Ist das ArbVG noch aktuell – Kollektive Rechtsgestaltung

RUDOLFMOSLER (SALZBURG)
Die Regelung der kollektiven Rechtsgestaltung im Arbeitsverfassungsgesetz hat sich in 40 Jahren in der Substanz kaum geändert. Obwohl die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in den letzten beiden Jahrzehnten weltweit zu einem Frontalangriff auf AN-Rechte geführt haben, gibt es in Österreich wenigstens auf der überbetrieblichen Ebene einige Indizien für eine immer noch relativ hohe Effizienz des kollektiven Arbeitsrechts. So sind fast alle AN von einem KollV erfasst. Das System hat sich im Wesentlichen bewährt und bedarf daher keiner Generalsanierung. Punktuelle Reformen sind aber unbedingt erforderlich, um die Bestimmungen über die kollektive Rechtsgestaltung „zukunftsfit“ zu machen.
    Übersicht
  1. 40 Jahre Arbeitsverfassungsgesetz

  2. Die Regelung der kollektiven Rechtsgestaltung im Arbeitsverfassungsgesetz

  3. Reformbedarf

    1. Geltungsbereich

    2. Regelungsbefugnis

      1. Inhaltsnormen

      2. Betriebsverfassungsrechtliche Normen

    3. Kollektivvertragsfähigkeit

    4. Kollektivvertragsangehörigkeit

    5. Anpassungsnotwendigkeit aufgrund des Europarechts?

  4. Zusammenfassung

1.

Vor 40 Jahren war die Welt scheinbar noch in Ordnung. Das Wirtschaftswachstum in den 1970er-Jahren bewegte sich regelmäßig um die vier Prozent, der Spielraum für eine Verbesserung der Arbeitsund Entgeltbedingungen war daher groß. Die technische/ elektronische Revolution war erst im Entstehen und ein Globalisierungsschub allenfalls für „Insider“ erkennbar. Schon ab ca 1985 spürte man aber gravierende Veränderungen. Der – wenigstens in Teilen Europas bestehende – „Wohlfahrtsstaatkapitalismus“ wurde (und wird) immer mehr durch einen marktradikalen, zunehmend auf die Finanzwirtschaft kon511zentrierten „Casino-Kapitalismus“ abgelöst. In zahlreichen Beiträgen der letzten drei Jahrzehnte wurde daher mit Genugtuung, Bedauern oder als schlichte Feststellung konstatiert, dass das Arbeitsrecht an Bedeutung verliere.* Durch die ab 2008 einsetzende und noch immer nicht bewältigte Wirtschaftskrise hat sich der Druck auf das Arbeitsrecht zweifellos weiter erhöht. In einigen Staaten hat dies dazu geführt, dass gesetzliche Änderungen zu Lasten der AN durchgeführt wurden (besonders radikal etwa in Griechenland). Die Erosion des Arbeitsrechts kommt aber häufiger darin zum Ausdruck, dass arbeitsrechtliche Bestimmungen durch zT legale prekäre Beschäftigungsverhältnisse (zB geringfügige Beschäftigung, wirtschaftlich in hohem Ausmaß abhängige Selbständige, Befristungen, Arbeitskräfteüberlassung) umgangen werden. Auch die durch die AN-Freizügigkeit erhöhten Möglichkeiten einer grenzüberschreitenden Beschäftigung werden häufig zur Umgehung arbeitsrechtlicher Bestimmungen im Beschäftigungsstaat genutzt. Das kollektive Arbeitsrecht bleibt von dieser Entwicklung nicht verschont.* Auch hier sind es nicht so sehr gesetzliche Änderungen, die die AN und ihre Vertretungen in die Defensive bringen.* Wenn Kollektivverträge für wirtschaftlich abhängige Selbständige nicht zur Anwendung kommen, der branchenbezogene Flächentarifvertrag (insb) in Deutschland zurückgedrängt und der Firmentarifvertrag an Bedeutung gewinnt,* mittels Outsourcing von einem teureren in einen billigeren KollV „geflüchtet“ wird,* Betriebe ins Ausland verlagert werden oder sich die Betriebsstruktur in Richtung mehr kleinere Betriebe ändert und vermehrt individuelle anstelle von kollektiven Vereinbarungen geschlossen werden, kann man von „passiver Deregulierung“* sprechen. Bei gleicher Rechtslage verlieren also die Schutzinstrumentarien des Arbeitsrechts schleichend an Effizienz oder werden manchmal sogar gezielt unterlaufen. Dazu kommt, dass die Kampfkraft der Gewerkschaften durch den zT dramatischen Mitgliederschwund entscheidend geschwächt wurde und immer noch wird.* Dies hat zwar wohl vorrangig ökonomische Ursachen, einen gewissen – nicht quantifizierbaren – Anteil dürften aber auch gesellschaftspolitische Entwicklungen haben. So ist die Bindung an Großorganisationen wie Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen – jedenfalls in Europa – generell zurückgegangen, was sich insb an sinkenden Mitgliederzahlen, aber auch in geringerer Loyalität äußert.*

Freilich scheint diese internationale Entwicklung in Österreich etwas gebremst zu verlaufen. Dafür gibt es einige Indizien.* Die Zahl der von einem KollV (oder einer Satzung) erfassten AN liegt bei fast 98 %, was weltweit (neben Slowenien mit einer ähnlichen Quote) einzigartig sein dürfte und jedenfalls (zT weit) über dem Durchschnitt der wirtschaftlich vergleichbaren europäischen Staaten liegt.* Weiters ist die Niedriglohnquote (Anteil der Lohneinkommen aus der Hauptbeschäftigung, die unter einer definierten Niedriglohnschwelle liegen) in den letzten 15 Jahren in Österreich nur geringfügig (ca 10 %) gestiegen, während sie in Deutschland um ca 40 % zugenommen hat. Generell ist diese Quote nur in den nordeuropäischen Staaten (dort allerdings deutlich) geringer.* Auch die Steigerung der tariflichen Mindestlöhne in den letzten Jahren liegt im europäischen Spitzenfeld,* während sich allerdings die Entwicklung der Reallöhne nur im Mittelfeld bewegt.* Der Anteil der Betriebe mit BR512 und der Anteil der Beschäftigten in Betrieben mit BR dürfte zwar sinken,* was vermutlich vor allem mit Änderungen in der Betriebsstruktur zusammenhängt. Dramatische Einbrüche scheint es aber nicht zu geben.

