Zugang zu Sozialleistungen unter Berücksichtigung des Aufenthaltsstatus
Zugang zu Sozialleistungen unter Berücksichtigung des Aufenthaltsstatus
In den Mitgliedstaaten halten sich neben eigenen Staatsbürgern und erwerbstätigen EWR-Bürgern Personengruppen auf, für die die Frage nach dem Zugang zu Sozialhilfeleistungen des jeweiligen Aufenthaltsstaates nicht einfach beantwortet werden kann. Zu diesen Personengruppen gehören etwa Studierende, Touristen, Arbeitsuchende, oder Unionsbürger, die schlicht migrieren wollen, ohne im Aufnahmestaat wirtschaftlich tätig zu sein. Zu letzteren „bloßen Unionsbürgern“ gehören einerseits Menschen, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügen und sich aus persönlichen Gründen für einen Wohnsitz in einem anderen Staat (zB deutsche Rentner in Spanien) entscheiden, andererseits aber auch jener Personenkreis, der häufig als „Sozialtouristen“ bezeichnet wird: Personen, die über keine ausreichenden Eigenmittel verfügen und in einen Staat ihrer Wahl migrieren, mit dem Ziel, das dortige Sozialhilfesystem in Anspruch zu nehmen.
In letzter Zeit sind die Rechte der zuletzt genannten nicht wirtschaftlich tätigen Unionsbürger in das Blickfeld von Medien, Politik und Judikatur geraten. Dabei wird einerseits über die Qualität des jeweiligen Aufenthaltsrechts als auch über ein eventuelles Recht auf Zugang zu den Sozialleistungen des Ziellandes diskutiert. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, die aktuelle unionsrechtliche Rechtslage zu analysieren, die Judikatur des EuGH insb unter Bezugnahme auf die zuletzt ergangene Rs Dano* kritisch zu würdigen und offene Fragen zu diskutieren.
Das Unionsrecht verknüpft traditionell das Aufenthaltsrecht mit einem Diskriminierungsverbot im Aufnahmestaat und grundsätzlich auch mit einem Zugangsrecht zu den Sozialleistungen des Aufnahmestaates. Als grundlegendes Beispiel dafür ist die AN-Freizügigkeit zu nennen. Gem Art 45 AEUV hat der Wander-AN im Aufnahmestaat ein Aufenthaltsrecht, Art 45 Abs 2 AEUV normiert ein Diskriminierungsverbot. Der Unionsrechtsgesetzgeber hat das primärrechtliche Diskriminierungsverbot in der Freizügigkeits-VO (EU) 492/2011 konkretisiert. Gem Art 7 VO (EU) 492/2011 genießt der Wander-AN im Aufnahmestaat die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen AN. Grund für das Diskriminierungsverbot ist, dass die Freizügigkeit nur dann optimal verwirklicht werden kann, wenn die migrierenden Personen im Aufenthaltsstaat im Bedarfsfall mit einer entsprechenden sozialen Absicherung rechnen können, 444zumal sie idR aufgrund des europaweit üblichen Wohnsitzprinzips im Rahmen der Sozialhilfesysteme keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen gegenüber ihrem Herkunftsstaat haben.
Diesem Grundkonzept ist der unionsrechtliche Gesetzgeber auch bei der Regelung von Aufenthaltsrechten anderer Personengruppen treu geblieben, wie insb bei der Unionsbürger-RL 2004/38/EG oder der Daueraufenthalts-RL 2003/109/EG für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige. Ebenso hat sich der EuGH in seinen Entscheidungen zur Unionsbürgerschaft im Zeitraum vor der Anwendbarkeit der Unionsbürger-RL an diesem Grundkonzept orientiert. Auf der Grundlage von Art 20 AEUV entscheidet der EuGH regelmäßig, dass migrierende Unionsbürger aufgrund des Diskriminierungsverbots grundsätzlich gleichberechtigten Zugang zu den Sozialsystemen des Aufenthaltsstaates haben, es sei denn, der Ausschluss von Leistungen wäre gerechtfertigt. Und tatsächlich schließen sowohl der EuGH als auch die im Anschluss an dessen frühe Judikatur konzipierte Unionsbürger-RL migrierende Unionsbürger in bestimmten Fällen vom Zugang zu bestimmten Sozialleistungen des Aufnahmestaates aus, um Missbrauch und Überlastung der Sozialsysteme des Aufnahmestaates vorzubeugen. So hat der EuGH den Mitgliedstaaten in seiner frühen Judikatur zur Unionsbürgerschaft mehrfach zugestanden, eine gewisse Integration des Antragstellers in die Aufnahmegesellschaft als Voraussetzung für einen Sozialleistungsbezug zu verlangen.*
Art 21 Abs 1 AEUV gewährt jedem Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Die Unionsbürger-RL 2004/38/EG enthält entsprechende Beschränkungen und Bedingungen und sieht eine zeitlich gestufte Integration in die Aufnahmegesellschaft vor.
