Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung am Beispiel der In-vitro-Fertilisation

STEPHANIEPRINZINGER (WIEN)
Der gegenständliche Beitrag behandelt das Thema meines Vortrags im Rahmen des Nachwuchsforums, das im Vorfeld zur 50. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht stattgefunden hat. Während ich im Zuge des ersten Teils meines Vortrags zum Thema die „Die grenzüberschreitende Inanspruchnahme medizinischer Leistungen als passive Dienstleistungsfreiheit“ die Rechtsgrundlagen, die einen Anspruch auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung eröffnen, darlegte, widmete ich den zweiten Teil des Vortrags den nach der derzeitigen Rechtslage bestehenden Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit bei Inanspruchnahme einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union.
1.
Einleitung

Die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen kann grundsätzlich verschiedenste Ursachen haben. Einerseits kann eine medizinische Behandlung während eines Urlaubes oder während einer vorübergehenden Beschäftigung im Ausland notwendig werden, andererseits existieren jedoch auch Fälle, in denen sich Versicherte eigens zum Zweck der Inanspruchnahme einer Krankenbehandlung in einen anderen Mitgliedstaat begeben. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, inwiefern eine Kostenübernahme durch die österreichische KV vorgesehen ist, und ob die derzeit bestehenden Regelungen aus unionsrechtlicher Sicht der Dienstleistungsfreiheit entsprechen. Zu prüfen ist daher, ob die passive Dienstleistungsfreiheit* zu dem Ergebnis führt, dass jedem Versicherten die Wahl zukommt, in welchem Mitgliedstaat er sich behandeln lassen möchte.

2.
Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung
2.1.
Koordinierung versus Harmonisierung des Sozialrechts der einzelnen Mitgliedstaaten

Das Unionsrecht sieht keine Harmonisierung der Sozialschutzsysteme der einzelnen Mitgliedstaaten vor, sondern beschränkt sich grundsätzlich auf die Koordinierung der Systeme der sozialen467Sicherheit. Daher soll weder durch primäres noch durch sekundäres Unionsrecht ein einheitliches europäisches Sozialrecht geschaffen werden.* Art 168 Abs 7 AEUV sieht in diesem Sinne vor, dass bei der Tätigkeit der Union im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und für die medizinische Versorgung im vollen Umfang gewahrt wird. In den Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten fallen somit auch die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel.* Auch nach der stRsp des EuGH lässt das Unionsrecht die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt.* Dennoch müssen die Mitgliedstaaten aber bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht beachten.*

2.2.
Unionsrechtlich relevante Bestimmungen für den Anspruch auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung
2.2.1.
Primäres Unionsrecht

Die Dienstleistungsfreiheit ist in Art 56 AEUV verankert. Von der Dienstleistungsfreiheit sind auch Sachverhalte erfasst, in denen der Dienstleistungsempfänger die Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch nimmt. Dabei spricht man von passiver Dienstleistungsfreiheit.* Gesetzliche Bestimmungen, welche die Erbringung von Dienstleistungen direkt oder indirekt beschränken, können gerechtfertigt sein, wenn sie anerkannte Ziele verfolgen. Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sind demnach zulässig, wenn sie aus anerkannten Gründen des Allgemeininteresses geboten sind, wie zB iSd Vermeidung einer Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems.

2.2.2.
Sekundäres Unionsrecht

Ein Anspruch auf grenzüberschreitende Inanspruchnahme von medizinischen Dienstleistungen kann sich auch aus sekundärrechtlichen Unionsrechtsbestimmungen ergeben, und zwar entweder aus der unmittelbar anwendbaren VO (EG) 2004/883* des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Koordinierungs-VO) oder aus der RL (EU) 2011/24 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.3.2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung* (Patientenmobilitäts-RL), die durch die Einführung des EU-PMG in nationales Recht umgesetzt wurde.

Die gezielte Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnmitgliedstaat ist in Art 20 der Koordinierungs-VO geregelt. Diese Bestimmung sieht die Einholung der Vorabgenehmigung des zuständigen Trägers vor. Wird eine solche Genehmigung erteilt, erhält der Versicherte Sachleistungen, die vom Träger des Aufenthaltsortes nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden. Eine solche Genehmigung ist zu erteilen, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates vorgesehen sind, und die Behandlung im Inland nicht innerhalb eines medizinisch vertretbaren Zeitraumes gewährt werden kann.