Mangels einschlägiger Untersuchungen kann zwar nicht belegt werden, welchen Anteil das ArbVG daran hat, dass die Aushöhlung des kollektiven Arbeitsrechts offenkundig weniger weit als in anderen Staaten fortgeschritten ist. Es ist aber doch zu vermuten, dass die Eigentümlichkeiten des österreichischen Systems der Regelung der Arbeitsbeziehungen dazu beigetragen haben. Im Folgenden (2.) ist auf diese Besonderheiten kurz einzugehen, um daran anschließend (3.) auszuloten, in welchen Bereichen es einen Anpassungs- und Änderungsbedarf gibt.* Das kann schon aus Platzgründen nicht vollständig und nicht aufgrund einer ausführlichen rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Analyse erfolgen, vielmehr kann und muss auf die in ausreichender Zahl bestehenden einschlägigen Arbeiten zurückgegriffen werden.

2.
Die Regelung der kollektiven Rechtsgestaltung im Arbeitsverfassungsgesetz

Unter dem Titel „Kollektive Rechtsgestaltung“ werden im ersten Teil des ArbVG der KollV, die Erklärung von Kollektivverträgen zur Satzung, der Mindestlohntarif, die Festsetzung der Lehrlingsentschädigung und die BV geregelt. Seit der Stammfassung hat es nur wenige Änderungen gegeben, im Unterschied zum Betriebsverfassungsrecht hat sich die Regelung der kollektiven Rechtsgestaltung in 40 Jahren als außerordentlich stabil erwiesen.* Dabei gibt es mehrere Auffälligkeiten, die insgesamt die Besonderheit des Systems ausmachen. Schon die Existenz gesetzlicher Interessenvertretungen mit Pflichtmitgliedschaft sowohl auf AN- als auch auf AG-Seite ist ein Austriacum. Diese sind schon nach dem Gesetz kollektivvertragsfähig (§ 4 Abs 1 ArbVG). Die umfassende Geltung kollektivvertraglicher Regelungen hängt vor allem auch damit zusammen, dass der Großteil der Kollektivverträge auf AG-Seite von der Wirtschaftskammer als gesetzliche Interessenvertretung mit Pflichtmitgliedschaft abgeschlossen wird und damit ohne Allgemeinverbindlicherklärung automatisch alle AG erfasst werden. Bedenkt man, dass der österreichweit geltende Branchen-KollV nach wie vor die Regel ist* und aufgrund der Außenseiterwirkung* alle AN erfasst werden, ist die fast vollständige Tarifbindung der AN erklärbar.* Soweit Lücken bestehen, gibt es auch noch die Satzung (mit der der Geltungsbereich von Kollektivverträgen erweitert werden kann) und den Mindestlohntarif sowie die Festsetzung der Lehrlingsentschädigung als Substitutionsinstrumente. Man kann daher in Österreich tatsächlich von einer Kartellwirkung des KollV sprechen, die Mindeststandards für Entgelte und Arbeitsbedingungen für fast alle AN und gleichzeitig eine wenigstens ähnliche Arbeitskostenbelastung für alle Unternehmen einer Branche schafft.* Der Wettbewerb über die Arbeitskosten wird also deutlich mehr als in anderen Staaten eingeschränkt. Es ist – wegen der zwingenden Wirkung des KollV – idR nur bei rechtswidrigem Handeln möglich, sich Wettbewerbsvorteile durch Lohnkürzungen zu verschaffen. Das wiederum stellt einen unlauteren Wettbewerb nach § 1 UWG dar, der von Konkurrenten und den Sozialpartnern geltend gemacht werden kann.*

Ein weiteres Element dieses Systems ist der hohe Zentralisierungsgrad bei den Interessenvertretungen. Im Unterschied zu vielen Staaten, in denen gerade AN-Vertretungen zersplittert sind und daher eine relativ geringe soziale Mächtigkeit besitzen, hat der ÖGB faktisch ein Vertretungsmonopol (das durch die Existenz der Arbeiterkammern wohl nicht eingeschränkt, sondern eher verstärkt wird). Das ArbVG begünstigt diese Zentralisierung, indem bei der Zuerkennung der Abschlussbefugnis für Kollektiverträge bei den freiwilligen Verbänden relativ hohe Hürden aufgrund der erforderlichen Repräsentativität aufgebaut sind. Dazu kommt, dass der ÖGB alle Branchen abdeckt und alle politischen Fraktionen einbezieht. Für das Entstehen einer konkurrierenden Interessenvertretung bestehen daher keine günstigen Ausgangsbedingungen. Auf513 AG-Seite gibt es zwar neben der Wirtschaftskammer mehrere freiwillige Berufsvereinigungen, nur wenige von ihnen schließen aber Kollektivverträge ab (zB der Verband österreichischer Banken und Bankiers). In Art 120a B-VG wurde die Rolle der Sozialpartner sogar verfassungsrechtlich geschützt, was auch den Abschluss von Kollektivverträgen umfasst.* Bei dieser Ausgangslage ist es durchaus verständlich, dass eine Diskussion über einen gesetzlichen Mindestlohn in Österreich kaum geführt wird. Weder die AG- noch die AN-Vertretungen haben ein Interesse daran, die Hoheit über die Lohngestaltung an den Staat abzugeben. Dies würde ihre Rolle schwächen und für den ÖGB auch bedeuten, dass der Anreiz für die AN, Mitglied zu werden, reduziert wird.*

