufig – etwa über Leih489arbeit – nur während eingegrenzter Projektphasen im Betrieb benötigt.

2.2.
Aus Betrieben werden Unternehmen, aus Unternehmen Konzerne

Die Unternehmenslandschaft in den 1970er-Jahren war von großen bedeutenden heimischen Unternehmen geprägt – insb im Bereich der verstaatlichten Industrie. Voest Alpine, Siemens, Vereinigte Edelstahlwerke Ranshofen-Berndorf, Unilever, Österreichische Brown Boveri Werke, Elin, Eumig oder Steyr Daimler Puch Werke waren die Schlüsselunternehmen dieser Zeit. Unter dem Dach eines einzigen juristischen Unternehmensmantels – meist in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder einer GmbH – wurden zu dieser Zeit sämtliche bestehenden Teilbetriebe und Betriebe integriert, oft an verschiedenen Standorten. In diesen Großunternehmen fanden sich unterschiedliche Produktsparten genauso wie sämtliche interne betriebliche Funktionen wie Liegenschaftsverwaltung, Buchhaltung, Personalabteilung, Einkauf oder Vertrieb. Ein exemplarischer Blick auf die Voest Alpine AG zeigt, wie gravierend sich der Aufbau und die Struktur von Unternehmen seither verändert haben. Die Voest Alpine AG beschäftigte im Jahr 1975 noch 19.500 AN* an mehreren Standorten etwa in Linz oder Donawitz – alles unter dem Dach einer einzigen Aktiengesellschaft. Zu Beginn der 1980er-Jahre wurde ein tiefgreifender Umstrukturierungsprozess eingeleitet, der bis heute nicht abgeschlossen ist und insb durch die Rezession der 1970er-Jahre (Ölpreisschocks) und der danach folgenden Krise der verstaatlichten Industrie angestoßen wurde.

Abgesehen vom Auftakt einer bis heute andauernden Privatisierungs- und Reorganisationsdebatte erfolgte auch bei den meisten anderen Schlüsselunternehmen in den folgenden Jahren der Startschuss für gravierende und bis heute nicht abgeschlossene Umstrukturierungswellen. Im Mittelpunkt der Umbaumaßnahmen steht die Organisationsstruktur, sowohl bezüglich ihres Aufbaus als auch bezüglich der Prozessabläufe. Die Umstrukturierungsschritte sind in den meisten Unternehmen nach vergleichbaren Schritten und nach ähnlichem Muster vorgenommen worden – die Klammer bildeten dabei meist gut vermarktete „Managementmethoden“ wie Lean Management, Business Process Reengineering, Kernkompetenz-Konzepte etc. In einem ersten Schritt wurden dabei meist die ursprünglich funktionalen Aufbauorganisationen in divisionale umgewandelt und einzelne Divisionen als Profit-Center und in weiterer Folge als gesellschaftsrechtlich eigenständige Unternehmen – üblicherweise in der Form von GmbHs – ausgegliedert. Aus einem Großunternehmen entsteht damit allmählich ein Konzern. Dabei bleibt es aber meist nicht. Die Konzernstruktur erleichtert die Flucht aus dem vorher generell gültigen KollV, ständige wirtschaftliche „Optimierungen“, häufig genug auf dem Rücken der AN, werden zur Routine. Anfänglich zu 100 % gehaltene Tochtergesellschaften werden schrittweise verkauft, der Einfluss wird bis zur Sperrminorität reduziert oder unter Umständen komplett aufgegeben. Andere Unternehmen werden akquiriert und in die Konzerngruppe integriert. An der Spitze des Konzerns steht meist eine Aktiengesellschaft, die einerseits für die Kapitalbeschaffung – etwa über den Kapitalmarkt – und andererseits für die Strategieausrichtung des Konzerns zuständig ist. Die operativen Tochter-GmbHs haben die Direktiven der Mutter lediglich umzusetzen. Durch den EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1995 und die gleichzeitige weltweite Liberalisierung des Handels haben sich die meisten österreichischen Unternehmen auch dem internationalen Markt geöffnet und exportieren ihre Produkte weltweit. Viele haben mittlerweile auch ihre Standortpolitik auf den weltweiten Markt ausgerichtet. Aus heimischen Schlüsselunternehmen entstehen so allmählich international aufgestellte Konzerne. Diese Entwicklung ist nicht nur auf große Unternehmen beschränkt, auch zahlreiche KMUs (Unternehmen bzw Konzerne im Klein- und Mittel-unternehmensbereich) sind heute nach diesem Muster strukturiert.

Aus dem Großunternehmen Voest Alpine AG Mitte der 1970er-Jahre ist auf diese Art heute ein Konzern mit weltweit mehr als 40.000 Beschäftigten entstanden. Die einzelnen Produktgruppen wurden in eigenständige Unternehmen ausgegliedert, wie etwa der voestalpine Stahl GmbH, der voestalpine Edelstahl GmbH oder der VA Trading AG. Auch Servicebereiche wurden in selbständige Einheiten übergeführt. So ist heute etwa die voestalpine group-IT GmbH als konzerninterne Shared Service Organisation für die IT-Erstellung des Konzerns zuständig. Im Geschäftsbericht der voestalpine finden sich aber auch Beteiligungen an einer VA-OMV Personalholding GmbH, einer vivo Mitarbeiter-Service GmbH, einer Werksgärtnerei GmbH, einer Personalberatungs-GmbH oder einer Böhler Grundstücksbeteiligungs-GmbH.* Die Tochtergesellschaften der heutigen voestalpine AG weisen bezüglich ihres Geschäftsvolumens und ihrer Beschäftigtenanzahl eine deutlich geringere Unternehmensgröße auf – das größte Unternehmen innerhalb der voestalpine-Group ist nun die voestalpine Stahl GmbH mit ca 6.900 Beschäftigten im Jahr 2012.* Insgesamt umfasst der Konzern mittlerweile 500 Konzerngesellschaften (!), weltweit verteilt auf 50 Länder.* Die wirtschaftliche Klammer über alle rechtlich selbstständigen Konzerngesellschaften bildet das Konzernkonstrukt – die voestalpine Group. Dieses könnte am ehesten mit der Voest Alpine AG anno 1975 verglichen werden. Wenngleich die voestalpine auf Grund ihrer Größe und Bedeutung eine besondere Stellung in Österreichs Industrie einnimmt, bezüglich der dargestellten Strukturveränderungen im Rahmen der Organisationsstruktur haben enorm viele bedeutende Unternehmen diesen Wandel mit vollzogen. Ab Mitte der 1990er-Jahre ist diese Umstrukturierungswelle auch auf mittlere und kleinere Unternehmen übergesprungen. Mittlerweile werden bereits Unternehmen mit weniger als 100 Beschäftigten in mehrere Tochter-GmbHs aufgespaltet – nicht zuletzt, um das wirtschaftliche Risiko für die Gruppe zu reduzieren. Die490 Erleichterungen von GmbH-Gründungen, etwa durch die GmbH light, werden diese Bewegung vermutlich weiter verstärken.

