Vertrauensschutz im Sozialrecht

WALTER J.PFEIL (SALZBURG)
Bei der Frage, inwieweit der Gesetzgeber in sozialrechtliche Ansprüche oder Anwartschaften eingreifen kann und darf, handelt es sich um eines der aktuellsten und spannendsten Grundsatzthemen, die das Sozialrecht zu bieten hat. Da es dafür keine Regelungen gibt, sondern derartige Eingriffe vom österreichischen VfGH vor allem an einem aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Vertrauensschutz gemessen werden, sind die Möglichkeiten und Grenzen für solche Maßnahmen vielfach unklar. Der vorliegende Beitrag versucht aus einer sozialrechtlichen Perspektive, manche dieser Unklarheiten zu verringern.
1.
Ausgangssituation

Die Finanz-, Wirtschafts- und politischen Krisen der letzten Zeit haben die Frage nach Eingriffen in bestehende sozialrechtliche Ansprüche und Erwartungen wohl stärker denn je in den Fokus gerückt. Während große Teile der Politik und der Ökonomie die Notwendigkeit des Sparens und der Einschränkung gerade solcher Leistungen unterstreichen, werden von anderen – ebenso PolitkerInnen wie ExpertInnen – die Gefahr des „Kaputtsparens“, des Verlustes von (Massen-)Kaufkraft und letztlich auch die Auswirkungen auf sozialen Frieden und Zusammenhalt betont. Steht somit für die Sozialpolitik im Vordergrund, ob derartige Maßnahmen notwendig, zweckmäßig und vertretbar sind, interessiert aus der Sicht des Sozialrechts vor allem, inwieweit solche Eingriffe rechtlich möglich sind bzw wo deren Grenzen liegen.

Wie sich bald zeigen wird, lassen sich diese Betrachtungsweisen kaum trennen. Das hat auch damit zu tun, dass Eingriffe rechtlich meist nur mittelbar begrenzt sind: In Ermangelung absolut geschützter Rechtspositionen oder sozialer Grundrechte bzw eines sonstigen rechtlich höherrangigen Schutzes für Sozialleistungen oder ein bestimmtes Ausmaß derartiger Leistungen sind solche Maßnahmen nämlich regelmäßig „nur“ an allgemeinen Vorgaben zu messen.

Dabei entsteht häufig ein Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit, und zwar auf mehreren Ebenen: Zum einen im Hinblick auf die Freiheit des Gesetzgebers, eine demokratisch zu Stande gekommene Rechtslage in demokratischer Weise ebenso wieder ändern zu können,* was aber zwangsläufig die Rechts- und Planungssicherheit für die (potenziellen) AdressatInnen dieser Leistungen verringert. Zum anderen im Hinblick auf die Freiheit, wie sie der bestehenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung grundsätzlich zugeschrieben wird, die den Menschen gerade keine völlige Sicherheit geben und ihnen nicht jede Enttäuschung ersparen kann* – und nach der (freilich nicht unangreifbaren) Logik dieses Systems wohl auch nicht ersparen soll.

Der Versuch, hier einen Ausgleich herbeizuführen, wird meist auf allgemeine Verfassungsprinzipien gestützt. Besonders häufig wird dafür das Grundrecht auf Eigentum (vgl nur Art 1 des 1. ZPEMRK, aber auch Art 5 StGG) bzw jenes auf Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG) sowie der allgemeine Gleichheitsgrundsatz (vgl nur Art 7 Abs 1 B-VG) ins Treffen geführt.* Der Europäische Gerichtshof für 420Menschenrechte (EGMR) stellt vor allem auf den Eigentumsschutz ab, der auch öffentlich-rechtliche Ansprüche umfasst und sogar Leistungen miteinbezieht, die nicht auf (vorherigen) Beiträgen der (später) Leistungsberechtigten – wie sie insb im Rahmen eines Sozialversicherungssystems zu leisten sind – beruhen.*

Obwohl sich der VfGH dieser Auslegung des Eigentumsbegriffs durch den EGMR grundsätzlich angeschlossen hat,* leitet das österreichische Höchstgericht den Vertrauensschutz auch im Sozialrecht nach wie vor primär aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ab. Der OGH ist dieser Auffassung im Wesentlichen gefolgt.*

Dieser Ansatz ist freilich im Grundsatz wie im Detail kritisiert worden. Im vorliegenden Zusammenhang kann diese Kritik nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden, es sollte genügen, deren Schwerpunkte herauszuarbeiten. Ein solcher ist gewiss im methodischen Einwand zu sehen, dass der Gleichheitssatz einen wertenden Vergleich verschiedener Fälle erfordere, eine derartige vergleichende Gegenüberstellung war aber höchstens zu Beginn der Vertrauensschutz-Judikatur erkennbar.*

Nicht zuletzt aus diesem Grunde wird vielfach das Rechtsstaatsprinzip als tragfähigere Basis für den Vertrauensschutz angesehen* oder das Problem von Eingriffen in Ansprüche oder Anwartschaften zwar im Gleichheitssatz angesiedelt, wo es aber nicht über einen „uferlosen“ Vertrauensschutz,* sondern allgemein auf der Ebene der sachlichen Rechtfertigung zu bewältigen sei.

Noch grundsätzlicher – aber bisweilen offenkundig auch abhängig vom Standpunkt des/der Kritisierenden – ist der Einwand, dass ein Gerichtshof nicht legitimiert sei, die Rolle der Politik einzunehmen, und auch den Spielraum des Gesetzgebers nicht übermäßig einengen dürfe.* Demokratiepolitisch wie verfassungsrechtlich ist hier ohne Zweifel Zurückhaltung geboten. Diese ist beim VfGH aber ohnedies viel größer als bei vergleichbaren Höchstgerichten in anderen Ländern oder gar dem EuGH.

Und dass schließlich die Entscheidungen über die sachliche Rechtfertigung von konkreten Einzelmaßnahmen per se kein stimmiges Gesamtsystem ergeben, darf auch nicht überraschen. Die durch die starke Kasuistik hervorgerufene Unsicherheit* ist zwar bedauerlich, aber letztlich kaum vermeidbar.

Auch wenn Einiges an diesen Kritikpunkten nachvollziehbar erscheint, soll in der Folge – zumal aus der bescheidenen Perspektive des Sozialrechtlers – nicht versucht werden, den Grundansatz mit dem Gleichheitssatz in Frage zu stellen. Dies erscheint weder dogmatisch zwingend noch rechtspolitisch zweckmäßig, zumal sich aus der Judikatur des VfGH durchaus einige Grundlinien ableiten lassen, auf Grund derer sich die Unsicherheit – sowohl für die Rechtsetzung als auch für die NormadressatInnen – ein wenig reduzieren lässt. Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen, demographischen und politischen Herausforderungen und vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen in anderen Ländern erscheint es daher lohnend, sich um die Herausarbeitung einiger zusätzlicher bzw deutlicherer Orientierungspunkte für den Vertrauensschutz aus sozialrechtlicher Sicht zu bemühen.

2.
Eckpunkte der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs

Zunächst sollen aber noch einmal die wichtigsten Eckpunkte aus der bisherigen Judikatur in Erinnerung gerufen werden. Dabei ist davon auszugehen, dass es keine ausdrücklichen höherrangigen Vorgaben gibt, die Eingriffe des Gesetzgebers in bestehende Rechtspositionen verbieten würden: Die österreichische Rechtsordnung enthält bekanntlich keine sozialen Grundrechte, die Europäische Sozialcharta (BGBl 1969/460) steht im Gegensatz zu ihrer „großen Schwester“ EMRK nicht im Verfassungsrang und zudem unter Gesetzesvorbehalt, und auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) enthält nur sehr allgemeine programmatische Verbürgungen wie in Art 34 zur Sozialen Sicherheit („Die Union anerkennt und achtet das Recht auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit … in Fällen wie Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit oder im Alter sowie bei Verlust des Arbeitsplatzes …“) und Art 35 zum Gesundheitsschutz („Jede Person hat das Recht … auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“).