Die ersten drei Monate des Aufenthalts sind gem Art 6 RL 2004/38/EG an keine weiteren Bedingungen als den Besitz eines gültigen Reisedokuments gebunden. Das Aufenthaltsrecht eines nichtwirtschaftlich tätigen Unionsbürgers für einen Zeitraum von über drei Monaten bis zu fünf Jahren ist gem Art 7 RL 2004/38/EG an die Bedingung geknüpft, dass der Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmestaat verfügt, so dass er während seines Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen muss. Insb dem 10. Erwägungsgrund der Unionsbürger-RL ist zu entnehmen, dass diese Voraussetzung verhindern soll, dass Unionsbürger die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nehmen. Eine solche Bedingung beruht nach Ansicht des EuGH auf dem Gedanken, dass die Wahrnehmung des Aufenthaltsrechts der Unionsbürger von der Wahrung der berechtigten Interessen der Mitgliedstaaten zum Schutz ihrer öffentlichen Finanzen abhängig gemacht werden kann.*
Die Unionsbürger-RL verlangt allerdings eine gewisse finanzielle Solidarität der Aufnahmemitgliedstaaten mit zuwandernden Unionsbürgern. Der Zugang zu den Sozialhilfesystemen darf nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Die Regelungen sind im Einzelnen widersprüchlich. Art 14 Abs 1 Unionsbürger-RL bestimmt, dass Unionsbürgern das Aufenthaltsrecht nach Art 6 – also das grundsätzlich unbedingte Recht zu einem Aufenthalt bis zu drei Monaten – solange zusteht, als sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Offenbar soll bereits in den ersten drei Monaten ein Zugang zu den Sozialhilfesystemen offen stehen. Demgegenüber ermächtigt Art 24 Abs 2 Unionsbürger-RL die Mitgliedstaaten, während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts einen Anspruch auf Sozialhilfe auszuschließen.
Auch nach den ersten drei Monaten darf Unionsbürgern der Zugang zu den Sozialhilfesystemen der Aufnahmestaaten nicht kategorisch verweigert werden. Unionsbürgern steht gem Art 14 Abs 2 Unionsbürger-RL das Aufenthaltsrecht solange zu, wie sie die in Art 7 genannten Voraussetzungen erfüllen, sie also über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen. Reichen ihre Existenzmittel nicht mehr aus, dürfen Unionsbürger gem Art 14 Abs 3 Unionsbürger-RL nicht automatisch ausgewiesen werden. Aus Art 14 Abs 1 Unionsbürger-RL, der sich zwar nur auf Aufenthalte in den ersten drei Monaten bezieht, der aber kraft Größenschlusses auch auf längere Aufenthalte anzuwenden ist, ergibt sich, dass Unionsbürgern das Aufenthaltsrecht nur solange zusteht, wie sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Die Behörden des Aufnahmestaates sind demnach verpflichtet, in jedem Einzelfall zu prüfen,* ob eine unangemessene Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen vorliegt, bevor eine Ausweisung verfügt werden darf.
Das bedingte Aufenthaltsrecht besteht bis zu einem Aufenthalt von fünf Jahren. Hat ein Unionsbürger in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Herkunftsstaat nach Ablauf von fünf Jahren das Daueraufenthaltsrecht gem Art 16 Unionsbürger-RL erworben, ist er den eigenen Staatsangehörigen beim Zugang zum Sozialsystem des Aufnahmestaates gleichgestellt.