2.3.
Die Unternehmensgrenzen verschwimmen

Nicht nur die großen Konzerne, auch KMUs sind heute unabhängig von ihrer Unternehmensgröße international aufgestellt. Sie verkaufen ihre Produkte am internationalen Markt, kaufen Rohstoffe oder Material international zu und bedienen sich dank Vernetzung der Kommunikationstechnologie globalisierter Dienstleistungsangebote etwa im Bereich Personalverwaltung, IT, Call Center, Engineering etc. Die Buchhaltung muss längst nicht mehr vor Ort untergebracht sein, viele Konzerne zentralisieren Unternehmensfunktionen etwa in Form von Shared Services über nationale Grenzen hinweg. An welchem Standort ein Shared Service Center angesiedelt wird bzw von wo eine Dienstleistung bezogen wird, ist nicht zuletzt eine Frage der Kosten und damit immer auch mit der maximalen Ausnützung von internationalen Lohndifferenzen und Unterschieden in den Arbeitsbedingungen verbunden.

Bezüglich der Transparenz von Unternehmen bewirkt das Verschwimmen der Unternehmensgrenzen, dass Aussagen über wirtschaftliche Leistungsfähigkeit – wie etwa Umsatz- oder Gewinnentwicklung, Arbeitskosten, Materialkosten etc – immer schwerer zu treffen sind, da Unternehmen innerhalb des Konzerngeflechts über unzählige Leistungsverträge miteinander verbunden sind und der angesetzte Preis im Rahmen gewisser Bandbreiten gestaltbar wird. Cash Pooling innerhalb eines Konzerns, schwer durchschaubare an Tochtergesellschaften verrechnete Konzernumlagen oder an der Grenze der Legalität konstruiertes Profit Splitting unter Einbeziehung von Stiftungskonstruktionen oder Offshore-Gesellschaften führen in vielen Fällen zu einer massiven Beeinträchtigung der Aussagekraft von Wirtschaftsdaten wie etwa von Jahresabschlüssen einzelner Tochtergesellschaften.

Zu einem noch stärkeren Verschwimmen der Unternehmensgrenzen kommt es in Spezialfällen etwa dann, wenn ausländische Konzernzentralen vermehrt keine Niederlassungen in Österreich gründen, die in Form von Rechtsträgern des österreichischen Gesellschaftsrechts bestehen. Diese unselbständigen Niederlassungen haben zumindest den Zusatznachteil, dass der „Country Manager“ (Niederlassungsleiter) noch weniger Verantwortung für seine Organisationseinheit trägt und damit auch einen schlechteren Informationszugang hat als ein Geschäftsführer einer Tochter-GmbH.

Sämtliche Unternehmen sind in einer hoch arbeitsteiligen und spezialisierten Wirtschaft Teil von komplexen Wertschöpfungsketten, die an ihren Rändern organisationale Abhängigkeiten vom Stammunternehmen aufweisen, ohne mit diesem aber direkt kapitalmäßig verbunden zu sein. Die Beschäftigten der Zulieferbetriebe müssen dabei im „Takt“ des Stammunternehmens arbeiten, auf ihre Arbeitsbedingungen wird meist wenig Rücksicht genommen – umso mehr, wenn es Beschäftigte in wirtschaftlichen Entwicklungsländern betrifft. Die entgrenzte und globalisierte Wirtschaft bewirkt auch eine Entgrenzung und Atypisierung der Arbeitsverträge etwa durch freie Dienstverträge, Werkverträge, Leiharbeit (Zeitarbeit), etc.

2.4.
Entscheidungszentralen rücken in die Ferne

Wichtige strategische Entscheidungen werden, wie bereits erwähnt, an der Konzernspitze getroffen – unter maßgeblichem Einfluss der beherrschenden Aktionäre. Auf der operativen Ebene einer Tochtergesellschaft ist die Geschäftsführung selbst nur für die Übersetzung der Konzernvorgaben in konkrete Maßnahmen verantwortlich. Betriebsräte in den Tochtergesellschaften – als im ArbVG vorgesehenes „Gegenüber“ der Geschäftsführung im Bereich der Mitbestimmung – sind damit zunehmend von der Mitwirkung auf strategischer Ebene abgeschnitten. Das ArbVG bietet zwar bei Unternehmen mit Aufsichtsratsmitbestimmung die Möglichkeit, Betriebsräte in den Aufsichtsrat der Mutter zu entsenden. Wenn die Konzernzentrale im Ausland angesiedelt ist, ist eine derartige Entsendung aber nicht möglich. Viele österreichische Unternehmen wurden in den vergangenen Jahren an beherrschende ausländische Eigentümer verkauft – etwa im Bereich der Papierindustrie, Chemieindustrie, Brauindustrie oder im Bankensektor. Die BeschäftigtenvertreterInnen sind bei diesen Unternehmen von der Mitgestaltung der strategischen Ausrichtung ausgeschlossen. Durch die Einrichtung eines europäischen BR (EBR) kann lediglich bei europäischen Konzernen auch nur ein teilweiser Ausgleich erreicht werden (Informations- und Beratungsmöglichkeiten). In kleineren Unternehmen bzw Konzernen ohne Aufsichtsrat ist eine Mitbestimmung von Betriebsräten in Töchtergesellschaften bei strategischen Fragen auf Holdingebene nicht möglich.

2.5.
Neue Technologien im IKT-Bereich – und dennoch schwieriger Zugang zu Informationen

Die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik liefert die technologische Basis für die beobachtbare Entgrenzung der Arbeitswelt. Die globale Vernetzung ermöglicht es, die Erbringung von Leistungen vom Standort des Headquarters zu entkoppeln und die zur Produktion erforderlichen Wertschöpfungskomponenten, wenn gewünscht weltweit, zu verteilen. Mit der Vernetzung hat sich auch der Zugang zu Informationen gravierend verändert. Das World Wide Web bietet einen schier unbegrenzten Zugang zu Informationen, und damit auch zu Daten über die wirtschaftliche Entwicklung von Unternehmen. Bei Unternehmen, die sich am Kapitalmarkt orientieren, ist dies auch tatsächlich der Fall. Die Transparenz- und Publizitätsvorschriften des Rechnungslegungs- und Kapitalmarktrechts (§§ 189 ff Unternehmensgesetzbuch [UGB], BörseG, ÜbernahmeG [ÜbG], Emittenten-Compliance-VO [ECV] 2007, usw*) haben491 sich bei diesen Unternehmen – nicht zuletzt ausgelöst durch zahlreiche Skandale und Krisen, wie etwa Worldcom und Enron, zu Beginn des neuen Jahrtausends – deutlich verschärft. Geschäftsberichte von kapitalmarktorientierten Gesellschaften sind seither deutlich umfangreicher und vertiefter gestaltet, um das Vertrauen der Anleger wieder zurückzugewinnen.