Daher darf bereits der einfache Gesetzgeber sozialrechtlich begründete Positionen grundsätzlich auch zu Lasten der Betroffenen, dh der Anspruchs- bzw Anwartschaftsberechtigten, verändern. Nach der Judikatur muss er dabei aber begründetes Vertrauen berücksichtigen, auf das sich dann gegebenenfalls die Rechte stützen, die vielfach als „wohlerworben“ bezeichnet werden.* Ein solches Vertrauen wird in mehreren Fallgruppen anerkannt,*421von denen für den vorliegenden Zusammenhang vor allem die folgenden interessieren: rückwirkende Eingriffe; (künftige) Eingriffe in bestehende Ansprüche; Eingriffe in Anwartschaften auf künftige Ansprüche; andere Eingriffe in wirtschaftliche Interessen, die zu einer Einkommensminderung führen, etwa weil Einkünfte mit Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen belastet werden, die bisher davon ausgenommen waren.*

Dezidiert nicht anerkannt wurde ein derart begründetes Vertrauen dort, wo die Entwicklung als weitgehend unabsehbar zu qualifizieren ist. Das gilt zum einen für die Beibehaltung bzw die neuerliche Verlängerung von bisherigen relativ günstigen Regelungen.* Kein Vertrauensschutz besteht zum anderen für Erwartungshaltungen im Hinblick auf ungewisse Entwicklungen, wie etwa die Wiederwahl bei Politikern.* Nicht anerkannt sind weiters etwa bloße Freizeitinteressen, zB enttäuschte Pläne für die Zeit nach der – durch eine Veränderung nun doch (noch) nicht möglichen – Pensionierung.*

Auch ein anzuerkennendes Interesse der Anspruchs- bzw Anwartschaftsberechtigten kann freilich nicht durchschlagen, wenn es ein entsprechendes öffentliches Interesse an einem Eingriff gibt. Für die hier – und an dieser Stelle wird die Wurzel im Gleichheitssatz wieder deutlich sichtbar – erforderliche sachliche Rechtfertigung billigt der VfGH dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum zu. Als Ziele werden etwa die Budgetkonsolidierung, die Sicherung der Finanzierbarkeit des Pensions- bzw des Gesundheitssystems, arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen, aber auch der Abbau von Privilegien oder die Beseitigung atypischer Ausnahmen anerkannt.*

Dabei wird allerdings nur darauf abgestellt, dass der Gesetzgeber ein solches Motiv geltend macht. Erst wenn kein besonderes öffentliches Interesse erkennbar ist, steht die Rechtfertigung des betreffenden Vorhabens a priori in Zweifel.* Ob die Maßnahme wirksam ist, wird dagegen bislang ebenso wenig geprüft wie das Bestehen von Alternativen. Völlig unbeachtlich dürfte dieser Aspekt aber eigentlich nicht sein (dazu unten 3.5.).

Das Vorliegen eines gerechtfertigten öffentlichen Interesses am Eingriff in sozialrechtliche Ansprüche oder Anwartschaften führt – ähnlich wie bei Eingriffen in Grundrechte – zu einer Güterabwägung und damit zu einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit der betreffenden Maßnahme(n). Das hat zur Folge, dass weitgehende Eingriffe eine stärkere Rechtfertigung erfordern.

Bei dieser Prüfung stehen meist zwei Kriterien im Vordergrund, die Intensität des Eingriffs und dessen Plötzlichkeit.* Was erstere betrifft, wird die Frage des Vertrauensschutzes regelmäßig erst bei weitgehenden Eingriffen releviert. Demnach gelten Einbußen bis zur Größenordnung von etwa 10 % grundsätzlich als unproblematisch, so dass es auch keiner besonderen Rechtfertigung bedarf, sofern nur irgendein objektivierbares öffentliches Interesse erkennbar ist. Stärkere Eingriffe können dennoch gerechtfertigt sein, wenn sie nicht sofort voll durchschlagen und die Plötzlichkeit insb durch Übergangsregelungen relativiert wird.*

Der Judikatur sind aber auch weitere verallgemeinerbare Kriterien zu entnehmen. Hierzu zählt fraglos der Aspekt, dass Eingriffe umso eher gerechtfertigt werden können, je breiter die Maßnahmen verteilt sind und je weniger sie zu „Sonderopfern“ für bestimmte Personengruppen führen.* Auch hier tritt also die Fundierung des Vertrauensschutzes im Gleichheitssatz deutlich hervor.

Gleiches gilt für die Prüfung der Eingriffe im Rahmen einer Durchschnittsbetrachtung, so dass ganz individuelle Härtefälle auch ausgeblendet bleiben und grundsätzlich nicht vom Vertrauensschutz erfasst sind.*

Trotz der Vorbehalte gegenüber Sonderopfern und der gebotenen Durchschnittsbetrachtung erachtet der VfGH eine soziale Staffelung von Eingriffen grundsätzlich für zulässig. Schon früh erkannte er, dass Maßnahmen umso eher den Vertrauensschutz verletzten, wenn sie „tendenziell wirtschaftlich Schwächere stärker treffen“.*

Auf der anderen Seite vermag eine bessere wirtschaftliche oder soziale Position den Vertrauensschutz nicht auszuschließen, wie anlässlich einer Kürzung der Pensionen für NotarInnen um über 20 % betont wurde, die der Gesetzgeber ua damit rechtfertigen wollte, dass die Angehörigen diese Berufsgruppe über nicht unbeträchtliche Zusatzeinkünfte verfügten.* In diesem Erk scheint im Übrigen auch eine Differenzierung anzuklingen, die nur damit zu tun haben kann, dass diese Pensionen – im vorliegenden Fall sogar ausschließlich – aus Beiträgen der Versicherten finanziert werden (dazu unten 3.1.).

Schließlich scheint es auch noch eine Differenzierung nach Rechtsmaterien zu geben, so dass Maßnahmen derselben Intensität und Plötzlichkeit möglicherweise anders zu bewerten sind, je nachdem, wer von ihnen betroffen ist. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls, wenn man die Entscheidungen über Eingriffe in die Pensionsansprüche bestimmter Personengruppen vergleicht: Während bei den BeamtInnen argumentiert wurde und wird, dass 422deren Pensionsrecht „im Großen und Ganzen in angemessenem Verhältnis zu den den Beamten obliegenden Dienstpflichten“ stehen müsse,* liegt die Latte für den Vertrauensschutz bei Politiker oder Sozialversicherungspensionen offenkundig niedriger: Die Tätigkeit ersterer ist „nicht in jeder Hinsicht mit einer sonstigen Erwerbstätigkeit vergleichbar …, als sich die Amtsträgerin/der Amtsträger in periodischen Zeitabständen einer Wahl zu stellen hat, und es schon im Zusammenhang damit früher als von der Betroffenen/dem Betroffenen intendiert zur Beendigung der Funktion kommen kann“.* Und in der PV darf die „Versorgung nicht außer Verhältnis zu früherem Erwerbseinkommen stehen“.* Auch diese Differenzierung ist kritisch zu sehen (dazu sogleich 3.1.).

3.
Analyse und Kritik: Ausgewählte Sachprobleme

Ausgehend von dieser kursorischen Bestandsaufnahme können nun einige Sachprobleme näher betrachtet werden. Deren Auswahl ist notwendigerweise subjektiv, aber vom Bestreben geleitet, sowohl aktuelle Fragen anzusprechen als auch einige grundsätzliche Aspekte herauszuarbeiten, die für den weiteren Umgang mit dem Vertrauensschutz im Sozialrecht vielleicht von Nutzen sein könnten.

3.1.
„Anwendungsbereich“: Vertrauensschutz risikobezogen?

Der VfGH betont selbst immer wieder, dass der Schwerpunkt der Vertrauensschutzjudikatur im Pensions(versicherungs)recht liegt.* Das mag auch damit zu tun haben, dass die Betroffenen in diesem Bereich häufiger bereit sind, sich gegen Eingriffe in ihre bisherigen Rechtspositionen zur Wehr zu setzen. Diese „Wehrhaftigkeit“ hängt aber gewiss mit der größeren Bedeutung zusammen, die Pensionsleistungen im Gegensatz zu anderen Einkünften für ihre BezieherInnen haben. Es geht also vor allem um die strukturellen Eigenheiten dieser Materie, von denen drei Aspekte besonders hervorzuheben sind:

Zum einen liegt den Leistungen im Pensions(versicherungs)recht grundsätzlich eine längerfristige Perspektive zu Grunde, gebührt der Anspruch doch meist auf Dauer bzw sogar bis zum Tod der betreffenden Person. Zum anderen ist das soziale Risiko, dessen Eintritt den Anspruch auslöst, irreversibel (Alter, dauerhaft geminderte Arbeitsfähigkeit, Tod eines/einer Unterhaltspflichtigen) und – wenn nicht ohnedies bereits eingetreten – absehbar, aber vor allem unvermeidbar (Alterung und letztlich Tod). Damit ist schließlich verbunden, dass Menschen, die bereits einen pensions(versicherungs)rechtlichen Anspruch haben oder in Kürze erwarten dürfen, kaum realistische Alternativen haben, den (teilweisen) Ausfall dieser Leistungen in anderer Weise – und zumal kurzfristig – zu kompensieren.

Das Zusammenspiel dieser Faktoren schafft eine besondere Schutzbedürftigkeit und macht Eingriffe besonders sensibel. Diese Konstellation gilt aber nicht nur für das Pensions(versicherungs)recht, so dass der dort besonders betonte Vertrauensschutz auch in anderen Fällen zum Tragen kommen müsste. Hält man die oben angeführten Kriterien für verallgemeinerbar – und es nichts ersichtlich, was dagegen sprechen könnte –, muss man zu einer Differenzierung gelangen, je nachdem um welche Leistung es sich handelt bzw welches Risiko eintreten muss, damit diese gebührt.