Der EuGH hatte sich zuletzt in der Rs Dano mit dem Fall einer rumänischen Unionsbürgerin, die mittellos nach Deutschland eingereist ist und in der 445Folge Leistungen der Grundsicherung nach SGB II (Hartz IV) beantragt hat, auseinander zu setzen. Es ging damit um einen Fall, der als Paradebeispiel für das oft zitierte Phänomen „Sozialtourismus“ gelten kann. Aus der Sachverhaltsdarstellung geht hervor, dass Frau Dano nicht die Absicht hatte, in Deutschland eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Ein Aufenthaltsrecht aufgrund der AN-Freizügigkeit gem Art 45 AEUV schied somit aus. Die Kernfrage des Verfahrens war, ob eine nicht wirtschaftlich tätige Unionsbürgerin, die nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger-RL zu begründen, Gleichbehandlungsansprüche gem Art 24 Abs 1 der Unionsbürger-RL und somit einen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen geltend machen kann.
Der EuGH hat seinen Standpunkt kurz und bündig und unmissverständlich dargelegt. Ein Gleichbehandlungsrecht nach Art 24 Abs 1 Unionsbürger-RL genießt jeder Unionsbürger, der sich „aufgrund dieser Richtlinie“ im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält.* Daraus folge, dass ein Unionsbürger eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nur verlangen könne, wenn sein Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats die Voraussetzungen der Unionsbürger-RL erfüllt.* Da die Kl mangels ausreichender eigener Existenzmittel kein Aufenthaltsrecht nach der Unionsbürger-RL in Deutschland geltend machen konnte, durfte sie zulässigerweise von deutschen Sozialhilfeleistungen wie Hartz IV ausgeschlossen werden.
Das Urteil kann als klare Unterstützung der Mitgliedstaaten seitens des EuGH gegen einen gezielten Sozialtourismus in der allgemeinen politischen Zuwanderungsdebatte verstanden werden. Im Detail lässt das Urteil allerdings viele Fragen offen. Das betrifft vor allem das Verhältnis des Urteils Dano zu früher ergangenen Urteilen des EuGH. Insb interessiert das Verhältnis der Rs Dano zur Rs Brey, dh jenem Urteil, das der EuGH am 19.9.2013 zur Frage des Bezugs einer österreichischen Ausgleichszulage durch zuziehende nicht erwerbstätige Unionsbürger gefällt hat. Offen bleibt aber auch das Verhältnis zu früheren Entscheidungen des EuGH wie jene in den Rs Martínez Sala,*Grzelczyk* und Trojani.*
Der Rs Brey lag die Frage zugrunde, ob nach Österreich migrierende Unionsbürger, die lediglich über geringe Existenzmittel verfügen, die unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegen, einen Anspruch auf eine Ausgleichszulage gem § 292 Abs 1 ASVG haben. Herr Brey und seine Gattin, beide deutsche Staatsbürger, übersiedelten im März 2011 von Deutschland nach Österreich. Herr Brey bezieht in Deutschland eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von € 862,74 brutto monatlich, das Einkommen des Ehepaares erreichte somit nicht den Ausgleichszulagenrichtsatz für Paare von € 1.286,03 (im Jahr 2014). Dennoch stellte die zuständige Verwaltungsbehörde eine Anmeldebescheinigung gem § 53 Abs 1 NAG aus und dokumentierte somit das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht des Ehepaares Brey. Die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) lehnte den Antrag von Herrn Brey auf Gewährung einer Ausgleichszulage mit der Begründung ab, dass Herr Brey aufgrund seiner geringen Rentenhöhe nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt, um einen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich zu begründen.*
Die PVA folgte somit jener Argumentationslinie, die auch der EuGH in der später entschiedenen Rs Dano vertritt: Wer über keine ausreichenden Existenzmittel verfügt, um die Sozialhilfesysteme des Aufnahmestaates nicht in Anspruch nehmen zu müssen, erlangt kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht und hat folglich auch keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen* dieses Staates.
Der EuGH hatte in der Rs Brey jedoch wesentlich differenzierter entschieden: Er legt im zweiten Teil seines Urteils dar, dass ein kategorischer Ausschluss von Sozialhilfeleistungen und damit auch der Ausgleichszulage an migrierende Unionsbürger unzulässig ist. Zur Begründung stützt sich der EuGH auf die oben bereits dargestellten, in sich widersprüchlichen Regelungen der Unionsbürger-RL, die zum Teil auf seiner eigenen Judikatur beruhen:* Auch wenn das Aufenthaltsrecht grundsätzlich an das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel gebunden werden darf, darf ein Unionsbürger, der einen Antrag auf Sozialhilfe stellt, weder automatisch von Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen noch ausgewiesen werden.