Je nach Interessenlage und politischer Ausrichtung kann man das zentralistische und wenig liberale Modell einer kollektiven Rechtsgestaltung befürworten oder ablehnen. Bei einer systemimmanenten Betrachtung wird man aber zugestehen müssen, dass es bis heute seine Aufgabe, eine funktionierende Mindestsicherung vor allem beim Entgelt für fast alle AN zu gewährleisten, im internationalen Vergleich einigermaßen gut bewältigt hat. Die relativ geringe Arbeitslosigkeit ist ein Indiz dafür, dass auch die Arbeitskosten keineswegs zu hoch sind. Die hohe Produktivität der österreichischen Wirtschaft und ihrer AN sorgt dafür, dass die Lohn(stück)kosten im Mittelfeld liegen, was für die Wettbewerbsfähigkeit wichtig ist. Sollte man also alles belassen, wie es ist? Auch wenn man den Primat der Ökonomie und die begrenzten Steuerungsmöglichkeiten des Rechts anerkennt, legen es schon die oben (1.) geschilderten politischen und ökonomischen Entwicklungen nahe, einen Blick darauf zu werfen, welchen Anpassungsbedarf es nach 40 Jahren ArbVG gibt.

3.
Reformbedarf
3.1.
Geltungsbereich

Die Bestimmungen des I. Teils des ArbVG gelten grundsätzlich für Arbeitsverhältnisse aller Art, die auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen. Daraus wird abgeleitet, dass damit auf den AN-Begriff des Arbeitsvertragsrechts Bezug genommen wird.* Freie Dienstverhältnisse bzw Verträge arbeitnehmerähnlicher Personen sind daher nach hM nicht als „Arbeitsverhältnisse“ anzusehen.* Die Rechtslage ist freilich keineswegs eindeutig. Der Begriff „ Arbeitsverhältnisse aller Art“ könnte auch weiter verstanden werden.* Mehr als eine Einbeziehung wirtschaftlich besonders abhängiger arbeitnehmerähnlicher Personen und damit eine geringfügige Ausdehnung des AN-Begriffs lässt sich aber letztlich de lege lata nicht vertreten.*

Der vorrangige Zweck der Regelungen über die kollektive Rechtsgestaltung ist, dass das auf der Ebene des einzelnen Arbeitsvertrags bestehende Ungleichgewicht zwischen AN und AG ausgeglichen wird.* Es besteht aber kein Zweifel, dass es Beschäftigte gibt, für die aufgrund der Anknüpfung des § 1 Abs 1 ArbVG an den Arbeitsvertrag, der wiederum nach hM und der Rsp maßgeblich durch die persönliche Abhängigkeit definiert wird, trotz eines Vertragsungleichgewichts auf individueller Ebene und besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit keine Möglichkeit der Einbeziehung in den KollV gegeben ist. Zu Recht hat der Gesetzgeber in den letzten 15 Jahren sowohl Lücken in der Sozialversicherungspflicht weitgehend geschlossen als auch Teile des Arbeitsrechts auf arbeitnehmerähnliche Personen (im Antidiskriminierungsrecht, vgl § 1 Abs 3 Z 2 GlBG, Art 1 § 16 Abs 3 Z 2 GlBG, § 7a Abs 2 Z 4 BEinstG), bzw dienstnehmerähnliche freie DN gem § 4 Abs 4 ASVG (IESG, BMSVG, AKG) erstreckt. Für bestimmte Gruppen von arbeitnehmerähnlichen Personen (HeimarbeiterInnen, ständige freie und nicht bloß nebenbeschäftigte freie MedienmitarbeiterInnen nach den §§ 16 ff JournG) gibt es andere Instrumente der kollektiven Rechtsgestaltung (Gesamtverträge). Es wäre hoch an der Zeit, den Geltungsbereich der kollektiven Rechtsgestaltung auf die arbeitnehmerähnlichen Personen auszudehnen, die typische AN-Tätigkeiten ausüben und denen es aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Situation nicht gelingt, ein adäquates Entgelt und entsprechende Arbeitsbedingungen individuell auszuverhandeln,* die Möglichkeit eines Kollektivvertragsabschlusses bzw einer Einbeziehung in einen bestehenden KollV zu eröffnen.* Wie die Kollektivvertragsparteien den Geltungsbereich definieren, ob und wie sie die angesprochene Gruppe arbeitnehmerähnlicher Personen einbeziehen, sollte ihnen weiterhin überlassen bleiben. Es ist durchaus denkbar und wird manchmal sinnvoll sein, dabei zu differenzieren. Die Kollektivvertragsparteien könnten zB das Mindestentgelt, nicht aber den gesamten Arbeitszeitschutz auf diese Beschäftigtengruppe zur Anwendung bringen.