Das bedeutet etwa, dass bei einer Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen für Pensionen bei geminderter Arbeitsfähigkeit oder für das Arbeitslosengeld weniger strenge Anforderungen an eine Rechtfertigung zu stellen sind, als wenn etwa Leistungen für Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen betroffen wären, welche ungleich weniger Möglichkeiten haben, ihren Bedarf anderweitig zu decken: Ob geminderte Arbeitsfähigkeit eintritt, ist meist ungewiss, eine diesbezügliche Erwartungshaltung verdient daher wenig Schutz.* Ähnliches gilt bei Arbeitslosigkeit, deren Beendigung von der betreffenden Person vielfach durchaus beeinflusst werden könnte.* Eingriffe in einen bereits bestehenden Anspruch auf eine Pension bei geminderter Arbeitsfähigkeit, bei regelmäßig benötigten Sachleistungen für chronisch Kranke, beim Pflegegeld oder bei der erhöhten Familienbeihilfe würden die jeweiligen Anspruchsberechtigten dagegen ungleich härter – und vielfach ausweglos – treffen.

Bei den beiden letztgenannten Leistungen stellt sich freilich ein anderes Problem. In beiden Fällen handelt es sich um keine Versicherungsleistung, sondern um eine abgabenfinanzierte Transferleistung. Und bei einer solchen bestehe, wie der VfGH anlässlich eines Gesetzesprüfungsantrags gegen die Herabsetzung der Altersgrenze für die Familienbeihilfe durch das Budgetbegleitgesetz 2011* ausgesprochen hat, „ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen auf unveränderten Fortbestand grundsätzlich nicht“, handle es sich doch „weder … um die Kürzung von beitragsfinanzierten Anwartschaften, die einen Versorgungszweck erfüllen, noch hat der Gesetzgeber den Norm-423unterworfenen … zu besonderen Aufwendungen oder Dispositionen veranlasst“.*

Dieser Argumentation ist zwar insoweit zu folgen, als der Anspruch auf Leistungen wie die Familienbeihilfe für sich noch keine Umstände erkennen lässt, die einen besonderen Vertrauensschutz auslösen könnten. Eine Einschränkung des Niveaus oder des AdressatInnenkreises für diese Leistung liegt somit gewiss zunächst im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Dieser ist letztlich wohl nicht einmal verpflichtet, eine solche Leistung überhaupt vorzusehen. Wenn es sie aber gibt, dann müssen ihre Ausgestaltung und damit auch allfällige Änderungen dem – ebenfalls aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz abgeleiteten – Sachlichkeitsgebot entsprechen.* Die Wendung im oben angeführten Erk, dass ein Vertrauensschutz hier nur „grundsätzlich nicht“ besteht, kann daher nur so verstanden werden, dass es sehr wohl zusätzliche Differenzierungsgesichtspunkte geben kann. Auf diesen Aspekt ist sogleich zurückzukommen.

Vorher sei aber noch einmal der stärkere Schutz angesprochen, den der VfGH wiederholt* im Hinblick auf beitragsfinanzierte Anwartschaften anerkennt. Das ist insofern bemerkenswert, als die Prüfung der Zulässigkeit von Eingriffen außerhalb des Eigentumsschutzes erfolgt, wie er auf Grund von Beitragszahlungen angenommen wird.* Insofern können sich all jene bestärkt fühlen, die – wie auch ich – der Auffassung sind, dass es sich letztlich nicht lohnt, darüber nachzudenken, ob dort ein „besserer“ Begründungsansatz für den Vertrauensschutz liegt.*

Für einen stärkeren Schutz bei (zumindest auch) beitragsfinanzierten Sozialleistungen lässt sich auch im Rahmen der Maßstäbe nach dem Gleichheitssatz ins Treffen führen, dass der Gesetzgeber durch die Statuierung von zum Teil nicht unbeträchtlichen Beitragspflichten selbst eine Erwartungshaltung ausgelöst hat, die er nicht ohne Weiteres enttäuschen darf. Nicht völlig ausgeblendet werden darf zudem die kompetenzrechtliche Grundlage dieses Systems, die zwar den sozialen Ausgleich als Wesenselement der SV betont, aber mit „Sozialversicherungswesen“ eben doch auch Elemente des Versicherungs- und damit des Äquivalenzprinzips enthält.*

Insgesamt ist dem VfGH somit zuzustimmen, wenn er auch im Rahmen eines Umlageverfahrens den Versicherten allein auf Grund ihrer Beitragsleistungen eine höhere Erwartungshaltung und ihrem Vertrauen daher größeren Schutz zubilligt. Es handelt sich hier in der Tat um ein wichtiges Kriterium für die Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Eingriffen in Anwartschaften oder Ansprüche auf sozialrechtliche Leistungen. Daraus ein Ausschlusskriterium zu machen, wäre dagegen verfehlt.

Abgesehen davon, dass Steuerleistungen auch eine Erwartungshaltung im Hinblick auf steuerfinanzierte Transferleistungen erzeugen könnten, der die Schutzwürdigkeit nicht von vornherein abgesprochen werden kann, sollte das Fehlen einer Beitragsfinanzierung – gerade bei einer Prüfung im Lichte des Gleichheitssatzes – auch durch andere Umstände aufgewogen werden können.* Im Rahmen des hier zumindest implizit zu Grunde gelegten beweglichen Systems* erscheint nämlich eine stärkere Berücksichtigung der Funktion der betreffenden Leistung nicht nur möglich, sondern geradezu geboten. Dabei handelt es sich nun nicht bloß um eine (verfassungs)rechtspolitische Forderung, vielmehr lassen sich Ansätze dafür bereits aus der bisherigen Judikatur des VfGH gewinnen, wie an Hand der folgenden Beispiele deutlich gemacht werden kann:

So hatte der VfGH etwa im Erk vom 4.12.2001, B 998/01 (VfSlg 16.381) zu beurteilen, ob durch die Einführung des Zusatzbeitrags in der KV für Angehörige (vgl § 51d ASVG) der Vertrauensschutz verletzt worden sei. Dies verneinte er – unter Hinweis auf die grundsätzliche sachliche Rechtfertigung des Ziels einer Verminderung des Defizites der KV – im Hinblick auf die geringe Intensität des Eingriffs, die auch damit begründet wurde, dass der Gesetzgeber (durch § 51d Abs 4 ASVG) „dafür Sorge getragen hat, dass wirtschaftlich schwächere Personen von der Beitragsbelastung ausgenommen werden können“. Der wegen der Unfähigkeit zur Entrichtung der zusätzlichen Beiträge drohende Verlust des Krankenversicherungsschutzes für wirtschaftlich Schwächere (bzw deren Angehörige) wäre also offenkundig ein Umstand gewesen, der die sachliche Rechtfertigung des Eingriffs hätte in Frage stellen können.

Noch deutlicher auf den Zweck eines Leistungssystems wurde im schon erwähnten VfGH-Erk vom 12.10.2012, G 56/11 ua (VfSlg 19.698) Bezug genommen. Dort erklärte der VfGH – und zwar unter ausdrücklichem Verweis auf seine schon oben angeführte (nach der hier vertretenen Auffassung: zu) großzügige Sicht zu steuerfinanzierten Transferleistungen – die plötzliche Kürzung von Leistungen nach dem Kärntner Mindestsicherungsgesetz (KtnLGBl 2007/15) um 20 % für verfassungswidrig. In der Begründung („Ist in einem vom Gesetzgeber eingerichteten System ... zur Gewährung eines ... Mindeststandards der Zweck, dem betroffenen Personenkreis das Existenzminimum zu gewähren, nicht mehr gewährleistet, dann verfehlt ein solches Sicherungssystem offensichtlich insoweit seine Aufgabenstellung“)* wurde zwar nicht ausdrücklich 424auf den Vertrauensschutz verwiesen. Dass hier ein enger sachlicher Zusammenhang besteht, zeigt aber bereits die Begründung des diesbezüglichen Gesetzesprüfungsantrags des Unabhängigen Verwaltungssenats (UVS) für Kärnten („plötzliche und intensive Kürzungen“).