Der EuGH stellt in der Rs Brey fest, dass die zuständigen nationalen Behörden eine Entscheidung über das Aufenthaltsrecht und den Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nicht treffen dürfen, ohne eine umfassende Beurteilung der Frage vorzunehmen, welche Belastung dem nationalen Sozialhilfesystem in seiner Gesamtheit aus der Gewährung dieser Leistung nach Maßgabe der individuellen Umstände, die für die Lage des Betroffenen kennzeichnend sind, konkret entstünde.* Es hat laut EuGH eine konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Betroffenen stattzufinden, ob der Betrof-446fene über ausreichende Existenzmittel verfügt oder nicht.* Es ist zu prüfen, ob der Betreffende möglicherweise bloß vorübergehende Schwierigkeiten hat, weiters sind die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände des Betreffenden und der ihm gewährte Sozialhilfebetrag zu berücksichtigen.* Dem EuGH wurde in der Folge vorgeworfen, dass er mit diesem Anspruch und Kriterienkatalog die nationalen Behörden überfordere und die in der Praxis gegebenen Massenverfahren unadministrierbar mache.*
In der Rs Dano wird auf die Rs Brey in diesem Zusammenhang mit keinem Wort eingegangen. Es wird lediglich auf die Feststellungen des vorlegenden Gerichts eingegangen, dass die Kl nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt und daran angeschlossen, dass sie über kein Aufenthaltsrecht verfügt und daher keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen hat.
Es gibt nun verschiedene Möglichkeiten, diese doch recht apodiktischen Ausführungen des EuGH ohne weitere Hinweise auf die eigene Vorjudikatur zu interpretieren. Zum einen ist der Fall Dano wie bereits erwähnt der Prototyp eines Falles von Sozialtourismus. Vor allem in den Schlussanträgen* des Generalanwalts wird betont, dass Personen insb dann keinen Zugang zu Sozialleistungen haben sollen, wenn sie in einen anderen Mitgliedstaat ausschließlich mit dem Ziel, Sozialhilfeleistungen zur Existenzsicherung in Anspruch zu nehmen, migrieren. Die Kl verfügte über keine eigenen Existenzmittel und hatte nach den Feststellungen des Gerichts offenbar auch nicht vor, sich um Arbeit zu bemühen. Der Sachverhalt war derart anders gelagert als in der Rs Brey, wo der Kl immerhin über mehr als € 800,– an Eigenmitteln verfügte, dass sich offenkundig jede Kriterienabwägung im Einzelfall erübrigt hat. Dennoch überrascht die mangelnde Unterscheidung im Verhältnis zur Vorjudikatur, die der EuGH sonst grundsätzlich vornimmt, und die auch im anglo-amerikanischen case law-System geboten ist (distinguishing). Sie lässt sich mE auch nur teilweise mit der völlig eindeutigen Sachlage oder der konkret gestellten Art der Vorlagefragen begründen, lässt es sich der EuGH doch sonst nie nehmen, dem vorlegenden Gericht weiterführende Hinweise zum Thema zu geben. Das Urteil Dano muss daher mE zu allererst in seiner Bedeutung als klares politisches Signal des EuGH verstanden werden, Phänomene des Sozialtourismus nicht (mehr) unterstützen zu wollen. Damit allerdings würde sich der EuGH doch beträchtlich von seiner Vorjudikatur unterscheiden, was diesbezüglich nähere Ausführungen wünschenswert gemacht hätte.