Fraglich ist noch, ob – wie in § 4 Abs 4 ASVG – nur dienstnehmerähnliche freie Dienstverträge oder unabhängig vom Vertragstyp alle sozial schutzbedürf514tigen arbeitnehmerähnlichen Personen in den Schutzbereich des KollV einbezogen werden sollten. Für die erste Position sprechen zweifellos die typologischen Unterschiede zwischen Dauerschuldverhältnissen und Zielschuldverhältnissen sowie ein allfälliges Fehlen eines klaren organisationsrechtlichen Anknüpfungspunktes.* Andererseits ist die Schutzbedürftigkeit und damit die Notwendigkeit eines kollektivvertraglichen Mindestentgelts nicht deshalb geringer, weil die Arbeitsleistung in einem Werkvertrag oder – wie häufig – in einer Abfolge von Werkverträgen und nicht in einem freien Dienstvertrag erbracht wird. Mir scheint auch die organisationsrechtliche Anknüpfung kein unlösbares Problem zu sein, weil AN-Ähnlichkeit idR ohnehin erst bei einer gewissen Dauer und Regelmäßigkeit der Beschäftigung vorhanden sein wird. Im Übrigen ist die Abgrenzung zwischen Werkvertrag und freiem Dienstvertrag in vielen Fällen keineswegs eindeutig. § 12a des deutschen TVG zeigt zudem, dass der Abschluss von Kollektivverträgen für alle arbeitnehmerähnlichen Personen möglich ist.*

Entsprechende Konsequenzen müsste die Erweiterung des § 1 Abs 1 auch für die Satzung und den Mindestlohntarif haben. Ebenso sollte die Geltung von Betriebsvereinbarungen in gleicher Weise ausgedehnt werden. Dass dies dem Grunde nach möglich ist, zeigt die Einbeziehung der HeimarbeiterInnen. Wie bei diesen könnte die Geltung der Betriebsvereinbarungen (und wohl auch der Kollektivverträge) nur für den Fall vorgesehen sein, dass sie ausdrücklich in den Geltungsbereich einbezogen werden.*

Nicht eindeutig geregelt und ebenso reformbedürftig ist die Frage, ob es für die Geltung von Betriebsvereinbarungen auf den AN-Begriff nach § 1 oder den nach § 36 ArbVG ankommt. Davon hängt ua ab, ob für leitende Angestellte iSd § 36 Abs 2 Z 3 oder Beamte eine BV zur Anwendung kommen kann. Der I. Teil des ArbVG erfasst auch Betriebsvereinbarungen, was dafür spricht, dass diese grundsätzlich für alle AN iSd § 1 ArbVG gelten können. Allerdings gelten die Bestimmungen des 5. Hauptstücks über die Betriebsvereinbarungen nur für Betriebe, die den Bestimmungen des II. Teils unterliegen. Daraus wird geschlossen, dass die Bestimmungen über die BV immer nur dann anzuwenden sind, wenn sowohl die Voraussetzungen des § 1 als auch die der §§ 33 bis 36 und 40 Abs 1 ArbVG vorliegen.* Im Ergebnis bedeutet dies, dass Betriebsvereinbarungen weder für Organmitglieder und leitende Angestellte (weil sie nicht unter § 36 ArbVG fallen)* noch für Beamte (weil sie nicht unter § 1 ArbVG fallen)* gelten. Unabhängig davon, dass der Wortlaut des § 1 Abs 3 ArbVG diese restriktive Sichtweise nicht zwingend erfordert, ist es auch wenig überzeugend, dass der Geltungsbereich der BV doppelt eingeschränkt wird. Die BV ist zwar formal kollektive Rechtsgestaltung, was aber nicht unbedingt mit einer Zuordnung zum I. Teil des ArbVG verbunden sein müsste. Materiell handelt es sich um das Ergebnis der realisierten Mitwirkungsrechte des BR. Deshalb wäre zu überlegen, das 5. Hauptstück des I. Teils in das II. Hauptstück zu transferieren und damit auch ausschließlich dem persönlichen Geltungsbereich des § 36 ArbVG zu unterstellen.* Damit wären etwa leitende Angestellte iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG nicht erfasst, was man wie im Betriebsverfassungsrecht damit rechtfertigen kann, dass diese Personengruppe überwiegend AG-Funktionen ausübt und daher in einem Interessengegensatz zum BR als Vertreter der Belegschaft steht. Dazu passt es nicht, wenn der BR eine auch für die leitenden Angestellten gültige BV abschließt, im Extremfall diese sogar zwischen BR und leitendem Angestellten ausverhandelt wird. Hingegen können Beamte im Betrieb beschäftigt und damit AN iSd § 36 ArbVG sein. Die Geltung einer BV wäre dann nach dem ArbVG nicht ausgeschlossen, allerdings unter Berücksichtigung der Vorschriften des Beamtendienstrechts zu beurteilen.*

3.2.
Regelungsbefugnis
3.2.1.
Inhaltsnormen

Nach § 2 Abs 2 ArbVG können durch Kollektivverträge neben den Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien Inhaltsnormen (Z 2), die Änderung kollektivvertraglicher Rechtsansprüche ausgeschiedener AN (Z 3), Sozialpläne (Z 4), Mitwirkungsbefugnisse der Belegschaft bei der Durchführung eines Sozialplans und von Maßnahmen der menschengerechten Arbeitsgestaltung (Z 5), gemeinsame Einrichtungen der Kollektivvertragsparteien (Z 6) und sonstige gesetzlich übertragene Aufgaben (Z 7) normiert werden. Grundsätzlich sind Umfang und Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis durchaus überzeugend geregelt und haben sich auch bewährt. Einige wenige Änderungen scheinen mir trotzdem zweckmäßig.