Im Ergebnis ebenfalls strengere Anforderungen bei plötzlichen Eingriffen in die Rechtsposition von sozial Schwächeren wurden im VfGH-Erk vom 27.9.2000, G 59/00 ua (VfSlg 15.936) gestellt. Dabei ging es um die abrupte Streichung der Sonderzahlungsansprüche für RechtspraktikantInnen, die der VfGH vor allem deswegen als verfassungswidrig ansah, weil die „Bezugskürzung von maximal etwas über 14 % relativ gesehen zu dem als vergleichsweise niedrig einzustufenden Einkommen der Rechtspraktikanten einen schwerwiegenden … Eingriff“ darstellte und es als unsachlich erachtet wurde, „die … wirtschaftlich schwächere Gruppe von Rechtspraktikanten erheblich stärker zu belasten“.*

In eine ähnliche Kerbe schlägt das Erk vom 7.12.2002, G 85/02, VfSlg 16.754, in dem der VfGH die Einführung der Einkommenssteuerpflicht „für laufende Bezüge aus einer gesetzlichen Unfallversorgung“, also insb von Versehrtenrenten aus der gesetzlichen UV (vgl nur §§ 203 ff ASVG), die „ohne jede (einschleifende) Übergangsbestimmung und durchaus ,überfallsartig‘” erfolgt ist, als verfassungswidrige Verletzung des Vertrauensschutzes qualifiziert hat.

In all diesen Fällen könnte man das eigentliche Problem nicht in der Enttäuschung des Vertrauens der betreffenden Personen sehen, sondern in der Tatsache, dass ihnen etwas von ihrem Einkommen genommen wird, so dass der entscheidende Ansatz nicht im Vertrauensschutz, sondern darin erblickt werden könnte, dass budgetpolitisch an sich als notwendig anerkannte Maßnahmen nicht tendenziell wirtschaftlich Schwächere treffen sollen.* Aus der Sicht des Sozialrechts kann es freilich keinen großen Unterschied machen, ob man hier von einem allgemeinen gleichheitsrechtlichen Kriterium ausgeht oder diesen Aspekt im Kontext des Vertrauensschutzes prüft.

In jedem Fall lässt sich aus diesen Aussagen des VfGH nämlich ein allgemeines Prinzip deduzieren, das ein weiteres Kriterium für die Beurteilung der sachlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in sozialrechtliche Ansprüche und Anwartschaften sichtbar macht: Je elementarer der Bedarf ist, der mit einer Leistung gedeckt werden soll, und je mehr die Anspruchsberechtigten darauf angewiesen sind, umso strengere Anforderungen müssen für Eingriffe bestehen.

Insofern scheint schwer vorstellbar, dass die Erschwerung des Zugangs zum Schutz der KV (oder eines gleichwertigen Systems) bzw zu Leistungen, die der materiellen Existenzsicherung dienen, oder die nachhaltige Einschränkung dieser Leistungen sachlich zu rechtfertigen ist.* Maßnahmen wie sie zuletzt in Portugal, Spanien und vor allem Griechenland in den jeweiligen Sozialsystemen vorgenommen bzw darüber hinaus von manchen verlangt wurden, würden daher in Österreich – zumindest bei den hier derzeit gegebenen wirtschaftlichen und demographischen Rahmenbedingungen – einer verfassungsrechtlichen Prüfung wohl nicht standhalten.

Elementare Leistungen, für die ein stärkerer Schutz bestehen muss, gibt es aber auch im Pensions(versicherungs)recht. Von so einem Kernbereich ist etwa Tomandl bereits im Jahr 2000 ausgegangen, damals allerdings zur Untermauerung der Rechtfertigung der anstehenden Zurücknahme der Ansprüche auf vorzeitige Alterspensionen bei Arbeitslosigkeit (vgl den früheren § 253a ASVG), die er – und keineswegs zu Unrecht – einer anderen Risikogemeinschaft zugeordnet hat.* Auch der VfGH hat einen solchen „harten Kern“ umschrieben, wenn er in dem schon mehrfach angeführten Erk 2002/VfSlg 16.764 klargestellt hat, dass „ein der Versicherungsgemeinschaft angehörender Beitragszahler … durch dieses System jedenfalls so weit geschützt wird, daß er in Abhängigkeit vom Ausmaß seiner Beitragszahlungen grundsätzlich eine nicht außer Verhältnis zu seinem früheren Erwerbseinkommen stehende Versorgung … für den Fall des Alters, der Invalidität und für Angehörige im Falle des Todes [erwarten]“ könne.

Der Gerichtshof hat sich damit zwar nicht genau festgelegt, wo quantitativ die Untergrenze für die Zulässigkeit von Eingriffen in Anwartschaften oder gar Ansprüchen in der PV liegt (dazu auch unten 3.5.). Das System muss aber – in qualitativer Hinsicht – grundsätzlich die Versicherungsfälle Alter, geminderte Arbeitsfähigkeit und Tod erfassen. Da raus ist der Schluss zu ziehen, dass ein Eingriff in die Absicherung gegen diese drei Risiken einer strengeren Rechtfertigung bedarf als ein Eingriff in bloße Zusatzleistungen aus diesem System. Als mögliche Beispiele hierfür problematisierte Tomandl seinerzeit die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit bzw die beitragslose Anrechnung von Versicherungszeiten.* Beides gibt es inzwischen nicht mehr. Auch die früher als bloße (und zumal freiwillige) Annexleistung konzipierte Rehabilitation (vgl nur §§ 300 ff ASVG) hat mittlerweile durch die Neuordnung der Rechts der Pensionen bei geminderter Arbeitsfähigkeit einen völlig anderen Stellenwert erhalten* und muss mittlerweile ebenfalls zum inhaltlichen Kernbereich des Pensionsversicherungsrechts gezählt 425werden. Dem weniger geschützten Bereich ist dagegen etwa die zusätzliche PV durch eigene öffentlich-rechtliche Pensionsinstitute nach § 479 ASVG zuzurechnen, bei denen erst vor kurzem erhebliche Kürzungen der Zuschussleistungen – zu Recht – als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen wurden.* Folgt man der Auffassung, dass das Augenmerk bei der Prüfung der sachlichen Rechtfertigung von Eingriffen in sozialrechtliche Anwartschaften oder Ansprüche stärker auf funktional-materielle Aspekte zu richten ist, bewirkt oder zumindest erlaubt das auch die Aufgabe der Differenzierung zwischen Beamtenpensionssystem und PV.* Aber hier scheint der VfGH ja ohnedies auf einem guten (und wohl nach überwiegender Auffassung* auch richtigen) Weg, wenn er zuletzt im Erk 2014/VfSlg 19.884 betont hat, dass es sich hier nur mehr „grundsätzlich noch um tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete handelt* (Hervorhebung des Verf).

3.2.
Nur vermögenswerte Interessen?

Bisweilen wird problematisiert, inwieweit andere als vermögenswerte Interessen, wie etwa „Freizeitplanungen“, auch verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz genießen können. Diese Interessen sind nicht immer leicht voneinander abzugrenzen, weil zumindest mittelbar Vermögenswirksamkeit eintreten kann, wenn etwa durch die Anhebung des Pensionsalters das Risiko der Arbeitslosigkeit steigt oder die (nach der Pensionierung geplante) Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger an andere übertragen werden muss.* Dennoch hat der VfGH die Berücksichtigung dieser Umstände bisher weitgehend ausgeblendet. Zuletzt hat er sogar klargestellt, dass enttäuschte Erwartungen im Hinblick auf einen vorzeitig möglichen Pensionsantritt auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das durch Art 8 MRK verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellen.*

Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, zumal die Freizeitplanung von allen durch Einschnitte in sozialversicherungsrechtliche Anwartschaften betroffenen Dispositionen wohl in der Tat den geringsten Schutz verdient.* Das eigentliche Problem in diesem Zusammenhang ist jedoch nicht die verunmöglichte bzw zu verschiebende Weltreise bzw das – wegen des doch noch nicht möglichen Abschieds aus der Erwerbstätigkeit – nicht oder nur in geringerem Maße nutzbare Ferienhaus, Wohnmobil oder Segelboot. Bei der Frage der Relevanz nicht unmittelbar vermögensrechtlich relevanter Eingriffe geht es vielmehr vorrangig um das aktuell wohl zentralste Thema des Problemkreises Vertrauensschutz im Sozialrecht, auf das nun einzugehen ist.