Damit kommt man für die Praxis der österreichischen PVA zu der nicht unwesentlichen Frage, ob nach dieser jüngsten Judikatur des EuGH die durch das Urteil Brey verlangte Einzelfallprüfung überholt ist und die PVA nunmehr bei Nichterreichen des Ausgleichszulagenrichtsatzes vom Nichtvorliegen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgehen darf und somit mangels Gleichbehandlungsanspruch gem Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG migrierenden, nicht wirtschaftlich tätigen Unionsbürgern die Ausgleichszulage versagen darf. ME wäre ein Schluss in diese Richtung voreilig. Die Unionsbürger-RL enthält Regelungen, die es den Mitgliedstaaten verwehren, feste Betragsgrenzen für das Aufenthaltsrecht festzulegen oder Unionsbürger auszuweisen, die Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen. Gerade bei Unionsbürgern wie dem Ehepaar Brey, die nicht völlig mittellos in den Aufnahmestaat migrieren, bleibt daher mE das Urteil Brey nach wie vor von Bedeutung.
Das Urteil Dano enthält einen weiteren Punkt, in dem sich der EuGH von seiner Vorjudikatur wesentlich unterscheidet, ohne darauf einzugehen und diese Vorjudikatur auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Der EuGH ist in den Urteilen Martínez Sala, Grzelczyk, Trojani etc stets davon ausgegangen, dass sich Unionsbürger auf das Diskriminierungsverbot aufgrund der Unionsbürgerschaft berufen können, wenn sie sich „rechtmäßig“ im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufhalten. Als plakatives Beispiel für die Vorjudikatur des EuGH soll die Rs Trojani* herausgegriffen werden. Der Kl, ein französischer Staatsbürger, der nach Belgien migriert war, hatte aus Mangel an Existenzmitteln die belgische Sozialhilfeleistung „Minimex“ beantragt. Es lag somit eine Situation vor, in der der EuGH, entsprechend seinen Ausführungen in der Rs Dano, dem Unionsbürger die Sozialleistung versagen müsste, da dieser mangels ausreichender Existenzmittel kein unionsrechtliches Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, geltend machen kann.
Der EuGH nimmt in diesem Verfahren jedoch auf die Bestätigung des Aufenthaltsrechts, die die nationalen Behörden erteilt haben, Bezug: Er stellt fest, dass sich der Kl nach den dem Gerichtshof vorliegenden Angaben rechtmäßig in Belgien aufhält, was durch die ihm von der Verwaltung der Stadt Brüssel erteilte Aufenthaltserlaubnis bescheinigt werde.* Das durch die nationalen Behörden festgestellte Aufenthaltsrecht hatte in der genannten E zur Folge, dass sich der nicht wirtschaftlich aktive Unionsbürger für den Zugang zu Sozialhilfeleistungen auf das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 12 EG (jetzt Art 18 AEUV) berufen konnte.* Der EuGH fügt allerdings hinzu, dass es dem Aufnahmemitgliedstaat unbenommen bleibt, festzustellen, dass ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats, der Sozialhilfe in Anspruch genommen hat, die Voraussetzungen für sein Aufenthaltsrecht nicht mehr erfüllt. Der Aufnahmemitglied-447staat kann in einem solchen Fall unter Einhaltung der vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen Ausweisungsmaßnahmen vornehmen, wobei eine Ausweisung nicht automatisch erfolgen dürfe.*
Auch in der Rs Dano hatten die deutschen Behörden der Kl eine unbefristete Freizügigkeitsbescheinigung ausgestellt. Außerdem bezieht Frau Dano für ihren Sohn Kindergeld und einen Unterhaltsvorschuss aus dem deutschen Sozialsystem. Der EuGH geht in der Rs Dano auf das durch die nationalen Behörden dokumentierte Aufenthaltsrecht in keiner Weise ein. Er nimmt vielmehr ausschließlich auf das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht Bezug, verneint dieses bei nicht ausreichenden Existenzmitteln und kommt damit zur Nichtanwendbarkeit der Gleichbehandlungsregelungen der Unionsbürger-RL.
In Bezug auf das durch die Unionsbürger-RL vermittelte Aufenthaltsrecht ist das dogmatisch konsequent. Der EuGH geht in stRsp davon aus, dass die Aufenthaltsrechte der Unionsbürger unmittelbar kraft Primär- und Sekundärrechts entstehen und die Mitgliedstaaten deren (Nicht-)Existenz nur deklarativ feststellen.* In einer relativ jungen E aus dem Jahr 2011 macht der EuGH deutlich, dass sich der bloß deklarative Charakter einer nationalen Aufenthaltsbestätigung sowohl zugunsten als auch zulasten von Unionsbürgern auswirkt: Der deklaratorische Charakter einer Aufenthaltserlaubnis bedeute, dass mit dieser Erlaubnis lediglich ein bereits bestehendes Recht bescheinigt wird. Daraus folge, dass der Aufenthalt eines Bürgers ebenso wenig allein deshalb als illegal eingestuft werden dürfe, weil er keine Aufenthaltserlaubnis besitzt, wie er allein deshalb als iSd Unionsrechts legal angesehen werden dürfe, weil dem Bürger eine solche Aufenthaltserlaubnis rechtsgültig erteilt wurde.* Folglich tritt der Verlust des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts automatisch ein, sobald die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind.