Die Patientenmobilitäts-RL verpflichtet den Versicherungsmitgliedstaat, die Kosten, die einem Versicherten im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung entstanden sind, zu erstatten, sofern die betreffende Gesundheitsdienstleistung zu den Leistungen gehört, auf die der Versicherte im Versicherungsmitgliedstaat Anspruch hat.* Die Höhe der Kostenerstattung soll sich nach den Tarifen des Versicherungsmitgliedstaates richten.* Diese Grenze entspricht der stRsp des EuGH.* Für bestimmte Leistungen kann der Versicherungsmitgliedstaat gem Art 8 der Patientenmobilitäts-RL ein System der Vorabgenehmigung einführen. Dieses System muss jedoch in Hinblick auf das zu erreichende Ziel auf das notwendige Maß begrenzt bleiben, insb darf es kein Mittel willkürlicher Diskriminierung und keine ungerechtfertigte Behinderung der Freizügigkeit der Patienten darstellen.*

Die Einführung einer verpflichtenden Vorabgenehmigung ist nur für Fälle zulässig, in denen Planungsbedarf gegeben ist, und entweder die Nächtigung in einer Krankenanstalt für mindestens eine Nacht notwendig oder der Einsatz einer hoch spezialisierten und kostenintensiven medizinischen Infrastruktur erforderlich ist. Eine Vorabgenehmigung ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Behandlung mit einem besonderen Risiko für den Patienten oder die Bevölkerung verbunden ist oder die Behandlung von einem Gesundheitsdienstleister erbracht wird, der im Einzelfall zu Bedenken hinsichtlich der Qualität oder Sicherheit der Versorgung Anlass geben könnte.* Die Genehmigung darf nicht verweigert werden, wenn der Patient Anspruch auf die betreffende Leistung hat, und die medizinische Behandlung unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Betroffenen nicht innerhalb eines medizinisch vertretbaren Zeitraums geleistet werden kann.*

2.2.3.
Umsetzung der Patientenmobilitäts-RL in nationales Recht

Mit der Einführung des EU-PMG, das im April 2014 in Kraft getreten ist, wurde die Patientenmobili-468täts-RL in österreichisches Recht umgesetzt. Mit dem EU-PMG hat Österreich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ein System der Vorabgenehmigung einzuführen. Dieses wird nunmehr in § 7b SV-EG geregelt. Die Fälle, in denen nach dieser Bestimmung nach innerstaatlichem Recht die Einholung einer Vorabgenehmigung notwendig ist, entsprechen jenen, die auch die Patientenmobilitäts-RL vorsieht.* Für Fälle, in denen eine Vorabgenehmigung notwendig ist und eine solche Genehmigung auch erteilt wird, sieht § 7b Abs 6 SV-EG die Erstattung jener Kosten vor, die der zuständige österreichische Sozialversicherungsträger bei einer entsprechenden Behandlung in Österreich im Rahmen der Koordinierungs-VO dem zuständigen ausländischen Träger in Rechnung gestellt hätte. Für all jene Fälle, in denen keine Vorabgenehmigung notwendig ist oder eine solche nicht erteilt wurde, bleibt die bisherige Rechtslage unverändert, dh Versicherte haben einen Anspruch auf Kostenerstattung iSd §§ 131 und 150 ASVG.* Die Kostenerstattung in Höhe des Wahlarzttarifes ist jedoch in der Literatur* nicht unumstritten.*

3.
Grenzüberschreitende Inanspruchnahme von In-vitro-Fertilisationen
3.1.
Medizinisch unterstützte Fortpflanzungen als „Dienstleistungen“

Nach der Rsp des EuGH sind medizinische Behandlungen von der Dienstleistungsfreiheit umfasst, somit natürlich auch medizinisch unterstützte Fortpflanzungen.* Im Rahmen dieses Beitrags wird daher untersucht, inwiefern die Dienstleistungsfreiheit Versicherten einen Anspruch auf Finanzierung von in anderen Mitgliedstaaten in Anspruch genommenen Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung eröffnet. Voraussetzung für einen Anspruch auf grenzüberschreitende Inanspruchnahme ist zunächst das Bestehen eines Anspruchs nach innerstaatlichem Recht. Daher wird in weiterer Folge die österreichische Rechtslage bezüglich der Finanzierung von medizinisch unterstützten Fortpflanzungen, im Speziellen von In-vitro-Fertilisationen, dargelegt.