3.3.
Anhebung des Pensionsalters

Es wurde schon darauf hingewiesen, dass auch die Erwartung, bei Erreichen eines bestimmten Lebensalters (und Erfüllung weiterer Voraussetzungen wie insb der Wartezeit nach § 236 ASVG) aus dem Erwerbsleben ausscheiden und dennoch über eine materielle Existenzsicherung (insb in Form einer Pensionsleistung) verfügen zu können, zu den allenfalls besonders geschützten „wohlerworbenen Rechten“ zählt.* Ebenfalls erwähnt wurde bereits, dass dieser Schutz nicht greift, wenn die Erwartungshaltung bloß auf ungewisse Umstände gestützt wird.*

Ansonsten könnte eine Anhebung des Pensionsalters umso eher gerechtfertigt werden, wenn sie mit einer „Verlustbegrenzung“ und/oder anderen Übergangsregelungen verbunden ist, durch welche die Hauptproblemfelder Intensität bzw Plötzlichkeit des Eingriffs gemildert werden können.*

Im schon mehrfach erwähnten Erk VfSlg 16.764 wurde zwar eine übergangslose (ja sogar kurz zurückwirkende Anhebung) des für die betreffende Pensionsleistung maßgebenden Anfallsalters von 55 auf 57 Jahre als verfassungskonform bewertet. Dies konnte aber nur durch die besonderen Umstände gerechtfertigt werden, dass der EuGH mit seiner E in der Rs Buchner die diesbezügliche Differenzierung zwischen Frauen und Männern als unionsrechtswidrig bewertet hatte* und Männer dadurch plötzlich einen zwei Jahre früheren Pensionszugang gehabt hätten, obwohl alle gesetzlichen Bestrebungen auf eine Anhebung des Pensionsantrittsalters abzielten. Die Vermeidung von solchen „Vorzieheffekten“ wird daher nur ausnahmsweise einen abrupten Eingriff rechtfertigen.*

Gleiches gilt für eine Argumentation, die eine mehr oder weniger übergangslose Anhebung des Pensionsalters auf die „notorischen Finanzierungsprobleme“ der PV stützen wollte. Angesichts der schier unendlichen und nach wie vor äußerst kontrovers geführten Debatten über diese Frage 426wird zwar niemand davon ausgehen dürfen, dass es hier keine Eingriffe gibt. Dass aber plötzlich ein „Staatsnotstand“ oä ausbräche, würde das Pensionsalter nicht kurzfristig und sprunghaft angehoben werden, wird auch kaum zu begründen sein. Vielmehr könnte gerade aus der diesbezüglichen Untätigkeit des Gesetzgebers ein besonderes Vertrauen darauf entstanden sein, dass Anhebungen des gesetzlichen Pensionsalters nur behutsam und gut flankiert erfolgen.*

Derartige Flankierungen können auch in anderen Systemen getroffen werden. Ein markantes Beispiel für einen solchen „Systemwechsel“ ist das Übergangsgeld nach § 39a AlVG, das durch BGBl I 2003/71 als Kompensation für den Wegfall der vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit geschaffen wurde. Auch der Ersatz der befristeten Pensionen bei geminderter Arbeitsfähigkeit durch Rehabilitationsgeld bzw Umschulungsgeld, jeweils gekoppelt an die Bereitschaft, an den entsprechenden Rehabilitationsmaßnahmen mitzuwirken,* kann als Flankierung einer sonst in ein möglicherweise besonders schutzwürdiges Vertrauen eingreifenden Umstellung gesehen werden (siehe aber auch 3.4.).

Vorliegend stellt sich aber weniger die Frage, ob solche Maßnahmen rechtspolitisch wünschenswert oder opportun sind. Es könnte vielmehr sein, dass sie im Lichte des Vertrauensschutzes uU sogar geboten sind. Im Hinblick auf das Pensionsalter ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass der (zumal einfache) Gesetzgeber frei ist, das Antrittsalter auch für die Regelpensionen anzuheben. Das gilt, wie der VfGH im Erk G 300/02 uaVfSlg 16.923, zum Ausdruck gebracht hat, auch für das niedrigere Pensionsalter der Frauen, da das Bundesverfassungsgesetz über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten (BGBl 1992/832), nur eine Erlaubnis für, nicht aber eine Verpflichtung zu dieser Differenzierung nach dem dort vorgesehenen Zeitplan beinhaltet.*

Diese Anhebung kann auch relativ kurzfristig einsetzen, wenn nur die Stufen für die Erhöhung klein genug sind. Nimmt man das Erk VfSlg 16.923 als Maßstab, erschiene eine Erhöhung des Pensionsalters in jedem Quartal um zwei Monate grundsätzlich unbedenklich. Im Lichte der §§ 2 und 3 des Bundesverfassungsgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen wird freilich beim Frauenpensionsalter zumindest dahingehend ein Vertrauensschutz anzunehmen sein, dass auch bei einer vorgezogenen Erhöhung zumindest der ursprüngliche Etappenplan (Erhöhung um sechs Monate pro Jahr) eingehalten werden muss.

Vielfach wird jedoch – und zwar auch für die Männer – gefordert, dass eine solche Anhebung raschererfolgen muss, um möglichst weitreichende Effekte erzielen zu können. Je nachhaltiger aber ein solcher Eingriff wirken soll, umso mehr Augenmerk ist dann auf die flankierenden Maßnahmen zu richten: Fehlen solche oder greifen sie nur kurz, geraten Eingriffe – auch wenn sie als solche sachlich gerechtfertigt werden könnten (insb Sicherung der Finanzierbarkeit des Pensionssystems) – rasch in den Verdacht, ein insoweit unzulässiges Sonderopfer darzustellen. Betroffen wären nämlich vorrangig ältere AN, die keine Chance mehr haben, die drohenden Verluste durch anderweitige Vorsorge abzufedern.*

Auch für die Flankierungen gilt freilich, dass sie in sich stimmig sein müssen, wie der VfGH erst jüngst wieder deutlich zum Ausdruck gebracht hat: „Der Gleichheitssatz verlangt … vom Gesetzgeber auch, im Übergangsregime die mit der Enttäuschung ursprünglicher Erwartungshaltungen verbundenen Belastungen nach sachlichen Kriterien vorzunehmen“.* IS einer möglichst ausgewogenen Verteilung der Lasten würde es daher wohl nicht genügen, das Risiko einfach in die AlV (und die dortige Versichertengemeinschaft!) abzuschieben und dort etwa ein neues bzw erweitertes Übergangsgeld vorzusehen. Vielmehr müsste es auch Flankierungen durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen* sowie durch arbeitsrechtliche Vorkehrungen* geben. Wie diese Flankierungen konkret aussehen bzw wie weit sie reichen, wird im Rahmen des Vertrauensschutzes nach der bisherigen Judikatur keine große Rolle spielen. Völlig ohne solche Schritte würde eine kurzfristige und rasche Erhöhung des gesetzlichen Regelpensionsalters allerdings nicht nur politisch problematisch und ökonomisch fragwürdig,* sondern auch verfassungsrechtlich höchst bedenklich sein.

Dies gilt in noch höherem Maße für die Anhebung des Frauenpensionsalters. Es ist nicht auszuschließen, dass eine Anhebung des Regelpensionsalters als Motor zur Überwindung arbeitsrechtlicher Dis-427kriminierungen dienen könnte.* Die Ungewissheit, ob überhaupt und wann das der Fall ist, darf jedoch nicht allein den betroffenen Frauen aufgebürdet werden.* Das würde ein unzulässiges Sonderopfer vor allem der schlechter Qualifizierten und/oder ohnedies bereits sozial Schwächeren darstellen, dem auch nicht entgegengehalten werden kann, dass hier nur ein unangemessenes bzw überkommenes Privileg beseitigt würde: Wenn der VfGH schon anerkannt hat, dass ein schutzwürdiges Vertrauen bereits durch eine verfassungswidrige Rechtslage begründet werden kann,* muss das doch umso mehr gelten, wenn der Gesetzgeber ein solches Vertrauen durch ein Verfassungsgesetz erst selbst geschaffen hat.

3.4.
Grenzen für Übergangsregelungen

Die Zulässigkeit von Eingriffen wird sich daher nicht zuletzt aus Existenz und Ausgestaltung von Übergangsregelungen ergeben. Dass diese gerade zur Legitimierung von intensiveren Eingriffen unabdingbar sind, darf nach alldem als unstrittig vorausgesetzt werden. Über die Abstufung solcher Abfederungen und die gebotene Länge solcher Übergangsfristen lassen sich freilich kaum allgemeine Aussagen treffen, außer dass größere Eingriffe regelmäßig einen weicheren Übergang erfordern als Maßnahmen, die eine weniger starke Belastung für die einzelne Person bringen. Letztlich ist hier eine Abwägung zwischen den für eine sofortige Wirkung sprechenden Allgemeininteressen und den für einen Aufschub sprechenden Einzelinteressen vorzunehmen.*

Übergangsregelungen schaffen aber per se auch Ungleichheiten. Dieser Umstand wurde bisher vor allem unter dem Gesichtspunkt beleuchtet, ob solche Vorschriften überhaupt erforderlich sind.* Im Rahmen der hier letztlich ebenfalls anzustellenden Sachlichkeitsprüfung könnte sich die Frage aber auch umgekehrt stellen: Übergangsfristen könnten auch zu lang sein und so eine unsachliche Benachteiligung der nicht vom Übergangsrecht erfassten Personen bewirken. Je größer die Gruppe der Ausgenommenen ist, desto schwieriger ist die sachliche Rechtfertigung für die Übergangsregelung zu begründen. Aus der (vermeintlichen) Notwendigkeit, dem Vertrauensschutz Genüge zu tun, könnte also uU auch ein Verstoß gegen seine eigentliche Wurzel, den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, resultieren.