Hängt das Aufenthaltsrecht von keinen formalen Bestätigungen ab, hat die jeweilige Sozialhilfebehörde ein eventuelles Bestehen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts als Vorfrage der Entscheidung über den Sozialhilfeantrag zu prüfen. Der Sozialhilfeantrag selbst wird idR bereits als Indiz für das Nichtvorliegen des Aufenthaltsrechts zu werten sein.
Im Hinblick auf die Ausführungen in der Rs Trojani wäre im Urteil Dano eine diesbezügliche Differenzierung wünschenswert gewesen. Während man nämlich nach der Rs Trojani davon ausgehen musste, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger, deren Aufenthaltsrecht von den nationalen Behörden dokumentiert worden ist, im Fall der Nichtausweisung Anspruch auf Nichtdiskriminierung und damit auf Sozialhilfeleistungen hatten, muss man der Rs Dano das Gegenteil entnehmen: Haben Unionsbürger mangels ausreichender Existenzmittel kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht, können sie sich trotz Ausstellung einer Anmeldebescheinigung durch die nationalen Aufenthaltsbehörden nicht auf das Gleichbehandlungsrecht der Unionsbürger-RL berufen und haben daher keinen Anspruch auf Sozialhilfe.*
Der zuletzt angesprochene Punkt wirft die Frage auf, ob ein Unionsbürger gegenüber einem Mitgliedstaat, in dem er faktisch wohnt, einen Anspruch auf Leistungen aus dem Sozialhilfesystem des Mitgliedstaates auf der Grundlage der Sozialrechtskoordinierungs-VO (EU) 883/2004 geltend machen kann, selbst wenn er in diesem Mitgliedstaat kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht begründen kann.
Die Frage stellt sich deswegen, weil der EuGH bereits in der Rs Brey festgestellt hat, dass eine bestimmte Sozialleistung sowohl in den Geltungsbereich der VO (EU) 883/2004 als auch in jenen der Unionsbürger-RL fallen kann. Zwar sind Leistungen der sozialen und medizinischen Fürsorge gem Art 3 Abs 5 VO (EU) 883/2004 aus deren Geltungsbereich ausgenommen. Einbezogen sind jedoch gem § 70 VO (EU) 883/2004 die sogenannten beitragsunabhängigen Sonderleistungen, die sowohl Merkmale der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen. Es handelt sich um Leistungen, die Leistungen der sozialen Sicherheit ergänzen und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren sollen, das in Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht, deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und die in Anhang X aufgeführt sind.* Die Abgrenzung zwischen Sozialhilfeleistungen und beitragsunabhängigen Sonderleistungen ist nicht immer klar vorzunehmen, insb in der heutigen Zeit, in der häufig auch auf Sozialhilfeleistungen ein Rechtsanspruch besteht und deren Gewährung nicht im Ermessen der zuständigen Behörden liegt. Die österreichische Ausgleichszulage gem § 292 ASVG und die deutsche Grundsicherung für Arbeitssuchende gem § 1 SGB II (Hartz IV) sind als beitragsunabhängige Sonderleistungen in Anhang X angeführt, was zur Folge hat, dass diese Leistungen ausschließlich in jenem Mitgliedstaat gewährt werden, in dem die betreffenden Personen wohnen. Die genannten beitragsunabhängigen Sonderleistungen sind somit vom grundsätzlich im Rahmen der VO 883/2004 geltenden Exportgebot ausgenommen. Sie werden vom Träger des Wohnorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften und zu seinen Lasten gewährt.*448
Die Europäische Kommission hat im Verfahren Brey argumentiert, aus Art 70 Abs 4 VO (EU) 883/2004 sei abzuleiten, dass der Antragsteller einen Anspruch auf beitragsunabhängige Sonderleistungen im jeweiligen Wohnmitgliedstaat habe.* Nach Art 1 lit j VO (EU) 883/2004 sei das der Ort, an dem sich eine Person „gewöhnlich aufhalte“. Daraus schließt die Kommission, dass eine nationale Regelung, die den Anspruch auf eine beitragsunabhängige Sonderleistung an die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts binde, eine mittelbar diskriminierende Voraussetzung sei, da sie nur Unionsbürger betreffe, die nicht die Staatsbürgerschaft des betreffenden Staates besäßen.