3.2.
Finanzierung von In-vitro-Fertilisationen nach nationalem Recht
3.2.1.
In-vitro-Fertilisationen als Krankenbehandlung

Das Vorliegen eines Anspruchs auf Krankenbehandlung gegenüber der KV setzt das Vorliegen einer Krankheit iSd § 120 ASVG voraus. Darunter versteht man den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der eine Krankenbehandlung notwendig macht. Die Diagnose, dass ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand vorliegt, reicht aber für einen Anspruch auf Krankenbehandlung nicht aus, vielmehr muss auch die Notwendigkeit der Behandlung gegeben sein. Die Kosten einer Krankenbehandlung werden von der Versichertengemeinschaft nämlich nur dann getragen, wenn ein gesellschaftlicher Konsens über ihre Notwendigkeit besteht.* Nach der Rsp des OGH werden die Unfruchtbarkeit einer Frau und die Zeugungsunfähigkeit eines Mannes als Krankheit iSd ASVG betrachtet.* Dabei ist grundsätzlich die Behebung des Konzeptionshindernisses als Krankenbehandlung zu werten. ZB werden operative Maßnahmen oder Hormonbehandlungen, die auf Beseitigung der Funktionsunfähigkeit gerichtet sind, auf Kosten der KV gewährt.* Die Vornahme einer In-vitro-Fertilisation zur Herbeiführung einer Schwangerschaft bei einer sterilen Frau ist hingegen nach der Judikatur des OGH keine Krankenbehandlung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn. Begründet wird diese Auffassung mit dem Argument, dass das Fehlen einer Schwangerschaft keine Krankheit darstellt, sondern die Unfähigkeit zur Empfängnis. Dieser Zustand wird jedoch durch eine In-vitro-Fertilisation nicht beeinflusst.* Der OGH setzte sich vor Inkrafttreten des IVF-Fonds-Gesetzes* bereits eingehend mit der Frage auseinander, ob die In-vitro-Fertilisation als Krankenbehandlung qualifiziert werden kann.

In seiner E vom 28.1.1997 verneinte der OGH, mE nachvollziehbar, einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn die Zeugungsunfähigkeit beim Mann gelegen ist.* Für den Fall, dass die Kinderlosigkeit bereits eine psychische Erkrankung ausgelöst hat, verneinte der OGH das Vorliegen eines Krankenbehandlungsanspruchs ebenfalls, und zwar mit der Begründung, dass Schwangerschaft und Geburt, aber eben nicht eine Depressions-469behandlung die anzustrebenden Erfolgskriterien einer Sterilitätsbehandlung sind.* Die Behandlung von Depressionen fällt in den Zuständigkeitsbereich der Psychiatrie, nicht in jenen der Gynäkologie. Lediglich die psychiatrische Behandlung ist daher als Krankenbehandlung zur Herstellung, Festigung oder Besserung der Gesundheit einer kinderwunschbedingt psychisch kranken Frau zu werten.

Dem Argument des OGH, nämlich, dass durch die In-vitro-Fertilisation die Unfähigkeit zur Empfängnis nicht behoben wird, wird in der Literatur mE zu Recht entgegengehalten, dass die In-vitro-Fertilisation den Anforderungen an die Krankenbehandlung entspricht, „weil sie ohne weiteres als Wiederherstellung der Gesundheit gewertet werden kann“.* Sie ermögliche nämlich einer „unfruchtbaren Frau die völlige Gleichstellung mit einer gesunden Frau, indem sie ihre Empfängnisunfähigkeit gerade in dem Ausmaß korrigiert, das nötig ist, um die Kinderlosigkeit zu vermeiden. Auch die Zeugungsfähigkeit der gesunden Frau wird ja nicht permanent in Anspruch genommen, sodaß es ausreicht, um den Status einer gesunden Frau zu erreichen, daß die Zeugung von Kindern in einem Ausmaß ermöglicht wird, wie es der jeweiligen gesellschaftlichen Norm der Familiengröße entspricht“.* Daher liege schon im Umstand der Beseitigung der Kinderlosigkeit die Behebung einer Regelwidrigkeit gegenüber dem Leitbild eines gesunden Menschen, sodass von der Wiederherstellung der Gesundheit gesprochen werden könne.* Diese Argumentation ist mE schlüssig, da das Konzeptionshindernis, das ja grundsätzlich auch vom OGH als Krankheit gewertet wird, als solches nicht als Leiden in Erscheinung tritt, sondern der Erfüllung des Kinderwunsches entgegensteht. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang auch ein Vergleich mit anderen Krankheiten, die nur in den Symptomen, aber nicht dem Grunde nach behandelbar sind, gezogen. Zu denken ist hierbei an die Insulininjektion bei einer Zuckererkrankung oder an eine Dialysebehandlung bei Niereninsuffizienz. Diesem Einwand hält der OGH jedoch entgegen, dass sich in diesen Fällen der Gesundheitszustand des Patienten ohne die Behandlung verschlechtern würde, sodass die Behandlung zur Festigung der Gesundheit erforderlich ist.*