Hinsichtlich der Inhaltsnormen wird von Teilen der Lehre mE zu Recht kritisiert, dass der OGH mehrmals eine restriktive Auslegung in dem Sinne vertreten hat, dass nur der typische, wesentliche und regelmäßig wiederkehrende Inhalt eines Arbeitsverhältnisses kollektivvertraglich regelbar sei.* Freilich hat dieser515 Leitsatz selten Auswirkungen, weil der OGH keine Detailprüfung durchführt, was in der Arbeitsvertragspraxis typisch, wesentlich und regelmäßig wiederkehrend ist. Zu Recht mehrheitlich kritisiert wurde, dass nach Ansicht des OGH mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehende Kondiktionsansprüche nicht als Inhaltsnorm kollektivvertraglich regelbar sind.* Größere Bedeutung haben die Fälle, in denen der OGH das Fehlen einer Kompetenz der Kollektivvertragsparteien für die Leistung von AN-Beiträgen zur Altersversorgung angenommen hat.* Ohne auf diese Problematik im Detail eingehen zu können, sollte man allerdings bedenken, dass eine Verpflichtung der AN, an einem Betriebspensionssystem mit eigenen Beiträgen teilzunehmen, die freie Verfügbarkeit des verdienten Entgelts, die im Arbeitsrecht auch durch das Truckverbot geschützt ist, einschränkt. Das dürfte verfassungsrechtlich noch erlaubt sein, rechtspolitisch ist es aber ein zweischneidiges Schwert.* Zwar ist die Schaffung einer betrieblichen Altersversorgung durch den KollV eine durchaus sinnvolle Maßnahme, möglicherweise wird das Zustandekommen durch die Beteiligung der AN auch erleichtert. Man kann aber darüber diskutieren, ob bei Bestehen einer Pflichtversicherung, die wenigstens eine existenzsichernde Pension garantiert, den AN vorgeschrieben werden sollte, zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben. Dazu kommt, dass AN verpflichtet würden, in eine bestimmte private (!) Pensionskasse einzuzahlen, auch wenn sie mit diesem Unternehmen ohne diese Verpflichtung niemals einen Vertrag abschließen würden.

3.2.2.
Betriebsverfassungsrechtliche Normen

Die Zulässigkeit betriebsverfassungsrechtlicher Normen im KollV über § 2 Abs 2 Z 5 ArbVG hinaus wird derzeit überwiegend abgelehnt.* Rechtspolitisch wird aber zT eine Erweiterung der Regelungsbefugnisse der Kollektivvertragsparteien im Hinblick auf die Schaffung und Erweiterung von Mitwirkungsrechten des BR gefordert.* Dies sollte entweder im KollV selbst oder mit einer „Öffnungsklausel“ auf Unternehmensebene erfolgen können.* Tatsächlich wirkt die derzeitige Regelung wie ein Torso, der nur durch die Logik des Kompromisses erklärbar ist. Warum kann man die Mitwirkung des BR bei der menschengerechten Arbeitsgestaltung, nicht aber zB bei Gesundheitsschutzmaßnahmen erweitern? Freilich darf man bei einer rechtspolitischen Betrachtung die derzeitige Rechtslage nicht zu formal sehen. Materiell sieht § 29 ArbVG auch die Möglichkeit der Erweiterung der Mitwirkung des BR vor, weil der KollV seine ihm verliehene Regelungsbefugnis auf die BV übertragen kann und diese ein Instrument der Mitwirkung der Belegschaft darstellt. Es wäre also sogar möglich, dass im KollV der BR zur Festlegung eines Mindestentgelts und damit zu Lohnverhandlungen ermächtigt wird. Dazu kommt, dass in anderen Gesetzen eine Delegation vom KollV auf die BV vorgesehen ist, die dem BR letztlich ein (zT sogar zwingendes) Mitbestimmungsrecht einräumt. So können nach § 1a AZG Regelungen, zu denen der KollV nach dem AZG ermächtigt ist, durch BV zugelassen werden, wenn der KollV die BV dazu ermächtigt (oder kein KollV besteht). So gering sind also – bei materieller Betrachtung – die Möglichkeiten für die Kollektivvertragsparteien schon im geltenden Recht gar nicht, die Mitwirkungsrechte des BR auszubauen. Eine darüber hinausgehende Erweiterung könnte am ehesten am Modell des AZG anknüpfen.* Fraglich ist allerdings, ob dies auch für die Mitwirkung in personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten gelten sollte. Dass der OGH die Erweiterung der Mitwirkungsrechte des BR beim Kündigungsschutz wegen der fehlenden Rechtsetzungsbefugnis der Kollektivvertragsparteien und des unzulässigen Eingriffs in absolut zwingendes Betriebsverfassungsrecht als rechtswidrig und nichtig angesehen hat,* würde den Gesetzgeber nicht daran hindern, eine solche Erweiterungsmöglichkeit ausdrücklich vorzusehen. Freilich müsste man die verfassungsrechtlichen und allenfalls auch unionsrechtlichen Grenzen einer solchen Regelung ausloten. Zusätzliche Anhörungs-, Informations- und Beratungsrechte vor Ausspruch einer Kündigung oder Entlassung wären wohl unbedenklich, ein Vetorecht des BR bei Beendigung durch den AG (oder auch bei der Einstellung) hingegen nicht. Wenig Spielraum gibt es mE bei der Mitwirkung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Hinsichtlich des Sozialplans besteht schon eine entsprechende Kompetenz der Kollektivvertragsparteien, bei der Mitwirkung im Aufsichtsrat sollte die Regelungshoheit schon wegen der Auswirkungen auf das Gesellschaftsrecht beim Gesetzgeber bleiben.