Völlig anders stellt sich die Situation bei KMUs dar. Auf Drängen der Wirtschaft wurden hier sukzessive Publizitätsvorschriften abgebaut, mit dem Argument, die Kostenbelastung der Unternehmen zu senken. Für Betriebsräte und Beschäftigte hat sich dadurch der Zugang zu Informationen über die wirtschaftliche Lage von KMUs deutlich verschlechtert. Da auch KMUs in den letzten Jahren häufig massive Flexibilisierungsmaßnahmen gesetzt haben, bedeutet dies, dass einerseits zwar immer mehr wirtschaftliches Risiko auf die Beschäftigten überwälzt wird, andererseits der Zugang zu relevanten Informationen – und damit die Basis für die Mitbestimmung – immer stärker erschwert wird.

2.6.
Zunehmende Abwälzung des wirtschaftlichen Risikos auf Beschäftigte

Die „Konzernierung“ von Unternehmen bringt für den Konzern in der Regel wirtschaftliche Vorteile iS von Erhöhung der Flexibilität bei gleichzeitiger Verringerung von Ausfall- und Haftungsrisiken. Die Verschiebung von wirtschaftlichem Risiko, weg vom Gesamtkonzern hin zu einzelnen Tochtergesellschaften, wirkt sich in weiterer Folge unmittelbar auf die dort Beschäftigten aus. Wenn BuchhalterInnen als Angestellte einer Buchhaltungsabteilung ursprünglich einen fixen Gehalt pro Monat erhalten haben und später in juristisch eigenständige, aber wirtschaftlich vom Konzern abhängige Buchhaltungs-GmbHs ausgegliedert werden, die sich um einzelne Aufträge bemühen müssen und deren Umsatz direkt von den verrechneten Leistungen abhängt, bedeutet dies, dass der dadurch entstehende wirtschaftliche Druck und damit auch das wirtschaftliche Risiko an die Beschäftigten unmittelbar weitergegeben werden. Wirtschaftliches Risiko wird aber auch weitergegeben, wenn die Entlohnung in Form von Erfolgsprämien zunehmend an die Bewertung des wirtschaftlichen Erfolges gekoppelt, wenn die Arbeitszeit den Kapazitätsschwankungen angepasst oder die Arbeitsverhältnisse selbst „atypisiert“ werden. Risikoreduzierung wird auch auf der Vermögensseite betrieben. „Wertvolle“ Unternehmens- Assets wie Liegenschaften, Beteiligungen oder Lizenzen werden in eigene Gesellschaften oder Privatstiftungen „geparkt“ und damit dem Zugriff der AN, etwa im Fall von Sozialplanverhandlungen, entzogen.

2.7.
Die „wahre“ Bilanz: verschwimmende Unternehmensgrenzen lassen auch wirtschaftliche Ergebnisse verschwimmen

Wie eingangs dargestellt, führen die verschwimmenden Unternehmensgrenzen dazu, dass es immer schwieriger wird, Aussagen über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Betriebes oder eines Unternehmens im Rahmen eines komplexen Konzernumfeldes zu generieren. Verrechnungspreise zwischen Konzernunternehmen oder mit Zweckgesellschaften verwischen die Aussagekraft des Jahresabschlusses, wenngleich wirtschaftliche Entscheidungen, wie etwa Einsparungsmaßnahmen oder die Gewährung von Erfolgsprämien, unter Umständen trotzdem von diesen Daten abhängig gemacht werden. Der BR eines Unternehmens hat zwar gem § 108 Abs 4 ArbVG einen Anspruch auf Übermittlung eines Konzernabschlusses – freilich vorausgesetzt, dass ein solcher gemäß UGB überhaupt aufzustellen ist. Bezüglich der konkreten direkten wirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb des Konzerns, die maßgeblich für Verzerrungen des Ergebnisses auf Einzelabschlussebene sind, hilft ein Konzernabschluss allerdings kaum weiter. Zwar erhält der BR mit einem Konzernabschluss Auskunft über die aktuelle Lage der wirtschaftlichen Einheit „Konzern“, über die konkrete Gestaltung etwa von internen Verrechnungsmodalitäten bei der Gewinngestaltung, Strukturen der Leistungsbeziehungen innerhalb des Konzerns oder von Berechnungsgrundlagen einer Konzernumlage gibt der Konzernabschluss jedoch keine Auskunft – im Gegenteil: sämtliche konzerninterne Leistungen werden im Rahmen der Konsolidierung eliminiert.

Betriebsräte sollten daher Auskunft über die Modalitäten von konzerninternen Leistungsströmen sowie deren Auswirkungen auf ihren jeweiligen Einzelabschluss erhalten. Bei Unternehmen, die gem § 268 ff UGB einer Prüfungspflicht unterliegen, die aber keinen mitbestimmten Aufsichtsrat installiert haben, könnte dieses Recht in einem Anspruch des BR auf ein Beratungsgespräch mit dem Wirtschaftsprüfer sowie einer Übermittlung des Prüfberichtes bestehen.

2.8.
Zu wenig Transparenz bezüglich nichtfinanzieller Indikatoren

Die Aufgaben des BR bringen es mit sich, dass er für seine Strategie- und Entscheidungsfindung über finanzielle Daten hinaus auch nicht finanzielle Daten benötigt. Dies könnten etwa Daten über die Entwicklung von Arbeitsunfällen, die Inanspruchnahme von Ausbildungsangeboten, Informationen über die Arbeitsbedingungen bei SublieferantInnen, die Einhaltung von Gesetzen etc sein. Seit Jahren gibt es diesbezüglich Bestrebungen, derartige Informationen in „Nachhaltigkeitsberichten“ oder „CSR-Berichten“ abzubilden. Diese Berichte werden aber nur von wenigen Unternehmen aufgestellt und dienen insb dazu, die Außendarstellung von Unternehmen oder Konzernen zu verbessern. Kritische Entwicklungen oder Problemfelder finden sich darin nicht. Auf EU-Ebene wird derzeit an einer RL gearbeitet, die große Unternehmen zu einer Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichten soll, die Kriterien der Berichterstattung sind492 aber nur sehr rudimentär vorgegeben und daher auch nicht vergleichbar.* Für Betriebsräte bestehen zwar im Rahmen der §§ 91 und 92 ArbVG allgemeine Informationsrechte betreffend Angelegenheiten, die wirtschaftliche, kulturelle, soziale oder gesundheitliche Interessen der Beschäftigten betreffen, auch sind entsprechende Unterlagen auszuhändigen. Für eine effektive Betriebsratsarbeit sind diese Informationen zwar hilfreich, aber nicht ausreichend. Benötigt werden strukturierte Daten über einen längeren Zeitraum und betreffend spezifischer Indikatoren, die für den jeweiligen Betrieb bzw die jeweilige Branche maßgeblich sind.

3,
Reformbedarf: Mitbestimmung basiert auf relevanten Informationen und fairer Beratung „auf Augenhöhe“!