In Hinblick auf die jedoch in der Zwischenzeit ergangenen Entscheidungen des OGH, in denen die Kostenübernahme für Potenzmittel* bzw Haarwuchsmittel* bejaht wird, wenn die mangelnde Erektionsfähigkeit bzw der Haarausfall zu einem psychischen Leiden, das seinerseits als eigenes Grundleiden die Krankenbehandlung erfordert, geführt hat, stellt sich die Frage, ob der OGH nunmehr bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung, welche die Folge der Unfruchtbarkeit ist, in Bezug auf In-vitro-Fertilisationen anders entscheiden würde. In der E vom 7.3.2006* nahm der OGH zwar auf die Rsp zur extrakorporalen Befruchtung Bezug, allerdings ist die Begründung, warum sich dieser Fall von jenem der psychischen Erkrankung aufgrund einer erektilen Dysfunktion unterscheiden soll, mE nicht nachvollziehbar. Für den Fall, dass der OGH künftig bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung, die auf die Unfruchtbarkeit einer Frau zurückzuführen ist, zur Ansicht gelangen würde, dass die In-vitro-Fertilisation in diesem Fall eine Krankenbehandlung darstellt, würde sich allerdings die Frage stellen, ob das IVF-Fonds-Gesetz als lex specialis gegenüber den Bestimmungen des ASVG anzusehen wäre, oder der Fonds bloß subsidiär zuständig ist. Mayrhofer führt als Argument gegen ein abschließendes Sonderregime „die vom Gesetzgeber dem IVF-Fonds-Gesetz zugedachte Ersatzfunktion, so zwar, dass als Reaktion auf die vom OGH verneinte Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherungsträger mit dem IVF-Fonds eine ersatzweise, also bloß subsidiäre staatliche (Mit-)Finanzierung von IVF-Behandlungen sichergestellt werden sollte“, an.* In den Materialien wird festgehalten, dass „die teilweise Kostentragung durch den Fonds [...] eine Leistung sui generis dar[stellt], die weder als Familien- noch als Krankenversicherungsleistung zu qualifizieren ist. Letzteres deshalb, weil die In-vitro-Fertilisation laut OGH keine geeignete Methode der Krankenbehandlung im Sinne der Sozialversicherungsgesetze ist (OGH vom 23. Juni 1998, 10 Ob S 115/98d)“.*

Ein Anspruch auf Krankenbehandlung wäre für die Versicherten gegenüber einem Anspruch auf Mitfinanzierung nach dem IVF-Fonds-Gesetz insofern vorteilhaft, als die KV die Krankenbehandlung grundsätzlich als Sachleistung zu erbringen hat, während gegenüber dem Fonds nur ein Anspruch auf Kostenübernahme in Höhe von 70 % der Behandlungskosten besteht. Festzuhalten ist jedoch, dass es keinen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Sachleistungen gibt.*

3.2.2.
Mitfinanzierung von In-vitro-Fertilisationen nach dem IVF-Fonds-Gesetz

Das IVF-Fonds-Gesetz sieht in § 2 als Voraussetzung für den Anspruch auf Mitfinanzierung durch den IVF-Fonds in Höhe von 70 % vor, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach § 4 leg cit erfüllt sind, und die Behandlung in einer Krankenanstalt durchgeführt wird, die mit dem IVF-Fonds einen Vertrag abgeschlossen hat. Als Vertragskrankenanstalt kommen gem § 5 IVF-Fonds-Gesetz nur Krankenanstalten in Betracht, die beim Landeshauptmann eine Zulassung zur Durchführung von medizinisch unterstützten Fortpflanzungen beantragt haben. Damit kommen nur österreichische Krankenanstalten als Vertragspartner in Frage. Eine Mitfinanzierung von grenzüberschreitenden In-470vitro-Fertilisationen ist damit im IVF-Fonds-Gesetz nicht vorgesehen.