3.3.
Kollektivvertragsfähigkeit

Die diesbezügliche Regelung im ArbVG bildet grundsätzlich die reale Situation in Österreich ab. Sie hat den gesetzlichen Interessenvertretungen und den juristischen Personen des öffentlichen Rechts die Kollektivvertragsfähigkeit unmittelbar im Gesetz eingeräumt. Freiwilligen Berufsvereinigungen ist die Kollektivvertragsfähigkeit auf Antrag zuzuerkennen, wenn sie (ua) in einem größeren fachlichen und räumlichen Wirkungsbereich tätig werden und nach Zahl516 der Mitglieder und Umfang der Tätigkeit eine maßgebende wirtschaftliche Bedeutung haben. Damit werden scheinbar erhebliche Anforderungen an die Repräsentativität gestellt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass diese keineswegs überzogen sind, durchaus die Berücksichtigung von Branchen- Besonderheiten erlauben* und ein Nebeneinander konkurrierender Berufsvereinigungen ermöglichen.* Durch dieses System wird im Übrigen die Bildung von Koalitionen nicht unmittelbar eingeschränkt, weil eine Koalition auch dann vorliegt (und sich auf den Schutz der Koalitionsfreiheit berufen kann), wenn sie Kollektivverträge mit Normwirkung mangels Repräsentativität nicht abschließen darf oder gar nicht abschließen will (zB Ad-Hoc-Koalition zur Durchführung eines Arbeitskampfes). Das kollektive Verhandeln ist aber nunmehr sowohl durch Art 11 EMRK in der Auslegung der neueren Rsp des EGMR als auch durch Art 28 GRC geschützt.* Ein genereller Anspruch einer Koalition, Kollektivverträge mit Normwirkung abschließen zu dürfen, ergibt sich daraus jedoch nicht.* Es ist im Übrigen keineswegs unsachlich, wenn ein gewisses Maß an Repräsentativität verlangt wird. Alle Beteiligten sollen sich darauf verlassen können, dass die einen KollV abschließenden Organisationen keine vorübergehende Erscheinung sind. Man kann auch nicht davon sprechen, dass die Koalitionsfreiheit durch die Kollektivvertragsfähigkeit von umfassend zuständigen gesetzlichen Interessenvertretungen ausgehöhlt würde. Das wird insb durch den Vorrang der freiwilligen Berufsvereinigungen (§ 6 ArbVG) verhindert. Innerstaatlich hat die Anerkennung der Rolle der Sozialpartner in Art 120a B-VG, der mE auch den Abschluss von Kollektivverträgen nach dem Regelungsmodell des ArbVG umfasst,* ohnehin allfällige verfassungsrechtliche Zweifel beseitigt.

Ein ungelöstes Problem besteht freilich nach wie vor im Hinblick auf die Kollektivvertragsfähigkeit der Kammern der freien Berufe. Zwar wird in § 4 Abs 1 ArbVG als Voraussetzung für die Kollektivvertragsfähigkeit gesetzlicher Interessenvertretungen ausdrücklich angeführt, dass deren Willensbildung in der Vertretung der AG- oder AN-Interessen gegenüber der anderen Seite unabhängig ist. Gleichzeitig wurde aber schon in den Materialien zur Stammfassung die Gegnerunabhängigkeit relativiert* und in der Folge von der hM besonders niedrig angesetzt.* Bei der Ärztekammer besteht etwa eine formale organisatorische Trennung (Kuriengliederung), die bei selbständiger und unselbständiger Tätigkeit auch noch ein Optionsrecht für die eine oder andere Kurie vorsieht. Dies soll für die Kollektivvertragsfähigkeit auf AG- und AN-Seite genügen und Kollektivverträge zwischen der Kurie der niedergelassenen und der Kurie der angestellten Ärzte ermöglichen.* Das führt nicht nur die Gegnerunabhängigkeit ad absurdum, sondern verhindert faktisch auch das kollektive Verhandeln anderer Berufsvereinigungen. Eine klarstellende Änderung des ArbVG, die wenigstens einen Kollektivvertragsabschluss innerhalb derselben Interessenvertretung unmöglich macht, wäre daher geboten.

In der Literatur wurde schon mehrfach kritisiert, dass der Gesetzgeber (vor allem im Zuge der Ausgliederung zuvor öffentlicher Einrichtungen) immer wieder einzelnen Unternehmen die Kollektivvertragsfähigkeit auf AG-Seite verliehen hat. Bekannte Beispiele sind etwa die Post und Telekom Austria AG, der ORF, aber etwa auch die Akademie der Wissenschaften. Bei den Universitäten wurde die Kollektivertragsfähigkeit hingegen dem Dachverband der (öffentlichen) Universitäten zuerkannt. Abgesehen von einer Unzahl von juristischen Detailproblemen* entsteht durch sogenannte Firmenkollektivverträge das Problem, dass der iSd Konzeption des ArbVG vorherrschende Branchen- KollV und damit auch dessen Kartellierungsfunktion wenigstens in einem Teilbereich ausgehöhlt wird.* Zwar besteht im Rahmen von Ausgliederungen insofern eine Sondersituation, als meist der Übergang vom öffentlichen Dienstrecht auf das private Arbeitsrecht bewältigt werden muss. Das mag (uU auch längere) Übergangsregeln rechtfertigen, nicht unbedingt aber Firmenkollektivverträge. Freilich wird man im Einzelfall unterscheiden müssen. Der vom Dachverband der Universitäten abgeschlossene KollV erfasst in Wahrheit (fast) eine ganze Branche. Die dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zuerkannte Kollektivvertragsfähigkeit führt letztlich dazu, dass für alle darin zusammengeschlossenen Sozialversicherungsträger ein einheitlicher KollV abgeschlossen werden kann und die für die einzelnen Sozialversicherungsträger als juristische Personen öffentlichen Rechts bestehende Kollektivvertragsfähigkeit nach § 7 ArbVG beseitigt wurde.* In diesen Fällen scheint die verliehene Kollektivvertragsfähigkeit durchaus sinnvoll zu sein. Generell gilt aber, dass Regelungen der Kollektivvertragsfähigkeit außerhalb des ArbVG eine äußerst unübersichtliche Situation schaffen. Es müsste doch möglich sein, dass auch speziell für Branchen oder Unternehmen geschaffene Sonderformen der Kollektivvertragsfähigkeit im ArbVG517 selbst – als dem „zuständigen“ Gesetz“ – geregelt und diese nicht in einem Ausgliederungsgesetz oder gar in Sammelgesetzen versteckt werden.*