Mitbestimmung setzt voraus, dass AN-Vertreter entsprechende Kenntnisse von Planungen und Entscheidungen sowie den zugrunde liegenden Entscheidungsparametern erlangen. Welche Informationen relevant sind, hängt individuell vom jeweiligen Fall bzw Problemfeld ab. Grundsätzlich sollten dem BR sämtliche Informationen zur Verfügung stehen, die die aktuelle wirtschaftliche Situation des Unternehmens sowie der wirtschaftlich zusammenhängenden Konzernunternehmen ausreichend widerspiegeln. Dazu gehören neben Jahresabschlüssen auch Businesspläne und Vorschaurechnungen für die nächsten ein bis drei Jahre. Dieses „Basis-Informationsset“ ermöglicht dem BR, seinen Handlungsspielraum besser einzuschätzen. Positive Aussichten, hohe aktuelle Gewinne und eine zufriedenstellende Eigenkapitalausstattung zeigen einen hohen Handlungsspielraum, mangelnde Reserven und negative Aussichten würden einen eingeschränkten Spielraum anzeigen.

Das ArbVG hat diesen grundlegenden Informationsanspruch in § 108 Abs 1, Abs 3 und Abs 4 im Prinzip, wenn auch sehr abstrakt,* abgedeckt. Für Konzernsachverhalte enthält Abs 2 und für Betriebs(teil)- übergänge Abs 2a des zitierten Paragrafen spezifische Ergänzungen. Auf Verlangen des BR ist mit ihm über diese Informationen zu beraten und es sind relevante Unterlagen zur Verfügung zu stellen, was bedeutet, dass die Informationen rechtzeitig und jedenfalls noch vor Beschlussfassung durch die Entscheidungsträger dem BR zur Verfügung gestellt werden müssen.

Dennoch: All diese Instrumente sind wertlos, wenn der Betriebsinhaber oder seine „übergeordnete“ Organisation (Konzernmutter, Holding, dominante Eigentümerin oder Syndikat) die Betriebsratskörperschaft vor vollendete Tatsachen stellt, die Beratung also verweigert. Ein schweizerisch-amerikanischer Pharmaziekonzern etwa präsentierte der Belegschaft und ihren Vertretern kurz vor Weihnachten 2007 in einer dreiminütigen Videobotschaft das aus Konzernleitungssicht unverhandelbare Faktum der Schließung des Wiener Betriebs (240 Arbeitsplätze). Die Schlussworte des verantwortlichen Managers lauteten bezeichnenderweise „that's it“.

Notwendig sind somit jedenfalls Sanktionen gegen solche Vorgangsweisen, die wirksam und abschreckend sind, auch um insoweit die EU-RL 2002/14/EG über die Unterrichtung und Anhörung der AN endlich umzusetzen.* Nur Verwaltungsstrafdrohungen reichen dafür nicht aus; im Einzelnen siehe Kap 3.4.

3.1.
Umstrukturierungen, Betriebs übergänge und Betriebsänderungen sind wenigstens „lege artis oeconomiae“ vorzubereiten und zu beraten

§ 70 AktG, der ja nach hL und vereinzelter Rsp auch für andere Kapitalgesellschaften und für Genossenschaften eine Programmnorm darstellt, bestimmt iVm § 84 AktG (vgl auch § 25 GmbHG uä), dass die Geschäftsführung eine Gesellschaft (ein Unternehmen mit Drittorganschaft) mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes so zu leiten hat, wie es das Wohl des Unternehmens unter Beachtung der Interessen von Eigentümern, AN und Öffentlichkeit verlangt. Neben der Insolvenzprophylaxe dient diese Vorgabe den Interessen der Gläubiger und Lieferanten der Gesellschaft, aber auch der regionalen und überregionalen Wirtschaftslage und Standortsicherung. Im Kontrast dazu stehen die Grundrechte von Eigentümern und Unternehmern, mit ihrem Eigentum innerhalb der gesetzlichen Grenzen schalten und walten zu können (Eigentumsfreiheit) sowie vielfältige Erwerbsmöglichkeiten neu bzw anders – oder gar nicht mehr – zu verfolgen (Erwerbsfreiheit).*

Für die Auflösung und Lenkung des – uE ohnehin auch verfassungsrechtlich zu hinterfragenden – Dilemmas „der Unternehmer darf fast alles“ versus „die Geschäftsführung hat diverse Shareholderinteressen zu berücksichtigen“, hat sich eine „analoge“ Anwendung der Business Judgment Rule bewährt.* Kurz gesagt besteht dieser aus dem us-amerikanischen Haftungsrecht stammende Sorgfaltsmaßstab darin, dass fünf Voraussetzungen vom betreffenden Geschäftsführungsmitglied dargetan und gegebenenfalls bewiesen werden müssen:

  • es muss sich um eine unternehmerische Entscheidung handeln (dh keine, die ohnehin rechtlich determiniert ist);

  • das Handeln muss zum Wohl der Gesellschaft erfolgen („in good faith“);

  • es darf kein Interessenkonflikt (Befangenheit, Insichgeschäft oä) bestehen;493

  • Grundlage ist eine sorgfältige Vorbereitung aufgrund angemessener Informationen;

  • es bestehen keine übergroßen Risiken.

Bezüglich der Regelungsorte wäre eine Verschränkung des ArbVG mit dem Gesellschaftsrecht, etwa in Form von wechselseitigen Verweisen, tunlich. Erst nach sorgfältiger Vor- und Aufbereitung des geplanten Veränderungsprozesses in einer der Größe, Risikogeneigtheit und Leistungsfähigkeit des Unternehmens adäquaten Weise sollten Veränderungsprozesse in Gang gesetzt werden. Der jeweilige (branchenadäquate), aktuelle Stand der Betriebswirtschafts- und Finanzlehre sollte als Maßstab für den Planungsstandard „lege artis“ dienen. Damit wäre nicht nur Gläubigern und sonstigen Shareholdern geholfen, sondern gleichzeitig die Qualität und Quantität der Informationen und Beratungsinhalte der §§ 91 ff und 108 f näher determiniert; Genauer jedenfalls als das derzeit in vielen Reorganisationsprozessen der Fall ist. Erst eine solche, exakte Analyse der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten und Spielräume ermöglicht die Aushandlung eines fairen Interessenausgleiches zwischen Kapital und AN. Auch der Zeitpunkt der Einbeziehung der Betriebsräte ist lege artis so zu wählen, dass noch Alternativvorschläge der AN-VertreterInnen berücksichtigt werden können. Von Personen also, die als meist langjährig tätige AN viel näher mit dem betrieblichen Geschehen vertraut sind, als die oft nur für einige Jahre bestellten (und mit Aktienoptionsplänen oder anderen Bonifikationen geköderten) Geschäftsführungsmitglieder und die EigentümervertreterInnen im Aufsichtsrat.