Noch schärfer stellt sich das Problem, wenn keine behutsame Überführung in die geänderte Rechtslage erfolgt, sondern diese erst ab einem gewissen Stichtag wirksam wird, der dann eine klare Trennlinie zwischen jenen bildet, die von der Neuregelung voll erfasst werden, und jenen, die – insb bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (zB Vollendung des 50. Lebensjahres, dazu sogleich) – gänzlich verschont bleiben. Robert Rebhahn hat diese Frage jüngst im Hinblick auf Stichtagsregelungen im Arbeitsrecht aufgegriffen, durch welche die Arbeitsbedingungen (nur) für später Gekommene verschlechtert werden.* Solche Regelungen geraten zunehmend in Konflikt mit dem Verbot der Altersdiskriminierung, das ja nicht nur für das Arbeitsrecht (über die RL 2000/78/EG und das Gleichbehandlungsgesetz) maßgebend ist, sondern über Art 21 GRC auch Bedeutung für die Prüfung von generellen Normen durch den VfGH hat. Dieser hat bekanntlich ausgesprochen, dass „auch die von der Grundrechte-Charta garantierten Rechte vor dem VfGH als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte gemäß Art 144 bzw Art 144a B-VG geltend gemacht werden können und sie im Anwendungsbereich der Grundrechte-Charta einen Prüfungsmaßstab in Verfahren der generellen Normenkontrolle, insbesondere nach Art139 und Art140 B-VG bilden … jedenfalls dann, wenn die betreffende Garantie der Grundrechte-Charta in ihrer Formulierung und Bestimmtheit verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der österreichischen Bundesverfassung gleicht.*

Diese Frage kann im gegebenen Rahmen nicht vertieft werden. Die für das Arbeitsrecht gezogene Schlussfolgerung von Rebhahn, dass die Interessen der später Gekommenen auf eine angemessene Verteilung der Anpassungslasten explizit mit dem Interesse der früher Gekommenen auf Vertrauensschutz abgewogen werden müssten, was im Ergebnis eher zu einer Einschränkung des Vertrauensschutzes als zu dessen Verstärkung führen würde,* scheint aber durchaus auch für den vorliegenden Zusammenhang beachtlich. Und hier hat der Gesetzgeber wohl mit den großen Reformen im Pensionsrecht der letzten Jahre die Grenzen zumindest ausgereizt, als er sowohl bei der Pensionsharmonisierung (insb durch BGBl I 2004/142) als auch der Neuordnung bei den Regelungen bei geminderter Arbeitsfähigkeit (insb durch das SRÄG 2012, BGBl I 2013/3) die zum jeweiligen Zeitpunkt (1.1.2005 bzw 1.1.2014) über 50-Jährigen völlig ausgenommen hat.

3.5.
Eingriffe in bereits bestehende Ansprüche

Der Aspekt einer möglichst ausgewogenen Verteilung der Lasten betrifft auch und sogar in 428besonderem Maße die letzte Spezialfrage, die hier behandelt werden soll – und wohl die interessanteste und zugleich brisanteste neben der Anhebung des Pensionsalters darstellt. Diese Brisanz ergibt sich vor allem daraus, dass die Schutzwürdigkeit des Vertrauens der bereits (vielleicht sogar länger) im Leistungsbezug stehenden Personen besonders hoch ist, weil sie – subjektiv wie objektiv – vergleichsweise am wenigsten Möglichkeiten haben, den durch Kürzungen eintretenden Verlust anderweitig, etwa durch (Wieder-)Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder private Vorsorge, auszugleichen.

Wohl nicht zuletzt deswegen hat es die Sozialgesetzgebung in Österreich bisher weitgehend unterlassen, in bereits bestehende Leistungsansprüche – in der Sache geht es dabei natürlich um Dauerleistungen, und zwar in der Regel um Geldleistungen – unmittelbar einzugreifen. Aktuelle Beispiele aus anderen Ländern zeigen jedoch, dass dies kein völlig unwahrscheinliches Szenario ist.* Wie der VfGH mit solchen Maßnahmen umgehen würde, ist daher schwer absehbar. Ein paar Anhaltspunkte sind seiner bisherigen Rsp aber doch zu entnehmen, auch wenn die dort zu beurteilenden Eingriffe eher mittelbarer Natur waren.*

Um eine solche Maßnahme handelte es sich etwa bei der Einführung von Ruhensbestimmungen für BeamtInnen im Ruhestand bzw deren Hinterbliebene, die auch einer Erwerbstätigkeit nachgingen, im damaligen § 40a Pensionsgesetz (BGBl 1965/340 – PG) durch BGBl 1985/426. Diesen Eingriff erklärte der VfGH für verfassungswidrig und begründete dies mit einem Bündel von Argumenten:* Zunächst, weil nur BezieherInnen von Ruhe- bzw Versorgungsgenüssen belastet gewesen wären, obwohl deren Erwartungen besonders schutzwürdig sind; weiters, weil die geltend gemachten (budgetären und arbeitsmarktpolitischen) Gründe für diese Maßnahme wenig stichhaltig gewesen wären; und nicht zuletzt weil die Leistungen des Beamtenpensionsrechts Entgeltcharakter hätten.* Vor allem aber stellte er die Einführung von Ruhensbestimmungen einer direkten Kürzung von Pensionen gleich und betonte, dass „die in Betracht kommenden Personen schon während ihrer aktiven Berufstätigkeit den Standard ihrer Lebensführung auf den Bezug einer später anfallenden Pension (eines Ruhegenusses) einrichten, wobei zu den Lebensumständen, nach denen sie sich für die Pensionszeit einrichten, auch die Möglichkeit einer Aufbesserung der Pension durch Einkünfte aus einer Nebentätigkeit zählt“.* Dass die Erwartungshaltung, als Beamter im Ruhestand beliebig dazuverdienen zu dürfen (etwa bei einem pensionierten Ministerialbeamten oder Rechtsprofessor, der später noch als Anwalt oder Fachautor arbeiten will), besonderen Schutz verdient, erscheint aus heutiger Sicht zumindest merkwürdig. Und in der Tat scheint der VfGH diese doch recht formale Betrachtungsweise aufgegeben zu haben und beurteilt Eingriffe inzwischen stärker im Hinblick auf ihre materiellen Auswirkungen.

Neben den schon oben (3.1.) genannten Beispielen dafür, dass bei Maßnahmen, die typischerweise sozial Schwächere treffen, ein strengerer Maßstab anzulegen ist, sind hier zumindest drei Erkenntnisse zu nennen, in denen Eingriffe in bestehende Pensionsansprüche vor allem im Hinblick auf eine ausgewogene Verteilung der Belastungen akzeptiert wurden bzw gerade das Unterlassen solcher Eingriffe zur Qualifizierung anderer Maßnahmen als unverhältnismäßig beigetragen hat: Das Beispiel für die letztgenannte Konstellation war chronologisch das erste und betraf die schon (oben 2.) erwähnte Kürzung von Notarpensionen, die wegen ihrer zu erwartenden Intensität (von mehr als 20 % im Vergleich zu den nach der vorherigen Rechtslage gebührenden Leistungen) als verfassungswidrig erkannt wurde. In der Begründung der E findet sich nach dem Hinweis auf den grundsätzlich „höheren Bestandschutz“ für bereits angefallene Pensionen im Vergleich zu erst in Zukunft anfallenden Leistungen auch das bemerkenswerte Argument, dass „die knapp vor dem Pensionsalter stehenden Personen im Vergleich zu den gerade in Ruhestand getretenen Personen durch eine verschlechternde Rechtsänderung gerade dann nicht in unverhältnismäßiger Weise benachteiligt werden [dürfen], wenn sich der Gesetzgeber zu einem Eingriff in angefallene Leistungen nicht entschließen konnte“.*

Umgekehrt kann gerade die breitere Verteilung der Belastung auch auf andere Personengruppen wesentlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in bestehende (Pensions-)Ansprüche, insb in Form eines „Solidarbeitrags“ bzw eines zusätzlichen Pensionsbeitrags für BeamtInnen mit hoher Pension, beitragen. Im Erk B 525/06, VfSlg 18.010, kehrte der VfGH zunächst das Argument der Einheitlichkeit der Rechtsverhältnisse von BeamtInnen im Dienststand und im Ruhestand um und erklärte es für „an sich zulässig …, zur nachhaltigen Sicherung der Finanzierbarkeit des Pensionssystems nicht nur die Beamten des Dienststandes, sondern auch jene des Ruhestandes heranzuziehen“ und qualifizierte in der Folge auch „eine gesetzliche Regelung, die Beamten mit höheren Ruhebezügen … einen ,weiteren‘ Pensionsbeitrag vorschreibt, den Beamte … mit vergleichsweise niedrigeren Ruhebezügen nicht entrichten müssen“ als sachlich gerechtfertigt.*