Eine neuere E des VwGH zur Kollektivvertragsfähigkeit hat viel Diskussion ausgelöst.* Dem Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) wurde 1998 vom Bundeseinigungsamt die Kollektivvertragsfähigkeit gem § 4 Abs 2 ArbVG zuerkannt. Nun wurde der Bescheid über die Abweisung des Antrags auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit vom VwGH aufgehoben. An dieser Stelle ist nicht auf die E selbst und die Kritik daran einzugehen,* sondern nur auf einen allfälligen Reformbedarf. Aus § 4 Abs 2 Z 2 ArbVG kann man ableiten, dass die Kollektivvertragsfähigkeit als Berufsvereinigung dann nicht verliehen werden darf, wenn die betreffende Organisation nicht in einem größeren fachlichen Wirkungsbereich tätig ist und Kollektivverträge nur organisationsintern abgeschlossen werden können. Der VwGH beurteilt das nach den Statuten,* was beim ÖRK zur Aberkennung geführt hat, weil andere Organisationen danach nicht aufgenommen werden konnten und die Aufgabenstellung nicht iS einer überbetrieblich tätigen Berufsvereinigung definiert war.* Mittlerweile wurden aber die Statuten geändert und die Mitgliedschaft auch anderen Rettungsorganisationen ermöglicht,* weshalb man iSd Auslegung des VwGH vermutlich von einem größeren fachlichen Wirkungsbereich ausgehen muss. Auch wenn andere Rettungsorganisation davon nicht Gebrauch machen sollten, könnte die Statutenänderung dazu geführt haben, dass die Voraussetzungen für die Kollektivvertragsfähigkeit erfüllt sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man davon ausgeht, dass die „maßgebende wirtschaftliche Bedeutung“ (auch) auf die Branche und nicht (nur) auf die Gesamtwirtschaft zu beziehen ist.* Dass es für das Tätigwerden in einem größeren fachlichen und räumlichen Wirkungsbereich nur auf die Statuten und nicht auch darauf ankommt, ob faktisch Überbetrieblichkeit gegeben ist, überzeugt allerdings nicht. Das ArbVG hat für privatwirtschaftliche Organisationen zwei Möglichkeiten vorgesehen, die Kollektivvertragsfähigkeit zu erlangen: als Berufsvereinigung bei überbetrieblicher Tätigkeit und als (größerer) Verein im Hinblick auf die eigenen Arbeitsverhältnisse. Eine Berufsvereinigung (der AG) liegt aber bei der gebotenen materiellen Betrachtung nicht vor, wenn nur die Landesverbände derselben Organisation die Mitgliedschaft innehaben.*

Die einfachste Lösung des Problems wäre zweifellos, wenn die „Konkurrenten“ des ÖRK diesem beitreten (was nicht wahrscheinlich sein dürfte und diesen auch schwer zumutbar ist) oder eine gemeinsame Organisation gegründet würde (nach dem Vorbild des Vereins „Sozialwirtschaft Österreich“, dem viele Unternehmen aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich beigetreten sind und der den BAGS-KollV abgeschlossen hat). Damit könnte die Funktion des Branchen-KollV, einen Wettbewerb nach unten bei den Arbeitskosten zu verhindern, erfüllt werden. Wenn das nicht gelingt, wäre allenfalls auch eine gesetzliche Regelung denkbar, die einen Dachverband festlegt und diesem die Kollektivvertragsfähigkeit verleiht. Zwar handelt es sich bei den Rettungsorganisationen um private Vereine und nicht um juristische Personen des öffentlichen Rechts (wie zB bei den Universitäten). Allerdings besteht durchaus eine gewisse Staatsnähe, weil die Rettungsorganisationen staatlich subventioniert werden und zT öffentliche Aufgaben übernommen haben. Insofern gibt es eine gewisse Ähnlichkeit mit der Sonderkollektivvertragsfähigkeit der Post und Telekom Austria AG, die als privates Unternehmen die Kollektivvertragsfähigkeit ex lege innehat.*

3.4.
Kollektivvertragsangehörigkeit

Die wohl meist diskutierte und umstrittenste Frage bei der Kollektivvertragsangehörigkeit ist, ob die faktische Zuordnung eines Unternehmens durch die Wirtschaftskammer zu einem bestimmten Fachverband maßgeblich ist oder ob die Richtigkeit dieser Zuordnung gerichtlich überprüft werden kann. Der OGH verneinte die Überprüfbarkeit* und erntete dafür von einem Teil der Lehre heftigen Widerspruch.* Wiederum geht es hier nicht darum, in der rechtsdogmatischen Diskussion Stellung zu beziehen. Es besteht aber jedenfalls Reformbedarf. Der KollV ist ein Instrument der Austragung von Interessengegensätzen, der deshalb akzeptiert wird und „funktioniert“, weil die wirtschaftliche Unterlegenheit der AN durch den kollektiven Zusammenschluss ausgeglichen wird und damit auf Augenhöhe verhandelt werden kann. Diese „balance of powers“ wird ua dadurch gesichert, dass Gegnerfreiheit und Gegnerunabhängigkeit eine unbeeinflusste Vertretung der Interessen der AN (bzw der AG) gewährleisten. Kann eine Seite festlegen, welcher KollV tatsächlich im Einzelfall zur Anwendung kommt, ist das Gleichgewicht gestört. Das wäre im Übrigen auch so, wenn der ÖGB zB über die Einstufung der518 AN in den KollV entscheiden könnte und diese Entscheidung nicht überprüfbar wäre. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Wirtschaftskammer zunächst über die interne Zuordnung und nur indirekt über die Kollektivvertragsangehörigkeit entscheidet, ist sie doch Partei und steht als Interessenvertretung unter dem Druck der Mitglieder, wenigstens im Zweifel die für die AG-Seite günstigere Entscheidung zu treffen.* Bedenkt man, dass es bei der in der Praxis oft strittigen Zuordnung zum Gewerbe oder zur Industrie um erhebliche Unterschiede insb beim Entgelt geht, ist die Gefahr einer Fehlentscheidung doch groß. Eine gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung wäre ein erforderliches Korrektiv (und wohl zweckmäßiger als eine eigenständige Entscheidung über die Kollektivvertragsangehörigkeit zB durch das Bundeseinigungsamt) und sollte im ArbVG ausdrücklich verankert werden.