3.2.
Zeitgerechte Mitwirkung bei Wechsel des kontrollierenden Eigentümers

Das ArbVG definiert grundsätzlich den Betriebsinhaber und damit in der Regel die Geschäftsführung (den Vorstand) als Gegenüber des BR (Zentralbetriebsrates [ZBR]/Konzernvertretung) in Bezug auf die Informations- und Beratungspflichten. Zeitraum und Umfang dieser Rechtsansprüche der Belegschaft sind seit 2011 näher bestimmt: „... zu einem Zeitpunkt, in einer Weise und in einer inhaltlichen Ausgestaltung ... die es dem Betriebsrat ermöglichen die möglichen Auswirkungen ... eingehend zu bewerten und eine Stellungnahme zu der geplanten Maßnahme abzugeben“ (§ 109 Abs 1, § 108 Abs 2a). Bei Eigentümerwechsel oder Übernahmen ist das lokale Management in der Regel jedoch selbst nur passiver Akteur, diese Aktivitäten werden von maßgeblichen Aktionären oder Gesellschaftern ausgelöst bzw betrieben. Das Schicksal von Arbeitsplätzen oder Standorten hängt vom jeweiligen Strategiekonzept der potenziellen Übernehmer ab, Betriebsräte haben in der Regel allerdings keinen Zugang zu handelnden Investoren. Zusätzlich werden in der Praxis zum Zeitpunkt des Kontrollwechsels kaum konkrete Maßnahmen bekannt gegeben, die als Auslöser von Betriebsänderungen qualifiziert werden könnten. Wenn sie erst nach der Übernahme bekanntgegeben werden, wird die Belegschaftsvertretung rechtswidrig, aber unwiederbringlich vor vollendete Tatsachen gestellt.

ISd Übernahmerechts sollten Eigentümer mit „beherrschendem“ Einfluss daher mit einer Informations-/Auskunftspflicht gegenüber dem BR verpflichtet werden, wie ein rezentes Beispiel, der Syndikatsvertrag der ÖIAG mit dem Telekommunikationskonzern América Móvil vom Mai 2014, lehrt. Schlüsselunternehmen der Infrastruktur und Daseinsvorsorge dürfen weder an der Innenpolitik noch an der innerund überbetrieblichen Sozialpartnerschaft vorbei in undurchsichtige Hände geraten. Vor einem Wechsel des beherrschenden Einflusses sollte somit der potenzielle Übernehmer wenigstens mit einer Informationsund Konsultationspflicht belegt werden.

Das ArbVG sollte zusätzlich vorsehen, dass vor einem Kontrollwechsel dem BR seitens des potenziellen neuen beherrschenden Eigentümers ein dem betriebswirtschaftlichen Standard entsprechendes Strategiekonzept mit entsprechenden Auswirkungen auf Standort und Arbeitsplätze vorzulegen ist. Die im § 109 ArbVG vorgesehenen Rechte sollten erweitert werden und etwa einen Anspruch auf Abschluss eines „präventiven“ Sozialplanes auch bei bloßem Eigentümerwechsel vorsehen. Diese Maßnahmen könnten sinngemäß an das Übernahmerecht angelehnt werden, welches eine Art „präventiven“ Schutz der Minderheitsaktionäre im Falle eines Kontrollwechsels vorsieht. Dass eine „bloße“ Änderung der Eigentumsverhältnisse am Unternehmen keine Voraussetzung für einen Sozial plan bilden kann, ist nicht einsichtig und wird vielfach kritisiert.* Die Informationsansprüche vor geplanten Betriebsänderungen müssen also an die veränderten, „entgrenzten“ Organisationsformen der Wirtschaft angepasst werden; ebenso wie die Tatbestände des § 109 Abs 1 und Abs 3 selbst. Die oben zitierte Gesetzesanordnung zur Rechtzeitigkeit der Informationserteilung und der Beratungsgespräche sollte explizit auf alle Tatbestände der wirtschaftlichen Informations-, Interventions- und Beratungsrechte ausgedehnt werden.

Die derzeit üblichen Ausreden lokaler Geschäftsführungen oder Niederlassungsleitungen („country manager“), dass sie über keine relevanten oder genauen (Umstrukturierungs-)Informationen verfügten, sind schon aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen irrelevant. Wenn sie die Informations- und Beratungskompetenz nicht haben, müssen die „zentrale Leitung“, jedenfalls aber die tatsächlichen Entscheidungsstellen diese liefern. Neben Art 27 der Grundrechtecharta der EU – die ja eine effiziente und sinnvolle Unterrichtung und Anhörung vor Augen hat und kein Präsentieren vollendeter Tatsachen – sind im Sekundärrecht vor allem die EBR-RL, die RL Unterrichtung und Anhörung der AN, die Betriebsübergangs-RL und die Massenentlassungs- RL maßgeblich. Das Gemeinschaftsrecht harrt also noch einer vollständigen Effektivierung, die aus systematischen und kodifikatorischen Gründen wohl im ArbVG festzuschreiben ist. Was den Zeitpunkt von Information und Beratung betrifft, ist iSd genannten EU-Richtlinien explizit klarzustellen, dass die unter494 Pkt 2.8. zitierte Gesetzesregel für alle Sachverhalte des § 108 gilt. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass auch die Aufsichtsratsmitbestimmung in Holdings und sonstigen Entscheidungszentralen effizienter zu machen wäre.

3.3.
Aufwertung der Branchenschlichtungskommission (§ 111) und der staatlichen Wirtschaftslenkung und Vermittlung (§ 112)

Zu diesen an sich sinnvollen Mitwirkungsinstrumenten ist zum einen anzumerken, dass die Dreitagesfrist des § 111 eindeutig zu kurz bemessen ist, wie die Praxis lehrt. Unangenehme, eskalationssteigernde Streitereien über das fristauslösende Moment dienen keiner Seite. Zum anderen wäre die Staatliche Wirtschaftskommission zu einer Einrichtung echter Wirtschaftsmediation oder aber in Richtung eines gesetzlich reglementierten Wirtschaftslenkungsverfahrens umzuformen; insb dann, wenn staatliche oder EUFörderungen von einem Unternehmen oder Konzern in Anspruch genommen wurden, der sich anschließend ein „Downsizing“ verordnet oder sonstige Versprechen rasch vergessen hat. Ob ein ordentliches Verwaltungsverfahren oder weiterhin eine gesetzlich kaum normierte Verfahrensform anzustreben ist, sollte Gegenstand von Sozialpartnerübereinkommen unter Einbindung der zuständigen Ministerien (Arbeit und Soziales; Wirtschaft) sein.

Im Hinblick auf die Zersplitterung einstmals großer Unternehmen und Belegschaften in die Betriebe zahlreicher Tochter- und Schwestergesellschaften sind nicht nur die Zahlengrenzen beider Regelungen den veränderten Bedingungen (kleinere Belegschaften bei steigender Wertschöpfung) anzupassen, sondern auch Zusammenrechnungstatbestände zu normieren. Die Transparenz- und Publizitätsanforderungen sind angesichts der zunehmenden Komplexität der Unternehmensstrukturen gegenüber den Belegschaftsvertretungen zu erhöhen. Die Informationsrechte von Belegschaftsvertretungen in KMUs müssen dem bestehenden Standard für mittlere und große Unternehmen angepasst werden.