Eine ähnliche Differenzierung in Form einer unmittelbar sozial gestaffelten Pensionsanpassung wurde im VfGH-Erk A 13/08, VfSlg 18.865, zugelassen. Dabei wurde nicht nur die Staffelung 429als solche gutgeheißen,* sondern auch die Unterscheidung zwischen BezieherInnen einer Ausgleichszulage, welche außerordentlich erhöht wurde, und BezieherInnen anderer Pensionen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz, die eine geringere Erhöhung erfahren haben, für nicht gleichheitswidrig erkannt. Das wurde zum einen damit begründet, dass „zwischen der Erhöhung der unter dem Richtsatz liegenden Pensionsleistungen und einer dementsprechenden Erhöhung der Ausgleichszulage … ein ausreichender Wirkungszusammenhang besteht, der die Verlagerung eines Teils der zusätzlichen Pensionserhöhungen auf die Ausgleichszulage … zulässt, um dem aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklichen Ziel des Gesetzgebers zu dienen, einen sozialen Ausgleich herzustellen“; zum anderen, dass die bestehenden Differenzierungen (in der hier allein interessierenden Konstellation) darauf zurückgehen, dass „das sonstige anrechenbare Einkommen des Pensionsbeziehers den (außerordentlich erhöhten) Richtsatz ohnehin erreicht“, so dass „der Gesetzgeber davon ausgehen [konnte], dass bei der betreffenden Personengruppe ein Defizit an jenen materiellen Mitteln, um dessentwillen die außerordentliche Erhöhung der Ausgleichszulage vorgenommen wurde, gar nicht besteht“.* Ausschlaggebend waren also die tatsächlichen Unterschiede im Versorgungsbedarf, die eine rechtliche Differenzierung zulassen, womit die Begründung wieder in den Kernbereich des Gleichheitssatzes zurückführt.

An dieser Judikatur anknüpfend, lassen sich zumindest grobe Kriterien für die Beurteilung der Zulässigkeit von künftigen Eingriffen in bestehende sozialrechtliche Ansprüche formulieren und damit auch eine „Rangfolge“ für solche Maßnahmen andeuten.* Dabei wird unterstellt, dass die demographischen, budgetären und vor allem politischen Entwicklungen solche Eingriffe wohl wahrscheinlicher werden lassen und dass dafür dann auch ein besonderes öffentliches Interesse (insb Budgetkonsolidierung, Sicherung der Finanzierbarkeit des Sozialsystems, arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen, siehe oben 2.) geltend gemacht werden kann.

Auch bei einer solchen Rechtfertigung werden Eingriffe nicht nur einseitig in bestehende Ansprüche vorgenommen werden dürfen. Dafür spricht zum einen der aus dem Vertrauensschutz erfließende grundsätzlich höhere Bestandschutz für bereits angefallene Leistungen, zum anderen aber das unmittelbar aus dem Gleichheitssatz resultierende Gebot einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen und der Vermeidung von Sonderopfern.*

Diese Prinzipien hat mittlerweile auch der Pensionsversicherungsgesetzgeber selbst ausdrücklich anerkannt, wenngleich nicht im Leistungsrecht, sondern bei der (schon oben unter 3.3. kurz erwähnten) Umschreibung der Aufgaben der Kommission zur langfristigen Pensionssicherung in § 108e ASVG. Dazu zählen nach Abs 9 Z 3 dieser Bestimmung insb die Erstattung einer Berichtes über die langfristige Entwicklung und Finanzierbarkeit der gesetzlichen PV sowie nach Z 4 bzw 5 leg cit auch die Ermittlung von Abweichungen von den in diesem Bericht aufgestellten Annahmen im Hinblick auf Lebenserwartung, demographische Entwicklung, Erwerbsbeteiligung, Produktivität etc. Lassen nun solche Abweichungen einen Mehraufwand erwarten, hat die Kommission nach § 108e Abs 9 Z 4 letzter Halbsatz ASVGVorschläge darüber zu erstatten, wie dieser Mehraufwand durch nachhaltige Reformmaßnahmen gleichmäßig auf die Parameter „Beitragssatz“, „Kontoprozentsatz“, „Anfallsalter“, „Pensionsanpassung“ und „Bundesbeitrag“ aufgeteilt werden kann (Nachhaltigkeitsfaktoren), und zwar unter Bedachtnahme auf deren unterschiedliche zeitliche Wirkungsweise“.

Von diesen Nachhaltigkeitsfaktoren betrifft nur die Pensionsanpassung unmittelbar schon bestehende Leistungsansprüche. Auch wenn aus diesen Vorschlägen der Kommission keine Bindung des Gesetzgebers resultiert, können aus den dafür maßgebenden Kriterien Wertungen für die Prüfung der Sachlichkeit von verschlechternden Veränderungen zumindest im Pensionsversicherungsrecht gewonnen werden. Angesichts der Schwerpunkte der meisten Reformen der letzten Jahrzehnte in diesem Bereich, die durchwegs bei zukünftigen Ansprüchen angesetzt haben – und auch bei einer Erhöhung des Pensionsalters wäre das der Fall –, würde eine verringerte oder ausgesetzte Anpassung von Pensionsleistungen eine grundsätzlich durchaus geeignete Maßnahme darstellen, die auch eine ausgewogene Verteilung der Belastungen ermöglichen würde.*

Dabei könnte auch nach sozialen Gesichtspunkten differenziert werden und die Anpassung bei höheren Leistungen geringer ausfallen als bei solchen, die etwa in der Nähe des Ausgleichszulagenrichtsatzes liegen. Dessen außerordentliche Erhöhung hat der VfGH als grundsätzlich taugliche Vorkehrung zur Kompensation einer niedrigeren Erhöhung auch von kleinen Pensionen angesehen.* Der EuGH hat dies dagegen in der Rs Brachner für unzulässig erklärt, weil davon Frauen in stärkerem Maße betroffen seien und 430somit eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts vorliege.* Das mag allein unter Diskriminierungsgesichtspunkten zutreffen, dass aber auch keine Rechtfertigungsmöglichkeiten im Hinblick auf eine sozial möglichst ausgewogene Verteilung von Belastungen zumal bei knapper werdenden Budgets bestehen sollen, ist freilich nicht nur rechtspolitisch höchst fragwürdig.* Dieser Aspekt, der auch grundsätzliche Kritik gegen eine Tendenz beinhalten muss, dass hier verteilungspolitische (und daher politisch zu lösende) Interessenkonflikte über dem Umweg von Diskriminierungsverboten auf (dann aber von Gerichten zu klärende) Rechtsfragen reduziert werden, kann an dieser Stelle aber nicht verfolgt werden.

Ein tendenziell stärkerer Eingriff als das Unterbleiben einer Leistungsanpassung entsprechend der Inflationsrate (oder ähnlicher Parameter) wäre eine faktische Leistungskürzung durch Verpflichtung der LeistungsbezieherInnen zur Entrichtung von Solidarbeiträgen oä. Deren Zulässigkeit ist vor allem eine Frage des Ausmaßes der dadurch bewirkten Eingriffe und deren Einbettung in ein „Paket“, das auch andere Maßnahmen enthält.* Auch hier gilt aber wieder, dass bei der Prüfung, ob eine ausgewogene Verteilung der Lasten vorliegt, die „Vorleistungen“ nicht ausgeblendet werden dürfen, die den noch nicht Anspruchsberechtigten (aber BeitragszahlerInnen!) bereits abverlangt wurden. Da solche Solidarbeiträge wohl tendenziell die BezieherInnen von höheren Leistungen eher treffen bzw stärker belasten würden, stellen sich in Bezug auf soziale Staffelungen die gleichen Fragen wie eben bei den Anpassungen erörtert.*

Im wirtschaftlichen Ergebnis ähnlich wie bei „Solidarbeiträgen“ würde es auch bei Wiedereinführung von Ruhensbestimmungen zu einer Reduzierung des verfügbaren Einkommens der LeistungsbezieherInnen kommen. Als zusätzliche Hürde neben dem Vertrauensschutz würde damit die Frage der Zulässigkeit einer Beschränkung der Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG) aufgeworfen. Da Einschränkungen dieses Grundrechts zulässig sind, wenn sie im öffentlichen Interesse und in einer zur Erreichung dieses Ziels geeigneten Weise erfolgen sowie verhältnismäßig sind,* könnten die im Rahmen des Vertrauensschutzes nach der hier vertretenen Auffassung als besonders bedeutsam anzusehenden Maßstäbe einer ausgewogenen Verteilung der Lasten (insb im Vergleich mit den zukünftigen Leistungsberechtigten) und einer stärkeren Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte auch diesbezüglich als Rechtfertigung durchschlagen. Eben diese in der jüngeren Rsp des VfGH stärker akzentuierten Kriterien geben auch Anlass zur Hoffnung, dass Ruhensbestimmungen, die in eine umfassende Reform eingebettet sind, nicht mehr einfach als unzulässige Verletzung des Vertrauensschutzes bzw als gleichheitswidrig qualifiziert würden.*

Die bisher erörterten Maßnahmen haben alle mehr oder weniger ad hoc-Charakter. Gerade aus Sicht des Vertrauensschutzes wären jedoch Vorkehrungen, die längerfristig nach gleichen und stabilen Kriterien zur Anwendung kommen,* eindeutig zu bevorzugen. Vor diesem Hintergrund erschiene eine grundsätzliche Pensionsanpassungsformel, die auch Faktoren wie Wertverluste bei Aktiveinkommen, Arbeitslosenrate oder Lebenserwartung berücksichtigt,* rechtspolitisch wesentlich sachgerechter. Das würde freilich voraussetzen, dass es einen – derzeit nicht ersichtlichen – politischen Grundkonsens darüber gibt, welche Kriterien hier in welchem Ausmaß einfließen sollen.