Der EuGH ist dieser Ansicht nicht gefolgt. Der EuGH nimmt zu Recht auf die unterschiedlichen Regelungsziele der Unionsbürger-RL und der Koordinierungs-VO Bezug. Fragen des Aufenthaltsrechts von Unionsbürgern regelt die Unionsbürger-RL 2004/38/EG. Die Koordinierungs-VO (EU) 883/2004 enthält demgegenüber Kollisionsnormen, um zu klären, welcher Mitgliedstaat im Fall eines grenzüberschreitenden sozialrechtlichen Sachverhalts für die Frage nach dem anwendbaren Recht maßgeblich oder zur Erbringung von Leistungen zuständig ist.* Die Koordinierungs-VO normiert weder die inhaltlichen Voraussetzungen für Sozialleistungen noch deren materiell-rechtliche Ausgestaltung.
Die Ansicht der Kommission, eine beitragsunabhängige Sonderleistung sei jedenfalls dort zu erbringen, wo sich der Unionsbürger de facto gewöhnlich aufhalte, verkennt den Regelungszweck der Koordinierungs-VO und die Stellung der VO in der Europäischen Rechtsordnung auch vor dem Hintergrund ihrer geschichtlichen Entwicklung. Bereits der Gründungsvertrag verpflichtete die EWG, ein koordinierendes Sozialrechtssystem zu errichten, um die Inanspruchnahme der AN-Freizügigkeit zu erleichtern. Wander-AN sollten sozialrechtlich keine Nachteile durch eine internationale Erwerbskarriere erleiden. Das Aufenthaltsrecht der Wander-AN in den jeweiligen Mitgliedstaaten ergab sich unmittelbar aus dem Vertrag. Es war nicht Regelungsgegenstand der Sozialrechts-Koordinierungs-VO, sondern wurde vielmehr implizit vorausgesetzt.* Im Lauf der Jahrzehnte wurde der persönliche Anwendungsbereich der Sozialrechts-Koordinierungs-VO sukzessive ausgedehnt (zB auf Selbstständige, Studierende, Rentner), wobei die Koordinierungs-VO auch in diesen Fällen das jeweilige Aufenthaltsrecht der betreffenden Personenkreise im Hinblick auf die verschiedenen existierenden Aufenthaltsrichtlinien implizit vorausgesetzt hat.
Weder das Gleichbehandlungsgebot noch das „faktische Wohnsitzkonzept“* der VO (EU) 883/2004 stehen zu diesem grundsätzlichen Befund im Gegensatz. Es ist richtig, dass sich der Wohnsitzbegriff der VO (EU) 883/2004 nach tatsächlichen und nicht nach formalen Gegebenheiten richtet. Entscheidend sind nach diesem System tatsächlich die tatsächlichen Umstände, die darauf schließen lassen, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen in einem bestimmten Mitgliedstaat liegt.* Das ist innerhalb des Systems der VO 883/2004 auch sinnvoll. So sollen etwa Sachleistungen der KV in jenem Mitgliedstaat erbracht werden, wo der Betreffende wohnt. Dasselbe gilt für Ansprüche auf beitragsunabhängige Sonderleistungen mit Sozialhilfecharakter, da ihre Leistungshöhe an den Lebenshaltungskosten des Leistungs- und damit des Wohnstaates orientiert ist. Das System des faktischen Wohnsitzes ermöglicht einem Wander-AN mit größtmöglicher Flexibilität, seinen Wohnsitz nach seinem Belieben zu verlegen – in den Beschäftigungsstaat, in den Herkunftsstaat oder er entscheidet sich für einen Status als Grenzgänger. Das Kollisionsrecht wird ihm folgen und zu jeweils entsprechenden Zuständigkeiten führen.