3.4.
Effiziente Durchsetzung von wirtschaftlichen Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten

Derzeit haben nur Betriebsräte von Industrie- und Bergbaubetrieben das uneingeschränkte Recht auf einen Jahresabschluss (§ 108 Abs 3), was wohl nur noch (industrie-)historisch erklärt werden kann. Damit fallen die meisten KMUs nicht unter diese Regel, wenngleich das Wissen um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei diesen Unternehmen für die dortigen Belegschaftsvertreter nicht weniger wichtig für die praktische Ausübung und Gestaltung ihrer Mitbestimmungsrechte ist. Ein sachlicher Grund die Betriebsräte von kleinen Unternehmen von der Übermittlung des Jahresabschlusses auszunehmen, kann nicht erkannt werden, zumal sämtliche Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften und auch Einzelunternehmen entweder einen Jahresabschluss gemäß UGB oder zumindest eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für die Steuererklärung aufstellen müssen.

Während die Pflicht zur Übermittlung des Jahresabschlusses wenigstens gem § 160 Abs 1 ArbVG mit einer (lächerlich geringen) Geldstrafe von bis zu € 2.180,– „gesichert“ ist, sind bei Verstoß gegen die Informationsansprüche des § 108 Abs 1 keine entsprechenden Sanktionen vorgesehen. Leistungsklagen auf Informationserteilung und Beratungsdurchführung werden für die betriebliche Praxis idR aber kaum zielführend sein, denn gerade bei Informationsdefiziten nimmt der Wert des Unterrichtungs- und Beratungsanspruchs mit zunehmender Zeitdauer ab. Einstweilige Verfügungen, die den Anspruch sichern – und das Unternehmen von arbeitsplatzrelevanten Veränderungen vor Erfüllung seiner Rechtspflicht hindern –, sollten hier als Sicherungsmittel ausdrücklich vorgesehen werden.*

3.5.
Verhinderung und Behinderung von Betriebsratswahlen pönalisieren!

Es gibt, zumindest aber gab es Internetadressen (einige wurden wieder „vom Netz“ genommen), auf denen schamlos angeboten wurde, dass man einer Firma „den passenden Betriebsrat“ verschaffen könne. Einige Unternehmensberatungen und Rechtsanwaltskanzleien haben sich auf dieses „Geschäftsfeld“ spezialisiert.* In Österreich agierte etwa ein dubioses Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen in Kollusion mit Geschäftsleitungen in die Richtung, dass kurz vor einer anberaumten und gem §§ 54 f ArbVG vorbereiteten Betriebsratswahl urplötzlich eine große Zahl an überlassenen Arbeitskräften im AN-Verzeichnis auftauchte. Diese „KollegInnen“ hatte zwar niemand von der Stammbelegschaft je im Betrieb gesehen, aber das Wahlergebnis sollten sie trotzdem beeinflussen, nämlich zugunsten der von der Geschäftsleitung gewünschten Liste. Dass AN, die eine Betriebsratswahl initiieren, versetzt oder gekündigt werden, ist immer noch eher die Regel als die Ausnahme. Nur wenige Betriebratsgründungen verlaufen ohne die Befassung der Gerichte.

Das zeigt, dass die Wahl eines BR in zahlreichen Unternehmen noch immer als Kampfansage verstanden wird – und nicht als Kooperationsangebot, wie es der Gesetzgeber (vgl zB § 39) intendiert. Die Wahl eines innerbetrieblichen Vertretungsorgans ist eine Rechtspflicht gem § 40 ArbVG. Bleibt die Arbeitnehmerschaft des Betriebs untätig, so sind daran keine unmittelbaren Rechtsfolgen geknüpft (die mittelbaren, nämlich Verlust jeder kollektiven Mitwirkungsmöglichkeit, sind jedoch evident). Wenn die Sanktionslosigkeit der gesetzlichen Anordnung aber von der AG-Seite und ihren Beratern missbraucht wird, ist der Staat gefordert. Zumindest verwaltungsstrafrechtlicher Maßnahmen bedarf es, wenn versucht wird, die Wahl495 von Betriebsräten zu behindern oder gar zu verhindern. Dass ein demokratischer Rechtsstaat duldet, dass Anschläge auf sein fundamentalstes Grundrecht, die (betriebliche) Demokratie, als „Kavaliersdelikt“ betrachtet werden, ist unerträglich. Im Fall gravierender Verhinderungshandlungen werden daher wohl strafrechtliche Sanktionen, ähnlich den §§ 261 ff StGB, notwendig sein.

3.6.
Mitwirkung bei der Gestaltung von Vertragsschablonen

Der gesellschaftliche Trend zur Individualisierung schlägt sich auch im Arbeitsvertragsrecht nieder: Der fast ein Jahrhundert bestandene, nach dem zweiten Weltkrieg besonders ausgeprägte gesellschaftliche Konsens, generell gültige Arbeitsbedingungen im Wege kollektiver Rechtssetzung festzulegen, besteht nicht mehr: Die seinerzeitigen „Arbeitsordnungen“ (vgl § 164 ArbVG) legten den generellen Rahmen der Arbeitsleistung, wie auch des Inhalts der Arbeitsverträge, bindend und im Einvernehmen der betrieblichen Sozialpartner fest. An ihre Stelle sind meist nicht dem Recht des ArbVG entsprechende Betriebsvereinbarungen getreten, die derlei Regelungen auch nur mehr teilweise möglich machten, sondern Vertragsschablonen: Gut bezahlte Anwälte entwerfen Schematexte für Arbeitsverträge, die in allen Fragen an die Grenzen des gerade noch Erlaubten gehen und – insb, wo eine „geltungserhaltende Reduktion“ möglich ist – gerne auch darüber hinaus. So lange nicht Vollbeschäftigung zurückkehrt, und das wird wohl nicht so rasch der Fall sein, sind AN bei der Einstellung gezwungen, zu unterschreiben, was immer man ihnen vorlegt (so es nicht ausgesuchte SpezialistInnen sind, die über eine starke Verhandlungsposition verfügen).

Hoch an der Zeit also, dass der Gesetzgeber darauf reagiert – und das tut er auch: Die Regelungen zB zu Ausbildungskostenrückersatz- und Konkurrenzklauseln wurden nicht nur explizit auf ArbeiterInnen ausgeweitet, sondern auch wiederholt verschärft. Allein dem Wildwuchs wird so nicht beizukommen sein: So lange das Ausnutzen der wirtschaftlichen Überlegenheit des AG nicht grundsätzlich zur Unwirksamkeit darauf beruhender, für AN nachteiliger Vereinbarungen führt, sondern diese an den unscharfen Maßstäben der Sittenwidrigkeit udgl gemessen werden, wird die Praxis immer neue und im Wortsinne „atem-beraubende“ Klauseln (er)finden. Die Debatte über die Frage, ob es zulässig ist, vertraglich dem AG ausdrücklich Willkürentscheidungen (!) einzuräumen, man nennt das die Vereinbarung von „Leistungen ohne Rechtsanspruch“, ist ein beredtes Beispiel dafür.