Setzt man dagegen weiter vor allem auf ad hoc-Eingriffe, könnte sich das Problem stellen, dass zwar die einzelnen Maßnahmen für sich unproblematisch sind, weil sie jeweils nur geringfügige Einbußen zur Folge haben und/oder rechtzeitig anderweitige Dispositionen ermöglichen, sich aber dann durch Wiederholung über einen längeren Zeitraum zu einem verfassungswidrigen Ausmaß summieren könnten.* Bedenken gegen eine solche „Salamitaktik* wird man jedenfalls dann haben müssen, wenn eine bestimmte Personengruppe auf diese Weise Sonderopfer bringen müsste, die letztlich zu einer Unsachlichkeit und damit – und insoweit unabhängig vom Vertrauensschutz – zu einer Gleichheitswidrigkeit führen würden.*

Ansonsten wird das im obigen Sinn „in Summe verfassungswidrige Ausmaß“ von wiederholten Eingriffen nicht grundlegend anders zu ermitteln sein als bei Einschränkungen, die sich auf einen Schlag etwa aus einer neudefinierten Pensionsbemessungs- bzw Pensionsanpassungsformel ergeben würden. Damit ist die Frage der Werthaltigkeit von Pensionsleistungen angesprochen, die nicht notwendigerweise ein Problem des Vertrauensschutzes, sondern eher eines des „Generationenvertrages“ ist.* Den bisher deutlichsten Maßstab, der in diesem Zusammenhang angelegt werden kann, hat der VfGH im schon wiederholt angeführten Erk VfSlg 16.764 (= DRdA 2003/19, 245431 [Öhlinger]) mit der ebenfalls schon erwähnten Formel geprägt, dass ein Versicherter „in Abhängigkeit vom Ausmaß seiner Beitragszahlungen grundsätzlich eine nicht außer Verhältnis zu seinem früheren Erwerbseinkommen stehende Versorgung … [erwarten]“ kann.

Wo diese „Unterkante* liegt, lässt sich allgemein und ex ante nicht festlegen. Der vorsichtige Annäherungsversuch von Rudolf Müller, ein inflationsbereinigter Verlust von mehr als einem Drittel des Ausgangswerts wäre verfassungsrechtlich kritisch und bedürfte vor allem einer besonderen Rechtfertigung,* erscheint aber durchaus plausibel. Dabei wird auf eine „fiktive Vollpension“ abgestellt, die wohl mit einem durchschnittlichen Einkommen, etwa in Form der bisherigen Pensionsbemessungsgrundlage nach § 238 ASVG, in Bezug zu setzen ist. Diese Orientierungshilfe nützt freilich nur bei beitragsfinanzierten Leistungen, bei bloßer Steuerfinanzierung wird die „Unterkante“ vor allem über die Funktion und die Zielgruppe der betreffenden Leistungen zu ermitteln sein (siehe daher oben 3.1.).

Weitergehende Eingriffe werden daher, unabhängig von der Finanzierung der Leistung und ihrer sozialpolitischen Funktion, nur bei besonders gravierenden öffentlichen Interessen* in Betracht kommen dürfen. Rückwirkende Maßnahmen, die zu einer Rückzahlung von zunächst gesetzmäßig bezogenen Leistungen oder zu einer Anrechnung auf künftige Ansprüche führen, werden aber auch dann grundsätzlich ausgeschlossen bleiben (müssen).

4.
Resümee und Perspektiven

Die vorstehenden Überlegungen mussten angesichts der Breite und Komplexität der Fragestellung auf einige Aspekte beschränkt bleiben und konnten manche Themen überhaupt nur anreißen. Aus der Perspektive des Sozialrechts ergibt sich aber zusammengefasst doch folgendes Bild:

Der vom VfGH eingeschlagene Weg, die Zulässigkeit von Eingriffen in sozialrechtliche Ansprüche und Anwartschaften in Ermangelung ausdrücklicher Vorgaben vor allem am verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz zu messen, erscheint trotz aller damit verbundenen Probleme und Unwägbarkeiten als tragfähiger Ansatz.

Der daraus abgeleitete Vertrauensschutz könnte deutlichere Konturen gewinnen, würden einige schon bisher berücksichtigte Kriterien stärker betont werden. Das könnte zu einer zuverlässigeren und vielleicht auch sachgerechteren Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen für Eingriffe führen, die auf Grund steigenden (tatsächlichen oder politisch so verstandenen) demographischen bzw budgetären Drucks in Hinkunft wohl wahrscheinlicher werden.

Eine Nachschärfung scheint zunächst im Hinblick auf die Differenzierung zwischen einzelnen Leistungsarten angebracht: Es ist zwar richtig, beitragsfinanzierten Leistungen auch bei einer Prüfung im Rahmen des Gleichheitssatzes besonderen Schutz beizumessen. Ein ähnlich schutzwürdiges Vertrauen muss aber für – und zwar auch steuerfinanzierte – Leistungen gelten, die elementare Bedarfe für Menschen decken, die das betreffende Risiko typischerweise nicht anders bewältigen können.

Diese funktionale Betrachtungsweise führt zum einen auch zu einem „Kernbereich“ im Pensionsversicherungsrecht, dem größere Bestandsfestigkeit zukommen muss. Zum anderen wird dadurch die – bereits mit der Pensionsharmonisierung induzierte – Aufgabe der Differenzierung zwischen Beamten-Pensionsrecht und Pensionsversicherungsrecht erleichtert.

Vertrauensschutz im Sozialrecht genießen grundsätzlich nur unmittelbar vermögenswerte Interessen, nicht auch Freizeitplanungen oä.

Lediglich bei den Auswirkungen einer Erhöhung des Pensionsalters ist eine differenziertere Sicht geboten: Je unmittelbarer und rascher eine solche Anhebung wirken soll, desto breiter und umfassender müssen die Flankierungen ausfallen. Ohne Maßnahmen in anderen Bereichen (insb AlV, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen einschließlich effektiver Bonus-Malus-Systeme,* Kündigungsschutz) ist nicht nur die Nachhaltigkeit, sondern auch die Verfassungsmäßigkeit solcher Eingriffe zweifelhaft. Dies gilt auch und besonders für eine Vorziehung der Anhebung des Frauenpensionsalters.

Übergangs- bzw Stichtagsregelungen werden nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, aber stärker auf ihre sachliche Rechtfertigung im Hinblick auf eine angemessene Verteilung der Anpassungslasten geprüft werden müssen.

Auch bei allfälligen Eingriffen in bestehende Ansprüche wird stärker auf die Funktion der betreffenden Leistung, auf die Ausgewogenheit der Verteilung der Belastung sowie auf die soziale Staffelung zu achten sein. Die Diskriminierungsverbote des Unionsrechts bringen hier allerdings einen gewissen Unsicherheitsfaktor.

Es gibt eine „Unterkante“ für Eingriffe in sozialrechtliche Ansprüche, und zwar auch, wenn diese nicht beitragsfinanziert sind, die nur in dramatischen Situationen („Staatsbankrott“) unterschritten werden dürfte.

Die hier (und keineswegs nur rechtspolitisch) vorgeschlagenen Akzentverschiebungen würden eine gewisse Umorientierung erforderlich machen. Eine Einschränkung der Spielräume des Gesetzgebers, der allein sozial- und budgetpolitische Grundentscheidungen treffen darf, ist damit aber letztlich nicht verbunden.

Der Gesetzgeber sollte aber bedenken, dass Sozialabbau als solcher weder Struktur- noch Budgetprobleme löst, sondern Ungleichheiten verschärft und den sozialen Zusammenhalt gefährdet. Daher kann ein Vertrauensschutz, der von der Rsp entwickelt wird, stets nur ein Korrektiv sein. Der beste Vertrauensschutz wäre jener, den bereits die Politik selbst zu gewährleisten vermag.432