3.3.
Finanzierung von grenzüberschreitenden In-vitro-Fertilisationen in Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit
3.3.1
In-vitro-Fertilisationen vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit erfasst?

In-vitro-Fertilisationen stellen – wie eben umfassend dargelegt – nach innerstaatlichem Recht keine Krankenbehandlung iSd § 133 ASVG dar. Dennoch handelt es sich um eine medizinische Behandlung, sodass die In-vitro-Fertilisation in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit fällt. Zu prüfen ist daher, ob auch ein Anspruch auf grenzüberschreitende Inanspruchnahme besteht, obwohl die Finanzierung nach österreichischem Recht in einem eigenen Sozialgesetz geregelt ist. In der Rs Watts wurde dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es einen Unterschied macht, ob im Versicherungsmitgliedstaat ein staatlicher Gesundheitsdienst eingerichtet ist oder Versicherungskassen bestehen. Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage dahingehend, dass die Dienstleistungsfreiheit bei Inanspruchnahme von medizinischen Dienstleistungen in einem Krankenhaus in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat, unabhängig von der Funktionsweise des nationalen Systems, anwendbar ist.*

3.3.2
Grenzüberschreitende Invitro-Fertilisation – Einholung einer Vorabgenehmigung?

Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die Verpflichtung zur Einholung einer Vorabgenehmigung im Hinblick auf die Rsp des EuGH erforderlich wäre. In den Rs Kohll* und Decker*sprach der EuGH aus, dass ein gesondertes Genehmigungserfordernis gegen die Dienstleistungsfreiheit verstößt und daher nicht zulässig ist. Eine solche Beschränkung sei auch nicht mit dem Argument der erheblichen Gefährdung des Systems der sozialen Sicherheit gerechtfertigt, da eine Erstattung nach den Tarifen des Versicherungsmitgliedstaates keine wesentlichen Auswirkungen auf die Finanzierung des Systems habe. Nach der neueren Rsp des EuGH sind Genehmigungserfordernisse für im intramuralen Bereich durchgeführte Behandlungen zulässig sowie für Leistungen, die den Einsatz hoch spezialisierter Geräte erfordern. Nach der Rsp des EuGH müsste eine solche Genehmigung aber jedenfalls erteilt werden, wenn ein Leistungsanspruch nach innerstaatlichem Recht gegeben ist, und die gleiche oder eine ebenso wirksame Behandlung nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraumes in Österreich erlangt werden kann.

Mayrhofer spricht sich zwar gegen einen generellen Ausschluss von der Kostenerstattung aus, hält jedoch das Erfordernis der Einholung einer Vorabgenehmigung für zulässig.* ME ist das Erfordernis der Vorabgenehmigung kritisch zu hinterfragen, da es sich bei der In-vitro-Fertilisation in der Regel um eine ambulante Behandlung handelt.* Zu prüfen wäre jedoch, ob hoch spezialisierte Geräte zum Einsatz kommen. § 7b SV-EG enthält jedoch keine nähere Erklärung, unter welchen Voraussetzungen vom Einsatz „hoch spezialisierter Geräte“ auszugehen ist.

3.3.3
Anspruch auf Kostenübernahme nach Art 20 der Koordinierungs-VO gegeben?

Zu überlegen ist auch, ob ein Anspruch aus Art 20 der Koordinierungs-VO ableitbar wäre. Mazal folgend handelt es sich bei der In-vitro-Fertilisation – auch wenn deren Finanzierung in einem eigenen Sozialgesetz geregelt ist – unionsrechtlich um eine Leistung im Krankheitsfall.*Mazal führt hierfür auch als Argument an, dass durch die innerstaatliche Zuordnung nicht der Anwendungsbereich der VO umgangen werden soll.* Die VO sieht bei gezielter Inanspruchnahme von Behandlungen im Ausland die Einholung einer Vorabgenehmigung vor. Eine solche Genehmigung ist zu erteilen, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates der betreffenden Person vorgesehen sind, und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraumes gewährt werden kann. Wird eine solche Bewilligung erteilt, werden die Leistungen im Rahmen der sogenannten Sachleistungsaushilfe vom Träger des Aufenthaltsortes nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht.