Was könnte Abhilfe schaffen und zugleich die Gerichte von wiederkehrenden, häufigen Rechtsstreitigkeiten über Zulässigkeit und Auslegung solcher Klauseln im Einzelfall entlasten? Ganz einfach: Eine kollektive Gestaltung! Statt die Angemessenheit und den genauen Inhalt der verschiedensten Vertragsklauseln im Nachhinein richterlicher Kontrolle zu unterwerfen, ist es viel sinnvoller, sie als klassische Regelungsstreitigkeiten zu begreifen und ihre Aushandlung den betrieblichen Sozialpartnern, bei Nichteinigung der Schlichtungsstelle zu überantworten. So können fundierte, der betrieblichen Situation angemessene und von der Autorität gleichgewichtiger Verhandlungspartner getragene, sachliche Lösungen gefunden werden. Ob es um die Grenzen der Versetzbarkeit, die Variabilität von Entgeltbestandteilen, die Übernahme von Gruppen von ArbeiterInnen ins Angestelltenverhältnis und deren Bedingungen oder auch die klassischen Klauseln geht: Immer kann Rechtssicherheit und Sachlichkeit so besser hergestellt werden als im Wege der Rechtskontrolle.

Dazu gehört natürlich auch ein vorgeschaltetes Informationsrecht zu allen diesen Fragen: Soweit nicht höchstpersönliche Informationen (vgl den Inhalt von „Personalakten“ iSd § 89 Z 4) betroffen sind, und das ist kaum denkbar, muss der BR Auskunft und Einsicht in alle arbeitsvertraglichen Vereinbarungen erhalten. Nur dann kann er den Bedarf an Regelung abschätzen und auch seinerseits sinnvolle Regelungsvorschläge erstatten.

3.7.
Der leidige Kündigungsschutz

Über die Defizite des allgemeinen Kündigungsschutzes (insb auch für AN in Betrieben mit weniger als fünf Beschäftigten) braucht an dieser Stelle nicht extra berichtet zu werden. Langsam nimmt auch die österreichische Öffentlichkeit zur Kenntnis, dass wir über eines der schlechtesten Schutzniveaus vor Kündigungen in der ganzen EU „verfügen“. Das ist nicht einfach ein interessenpolitisches Problem, das ist ein demokratisches Problem: Zivilcourage ist nicht unbedingt eine hervorstechende nationale Eigenschaft der ÖsterreicherInnen und sie wird nicht gefördert durch die Erfahrung, dass jegliche, sei es auch sachlich und korrekt geäußerte Kritik, zum Arbeitsplatzverlust führen kann. Diese Erfahrung machen AN gerade dann, wenn sie noch jung und couragiert ins Arbeitsleben eintreten – und daher idR eine als Reaktion auf Kritik erfolgte Kündigung nicht aus sozialen Gründen anfechten können. Eine Anfechtung wegen eines verpönten Kündigungsmotivs (so dies glaubhaft gemacht werden kann) ist derzeit auch allenfalls dann möglich, wenn es sich um gewerkschaftliches Engagement oder Kritik an der arbeitsrechtlichen Vorgangsweise ihnen gegenüber gehandelt hat. Ein wesentlicher Fortschritt wäre es daher, würde der Gesetzgeber auch nur vorsehen, dass der Grund der Kündigung mitgeteilt werden muss, zumindest wenn der/die Betroffene dies verlangt und dass jegliche Kündigung verpönt wird, die eine Einschränkung der Meinungs(äußerungs)freiheit intendiert.

Das zweite große Defizit sind Änderungskündigungen: Dass das Instrument der Anfechtung einer Kündigung wegen Sozialwidrigkeit als Schutz vor Änderungskündigungen gänzlich ungeeignet ist, braucht nicht näher begründet werden: Es genügt allein der Hinweis, dass Betroffene derzeit gezwungen sind, die schwankende und auf den Einzelfall orientierte Rsp im Vorhinein richtig abzuschätzen – bei Strafe des Arbeitsplatzverlustes! Da ein Verbot von Änderungskündigungen wohl kaum realistisch ist, müsste doch wenigstens eine vorgeschaltete Klärung der Rechtslage ermöglicht werden: Die Möglichkeit einer bedingten Ablehnung der aufgedrängten Vertragsänderung bzw496 eines Feststellungsverfahrens nach dem Vorbild des § 3 Abs 6 AVRAG würde AN in die Lage versetzen, die Rechtslage im ungekündigten Arbeitsverhältnis zu klären. Der Rechtsstreit hätte nicht den Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Inhalt, weil der/die AN erklärt hat, im Zweifel dessen Fortbestand zu schlechteren Bedingungen in Kauf zu nehmen; Gegenstand des Rechtsstreites wäre viel mehr die soziale Zumutbarkeit der Vertragsänderung, die anhand der Kriterien einer fiktiven Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit zu überprüfen wäre. Unterliegt der/die AN, tritt die Vertragsänderung ein; obsiegt er/sie, unterbleibt sie. Das Ergebnis wäre dasselbe wie heute: Wäre eine gedachte Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit nach derzeitiger Rechtslage erfolgreich gewesen, hätte das Arbeitsverhältnis ja gleichfalls mit unveränderten Bedingungen fortbestanden. Lediglich im umgekehrten Fall eines Fehlschlagens wäre die Situation verändert: Im Gegensatz zu heute, wo das Arbeitsverhältnis diesfalls geendet hat, bliebe es aufrecht, aber mit eben jener Vertragsverschlechterung, die der AG durchsetzen wollte. Ein wohl weitaus sinnvolleres Ergebnis – entspricht es doch auch dem Ziel des AG, der ja nicht die Absicht hatte, das Arbeitsverhältnis zu beenden.

Beide neuen Regelungen wären eher nicht im ArbVG vorzunehmen, sondern als Teil eines individuellen Kündigungsschutzes im AVRAG zu verankern, wo auch der Kündigungsschutz für AN in Kleinstbetrieben normiert werden muss. Dass die Fragen im Rahmen dieses Beitrags behandelt werden, ist lediglich darauf zurückzuführen, dass es einen solchen, individualarbeitsrechtlichen Kündigungsschutz derzeit nicht (bzw kaum) gibt.

3.8.
Effektiver Rechtsschutz beim Sozialplan

Es ist wohl nur einem stillen Konsens und einer in wesentlichen Bereichen doch noch tragfähigen Sozialpartnerschaft zu danken, dass der Sozialplan im Regelfall „funktioniert“: Grundsätzlich kann jeder AG die einschlägigen gesetzlichen Regelungen durch Verzögerung des Verfahrens und zeitgerechte Verschiebung der liquiden Mittel und Vermögenswerte (zB zu einer anderen Konzerngesellschaft) weithin unterlaufen.