Die dargestellten Konstellationen gehen aber davon aus, dass der Versicherte in den betreffenden Mitgliedstaaten grundsätzlich ein Aufenthaltsrecht hat. Auch in sämtlichen Sachverhalten, in denen der EuGH zu entscheiden hatte, war das Aufenthaltsrecht der Kl nie in Frage gestellt. Dies trifft auch auf die von Felten zu Unrecht als Gegenbeispiel genannte* Rs Swaddling* zu. Der Kl, ein britischer Staatsangehöriger, war Wander-AN und hatte damit in Großbritannien, in das er nach einer Zeit der Berufstätigkeit in Frankreich zurückgekehrt war, unstrittig ein primärrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht. Strittig war nur, ob Großbritannien den Anspruch auf eine beitragsunabhängige Sonderleistung an einen gewöhnlichen Aufenthalt von einer bestimmten Dauer binden durfte. Der EuGH entschied in diesem Zusammenhang zu Recht, dass die Dauer des Wohnens in dem Staat, in dem die streitige Leistung beantragt ist, nicht zum Begriff des Wohnorts iSd Art 10a der VO 1408/71 (jetzt Art 1 lit j VO 883/2004) gehört. Der EuGH nimmt auf die Rechtsstellung des Kl als Wander-AN ausdrücklich Bezug: Wenn ein AN sein Recht auf Freizügigkeit wahrgenommen hat und anschließend in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt ist und bei der Stellung des Antrags auf Einkommensbeihilfe klar seine Absicht zum Ausdruck gebracht hat, in seinem Herkunftsstaat zu bleiben, wo seine engere Familie wohnt, scheitert die Annahme eines Wohnorts iSd Art 10a nicht allein daran, dass die Dauer des Wohnens im Herkunftsstaat nicht ausreicht.* Diese Entscheidung ergibt sich zwingend aus dem Diskriminierungsverbot von Wander-AN, das sich auch in der Koordinierungs-VO konkretisiert. Kehren Wander-AN in ihren Herkunftsstaat zurück, dürfen gegenüber nicht die Freizügigkeit in Anspruch nehmenden AN keine erhöhten Anforderungen an den Wohnort gestellt werden.449
Von diesen Konstellationen ist die Frage zu unterscheiden, ob eine faktische Wohnsitznahme in einem Mitgliedstaat zu Ansprüchen aus der VO 883/2004 führen kann bzw muss, wenn in diesem Staat kein Aufenthaltsrecht besteht. Diese Frage hatte der EuGH in den Rs Brey und Dano erstmals zu entscheiden und sie, wie gezeigt, zu Recht verneint. Der EuGH hat allerdings nur zur Frage nach einem unionsrechtlich begründeten Aufenthaltsrecht Stellung genommen. Was in jedem Sachverhalt zu berücksichtigen sein wird, ist, ob die betreffenden Personen ein Aufenthaltsrecht nach nationalem Recht* geltend machen können. Für die Koordinierung nach der VO (EU) 883/2004 ist es unerheblich, ob das Aufenthaltsrecht eines Antragstellers auf nationaler oder unionsrechtlicher Grundlage beruht.
Mit dem Urteil Dano hat der EuGH jedenfalls geklärt, dass eine gezielte Migration zum Zweck der Inanspruchnahme der Sozialleistungen des Ziellandes auf unionsrechtlicher Grundlage nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Darüber hinaus bleiben viele Fragen offen. So vor allem die Rechtslage in Sachverhalten, in denen trotz zunächst ausreichend vorhandener Existenzmittel dennoch Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen werden müssen. Es gibt keine Rechtsgrundlage dafür, dass ein Urteil der Großen Kammer des EuGH, die in der Rs Dano entschieden hat, gegenüber Urteilen einer Kleinen Kammer (Rs Brey) größere Maßgeblichkeit besitzt. Es wird daher weiterer Verfahren bedürfen, um die unionsrechtliche Rechtslage zu Fragen des Zugangs zu Sozialleistungen migrierender Unionsbürger klarer zu fassen. In Fragen von Personen, die auf Arbeitssuche waren oder sind, wird der EuGH bereits in Kürze dazu Gelegenheit haben.*