3.3.4
Anspruch auf Kostenerstattung aus der Patientenmobilitäts-RL ableitbar?

Zu prüfen wäre auch, ob ein Anspruch auf Kostenerstattung aus der Patientenmobilitäts-RL ableitbar ist. Die RL ist auf jegliche Gesundheitsversorgung von Patienten, unabhängig von deren Erbringung und Finanzierung, anzuwenden.* Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung lässt sich mE schlussfolgern, dass die Frage, wer eine medizinische Behandlung finanziert, demnach ob dies durch ein solidarisches gesetzliches Krankenversicherungssystem oder bspw durch einen nationalen471Gesundheitsdienst aus Steuermitteln erfolgt, für die Anwendbarkeit der RL nicht entscheidend ist. Daher ist auch eine In-vitro-Fertilisation vom Anwendungsbereich der RL erfasst. Grundsätzlich bedarf es nach der RL keiner Genehmigung. Anders als nach der Koordinierungs-VO, welche bei erteilter Genehmigung die Sachleistungsaushilfe vorsieht, besteht nach der Patientenmobilitäts-RL ein Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe des Tarifes des Versicherungsmitgliedstaates.

3.3.5
Anspruch auf Finanzierung in Hinblick auf das EU-PMG?

In Österreich wurde die RL durch das EU-PMG in nationales Recht umgesetzt. Im Rahmen der Umsetzung wurde von der Möglichkeit zur Einführung eines Systems der Vorabgenehmigung Gebrauch gemacht. Zu prüfen ist daher, ob die Einholung einer Vorabgenehmigung nach nationalem Recht erforderlich wäre. Auch wenn eine In-vitro-Fertilisation in einer Krankenanstalt durchgeführt wird, handelt es sich im Regelfall um eine ambulante Behandlung. Für ambulante Behandlungen ist eine Genehmigung nur dann erforderlich, wenn hoch spezialisierte Geräte zum Einsatz kommen. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, wurde vom Gesetzgeber jedoch nicht näher definiert. Daher bleibt die Auslegung dieser Bestimmung den Gerichten vorbehalten.

4.
Konklusion

Abschließend ist auch das aus verfahrensrechtlicher Sicht bestehende Rechtsproblem, nämlich, dass der IVF-Fonds, bei dem der Antrag nach innerstaatlichem Recht gestellt wird, kein Krankenversicherungsträger iSd § 7b SV-EG ist, zu erörtern. In Betracht käme uU eine richtlinienkonforme Interpretation dahingehend, dass der IVF-Fonds ein Träger iSd § 7b SV-EG ist. Alternativ wäre davon auszugehen, dass die RL nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurde, weil für eine Leistung im Krankheitsfall iSd Unionsrechts keine Möglichkeit der Genehmigung zur grenzüberschreitenden Inanspruchnahme vorgesehen wurde. Gegen einen negativen Bescheid des Fonds steht Versicherten die Möglichkeit der Einbringung einer Klage beim LG für Arbeits- und Sozialrechtssachen bzw in Wien beim ASG Wien offen.* Im Wege eines Vorlageantrags könnte in weiterer Folge die Frage an den EuGH herangetragen werden, inwiefern die Beschränkung der Finanzierung auf In-vitro-Fertilisationen, die in österreichischen Krankenanstalten durchgeführt werden, mit der Patientenmobilitäts-RL im Einklang steht. Alternativ könnte ein Versicherter – insb bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung – eine Vorabgenehmigung beim zuständigen Krankenversicherungsträger einholen. Dieser Bescheid wäre voraussichtlich ebenfalls negativ, da eine In-vitro-Fertilisation nach derzeitiger Rsp keine Krankenbehandlung darstellt. Die korrekte Umsetzung der RL ist daher mE insb auch in Hinblick auf die Nichteinbeziehung von anderen Trägern, wie dem IVF-Fonds, aber auch der AUVA oder der Pensionsversicherungsanstalt, die ebenfalls Leistungen im Krankheitsfall erbringen, fraglich.472