Was es braucht, sind zuallererst dauerhaft eingerichtete Schlichtungsstellen. Ihr Tätigwerden darf nicht länger ein eigenes, für Verschleppungsversuche anfälliges Errichtungsverfahren voraussetzen. Ob man sie als Organ der Gerichtsbarkeit iS von Schiedsgerichten einsetzt, die ja auch oft im Grenzbereich der Rechtsetzung tätig sind, oder doch als Verwaltungsbehörde mit richterlichem Einschlag, mag dahin stehen. Aber dauerhaft existieren müssen sie und die Anfechtbarkeit ihrer Entscheidungen auch wegen schlichter Rechtswidrigkeit sollte gewährleistet sein (wie das eher zufällig seit 1.1.2014 der Fall ist).

Ergänzend müssen materielle Regelungen sicher stellen, dass notfalls ein Durchgriff auf die Eigentümer von Gesellschaften möglich ist, jedenfalls dann, wenn sie in den letzten zehn Jahren vor Einleitung des Verfahrens der Gesellschaft in einem über eine angemessene Kapitalverzinsung hinausreichenden Maße Substanz entzogen haben – sei es durch überhöhte Gewinnausschüttungen, das Verschieben von Eigentum an Grundstücken oder Patenten in andere Gesellschaften, „Sale and lease back“-Gestaltungen usw. Die lange Frist ist notwendig, um Umgehungsversuchen von vornherein die wirtschaftliche Grundlage zu entziehen.

Darüber hinaus wird es wohl für Branchen, in denen es üblich geworden ist, Unternehmen mit wenig Kapital zu gründen, spezieller Regeln bedürfen: Man denke insb an die Baubranche oder die AN-Überlassung. Hier kommt es gehäuft zur Gründung von Scheingesellschaften, die von vornherein im Hinblick auf eine baldige Insolvenz gegründet wurden und auch gehäuft zu Sozialbetrug iSd §§ 153c, 153d StGB. In diesen Fällen wird es nicht nur auf das Beiseiteschaffen von Erträgen, Vermögenswerten usw ankommen, sondern auch auf eine schon anfänglich bestandene Unterkapitalisierung. Man wird aber wohl auch an branchenspezifisch verschärfte Mindestkapitalanforderungen denken müssen; und das ruhig auch für schwergewichtig auf den österreichischen Markt ausgerichtete, wiewohl nach britischem Recht errichtete „Limiteds“: Ein öffentliches Interesse an der präventiven Hintanhaltung einschlägigen Missbrauchs sollte auch dem EuGH erklärt werden können.

3.9.
Betriebsverfassungsrecht und Arbeitskräfteüberlassung

Obwohl das ArbVG anlässlich der Schaffung des AÜG in einigen Details angepasst wurde, erweist sich seine Konzeption in vielen Aspekten den Besonderheiten, insb auch der dreipersonalen Konstellation der Arbeitskräfteüberlassung bis heute nicht gewachsen! Das beginnt bereits bei der Wahl von Betriebsräten in Überlasserbetrieben: Die Einberufung einer Betriebsversammlung durch Aushang im Büro des Überlassers – in dem betroffene AN nur bei Beginn des Arbeitsverhältnisses und dessen Ende vorbeikommen – ist in aller Regel aussichtslos. Aus der an den Wahlvorstand zu übermittelnden Wählerliste muss der Einsatzort nicht ersichtlich sein; damit kann auch für große Gruppen an denselben Beschäftiger überlassener AN keine Wahlkommission eingerichtet werden. Praktikable Regeln für die Willensbildung in einem BR, der schon im Zusammenhang mit Beendigungen des Arbeitsverhältnisses fast jeden Tag tagen müsste – von Versetzungen ganz zu schweigen – fehlen. Bei einer Briefwahl sind die möglichen Fristen oft so kurz, dass die gesicherte Rücksendung bei Überlassungen ins Ausland nicht fristgerecht erfolgen kann. Der auch literarisch geführte Streit über die Höhe und gegebenenfalls Aufteilung der Mittel aus einer Betriebsratsumlage zwischen Beschäftiger- und Überlasser-BR ist unentschieden. Die Frage, welche Rechte nun welche der Betriebsratskörperschaften tatsächlich auszuüben vermag, ist ebenso umstritten und ungeklärt wie die Frage, ob der Überlasser Pflichten gegenüber dem Beschäftiger-BR hat und umgekehrt der Beschäftigter gegenüber dem Überlasser-BR: Extreme Verfechter einer engen Auslegung des ArbVG stehen am Standpunkt, dass der Überlasser-BR nicht einmal die Ein497haltung der AN-Schutzvorschriften im Beschäftigerbetrieb überprüfen darf, nicht einmal dann, wenn es dort keinen BR gibt!

Schon aus Platzgründen kann an dieser Stelle nur eine andeutungsweise Skizze einiger Probleme, nicht einmal deren vollständige Auflistung geboten, und es können auch keine Lösungsvorschläge unterbreitet werden. Einstweilen wird eine zielorientierte und auch gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des ArbVG, die vielfältigen Probleme berücksichtigen und lösen müssen – aber ein großer Wurf des Gesetzgebers zu diesem Thema wäre wohl eines der dringendsten Anliegen an eine ArbVG-Novelle.

4,
Resümee

Die aufgezeigten Entwicklungen der letzten vier Jahrzehnte machen deutlich, dass einige Anpassungen des „Basisgesetzes“ der inner- und überbetrieblichen Sozialpartnerschaft Österreichs unumgänglich sind. Letztlich geht es um die Frage, ob und wie der soziale sowie ökonomische „Wert“ des Mitbestimmungsrechts aufrechterhalten und vermehrt werden kann. Dieser gesellschaftliche Grundwert wird vielen erst in jüngerer Zeit wieder bewusst. Das ArbVG und die darin verankerte betriebliche und überbetriebliche Sozialpartnerschaft bestand bravourös eine neuerliche Feuerprobe im Zuge der Wirtschaftskrise der Jahre 2008 ff. Ohne die ausgleichenden und umverteilenden Möglichkeiten der Kurzarbeit (§ 97 Abs 1 Z 13 ArbVG iVm §§ 37b und 37c AMSG), kollektiver Arbeitszeitanpassungen (§ 97 Abs 1 Z 2), der Aufsichtsratsmitbestimmung und der Mitwirkung in Versetzungs- und Kündigungsfragen würde die Sozial- und Wirtschaftslage in Österreich vermutlich noch wesentlich ungünstiger aussehen als sie es jetzt, im sechsten Jahr der Krise, ohnedies tut. Von Seiten der Europäischen Union wird das Österreichische Modell als vorbildhaft gewürdigt.* Wir müssen dieses Modell und sein Basisgesetz, das ArbVG, an die geänderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realitäten anpassen, es aber auch verbessern, um für künftige Herausforderungen gewappnet zu sein.