Letztlich sollte auch das Schicksal des KollV bei einem Betriebsübergang neu geregelt werden.* § 8 Z 2 ArbVG, der für den nicht aufgrund § 8 Z 1 ArbVG kollektivvertragsangehörigen Erwerber die Geltung des KollV des Veräußerers anordnet, und § 4 Abs 1 AVRAG, der offenbar generell ein Mindestschutzniveau bei Betriebsübergang gewährleisten will, sind nur schwer in Einklang zu bringen.* Der OGH hat zwar entschieden, dass § 8 Z 2 ArbVG vorgeht und § 4 Abs 1 AVRAG nur für Sonderfälle wie den mehrfachen Betriebsübergang auf AG-Außenseiter zur Anwendung kommt.* Abgesehen davon, dass das unklare Verhältnis zwischen § 8 Z 2 ArbVG und § 4 Abs 1 AVRAG einer gesetzlichen Lösung bedürfte, bleiben aber viele Gestaltungsmöglichkeiten, die letztlich zu einer uU deutlichen Verschlechterung der kollektivvertraglich gewährleisteten Arbeitsbedingungen führen können. Insb kann dies auch dann nicht ausgeschlossen werden, wenn ein Betriebsübergang nur zu dem Zweck „veranstaltet“ wird, um einen Kollektivvertragswechsel herbeizuführen.* Generell sollte der Gedanke des Vertrauensschutzes bei einem Kollektivvertragswechsel eine größere Rolle spielen.*

3.5.
Anpassungsnotwendigkeit aufgrund des Europarechts?

Zwei europarechtliche Entwicklungslinien haben in den letzten zehn Jahren Einfluss auf das Kollektivvertragsrecht genommen. Einerseits hat der EGMR das Recht einer Gewerkschaft, mit dem/der AG zu verhandeln, als wesentlichen Bestandteil des Koalitionsrechts nach Art 11 EMRK anerkannt.* Andererseits ist aufgrund des Vertrags von Lissabon Art 28 GRC in Kraft getreten, der ein Recht auf Verhandlungen und Abschluss von Kollektivverträgen sowie auf Kollektivmaßnahmen einschließlich des Streiks nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten vorsieht. Obwohl vor allem im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Art 28 GRC bzw deren Reichweite vieles noch unklar ist, wurde jedenfalls (wie auch durch die neuere Rsp des EGMR) die Kollektivvertragsautonomie gestärkt. Es ist aufgrund des Art 6 AEUV, der die rechtliche Gleichrangigkeit der GRC und der Grundfreiheiten betont, auch nicht mehr vertretbar, dass letzteren ein Vorrang zukommt.* Diesbezüglich ist also die Rsp des EuGH in den Urteilen Laval und Viking überholt.* Keineswegs geklärt ist allerdings der Fall einer Kollision von Grundrechten. Der EuGH scheint dem Antidiskriminierungsrecht generell einen höheren Stellenwert als der Kollektivvertragsautonomie einzuräumen und belässt dem KollV in derartigen Fällen nicht mehr Gestaltungsfreiraum als dem innerstaatlichen Gesetzgeber.*

Die Stärkung der Kollektivvertragsautonomie wirkt sich nicht unmittelbar auf die österreichische Rechtslage aus. Insb ist auch die Rechtslage hinsichtlich der Kollektivvertragsfähigkeit damit vereinbar. Einschränkungen könnten sich nur dann ergeben, wenn etwa ein gesetzlicher Mindestlohn in Österreich eingeführt würde oder die Rechte der Belegschaft massiv ausgebaut werden sollten. Hierbei müsste man jedenfalls auf die Grenzen der Koalitionsfreiheit Bedacht nehmen.*

Ebenso kein Reformbedarf im innerstaatlichen Recht besteht im Hinblick auf mögliche grenzüberschreitende bzw transnationale Kollektivverträge.* Abgesehen davon, dass schon die Kompetenz der EU zur Schaffung eines europäischen Kollektivvertrags519rechts strittig ist,* gibt es derzeit offenbar weder von der Sozialpartnern noch von der Kommission entsprechende Initiativen.* Das ist freilich bedauernswert, weil das Entstehen einer die innerstaatlichen Kollektivverträge ergänzenden (nicht ersetzenden) europäischen Kollektivvertragskultur vor allem die Situation von grenzüberschreitend tätigen AN verbessern könnte.

4.
Zusammenfassung

Im Gegensatz zum Betriebsverfassungsrecht, das wohl eines umfassenden Relaunches bedarf, ist der Reformbedarf in der kollektiven Rechtsgestaltung zweifellos wesentlich geringer. Insgesamt hat sich die Regelung des KollV und seiner Substitutionsinstrumente Satzung, Mindestlohntarif und Lehrlingsentschädigung durchaus bewährt. Abgesehen von der Ausdehnung des personellen Geltungsbereichs geht es mehr um punktuelle Anpassungen bei der Regelungsbefugnis, der Kollektivvertragsfähigkeit und der Kollektivvertragsangehörigkeit. Überlegt werden sollte, die Regelungskompetenzen der BV etwas auszubauen und diese zur Gänze in die Betriebsverfassung zu integrieren. Aus dem europäischen Recht ergibt sich kein spezifischer Anpassungsbedarf im innerstaatlichen Recht, derzeit auch nicht im Hinblick auf allfällige grenzüberschreitende Kollektivverträge.